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plaß mit der seltsamen Kirche, über die hölzerne Brücke des kleinen gurgelnden Fluffes, an deffen Lauf wir so oft entlang gewandert waren, ein kurzes Stück den Hügel hinauf zum Friedhof, der im letzten Abendsonnenscheine ruht.

Dort ruht auch sie. Langsam zwischen den endlosen Gräberreihen schreite ich dahin; ich muß suchen, bis ich die Stätte gefunden habe. Der Gärtner ist gerade dabei, das Grab zu begießen, und die eiserne Gittertür steht offen. Eine Zeitlang betrachte ich den blumengeschmückten Hügel mit dem einfachen Marmorblock; dann rufe ich den Gärtner herbei, spreche mit ihm und ordne die sorgfältigste Pflege an.

Das alles beruhigt mich ungemein.

Ich denke zurück, wie zufrieden und glücklich ich in der Zeit gewesen war, und was ich alles an ihr verloren hatte.

Ich wanderte über den Friedhof, die schnurgerade, sauber geharfte Akazienallee hin, und setzte mich unter eine Traueresche, deren müde Zweige den Boden fast be rührten, auf eine Bank.

Wie still und friedlich es hier war, indeß die schläfrige Sonne langsam hinter dem Horizonte versank und drunten das Städtchen und der schmale Fluß im leßten Sonnenstrahl noch einmal aufleuchteten.

Blumenduft wogte um mich, und in den Gebüschen flatterten und raschelten müde Vögel, die ihr Nest suchten. Ich sah den Weg himnter, — und schrak zusammen. So hatte es mich noch nie gepackt.

Das perlgrane Kleid und der rote Sonnenschirm! . . Im nächsten Augenblicke aber hatte ich mich gezwungen, fißen zu bleiben, denn ich wollte, und es gelang mir, mich zu beherrschen.

Dort an dem Taxus konnte ich ja die Stelle sehen, wo ihr Grab lag. Dorthin blickte ich).

Indessen kam die junge Dame näher, und schon von weitem sah ich hellblondes Haar, und daß gar keine Aehnlichkeit vorhanden war, aber auch gar keine.

Sie ging langsam an mir vorüber, und ich folgte ihr lange mit den Blicken. . . .

Dann, da es Dämmerung wurde, stand ich auf, ging

noch einmal zu ihr, brach mir ein paar Blumen von der Stelle, wo sie nun für immer lag, und verließ langsam den Friedhof....

In derselben Nacht kehrte ich heim.

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Die Reise ließ bald ihre heilsamen Folgen erkennen.
Jene Beseffenheit ließ allmälig nach.

Ich hatte einmal meinem Arzte eine leichte Andeutung gemacht, allein er legte der Sache damals so wenig Be

deutung bei, daß ich später davon geschwiegen hatte.

Jetzt war ich froh, daß es vorüber war.

Und dann endlich, nachdem Wochen und Monate ver

floffen waren und ich in meiner Arbeit die Heilung ge funden hatte gegen meine überreizten Nerven, fand ich eine wirkliche Aehnlichkeit mit der früheren Geliebten; und dieses Mal erschrak ich nicht im mindesten.

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Ich fühlte es erst ganz allmählich heraus, wie sie ihr glich, im Ausdruck des Auges, in der Haltung des | Kopfes, und vor allem in der Art zu sprechen.

So kam es vielleicht, daß ich nach und nach immer mehr Gleichartiges entdeckte, oder wol auch hineintrug. So, ganz langsam, gewann ich sie lieb, da ich die verlorene in ihr wieder zu finden meinte.

Mein Erinnerungsbild deckte sich mehr und mehr mit der Wirklichkeit, bis ich meine Empfindungen nicht mehr trennen konnte.

Anfangs, als Entschuldigung, bekräftigte ich es mir wieder und wieder, daß ich in ihr nur die andere liebte, aber zuweilen hatte ich das Gefühl, als ob die Tode doch nicht mehr gegen die Lebende aufkommen konnte. —

Immer werde ich an die Vergangenheit erinnert, aber nie mehr in trauriger Weise. Denn seit die Lebende. mein Weib geworden ist und nun im Hause schon zwei Kinder ihr Wesen treiben, ist alles ganz anders; deshalb wol am meisten, weil sie so überaus verständig ist; und als ich ihr einmal, noch in jener Zeit, als ich um sie warb, die Geschichte erzählte, da bestand sie darauf, daß jenes große Bild, vor dem ich so oft einsam geseffen habe, nicht wie ich wollte, fortgeschafft wurde, sondern seinen Plak behielt, ruhig den Plaß behielt, den es bis dahin eingenommen hatte.

Und das scheint mir immer ein Art entwaffender Sühne zu sein gegen die Tote, die ich niemals vergessen kann, da ich so viel von ihrem Wesen in dem meines Weibes wiedergefunden habe.

Theater.

Von

Fritz Mauthner.

„Der blaue Brief".)

(Zum Körner-Tag. Wer in den Broschüren-Enthusiasmus für den liebens

würdigen Dichter des „Zriny" nicht einzustimmen vermag,

der kann leicht in den Verdacht geraten, er habe kein Herz für die Romantik der Freiheitskriege. Denn wie eine schöne Verkörperung der jugendlichen Helden jener Tage erscheint uns in seinen Soldatenliedern und "selbst auf seinem Bilde Theodor Körner. So wie er etwa waren die deutschen Studenten eingekleidet, als das Volk aufstand und der Sturm losbrach, so wie er blickten gewiß die Bravsten und Hübschesten unter ihnen im Sommer 1813.

Der lette große Krieg gegen Frankreich hat uns ja unendlich mehr errungen; was in den Freiheitskriegen dänimerte, das ist vor zwanzig Jahren taghelle Wirklichnur in den besten Köpfen als leztes Ziel des Kampfes

feit geworden. Und trotzdem sind die legendarischen Heldengestalten der Freiheitskriege selbst durch Moltke nicht verdunkelt worden. Blücher ist eine volkstümlichere Siegeseinzug von 1866 bei der Statue des „ollen Blücher" Gestalt; es ist symbolisch, daß König Wilhelm beim vorbeidefiliren ließ. Blücher hieß wie der alte Friß noch bei Lebzeiten der alte Blücher", Kaiser Wilhelm „der alte Wilhelm"; Moltke wurde neunzig Jahre alt, aber er

hieß niemals „der olle Moltke". Die Kriegsgeschichte | wird die Siege von Weißenburg bis Paris wahrscheinlich höher bewerten, als die der Freiheitskriege. In der Geschichte der Poesie bilden die Jahre 1870-71 feinen Einschnitt.

Das ist ja natürlich. Der letzte Krieg war von dem genialsten Diplomaten des Jahrhunderts als notwendig für die Einigung anerkannt und mit überlegener Klugheit vorbereitet worden; dann wurde er von dem elegantesten Strategen durchgeführt wie eine Schachpartie. Daß Hunderttausende dabei stille Heldentaten verrichteten, war ihre verdaminte Pflicht und Schuldigkeit und sie taten ihre Pflicht in Reih und Glied.

Aus Reih und Glied heraus aber mußte treten, wer gegen den genialen Napoleon kämpfen wollte. Andreas Hofer, Schill, York, sie fanden, oder wagten wenigstens, den Tod von Verbrechern. Wie die Schaar des Majors von Schill, so war auch Lüßows wilde verwegene Jagd vom Franzosenkaiser außerhalb des Völkerrechts gestellt. Es war doppelte Tapferkeit, so den Krieg zu führen, außer Reih und Glied, jeder einzelne ein Held.

Die Kriegspoesie von 70/71 hat der Litteratur nichts geschenkt als ein paar lustige Strophen im höheren Blöd-| finnsstil Scheffels. Das Kutschkelied wird bleiben, länger | wenigstens als die großen Schlachtgedichte Wildenbruchs. | Die Freiheitskriege wurden durch gewaltige Dichtungen schon angekündigt und gefördert, durch Schiller und durch Heinrich von Kleist. Als der deutsche Zorngott aber end lich losbrach, ein Schloffenwetter, und Blize ließ sein Antlik speien," da war Schiller tot und Kleist tot, und die warm empfundenen, sehr fangbaren Lieder Körners wurden allgemein gesungen. Sie waren gute Waffen.

Als Körner ein Jahr vor seinem Tode den Erfolg seines Briny" am wiener Burgtheater erlebte und als künftiger Schiller, oder doch wenigstens als künftiger Burgtheater-Dichter hervorgerufen wurde, trat er vor die Rampe und sagte: „Ich fühl' es deutlich in mir, daß ich diesen schönen Zuruf nicht meiner schülerhaften Muse, nein, nur dem schönen Eifer des edlen Künstlervereins und dem begeisterten Andenken an die große Tat einer großen Nation zu verdanken habe." Ganz gewiß ist diese bescheidene Ansprache allzu bescheiden. Aber sollte nach hundert Jahren, heute, der schöne Zuruf nicht wirklich zum größeren Teil aus dem begeisterten Andenken an die große Tat einer großen Nation stammen?

Eine ruhige Antwort auf solche Fragen finden die Leser in unserem gerecht und fein abwägenden KörnerArtikel aus der Feder des Dr. Adolf Hauffen. Wer diese kritische und doch warme Würdigung aufmerksam liest, wird in den unklaren Körner-Enthusiasmus dieser Tage, der in einer kritiklosen Festschrift von Frit Frenzel (Leipzig 1891, Verlag von Mar Sängewald) den Dichter des „Zriny" sogar auf Kosten von Goethe zu erheben wagt, nicht einstimmen. Er wird sich aber vielleicht sagen: Wol größer als Theodor Körner ist mancher Dichter gewesen, aber keiner glücklicher. Schiller hat seine Geburt begrüßt, Goethe sein öffentliches Auftreten. Wilhelm von Humboldt hat ihn gefördert und bedeutende Frauen haben ihn verzogen. Und zu alledem ist er auch noch jung gestorben.

Ich habe vorhin die Bemerkung gemacht, daß der lette große Krieg uns als einzig wertvolle Ausbeute nur humoristische Lieder gebracht. Wer den Humor, so wie er z. B. bei Shakespeare und Cervantes zu finden ist, für das höchste der Poesie hält, der wird diesen Gewinn nicht für gering halten; übrigens ist der Humor in Kriegsliedern schon darum erfreulich, weil er ein Zeichen des Sieges zu sein pflegt. Deroulède hat keinen Humor. Die Franzosen haben sich sogar eine recht traurige Gattung von

Kriegspoesie zurechtgemacht, und selbst ihre talentvollsten Schriftsteller glauben sich mindestens einmal in dieser Gattung versuchen zu müssen, in der es kein Mittelgut giebt. Haß fann große Poesie sein, wie bei Dante und Heinrich von Kleist; selbst die Zornausbrüche Victor Hugos sind noch erträglich. Aber die tendenziösen Darstellungen des französischen Offiziers, wie sie jetzt das Feuilleton französischer Blätter füllen, sind einfach scheußlich. Selbst Maupassant hat in dieser Beziehung furchtbar gesündigt.

Ob er

Die Sieger hatten es bequemer. Seit den Freiheitskriegen war Volk und Heer so miteinander verwachsen, daß in jedem deutschen Hause mindestens ein gedienter Soldat lebte, in den höheren Ständen ein Offizier. Die soziale Stellung des deutschen, des preußischen Offiziers giebt zu vielen Auffäßen Veranlassung und sicherlich ist da noch gegen allerlei Standesvorrechte des Adels zu kämpfen. Das schließt aber nicht aus, daß die ausgezeichnete soziale Stellung eine Tatsache und als Tatfache vom ganzen Volke anerkannt ist. So unangreifbar scheint den Bevorrechteten selbst und dem Volke die Position, daß der preußische Lieutenant von seinen eigenen Verehrern in aller Freundschaft und Gemütlichkeit zur Zielscheibe unendlicher Wiße gemacht wird. Würde ernsthafte Gegnerschaft dahinterstecken oder eine Gefahr für die Vorrechte befürchtet werden, so wäre der Lieutenant gegen solche Scherze empfindlich, wie die Juden seit dem Beginn der Antisemitenbewegung gegen Judenwige empfindlich geworden sind, was doch früher nicht der Fall war. Der preußische Lieutenant aber amüsirt sich göttlich über seine Ebenbilder in den Fliegenden Blättern, selbst wenn die Zeichnung von dem unerbittlichen großen Künstler herrühren sollte, der Oberländer heißt, und der preußische Lieutenant hat sich noch immer königlich amüsirt, wenn er in demselben Sinne auf die Bühne gebracht wurde. dort, von Kadelburg dargestellt, als verfluchter Kerl auftrat, der Weiber verführt, Schulden macht und troßdem nichts als Gott auf der Welt fürchtet, ob er in der komischen Maske von Engels mehr als die Karrikatur unserer Witblätter erschien, immer war der preußische Offizier der Moser, Schönthan u. A. eine Ovation fürs Militär, die durch kleine Neckereien dem Geschmack der Zivilisten angenähert wurde. Denn die Dichter rechneten nicht auf ein Parterre von Offizieren. Man konnte diesen Darstellungen allerlei Vorwürfe nicht ersparen. Der Ernsthafteste vom Standpunkte der Kunst war wol der, daß niemals auch nur der Versuch gemacht worden war, den Lebenskreis der Offiziere etwa so realistisch zu treffen, wie doch in ernsten Dramen und auch in besseren Poffen der Lebensfreis anderer Klaffen realistisch wiedergegeben wurde. Da war ganz ruhig ein Liebhaber oder ein Geck, ein Bonvivant oder ein Held in eine preußische Uniform gesteckt, und das Publikum war schon zufrieden, wenn es nur zweierlei Tuch sah. Und wenn gar noch ein Unteroffizier die Bühne beschritt und in irgend einem der vielen preußischen Dialekte eine Anspielung auf die Küche der Geliebten machte, da freute sich das Herz des deutschen Zivilisten und Reservisten, und hundert Aufführungen machten das Anschaffen von Ertranmiformen bezahlt.

Es war seltsam: das älteste, das klassische deutsche Lustspiel war ein Soldatenstück mit echtem realistischen Milieu gewesen. Lessing kannte ja die Offiziere Friedrichs des Großen recht gut, beim Spiel und im Lustspiel. Seitdem aber wollte es nicht wieder gelingen. Und nicht einmal der Versuch wurde gemacht. Herrn Rudolf Straß gebührt das Verdienst, diesen Versuch mit geeigneten Mitteln zum ersten Male unternommen zu haben. Sein Lustspiel Der blaue Brief" nennt auf dem Zettel fünfundzwanzig Personen, und es ist kein Civilist darunter, man wollte denn Offizierstöchter und Offiziersdiener zu

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den Civilisten rechnen. Eine vorübergehende Operettenfängerin ist doch von der Armee gewiß nicht auszunehmen. Den Ton dieser seiner Gestalten kennt der Verfaffer offenbar aus eigener Wahrnehmung ganz genau. Da ist niemand von uns, der nicht von Herrn Straß lernen könnte, wie ein Lieutenant dem Generallieutenant antwortet, ein Bursche dem Lieutenant, wie der Hauptmann sich im Offizierskafino unter den Lieutenants bewegt, und wie der blaue Brief, der traurigste unter allen Abschiedsbriefen, auf den Haushalt eines alten Majors einwirkt. Aber etwas anderes ist richtige Beobachtung und künstlerische Formgebung. Wenn die richtige Beobachtung allein genügte, so wäre jeder photographische Apparat ein Maler; in Wirklichkeit aber giebt es neuerdings doch noch mehr photographische Apparate als Maler. Herr Rudolf Straß hat sehr viele richtige Beobachtungen gesammelt, aber er hat sie nicht zu einem Bilde vereinigen können. Nicht einmal der erste Akt, der das Interieur eines Offizierkafinos zum ersten Male mit fachmännischen Kenntniffen auf die Bühne brachte, ist künstlerisch gerechtfertigt. Als Erpofition ist dieser Akt völlig mißlungen, da der wirkungsvolle blaue Brief für die weitere Handlung fast ohne Bedeutung ist. Wirkungsvoll ist am Ende auch eine Bombe, die einschlägt; trifft sie aber zufällig nur eine Nebenperson und nicht den Helden, so kann man eine Bombe nicht zu den empfehlenswerten dramatischen Motiven rechnen. Der Versuch des Herrn Straß muß daran scheitern, daß es ihm nicht geLungen ist, seine fünfundzwanzig Personen zu einer einheitlichen und logisch fortschreitenden Handlung zu vereinigen. Spannende Aktschlüsse allein bilden so wenig ein Drama als ein Weg blos aus Meilenzeigern besteht. Die Handlung des blauen Briefs" strebt mir vier wirksamen Aktschlüffen zu, fümmert sich aber im übrigen weder um allgemein menschliche Psychologie noch um die besondere Wahrscheinlichkeit des militärischen Lebenskreises Ein Punkt scheint mir da besonders wert hervorgehoben zu werden. Der Lieutenant von den Ulanen wird diesmal von Herrn Kadelburg gespielt, also Weiber, Schulden, Pferde. Er hat das arme Majorstöchterchen lieb, sein reicher Onkel aber wird ihn enterben, wenn er eine andere heiratet, als des Onkels leibliche Tochter. Um diese Mitgift-Geschichte dreht sich eigentlich das Stück, um dann mit Großnuut und Goldregen zu schließen, wie eine alte Poffe. Nun möchte ich aber doch den Grafen Wolfsteyn, den Ulanenlieutenant fragen, ob er niemals etwas von der mittelalterlichen Einrichtung der Fideikommiffe gehört hat. Der Verfasser hat ja die Frage klug vermieden. Onkel Wolfsteyn ist nicht Graf, sondern Freiherr, also eine andere Linie des Geschlechts. Aber trotzdem möchte ich den Grafen bitten, nachsehen zu lassen, ob ihm die fünf Rittergüter feines Onkels nicht am Ende von rechtswegen zufallen müssen. Habe ich Recht, so kann Gisbert seine Valesfa gleich im ersten Akte heiraten und braucht nicht aus Verzweiflung zu trinken und zu füffen. Sollte der Graf aber, troßdem sein steinreicher Onkel keine männlichen Nachkommen hat, nicht sein Fideikommißerbe sein, dann haben wir es allerdings mit einem Ausnahmsfall zu tun. Außer seiner genauen Kenntnis der Offizierskreise bringt Herr Rudolf Straß noch eine überraschende Sicher heit der äußeren Bühnenform mit. Was Anfängern sonst so häufig widerfährt, daß sie nämlich durch irgend ein unvorsichtiges Wort die unfreiwillige Heiterfeit des sogenannten Premièrenpublikums erwecken, das ist Herrn Straß nicht zugestoßen. Eine solche Bühnensicherheit ist von seltenem Wert für den Dichter; ob Herr Straß aber ein Dichter ist, das wird er noch zu beweisen haben.

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Die abenteuerlichsten Gerüchte wurden verbreitet und geglaubt. Das Drolligste von allem war, daß man Herrn auf ein paar Tage in Paris befand, für einen Theaterdirettor Theaterdirektor Franz Wallner aus Berlin, der sich zufällig Wagner vom Wagner-Theater" und für den Delegirten der Wagner-Vereine und des Kaisers Wilhelm verschrie.

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So steigerte sich die Spannung bis gegen 7 Uhr, wo die Garde municipale zu Fuß und zu Pferde anrückte und den Plaß vor der Oper säuberte. Mit musterhafter Präzision ging dies, unter Johlen und Pfeifen der Menge, von Statten. An der Ede des Café de la paix wurden nur die Billetinhaber es wurden Billets mit 2-300 Frs. bezahlt durchgelassen. Gegen 18 Uhr füllte sich der herrliche Raum des Opernhauses mit einer festlich gekleideten Menge. Den Parquetraum nahm die Männerwelt ein, im Frack, den Cylinder auf dem Kopfe und den silberbeschlagenen Stock in der Hand; auf den Rängen, in den Logen die Frauenwelt in strahlendem Glanze. Präzise 48 Uhr ertönte das merkwürdige Gestampfe von der Bühne und eine heilige Stille trat ein, als Meister Lamoureur den Taftstock erhob! Bei voller Beleuchtung des Hauses, welche auch bei offenem Vorhang blieb, wurde die Ouverture von dem wunderbaren Orchester - ich zählte allein vier Harfen und acht Bässe exekutirt und mit Jubel aufgenommen.

Der erste Aft zeigt ein stimmungsvolles dekoratives Bild, in welchem nur die modernen französischen Spitzbärte, welche auch Telramund und den Heerrufer zierten, störend auffielen. Gesanglich auf der Höhe war nur der mächtige Chor, welcher jedoch in seiner Steifheit und den falschen Bewegungen an die Leiden eines Choristen" erinnerte: Wenn man, wie ich, erst kürzlich bei der wunderbaren Aufführung des Tannhäuser im

Aufführung des Lohengrin in der pariser großen Oper am 16. Septem

*) Aus dem Briefe eines unserer Mitarbeiter, der der ersten ber beigewohnt. Der Bericht über die Vorgänge vor und während der Aufführung ist durch die Depeschen der Tagesblätter überholt worden. Wir geben darum aus diesem Teile des Briefes nur einige markante Punkte wieder, welche wir in der deutschen Tagespresse nicht gefunden haben. Dagegen dürfte der Hauptteil des Briefes über die Geschichte Lohengrins in Paris noch heute von Interesse sein.

Die Redaktion.

Kgl. Opernhause zu Berlin die woldirigirten Massen gesehen, fällt einem die Ungeschicklichkeit doppelt in die Augen.

Die Aufführung selbst war eine mittelmäßige; van Dyck als Lohengrin ausgenommen, welcher namentlich im leßten Afte Töne von bezwingender Gewalt herausschmetterte. Für das deutsche Auge geradezu störend war die Erscheinung des Liebespaares Lohengrin und Elsa. Er, ein feister Knabe mit bartlosem Gesicht, sie ein wie sage ich nur? etwas spätes Mädchen mit braunen Locken und sehr vielen Ecken ich wußte gar nicht, daß eine Figur so viele Ecken haben könne, das reine Polygon . . . Aber das hinderte nicht, daß alles mit Jubel aufgenommen wurde am liebsten hätte man die ganze Oper da capo verlangt.

Aber welch anderes Bild bot sich dem Auge beim Betreten der Plattform während des Zwischenaktes. Der Platz vor der Oper war angefüllt von Polizisten, dahinter die tobende, schreiende und pfeifende Menge bis hinunter zur me de la Paix, nach Tausenden und aber Tausenden zählend. Von Zeit zu Zeit säuberte eine Kolonne der Munizipalgardisten die Straßen und nahm Verhaftungen vor.

..... Bei der zweiten Aufführung ereignete sich ein sehr komischer Zwischenfall. Während des rauschenden Beifalls nach dem ersten Akte wurden von der Galerie einige Kapseln mit asa foetida gefüllt auf die Orchesterfiße geworfen. Das machte jedoch keinen größeren Eindruck. Da, in dem Augenblick, als das Orchester das Vorspiel zum zweiten Akt beginnen will und der Saal schon in Halbdunkel getaucht war, erhebt sich ein kleines Männchen und ruft mit scharfer, aber sehr be flommener Stimme: „M. le chef d'orchestre, voudriez vous bien nous chanter la Marseillaise?" Die Antwort darauf war ein homerisches Gelächter, daß sich vom Parkett bis zu den Galerien fortpflanzte. Die Kundgebung schien also ins Wasser gefallen, um so mehr, als der Urheber sehr ruhig aufstand und fich in aller Stille entfernte. Plößlich aber nahmen zwei Individuen aus dem Parterre den Antrag des Biedermannes wieder auf. Sie schrien:,,Oui, la Marseillaise! Vive la France! Vive la Russie!" Diesmal wurde das Publikum ungemütlich! Es rief: A la porte! à la porte! In wenigen Sefunden waren die Unruhstifter an die freie Luft befördert. Der merkwürdigste Zwischenfall war folgender. Er begab sich während des ersten Aktes an der Kontrole. Der Anarchist Morphy, der Kommandant Biot, der Journalist Peyramont und einige andere der wildesten Heber gegen die Aufführung kamen mit einem Koupon auf die Loge des Barons Haber, die von einem Herrn Eduard A. in Aftermiete genommen worden war. Sie wurden sogleich erkannt und zurückgewiesen. Madame A. hatte die Loge ohne Zweifel an eine Billetagentur verkauft; die Manifestanten hatten sie selbst um nicht weniger als 700 Francs erstanden. Ihre Einwendungen blieben fruchtlos, sie mußten das Theater verlassen und der einzige Erfolg ihres heabsichtigten Handstreichs wird der sein, daß man die Loge Herrn A. entziehen wird, der sie nicht, ohne die Direktion zu benachrichtigen, weiter vermieten durfte.

