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München, welches seit Gründung des deutschen Reiches in allen kunst-technischen Fragen die entschiedenste Initiative ergriffen und den ersten Einfluß auf diesem Gebiet sich unbestritten gewahrt sieht, München, welches die Wagner-Bewegung erlebte und dem die Erbauung des Wagner-Semper-Theaters nur durch ein unglückliches Mißverständnis entging, München, welches erst jüngst durch von Berfall der Ausgangspunkt einer Bühnen-Rekonstruktion wurde, die bereits auf den bedeutendsten Theatern Deutschlands und Oesterreichs zur Annahme gelangt, welches in Lautenschläger, dem Erbauer der oberammergauer Szene, den ersten Bühnentechniker besigt,

dürfte in erster Linie berufen sein, die Frage zu entscheiden, ob Bedürfnis und Bedingungen gegeben sind, zur Errichtung einer freien Tages-Bühne für das Schauspiel, vielleicht zunächst bei bestimmten volkstümlichen Gelegenheiten, wie das Oktoberfest, mit Aufführung volkstümlicher Stücke aus der bayrischen Geschichte und Sage; unter Anlehnung der Bühnen-Konstruktion an die Errichtung der oberammergauer Szene, der Zuschauer-Pläße an die amphitheatralische Anordnung des Wagner-Theaters in Bayreuth.“

Die „Denkschrift" geht freilich auch in Praktisches ein. Sie giebt einen gut gewählten, sehr geeigneten Plas für ein derartiges Theater an, sie schlägt Stücke vor, macht einen Kostenanschlag. Und all der Liebe Müh sollte ganz umsonst sein? Häringsbraterei, Käsestände und Wirtsbuden for ever? Wo bleibt die „Kunsthauptstadt des deutschen Reiches?" Wo bleiben die Intentionen des königlichen Gründers des Oktoberfestes? Diese nämlich liefen keineswegs nur auf eine große Kau- und Schluckmuskelübung hinaus...

Solcher Art sind die notwendigen Gedanken, welche diese Denkschrift naturalistischer Idealisten auslöst.

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O. J. Bierbaum.

Ein neuer Roman von Adolf Wilbrand „Hermann Sfinger" erscheint im nächsten Quartal des Berliner Tageblattes. Der Roman, der in München und Wien spielt, schildert vornehmlich die zeitge nössischen Künster- und Gelehrtenkreise dieser Städte und zeichnet das Schicksal eines Künstlers, mit dessen Urbild sich vor einigen Jahren die kunstliebende Welt eifrig beschäftigte.

Von Max Kreger soll ein neues Volksstück im Wallner-Theater zur Aufführung kommen; derselben Bühne sind auch Stücke von Hermann Bahr und Hans Land eingereicht worden.

Marco Praga, der Verfasser von „Vergini“, hat ein neues Lustspiel „Der Liebling“ vollendet.

Von Karl Emil Franzos gelangt das fünfaktige Drama Der Präsident“ den 26. dieses Monats im Lessing-Theater zur ersten Aufführung.

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Heinrich Heinemann, der Verfasser von „Auf glatter Bahn“ und Schriftstellertag" hat ein großes Lustspiel nahezu vollendet. Das Stück soll noch in dieser Saison an einem Berliner Theater zur Aufführung kommen.

Der Reisefchriftsteller Emil Dürer, der sich gegenwärtig in Rom aufhält, hat soeben ein dreiaktiges Lustspiel „Quirana“ vollendet.

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Das Drama Sappho“ von Alphonse Daudet, welches der Dichter nach seinem gleichnamigen Roman bearbeitet hat, soll noch in dieser Spielzeit im Residenz-Theater zur Aufführung kommen.

Nummer 22 der münchener Monatsschrift „Gesellschaft“ wurde wegen einer novellistischen Skizze von Anna Croisant-Rust „Das Hochzeitsfest", in der die Polizei sich sittlich verlegt fühlte, beschlagnahmt. Ebenfalls verlegt fühlte sich die Polizei durch die jüngst erschienene Anthologie der Münchener Modernen Modernes Leben“. Beiträge von Otto Julius Bierbaum, Julius Brand, M. G. Conrad und Oskar Panizza wurden beanstandet, und das ganze Werk auf Grund der Parapraphen 166 und 184 des R.-.-G.-B. konfiszirt.

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Aus dem Nachlasse Heinrich Schliemanns wird die Deutsche Revue in ihrem Oktoberheft eine Menge ungedruckter Briefe veröffentlichen.

