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Parfümeure stand, führte eine traurige und unendlich gedemütigte Existenz.

Sie wagte es kaum mehr eine Zeitung zu öffnen, aus Furcht, ihr Lob zu lesen, sie vergoß Tränen über den Blumen, die man ihr zuwarf, und die sie in einer Ecke ihrer Garderobe vertrocknen ließ, um nicht auch zu Hause noch die grausame Erinnerung an die Abende ihrer Triumphe zu bewahren.

Sie wollte der Bühne gänzlich entsagen, aber dem wider segte sich ihr Mann.

„Man würde glauben, daß es mein Wunsch war" fagte er.

Und von neuem begann das Leben der Tortur für beide. Am Abend einer Première wollte die Sängerin soeben die Bühne betreten.

Da sagte jemand zu ihr.

Seien Sie auf Ihrer Hut. Es ist eine Kabale gegen Sie

im Werk."

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Sie lachte. Eine Kabale gegen sie? Warum sollte Warum sollte das wol sein? Sie hatte keine Feinde. Sie genoß die Sympathie aller sie lebte außerhalb aller Kliquen und Kotericen. Und dennoch war es so!

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Inmitten der Oper, in einem großen Duo mit ihrem Gatten, in dem Augenblick, da ihre herrliche Stimme auf dem höchsten Ton ihres Registers angelangt, mit einer Kadenz aus so gleichen reinen Noten, daß sie einer Perlenschnur gleich, die Nummern beendete, ließ ein vielstimmiges Zischen sie plößlich verstummen. Ihre Aufregung und Ucberraschung teilte sich dem ganzen Hause mit.

Der Atem eines jeden schien plößlich ebenso abgeschnitten, ebenso in der Kehle stecken geblieben zu sein, wie ihre unvollendete Nadenz

Und plößlich durchfuhr ein wahnsinniger, ein scheußlicher Gedanke ihren Kopf.

über.

Außer ihr war nur er auf der Szene; er stand ihr gegen

Sie wante ihr Auge anf ihn und sah in dem seinen wie den Bliß eines boshaften Lächelns zucken.

Da begriff die arme Frau alles!

Ein Schluchzen stieg in ihrer Kehle auf, daß sie zu ersticken glaubte.

Sie brach in Tränen aus und verschwand rasch in dem Schatten der Kulissen..

Es war ihr eigener Gatte, der sie auszischen ließ!

Litterarische Chronik.

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Die Konfiskation, von welcher Nr. 22 der „Modernen Blätter“, des Organs der Gesellschaft für modernes Leben“ in München, wegen einer novellistischen Skizze von Anna Croissant-Rust betroffen wurde, ist infolge Beschwerdeführung sofort wieder aufgehoben worden. Dagegen beschäftigt die Sache des beschlagnahmten Sammelbuches der münchner Modernen, betitelt „Modernes Leben“, zur Zeit den Untersuchungsrichter. Außer den genannten wurden noch 2 Autoren desselben von der Beanstandung auf Grund der §§ 166 und 184 betroffen, mithin jezt im ganzen 6 Autoren: O. J. Bierbaum, Jul. Brand, M. G. Conrad, Oscar Paňizza, Ludwig Scharf und Julius Schaumberger.

Ueber die Entstehungsgeschichte seines Dramas „Der Präsident" berichtet Karl Emil Franzos im Berliner Tageblatt (Morgenblatt vom 29. September) folgendes: Im Jahre 1875 wohnte derfelbe in einer Stadt des östlichen Desterreichs einer Gerichtsverhandlung gegen eine Kindesmörderin bei. Dabei fiel ihm das Gebahren des Präsidenten auf, der in sichtlicher Erregung sich mit Lichte erscheinen zu lassen. Franzos ward plöglich zu dem Gedanken aller Macht bemühte, die Schuld der Angeklagten in möglichst mildem gedrängt: „Vielleicht ists seine Tochter!" Von dem Augenblicke an habe er beabsichtigt, den Stoff dramatisch zu behandeln. Schon hatte er im Jahre 1877 das Szenarium entworfen und den ersten Akt geschrieben, da riet ihm Laube, dem das Thema zu heikel erschien, von dem Plane ab. Fünf Jahre später indessen drängte sich der Stoff dem Autor doch wieder dermaßen auf, daß derselbe sich zur Bearbeitung jenes entschloß und den gleichnamigen Roman schrieb. Die Kritik fand den Stoff dramatisch und wiederholt wurde Franzos um das Recht der Dramatisirung des Präsidenten angegangen. So entschloß sich der Autor endlich dazu, den Stoff, dem er einst aus äußerlichem Grunde das entsprechende Gewand vorenthalten hatte, zu dramatisiren.

Hermann Sudermann hat sich in Königsberg mit Frau Clara Lauckner verlobt, einer Schriftstellerin, die in einem vor furzem vom Universum ausgeschriebenen Wettbewerb den zweiten Preis für ihre Novelle „Mein Stern" erhielt. Der Dichter wird sich jest in Königsberg länger aufhalten und hier Studien für seine nächsten Werke machen, die auf ostpreußischem Boden spielen.

Die hiesige Verlagsbuchhandlung von Alfred H. Fried & Comp. beabsichtigt, eine Art Konversations-Lexikon der Weltlitteratur herauszugeben. Es wird dies ein Nachschlagewerk sein, in dem man sich Auskunft über den Inhalt aller litterarischen Werke der gefamten internationalen Litteratur erholen kann. Der erste Teil des Werkes, das im ganzen vier starke Bände umfassen soll, erscheint im nächsten Monat unter dem Namen: „Die Theaterstücke der Weltlitteratur ihrem Inhalte nach wiedergegeben."

