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lungen nicht vollständig in die Darstellung aufgeht, nicht vollständig zu ästhetischen Gefühlsqualitäten umgewandelt ist. Gerade diese Eigenart aber hat Bourget in den Stand gesezt, ein Werk zu schaffen, das bei aller Wissenschaftlichkeit so interessant, so malerisch und frei von aller Pedanterie und Trockenheit ist wie die Physiologie de l'amour moderne.

Es ist etwas Indiskretes, etwas Brutales in dem Buche, die Ausdrücke haben oft etwas Ungenirtes, und Bourget scheute sich deshalb wol, unter ein Werk, das von einem eingehenden Studium in den verschiedenen Liebessachen zeugt, offen seinen Namen zu setzen. Er legt alle diese Fülle von scharfsinnigen Bemerkungen, Aphorismen und Anekdoten dem Claude Larcher in den Mund, jener aus Mensonges" bekannten Romanfigur – wie es heißt, seinení Freunde, deffen nachgelassene Papiere er herausgebe.

Die moderne Liebe, deren Physiologie Bourget schreibt, ist eine ganz bestimmte, es ist die Verhältnis-Liebe, wie sie in den Großstädten der Welt üblich ist. Nur mit dieser Liebe hat es das Buch zu tun, andere Arten von Liebe erwähnt es so gut wie gar nicht. Aber dieses Gebiet der modernen Verhältnis-Liebe beherrscht es in einer erstaunlich umfassenden Weise. Es dringt in alle Geheimnisse dieser Liebe, in alle Nüancen der Empfindungen, welche sie erregt, in alle Verhältnisse, unter denen sie stattfindet, mit einem wahrhaft mikroskopischen Scharfblick ein. Oft macht er die subtilsten Unterscheidungen ähnlich scheinender Tatsachen und beschreibt dieselben bisweilen in phylosophisch-logischer Darstellungsweise, bisweilen fügt er eine Anekdote ein, die den Stoff belebt und doch nicht verflacht, sondern wie mit einem Schlage eine Wahrheit enthüllt, die lange Seiten begrifflicher Auseinandersetzungen nicht klarer hätten hervorheben können. Was die Darstellung noch besonders anziehend macht, sind eine Reihe hier und da eingeflochtener Aphorismen, die in ihrer Kürze, Schlagfertigkeit und ihrem paradoren Aufbau und Abschluß mitunter an Friedrich Nicßsches Aperçus seiner nachwagnerischen Periode erinnern, so z. B. der folgende (S. 306): Es giebt nur eine Art, mit dem Herzen glücklich zu sein, und die besteht darin: keins zu haben.

Das Buch Bourgets ist ein Werk von ganz bedeutend kulturhistorischem Wert, es steht vielleicht in dem Reichtum an Material, an Dokuments über die moderne Mätreffen-Liebe unerreicht da. Freilich will es auch nur Material bieten, nur deskriptiv sein. Wie die ganze Epoche, in der wir leben, sich überhaupt bemüht, Material aufzuhäufen, Steine herbeizufahren, ohne dieselben zu einem neuen Zukunftsbau zu verarbeiten, ohne neue Kombinationen, neue Berspektiven zu schaffen, so will auch Bourget nichts als beschreibend fonstatiren, was er gesehen hat. Denn die Therapeudik, die er giebt, kennzeichnet sich in ihrem humoristischen Gepräge sofort als bittere Ironie. Er weiß keine Heilmittel gegen diese Berhältnis-Liebe, es giebt keins nach der Meinung des Larcher-Bourget. Und allerdings die Verhältnisse, die Bourget vorführt, die Tatsachen, die er aufzählt, sind meistens trostlos, trostlos, weil sie morsch und faul und die Menschen, an denen jene sich zeigen, zum Untergange bestimmt sind.

Es wäre sehr interessant, zu zeigen, wie unsere Verhältnisse, die Lage unserer Frauen, das spannungslose, ideallose Leben verschiedener Menschenkategorieen u. f. w. dahin führen müssen, eine solche Art von Liebe, wie Bourget sie schildert, zu erzeugen, und wie dieselbe mit Aenderung der Zeitverhältnisse und durch welche Aenderung derselben sie wieder verschwinden müßte und eine neue Art von Liebe die alte ablösen würde. Diesen Pünkt hat Bourget fast gar nicht berührt, und wo er auf denselben zu sprechen kommt, begnügt er sich in jener naiven, fast kindischen Weise, die den Décadence-Menschen und Vertretern der alten Weltanschauung eigen ist, auf einige verkehrte Erziehungsmethoden aufmerksam zu machen. Uebrigens ahnt dieser Larcher von dem Greisenhaften, Krankhaften, Wurmstichigen dieser Fin de siècle-Liebe fast nichts, sondern sezirt mit der Freude des Mediziners, der einen interessanten Fall entdeckt hat, frisch drauf los. Für diejenigen aber, welche eine neue Weltanschauung vertreten und bereits Ziele haben, für die sie in positiv wirkender Arbeit und darum mit gesunder Lebenslust eintreten können, ist es fast lächerlich zu sehen, wie die alte Aera an dem klaffenden Widerspruch zwischen Ideal und Tatsachen, den sie vergeblich zu lösen sich bemüht, allmählich zu Grunde geht. C G.

