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Absichtlich vermied ich es, auf die Einzelheiten seiner Dichtungen einzugehen. Das wird meine Aufgabe in einer späteren Arbeit sein. Ich wollte nicht kritisiren, sondern ich wollte nur versuchen, das Wesen dieses unseres größten und liebenswürdigsten zeitgenössischen deutschen Dichters darzustellen, ein Versuch, den ich auch in den nachfolgenden Strophen, welche hier reproduzirt seien, gemacht habe:

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jenigen Schriftsteller, die es immer im Munde führen, die es als ihre Devise, ihren Schlachtruf in die Welt hinausposaunen, gerade diese Herren haben ihm am meisten geschadet. Wenn das, talität und dazu eine pöbelhafte Sprache, wenn das Realismus sein was ihre Bücher bieten, also ein Gebräu von Verrücktheit und Brufoll, wer wollte dann mit diesem noch etwas zu tun haben! Da fann mans dem Publikum gar nicht verübeln, daß es sich widerwillig davon abwendet und sich fest an seine Modegößen klammert, mögen diese nun in klassischem, ägyptischem oder altdeutschem Kostüme erscheinen, mögen sie geistreiche Fabulisten sein oder in blauen Strümpfen gehen. All diese Idealisten" beiderlei Geschlecht aber können sich dazu ins Fäustchen lachen.

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man doch nur genauer zu: all der historische Stoff, den Meyer behandelt, ist ja durchtränkt von modernem Leben. Ist nicht in der Versuchung des Pescara" das Schicksal Kaiser Friedrichs genial geschaut, jenes heldenhaften Mannes, welcher, ein zweiter Pescara, die Schlange, Ehrgeiz, besiegte, gravitätisch die Spangen seines Purpurs mit eigenen Händen löste, um friedlich auszuruhen als ein müder Schuitter auf den Garben seines Lebens. Pulsirt nicht in allen Gestalten Meyers das frische, warme Leben der Gegenwart, diskret gedämpft durch den Schleier der Geschichte? Ja, diese Meyersche Diskretion! Ein Künstler von genialer Beobachtungsgabe, von_bei- Zwischen diesen zwei Extremen schwankt die deutsche nahe unheimlicher Menschenkenntnis, verschmäht er es Litteratur hin und her. Die besseren Autoren halten so ziemdoch, auf dem Jahrmarkt des modernen Lebens als lich die Mitte ein, neigen aber doch mehr oder minder auf die Käufer oder Verkäufer zu erscheinen. Er erscheint auf.idealistische" Seite hin. Es giebt aber einen Schriftsteller, dem Markt, aber nur als Beschauer. Er betrachtet es der von der formlosen, brutalen Verworrenheit des Naturaals schamlos, die Gegenwart in der Weise der Naturalisten haften unwahrheit der Sensations- und Familienromantik, und lismus ebensoweit entfernt ist, wie von der schablonenzu entkleiden; er kennt sie o nur zu gut! und doch ein Realist ist, echt und durchaus. Es ist Gustav bietet sie aus Wolwollen und künstlerischer Diskretion Schwarzkopf. Er ist der Realist par excellence. Niemand nicht in ihrer abschreckenden Nacktheit, sondern im bringt den Realismus so klar zum Ausdruck, niemand führt | historischen Kostüm. In diesem Sinne find alle seine ihn so folgerichtig durch. Niemals nimmt er den Zufall zu Dichtungen tiefsinnige Symbole. Hilfe, diesen gefälligen Entoutcas, ohne den sich nur die wenigsten Schriftsteller auf ihre litterarischen Exkursionen wagen; niemals gerät er in den Schmuß des Naturalismus“. Er erflügelt seine Stoffe nicht, er erhißt seine Phantasie nicht, um dem Publikum nur ja etwas „Spannendes", „Packendes“ zu bieten; sondern er sieht sich die Wirklichkeit genau an und was sie ihm bietet, aber auch nur das, nimmt er. Er erfindet eben nicht, sondern er findet, und was er gefunden, stellt er in dessen ganzer, oft erschreckender Nüchternheit dar. Da liegt denn der Vorwurf nahe, der von sogenannten Idealisten so gerne erhoben wird, daß nämlich der Schriftsteller nicht die Aufgabe habe, die Wirklichkeit abzuschreiben, sondern ein farbiges, poetisch verklärtes Bild von ihr zu geben. Nun: Schwarzkopfs Arbeiten sind freilich durchaus nicht poetisch verflärt, aber sie sind auch nicht dunkle, leblose Photographieen der Wirklichkeit, wenn sie auch photographisch genaue Naturtreue haben; im klaren, scharfen Lichte feines durchdringenden Verstandes werden die Stoffe so deutlich, ja durchsichtig, daß man bis in ihre verborgensten Fältchen hineinsieht und Allerlei wahrnimmt, was einem im Leben, wo man sie sonst trifft, ganz verborgen bleibt; er wendet sie nach allen Seiten und immer ergeben sich neue, interessante Ansichten. Und diese ganz außergewöhnliche Lebenswahrheit erreicht Schwarzkopf, ohne je in die schreibselige Umständlichkeit zu fallen, die, von Walter Scott ausgehend, durch Zola in Mode gebracht, sich in seitenlangen, langweiligen Beschreibungen unwichtiger Dinge und Aeußerlichkeiten ergeht, und in der manche Schriftsteller ihren Realismus zu betätigen glauben. Schwarzkopf vermeidet jede blos schmückende Zutat, die die scharfen Umrisse seiner Stoffe verwischen könnte. Sein Stil ist dementsprechend nüchtern und klar; doch so knapp seine Ausdrucksweise auch ist, es finden sich in seinen Büchern nicht selten ganz ungebührlich langatmige und dadurch schwerfällige Säße vor: Daran dürfte - es scheint widersinnig vielleicht gerade diese Knappheit Schuld tragen und wol auch die Fülle der Beobachtungen, die sein Scharfblick an einem Begriffe macht und, um ihn anschaulicher zu machen, als Merkmale anführt; er nimmt sich nämlich nicht die Mühe und Zeit, denselben selbständige Säße zu widmen, sondern reiht sie in Appositionen und Relativfäßen nacheinander an den Begriff, auf den sie sich beziehen, wodurch das Sabgefüge unschön anschwillt. Dieser rein stilistische Fehler ist übrigens so ziemlich der einzige an Schwarzkopf.