Von Ludwig Fulda ist ein neues vieraktiges Schauspiel „Die Sklavin" vom Deutschen Theater zur Aufführung angenommen worden und wird als nächste Novität zur Aufführung kommen. Das Stück spielt in Berlin und behandelt ein Thema aus dem ehelichen Leben unjerer Mittelstände.

Unter dem Nachlasse von I. V. Scheffel wurden eine größere Menge Manuskripte endeckt, die sehr wertvolle, zum Teil völlig unbekannte Gedichte enthalten. Unter den leyteren befinden sich 21 Lieder,

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Ein neus Schauspiel Der freie Wille" von Hermann Faber (Rechtsanwalt Goldschmidt in Frankfurt a. M.) soll im nächsten Monat im münchener Hoftheater aufgeführt werden.

Die internationale Kunstausstellung in Berlin ist Sonntag, den 20. September, geschlossen worden.

August Effenwein, der Direktor des germanischen Museums, der sein Amt seit 1866 an dem damals neu gegründeten Institut bekleidete, hat seine Tätigkeit niedergelegt und sich nach Baden-Baden zurückgezogen.

„Der kommende Tag" ist der Titel eines neuen vieraktigen Schauspiels von Hugo Lubliner. Das Drama soll demnächst im Königlichen Schauspielhause zur Aufführung gelangen.

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Von dänischen Dichtern haben Holger Drachmann ein Drama Esther", Ernst v. d. Recke ein historisches Trauerspiel „Die Herzogin von Burgund" und Einar Christiansen, dessen Erzählung Lotte" auch in Deutschland bekannt geworden ist und dessen Stück Folkesnak (Klatsch) ganz im modernen Geiste gehalten war, eine Märchendichtung „Peter Plus" geschrieben.

Ibsens Bund der Jugend", das am 18. Oktober 1869 zum ersten Male über die Bretter ging, hat am 14. September im National-Theater zu Christiania die hundertste Aufführung erlebt.

Mit des Grafen Leo Tolstojs Kolonien soll es recht schlecht stehen. Die Landwirtschaft gedeiht nicht, und die Tolstojaner kommen immer mehr in den Ruf, ganz gewöhnliche Menschen zu sein, die mehr reden als ihre ganze Sache wert ist. Der Grundsay des Nicht-Widerstehens wird zwar hoch in Ehren gehalten, indeffen wie das erst neulich vorgekommen sein soll auch von Leuten, welche die guten Schwärmer arg betrügen und bestehlen. Werden diese neuen Interpreten von des Grafen Lehre ertappt, dann haben fie jederzeit die Entschuldigung, daß sie dem Bösen nicht widerstrebt haben.

Der Herausgeber der gesamten Werke Edgar Poes, John H. Ingram, beabsichtigt in einer englischen Kollektion eine Biographie des amerikanischen Dichters zu veröffentlichen, der er eine chronologische Liste seiner Schriften beigeben will.

Im Oktober und Novemberheft der New Review wird eine bisher unveröffentlichte Schrift von Thomas Carlyle, in welcher derselbe eine Reise noch Paris im Jahre 1851 schildert, veröffentlicht werden. Außerdem soll in nächster Zeit von dem feinsinnigen Kritiker ein ebenfalls noch unveröffentlichtes Romanfragment erscheinen, in dem Zeitgenossen oder Bekannte Carlyles behandelt werden.

Litterarische Neuigkeiten.

Franz Muncker, Richard Wagner-Biographie.

Wenn ich die 128 S. lange Arbeit Munckers eine „Biographie“ nenne, so sage ich damit eigentlich zu viel; fie ist eine umfangreichere Studie; Munder nennt sie selbst eine Skizze und verspricht uns eine ausführliche Darstellung des Gegenstandes für spätere Zeit, aber dennoch erscheint diese, troz reicher äußerer Ausstattung anspruchslos auftretende Studie als das Abgerundetste, Beste, was in einheitlicher

Fassung über das Denken und Wirken, das Kämpfen und Leiden des bedeutenden Lichter-Komponisten bisher geschrieben worden ist.

Munder stand als geborner Bayreuther und Sohn des um die Wagner-Sache so vielfach verdienten Bürgermeincrs jener geweihten Stadt zu Wagner in einem herzlichen, fast freundschaftlichen Verhältnis; er hatte Gelegenheit, den viel verleumdeten Mann aus nächster Nähe und in vielen Zügen zu beobachten und fühlte frühzeitig das Bedürfnis, sich in die Welt Wagners zu vertiefen. Dabei wußte er, was hoch angerechnet werden muß, bei aller Begeisterung für den Künstler und Menschen sich stets eine feste Unabhängigkeit zu wahren, die ihn vor vielen anderen befähigte, objektiv zu urteilen. Munder ist kein bedingungsloser Wagnerianer, er ist der warme, von der Größe seines verehrten Lieblings erfüllte Wagnerkenner und Wagnerfreund, aber er ist weder Wagnerfanatiker noch Wagnerzelot. Seine vornehme, ruhige Art, über Wagner und alles, was mit ihm in Beziehung steht, zu sprechen, wirkt woltuend und dürfte auch in Kreisen, wo man sich noch immer nicht sonderlich mit dem streitbaren Revolutionär befreunden kann, angenehm berühren.

Vielleicht hätte dort und hier das eigentlich Streitbare in Wagner, das, was die zeitgenössische Welt vielleicht am meisten in Aufruhr brachte und am meisten dazu beitrug, dem Opernreformator so viel erbitterte Feindschaft zu wecken, etwas mehr in Beleuchtung gebracht werden können aber Muncker scheint aus wolerwogenen Gründen hier zurückhaltend geblieben zu sein jedenfalls hat er durch dieses taktvolle Vermeiden aller starken, bei den Wagnerianern der alten Schule so sehr beliebten Lichteffekte seiner Schrift sehr genügt, die sich wie ein kleines Kunstwerk liest.

Es würde mich hier zu weit führen, wenn ich äußerlich auf die Schrift eingehen wollte; bemerken will ich nur, daß das Hauptverdienst derselben in der Zusammenstellung aller Quellen besteht, welche dem Tondichter Wagner geflossen sind. In dieser Beziehung liefert uns Muncker die interessantesten Takte, die jeder Wagnerfreund mit Vergnügen in sich aufnehmen wird.

Daß schließlich das hellste Licht auf das Werk Wagners fällt, welches mit dem Namen „Bayreuth“ erschöpfend gekennzeichnet werden kann, wird niemand dem Bayreuther Muncker verargen, um so weniger, als dieser Lokal-Enthusiasmus taktvoll in die Erscheinung tritt.

So bietet denn die verdienstvolle und sehr empfehlenswerte Schrift nichts, wogegen sich polemisiren ließe, wogegen man sich auflehnen möchte, nur die eine Bemerkung, in der den Dramatikern unserer Zeit vorgeworfen wird, daß sie so wenig Neigung zeigten, von dem Dramatiker Wagner zu lernen, könnte zu einer Entgegnung herausfordern, die ich hier zum Schluß in ein allgemein sächliches Gewand fleiden möchte.

Es wird selten beachtet und ist auch von Muncker ganz außer Acht gelassen worden, daß der Doppelkünstler Wagner nicht an einem Strange zieht, um einen landläufigen Ausdruck zu gebrauchen. Während Wagner als Musiker, troz seiner zweideutig launigen Bemerkung, daß er „reaktionär bis zu Beethoven zurück“ sei, durchaus der Modernsten einer ist, und dadurch so überwältigend auf die moderne Welt wirkt, ist er als Dichter und Schriftsteller nichts weniger als modern, von den befreienden Tendenzen einer neuen, halb noch im Wenden begriffenen Welt erfüllt er ist auch, ungeachtet seines Ehrgeizes, oder soll man sagen seiner Eitelkeit, überall mitsprechen zu wollen, durchaus keine eigentlich selbständige geistige Persönlichkeit. Ursprünglich ein Erbe der Romantik mit ihren verschwommenen Idealen und überhigt-mystischen Tendenzen, läßt er sich von einem Hauch Feuerbachischen Geistes aufliegen, liest dann Schopenhauer und namentlich dessen angenehme Betrachtungen über das Genie und die Heiligkeit der Musik, läßt sich von ihm die Herrlichkeit des „Mitleids" offenbaren und sinkt schließlich wieder ganz in die christliche Mystik zurück, zugleich die naturwidrige Askese als das höchste Gut des Menschen predigend freilich auch als Künstler predigend, und mit so viel poetisch-musikalischem Reiz, daß man sich das Unheilvolle dieser Predigt kaum zum Bewußtsein bringt, solange man im Banne des Künstlers steht. Er versteht sich so wenig auf das, was unsere feine gerade Sittlichkeit fordert und forden muß, daß er uns in der Walküre" die Geschwisterehe zumutet nur weil sie eben in der alten, einem tiefen Kulturstand angehörenden Mythe auch eine Rolle spielt; und seine Rattenfängerkunst umnebelt uns so völlig, daß wir auch das kaum von uns abzuweisen vermögen. Aber darin gerade liegt die Gefahr, oder vielmehr darin läge sie, wenn wir nicht kopflos, sondern mit einer Besonnenheit, wie sie modernen Menschen wol anstände, uns in den geistigen Gehalt dieser Dichtungen versenkten und dann doch uns von ihnen erbauen ließen. Das aber geschieht nicht und so rettet der große moderne Musiker den antiquirten Dichter. Was aber seine dramatischen Qualitäten anbetrifft, so sind sie in seinen wirksamsten Werken mehr theatralischer Art später gefällt er sich immer mehr in einer breiten, fast tragisch gehaltenen Manie, die das gerade Gegenteil von Dramatisch ist, und nur durch den zaubervollen Schleier der Wagnerschen Musik den Zuschauer vor unerträglicher Langeweile bewahrt. Seine Dichtungen lesen sich aus diesem Grunde, tro mancher Absonderlichkeiten, gut. Der Fort entwickelung unseres Dramas, das in seiner eigentlichen Gestalt noch

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George Rodenbach, Le Règne du silence, Poème 8o und 236 S. Paris, Bibliothèque-Charpentier. 1891.

George Rodenbach gehört litterarisch zu „Jung-Frankreich". Er ist zwar keiner der Magier wie Joséphin Péladan oder Paul Adam und man kann ihn auch nicht recht zu den Décadenten rechnen, weder zu der Gruppe Stephan Mallarmé noch zu derjenigen Maeterlinc. Indessen dem letteren ist er verwant, der zerfließenden Melancholie nach und nach dem Wolgefallen an Duft, Farbe und Stimmung. Jedoch läßt George Rodenbach nicht in der Weise wie der „belgische Shakespeare" seiner Phantasie die Zügel schießen. Es sind im ganzen sehr konkrete und reale Gegenstände, die G. Rodenbach in seinem Poème" besingt. In dem ersten längeren Gedichte nimmt er zum Beispiel sein Zimmer vor und besingt ein jedes Gerät desselben, den Spiegel, der die Liebe ist, die Schwesterseele des Zimmers, wo alles von ihm: der Kronenleuchter, die alten Truhen, die Statue mit dem gewölbten Bronzerücken sich widerspiegelt in stiller Ehegemeinschaft“, und er besingt das Piano, den Lüster und so weiter. Sicher ist die Dichtung Rodenbachs eine sehr interessante Studie, ein Versuch, den dichterischen Kern aus jedem Gegenstand der Umgebung heraus zuschälen, dieselbe poetisch auszumünzen. Und man kann sagen, daß der französische Dichter seiner Aufgabe mit viel Anmut gerecht wird. Indeffen man merkt zu sehr, daß er sich eine Aufgabe gestellt hat, die Schilderungen und Aufzählungen werden am Ende monoton und der elegische, melancholische, etwas weltschmerzliche Ton, der das Gedicht durchklingt, wirkt leicht ermüdend. Im Ganzen ein Buch für litterarische Aristokraten, eine Lektüre in Stunden, die selten kommen, ein Buch, das man eigentlich lesen müßte", aber für das man niemals Zeit hat. C. 6.

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K. Gedan: Ein Mörder. Schauspiel in einem Aufzuge. Basel. Benno Schwabe, Verlagsbuchhandlung. 1891.

K. Gedan beruft sich auf dem Titelblatt auf ein früheres Werk: Francesco Carraciolo. Ob er sich bei späteren Veröffentlichungen auch als Verfasser des Schauspiels „Ein Mörder" bekennen wird? In seinem Interesse wäre es nicht ratsam, da es kaum eine besondere Empfehlung wäre. Das vorliegende Werk ist weder sprachlich noch inhaltlich von irgend welcher Bedeutung.

Der Stabsarzt Dr Seyfried hatte sich, kurz vor seiner Heirat, eine Wechselfälschung erlaubt unter gütiger Mitwirkung des Bankiers Hagner, welcher seine Firma mit auf den falschen Wechsel gesezt hatte. Die Frau des Doktors hatte später, nach der reuevollen Beichte ihres Mannes, ihr Vermögen hingegeben, um den Wechsel zu bezahlen. Jezt ist der Bankier in die Verlegenheit gekommen, den Doktor an seine Dankbarkeit zu mahnen und zu verlangen, daß er denselben Liebesdienst zu seinen Gunsten wiederhole. Als der Stabsarzt sich weigert, droht er unter Vorzeigung des seiner Zeit ge fälschten Wechsels, den er zwar zu vernichten versprach, aber heute noch nach drei Jahren in seiner Brieftasche trägt, die Fälschung erzwingen zu wollen. Diese Handlungsweise empört den Doktor derart, daß er kurz entschlossen den Bankier beim Hinausgehen erschießt mit einer Salon-Scheibenpistole", über deren unfehlbare Wirkung er kurz vorher seiner Frau einen Vortrag gehalten hat. Frau Dr. Klotilde Seyfried ist außer sich über die Handlungsweise ihres Gatten. Dieser will aber Weib und Kind unter den Folgen seiner Tat nicht leiden lassen, schickt nach einem Polizei-Offizier“ und lügt demselben einfach vor, daß er den Ermordeten durch ein unangenehmes Versehen erschossen habe. Der Beamte ist so liebenswürdig, sich mit dieser Erklärung vollständig zufrieden zu geben, sieht durchaus keine Notwendigkeit, den Doktor zu verhaften, sondern bittet nur um die Gefälligkeit, das Zimmer und den Toten ganz unverändert zu lassen, bis der Herr Untersuchungsrichter erscheint". Jedenfalls wird „der Mörder“ befriedigter über den Verlauf seiner Angelegenheit sein, als der Leser des Schauspiels bezw. das Publikum. F.

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Verantw.: Dr. Curt Pfüße - Grottewiß, Berlin. Verlag von F. & P. Lehmann, Berlin W., Körnerstr. 2. Gedruckt bei R. Gensch, Berlin SW.

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Erscheint jeden Sonnabend.

Redaktion: Berlin W., Körner - Straße 2.

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Preis 4 Mart vierteljährlich. Bestellungen werden von jeder Buchhandlung, jedem Postamt (Nr. 3589 der Postzeitungsliste), sowie vom Verlage des „Magazins“ entgegengenommen. Anzeigen 40 Pfg. die dreigespaltene Petitzeile. ∞ Preiß der Einzelnummer: 40 Pfg. &

60. Jahrgang.

Berlin, den 3. Oktober 1891.

Nr. 40.

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Juhalt: Clara Lauckner: Die ersten Weidenkäßchen. Karl Blind: Der theosophische Wahnsinn in England. Detlev Baron von Liliencron: Beim Erwachen. Otto Julius Bierbaum: Vom münchner Salon. Alfred Kerr: Strindberg als Bauernnovellist. — Theater von Frit Mauthner: Karl Emil Franzos' „Der Präsident"; Paul Lindaus „Sonne". Litterarische Alphonse Daudet: Eine Komödiantenehe. Chronik. Litterarische Neuigkeiten: Anatole Frances,,Vie littéraire", besprochen von A. B.; Marradis ,,Canti nuovi" und Froißheims „Lenz und Goethe“, besprochen von C. Grottewiß; Richters Deutsche Redensarten“, besprochen von L. Freytag.

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Auszugsweiser Nachdruck sämmtlicher Artikel, außer den novellistischen und dramatischen, unter genauer Quellenangabe gestattet. Unbefugter Nachdruck wird auf Grund der Gesetze und Verträge verfolgt.

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Die ersten Weidenkäßchen! Sie neigten sich über den Rand eines schlanken Kelchglases und fahen fremd unter den blaßrosa Ammonen, den gelben Kamillen und den großblumigen Veilchen der Riviera aus, mit denen man sie zusammengesteckt hatte...

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Austern, Cliquot rosé", las mein Nachbar vom Menu ab; — und ein halb unbewußter, flüchtiger Blick auf die schönen Frauen, auf die behaglichen Gesichter der Männer lehrte mich, daß sie alle, wie sie da anwesend waren, den kommenden Genüffen der Tafel durchaus nicht abgeneigt sein würden, daß die natives, die man eben reichte, und der rosige Schaumwein, der schon in den Schalen perlte, ihren dahin wirkenden Einfluß zu üben begannen. Man erwartete berechtigter Man erwartete berechtigter Weise ein gutes Diner, und was giebt es schöneres im Menschenleben, als die Erwartung eines geschmack | vollen Mittagessens?

Hatte das eben jemand ausgesprochen? Ich glaube wol, daß mein guter Freund, der Stadtrat Wöller, und mit ihm die meisten der Tafelrunde, die Damen nicht ausgenommen, ein solches Glaubensbekenntnis aus vollster Ueberzeugung ablegen würden.

Vielleicht haben sie recht. Es giebt Minuten, in denen ich mich ihnen anschließe, in denen ich mit demselben Behagen den Bart von meinen Austern entferne und mit einer gewissen Inbrunst meinen Yquem oder Cliquot dazu schlürfe, während das schönheitsdurstige Auge be- | friedigt von den satten Farben der harmonisch abgestimmten Umgebung zu den schönen, üppigen Frauen, und von ihnen zu dem selbstverständlich künstlerisch ausgeführten Menu schweift, das die raffinirtesten Tafelfreuden ver heißt... Ein Rausch, eine Anhäufung von Behagen und Genußfreude ist es wol, - ich habe es sogar verstehen können, daß in das Auge des alten, schon vorhin

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Und wahrhaftig, darüber fange ich an zu träumen, mich zu erinnern, noch weiß ich nicht an was, - aber es flattert da etwas Unbestimmtes, wie ein Ton aus einer verlorenen Melodie in meinen Gedanken auf, und nun nehmen Sie wahrhaftig von diesem Hammelrücken nicht?" höre ich meine Nachbarin noch fragen, ich höre etwas von Tomaten und Artischocken aber dann klingt das Stimmengewirr, das Gläserklirren nur wie entferntes Geräusch, das künstliche Licht der Gaskrone erlischt, und nun ich habe es, das Bild, ich habe die Erinnerung, die sich eben so dringend in mir regte, als ich die grauen Weidenknospen vor mir sah..

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Und dieser köstliche Hauch des Lebens, der aus jedem Erdkloß bricht, der aus jedem Busch dringt, lieber Gott, wie ein Rausch faßt er die Gedanken und wirbelt sie in die Höhe, weit, weit hinauf, über allen Staub, alles Irdische hinweg.

Man fühlt es, man hat Flügel, gewiß und wahr haftig, aber es fehlt die Fähigkeit sie zu brauchen.. Oder doch nicht? Kann man nicht etwas tun, irgend etwas unendlich Großes und Gutes? Was - was? . . Den ausgefahrenen Landweg hinab kam ein leichter | Wagen gefahren. Da waren meine Gedanken mit einem Sage wieder auf der Erde bei den schönen, gutgenährten Braunen, die wolbekannten, die ich selbst oft gelenkt, denen ich dieses Mal noch nicht guten Tag gesagt hatte, weil ich erst seit gestern auf Ferien war.

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„Hurrah!“ Ich schwenkte meine Müße, sprang über den Graben und wartete, bis sie hielten, Nachbar Kühn, der kleine Viehhändler Grundtner und da auch das großgewordene Mädel, die Grete, die mich mit ihren lachenden braunen Augen schon von weiten grüßt... Willkommen, willkommen" rief nun der Vater mit seinem gutmütigen Baß. „Na, Junge, das lobe ich mir, eben nach Hause gekommen und gleich auf dem Acker. Was für ein Landwirt wäre aus dir geworden, schade, schade, daß _du_dir_schließlich das Stüdiren in den Kopf gesetzt hast... Steige mit auf, die Grete will hier so wie so herunter und nach Althof." Da gehe ich lieber mit", sagte ich, wenn Grete will.“ Sie war von dem Wagen gesprungen, und wir sahen uns erstaunt in die Augen.

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„Einen Bart hast du bekommen“, sagte sie.

Und du bist mir beinahe über den Kopf gewachsen.“ Sie richtete fich in ihrer ganzen, schlanken Höhe auf, als ob sie sich noch weiter ausdehnen wollte.

Der Vater nickte und nahm die Zügel fester.

Gut, bringe nur das Mädel über den althöfer Weg nach dem Vorwerk“, sagte er. „Ich habe da mit Meister Ich habe da mit Meister Grundtner eine Stunde oder so zu tun. Du könntest dann_hernach noch mit herunter nach der Winterung.

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Die Braunen zogen an, und so schnell es bei dem lehmigen Wege möglich, rollte der Wagen davon.

Grete und ich standen einen Augenblick noch am Wegrande, und nun gingen wir hintereinander den schmalen Pfad nach dem kleinen Abbau Althof. Was willst du da?" fragte ich.

besuchen? Und du, den Korb trage ich

Etwa Kranke

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,,Nein, - warum? Er muß auch sehr vorsichtig getragen werden, es sind allerlei gute Sachen für die und du, du bist immer so,

alte Wintern darin so rasch!..."

„Das fagst du, die wildeste Kaze auf Gottes Erd

boden?"

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Sie sind so lieb," sagte sie. „Und so geheimnisvoll: Alles schläft noch draußen, nur sie drängen sich vor und gucken sich die Welt an, wie sie im Winter aussieht. und klug sind sie. Einen warmen Pelz" bringen sie mit und kommen nicht im dünnen Tanzkleide, wie die armen dummen Dinger, die Schneeglöckchen..."

„Ja," meinte ich, wenn man es nicht wüßte, könnte man es nicht ahnen, daß grüne Blätter daraus werden." Grete sah mich groß und träumerisch an.

,,Weißt du, eigentlich sind die schmalen Blätter doch lange nicht so schön, wie diese weichen, silbergrauen Knospen..."

so im Leben. Man erwartet von den „Ja, Grete,“ sagte ich sententiös. weit mehr, als sie schließlich bringen. noch nicht erfahren?"

meisten Dingen „Das ist immer Hast du das denn

immer viel, viel schöner, als ich es mir vorher ausdenke." Grete lachte. Wie sollte ich wol? Ich finde alles

Im Grunde ging es mir auch so, und weil die Frühlingssonne so hell schien und die Lerchen jubelten heißungsvoller Knospen, und strahlend wie der Frühling und Grete Kühn, schlank und schön, den Arm voller verselbst, vor mir ging, gestand ich es auch ein. „Ja, Grete, es ist sehr schön auf der Welt." „Und es wird noch viel, viel schöner,“ sagte sie

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Weiß ich's, Grete? Aber ich denke viel. Ich denke, ich werde ein berühmter Arzt werden und große dann werde ich den Menschen helfen, wo ich kann. In Entdeckungen machen, ich habe schon eine Idee. Und der ganzen Welt werden sie mich vielleicht einmal kennen und sequen, ach, ich fühle es, - - ich werde ein sehr, sehr glücklicher Mensch sein..."

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Weißt du, was ich mir denke?" fragte sie schüchtern, und ich hörte anfangs nur halb darauf hin, so sehr war ich in meine unklaren, aber schönen Träume von meiner einstigen Größe vertieft.

Sieh, - all die Häuser da“ fie zeigte auf die elenden Hütten des nähen Althof, denen selbst der strahlende Frühlingstag nichts von ihrer Trostlosigkeit zu nehmen imstande war — „die alle sollen ausgebaut werden eins nach dem andern, und ein Gärtchen davor, mit Rosen und Lilien. Und die Instleute darin sollen ihr reichliches, gutes Effen haben und Pflege, wenn sie frank find, -und abends sollen die Männer nicht im Krug fizen, sondern hier in ihren hübschen Wohnungen, oder einmal in der Woche oben bei mir, und ich, ach,

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Ein leiser Fächerschlag berührt meinen Arm, und nun ist meine Vision verschwunden. Verloschen die Frühlingssonne, verklungen die frische Mädchen- | stimme, verweht die Jugendträume . . .

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Nein Doktor, es ist einfach unerhört," sagt meine Nachbarin. Sie fißen ja wie der steinernde Gast da. Sie haben den Karpfen mit der delikaten Kaviarsauce vorübergehen lassen und den 68. Rauentaler, den ich für Sie mitgenommen, nicht einmal angesehen. Jezt muß ich energisch für Sie sorgen, erlauben Sie mir, Ihnen ein gutes Stück von diesem Perlhuhn vorzulegen, und trinken Sie, Doktor, trinken Sie, es ist meines Mannes beste Marke von Heidsieck-Monopole, der beste Sorgen brecher wenn ein berühmter Mann wie Sie, obenein ein Junggeselle, der das Leben ohne jede Verantwortung genießen darf, etwa von Sorgen geplagt sein sollte...

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Ich höre von den sprudelnden Worten nur eins ein berühmter Mann, wie Sie" und nun lache ich und nun lache ich - und trinke und schwate Ein berühmter Mann ja wol, berühmter und sehr gesuchter Frauenarzt in meiner Vaterstadt, Haupt- und Residenzstadt Königsberg - ein berühmter ein berühmter Mann die ganze Welt sollte ihn einmal segnen. . . Aber wie ist es denn mit den anderen?

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Wo sind die schmucken Gasthäuser mit den Gärtchen davor wo ist der Mann, der das alles einmal so viel besser verstehen sollte, als das träumende Kind, das mit dem Proviantkörbchen in der Hand, und den Arm voller knospender Weidenruten, zu den Kranken des heimatlichen Dorfes ging?.

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Ich dinire an seinem Tisch, ich höre ihn eben sagen, als die frischen Trüffeln zum zweiten Mal gereicht werden: der burgunder Corton — alle Achtung meine Herrschaften, - aber Trüffeln sollten zum zweiten Mal nicht gegeben werden, das beste ist doch schon abgedampft" - und da hebe ich zum ersten Mal nach meiner kleinen Vision meine Blicke zu der Frau dieses Mannes, meiner Nachbarin Frau Grete sit in der reifen, sommerlichen Schönheit einer bewußten, gefeierten Frau neben mir, und ich betrachte sie eine Weile stumm.

mit

Eben pflückt sie Traubrosinen vom Stengel den schlanken Händen, die damals, braun und ungepflegt, liebfosend über das Weidengebüsch strichen - und wie ich daran denke, kommt plöblich ein heißes, drängendes Wehgefühl über mich — eine unbezwingbare Sehnsucht nach was? Nach den verlorenen Flügeln, vielleicht? Mit einer herausfordernden Bewegung reiße ich eins der schlanken Weidenästchen aus dem Blumenglase und halte es der schönen Frau entgegen

Und sie seht das Glas Malaga, an dem sie eben genippt, langsam auf den Tisch und sieht mich voll an, wie ich sie, und auch ihr wird die Erinnerung an den längst vergangenen Frühlingstag wach...

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Einen kurzen träumerischen Blick wirft sie auf die grauen, glänzenden Knospen, dann zuckt sie mit den Achseln und sagt halb traurig, halb ironisch lächelnd: „Es werden doch immer nur Weidenblätter daraus."

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Der theosophische Wahnsinn in England.

Von

Harl Blind.

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Wie lange ist das her?" fragt ihn der DänenPrinz. Antwort: Wißt ihr das nicht? Das weiß jeder Narr. Es war denselben Tag, wo der junge Hamlet geboren ward, der nun toll geworden und nach England geschickt ist." Ei so! Warum haben sie ihn nach England geschickt?" Nu, weil er toll war. Er soll seinen Verstand da wieder kriegen; und wenn er ihn nicht wieder friegt, so tuts da nicht viel " Warum?" „Man wirds ihm da nicht viel anmerken: Die Leute sind da ebenso toll wie er." toll_wie

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Es giebt freilich auch ein anderes England: das England der Darwin, der Hurley, der Tyndall, der Lubbock, der Herbert Spencer. Aber dieses hat jenen hirnverbrannten Schwärmereien gegenüber oft einen schweren Stand und leider nicht etwa nur in den Kreisen der Ungebildeten. Das Schlimmste ist, daß unter den Freidenkern in England, deren es in Wahrheit doch mehr giebt, als man vielleicht nach dem äußeren Anschein meinen sollte, so wenige in der Oeffentlichkeit den vollen Mut der inneren Ueberzeugung haben. Höchst vorteilhaft zeichnet sich in dieser Beziehung Englands größter lebender Naturforscher, Professor Hurley, aus, der auch dem theologisch ganz mittelalterlich vernagelten, an die albernsten Wunder glaubenden Gladstone mit gebührender Schärfe zu Leibe gegangen ist. In einem schriftstellerischen Turnier, welches in der Monatsschrift Nineteenth Century" stattfand, hat der hervorragende Mann der Wissenschaft seinen Gegner in der köstlichsten Weise auf den Sand gesett.

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Daß am Ende des neunzehnten Jahrhunderts solcher Kulturkampf gegen einen Parteiführer gekämpft werden mußte, der als Ausbund des Freisinns gelten will, ist traurig genug. Gladstones nenester Freifinn besteht indeffen darin, daß er, der einst die Parnellsche Liga als eine Verschwörung der verbrecherischsten Reichsfeinde brandmarkte ind verfolgte, heute Irland mit einem Sonderparlament und einer eigenen Regierung begaben möchte, welche tatsächlich die Insel zu einem römischen Kirchenstaat machen würden.

Hier haben wir wiederum das Maß des „Liberalismus“ eines Mannes, der als hochkirchlicher Ritualist so sehr zu den Dunkelmännern zählt, daß er, gleich einem Vaticanisten, sogar die Ehescheidung grundsäßlich verwirft. „In den ersten Jahrhunderten ihres Bestandes," behauptet Gladstone, ist das leuchtende Gewand der Kirche nicht

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