Julius Wolff arbeitet an einer neuen Dichtung, die in der Renaissance-Zeit spielt und den Titel „Renate“ führt. Das Buch foll gegen Weihnachten erscheinen.

Vom Hoftheater zu Karlsruhe ist ein Drama von Arthur Freese „Gustav Wasa“ zür Aufführung angenommen worden.

Von dem bekannten Komiker Konrad Dreher wird am 27. September eine Posse „Der ewige Premier“ im Theater am Gärtnerplag zum ersten Male aufgeführt.

Die freie Volksbühne, deren Vorstellungen künftig im Belle-Alliance-Theater stattfinden werden, wird in nächster Spielzeit unter anderm auch die Dramen Franz von Sidingen" von Lassalle und Dantons Tod“ von Büchner zur Darstellung bringen.

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schöne Maid in die Tiefen des Biesenthaler Schloßberges versunken ist. Heil dir, romantisches Biesenthal, aus dir wird kommen der Mann, welcher der Welt zeigt, wie unrecht Goethe hatte, als er die Musen und Grazien in der Mark verspottete.

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Unter dem Titel Das angewante Christentum“ (Ernste Gedanken über die geistigen, staatlichen und wirtschaftlichen Fragen der Zeit, herausgegeben von Mar F. Sebaldt) ist im Verlage von Münch & Isberner (Berlin-Charlottenburg, eine neue Monatsschrift erschienen. Dieselbe will eine Revue des modernen Lebens auf Grund der bekannten Schrift des Herrn von Egidy sein.

Sm Teatro dei Filodrammatici zu Mailand ist ein neues naturalistisches Werk, das dreiaktige Drama „Die Erbschaft des alten Felir“ von Luigi Illica mit günstigem Erfolge aufgeführt worden.

Dem Dichter Alessandro Manzoni wird an den Ufern des Comerfees, in Lecco, wo das Hauptwerk desselben, der Roman Promessi sposi (die Verlobten) seinen Schauplag hat, ein Denkmal errichtet, dessen feierliche Enthüllung am 11. Oktober stattfindet.

In Lugano find an der Seitenkapelle der Angiolikirche kostbare Fresken von Bernardo Luini, dem Nachahmer Leonardo da Vincis, entdeckt worden. Dieselben enthalten Darstellungen der „Geburt Christi“, der „Anbetung der drei Könige“ und der Flucht nach Egypten“.

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In Paris ist am 25. September der Dekorationsmaler Lavastre (geb. 1834 zu Nimes) gestorben. Derselbe ist besonders durch viele vortreffliche Entwürfe und Malereien bekannt geworden, welche er für die Nationaloper und die komische Oper, sowie für die Nationalmanufaktoren in Paris und in Beauvais ansgeführt hat.

Am 26. September ist in Petersburg der russische Romanschriftsteller Iwan Gontscharow infolge einer Lungenentzündung gestorben. Die Hauptwerke Gontscarows, der 1813 in Simbirsk geboren wurde und an der Universität Moskau Geschichte und Philologie studirte, sind die drei Romane: „Eine alltägliche Geschichte" (1847), „Oblomow“ (1858) und „Der Abhang“ (1870).

Nachdem die Regierung in Paris mit kraftvoller Hand die Aufführung des „Lohengrin“ zu Gunsten der internationalen Kunst gegen ein Häuflein von Chauvinisten, deren es in Frankreich bekanntlich eben so viel giebt wie anderswo, durchgesezt hat, hofft man, daß auch Sardous Thermidor, dessen Aufführung in voriger Saison verboten worden war, nunmehr in der Comédie française dargestellt werden dürfe. Die Direktion dieser Bühne gedenkt auch Alerander Dumas neues Stück, La route de Thèbes" und danach ein historisches Drama von Jean Richegin „Par le Glaive" zur Aufführung zu bringen.

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Litterarische Neuigkeiten.

Die Kritik." In einem bei Calman Lévy, Paris, herausgegebenen Buche, betitelt: La Vie littéraire", hat Anatole France seine gesammelten Artikel über die litterarische Bewegung in Frankreich veröffentlicht, welche er allwöchentlich im Temps" erscheinen ließ.

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Diesem Buche hat der Schriftsteller ein Vorwort vorausgeschickt, welches an den Herausgeber des Temps" gerichtet ist, und in welchem er, mit jenem eigenen Humor, welcher seinen Schriften einen so eigenartigen Charakter verleiht, seine Ideen' entwickelt über die seit einigen Jahren mehr und mehr an Wichtigkeit zunehmende Rolle der Kritik.

Folgendermaßen spricht er sich hierüber aus: „Die Kritik ist, meiner Auffassung nach, wie auch die Philosophie und die Geschichte, eine Art Roman zum Gebrauch der klugen und wißbegierigen Geister, und jeder Roman ist im eigentlichen Sinne eine Autobiographie.

Ein guter Kritiker ist derjenige, der die Erlebnisse seiner Seele im Umgang mit Meisterwerken erzählt.

Es giebt ebensowenig mehr objektive Kritiker wie es eine objektive Kunst giebt, und alle die, welche sich zu schmeicheln belieben, daß sie anderes in ihrer Arbeit geben als sich selber, sind nur Opfer einer trügerischen Selbsttäuschung.

