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hörte, kam unter dem Bette hervor und stieß ein leises Heulen aus.

In diesem Augenblick erschien die Baronin Eleonore, welche befohlen hatte, daß man sie bei Ankunft des Arztes rufen solle, in der Tür. Sie war in halber Morgentoilette, in jenem Zustand, in welchem ihre Neffen sie nicht zu sehen gewünscht hatten.

Gelsi ging ihr entgegen und sprach leise mit ihr. Giuseppina hatte sich wieder gefaßt, jedoch das Bett nicht verlassen. Ein sicherer Instinkt sagte ihr, daß, wenn sie diesen Play verließe, fie ungeachtet der Protektion Raimondis und der Sympathie des Doktors, nicht wieder dahin zurückkehren könne.

Man hörte die Stimme der Baronin. Wie? Er hat geschrieben, und man soll nicht erfahren, was er geschrieben hat? Oh! erwiderte der Arzt ... er hat nur wenige undeutliche Zeichen gemacht. Und er selbst gab diesem jungen Mädchen das Papter.

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Und dieses junge Mädchen verstand den Sinn? Sie mußte uns mitteilen...

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Mein Gott, mein Gott, man lasse mich doch bleiben! Was tue ich Uebles? Aus welchem Grunde glauben Sie, daß ich hier sei? Ich habe gefehlt, habe gesündigt, aber diesen Verdacht verdiene ich nicht... Oh, wenn der Aermste hier sprechen könnte... Verteidigen Sie mich, Doktor, Sie, der Ste so gut sind.

Gelsi winkte ihr sich zu beruhigen und wante sich wieder an die Varonin ... Sie sehe wol, daß man nicht darauf bestehen könne... Nicht durch Betrug, List oder Gewalt befinde sich dieses Blatt, dessen set er Zeuge, in den Händen des jungen Mädchens. Wenn es ein Geheimnis enthielte, das sie bewahren wollte, hätte niemand das Recht, es ihr zu entreißen

...

Unterdessen hatte sich der Zustand des Kranken sichtlich verschlimmert. Der großen Aufregung von vorhin folgte eine große Ermattung, und die Pulse sanken rasch. Das hatte der Doktor bis zu einem gewissen Grade vorausgesehen, doch eine so rasche Reaktion nicht erwartet. Nachdem er alles getan hatte, was seine Kunst ihm vorschrieb, hielt er, das nahe Ende vorhersehend, es für seine Pflicht, die Baronin und die übrigen Verwanten darauf vorzubereiten.

Giuseppina hatte alles von selbst erraten. Sie sah, sie fühlte, wie das teure Leben, für das sie tausendmal ihr eigenes hingegeben hätte, von Sekunde zu Sekunde dahin schwand.

VIII.

Wenige Stunden darauf hatte der Kranke das Bewußtsein verloren. Er öffnete nur noch selten die Augen, und sie waren verglast und starr. Jezt ruhte auch der rechte Arm unbeweglich auf der Decke; die Hand, von kaltem Schweiß bedeckt, antwortete nicht mehr mit zärtlichem Drucke der sanften Frauenhand, die sie vergeblich zu erwärmen versuchte.

Vor jenem Körper, der nach und nach im Tode erstarrte, erschien Giuseppina selbst wie eine Statue. Sie sah, sie fühlte nur ihn. Sie bemerkte kaum, daß Personen aus- und eingingen. Wie in einem Traum hatte sie die schwarze Kutte eines Priesters geschen, wie im Traum die Worte eines Gebetes gehört, das sie mechanisch mitsprach. Dann war die Erscheinung verschwunden. Der Arzt war wieder gekommen, um nichts mehr zu verordnen. Jegt, wie lange schon, wußte Giuseppina nicht mehr, wurde die Stille im Zimmer nur durch ein qualvolles Röcheln unterbrochen.... Ach, so lange jenes Röcheln dauerte, war Giuseppinas Platz hier, immer hier. Vor Mitternacht hörte das Röcheln auf. Der Kopf des Sterbenden sant tiefer in die Kissen.