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E. Vely: Spottdrossel, Roman. Mannheim, 1891. Bensheimer Ein Dorfroman ohne weichliche Süßigkeit, ohne litterarische Bedeutung, aber gut und mit kräftigen Strichen erzählt. Was ihn über die durchschnittliche Unterhaltungslektüre erhebt, ist vor allem das reine und gesunde sittliche Empfinden der Hauptpersonen. In den modernen Gesellschaftsromanen ists wie etwas ganz Natürliches, wenn das Weib sich an den Meistbietenden verkauft. Diese Weiber fühlen doch, daß sie gegen die Stimme des Triebes handeln, wenn sie das gleiche tun. Sie sind gesund und reagiren darum am stärksten auf Ben ihrer Eigenart entsprechenden männlichen Typus. Wenn sie, statt dort natürliche Befriedigung zu suchen, wo sie am süßesten ist: in den Aimen einer sie ergänzenden Persönlichkeit, aus Feigheit, Habsucht und Troß von dem Pfade weichen, den ihnen ihr eigenes Wesen vorschreibt, dann liegt auf ihrem Leben naturgemäß der Fluch der Unbefriedigung und des inneren Elends. Wo das Weib liebt, duldet es gern, aber wo es nicht liebt und dennoch dulden soll, da wird es verbittert. Wenn die gefunden Gestalten mehr in die Tiefe statt in die Breite gezeichnet wären, würde das ganze noch mehr packen. Es lag im Stoffe, daß fast alle auftretenden Personen sich noch mit Vorurteilen herumschlagen, über die die Mehrzahl der Gebildeten heute längst hinaus ist Das schädigt die Tiefe des Eindrucks gleichwol wesentlich Auch in der Stoffwahl zeigt der Künstler schon, weß Glaubens Bekenner er ist. A. 2.

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Hugo Göring: Die neue deutsche Schule, ein Weg zur Verwirklichung vaterländischer Erziehung". Leipzig Vogtländer, 1890.

Ich habe über den in diesem höchst originellen Büchlein aufgestellten neuen Schulplan mich schon so oft in Wort und Schrift ausgesprochen, daß eine nochmalige kritische Erörterung seines Inhalts an dieser Stelle kaum angemessen erscheinen würde. Wesentliche Punkte des schon vor neun Jahren in seinen Grundzügen entworfenen Planes za einer gründlichen Reform des Jugendunterrichts, welchen der Verfasser auch als Mitglied der Schulkonferenz im Dezember v. I. nicht zur Diskussion zu bringen vermochte, weil er überlieferten Vorurteilen zu sehr entgegensteht, sind durch die kaiserliche Kabinetsodre vom Februar 1890 und die darauf erfolgten Ausführungsbestimmungen in den Kadettenanstalten in der Verwirklichung begriffen. Um so mehr ist es zu verwundern, daß von keiner Seite ernstlich die Errichtung einer auf derselben Grundlage ruhenden Privatschule als Musterschule für das Civil, etwa unter einem hohen Protektorat mit den erforderlichen Berechtigungen in Angriff genommen wird.

Wenn man bedenkt, wie sehr die vorliegende Schrift mit ihrem frischen, ursprungsechten germanischen Geist, ihren durchaus dem gegenwärtigen Kulturleben entsprechenden Vorschlägen von jüngeren, viel weniger berufenen Autoren zur Herstellung ihrer Reformvorschläge, allzu oft auch ohne Nennung der Quelle, benutzt worden ist, und wenn man erwägt, daß schließlich jeder wolmeinende Jugendfreund, Vater, Schulmann mit der eingehenderen Berücksichtigung der förperlichen Entwickelung der Schüler, sowie ihrer Charakterbildung in der Schule cinverstanden sein muß, wenn er nicht Unwichtigeres dem Wichtigsten, Fremdes und Altes dem Heimischen und Gegenwärtigen ungebührlich vorzieht, so macht es einen sonderbaren Eindruck, immer wieder und wieder zu hören und in der Tagespresse zu lesen, der Göringsche Plan einer neuen deutschen Schule sei eine Utopie. Wer so spricht, kennt ihn nicht oder bleibt bei Nebensachen stehen. Ich kann jedem Gegner wie Anhänger einer gründlichen Umgestaltung unseres mittleren und höheren Schulwesens nur dringend die genaue Kenntnisnahme dieser Schrift empfehlen. W. Preher.

*) Eine neue deutsche Schule." Bielefeld (A. Helmich), 1890. Biologische Zeitfragen." Berlin (H. Paehl), 1889. Die neue deutsche Schule", Monatsschrift für Begründung einer dem Zeitbedürfnis entsprechenden Jugendbildung in Ver bindung mit v. Esmarch, W. Breyer, L. Bauer, C. Schmelzer herausgegeben von Dr. Hugo Göring. 3. Jahrgang. L. Fernau, Th. Griebens Verlag, Leipzig, 1891

Verlag von F. & P. Lehmann, Berlin W., Körnerstr. 2.

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1832 begründet

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Joseph Lehmann.

für Sitteratur.

Berausgegeben von Fritz Mauthner und Otto Neumann-Hofer.
Redaktion: Berlin W., Körner · Straße 2.

Verlag

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S. & P. Lehmann. Erscheint jeden Sonnabend. — Preis 4 Mark vierteljährlich. Beßtellungen werden von jeder Buchhandlung, jedem Postamt (Nr. 3589 der Postzeitungsliste), sowie vom Verlage des „Magazins“ entgegengenommen. Anzeigen 40 Pfg. die dreigespaltene Petitzeile. ∞ Preiß der Einzelnummer: 40 Pfg. &

60. Jahrgang.

Berlin, den 31. Oktober 1891.

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Nr. 44. Juhalt: Ernst Rosmer: Milost pan. R. v. T.: Zweijährige Dienstzeit. -Curt Grottewiß: Drei moderne Typen (Bahr, Schlaf und Hansson). Richard Grelling: Die Stellung des Verteidigers im Strafverfahren. Dr. Heinrich Reimann: Nachflänge zu den bayreuther Festspielen. Theater von Frit Mauthner: Blumenthal-Kadelburgs „Großstadtluft"; Grillparzers „Esther“; Molières „Geiziger“. Litterarische Chronik. Litterarische Neuigkeiten: Dehlens Zwischen zwei Welten", besprochen von C. G.; Boy-Eds „Malergeschichten", besprochen von E. M.; Paschs „Ausgewählte Schauspiele", Grimms Deutsche Sagen“, Bergers „Dramaturgische Vorträge", Levins „Barkochba“ besprochen von —r.; Freeses „Gustaf Vasa“, besprochen von E. Höber. Auszugsweiser Nachdruck sämmtlicher Artikel, außzer den novellistischen und dramatischen, unter genauer Quellenangabe gestattet. Unbefugter Machdruck wird auf Grund der Gesetze und Verträge verfolgt.

Milost pan.

Schauspiel in einem Aufzug.

Von

Ernst og mer.

Personen:

William Stoneberg.

Katya Stanyek.

Ein Diener.

Ein großes Zimmer. Im Hintergrund rechts eine Türe. Vorn rechts ein geöffneter Flügel mit Notenheften und Partituren bedeckt. In der Mitte des Zimmers ein großer, runder Tisch. Darauf ein Schreibzeug. Rechts und links Stühle. Links vorn in einer Gruppe von Zierpflanzen eine schwarze Säule mit großer Beethovenbüste. Dicht davor ein kleiner Tisch mit zwei niedrigen Fauteuils. Weiter zurück links ein Fenster mit schweren Vorhängen. In der Mitte des Hintergrundes ein hohes Regal mit Partituren. Rechts und links davon Luftheizungsklappen. Die ganze Einrichtung schwer und dunkel. Es ist vollkommen Nacht.

Szene 1.

Die Türe wird von außen aufgeschlossen. Stoneberg in Winters rock und Cylinder. Der Diener trägt eine Lampe und einen Violinkasten. Die Tür bleibt offen. Man sieht in ein kleines Vorzimmer mit einigen Rohrstühlen, Kleiderhaken und Schirmständern. Von ferne hört man ganz leise die spanischen Weisen von Sarrafate mit Orchesterbegleitung.

Stoneberg (auf den Mitteltisch deutend). Hierher. (Der Diener stellt den Kasten und die Lampe nieder, hilft dann Stoneberg den Ueberrock ablegen. Stoneberg ist in Frack und weißer Kravatte.)

Stoneberg. Gut. Zünden Sie das Gas an. (Zieht die Handschuhe aus, reibt sich die Hände.) Unerträgliche Kälte.

Diener. Ich werde sogleich die Heizungsklappen.

öffnen.

Stoneberg (geht an eine der geöffneten Klappen, die Hände in die ausströmende warme Luft haltend, spricht mit rückwärts gewendetem Kopf zu dem Diener, der die Fenstervorhänge zuzieht und das Gas anzündet. Wie lange bleibt der Portier auf?

Diener. Nach Schluß des Konzertes noch eine Stunde. Aber wenn Herr Stoneberg wünschen, daß er länger . . .

Stoneberg. Nein, so lange bleibe ich nicht. (Geht im Zimmer umher, bleibt vor dem Flügel stehen.) Ah, ein Stoneberg! (Schlägt ein paar Tasten an, geht dann an den Mitteltisch, sucht sich einen Briefbogen und ein Kouvert heraus, schreibt. Der Diener ist unterdessen mit dem Anzünden fertig geworden.)

Diener. Wünschen Herr Stoneberg noch etwas? Stoneberg (schreibend). Warten Sie. (Der Diener geht ins Vorzimmer.)

Stoneberg (schreibend). Sie haben auch den Dienstmann bezahlt, welcher den Violinkasten aus meinem Hotel holte?

Diener. Ja.