In Wahrheit können wir gar nicht aus uns herausgehen; und daß wir es nicht können, ist mit unser größtes Unglück.

Was würden wir nicht darum geben im Stande zu sein, ein Mal nur, eine einzige Minute nur, den Himmel und die Erde mit

den Negaugen einer Fliege anzusehen, oder die Natur mit dem unkultivirten, einfachen Gehirn eines Orang-Outang aufzufaffen. Aber alles das ist uns unmöglich gemacht. Wir können nicht wie Teiresias Männer sein und uns daran zurückerinnern, wie wir Frauen waren. Wir sind in unsere eigene Persönlichkeit eingeschlossen wie in einem ewigen Gefängnisse.

Und mir scheint es noch das Beste zu sein, unseren entseglichen Zustand richtig zu erkennen, und einzugestehen, daß wir immer nur von uns selber reden, wenn wir nicht die Kraft haben zu schweigen.

Um ganz offen zu sein, müßte der Kritiker sagen: Meine Herren! Ich werde jest von mir sprechen mit Bezug auf Shakespeare, auf Racine, auf Pascal, oder auf Göthe. Ich habe eben eine prächtige Gelegenheit dazu.

Ich hatte die Ehre, Cuvillier-Fleury zu kennen, welcher ein sehr überzeugter alter Kritiker war. Als ich ihm eines Tages in seinem fleinen Hause in der Avenue Raphaël einen Besuch machte, zeigte er mir seine bescheidene Bibliothek, auf welche er sehr stolz war. „Mein Herr!" fagte er zu mir Beredsamkeit, schöne Litteratur, Philosophie, Geschichte alles finden Sie hier vertreten, ohne noch die Kritik zu rechnen, welche alles andere umschließt. Ja, mein Herr, der Kritiker ist alles: vald Redner, bald Philosoph, bald Geschichtsschreiber “

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Cuvillier-Fleury hatte Recht. Der Kritiker ist alles das, oder er sollte es wenigstens sein. Ihm bietet sich die Gelegenheit, die seltensten intellektuellen Fähigkeiten zu zeigen, die verschiedenartigsten und die vielseitigsten. Und wenn er ein Sainte-Beuve ist, oder ein Taine, ein J. J. Weiß, ein Jules Lemaître, ein Ferdinand Brunetière, so läßt er es auch nicht daran fehlen.

Ohne aus sich heraus zu gehen, macht er die intellektuelle Geschichte des Menschen. Die Kritik ist von allen litterarischen Formen die neueste; sie wird es am Ende vielleicht so weit bringen, alle die anderen zu verzehren. Sie paßt ausgezeichnet für eine sehr gebildete Gesellschaft, welche reiche Erinnerungen und weit zurückgehende Traditionen befißt. Sie ist in ganz hervorragender Weise geeignet für eine wißbegierige, gelehrte und gebildete Menschheit. Sie verlangt, um zu prosperiren, mehr Bildung als alle anderen Gattungen der Litteratur zusammen.

Ihre Schöpfer waren Mantaigne, Saint-Evremont, Bayle und Montesquieu. Sie stammt zugleich aus der Philosophie und der Geschichte. Um sich zu entwickeln, brauchte sie eine Epoche der absoluten geistigen Freiheit. Sie erseßt die Theologie und wenn man den doctor universalis, den heutigen Thomas von Aquino des 19. Jahrhunderts sucht, ist nicht Sainte-Beuve der Mann, an den man denken muß?" (Der Franzose natürlich nur.)

Man ersieht daraus, welch hohe Meinung Anatole France von der Kritik hat; so aufgefaßt erscheint sie wie die Krone des litterarischen Tempels und wird selbst eine Schöpfung für sich.

Nachdem Herr Anatole France solcher Art die bedeutende Rolle der Kritik in der heutigen Zeit festgestellt hat, beendet er sein Vorwort mit diesem humoristischen Einfall:

Um ganz freimütig zu reden, glaube ich, daß es vernünftiger ist, Kohl zu pflanzen, als Bücher zu schreiben."

Und er entwickelt diese Idee derart, daß viele sie für parador erklären werden, viele aber von jenen, die den besten Teil ihres Lebens mit der Nase in Büchern verbracht haben, wol erkennen werden, was daran nur allzu wahres ist:

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Nach Littré ist ein Buch die Zusammenstellung mehrerer Hefte von beschriebenen oder bedruckten Seiten. Diese Definition genügt mir nicht. Ich würde ein Buch erklären als ein Herenwerk, aus dem alle Arten von Bildern entspringen, die den Verstand beunruhigen und die Herzen wenden. Noch besser sogar würde ich sagen: ein Buch ist ein kleiner Zauberapparat, der uns zwischen die Bilder der Vergangenheit oder zwischen vhantastische Schatten verseßt.