Es ist vorüber, sagte die Wärterin. Vorüber? Nun, dann war es auch für sie vorüber.. Sie durfte nicht länger weilen.

Sie nahm alle ihre Kraft zusammen, unterdrückte ihr Schluchzen, stand auf, füßte die Stirn des Toten, küßte seine Augen, den Mund, den sie, ach so oft, geküßt hatte, und ehe sie aus dem Zimmer und dem Hause vertrieben wurde, ent= fernte sie sich durch die Tür des Ankleidezimmers, durch welche sie achtundvierzig Stunden vorher eingetreten war.

IX.

Zwei Tage darauf geleiteten die Cuaglia, die Minucci und der Baron James Rudeni (die Baronin war durch Unwolsein verhindert), ruhig und anständig betrübt, den Sarg, in dem ihr geliebter Verwanter ruhte, auf den Kirchhof, und man brauchte kein großer Menschenkenner zu sein, um auf ihren Gesichtern, neben der offiziellen Betrübnis, die innige Befriedigung der Erben zu lesen. Vetter Raimondi, der treffliche Better Raimondi hatte Recht gehabt: Cavaliere Alfredo hatte kein Testament hinterlassen. In seinen Papieren, die mit größter Sorgfalt durchsucht worden waren, hatte sich auch nicht eine Zeile gefunden, die darauf hindeutete, wie er es nach seinem Tode gehalten haben wolle. Auch waren von feiner Seite Ansprüche erhoben worden, so daß das ganze Vermögen des Verstorbenen, im Betrage von etwa einer Million, auf die Baronin Rudeni, seine Schwester und die beiden Neffen Cuaglia und Minucci, die Söhne der beiden verstorbenen Schwestern, überging. Das war für alle Teile das Beste, Verpflichtung nach irgend einer Seite hin, wenn man auch, was geschehen konnte. So hatte man auch nicht die mindeste

das Andenken des teuren Verstorbenen ehrend, sich großmütig gegen die Armen zeigen wollte. Die Herrschaften waren sämt= lich von den edelsten Gefühlen beseelt. Baron James hatte geäußert, daß er etwas für die Dienerschaft tun wolle, die ihren Herrn so ausgezeichnet gepflegt, und die Neffen Cuaglia und Minucci hatten den trefflichen Vetter Raimondi bei Seite genommen, um zu erfahren, in welcher Lage denn jenes junge Mädchen, die Giuseppina, zurückbliebe. Wenn sich auch die Tante dagegen ausgesprochen habe, seien sie doch nicht ab= geneigt, ein für allemal natürlich, ein Opfer von einigen tausend Lire zu bringen. Ansprüche hatte sie ja keine, selbstverständlich, aber.

Der treffliche Vetter Raimondi hatte die Absicht gebilligt, war aber der Ansicht, daß, wie er den Charakter des Mädchens kennen gelernt, dasselbe eher sterben, als einen Centesimo annehmen würde... und die beiden Vettern hatten sich gehütet, die Sache weiter zu verfolgen.

Im letzten Augenblick sprach der Advokat Rizzoli einige Worte im Namen der Verwanten, die zu ergriffen seien, um diese Pflicht selbst zu erfüllen. Ein Freund fügte, im Namen der Freunde, einen leßten Gruß hinzu... und der Sarg wurde. in die Grube versenkt. In diesem Augenblick ertönte das in die Grube versenkt. Kirchhof gekommen? In welcher Barke hatte er sich versteckt? Heulen eines Hundes. Es war Bibi. Wie war er auf den Sie jagten ihn fort, wollten ihn fangen, doch er entschlüpfte zwischen den Gräbern. Auf das frische Grab wurden von den Familien Rudeni, Cuaglia und Minucci prächtige Kränze niedergelegt. Dann noch einige Händedrücke, Seufzer, Versicherungen der Teilnahme und die Versammlung trennte sich.

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Lieber Raimondi, sagte Baron James an der Tür des Kirchhofs, wenn du fleines Geld hast, gieb doch dem armen Kerl, der die Gondel hält, einen Saldo. Ich habe feinen Pfennig mehr in der Tasche.

Giuseppina war früher gekommen als die Uebrigen und hatte geduldig in einer Ecke des Kirchhofs gewartet." Wenn sie sich dem Trauergefolge angeschlossen hätte, würden sie sie vertrieben haben wie Vibi. Doch sie wollte allein sein, allein, um zu beten und zu weinen. Eie kniete an dem frischen Grabe nieder, nahm unter ihrer Mantille einen einfachen Kranz hervor und legte ihn auf die prächtigen Kränze mit den silber= gestickten Atlasschleifen. Und sie weinte und weinte und weinte... Und sie betete für die Ruhe der Seele dessen, der so gut gewesen war, der vor seinem Tode mit zitternder Hand die beiden teuren Worte geschrieben hatte: Meine Giuseppina! Denn das geheimnisvolle Blatt, welches die Verwanten in solche Unruhe versezt hatte, enthielt nichts weiter. Das war Giuseppinas Erbschaft. Nicht die einzige jedoch.

Sie glaubte allein zu sein und war es nicht. Neben ihr stand Bibl, der versuchte, die frische Erde aufzuscharren., Bibi, armer Bibt! sagte Giuseppina... Du hattest ihn lieb! Sie nahm ihn auf den Arm und ging fort.

Ist Hamlet fett und kurz von Åtem?

,,He's fat and scant of breath".... Die neuen Hamlet-Aufführungen im Ostend-Theater mit Kainz in der Titelrolle haben das Hamlet-Problem wieder aktuell gemacht. Da sei es einem allerdings höchst kezerischen Shakespeare-Forscher gestattet, ein paar Worte über die vielzitirte Stelle zu äußern, die dieser Notiz vorangesezt sind.

Ich habe den Hamlet des Herrn Kainz nicht gesehen; nach den Aeußerungen der Kritik zu schließen, ist er nicht der Hamlet, den man zu sehen gewohnt ist oder zu sehen wünscht; und jedenfalls ist der nervöse Kainz in keiner Beziehung grade für diese schwierige Rolle geeignet. Aber die Kritik weist, wie so viele Erklärer dieses rätselvollen Werkes, auf die bekannten Worte der Königin-Mutter hin, die Hamlet als „fett und kurz von Atem“ schildern

zum wenigsten weil Kainz keinen „fetten und kurzatmigen" Hamlet darstellt, gilt er der Kritik als ein unzulänglicher Hamlet. Dieses „Er ist fett und kurz von Atem" gehört auch zu jenen Sägen, die man wie ein Cliché verwendet, ohne sich darüber klar geworden zu sein, ob man zu ihrem Gebrauch berechtigt ist oder nicht.

Der Zweck dieser Zeilen ist die Falschheit der Charakterisirung Hamlets durch diese, auf einem Druckfehler beruhenden Worte zu begründen.

In der Tat: Die Königin fagt in der zweiten Szene des fünften Aufzuges: „He's fat and scant of breath", aber was hat das in jener Situation für einen Sinn!

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Das „lle's fat" steht hier offenbar nicht an seinem Playe bei unserem Zusehn aber finden wir wol heraus, daß hier, wie au so vielen Stellen in den Shakespeare-Dramen der Druckfehlerteufel | sein Spiel getrieben hat, daß es nicht,,he's fat" sondern ,,he's flat" heißen soll oder zu deutsch: er ist müde. Der Sap,,He's flat and scant of breath" wäre dann sinngemäß zu überseßen durch: „Er ist müde (erschöpft) und außer Atem“. (Das heißt: er atmet stoßweise in kurzen Zügen, wie ein Aufgeregter oder auch Ermüdeter zu atmen pflegt.) Das paßt denn vortrefflich zur ganzen Situation: Hamlet weiß sich durch den König und Laertes bedroht, er traut dem Frieden nicht und geht mit ganz besonderer Aufregung in den Zweikampf. