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möglich ist, ein kräftiges Gegengewicht und eine dankens werte Ergänzung zu schaffen, ist in der bildenden Kunst der erkältende offizielle Hauch so stark, daß auch die triebkräftigsten Talente bis zur Uniformirung erstarren. Man hat sogar nachgerade in Berlin das Gefühl für die Unwürdigkeit dieser Zustände verloren, ebenso wie man oft genug das künstlerische Urteil eingebüßt hat. Denn sonst hätten viele Dinge nicht passiren können, die zum Unsegen der Berliner Kunstverhältnisse leider doch geschehen sind. Ein näheres Eingehen auf cinzelne Vorfälle wird dies bis zur Evidenz darlegen.

Immer wiederholt sich in Berlin das Schauspiel, daß gerade die eigenartigsten Künstler lange Zeit von ihren Kollegen über die Achsel angesehen werden.

Menzel, heute der berühmteste und angesehenste unter allen berliner Malern, würde aus seinen Erinnerungen manches derartige zu erzählen wissen. Auch er paßte in seiner Jugend nicht in die gerade herrschende akademische Richtung hinein und wurde daher nicht für vollwertig angesehen, wofern man ihn nicht gar bedeutete, daß er von Ziel und Wesen der Kunst keine Ahnung habe. Liebermann geht es heutzutage noch nicht viel anders. Zwar kann man ihn nicht mehr übersehen, da Paris und München seinen Ruhm begründet haben, und man vor Paris und München unheimlichen Respekt besißt. Aber in die Schar der Auserwählten ist er in Berlin mit nichten aufgenommen. Da giebt es doch weit prächtigere Herren, denen das Ordenskreuz auf gesticktem Fracke funkelt, und durch deren huldvollen Gruß sich der kleine Liebermann höchst geschmeichelt fühlen sollte. Aber der kleine Liebermann ist eine eigentümliche zähe Natur. Er hat früher den Spott und die Verachtung, er kann auch jezt den Hochmut und den Dünkel ertragen. Er malt derweile in den Niederlanden oder in seinem berliner Atelier fleißig an seinen Bildern und sorgt dafür, daß er zu seinem ausnehmend reichen können noch etwas hinzulernt.

Von geringerer Widerstandskraft erwies fich Gussow. Er hat, seitdem er berliner Professor wurde, von seiner derben Ursprünglichkeit und kecken| Beobachtungsgabe viel eingebüßt und sich unter der Einwirkung der Akademieverhältnisse und des berliner Geschmacks und Gesellschaftslebens stark verflacht und geglättet. Die Technik ist immer brillanter, die geistige Physiognomie immer lebloser und nichtssagender geworden. Doch hat er wenigstens das eine Gute von früherher behalten, daß er seine Schüler nicht zu Manieristen heranbildet. Er segt keinen Ehrgeiz darin, daß diejenigen, die in seinem Atelier herangebildet sind, genau so malen, wie er selbst. Er verwies sie während seiner Lehrtätigkeit vielmehr immer von neuem auf eindringlichstes Naturstudium und sucht die ihnen eingebornen Gaben herauszuentwickeln. Wo ein jüngerer berliner Maler eine einigermaßen besondere Individualität zeigt, kann man fast mit Sicherheit darauf wetten, daß er aus Guffows Schule hervorgegangen ist. Der akademische Senat aber betrachtete diesen Umstand als einen Mangel in Gussows Lehrbegabung und weigerte sich, einen so wenig korporalmäßig veranlagten Maler in die Zahl seiner Unsterblichen aufzunehmen. Es ist ja auch wirklich zu toll! Warthmüller, Hans Herrmann, Kubierschky, Müller-Breslau, Dammeyer, Klinger, alle haben Gussows Atelier besucht und fein einziger malt wie der andere oder auch blos wie der Meister. Alle haben ihre eignen Wege eingeschlagen und verraten ihre eigenen Kunst

anschauungen. Wie soll man da noch von „Schule“ sprechen? Da fehlt ja jegliche Schablone, da fehlt sozusagen jegliches äußere Knopfabzeichen. Aber man hat ihnen schon zu zeigen gewußt, was man dieserhalb von ihnen hielt, und hat ihnen das Leben in Berlin gründlich sauer gemacht.

Wirklich hat man auch einige weggegrauit, nachdem man sie notgedrungen vorher angestellt hatte. So war z. B. Dammeyer einer der wenigen wirklich tüchtigen Lehrer an der Akademie. Doch vermochte er hier nicht heimisch zu werden. Er fühlte sich beengt in der berliner Luft. So ging er nach München, um sich seine künstlerische Fortentwickelung zu sichern.

Auch Kubierschky vermochte in Berlin nicht auf einen grünen Zweig zu kommen, so sehr auch Kenner ersten Ranges, wie z. B. Ludwig Pietsch, seine ebenso fein empfundenen als gezeichneten Landschaften zu schäßen wußten und der allgemeinen Wertschäßung empfahlen. Er war froh, als sich eine Gelegenheit fand, von Berlin weg und als Lehrer an die Kunstschule nach Leipzig zu kommen. kommen. Dort wurde er von dem münchener Professor Klaus Meyer gleichsam gefunden und nach der Isarstadt hinübergezogen, wo er seitdem solche Erfolge davon gctragen hat, daß sogar die berliner Nationalgalerie jüngst ein Bild von ihm angekauft hat. Und doch malt Kubierschky jezt nicht anders als wie früher auch. Aber der Prophet kam erst zum Ruhm, nachdem er sein Vaterland verlassen hatte.

Sehr bezeichnend ist der Entwicklungsgang von Paul Höcker, einem der allerbegabtesten jüngeren Maler. Er kam als bereits ausgereifter Künstler von München nach Berlin und hoffte auf dem Terrain der deutschen Reichshauptstadt ein rasches Fortkommen zu finden. Statt dessen mußte er die traurige Wahrnehmung machen, daß es im materiellen und ideellen Sinne mit ihm zurückginge. Er fürchtete, in dem berliner Leben mit der Zeit gänzlich zu verflachen, kehrte nach München zurück und arbeitete sich dort binnen kurzem wieder empor.

Eine geradezu genial zu nennende Kraft, wie die des Tier- insbesondere Löwenmalers Richard Friese drohte hier in Berlin völlig brach gelegt zu werden. Seine Bilder hatten Mühe, angenommen zu werden, wurden auf den Ausstellungen schlecht aufgehängt und blieben dem größeren Publikum so gut wie unbekannt. Da wird Friese eines Tages in Paris entdeckt. Er hatte ein Bild „Wüstenräuber“ (ein Löwe und eine Löwin, die eine Karawane beschleichen), ein Werk voll von packendster Wiedergabe wilden animalischen Lebens, in den Salon geschickt und fand dort, zwar schwerlich ihm selbst, um so mehr aber den berliner Kunstlichtern zur Verwunderung, ein ungewöhnlich hohes Lob. Man empfand aufs stärkste die fremde Eigenart und pries die „dramatische Kraft" des Ausdruckes. Der Figaro-Salon brachte das Bild in einer zwei Seiten umfassenden, farbigen Reproduktion. Erst seitdem ließ man sich, wenn auch unter widerstrebendem Zögern, in Berlin herbei, Friese gelten zu lassen. Der tapfere Künstler hat bei uns ausgehalten und ist trop der ungünstigen Verhältnisse in seiner Eigenart ungebrochen geblieben.

Man sieht aus all diesen Beispielen, wie wenig Berlin dazu geeignet ist, sozusagen eine Brutanstalt für junge künstlerische Talente zu werden, wofern sich die Verhältnisse nicht gänzlich ändern. Aber auch dann ist kaum zu erwarten, daß Berlin jemals München den Rang ablaufen, oder gar für Deutschland dasjenige

werden sollte, was Paris seit langem für Frankreich ist. Der eingangs geschilderte genius loci wird dem voraussichtlich auf immer entgegenstehen. Man wird nur die bereits entdeckten und hochgehobenen Künstler hier anerkennen wollen und so bestenfalls eine Art wolorganisirten Alterversorgungsinstituts für bildende Künstler schaffen und das würde sich ja in verschiedene andere neumodische Einrichtungen von spezifisch berlinischem Charakter organisch einfügen. Was aber vor allem kaum je eingeholt werden kann, das ist der Mangel einer innerlich-gefestigten, lokalcharakteristischen Tradition, wie sie insbesondere für München das große Lehrgenie Pilotys geschaffen hat. In der reichen kunstgeschichtlichen Vergangenheit besteht auch das vornehmste Übergewicht, das Paris Berlin gegenüber besißt. Schon im Mittelalter, mit steigender Nachhaltigkeit aber, seitdem die Bourbonenkönige des sechszehnten Jahrhunderts italienische Künstler von dem Range eines Lionardo da Vinci und Benvenuto Cellini an ihren Hof zu ziehen und zu beschäftigen wußten, besaß die Kunst in Paris eine Heimstätte, in der sie sich wol fühlte, und die sie sich immer behaglicher und gedeihlicher einzurichten wußte. Allen Wandlungen der Weltgeschichte wußte diese Kunst mit einem unvergleichlich anschmiegungsfähigen und doch sicheren Geschmacke zu folgen, und selbst auf den Ruinen des Revolutionszeitalters trieb sie noch bunte lockende Blumen. In diesem Jahrhundert hat sie vollends alles in Frankreich so reichlich quellende Künstlerblut in sich hineingesaugt und weit in die verschiedenen, weit verzweigten und zart verästelten Adern verteilt, und immer ist im Herzen selbst ein frischer nachströmender Saft vorhanden geblieben, der das Blut bis in die lezten Fasern des großen Gewebes rot und lebendig erhält. Die jährlich veranstalteten Frühjahrsausstellungen geben daher mehr und mehr ein Bild des gesamten französischen Kunstvermögens und erregen in immer weiteren Kreisen Aufmerksamkeit und Interesse. Stolz durfte Albert Wolff in der Mitte der achtziger Jahre schreiben: Plus nous allons, plus le Salon ne devient pas seulement un événement parisien, mais un grand incident dans la vie française. A aucune époque les peintres et les sculpteurs n'ont occupé au même degré l'opinion et passionné les masses. Wollte etwa Ludwig Pietsch ein Gleiches über Berlin schreiben, er würde sich um alles Ansehen bringen und sich vor der ganzen Welt lächerlich machen. Die berliner Jahresausstellungen sind kaum ein Ereignis im berliner Leben, geschweige denn in dem des übrigen Deutschlands,

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Sodoms Ende.

Drama in fünf Akten

von

Hermann Sudermann.

(Schluß.) Fünfter Akt.

Bweite Scene.

Kitty. Willy. Dann Kramer. Willy (stürzt mit entstellten Zügen, das Antlig entsegt Da hinein Da zurückgewant, zur Tür herein, winkend). Nicht hier! hinein! Nicht hier! (Schließt die Tür und flieht rückwärts quer über die ganze Scene bis zum Kamin. Dort bleibt er, das Gesicht verbergend, stehen, wie wenn er Schuß suchte. Man hört hinter der Scene dumpfe Stimmen und polternde Schritte, die in das Schlafzimmer kommen. Die Stimmen tönen eine kleine Weile aus der Mitte her, von dort, wo das Bett steht dann werden sie schwächer, die Schritte entfernen sich wieder.) Kitty (mit gefalteten Händen hervorstürzend). Willy was (da er nicht antwortet, wankt sie verängstigt

was

dem Vorhange zu).

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Kramer. Von der Wache werden sie wohl einen mitbringen. Is ja zu spät. (Sinkt vorne auf die Chaise

longue.)

Willy (sich zusammenraffend). Kitty!

Kitty. Was, Willy?

Willy. Bei mir zu Hause sigt meine Mutter in Ängsten um das Kind. Willst du's unternehmen, jezt mitten in der Nacht hinzufahren, damit sie Gewißheit kriegt?

So bleibt uns also zu hoffen, daß wenigstens die bevorstehende internationale Ausstellung endlich einmal ein wahres und echtes Kunstereignis werden möge, und sei es auch ein solches von negativem Ergebnis, wenigstens was Berlin angeht. Es wird schon viel erreicht sein, wenn man die ganze Größe des Abstandes, die Berlin von anderen europäischen Kunststädten trennt, deutlich ermißt und dementsprechend ernsthaft bedenkt. Ein reichliches Material zur Beurteilung wird uns ja allem Anscheine nach geboten werden. Wir dürfen auf nicht weniger als auf ein Gesamtbild der allgemeinen Kunstentwicklung des lezten Jahrzehnts hoffen. treibenden Kräfte, die in der deutschen wie auswärtigen Kunst vorhanden sind, die Ziele, denen man mit einem seltenen Aufgebot von Fleiß, Energie, Talent und Kühnheit zuzustreben wagt, werden sich dann weiteren Kreisen | einander abzumachen haben

Die

Kitty. Ja, Willy.

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Kitty (voll schrecklicher Ahnung).

Willy! (Ihn an

starrend, ab.)

Wilh.

Willy. Da

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Dritte Scene.

Kramer (in Brüten versunken).

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δα

(Vor dem Vorhang

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ja

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Dierte Scene.

Willy (allein).

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Willy (allein, erhebt sich mühsam auf die Knie, mit der Rechten ins Leere zeigend). Das ist ein brennender Wald Ah, Unsinn! hä . . . ich bin ja ganz uah! (Fährt aufzuckend mit der Hand nach dem Herzen.) Aha! das ist also das Ende! Ist denn keiner...? Ja, ja, im Leben hatt' ich zu viel Liebe um mich, drum sterb' da geht meine lezte Hoff ich auch mutterseelenallein! — — Wenn ich nur nicht so viel so! Was jezt? zu malen hätte! Ich muß gleich malen -! (erhebt sich mühsam und sieht im Umwenden die Leiche, mit seligem Lächeln). Ach, wie ist das Kind schön! Wie sie so liegt und schläft! Den Winkel, den das Ärmchen mit dem Busen macht! Das muß ich gleich — gleich rasch so! (Wankt zur Staffelei und ergreift mit zitternder Hand den Kohleftift, während er von Zeit zu Zeit das Taschentuch vor den Mund preßt.) so die Linie da ah! das heißt zart! (in auf. steigender Angst). Nicht doch! Nicht sterben! will arbeit will arbeiten! Ich (Er sinkt nach hinten über, die Staffelei, an die er sich geklammert hat, mit sich reißend.

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niedersinkend und dessen Falten vor sein Gesicht pressend.) Klärchen,
erbarme dich! Ich war ein Schurke
Aber ich wußte nicht, was ich tat! . . . Ich meinte,
du nähmest es ebenso leicht wie ich! Ich hatt' ja keine
Ahnung mehr, wie's in so einem zuckenden Herzen aus-
sieht . . . Klärchen, ich will dein Mörder nicht sein.
Kramer (wie zu einent Irren). Du - Willy.
Willy (aufspringend). Da bist du, Mensch! Du
hast viel für mich getan! Du hast für mich gearbeitet
Tag und Nacht Du bist 'rumgegangen in der Stadt
und hast Geld für mich geborgt Du hast für mich
gehungert und gefroren Du hast dein Leben ver-
pfuscht um meinetwillen - nun tu mir noch einen einzigen
Gefallen und schlag mich tot!

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Willy (ist, mit der Hand nach dem Munde fahrend, auf die Kante eines Seffels gesunken und fällt, da er sich dort nicht zu halten vermag, vorn über mit dem Gesicht auf den Boden). Kramer (den Daliegenden anstarrend). Blut! Blut! Ich hab' doch nicht geschlagen Ich hab' doch erst schlagen wollen Willy, nein ich will auch kein Mörder sein! Willy, wach' doch auf! Willy, bitte, mein lieber Junge - Sieh mal, wenn du auch stirbst, hat ja das übrige gar keinen Sinn . . . Mein Gott wo nur der Arzt bleibt? Wenn der Arzt

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Nicht nur zum Mitvorstellen und zum Mitdenken, sondern ganz besonders zum Mitfühlen zu zwingen das ist die große Kunst des Dichters. Wie bringt uns der Dichter dahin, daß wir mitfühlen müssen?

Und das seht wieder die Frage voraus: wie gelingt es dem Dichter, einem einzelnen Lebewesen, alle Ge= fühle aller Lebewesen mitzufühlen und sie lebendig werden zu lassen?

In diesen beiden Fragen sind die vornehmsten Punkte einer Psychologie der Dichtkunst enthalten.

Wir haben gehört, daß die Vorstellungen, welche der Dichter in uns erzeugt, lebhaft, mannigfaltig und in reicher Fülle zusammengedrängt sind. Das würde zwar eine höhere Aktivität unserer Seele und damit eine gesteigerte Disposition zu Gefühlen erklären, mehr kaum. ohne Zweifel bewegt uns der Schauspieler nur deshalb

*) Vgl. das „Magazin" Nr. 51 des vorigen Jahrgangs und Nr. 4 dieses Jahrgangs.

wie

viel leichter als der gelesene Dichter zum Weinen oder Coriolan-Desdemona-Falstaff, ist ein Lügengeist, vor Lachen, weil die Kunst des Darstellers die Lebhaftigkeit dem Beelzebub, Amaimon und Mephistopheles der unmittelbaren Anschauung für sich hat. Aber diese dumme Jungen beschämt auf dem Finger saugen müssen. dynamische Steigerung unseres Innenlebens erklärt, wie Der Grundirrtum jener Leute besteht darin, daß sie vergesagt, nicht genug. Der Dichter muß seine Vorstellungen geffen, wieviel eher und wieviel mehr wir Menschen im eigentlichsten Sinne zu unseren eigenen machen. Das sind als Individuen. Unser eigentlich individuelles geschieht so. Wir bemerken früher oder später bei der Teil, d. h. das, was uns wirklich zu einem einzigen Lektüre eines wahren Dichters, daß seine Personen und Wesen macht, steht zu unserm Allgemein-Menschlichen in deren Handlungen seelisch gewachsen sind, d. h., daß einem noch viel kleineren Verhältnis als die Unebenihre Entwickelung sich sicher in den Bahnen der physischen heiten der Erdoberfläche zur Gesamtgröße des Planeten. Kausalität bewegt. Unmerklich wird dadurch unser Vor- In jedem normalen Menschen, mag er eine noch so stellungsablauf auf das Geleise der Kausalität gelenkt stark ausgeprägte Individualität zeigen, sind neben und in Gang gebracht; waren vordem unsere Vor- seinem vollentwickelten Seelenmaterial ungezählte psychische stellungen nur Spiegelung, die wir aus einer gewissen Momente vorgebildet, die nie oder nur sehr teilweise Gefälligkeit dem Dichter in unsere Seele zu werfen ge= zur Entwickelung gelangen, und die besondere Anlage statteten, so ist das, was sich jezt in uns bewegt, des Dichters erblicke ich gerade darin, daß bei ihm diese eigenstes Leben; wir würden diese Vorstellungen in Momente besonders zahlreich und gleichmäßig auftreten, kausaler Verkettung weiterspinnen, wenn wir auch das daß er ein menschlicher Mikrokosmos, ein Vollmensch, Buch aus der Hand gelegt hatten. Jezt tun wir dem ein Tausendseelenmensch ist. Jeder Mensch weiß, daß Dichter keinen Gefallen mehr, sondern wir wirken in seiner Seele ungleich mehr sich regt als jemals offen weiter, weil wir müssen". Wir haben jezt jenes Stadium zu Tage tritt, daß die Gedanken in unbegrenzter Zahl der eigenen Produktivität erreicht, die bekanntlich jeder und unbeschränkter Freiheit, um mit Luther zu reden, Dichter bei jedem Leser vorausseßen muß, wenn ein wie Vögel über sein Haupt fliegen", wenn er sie auch harmonisches Zusammenklingen der Seelen zu stande nicht in seinem Haar nisten läßt". Ich hoffe zuversichttommen soll. Der Autor hat unser Vertrauen ge- lich, daß ich meinem Renommee nicht schaden werde, wonnen, und seine weiteren Vorstellungen sind fast ebenso wenn ich gestehe, daß ich in meinem Innern schon bei sehr unsere eigenen wie die seinigen; ja, in der Lyrik geringer Aufmerksamkeit Keime zum Fleiß und zur Faulhaben wir oft größeren Anteil am Vorstellungsablauf heit, zur Verständigkeit und zur Narrheit, zur Schwärmerei als der Dichter, dem hier in erster Linie eine erweckende und zur Nüchternheit, zur ausgelassenen Lustigkeit und und andeutende Tätigkeit zufällt. Sobald wir aber zur Melancholie, zum Mitgefühl und zur Härte, zur in unseren Vorstellungen selbst leben, sobald haben Grausamkeit und zur Milde, zur Genußsucht und zur wir jene Höhe des Interesses erreicht, auf der sich mit Weltflucht, zum Leichtsinn und zur Pedanterie, zu Vorstellungen unwiderstehlich, nach allen physischen Ge- Tugenden und Verbrechen und hundert anderen Dingen sezen, Gefühle verbinden müssen. Können wir doch im bemerke, und ich hoffe ebenso zuversichtlich, keine zarten wirklichen Leben keine Vorstellung, wofern sie auch nur Gefühle zu verlegen, wenn ich mir in ähnlicher Zuleise Berührung mit unserm Gefühlsleben hat, ohne sammenseßung jeden Menschen vorstelle, der mit einer ein begleitendes Gefühl vorstellen, warum sollten wir es vollständigen Aussteuer den Mutterschoß verlassen hat. dem Dichter gegenüber tun, der unser eigenes, persön- Nach meiner Meinung besteht denn auch Menschenliches Leben in Betrieb gesezt hat? Was in solchen kenntnis zu neun Zehnteilen aus Selbsterkenntnis, und Augenblicken sich in unserm Innern bewegt, ist ebenso in dem Distichon gut eigenes Seelenleben, wie es eigenes Seelenleben bekundet, wenn ich ein blühendes Kind auf dem Schoße, mir dasselbe krank, schwer leidend oder tot vorstelle und plöglich mein Auge sich feuchten fühle.

Ich habe absichtlich gesagt „ein Kind“, nicht „mein Kind", um von vornherein die irrige Meinung abzu lenken, daß der Dichter uns zur Höhe jener Erregung nur dann emporheben könne, wenn seine Darstellung mit unseren eigensten Interessen parallelisire. Daß wir Daß wir Menschen die edle Fähigkeit des Mitgefühls besigen, giebt jeder Vernünftige zu; selbst der Pessimist, inkonsequent wie er ist, muß es einräumen. Seltsamer Weise spricht man uns aber erstaunlich oft die Fähigkeit ab, mit anderen Menschen zu denken und vorzustellen. Und | doch ist diese Fähigkeit die Vorausseßung für jene. Von zahllosen Laien in erster Linie, dann aber auch von Dichtern, die sich über sich selbst nicht klar geworden sind, kann man es hören, so oft man will, daß der Dichter nur darstellen könne, was er selbst erlebt habe". Natürlich hat diese Behauptung für den objektiven Epiker und Dramatiker wenig Schmeichelhaftes. Er, der Schwächliche, Schurken, Narren und Wahn= sinnige darstellt, ist entweder alles dies selbst oder ein in der Wolle gefärbter Lügner, und Shakespeare, der objektivste Dramatiker aller Zeiten, der Hamlet

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,,Willst du dich selber erkennen, so sieh, wie die andern
es treiben:

Willst du die andern verstehn, blick in dein eigenes
Herz."

geb' ich dem Pentameter weitaus den Vorzug,
ohne den Hexameter zu bestreiten. Der Abschluß
unserer Beobachtungen an fremden Menschen besteht
doch immer darin, daß wir dem in der Außen-
welt Wahrgenommenen nach bestem Wissen oder Nicht-
wissen eine eigene Seelenerfahrung zu Grunde legen.
Deshalb empfängt auch der objektive Dichter viel mehr
aus seinem Innern als von außen her; ja man darf
sagen, daß der objektivste Dichter zugleich der innerlichste
ist. Unzweifelhaft hat Schiller einen Franz Moor in
sich beherbergt. Seine dichterische Aufgabe bestand
darin, die Kanaille sich auswachsen zu lassen. Und
unsere, der Leser Aufgabe, wenn wir diese Schöpfung
würdigen wollen, besteht ebenfalls darin, den Franz in
uns zu Worte zu kommen und monologisiren zu lassen.
Daß der Dichter seine psychischen Keime auch zu miß-
gestalteten Organismen heranpflegen kann, versteht sich
von selbst, ändert aber nichts an der Tatsache, daß er
nur aus seinem Busen eine Welt lebendiger Gestalten
heraufbeschwören kann. Wenn wir nötig haben, gegen
die Behauptung, der Dichter könne nur Selbsterlebtes

darstellen, noch ein Beweismoment ins Feld zu führen, so möge dazu das Wort eines Dichters dienen. ,,Mir gingen" sagt dieser Dichter, „erst spät die Augen auf, daß Dichten im wesentlichen Sehen ist, aber so sehen, daß der Empfangende das Gesehene genau so wieder sieht, wie es der Dichter sah. Doch so wird nur Erlebtes gesehen und empfangen. Und dieses Erlebte ist eben das Geheimnis an der Dichtung der neueren Zeit. Alles, was ich in den lezten zehn Jahren gedichtet, das habe ich" jegt merke man doppelt auf! geistig durchlebt". Es kann kein gravirenderes Zeugnis für unsere Ausführungen geben, als diese Außerung, in der sich das stark betonte Erlebte" plöglich, vor der logischen Konsequenz erschreckend, zum „geistig Durchlebten ausdehnt. Und wer ist dieser Bekenner? Kein anderer als der scharfe Beobachter und unerbittliche Realist Henrik Ibsen.

Der Phonograph ist eine höchst ingeniöse und lehrreiche Erfindung. Eine Sprechmaschine! Wer hätte das für möglich gehalten? Aber die Membrane des Phono graphen erzittert nur dann in natürlichen Schwingungen und läßt nur dann menschliche Laute ertönen, wenn ein Mensch hineingesprochen und durch den an der Membrane befestigten Stift auf der Stanniolwalze die entsprechenden Eindrücke erzeugt hat. Bis heute wenigstens kann man diese Eindrücke nicht künstlich hervorbringen. Soll unsere Seele dasjenige in natürlichen Vorstellungen und Ge- | fühlen zurückkönen, was der Dichter in sie hineinspricht, | so muß sein Stift die natürlichen Schwingungen einer menschlichen Seele in uns abzeichnen. Die Seele des Menschen ist die Seele der Poesie. Darum ist unter den Dichtern derjenige der größte und der wahrste, der der Seelenkundigste ist. Daraufhin sollten Kritiker mit be= ständigem Blick auf das Ganze die Werke eines Dichters prüfen. Das ist freilich verantwortungsreicher und mühseliger, als mit wahr" und unwahr" aufs Geratewol um sich zu werfen und dabei auf die dummdreiste Autonomie eines vagabundirenden „persönlichen Geschmacks" zu pochen.

Vasile Alecsandri.

Ein Gedenkblatt.

Bon

Karl Schrattenthal.

Mit den großen Männern kleiner Völker hat es seine eigene Bewantnis. Häufig genug im eigenen Lande über die Maßen erhöht, kennt man sie in den gebildeten Kreisen großer Nationen oft kaum dem Namen nach, und dieses Mißverhältnis zwischen der durch verzeihliche chauvinistische Anwandlungen aufgepäppelten Größe oder Berühmtheit und der Nichtbeachtung von außen her trägt mit bei zu dem immer mehr und mehr um sich greifenden Völkerhader. Es läßt sich aber auch an der Tatsache nichts ändern, daß wirklich bedeutende Männer kleiner Völker bei den großen Nationen nicht den verdienten Anklang finden, weil es manchmal kaum mög= lich ist, sich einen Einblick in engere nationale Verhältnisse zu verschaffen, denn die Politik steht im Vordergrunde, und auf dem Wege durch zahllose Zeitungen mag wohl ein obskurer Minister eines kleinen Staates eher zur Anerkennung gelangen als ein Mann, der sich auf dem

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Gebiete der Kunst oder des Wissens hervorgetan und seinem Volke bleibendes geschaffen.

Am 4. September des Jahres ist Vasile Alecsandri, ein solch' großer Mann eines kleines Volkes, gestorben, groß als Mensch und Dichter. Er kann sich nicht mit Goethe, Byron, Shakespeare oder Victor Hugo messen

und doch hat er für sein Volk so viel getan, wie jeder dieser Geistesheroen für das seine. Die Rumänen stehen trauernd an seinem Grabe, mit ihm ist eine starke Säule des Volkstums und der nationalen Entwickelung gesunken.

Seine Bedeutung fußt fürs erste darin, daß er auf allen Gebieten dichterischer Tätigkeit immer echt volkstümlich blieb, fürs zweite darin, daß er zur Entwickelung der Dichtung seiner Heimat seine besten Kräfte einseßte und die Wege anbahnte, auf welcher andere zu wandeln bestimmt sind. Er war nicht nur der tüchtige Sänger, sondern auch der Bahnbrecher, der Pionier, der stets für das edle Ziel tätig war, sein Volk auf dem Pfade der Bildung und Gesittung zu leiten.

Als Sprosse einer hervorragenden moldauischen Adelsfamilie 1821 auf dem Landgute Mircesti geboren, ging er, wie viele seiner Stammesgenossen nach Paris und trat dann als Dichter in die Öffentlichkeit. Wenn auch in seinen Lehr- und Wanderjahren (vierziger Jahre) Dichter wie Muresianu und Bolintineanu schon anerkennenswerte Leistungen aufweisen, die selbst im Auslande nicht unbeachtet blieben, so gelangte doch er zur größten Popularität. Seine Brüder in Apoll wurzelten zu sehr in antiken oder modernen Vorbildern, er aber schöpfte am Born des Volkslebens und dies gewann ihm bald die Herzen seiner Landsleute. Der Dichter, der im innigsten Kontakte steht mit allen Regungen der Volksseele, läßt auch immer in der rechten Stunde sein. Wort erschallen. So war es bei Alecsandri. Da gab es denn oft genug poetische „Schlager", die seine Popu= larität und Berühmtheit nährten und befestigten. Als 1849 auch Rumänien von der allgemeinen politischen Bewegung mit fortgerissen wurde, kam er aus der Fremde nach Hause und ließ seine Ode „Das Erwachen Rumä= niens" erscheinen. Als dann später die Vereinigung der Fürstentümer Moldau und Walachei erfolgte, erscholl im ganzen Lande sein Lied: „Hei, se damu mana cu mana" (Komm, gehn wir Hand in Hand). Und endlich 1878, zur Zeit des russisch-türkischen Krieges, ertönte sein Lied, Penes Curcanal" (Die Trappenfeder), das die Taten der Dorobanzen feiert, die ihre Kopfbedeckung mit einer Trappenfeder schmücken.

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In außerrumänischen Kreisen wurde Alecsandris Name besonders ehrenvoll genannt, als er bei dem Kongresse in Montpellier (1878) mit seinem Hymnus „Cantecul gintei latine" die Völker des lateinischen Stammes verherrlichte. Die leßte Strophe desselben, durch eine geistreiche Pointe wirksam, lautet in meiner bescheidenen Überseßung wie folgt:

Am Tage des göttlichen Gerichts
Wird Gott der Allmächtige fragen:
,,Lateinische Race, was hast du getan,
In deinen Erdentagen?"

Es wird ihm dann aus ihrem Mund
Die stolze Antwort werden:

„Ich hab in den Augen der staunenden Welt
Dich, Herr, vertreten auf Erden."

Hätte Alecsandri nur die früher erwähnten Lieder geschrieben, sein Name würde schon deshalb in Rumänien

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