Eifrige Bücherleser sind wie Haschisch-Effer. Sie leben in einem beständigen Traume. Das feine Gift, welches in ihr Gehirn ein dringt, macht fie der wirklichen Welt gegenüber unempfindlich und giebt sie fürchterlichen oder auch entzückenden Phantomen preis. Das Buch ist das Opium des Abendlandes Es verzehrt uns. Der Tag wird kommen, da wir alle Bibliothekare sind, und dann ists zu Ende. Laßt uns die Bücher lieben wie die Geliebte des Dichters sein Leiden liebte. Lieben wir fie; sie kommen uns teuer genug zu stehen. Lieben wir sie; wir sterben daran. Ja, die Bücher töten uns! Glaubt es mir; mir, der ich sie vergötterte, der ich mich ihnen lange Zeit gänzlich und ohne Rückhalt hingegeben habe. Die Bücher töten uns. Wir haben zu viele davon und zu viele verschiedene Arten. Jahrhunderte hindurch haben Menschen gelebt ohne irgend etwas zu lesen, und gerade damals haben sie die größten Taten vollbracht, und die nüglichsten zugleich, denn das war die Zeit, wo sie aus der Barbarei allmälig zur Civilisation übergingen.

Wenn sie auch ohne Bücher waren, so waren sie darum doch feineswegs aller Poesie und Moral bar; sie kannten Lieder und Sittensprüche auswendig. In ihrer Kindheit erzählten ihnen die alten Frauen die Geschichten vom geftiefelten Kater und von der Eselshaut, aus denen man viel später Ausgaben für Bücherfreunde machte. Die ersten Bücher waren große Steine, welche mit Inschriften voll religiöser und behördlicher Vorschriften bedeckt waren.

Aber das ist lange her! Welch entsetzliche Fortschritte haben wir nicht seitdem gemacht! Die Bücher haben sich in einer wunderbaren Weise vermehrt im sechszehnten und achtzehnten Jahrhundert. Heute ist die Produktion bereits verhundertfacht. In Paris allein erscheinen täglich fünfzig neue Bücher. Wir werden verrückt davon.

Es ist das Schicksal des Menschen, fortwährend in entgegen gesezte Extreme zu verfallen. Im Mittelalter brachte die Unwissenheit die Furcht hervor. Es herrschten damals nervöse Krankheiten, welche wir nicht mehr kennen. Heute wiederum laufen wir durch die Ueberstudirtheit in eine allgemeine Lähmung hinein. Würde es nicht mehr Weisheit und Geschicklichkeit zeigen, Mag zu halten?

Laßt uns Bücherfreunde sein und unsere Bücher lesen; aber laßt uns nicht mit vollen Händen nach allem greifen; laßt uns wählerisch sein, und wie jener große Herr in einem von Shakespeares Stücken, zu unserem Buchhändler sagen: „Ich verlange, daß sie gut gebunden sind und von Liebe sprechen."

Ich schmeichle mir nun weder, daß dies kleine Buch etwas über Liebe enthält, noch daß es eines schönen Einbands vürdig wäre. Aber man wird darin eine völlige Offenheit finden (denn zur Lüge gehört ein Talent, das ich nicht besige), viel Nachsicht und etwas natürliche Zuneigung zum Schönen und Guten.

Völlige Offenheit und die Liebe zum Guten und Schönen find die Grundbedingungen der ernsten Kritik? Anatole France kann als einer ihrer vorzüglichsten Lehrer gelten. Er bejizt jene Eigenschaften in hervorragendem Maße. A. B.

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Giovanni Marradi, Nuovi Canti. 16° und 238 S. Mailand, Fratelli Treves.

Es sind feine, formvollendete Gedichte von zartem Duft. Es liegt etwas Schwermütiges darin, das Wort Melancholie wird oft gebraucht und Nebel und Nacht sind beliebte Gegenstände des jungen Dichters, der an seinen Meister Giosuè Carducci nur in der Vorliebe für edle Form und das klassische Altertum gemahnt. Inhaltlich ge= hört er zu der jüngern Gruppe der internationalen Leid-Dichter, deren ältere Vertreter Byron, Leopardi, Heine, Musset waren. Es fehlt ihnen allen an Márk und Kraft, der Jammer über den Zusammensturz der alten romantischen Welt ist in ihnen noch zu stark, und die Zukunft erscheint ihnen noch zu öde und gefährlich, sie leuchtet ihnen noch nicht als freudiges Hoffnungslicht neuer großer Arbeit und aussichtsvollen Strebens. Darum das Flüchten nach dem Altertum und stilles Begnügen am farbigen Reiz der Verse und der Melodie des Reimes. C. G.