Die musikalischen Kreise von Paris sind gespalten. Die einen, zu welchen vor allem die Musikverleger gehören, gestehen offen ein, daß sie von einer Invasion" Wagners die Vernichtung ihrer Geschäfte befürchten, die anderen, die ernsteren und besseren Elemente, Gounod an der Spize, und fast die ganze sachverständige Musikkritik steht auf Seiten des Wagnerschen Werkes. Die schwärmerische Wagner-Gemeinde leistet an Ueberschwänglichkeit reichlich so viel, ja wol mehr, als die Deutsche. Die Hagen, Wolzogen und Gesinnungsgenossen bei uns erklären Wagner für den größten deutschen Kulturheros; das ist einem französischen Schwärmer, wie Darzens, nicht genug, er findet nur einen würdigen Vergleich mit Wagner: Jesus Christus

Die Versuche, Lohengrin" in Paris aufzuführen, datiren weit zurück. Ende 1868 dachte Emil Perrin, damals Direktor der Oper, daran, ihn auf die Bühne zu bringen; gleichzeitig mit ihm Carvalho, der damals die Opéra comique leitete. Es wäre eine vollständige Genugtuung für den grausamen Durchfall des „Tannhäuser" vom 13. März 1861 gewesen, wenn der

Lohengrin" gleichzeitig zwei pariser Bühnen erobert hätte Und was verhinderte ihn daran? Ein Vorkommnis, dag E. Reyer, der bedeutende Musikkritiker des Journal des Débat folgendermaßen erzählt:

Lohengrin" wurde in Baden-Baden vor einer glänzenden Gesellschaft von französischen Sportsmen und Badegästen aufgeführt und hatte das Publikum grausam gelangweilt.

Ein Berichterstatter schrieb in einem pariser Blatte, wenn nicht alle Zuschauer das Theater vor dem Ende verlassen hätten, geschahs, weil sie nicht früher aufwachten. Das Theater zu Baden-Baden ist klein; die Inszenirung mußte ungenügend fein; die Sänger, die aus München, Berlin und Stuttgart herbeigerufen waren, ließen manches zu wünschen übrig, und endlich wurde das Werk mit deutschem Text gesungen .

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Von Lohengrin war nicht weiter die Rede. Am 22. März 1870 gab man ihn mit französischem Text am Théâtre de la Monnaie in Brüssel, mit Fri. Sternberg, der späteren Madame Vaucorbeil, als Elsa. Der ungeheure Erfolg dieser Vorstellung konnte damals auf Paris keine Rückwirkung ausüben. Es kam der Krieg. Selbst die wärmsten Parteigänger Wagners," schreibt Reyer, der selbst zu ihnen gehört, mußten sich damals in kluges Schweigen hüllen." Aber einige Jahre später begannen sie ihre Anstrengungen wieder. Stücke aus den Werken des Meisters erschienen auf den Programmen der Concerts populaires. Man protestirte, aber Pasdeloup kehrte sich nicht daran. Allmälig bewies die Musik ihre Allgewalt auch über die Gemüter der Laien. Sie wurde im Čirque d'Hiver, dann nicht minder im Cirque d'Eté, darauf im Eden wie im Châtelet enthusiastisch begrüßt. Colonne und besonders Lamoureux hielten das Spiel für gewonnen. 1878 zeigte der Verleger Escudier an, bewogen durch die Albani, die nach ihren großen lordoner und brüsseler Triumphen in der Rolle der Elsa, nach Paris gekommen war, daß er auf dem von ihm gepachteten. Théâtre Italien den Lohengrin" aufführen würde. Aber es blieb bei der Anzeige.

Ein anderer mißlungener Versuch war der bekannte, den Angelo Neumann unternahm. In einer soeben erschienenen Broschüre von Maurice Kufferath (Lohengrin, la légende et le drame de Richard Wagner, Paris, Fischbacher, Bruxelles, Schott frères, Leipzig, Otto Junne) wird diese und die anderen Unternehmungen erzählt. Angelo Neumann wollte mit einer deutschen Mustertruppe den,,Lohengrin" in Paris auf einer von ihm gemieteten Bühne aufführen. Die Proteste in der pariser Presse waren so heftig, daß der Plan aufgegeben werden mußte. Auch die Diplomatie mischte sich hinein", schreibt Kufferath, „die münchener Intendanz verweigerte dem Ehepaar Vogel und dem Baryton Reichmann, die von Angelo Neumann engagirt worden. waren, die Erlaubnis, in Paris zu singen."

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Im Jahre 1885 nahm Carvalho sein Projekt wieder auf. Er reiste nach Wien, die Inszenirung und die Kräfte kennen. zu lernen und mit den Erben des Meisters die erforderlichen Kontrafte abzuschließen. Verlorene Mühe. Carvalho mußte einer Opposition von unerhörter Heftigkeit" weichen, und so gab er seinen Plan nochmals auf, dessen Gelingen ihm so sicher erschienen war, daß er schon die Première des „Lohengrin" in der Opéra comique auf den Anfang März 1886 festgesetzt hatte.

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Dieselbe Zuversicht spornte im nächsten Jahre Lamoreux zu einem neuen Versuche an. Lohengrin wurde im EdenTheater gespielt; aber die Regierung war schwach genug, vor dem Pfeifen einer Handvoll Skandalmacher die Flucht zu ergreifen und verbot die Wiederholung.

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„Es war ein Fest ohne Lendemain," sagt hierzu Reyer, eine Kapitulation, wie ich in Anspielung auf das dumme und gehässige Pamphlet schrieb, das Wagner unter der Form einer „antiken Komödie" nach der Uebergabe von Paris veröffentlicht hatte. Man begreift nicht," fährt Reyer sort, „daß eine solche Auslassung aus dem Gehirne eines musikalischen Genies entspringen konnte, hätte es sich auch für eine noch blutigere Beleidigung zu rächen gehabt, als es der Durchfall seines Tannhäuser an unserer Académie impériale de musique" war. Nun, man begreift auch nicht, wie so sinnlose Verse und Phrasen aus dem Hirne eines dichterischen Gentes entspringen konnten, wie sie die Proklamationen und die „,Année terrible Viltor Hugos füllen. Im nationalen Paroxysmus vergessen sich auch die mächtigsten Geister, und diese um so

so

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mehr, je stürmischer das Temperament ist, auf dem ihr Wesen, Genüssen des geheiligten münchener Volksfestes. Der Antrag lautete: beruht. Wagner und Viktor Hugo halten sich darin die Wage. Ihre Beleidigungen kompensiren sich.

Hätte Wagner nicht jenes Pamphlet veröffentlicht, meint Reyer, so würde sich nicht ein namhafter Teil des französischen Publikums dem Eindringen seiner Werke so lange hartnäckig widersetzt haben. Das mag wol sein. Man spielt ja auch Mozart und Weber ohne Anstoß.

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Vergessen wir indessen die Schwächen, die Abwege dieses mächtigen Genies", fügt der Wortführer des Wagnerismus hinzu, und verneigen wir uns vor ihm."

„Der Magistrat der fgl. Haupt- und Residenzstadt München wolle die Errichtung einer freien Tagesbühne auf der Theresienwiese behufs Aufführung volkstümlicher Stücke aus der bayerischen und deutschen Geschichte, während der Dauer des Oktoberfestes, in die Hand nehmen.“ Eine gute Weile schon ruht dieser Antrag zusammen mit seiner umfangreichen Denkschrift im Schoße der Stadtväter, aber das Schweigen des Grabes ist über ihm.

In den münchener Blättern lese ich: „Am Donnerstag, den 3. September, nachmittags 3 Uhr, werden im magistratlichen SißungsDas ist die Stimmung aller musikalischen Kreise von Paris, jaale die Pläße für 20 Wirtsbuden, dann die Pläge für 22 Käsdie nicht vom Konkurrenzneid beeinflußt werden, sowie die stände, 20 Wurstküchen, 8 Herings- und 8 Fischbratereien versteigert. Stimmung fast des gesamten gebildeten Publikums. Die Thatsache steht fest: der Wagnerismus ist am 16. September offiziell Anmeldungen zum Bezuge des Festplates zum Zwecke von Schauin Paris eingezogen und die Reyer, Weber, Bauer (bestellungen 2c. können von jezt ab beim Magistrate angebracht werden.“ zeichnend genug sind die Namen dieser kritischen Wagnerapostel von Paris deutsch), die Catulle Mendès, Rodolphe Darzens und wie sonst die chevaliers fervents du Moloch de Bayreuth in der pariser Presse heißen mögen, haben sich für keine zweifelhafte Sache mehr in die Schanze zu schlagen; die Hauptreste der feindlichen Position, die Académie nationale de musique, ist genommen und damit ist der Kampf entschieden.

Litterarische Chronik.

Die Denkschrift der Münchener „Moderne".

München, 21. September 1891.

Die „Jahresausstellungen von Kunstwerken aller Nationen“ in der Kunsthauptstadt des deutschen Reiches sind keineswegs eine so unbestrittene und gesicherte Schöpfung, als man glauben sollte, wenn man ihre großen künstlerischen Erfolge ins Auge faßt. Hinter den Kulissen ist da ein unablässiges Gemurmel der Unzufriedenheit mit allem Möglichen, und es wird viele Mühe machen, den jährlichen münchener Salon aufrecht zu erhalten. Dagegen ist über alle Zweifel erhaben die Jahresausstellung von allerlei Rindvich des gesamten Bayernlandes, das Oktoberfest. Wehe dem, der an ihm rütteln wollte! Es darf weder etwas davon weg, noch etwas dazugetan

Es muß den Charakter einer peniblen, ungeschlachten Einstämmigkeit bewahren und freigehalten werden vor allen Dingen von geistigen Zutaten.

Zwei Vereine haben dies erfahren anläßlich von Eingaben, welche sie an den münchener Magistrat richteten: ein Sportsverein und die „Gesellschaft für modernes Leben“.

Der erstere Verein bat um Gnade für die bedauernswürdigen „Rösser“, die, obschon sie nicht eben zum Starten geboren scheinen, in ihrer unsportsmäßigen Körperfülle, dennoch ihren „Rennbub'n“ dreimal durch eine gewaltig lange Bahn schleppen müssen. Man hatte die Kühnheit, um Reduktion des Rennens auf zweimaligen Rundlauf zu bitten. Aber eines der merkwürdigen Oberhäupter der münchener Rathausklerikalen erhob sich, wie wenn es gälte, dem grandiosen Sturmbock der bayerischen Ultramontanen, dem göttlichen Doktor Daller, eine Hymne zu singen, und der volkstümliche Gebrauch dreimaliger Schindung war gerettet.

Hier handelte es sich also um die Verteidigung gegen Annektirungsgelüste, man erhob sich gegen eine Schmälerung des Volksrechtes auf ausgiebiges Schauvergnügen. Siegreich schlug man den Angriff ab. Der Antrag der „Gesellschaft für modernes Leben“, vor welcher jeder waschechte Fromme allhier drei christkatholische Kreuze schlägt, war anderer Natur. Seine Verwegenheit bestand in dem Wunsche einer geistigen Zutat zu den reichlichen, aber zweifelhaften materiellen

20 Wirtsbuden, 22 Kässtände, 20 Wurstküchen und 16 Fischbratereien, ich denke: Sie kriegen Respekt vor bayerischem Durst

und Appetite.

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Der Gesellschaft für modernes Leben“ aber wird nichts anderes übrig bleiben, als im Vereine mit Herkulessen, fischschwänzigen Mädchen, Affentheatern, Riesendamen, dressirten Flöhen, Schlangen menschen und anderen Volksbelustigungen crlesener Art beim Magistrate anzutreten und nochmals ihre Denkschrift, vielleicht unter Drehorgelbegleitung, um volkstümlicher zu wirken, vorzutragen. Denn sonst, fürchte ich, werden die Magistratszeuse nach berühmten Mustern alle Pläße schnell vergeben haben, und die freie Tagesbühnendramatik geht leer aus bei der Schäßeverteilung, wie es halt das Schicksal der Idealisten ist, die sich neben Käsständen etabliren wollen.

Denn freilich: so sicher die Theresienwiese acht Tage nach ge= bratenen Häringen duften wird, so sicher riecht der Antrag der münchener Modernen", die sonst im Geruche des greulichsten Naturalismus stehen, nach Idealismus.

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Schon die Denkschrift" hat diesen unpraktischen Geruch. Statt mit voraussichtlichen Ueberbeträgen, mit dem klingenden Spiele wahrscheinlicher Gewinnprozesse anzurücken, hält sie den Stadtvätern ein kleines Kolleg über die Geschichte des Theaters. Recht lehrreich in der Tat, und zudem ausgestattet mit den verwegensten Perspektiven in eine wunderbare freie Tages-Bühnen-Zukunft. Aber was jehen mir die jrienen Beeme an?" sagen mit gewanter Umformung in blau-weißes Deutsch unsere wenig lernbeslissenen Stadtgewaltigen in Schiffhut und Degen zu solchen Perspektiven und wenn ihr bayerischer und münchener Spezialpatriotismus noch so freundlich gekißelt wird, wie etwa in Paffus 5, der also lautet:

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Es scheint aber, als ob diese Rekonstruktions-Versuche der Schauspiel-Szene nur die Teil-Erscheinung einer großen, künstlerischen Bewegung bedeuten, die seit der glorreichen Gründung des neuen deutschen Reiches die Besten des Volkes ergriffen hat! Des Versuchs der Wiederbelebung aller jener Kunstformeu aus der deutschen Vergangenheit, welche uns heute mit einer gewiffen Mustergiltigkeit vor Augen treten, und die gleichzeitig den Charakter einer spezifisch deutschen Auffassung an sich tragen; wir meinen jene Wandlung des Geschmacks auf dem Gebiet des Klein-Gewerbes, der Art, unsere Wohnungen zu schmücken und einzurichten, der Architektur u. dergl., die man unter dem Namen Renaissance bezeichnet, und die seit Mitte der 70er Jahre von München ihren Ausgangspunkt genommen und von hier aus noch ihren entscheidenden Einfluß ausübt. Wenn die Faffade und Errichtung unserer Wohnhäuser seit gedachtem Zeitraum eine so grundlegende mänderung erfahren haben, warum soll nicht auch Fassade und Einrichtung unserer Schauspiel-Szene dieser glücklichen, künstlerischen Reorganisation teilhaftig werden? Warum soll es nicht auch eine Renaissance, eine wahrhafte Wiedergeburt der mittelalterlichen Bühne geben? Wenn wir den Stil des Rokoko seit 1873 auf allen Gebieten der Kunst grundsäßlich verlassen haben, als eine dem deutschen Wesen fremde und anderen Völkern nachgeahmte Stilart, warum sollen wir nicht (wenigstens im Prinzip und zunächst versuchsweise) die italienisch-französische Guckkasten - Bühne wenigstens für das Schauspiel aufgeben und selbe nur für jene Kunst-Gattung beibehalten, für die sie seiner Zeit erfunden wurde, für die Oper? Wobei wir uns freilich nicht verhehlen, welche tiefgreifende Konsequenzen aus dieser Wiederbelebung der altdeutschen Bühne sich ergeben würden: Wir würden nicht im Winter spielen, sondern im Sommer, nicht am Abend, sondern bei Tag, nicht in einem allseitig geschlossenen Raum bei künstlicher Beleuchtung und bei oft unerträglicher Hiße, sondern unter freiem Himmel, gegebenenfalls unter einem Zeltdach, bei natürlicher Beleuchtung, und unter dem Einfluß der jeweiligen Tages-Temperatur und Witterung

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