An Conrad Ferdinand Meyer.

Vom Kilchberg_blickst du heiter ins Gefilde
Es blaut der See; fern starrt der Alpen Kranz.
Humor und Stolz, viel Macht, gepaart mit Milde
Auf deiner Seele ruht der Heimat Glanz!

Der Glanz der Seen, der Berge stolze Stille
Besänftgend und erschütternd wirkt dein Lied,
Weil deiner Anmut ein gewaltger Wille
Die starken Grenzen wahrer Schönheit zicht.

Wol mag die Zeit dir ewgen Lorbeer_winden,
Gar feltne Blumen birgt dein voller Kranz;
Denn meisterlich verstehst du zu verbinden
Mit deutscher Liefe welsche Eleganz.

Ein moderner Juvenal.
Bon

Cheodor von Sośnośky,*)
Kremsmünster (Ober-Oesterreich).

Nicht oft dürfte ein Begriff so mißverstanden, ein Wort so mißbraucht worden sein, wie der Begriff, das Wort „Realismus“. Es spielt in der Litteratur der Gegenwart eine große Rolle, es ist deren Schlagwort. Es muß sich die verschiedensten Auffassungen gefallen lassen, wird hin- und her gezerrt und gerät schließlich in Mißkredit. Und gerade die

*) An dem Tage, da unsere Leser die gegenwärtige Nummer des Magazins erhalten, wird im Berliner Lessing-Theater" das erste dramatische Werk Schwarzkopfs „Eine Geldheirat" auf geführt, das er gemeinsam mit Karlweiß verfaßt. Wir sprechen die Hoffnung aus, daß der Dramatiker gleich erfolgreich sein möge wie der Novellist und Essayist. Die Red.

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Seine Arbeiten sind keineswegs das, was man gewöhnlich unter Roman und Novelle versteht; er nennt sie auch nicht so. Die Bezeichnung „Roman" paßt für ein realistisches Buch überhaupt gar nicht, ja genau genommen, ist ein realistischer Roman" geradezu ein Unding, denn Realismus und Romantik sind heterogene Begriffe. Wenn man heutzutage jedes umfangreichere Prosawert ohne weiters Roman nennt, so handelt man eben im Banne des Trägheitsgesetzes und ist nur durch die Tradition einigermaßen dazu berechtigt.

Schwarzkopfs scharf ausgeprägte Individualität hat sich schon in seinem ersten Buch „Die Bilanz der Ehe" gezeigt,

das er als novellistische Studien bezeichnet. Man war an= genehm überrascht, es da mit einem Schriftsteller zu tun zu haben, der einmal auf einen anderem Wege wandelt, als auf der ausgetretenen Heerstraße der Schablone, ohne dabei auf die frummen Frrwege zu geraten, die so viele Schriftsteller aus Originalitätssucht einschlagen. Die Bilanz der Ehe" ist eine Sammlung von Beispielen, an denen gezeigt wird, daß die modernen Eheverhältnisse recht im Argen Itegen; denn das Fazit, das er aus dieser Bilanz zieht, ergiebt blos „Passiva“ und Dubiosa", wie er die zwei getrennt erschienenen Bände dieses Werkes nennt, von denen jener sechs, dieser sieben Studien enthält. Die Aktiva" ist Schwarzkopf schuldig geblieben; sie find für ihn Passiva und werden es wol bleiben, er wird diese Schuld kaum je abzahlen, denn er betrachtet die glücklichen Ehen gewiß nur als Ausnahmen; und leider hat er nicht Unrecht! Die Lektüre dieses Buches ist keineswegs erquicklich;. denn die starre hoffnungslose Nüchternheit, die daraus spricht, läßt eben weil sie so lebenswahr ist, einen bitteren Nach geschmack zurück, der die Freude über den hohen geistigen Wert des Gebotenen paralysirt.

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In den Satiren, die Schwarzkopf unter dem treffenden Titel Durch scharfe Gläser" als zweites Buch herausgegeben, hat er der Herbheit der Stoffe dadurch zu begegnen gewußt, daß er diese reichlich mit dem erfrischenden Salze seines Wizes gewürzt hat. In der Tat: es sind scharfe, sehr scharfe Gläser, durch die er Welt und Menschen ansieht. Sein Blick dringt in die geheimsten Falten der menschlichen Seele und treibt den lichtscheuen Dämon, der sich da verkriegt, unbarmherzig hervor, um ihn in seiner ganzen kläglichen Nacktheit an den Pranger zu stellen. Und er findet ihn immer, wenn derselbe auch noch jo proteusartig seine Gestalt verändert, ja selbst dann, wenn er sich hinter Masken verbirgt, die seinem Wesen gerade ent gegengesezt sind, wenn er als Mitleid oder Woltätigkeit auf tritt. Dieser Dämon ist der Egoismus, bei dem sich troß seines wechselnden Aussehens doch immer zwei Hauptformen unterscheiden lassen: Eigennut und Eitelkeit; jener vertritt seine ernste, diese seine lächerliche Seite. Und mit dieser beschäftigt sich Schwarzkopf in der Mehrzahl seiner Satiren. Die Satire Ein Rezept" hat er seiner Flugschrift Der Roman, bei dem man sich langweilt" entnommen, ebenso wie „Nach der Schablone", der gleichnamigen Broschüre, die ebenfalls dem Cyklus Gegen den Strom" angehört. In beiden zieht er mit dem ganzen gewaltigen Rüstzeuge seines scharfen Blickes, seines vernichtenden Spottes gegen die Schäden der Litteratur zu Felde, dort gegen die seichte Modebelletristik, hier gegen das moderne Theaterwesen oder vielmehr Unwesen. Beide Satiren geben Erzählern und Kritikern viel zu denken; möchten sie doch auch beherzigt werden!

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Das erste und bisher einzige Buch, in dem Schwarzkopf nur ein Thema behandelt und länger fortspinnt, heißt Lebensfünstler". Er bezeichnet es als Eittenbild, wie es Daudet mit mehreren seiner Bücher getan. Doch nicht blos in dieser Aeußerlichkeit erinnert es an jenen, sondern auch in seinem In halte und zwar an L'Immortel". Von einer Nachahmung fann indes nicht die Rede sein, schon darum nicht, weil Schwarzkopfs Buch vor dem anderen erschienen ist.

Beide Bücher sind so durchaus gegen alles Hergebrachte, daß jeder, der in ihnen das zu finden erwartet hat, was erzählende Bücher sonst zu bieten pflegen, also: Spannung, Effekte, rührende oder pikante Liebesszenen, arg enttäuscht worden sein dürfte; denn sie enthalten sehr wenig, fast nichts von alldem. Ja das Buch Daudets wird den meisten jener Leser, die mit den pariser Verhältnissen nicht vertraut sind, geradezu langweilig sein. In beiden Büchern wird das moderne Strebertum geschildert, doch tritt es bei Daudet gegen die Satire zurück, die gegen die Académie française gerichtet ist. Daudet hat das Strebertum erst in seinem Drama „La lutte pour la vie" zum eigentlichen Leitmotiv gemacht und zum Repräsentanten dafür Paul Astier aus seinem „L'Immortel" herübergenommen, den Typus des strugglor for life" oder was dasselbe sagen will: eines Lebenskünstlers". Schwarzkopf hingegen hat in seinem Buche blos das Strebertum dargestellt und zwar lebenswahr und erschöpfend. Der ungleiche Erfolg dieser zwei Werke hat seine Ursache vor allem in der Verschiedenheit der litterarischen Verhältnisse in Frankreich einerseits, in Desterreich und Deutschland andererseite: dort bringt das

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Publikum den litterarischen Vorgängen reges, wenn auch gewiß oft erheucheltes, Interesse entgegen; hier steht es ihnen stumpf und gleichgiltig gegenüber. Darum ist Daudet berühmt und Schwarzkopf nicht, wiewol er es zu sein vollauf verdient. Darum ist L'Immortel" auch hier sicher bekannter als Schwarzkopfs Buch.

Jenes hat übrigens nicht blos darum schon in der kürzesten Zeit eine so große Anzahl von Auflagen erlebt, weil sein Ver= fasser berühmt ist, sondern weil es eine Einrichtung, eine Körperschaft verspottet, die in Paris eine große Rolle spielt.

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Schwarzkopfs geistige Individualität hat mit der Daudets überhaupt große Aehnlichkeit. So ist seine Bilanz der Ehe“ ein würdiges Seitenstück zu deffen ,,Femmes d'artistes". Toch jehlt seinen Büchern der zarte, poetische Duft, der über manchen Arbeiten Daudets liegt und sie verschönt, ohne ihrem Realismus Abbruch zu tun. Auch den liebenswürdigen Humor des französischen Meisters besißt er nicht, wenn es ihm auch, wie einige seiner Satiren beweisen, an Humor keineswegs ganz mangelt. Er ist für einen Humoristen viel zu scharf und herb; der Humor entspricht eben dem Gemüte, der Sarkasmus aber, das eigentliche Element der Satire, dem Verstande. Und Verstand, ganz ungewöhnlicher Verstand, ist das Hauptmerkmal aller Arbeiten Schwarzkopfs; er wäre für ein paar Dußend deutscher Belletristen mehr als ausreichend, und seine durchdringende Schärfe hat in der deutschen Litteratur kaum ihresgleichen.

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In seinem jüngsten Buche Moderne Typen" betätigt sie sich wieder aufs glänzendste. Es enthält 21 Studien, die als novellistisch" bezeichnet werden. Sie sind es insofern, als die Personen bestimmte Namen haben wie in Novellen, aber die eigentlichen Merkmale dieser Art der Erzählungs-Litteratur fehlen fast ganz, also: das ungewöhnliche Ereignis, die fortlaufende und meist zu einer Heirat führende Handlung, die Spannung, die obligate Katastrophe und die sonstigen belletristischen Ingredienzen. Der Titel dieses Buches hätte nicht besser gewählt werden können; es sind durchaus moderne Gedanken, Empfindungen und Bestrebungen, die der Verfasser hier durch seine Personen zum Ausdrucke bringt, es sind moderne Typen und nicht die Stereotypen der Schablonenlitteratur. Die Menschenkenntnis, die der Verfasser dabei offenbart, ist geradezu großartig, ja für den, der seine übrigen Werke nicht kennt, muß sie geradezu verblüffend wirken. Cine solche Kenntnis der menschlichen Seele hat nicht blos die schärfste Beobachtung anderer, nicht blos findige Kombination und Logik voraus, sondern eine noch viel seltenere Eigenschaft: peinliche, zerseßende Selbstbeachtung. Nur wer das Geziermesser so rücksichtslos an die eigenen Gedanken und Empfindungen zu legen vermag, nur der wird die anderer ganz erkennen und verstehen. Selbstbeachtung ist der Schlüffel, der zu_den_ver= borgensten Tiefen fremder Seelen führt; denn in jede Menschenseele sind dieselben Keime gelegt, nur verkümmern sie hier und dort gedeihen sie, je nach den Verhältnissen, unter deren Einfluß sie stehen. Aus diesen Rudimenten weiß Schwarzkopf mit erstaunlichem Spürsinn die entsprechenden ganzen Gedanken und Empfindungen dazu zu konstruiren, von denen die Seelen anderer erfüllt sind. Man kann dieses vorzügliche Buch, ebenso wie die Satiren Durch scharfe Gläser“, einen Kommentar, eine Beispielsammlung zu den,,Maximes" des Herzogs von La Rochefoucauld nennen. Schade, daß der alte Skeptiker schon tot ist, er hätte seine Freude dran!

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Es weht ein mephistophelischer Geist aus Schwarzkopfs Büchern, ein Geist, der stets verneint. Da wird es denn auch gewiß nicht an Urteilen fehlen, die ihm Einseitigkeit und Pessimismus vorwerfen; wer dies tut, möge aber bedenken, daß der Satiriker sich nicht mit den Tugenden der Menschen zut befassen hat, sondern mit ihren Fehlern; dafür aber, daß das Leben mehr Schatten als Licht bietet, kann er ja nichts.

Schwarzkopfs Bücher sind keine Lektüre für das große Lesepublikum, das ja leider zumeist aus Frauen besteht; denn dieses macht er so wie jene Leute, die keine Speise effen wollen, die sie nicht schon kennen: es will nur jenes tausendmal ausgepreßte und aufgewärmte Zeug, das zwar unter den ver schiedensten Namen und mit allerlei Zutaten geboten wird, im Grunde aber doch immer dasselbe ist. Es wird darin vor allem die vielbeliebte, sonst nie fehlende Roman-Steeple-chaise vermißt, deren Hindernisse nur da sind, um die Leser zu spannen und deren günstiger Ausgang schon im Voraus bestimmt ist;

fehlen jene, so findet man das Buch langweilig, und kriegt sich zum Schlusse nicht mindestens ein Paar, so legt man es enttäuscht fort. Als ob die große Steeple-chaise des wirklichen Lebens auch immer so glatt abliefe!

Kurz gesagt: Schwarzkopfs Bücher sind zu gescheit und vor allem zu wahr, um je populär zu werden, wie es Spielhagen, Heyse, Dahn, Ebers u. f. w. sind, denen er allen überlegen ist.

Er hält es eben für seine Aufgabe, „das Schlechte unverhüllt zu zeigen wie es ist, zu belehren und zu warnen, anzukämpfen gegen Lüge, Heuchelei und Gemeinheit." Das ist aber, wie er in der Broschüre „Der Roman, bei dem man sich langweilt", seinem litterarischen Glaubensbekenntnisse ausspricht, die Aufgabe des Realismus. Dieser hat auch sein Ideal: die Wahrheit. Und bei einer so durchgreifenden, scharf ausgeprägten Individualität wie Schwarzkopf es ist, darf man wol, ohne optimistisch zu sein, hoffen, sie werde unverändert bleiben, Schwarzkopf werde auch in Zukunft sein was er jeßt ist: ein moderner Juvenal!

Theater.

Bon

Fritz Mauthner.

Lindaus Sonne" und ihre Schatten. Daß die große Menge der Theaterbesucher keinen Geschwack befige, kein Urteil, darüber sind seit jeher alle hervorragenden Philosophen und alle durchgefallenen Schriftsteller einig gewesen; und die Tatsache hat ihre erfreuliche Seite. Denn wenn der Geschmack nicht eine so rare Sache wäre, so würden ihn die glücklichen Befißer nicht so glänzen laffen können. Merkwürdig ist es nur, daß das Publikum nicht nur keinen guten, sondern auch keinen schlechten Geschmack hat; es hat überhaupt feinen eigenen. Dieselben Leute, die heute ihren alten Freund Sardou entzückend finden, begeistern sich morgen für Tolstoj, wenn ihre Zeitung ihnen den Russen zufällig plausibel gemacht hat. Die meisten Menschen haben eben statt ihrer eigenen Meinung nur ihre eigene Zeitung.

Die letzte Woche war wie dazu geschaffen, diese Wahrheiten schaudernd zu erleben. Jeden Abend Neuaufführungen, kein Stil dem andern gleich, jedes Stück in einer anderen Sprache geschrieben: neben einander aufgestellt, hätten alle diese Komödien an das bunte Budengewimmel eines Weltausstellungsmarktes erinnern müssen. Im Residenztheater zuerst ein älteres einaktiges Lustspiel vom jüngeren Alexander Dumas, deffen Titel schon der Ueberseßer Paul Block nicht zu treffen vermochte, weshalb er es Besuch nach der Hochzeit" nannte. Ein sehr scharfsinniges Plaidoyer gegen die lasterhaften Weiber. Ihr Laster allein habe Anziehungskraft für die Männer, nicht ihre Liebe. Der geistreichste Dialog, feine Psychologie sogar, an eine leichtsinnig erfundene Fabel gebunden. Das Publikum suchte sich eifrig und dankbar die Zoten heraus und ließ die besseren Sachen unberührt. So effen verwöhnte Herrschaften von den Schnepfen blos ungenannt sein wollende Teile.

Darauf die alte Poffe Labiches „Von dreien der Glücklichste". Kein Meisterwerk, aber gute pariser Arbeit; eine unmögliche lustige Handlung als Beispiel für eine nachdenkliche Beobachtung. Der dumme und rohe betrogene Ehemann ist glücklicher dran, als die sentimentalen und listenreichen Liebesleute. Die Poffe gefiel, wie es sich gehört.

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Im Königlichen Schauspielhause waren drei Generationen von Bühnendichtungen ganz deutlich zur Ver gleichung gestellt. Iffland war vertreten durch ein Familienbild in einem endlosen Akte, welchen Julius Stinde aus dem Italienischen des Giacinto Gallina übersetzt und ganz im Geschmack von Frau Buchholz „Die Augen des Herzens" benamset hat. Frau Buchholz saß im Parterre neben einer Geheimrätin. Beide Damen weinten ihre Taschentücher voll. Frau Buchholz fand die Geschichte nicht einmal zu lang, die Geheimrätin aber ließ sich später von ihrem Manne davon überzeugen, daß da ein hübscher poetischer Einfall gar zu aufdringlich für allerlei Bühnenpraktiken mißbraucht worden sei. Aber schön war es doch, wie oben zwischen den Koulissen alles von Edelmut und Tränen troff.

Der Geschmack unserer Großeltern, der nur auf einen Wandel der Mode lauert, um die Taschentücherindustrie wieder in Flor zu bringen. Oben Fran Schramm und unten Frau Buchholz, sie waren beide gleich köstlich wie sie weinten und sich schneuzten.

Dann gab es da wieder einmal „Herrn Kaudels Gardinenpredigten" zu sehen. Gute deutsche Poffenarbeit, wie unsere Väter sie liebten; Frau Buchholz wollte sich totlachen. Noch gab es einen Einafter von Felix Philippi, „Am Fenster". Es ist der bekannte traditionelle Einafter, in welchem ein Liebespaar über wißige Mißverständnisse hinweg zur Verlobung kommt. Aber das Ding trägt eine neuere Jahreszahl; es ist von Berlin die Rede, von den Linden, vom Einzug der Prinzessin, man fühlt sich in der Gegenwart, man kann die Stimmung modern und sogar, wenn man leichtsinnig ist, realistisch nennen. Frau Buchholz klatschte, bis ihre Handschuhe plaßten.

In dieser selben Woche ist im Berliner Theater außerdem ein militärischer Schwant aufgeführt worden. Und wenn der Zufall es so gefügt hätte, so wäre irgend eines dieser Werke, ganz einerlei welches, wol gar das Kaffenstück der Saison geworden. Mißfallen hat keine Stilart, Frau Buchholz war nicht eigensinnig. Und nun muß ich mein Versprechen halten und ernsthaft über Paul Lindaus Tagen nur wenige Zeilen übrig blieben. Sonne" reden, das Schauspiel, für welches vor acht Tagen nur wenige Zeilen übrig blieben.

Auf die Fabel des Stückes zurückzukommen, auf seine Kunsttechnik und die Wahrheit seiner Gestalten, das wäre wahrhaftig verlorene Mühe. Lindau hat diese Nebenfachen niemals sehr schwer genommen, aber kaum einmal so leicht wie diesmal. Es scheint ihm zu gehen, wie etwa einem Artillerieoffizier, der Kanonenschüsse nicht vertragen kann. Lindau ist Dramatiker und geht jeder wirklichen dramatischen Szene fast nervös aus dem Wege. Der Hauptvorgang des Stückes ist das Verhältnis zwischen einer Mutter und ihrer Tochter, die feindlich einander gegenüberstehen, ohne sich zu kennen. Und für so eine tragische Situation hat Lindau keine anderen Darstellungsmittel als Ausrufe wie: Ha, diese Augen! Sollte sie am Ende?" Nur ein gutes und schnelles Spiel vermochte über diese Partien hinwegzuhuschen. Es ist kaum anzunehmen, daß Paul Lindau diese Schwächen nicht selber fühlen sollte; denn er ist im Grunde ein ebenso geistreicher wie realistischer Kopf.

Paul Lindau ist anläßlich dieses neuen Stückes von einem neuen Geschlecht kritischer Pharaonen, die den Joseph nicht näher kannten, sehr hart angefaßt worden; nicht ungerecht, was den Kunstwert des Stückes anbetrifft, aber blind gegen die Vorzüge seines Talents. Mich kann die Oppositionsstellung nicht verhindern, nach wie vor anzuerkennen, wie viel Paul Lindau seit zwanzig Jahren an Anmut und Natürlichkeit in das deutsche Feuilleton und in den deutschen Bühnendialog hineingebracht hat. Es scheint mir ungerecht, ihm das zu vergessen. Er besitt natürlich in hohem Grade die Fehler seiner Tugenden,

aber im Kampfe gegen die uns anerzogene Schwerfälligfeit ist Paul Lindaus Stil von großer Bedeutung gewesen. Auch jezt noch hat er häufig eine Frische der Sprache, gegen die ich mich nicht verschließen will, weil mir der Inhalt nicht gefällt. Durch diese ganz individuelle Natür- | lichkeit ist Paul Lindau troß alledem zu den Führern der neueren deutschen Litteraturbewegung zu rechnen, und wenn er in seinem Schauspiel sich zum begeisterten Verteidiger von Frau Buchholz macht, so widerspricht das eigentlich seinem litterarischen Wesen. Und dies ist der Punkt, der ernst zu nehmen ist.

Nicht als ob es wunderbar wäre, daß ein Schrift steller von Lindaus Gewicht sich von Ibsen, Dostojewski und Tolstoj abwendet. Der Philosoph des Jahrhunderts hat zwar den Optimismus für eine ruchlose Denfart erflärt, aber deshalb braucht ein Optimist noch kein schlechter Mensch zu sein. Lindau kennt und versteht die Bedeutung dieser Reformatoren besser als manche Ibsenianer u. s. w. Aber es ist sein gutes Recht, wenn er die Einseitigkeit einer ernsten Kunstübung auf die Dauer nicht mag, wenn er für sein Teil bei Seite tritt und häufiger die fliegenden Blätter liest, als die Flugschriften des russischen Grafen. Ich gestehe offen, daß mir diese Tageseinteilung mitunter begreiflich erscheint. Ibsen, Tolstoj und Dostojewski rütteln an uns, und man will doch nicht immer gerüttelt werden. Nur die Achtung vor diesen Kerlen darf niemals vergeffen werden. Frau Buchholz aber, welche niemals Nora“ und die „Kreuzersonate“ und „Raskolnikow" gelesen oder gar begriffen hat, weiß nur vom Hörensagen, daß diese unangenehmen Menschen ihr überall Sottisen sagen. Fran Buchholz bengt sich der öffentlichen Meinung und schweigt, wenn die Stimmführer diese großen Ausländer für hervorragende Geister erklären. Heimlich hofft fie aber immer darauf, daß es eines schönen Lages heraus kommen werde: Julius Stinde sei der wahre Genius der Zeit, und Ibsen sei ein Fazke. Frau Buchholz wagt das nicht zu denken, so lange sie keine Autorität für sich hat. Frau Buchholz hat aber ein paar Schlagworte über diese modernen Geister vernommen, und diese kommen ihr drollig vor.

Es ist nun gewiß, daß Lindau in einem ernsthaften Effay über die neue Richtung maßvoller und geschmack voller geurteilt hätte. Aber er wollte ein Theaterstück gegen die unbequeme Schule schreiben. Er erzählte uns die Fortsetzung von Noras Schicksal; er hat zu diesem Zwecke gleich zwei Frauenleben für nötig gehalten, er verteilt Nora auf eine Gans und ein Luderchen, während doch Ibsens Nora keine von beiden ist. Da seine Handlung aber wirklich nicht viel beweisen würde, so macht ers dem Zuhörer bequem und läßt den Raisonneur des Stückes plötzlich die Handlung unterbrechen und rufen: Meine Damen und Herren, aus alledem können Sie ja doch nicht flug werden! Ich will Ihnen einmal ohne alle dramatische Einkleidung klipp und klar sagen, was Lindau meint." Und es folgt ein sehr hübsch geschriebenes Feuilleton, das aber der dramatischen Wirkung wegen viel zorniger ausgefallen ist als etwa ein richtiges Zeitungsfeuilleton geworden wäre. Frau Buchholz aber erfuhr von einer Autorität, daß Ibsen ein Faßke sei, und daß die ganze unbequeme Schule unrecht habe; da freute sie sich in ihrem Herzen und zerklatschte wieder ein Paar Handschuhe.

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Es wäre vielleicht gut, diese große Festrede mit ein paar netten Lindauscher Rezensionen zu vergleichen und dann zu fragen, ob Lindau wirklich den Standpunkt seiner Verehrer teile. Dafür müßte aber das Schauspiel „Die Sonne" gedruckt vorliegen. Aus dem Gedächtnis läßt sich eine so gediegene litterarhistorische Arbeit nicht leisten. Doch zwei Worte habe ich mir gemerkt, die einer fleinen Antwort wert sind.

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Die Rede schließt ungefähr so: „Wenn die Lappen nicht Tran genug auf ihrer Funzel haben, sollen wir darum unsere elektrischen Lampen ausgehen lassen?" Das Publikum jubelte nach dieser Frage, es fand die naturalistischen Funzel geradezu köstlich und schien zurückzurufen: „Nein, Lindau, wir wollen unsere elektrischen Lampen nicht ausgehen lassen!" Das mit der Funzel finde ich ebenfalls gut. Im Ernste, es ist eine richtige Beobachtung Lindaus, daß mancher charakteristische Zug an Ibsen die nordische Sonne als Beleuchtung, und die kleinstädtischen Verhältnisse als Hintergrund erfordert, daß also der deutsche Dichter der Zukunft etwas anders wird aussehen müssen als Ibsen. Angenommen also, zwischen der neuen unbequemen Schule und der Tranfunzel sei eine Aehnlichkeit vorhanden, wen oder was meint Lindau mit der elektrischen Lampe, die wir nicht ausgehen lassen sollen? Die Frage mag pedantisch sein, aber ich möchte doch die Antwort hören. Findet Lindau wirklich und wahrhaftig das soziale Leben Deutschlands so herrlich, daß wir einen Grund hätten uns über alle unsere Nachbarn lustig zu machen? Glaubt er wirklich, daß das Vaterland Ibsens nur Tran kennt, Rußland nur Talg, Frankreich nur Petroleum, (noch dazu ungereinigtes, explosibles) und daß wir im Alleinbesitz des in Ausstattungstücken so beliebten elektrischen Lichtes sind? Steht Ibsen wirklich so abgrundtief unter den luftigen Bühnenschriftstellern Berlins?

merkt habe, war der Wunsch, Epikur möchte wieder aufDas Zweite, was ich mir aus der großen Rede ge= treten und durch seine bequeme Philosophie die Welt von Kant, Schopenhauer, Dostojewski, Tolstoj und andern Ungeheuern befreien. Auch das hatte vielen Beifall, denn feit zweitausend Jahren wird der gläubigen Menge vorgeredet, Epikur sei so eine Art Galgenstrick gewesen, der lebte und leben ließ, der nichts auf der Welt kannte als sein Vergnügen, und der nichts anderes schrieb als Variationen über das Lied Freut euch des Lebens". Diese Vorstellung des alten Philosophen ist sprichwörtlich) geworden. Selbst Frau Buchholz hat einen dunklen Schimmer davon, daß dieser Epifur ein fideler Herr gewesen sei, der Fünf gerade sein ließ und Wein, Weiber und Gesang allein gern hatte. Und nun denke man sich die Verblüffung der Zuhörer, wenn nach dem Plaidoyer Lindaus jemand im Zuschauerraum sich erhoben und also geredet hätte:

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Meine geehrten Herrschaften! Sie täuschen sich gründlich über den Charakter der epifuräischen Philosophie. Ihr schlechter Ruf, der sie Ihnen so sympathisch macht, stammt von den heuchlerischen Stoikern und von den orthodoxen Kirchenvätern her. In Wirklichkeit war Epikuros ein ganz bedeutender Denker, der es mit den Theologen aller Zeiten dadurch verdarb, daß er die Entstehung der Welt nach den Grundfäßen Darwins (man sagte damals Demokrits) ganz materialistisch erklärte und den Göttern eine wenig schmeichelhafte Stellung anies. Daß die Anhänger Epifurs gar so lustig lebten, ist nachweisbar eine fraffe Erfindung der Gegner. Epikuros selbst z. B. lebte so keusch, daß man dafür im Altertume nach Gründen forschte. Epikures war ein solcher Epikuräer, daß er ein musterhaftes Leben für ein Vergnügen hielt, und er war so gottlos, ein musterhaftes Leben nicht um der Tugend willen, sondern um des Vergnügens willen zu empfehlen. Mit den großen philosophischen Fragen der Gegenwart, namentlich mit der Willensfreiheit, schlug er sich zeitlebens herum und wenn er auch zu falschen Resultaten kam, so ist er doch garnicht weit von der mechanischen Weltanschauung Darwins entfernt. Wenn Epikuros heute und hier auftreten würde, so wäre er mit seinem Atheismus, seinem Materialismus und seiner Frugalität einer der unbequemsten Mitbürger, seine Schriften würden fon

fiszirt werden, er vielleicht ins Gefängnis wandern, um dort seinen geistigen Genuß bei den Dichtern zu finden, die Sie nicht mögen, meine Herrschaften."

Dieser Redner wäre ganz gewiß ausgezischt worden.

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Offener Brief an Sriz Mauthner.

Verehrter Freund! Verspätet fällt mir die Nummer des „Magazin“ in die Hand, welche Ihren Auffaß über Kraliks, „Kunstbüchlein“ bringt; Sie teilen da mit, daß nur meine „in begeisterter Stimmung gegebene Empfehlung Sie veranlaßt habe, das künstlerische Glaubensbekenntnis des wiener Romantikers genauer zu prüfen. Das rechne ich mir, auch bei Ihren Lesern, ein wenig zum Verdienste an. Daß Sie nach Ihrer ursprünglichen Absicht mit mir „anbinden“ wollten, hat mich nicht arg erschreckt: zum Polemißiren müssen sich ja immer wenigstens zwei bereit finden lassen. Da Sie zudem die Güte haben, beizufügen, daß ich im Grunde recht habe“ oder hatte, scheint erst recht jeder Anlaß selbst zu einem „friedlichen Streit" beseitigt.

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Wenn ich dessenungeachtet Sie und Ihren Leserkreis bitte, mir einen Augenblick Gehör zu schenken, hat das zunächst den Grund, festzustellen, daß der von Ihnen angezogene Artikel (Eine neue Theorie der Dichtkunst, Nation, Nr. 48, 1890) bei aller Anerkennung der geistigen Begabung und Originalität Kraliks in keiner Weise seinen leitenden Ideen das Wort redet: „Unbedingte Zustimmung wird ja Kraliks phantastische, überromantische Grundanschauung nur bei wenigen wecken. Wie aber ein ehrlicher Legitimist, zumal wenn er ein Mann von Geist und Gemüt, der Achtung und des Anteils eines ehrlichen Radikalen sicher sein kann, so gebührt auch Kraliks Credo selbst im Lager der Modernsten geziemender Respekt. Und so wenig wir selbst alle Kernfäße Kraliks billigen: als Ganzes hat uns sein Kunstbüchlein imponirt". Noch schärfer wird in den Schlußausführungen hervorgehoben, daß mir die Bedeutung, welche Kralik seinem Begriff der Sage beilegt, unrichtig erscheint; daß nicht blos seinem Büchlein, sondern ihm selbst eine kritische, nüchterne Vorgeschichte des Begriffes und Stoffes der Sage fehle; daß sogar seine Theorie des Epos für die Größe Schillerscher Entwürfe zu einer „Friedericiade" keinen Raum habe; daß seine Ablehnung der Charakter-Tragödie und Komödie fragwürdig bleibe; als das Schlimmste wird aber bezeichnet, daß Kralik bei aller Milde des Tones anzunehmen scheine, die volle, ganze, einzige Wahrheit ge= funden zu haben. „Es gibt keine alleinseligmachende Dichtkunst und um so weniger eine alleinseligmachende Theorie der Dichtkunst. So gemutet Kraliks Kunstbüchlein mehr als einmal wie ein mit Fleiß und Liebe ausgeführter Reliquienschrein, dessen edle Formen mit den eingelegten, von höchstem Geschmack zeugenden Arbeiten selbst den Freidenker erbauen, der seine eigene Meinung hegt über die legendarischen Schaustücke, welche das zierliche Kästchen umschließt." Sachlich befinde und erkläre ich mich dort also fast durchweg im Widerspruch mit Kraliks Theorieen: troßdem oder vielmehr eben darum hat mich die außergewöhnliche Persönlichkeit, wie sie sich Blatt für Blatt im Kunst büchlein" offenbart, selbständig, wahrhaftig, von reinster Liebe erfüllt für alles, was sie als echte Dichtung anerkennt, - auf das Lebhafteste angeregt. Selbständige Köpfe sind und waren. allezeit so selten, daß sie dem Unbefangenen durch ihren Mut, ihre Truz- und Halbwahrheiten oft mehr zu denken und schaffen gaben, als die glattesten, gelehrtesten, akademischen oder publizistischen Wortführer der herkömmlichen Meinungen. Ich lerne mehr, wenn ich Görres, Gotthelf, de Maistre, Veuillot, Karl Mary lese, als aus tausendundeinem Leitartikel der Parteipreffe, ganz zu geschweigen. der Wahl-Programme, der Kandidaten- und Kammerredner der Durchschnitts-Parlamentarier. Halten Sie mich deshalb für einen Mucker, Anarchisten oder Reaktionär? glauben Sie, daß man deswegen auch nur einen Augenblick vergißt, welche Männer für unser

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La critique pour moi (comme pour M. Joubert), c'est le plaisir de connaître les esprits, non de les régenter, schrieb Sainte-Beuve in seinen lezten Aufzeichnungen: kennen Sie ein besseres, bündigeres Programm für Unsereinen, der in aller Bescheidenheit nichts anderes sein will, als dienender Bruder im Orden der Biographes-moralistes? Naturforscher im Reiche der Geister? An jede starke, eigenartige Individualität herantreten, ohne vorgefaßte Meinung; nach Lessings Rat das Beste auch aus schlechten Büchern auskernen; über den Idiotismen, Grillen, Verkehrtheiten urwüchsiger Naturen nicht das Besondere, Lebensfähige, Dauernde verkennen, das sie neu oder wiederfinden: das scheint mir eine Lebensaufgabe, die weit über den Kreis litterarischer Liebhaberei und Feinschmeckerei. hinausgreift. Denn recht verstanden führt sie zur Duldung auch auf dem Gebiete hadernder Kunstschulen und Therorieen. Daß aber Toleranz in Geschmacksfragen vielleicht noch schwieriger zu üben ist, als sonst irgendwo, hat keine Generation besser erfahren können, als die unsrige, die vielfach mächtige schöpferische Männer - Wagner, Ibsen und in gemessenem Abstande den Zola des „Affommoir“ und „Germinal“ zu Parteihäuptlingen herabwürdigen wollte. Den großen Anregern ist damit wenig genügt, unseren litterarischen Sitten aber arg geschadet worden. Man hat sich gewöhnt künstlerische Antipathieen derart zum Ausdruck zu bringen, daß man in dem einen Lager die Neuerer moralistisch zu bemäkeln sich anschickte, im andern — ich zitire einen so gescheiten Kenner wie Cornelius Gurlitt einen Stil forderte, der „nicht aus

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der Nachbildung alter und deshalb (!) für uns Moderne veralteter Ideale hervorgeht". Mit alledem wußte ich wenig anzufangen: nach meinen Erfahrungen haben die Führer der heutigen Naturalisten nicht mehr und nicht weniger Recht mit ihren Theorieen, als romantische Schwärmgeister vom Schlage Kraliks mit ihren Kunstbüchlein: bei ihnen allen finden sich Teilwahrheiten, beachtenswerte einzelne Beläufe, sehr überraschende hell aufleuchtende Gedankenblize: nirgends das reine Licht Goethes, die weltumspannende Wahrs heit Shakespeares. Und deshalb bin ich Sie sollen mir nicht nachsagen, daß ich über Kralik Gerhart Hauptmann vergesse — 'n Kompromißler (Einsame Menschen, S. 42,". Wenn ich nicht sehr irre, sind Sie, lieber Freund, nicht viel anders gesinnt. Auch Sie haben nie radikale Phrasen gedroschen: auch Sie fragen den Denker und Künstler zuerst, ob er etwas zu sagen und zu bilden vermag und wenn er diese Gewissensfrage auch nur einigermaßen befriedigend zu beantworten vermag, bekümmert es wol auch Sie, wie mich blutwenig, ob er Kutte, Waffenrock oder als Sansculotte nicht einmal Unaussprechliche trägt. Wie immer der Ihrige

Wien, 1. Oktober.

Anton Bettelheim.

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