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Dr. Joh. Froißheim, Lenz und Goethe. Mit ungedruckten Briefen von Lenz, Herder, Lavater, Röderer, Luise König. 80 und 136 . Deutsche Verlagsanstalt. Stuttgart 1891. Dr. Joh. Froißheim hat sich als Lenz-Forscher in kurzer Zeit einen Namen gemacht. Freilich gerade in der Forschung über Lenz ist es nicht allzu schwer, etwas Besseres zu leisten als die Menge von Dilettanten und Faselköpfen, Ludwig Tieck, Dorer-Egloff, D. F. Gruppe u. a. Es ist unglaublich viel grundlos vermutet worden, es sind die seltsamsten Hypothesen, die abenteuerlichsten Kombinationen in der Lenz Litteratur aufgestellt worden. Selbst Dünger, der sonst allzu Gründliche, und Erich Schmidt in seinem „Lenz und Klinger" haben sich nicht die Mühe genommen, das Material - es liegt allerdings in mehr denn hundert Schriften zerstreut genau zu prüfen und zur ausschließlichen Grundlage ihrer Forschung zu machen. Ueberhaupt find wol nur P. T. Falk, Karl Weinhold und Froißheim als Lenz-Forscher ernst zu nehmen. Der lettere, der auch über Heinrich Leopold Wagner eine Schrift geschrieben, hat außer in dem vorliegenden Werkchen Themata über Lenz behandelt im 4. und 7. Heft der Beiträge zur Landes- und Volkeskunde von Elsaß-Lothringen (Straßburg, Heiß, 1888)". In dem ersteren Heft Lenz, Goethe und Cleophe Fibich von Straßburg" stellt er mit größter philologischer Akribie das Verhältnis des livländischen Dichters zu der Straßburger Juwelierstochter klar, eine Klarstellung, die nur durch das fleißigste und scharfsinnigste Suchen und Untersuchen von bisher unbekannten Dokumenten ermöglicht wurde. Auch in dem andern Hefte, „Zu Straßburgs Sturm- und Drang-Zeit" deckt der Verfasser verschiedene Beziehungen Lenzens zu der Stadt, in der dieser von 1771 bis Ende März 1776 lebte, auf. In dem neuen Werke von Froigheim wird vor allem das Verhältnis von Lenz zu Goethe und besonders dessen Urteile über jenen in Dichtung und Wahrheit“ behandelt. Froißheim kommt zu den Schluffe, daß die Charakteristik, welche Goethe von Lenz gegeben hat, einseitig und gehässig sei. Darin geht er meines Erachtens zu weit. Gewiß ist es sehr berechtigt, sich immer daran zu erinnern, daß Goethes Autobiogrophie nicht nur Wahrheit, sondern auch sehr viel Dichtung enthält, es ist auch ganz gerechtfertigt, wenn man Lenz gegen alle die haltlosen Angriffe der Goethe-Anbeter Verantw.: Dr. Curt Pfüße Grottewiß, Berlin.

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in Schuß nimmt. Allein Froißheim passirt das, was mehreren Lenz forschern passirt ist: er hat sich in seinen Helden verliebt und möchte nun diesem in jeder Beziehung recht geben. Und das ist nach meiner Meinung nicht nur zu weit gegangen, sondern es ist ebenso altmodisch gedacht, wie jene kritiklofen Goethepfaffen denken. Goethe war seinen Jugendgenoffen an Lebenskraft und Geistesenergie überlegen, und wir Modernen, die wir in der Schule Darwins groß geworden, werden es ihm niemals verargen, daß er in dem Wettbewerb, zu dem ihn damals die Verhältnisse öfters trieben, alle feine Kraft gebrauchte, wo es galt, selbst gegen die, die ihm nahe standen. Diese stolze Herrschaftssehnsucht hat Goethe groß gemacht, und es heißt ihm einen schlimmen Dienst erweisen, wenn man ihn nach dem Recept unserer meisten Philologen zu einem demütigen, aufopferungsvollen Johanniter machen will. Daß Lenz aber in dem damaligen Lebenskampfe der Geister unterlag, dafür braucht man nicht Goethe verantwortlich zu machen, das hat man einfach als eine Tatsache zu konstatiren, beziehentlich als psychologischen Prozeß zu erklären. Sind also die Vorwürfe, die Froißheim gegen Goethe erhebt, ebenso belanglos, wie die landläufigen Angriffe auf Lenz, so bleiben doch die Forschungen jenes auf diesem Gebiete immer wertvoll. Wer sich ein von der gewöhnlichen Auffassung jener Zeit unabhängiges Urteil und ein eingehendes Bild über den hervorragendsten von Goethes Jugendgenossen verschaffen will, dem ist Froißheims „Lenz und Goethe", sowie des Verfassers übrige Schriften warm zu empfehlen. C. Grottewig.

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Albert Richter, Deutsche Redensarten, sprachlich und kulturgeschichtlich erläutert. Leipzig 1889. Richard Richter. 168 G.

Wer selbst Germanist ist und wem es deshalb_oft passirt, daß ihm dieser oder jener gute Freund die Frage vorlegt: „Ach, was meinen Sie, ich möchte gern wissen, was Sie und die Redensart eigentlich bedeutet, und wie oder wo sie zuerst litterarisch zu belegen ist," weiß, wie schwer gerade solche Fragen oft zu beantwarten find, denn dazu gehört nicht blos positives Wissen, sondern auch eine ganz umfassende Belesenheit. Darum muß man es dem Verfasser des hier vorliegenden Büchleins*) dank wissen, daß er unter wenigen dies schwierige und mühevolle wenn auch dankbare Feld angebaut hat. Er behandelt hundert Sprichwörter und sprichwörtliche Redensarten und verbindet hiermit die Besprechung zahlreicher anderer, die zwar verwanten Inhaltes, aber doch teilweise selbständig sind. Sie alle aufzuzählen, vérbietet uns der Raum, den die geehrte Redaktion uns mit notgedrungener Sparsamkeit zugemessen hat; aber einige mögen doch beliebig herausgegriffen werden: „Ausbaden müssen; Auf die lange Bank schieben; Zum Besten haben; Trinken wie ein Bürstenbinder; Sich die Finger verbrennen; Den Fuchsschwanz streichen; Ins Gras beißen; Das Handwerk legen; Die Hörner abstoßen; Nach Jahr und Tag; Auf dem Kerbholz haben; Durch die Lappen gehen; Das Lebenslicht ausblasen; Die Leviten lesen; Wissen, wo Barthel Most holt; unter dem Pantoffel stehen; Den Rang ablaufen; In die Schanze schlagen; Schwein haben; Eine böse Sieben; Meiner Sir; Stein und Bein schwören; Einem nicht das Wasser reichen; Ein X für ein U machen 2c. 2c. Es versteht sich von selber, daß noch eine Menge von Sprichwörtern unbesprochen geblieben ist; uns fällt z. B. das Sich am Rande verstehen · ein; überhaupt sind gar manche Provinzialismen namentlich noch rückständig, und dem Herrn Berfasser, der seinem Büchlein kein Vorwort beigegeben hat, bleibt für eine hoffentlich bald erscheinende neue Auflage manche hübsche Nachlefe übrig. Aber auch schon das hier Gebotene ist durchaus dankenswert und hat uns vollkommen befriedigt; er ist seiner Aufgabe in allem Ernste gewachsen und wird sich hoffentlich durch allgemeine Anerkennung zu neuem Fleiße angespornt fühlen. Wenn wir hier und da anderer Meinung sind als er z. B. in Bezug auf seine Erläuterung über Eine Nase bekommen", „Meiner Sir" u. a., so ist das ganz natürlich, beeinträchtigt aber den Wert seines Büchleing in keiner Weise. 2. Freytag.