Stoneberg (steht auf, wirft einen prüfenden Blick nach dem Diener, geht langsam im Vordergrund des Zimmers auf und ab, halblaut das Geschriebene lesend). halblaut das Geschriebene lesend). „Gnädigste! Heute Abend habe ich mich überzeugt, daß Ihr Instrument der Künstlerin nicht würdig ist. Sie haben das Adagio des BeethovenStoneberg. Ich kann hier bleiben, ungestört? konzertes nicht gespielt, wie Sie es spielen können. Das Diener. Ganz ungestört. Das Zimmer wird nur | Publikum hat es nicht bemerkt, wol aber das Ohr eines vor- oder nachmittags zu den Einzelproben benüßt. | Musikers. Ich habe mich daher entschloffen, Ihnen die Abends nie,

in meinem Befit befindliche Amati zu überlassen. Ich

muß so unhöflich sein, Sie noch heute Abend zu bemühen. Ein vor wenigen Stunden erhaltenes Telegramm zwingt mich morgen früh fünf 11hr zur Abreise nach New-York. Darf ich Sie für wenige Minuten auf das neutrale Gebiet des Probezimmers bitten? Ich habe das Instrument holen lassen. Sie können es genau prüfen. Ihr bewundernder Verehrer William Stoneberg." (Geht an den Tisch, schließt den Brief in ein Kouvert, schreibt die Adresse, winkt dem Diener) Gehen Sie ins Künstlerzimmer und warten Sie bis zum Schluß des Konzertes. Wenn Fräulein Stanyek kommt, übergeben Sie ihr diesen Brief und bitten um Antwort. Sollte sie es verlangen, so führen Sie die Dame her. Nun (zicht seine Börse heraus) für den Dienstmann und Ihre Bemühungen.

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Diener. Danke, gnädiger Herr. (Geht, schließt hinter sich die Türe.)

Szene 2.

Stoneberg (allein. Klappt seinen Cylinder zusammen, trägt den Ueberrock auf einen Stuhl im Hintergrund, öffnet den Biolinkasten). Wird sie kommen? Glaube wol. Anstandsrücksichten kommen bei ihr nicht allzuviel in Betracht. Und wo sichs um eine Amati handelt, um diese Amati! — (Die Musik verstummt. Man hört lange anhaltenden Applaus.) Zu Ende. Nun werde ich ja gleich wiffen . . . . (Geht mit kurzen Schritten auf und ab, fährt sich ein paar Mal erregt über die Stirne. Aergerlich.)

Daß mich so etwas noch nervös machen kann! Was ist denn? Ein kleines Slavenmädchen von möglichst dunkler Herkunft. Aufgewachsen im künstlerischen Vagabundentum. Darin liegt meine Hoffnung. Und in der Amati. nimmt die Violine aus dem Kasten, betrachtet sie. Stoneberg. Herein.

Szene 3.

Es klopft.)

(Er

Katya Stanyek (tritt ein, läßt die Türe halb offen. Man sieht den Diener und eine ältere, einfach gekleidete Person. Katya ist in vollständig weißer Konzerttoilette. Nur an der Schulter und im Haar dunkle Rosen. Um die Taille eine feine, goldene Gürtel

kette, deren Enden sich in einer Falte des Kleides verlieren. Lose um die Schulter geschlungen ein weißes Seidentuch. In der linken Hand hält sie Stonebergs offenen Brief und ein kleines Taschentuch. Sie ist etwas erschöpft, in starker, aber verhaltener Erregung, spricht mit durchaus czechischem Accent, aber ohne Gewöhnlichkeit, mit weicher, ein wenig gebrochener Stimme.)

Katya. Bin ich da. (Tritt an den Tisch.) Also? Stoneberg (verlegt, macht ihr eine oftentative Verbeugung). Ich habe die Ehre, meine Gnädigste, Sie zu begrüßen. Katya (ohne darauf zu achten). Wie viele Geld verlangen Sie? Bitte - rasch.

Stoneberg. Gnädiges Fräulein, Sie nehmen die Sache sehr geschäftlich. Ich halte die Hergabe einer Amati für mehr als einen bloßen Handel. Zum mindesten ist dabei ein oder das andere Wort zu reden, welches die Dienerschaft nicht zu hören braucht. (Geht an die Türe,

schließt sie.)

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Katya (folgt ihm mit den Augen). Ah so! (Geht.) Stoneberg (für sich). Was?! (Laut, mit halbem Lachen.) Das hätte ich von Fräulein Stanyek nicht erwartet! Sie fürchten sich?

Katha (schon an der Türe, wendet sich rasch um, mißt ihn

von oben bis unten, greift einen Moment an die Gürtelkette).

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Stoneberg. Wenn Sie meiner Neugierde die Erklärung verweigern, so gewähren Sie dieselbe meiner Teilnahme. Ich helfe gerne Ihnen. Was haben Sie?

Katya (in Tränen ausbrechend, wirft sich vornüber auf die Tischplatte). Ich habe gespielt schlecht.

Stoneberg. Schlecht gespielt?! Heute? Sie haben mit einem Feuer, mit einer Leidenschaft gespielt, das Publikum

Katya. Feuer, Leidenschaft, Publikum! Adagio habe ich gespielt schlecht. Und Narren da unten haben geschrien: Bravo. O, hätten ausgezischt mich, mir wäre nicht so unglücklich. Aber nehmen Lob und haben nicht verdient. Ist mir in Herzen als hätte ich beschimpft Mutter Gottes.

Stoneberg. Ach, lassen Sie doch die Mutter Gottes aus dem Spiel. Sie tun dem Publikum Unrecht und sich. Haben Sie Ihre Ansicht vielleicht meinen Zeilen entnommen? Sie haben das Adagio ausgezeichnet gespielt. Nur meine hohe Meinung von Ihrer Begabung veranlaßt mich zu dem Glauben, daß Sie es noch besser fönnen.

Katya. Sie sind Narr wie Andere. Wiffen nicht, daß man spielt Beethoven schlecht, wenn man nicht spielt Beethoven vollendet?

Stoneberg. Demzufolge müßten freilich sämtliche moderne Virtuosen das Beethovenspielen aufgeben.

Katya. Ich nicht gehöre zu Ihre moderne Virtuose. Hererei von großer Technik haben keine Wert für mich, seit ich kann Hererei. Weiß ich sehr gut, daß ich kann mehr als die audere. Und hab' ich gesehen heute, daß ich fann gar nichts.

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Stoneberg. Auf die Gefahr hin, mich wieder von Ihnen den - Narren beigezählt zu hören, erlaube ich mir nochmals die Bemerkung, daß Sie sich Unrecht tun Sie haben den ersten und letzten Satz des Beethovenfonzertes gespielt wie wie eben nur Sie es können. Wenn das Adagio Sie nicht ganz befriedigen konnte, so liegt die Schuld an dem Ton Ihres Instruments. Er ist groß. kräftig, aber ohne jene höchste Weichheit, jene innere Amati innewohnt. Verklärung, wie sie einer Katya (leise.) Weiß ich lange wol. Aber will ich nicht geben zu mir. Ist so jämmerlich, suchen Entschuldigen für Nichtkönnen von sich selbst.

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Stoneberg. Also diese weibliche Schwäche haben Sie nicht. Nur tun Sie auf der anderen Seite zuviel. Und wenn Sie wirklich schlecht gespielt hätten, so verstehe ich noch immer nicht, warum Sie die Sache so tragisch behandeln, als ein solches Unglück.

Katha. Für mich ist es Unglück.

Stoneberg (zuckt die Achseln). Katha (mit tiefgesenktem Haupt, sehr leise beginnend). Seit erstemal habe ich gehört einer Melodie von Beethoven, ist Herz geworden taub für andere Ton. Hab' ich gespielt viel andre Ton, weil ich wollte lernen. Wollt' ich warten, bis ich konnte ganz viel, um es zu machen recht für Beethoven. Aber wenn ich habe gespielt andre Ton, war es immer so leise in mir: Kde je milost pan? Wo gnädiger Herr? O mein gnädiger Herr, hab' ich es gemacht schlecht!

ist

(Schluß folgt.)

Zweijährige Dienstzeit!

Infolge der allgemeinen Wehrpflicht hat sich durch die weitesten Schichten des deutschen Volkes die Kenntnis militärischer Einrichtungen und Gebräuche verbreitet. Wo derlei Fragen zur Erörterung kommen, ist in gewissem Umfange ein jeder Sachverständiger oder glaubt wenigstens, selbst wenn er nicht gedient hat, es zu sein.

Andererseits wurzelt aber durch die Dienstjahre das Soldatentum tausendfach im Leben der ganzen Nation. Der Wehrstand ist nicht, wie früher, eine abgesonderte Naste des Voltes, er ist das Volk selbst, das sich hier nach seiner kriegerischen Seite hin verkörpert. Wer einer Kontroll-Versammlung beigewohnt und die militärisch geordneten Reihen der Zivilisten verschiedensten Standes und Berufes gesehen hat, den bewußten Fabrikarbeiter neben dem modisch gekleideten Flaneur der Linden, den Bierfahrer neben dem Korpsstudenten, den Großkaufmann an der Seite des Tagelöhners, dem_muß die Bedeutung des Volkes in Waffen“ aufgegangen sein. Tragen auch nur die paar anwesenden Offiziere Uniform, Soldat ist ein jeder und als Soldat bringt ein jeder seinen Anteil an Interesse und Verständnis den militärischen Fragen der Beit entgegen.

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So ist es begreiflich, daß die Behandlung derartig in das Leben der Nation einschneidender Probleme, wie es der Streit um die Dauer der Dienstpflicht ist, fein Vorrecht der Fachschriften bildet, sondern überall cine Stätte finden kann und joll, wo das Leben unseres Volkes irgendwie, sei es in geistiger oder materieller Hinsicht, einer Erörterung unterzogen wird. Dann mag man aus diesem Leben an Einzelheiten herausgreifen, was man will, überall wird sich in höherem oder geringerem Grade der Einfluß des sogenannten „Militarismus“ zur Zeit nachweisen lassen.

Bei allen kräftigen Nationen ist es so gewesen. Unheilvoll allerdings ist es, wenn, um den bekannten spartanischen Ausspruch zu gebrauchen, der Krieg nicht des Staates wegen, sondern der Staat des Krieges wegen da ist. Vor dem Kriege aber hat heutzutage jeder eine ernste Scheu, troß aller, oft erdrückend scheinenden Militärlasten, die begreiflicher Weise den Wunsch nach Erleichterung in den weitesten Kreisen hervorgerufen haben.

Das, worin dieser Wunsch mit dem Anfang der 60er Jahre gipfelt, ist die Einführung der zweijährigen Dienstzeit. Gerade jebt ist die Frage wieder einmal durch mancherlei, was im Schoße der Regierung vorging und vielleicht nach außen hin durch die Boguslawskische Schrift in Erscheinung trat, zu einer brennenden geworden, und eine kühle Erörterung des von der Parteien Gunst und Haß verwirrten Problems sehr wohl am Plaze.

Sehen wir zunächst, wie die Sache jezt steht. Es ist ein trüber Novembertag. Ein feiner Sprühregen fegt über den weiten Exerzierplay. Die Rekruten sind eingetroffen und der Kompagnie überwiesen. Der Hauptmann und der ausbildende

Lieutenant schreitet die Front der angehenden Krieger entlang. Fünfzig Gesichter starren ihm in angstvoller Erwartung entund als fertige Soldaten entlassen werden. gegen. Sie alle sollen zu Menschen gemacht", ausgebildet Der Drill fängt an, er dauert Tage, Wochen und Monate hindurch, allmählich beginnen sich die gewanten Leute von den ungeschickteren, die fligeren von den dümmeren, die ordentlichen von den störrischen zu sonderu. Dann kommt die Vorstellung, es kommt das Kompagnie-Exerzieren, man übt im Bataillon, man schießt, marschirt zum Felddienst und ins Manöver... das erste Jahr

ist herum.

Die besonders guten Leute werden jezt zu Gefreiten befördert und instruiren mit gerechtem Stolze die neu eintreffende Rekrutenschar in den Geheimnissen des M/88 und des lang= famen Schrittes. Auch die übrigen fühlen sich jezt als „alte Leute". Manche werden Burschen, andere erhalten sonstige Kommandos; ein kleines Häuflein räudiger Schafe ist auch unter ihnen, das sich fortgesetzt schlecht führt, die meisten aber strengen sich nach Kräften an. Winkt ihnen doch in wenigen Monaten das heißersehnte Ziel des guten Soldaten: der Königsurlaub, die Entbindung vom dritten Dienstjahr! Freilich müssen. Reklamationsgründe von genügendem Gewicht zur Stelle sein.. aber wo fehlen die in Bauer- und Arbeiterkreisen? Ein paar fräftige Arme tun überall not und die Dorfschulzen oder Amtsvorsteher wissen das selber am besten.

Und so ist das zweite Jahr vorbei. Mit klingendem Spiel marschiren die Truppen aus den Manövern in die Garnison cin. Die Hälfte des zweiten Jahrganges wird zur Disposition entlassen. Unter Zuziehung seiner Offiziere, des Feldwebels u. s. w. hat der Kompagnie-Chef gewissenhaft seine Liste angefertigt, die der Bataillons- und Regimentskommandeur prüft. Er hat die dringendsten Reklamationsgründe berücksichtigt, naturgemäß nur bei solchen Leuten, die im Dienste tadellos waren. Trauernd sieht er sie dahinziehen, die gewissenhaften Gefreiten, die guten Ererzierer zwei Dußend der besten Mannschaft. Die andere Schüßen, die anstelligen Patrouillenführer, die gewanten Natur targ Bedachten, andererseits die Leute von schlechter Hälfte bleibt zurück... es sind einmal die krummen, von der Führung, was beides natürlich oft genug zusammenfällt. Die ersteren haben, in der Hoffnung, vielleicht doch entlassen zu werden, sich bisher ordentlich betragen. Jeßt kann es ihnen ja gleich sein. Sie kommen nach Zapfenstreich an das Kasernentor, find schlecht im Dienst und bilden so mit den schon früher schlechten Soldaten des andern Teils jene Sorte von Dreijährigen, die immer Schrecken der Kompagnie-Chefs und der Feldwebel sind. Natürlich giebt es auch bessere Elemente noch reichlich unter ihnen, wie dies bei dem Material der deutschen Armee selbstverständlich ist. Aber gerade diese werden dann, zumal im Winter, als Ordonnanzen der verschiedensten Art, auf der Kammer, auch als Burschen, Schreiber u. s. w. verwant, so daß schließlich bei der Kompagnie selbst zum Dienst ein Stamm von etwa 12-15 Dreijährigen zurückbleibt, der unter der jungen Mannschaft wie die Hefe im Teig wirkt, alle Kniffe und Ränke des Kasernenlebens kennt, etwaige Schwächen der Vorgesetzten ausfindig gemacht hat, und jüngeren Unteroffizieren, Gefreiten des zweiten Jahrgangs gegenüber nur das allernötigste Maß von Disziplin bewahrt. Man ist froh, wenn fie fort sind. Aber sofort treten im September neue an ihre Stelle und das Uebel geht chronisch weiter.

Von einer allgemeinen gleichen Dienstpflicht kann man überhaupt zur Zeit nicht sprechen. Der Trainsoldat dient 1/2 Jahr, die Stamm-Mannschaft 3 Jahre, der Ersaßreservist 20 Wochen, der Einjährige aller Waffengattungen 1 Jahr, der Gemeine der Infanterie 22 (bei Dispositions-Urlaub) bis 34 Monate (normale Dienstzeit), der freiwillig Eingetretene der Kavallerie endlich gar 4 Jahre!

Lassen wir die sogenannten Spezial-Waffen außer Betracht, für welche allenfalls mit Ausnahme der fahrenden Feldartillerie und der Trains die dreijährige Dienstzeit wol unumgänglich erscheint, übergehen wir in unserer allgemein gehaltenen Betrachtung alle Besonderheiten der Ersaß-Reserve, der Schullehrer u. s. m. und sehen wir nur, wie sich die zweijährige Dienstzeit bei der Infanterie gestalten würde

Wir sind wieder auf dem Ererzierplaß. Es ist noch nicht November, bis zu welchem Termin man bekanntlich jezt aus Ersparnisgründen die Einstellung der Rekruten hinausschiebt

sondern wir schreiben den 1. Oktober, den wirklichen und cigentlichen Anfangspunkt des militärischen Jahres. Wieder stehen die Rekruten da... aber jetzt sind es nicht ihrer 50 ... es sind an die 80 geworden und jeder einzelne von ihnen ver langt dieselbe sorgfältige und gewissenhafte Ausbildung, die seinen Vorgängern zu Leil geworden.

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Woher das Ausbildungspersonal nehmen? Mit den Offizieren ginge es wol noch. Ob der Rekrutenlieutnant fünfzig Ob der Rekrutenlieutnant fünfzig oder fünfundsiebzig Mann unter sich hat, ist noch nicht so wichtig. Er fann es leisten, wenn auch in der Instruktion nur mit Mühe, aber die Unteroffiziere! Wir haben schon jetzt keinen genügenden Ersatz. Ueberall find Vakanzen vorhanden. Die Unteroffizierschulen liefern ein Material, das dienstlich sehr gut ausgebildet, aber nach der privaten Ansicht des Verfassersneist im Charakter noch nicht ausgereift ist, und tüchtige Kapitulanten aus dem Civilstand findet man lange nicht in der nötigen Zahl. Mag man auch alles Mögliche versuchen, selbst die jetzt eingeführte Tausendmark- Prämie wird den Umstand nicht aus der Welt schaffen, daß wir zu wenig Unteroffiziere besitzen, die geistig über der Mannschaft stehen. Die Volts bildung ist bei uns eine außerordentlich hoch entwickelte darin liegt eben die moralische Ueberlegenheit der deutschen Armee und den Unteroffizier müssen wir doch eben aus dem Volke nehmen. Andererseits stellen wir aber an ihn und mit Recht den Anspruch, daß er nicht nur dienstlich, sondern auch geistig und moralisch der Mannschaft ein Vorbild sei. Menschen aber, die bereits ein solches Maß von Bildung besigen, finden im bürgerlichen Leben ein leichteres und be quemeres Fortkommen denn als Unteroffiziere. Sie werden. Kaufleute, Schreiber, Kassenboten, Beamte u. dgl. und wollen von dem schweren und viele Jahre dauernden Militärdienst des Kapitulanten nichts wissen. Denn selbst mit der größten Lockung, dem Civilversorgungsschein, ist es ein eigenes Ding. Manche allerdings haben dabei Glück und Erfolg - ein Feldwebel z. B., ein Feldwebel z. B., der in der Kompagnie des Verfassers stand, ist jetzt Stationsvorsteher eines großen Bahnhofs, aber oft finden die Militäranwärter überhaupt keine Posten oder nur einen solchen, der eine recht untergeordnete und unerfreuliche Tätigkeit mit sich bringt. Hier müßte also der Staat eingreifen, und durch hohe Besoldung u. j. w. das gute Unteroffiziermaterial um jeden Preis zu vermehren suchen.

Ein nur aus zwei Jahrgängen bestehendes Bataillon besigt nicht den Halt, den der dritte Jahrgang, bei seiner Vertrautheit mit dem Dienste, den Uebungen doch unter allen Umständen verleiht. Mehr noch als bisher, wird es im Frieden wie namentlich auch im Krieg, wo jezt die Zahl der ganz ausgebildeten und zugleich in Nebung befindlichen Mannschaft bei einem Feldzug im November etwa nur ein starkes Viertel des triegsstarken Truppenteils betragen dürfte, eines zahlreichen und auf seiner ganzen Höhe stehenden Offizierkorps bedürfen. So scheint auch hier eine Vermehrung der Lieutnantsstellen um zwei bis drei per Bataillon ganz unumgänglich zu sein.

Das kostet Geld und mit einem Worte: die Einführung der zweijährigen Tienstzeit ist eine recht teure Sache. Sie wird noch zahlreiche andere Ausgaben mit sich bringen für Unter funft, Bekleidung, Veränderungen im Schießdienst u. f. w. -, allerdings vielleicht auch Vereinfachungen auf einigen Gebieten, wie namentlich den Fortfall der unglücklichen Ersaßreserve. Im Allgemeinen aber nimmt man in den bestunterrichteten Kreisen. einen Kostenbetrag von 120 Millionen als zu ihrer Durch= führung nötig an.

Darauf ist man in vielen Kreisen, die unablässig nach den zwei Jahren rufen, nicht vorbereitet. Dort glaubt man, es werde einfach der dritte Jahrgang abgeschafft, dafür alle Wehrpflichtigen in zwei Jahrgänge eingestellt und alles ist gut. Von den Anforderungen, welche die Ausbildung des vermehrten Materials an die Vorgeseßten stellt, macht man sich dabei keinen rechten Bezriff.

Die wahre und eigentliche Ersparnis liegt darin, daß durch die Aufhebung des dritten Dienstjahres zehntausende von jungen Männern aus der Blüte des Volkes nur zehn Monate früher ihrem Berufe zurückgegeben würden. Für die Landwirtschaft zumal ist das ein schwerwiegender Faktor; im Fabrikbetriebe freilich könnte leicht ein Sinken der Löhne die Folge sein. Berechnen aber läßt sich das kaum. Außerdem ist ja jetzt schon die Hälfte des dritten Jahrganges in Dispositionsurlaub der

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Fahne fern, muß allerdings jeden Augenblick einer erneuten Einberufung für den Rest der Dienstzeit gewärtig sein, wenn durch irgend welchen Grund Vakanzen in der Kompagnie entstehen.

Man sieht also: wenn wir die zweijährige Dienstzeit einführen, so kann es unmöglich aus Ersparnisgründen, sondern nur in der Absicht geschehen, die junge Mannschaft so früh dem. bürgerlichen Leben wieder zu geben, als es das Interesse des Tienstes irgend gestattet.

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Den Begriff „Dienst" kann man nun aber sehr verschieden auffassen, je nachdem man die betreffende Frage aus hohem Munde: Drill oder Erziehung?" so oder so beantworten will. Tie Ausbildung unserer Soldaten bleibt bekanntlich bei der bloßen Abrichtung zum Kriegshandwerk nicht stehen. Ferienfolonien sind unsere Kasernen freilich, troß des bekannten Ausspruches des Kriegsministers, durchaus nicht, wol aber Erziehungsstätten größten Maßstabes, in welchen die breiten Schichten unseres Volkes nicht nur in der Ausübung des Dienstes unterwiesen, sondern ebenso und noch viel mehr zur Ordnung, Pünktlichkeit, Disziplin, zur Reinlichkeit, zur Sorgfalt des äußeren Menschen, zur Selbstachtung erzogen werden. Mancher Rekrut, namentlich der östlichen Provinzen, lernt in den Kasernen erst Lesen und Schreiben. Der Verfasser dieser Zeilen hatte wiederholt Mannschaften, die keine Ahnung von dem Namen des deutschen Kaisers oder desjenigen eines Bundesfürsten besaßen, die nichts von einem deutschen Reiche wußteu und nie etwas von Berlin u. s. w. gehört hatten. Zumal bei der Germanisirung des Ostens, wie namentlich der französisch sprechenden oder welsch gesinnten Teile des Reichslands ist, neben der Volksschule, die Dienstzeit das wichtigste Hilfsmittel. Daß dabei Härten, Rohheiten und Mißhandlungen vorkommen, ist leider nicht zu leugnen. Doch ist schon vieles darin besser geworden und schließlich stehen die wirklich schweren Fälle sehr vereinzelt da.

Die eigentliche Ausbildung hat sich in der lezten Zeit durch das neue Exerzier-Reglement, die Felddienst-Ordnung u. s. w. sehr vereinfacht. sehr vereinfacht. Die mumienhaften Ueberbleibsel früherer Zeiten, die dreigliedrige Formation mit ihren verwickelten Bataillonsbewegungen, einige unnüße Griffe und anderes haben weichen müssen. Nur hie und da noch erinnert etwa im Garnisonwachtdienst, in der Carré-Formation, ein TrümmerRest an die Vergangenheit. So ist das Ererzieren, trotz der erhöhten Anforderungen im Schieß-, Feld- und Gefechtsdienst, bedeutend verkürzt worden.

Unter allen Umständen kann und muß ein Mann von normalen Fähigkeiten im Laufe von zwei Jahren zum Soldaten nach den neuen Vorschriften ausgebildet werden. Schon jezt beurlauben ja die Kompagnien, falls Reklamationsgründe vorliegen, nach dem zweiten Jahre die tüchtigen Leute! Die Anderen aber lernen im dritten Jahr sehr wenig ja, sie ver= schlechtern sich eher, wie oben ausgeführt, zumal wirklich niemand von ihnen hervorragende Leistungen erwartet.

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Anders liegt es mit der moralischen Seite der Frage Das, was unsere Armce dem Feinde furchtbar macht, ist nicht sowohl ihre Zahl — Frankreich ist uns darin mindestens gleich, Rußland vielleicht sogar stärker als ihre innere Ueberlegenheit. Nur ein Offizierkorps wie das deutsche kann seinen Truppen eine solche moralische Spannkraft verleihen, nur in einem zugleich so militärisch veranlagten und geistig so veranlagten Volk, wie das deutsche, findet der Offizier das erforderliche Material. Je länger die Bearbeitung des Materials dauert, desto besser wird es natürlich werden. Mit dem bloßen Drill ist es heutzutage nicht getan. Die ganze Entwickelung der modernen Taktik, das System des zerstreuten Gefechtes, weist gebieterisch auf die Notwendigkeit hin, den Charakter jedes einzelnen Mannes zu stärken und ihm die Kraft zu verleihen, unter den betäubenden Eindrücken des Kampfes sich die Klarheit des Tenkens und die Fähigkeit des eigenen Entschlusses zu bewahren. Diese moralische Kraft schöpft der Mann aus dem Beispiel der Offiziere; sie sollte er daher auch im Frieden möglichst lange vor Augen haben.

So spricht die Theorie, die Praxis lautet anders. Jene Hälfte des dritten Jahrganges, die jest nach Entlassung der Königs-Urlauber zurückbleibt, ist, wie die Dinge einmal liegen, der Einwirkung der Vorgeseßten wenig zugänglich. Einige von ihnen sind überhaupt verstockte Naturen, die Mehrzahl

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