*) Es ist sehr gut ausgestattet, und der Verleger ist so höflich gewesen, das Rezensionseremplar elegant gebunden einzusenden. Wir quittiren darüber mit um fo bereitwilligerem Danke, als so etwas sehr selten vorkommt; ja, selbst mancher höchst vornehme Verleger sendet ein aus Ausschußbogen zusammengeseßtes Buch als Rezensionseremplar ein.

Verlag von F. & P. Lehmann, Berlin W., Körnerstr. 2.

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Erscheint jeden Sonnabend. — Preis 4 Mark vierteljährlich. Beßtellungen werden von jeder Buchhandlung, jedem Postamt (Nr. 3589 der Postzeitungsliste), sowie vom Verlage des Magazins" entgegengenommen. Anzeigen 40 Pfg. die dreigespaltene Petitzeile. Preis der Einzelnummer: 40 Pig. &

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Nr. 41.

Inhalt: Maurice von Stern: Konrad Ferdinand Meyer. Theodor v. Sosnosky: Ein moderner Juvenal. Theater von Friß Mauthner: Lindaus „Sonne". - Anton Bettelheim: Offener Brief an Frig Mauthner. **: Die Sonne, eine Broschüre in 3 Akten von Paulin Dau (Parodie). Giacomo Verga: Nedda. Werchshagen: Der Stundismus in Rußland. - Emile Zola: Realistische Bewegung in Frankreich. Litterarische Chronik. Litterarische Neuigkeiten: Rauschs „Problem der Armut", besprochen von Paul von Gizycki; Arents „Violen der Nacht", besprochen von C. L.; Meyers „Griechische Volkslieder", besprochen. von 2. Freytag; Stolz' „Geschichten aus dem Leben“, besprochen von E. Höber.

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Auszugsweiser Nachdruck sämmtlicher Artikel, außzer den novellistischen und dramatischen, unter genauer Quellenangabe gestattet. Unbefugter Machdruck wird auf Grund der Gesetze und Verträge verfolgt.

Konrad Ferdinand Meyer.

Zum 11. Oktober.

Von

M. K. von Stern.

Als ich vor Jahr und Tag in einem poetischen Nach ruf an Gottfried Keller denselben mit Goethe verglich, wurde von mancher Seite Widerspruch erhoben. Karl Spitteler, der geistvolle und gewissenhafte FeuilletonRedakteur der „Neuen Züricher Zeitung“, fand den Vergleich pedantisch, ein Einwurf, der mich allerdings etwas nachdenklich gestimmt hat und über den sich reden läßt. Andere Kritiker, z. B. die Baronin Isabella von Angern Sternberg, gaben mir dagegen Recht, mit dem Hinweis auf den Erfahrungsgrundsaß, daß man niemals etwas begriffen hat, was man nicht auch überschäßte. Es scheint mir nun zwar, daß sich der Vergleich Kellers mit Goethe auch aus anderen Gesichtspunkten verteidigen ließe. So viel herbe Süßigkeiten wie bei Keller hatten wir seit Goethe nicht, und in gewiffem Sinne auch nicht soviel Kraft. Die Universalität ist gewiß eine phänomenale Erscheinung, aber sie spielt doch in das Gebiet des Wagund Meßbaren hinüber. Das eigentlich Künstlerische, d. h. die Vollendung im Einzelnen, hat nichts mit dem Umfang des Kunstgebietes zu tun. Höchste Kunst ist höchste Konzentration; diese aber läßt sich nur durch die Wirkung schätzen, nie jedoch mit dem pedantischen Metermaß fritizistischer Gelehrsamkeit messen. Wol hat Meister Gottfried feine Dramen veröffentlicht, seine Prosa ist mir aber lieber, wie die Goethesche, und das wird man mir wol in Gottes Namen erlauben müssen.

Den Kritikern gegenüber, deren schwierige Stellung ich übrigens wol zu würdigen weiß, habe ich stets eine große Ungelehrsamkeit zu behaupten gewußt. So verSo ver falle ich denn, kaum daß ich mich von den letzten kritischen Rüffeln notdürftig erholt habe, in den alten Fehler. Heute habe ich es mit Konrad Ferdinand Meyer, wenn auch zum Glück nicht mit einem poetischen Nachruf I

an denselben, zu tun. Und in Gottes Namen, ich weiß mir nicht zu helfen wenn ich den Namen Konrad Ferdinand Meyer schreibe oder ausspreche, so muß_ich wieder, wenn auch in etwas anderem Sinne, wie bei Keller, an Goethe denken! Will ich ihn gar mit irgend jemandem vergleichen, so muß ich, ich mag mich drehen und wenden, wie ich will, bei meiner Seele bis Goethe zurückgehen.

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Wol ist es wahr, daß Meyer nicht bei Goethe in die Schule gegangen ist, oder wenigstens keine entscheidenden Anregungen von ihm empfangen hat, was sich bei Keller doch wol nachweisen läßt, man denke nur an den Grünen Heinrich", in welchem sich der Einfluß Goethes meines Erachtens bisweilen sogar störend bemerkbar macht. Auch steht der helläugige Einsiedler von Kilchberg keineswegs im Banne des Hellenismus, welchem er vielleicht nur äußere architektonische Anregungen verdankt. Konrad Ferdinand Meyer ist mit dem Hellenismus, so gut wie mit dem Orientalismus in seinem tiefsten Wesen fertig. Er hat das Griechentum in sich überwunden und ist auch über den Christianismus zur Tagesordnung übergegangen.

Dennoch muß ich ihn mit Goethe vergleichen. Ich könnte zur Rechtfertigung dieses Vergleichs auf die große Verwantschaft aller starken Persönlichkeiten miteinander hinweisen. Das Geniale ist dem Absoluten nachgebildet und daher nur in sich kommensurabel. Wer hätte nicht schon bei Goethe an Napoleon gedacht? Oder bei Lessing an Luther? Wer hat nicht die instinktive Empfindung, daß sich das menschliche Wesen in seiner höchsten Vollendung einem Zustand nähert, der eine Differenzirung nach Form und Inhalt nicht mehr erträgt?

Erstens also ist Konrad Ferdinand Meyer darin Goethe ähnlich, daß er, wie dieser, ein genialer Mensch ist. Was ist aber Genialität? Doch wol in erstem Betracht Originalität! Und originell ist Meyer. So originell, daß ich ihn nicht nur als eine besondere Persönlichkeit, sondern als den Ausgangspunkt einer neuen, noch ein dagewesenen, für unsere fernere Litteraturentwicklung wahrscheinlich entscheidenden Kunstgattung betrachten muß.

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Ich erlaube mir die kezerische Meinung, daß wir eine deutsche Kunst eigentlich gar nie beseffen haben. Nicht einmal die Gotik ist deutsch, denn sie war niemals die nationale Kunst. Unsere Kunst war schon byzantinisch, fie hat schon gesudelt und sudelt immer noch, sie war russisch, italienisch, französisch — sie spielte in allen Farben und zerfloß doch immer wieder in das grämliche Aschgrau der Langeweile. Es scheint, daß die deutsche Phantasie bisher das Ziel verfolgt hat, die Kunst aller Völker in sich aufzunehmen, um sie dann zu zerseßen. Auch unsere Klassiker, man verzeihe mir die Sünde, sind undeutsch. | Die langweiligsten derselben sind vielleicht noch die deutschesten! Nun, auch Meyer ist nicht deutsch!! Gott sei dank, hätte ich beinahe gesagt. Aber er ist auch nicht | international gemischt, er ist vor allem auch nicht fran zösisch, obwol er bei den Franzosen mehr noch als gute Manieren gelernt hat. Er ist, ich kann es nicht ohne freudigen Schauer niederschreiben, der Träger einer noch nicht dagewesenen Kunst, welche zwar auch durch Mischung, aber durch eine überaus glückliche organische Mischung, zustande gekommen ist.

Konrad Ferdinand Meyer hat sich, wie wir alle, zuerst an den Klassikern, sagen wir an dem Gemisch von deutscher Romantik und griechischer Grazie, berauscht. Er hat in diesem Rausch vermutlich eine ganze Menge Litteratur gemacht, groß genug, um zehn klassische Epigonen vom Stile Julius Groffes damit zu sättigen. Aber während die Epigonen der Epigonen das Bedürfnis fühlten, gedruckt zu werden, hat Meyer seine Manuskripte, Novellen, Gedichte, Dramen aus der dunkeln Epoche seiner scheinbaren Sterilität einfach ins Feuer geworfen. Ex ungue leonem! Daran allein wittere ich das seltenste Edelwild. Der zu solchem Verhalten erforderliche Grad von Selbstbeschränkung steht meines Erachtens in der Geschichte der Litteratur einzig da.

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Mich denkt es eines alten Traums. Es war in meiner dumpfen Zeit": So beginnt das wunderbare Gedicht Das begrabene Herz" in Meyers fürzlich in vierter Auflage erschienenen Gedichten, welche ich in allen freien Stunden mit immer wachsendem Entzücken lese. Also Meyer hatte eine dumpfe Zeit"; er sagt es selbst, also wird es wol so sein. Diese dumpfe Zeit war die Zeit der Knechtung seines höchst originellen, neuheitsdurftigen Geistes durch unsere traditionelle deutsche Klassiker-Größe, welche ich für ein nationales Unglück halte, namentlich in Rücksicht auf die Entwicklung der jungen Kunst. Wahr ist es, Goethe hat das Jahrhundert befruchtet, aber er hat es auch geknechtet. Er hat den Stempel seines Riesengeistes als ein erbarmungsloser Triumphator über eine erbärmliche Zeit zwei Generationen auf die Stirn gedrückt. Dieser Stempel ist zum Kains zeichen des Epigonentums geworden. Wir ringen mit seinem Geiste und vermögen ihn nicht zu besiegen. Er ist größer als alle seine Schüler. So ist das Genie in gewissem Sinne auch immer eine Kalamität.

Nun wolan, Meyer hat einen erfolgreichen Versuch gemacht, diese Feffeln zu brechen! Was in ihm deutsch ift, das ist Goethe, Goethe in strahlendster Wiedergeburt: die Glätte, der vornehm stolpernde Gang, die Unbefangen heit, die Kühnheit, die gedrungene Festigkeit und vornehme Herbheit, die Verachtung aller nörgelnden Pedanterieen und die kalte, flare Heiterkeit des beruhigten, olympischen Selbstbewußtseins: alles Goethe bis in die Fingerspizen.

Und doch ist etwas in ihm, was ihn klafterhoch über das erfolgreiche Epigonen-Wesen hinaushebt: er ist nicht untergegangen im Vorbild, er hat es sich nur zu Nuße gemacht. Unfähig, auf dem Boden des traditionellen

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deutschen Kunsttums, in dem wenig neutralen Lager der Goethe-Myrmidonen, die Entscheidungsschlacht des Geistes zu schlagen, ist Konrad Ferdinand Meyer hinausgezogen aus der „dumpfen Zeit" der durch die Tradition gelähmten Kraft und hat seine Waffen sich geholt, wo sie zu finden waren: bei den künstlerisch unverwüstlichen, immer noch lebensfrischen Romanen.

Es giebt Kritiker, welche in Konrad Ferdinand Meyer nur einen gelehrigen Schüler der Franzosen glauben erkennen zu müssen. Nichts ist falscher wie diese Auffassung. Erstens dürfte es sehr schwer festzustellen sein, wem unser Dichter stärkere Anregung verdankt, den Franzosen oder den Italienern. Er selbst gesteht, daß Ariost und Molière ihn viel beschäftigt haben. Er gesteht aber auch, daß er nie so sehr, wie bei Betrachtung italienischer Kunstwerke, das Gefühl vollkommener künstlerischer Sättigung empfunden habe, ein Gefühl, wie es nur durch jene Harmonie erzeugt werden könne, in welcher auch das kleinste Teilchen auf den Effekt der Gesammtwirkung angelegt ist. Es will mich in der Tat bedünken, als wenn die entscheidenden Anregungen, welche Meyer empfing, nicht so sehr von den Franzosen als von den Italienern ausgegangen seien. Auch ist es nicht die moderne romanische Litteratur, an welcher Meyer vorzugsweise seine Studien gemacht hat. Er ist vom Naturalismus eben so weit entfernt wie vom klassischen Epigonentum.

Wie den

Aber es ist noch aus anderen Gründen falsch, Meyer nur als einen erfolgreichen Schüler der Franzosen zu betrachten. Er hat in die französische Schule, die er allerdings mit Ehren absolvirt hat, ungeheuer viel mitgebracht. Erstens die Tiefe der deutschen Phantasie, zweitens die vervollkommnete Technik unserer besten Klassiker und drittens und hauptsächlich sich selbst, seine merkwürdige, undefinirbare flüchtige Originalität. Es war ein psychologisches Bedürfnis, welches ihn zu den Romanen führte. Die Eigentümlichkeit seiner Natur bedurfte zu ihrer erfolgreichen Entwickelung mit Notwendigkeit des romanischen Elements. Die Vermischung ist daher eine durchaus organische. Deutsche Tiefe und welsche Eleganz mußten sich naturgemäß vermählen, um das Phänomen Konrad Ferdinand Meyer zu erzeugen. Ich stehe nicht an, diese Mischung als von größter providentieller Bedeutung zu bezeichnen. europäischen Völkern das politische Heil nur aus der Versöhnung der germanischen und romanischen Stämme erwachsen kann, so kann sich unsere Litteratur auch nur unter der Vorausseßung erfolgreich weiter entwickeln, daß die beiden Hauptströme des modernen Schrifttums dem Geiste nach in einem zusammenfließen. Dieses selten schöne Phänomen hat sich in Konrad Ferdinand Meyer vollzogen. Mag man seine Balladen", seine „Romanzen und Bilder“, „Huttens lezte Tage", „Engelberg", „Jürg Jenatsch", seine Novellen Der Heilige", „Das Leiden eines Knaben", "Die Hochzeit des Mönchs“, „Das Amulet", den Schuß von der Kanzel“, „Plautus im Nonnenkloster", „Gustav Adolfs Page", „Die Versuchung des Pescara" oder seine herrlichen Gedichte lesen, überall fühlt man sich seltsam angemutet durch den Reiz des Neuen, welcher durch die Vereinigung des deutschen Gedankens mit der romanischen Komposition erzeugt wird. Meyers zum Historischen einen Mangel oder eine Schwäche Es giebt furzsichtige Kritiker, welche in der Inklination entdecken wollen. Es ist wahr, Meyer bevorzugt den historischen Stoff. Er liebt es, zwischen sich und den Stoff den bläulichen Nebelschleier des Vergangenen zu breiten. Aber ist es nicht gerade diese rätselhafte LuftPerspektive, welche seinen Werken den eigentümlichen Reiz gedämpfter Wahrheit und Schönheit verleiht. Schaue

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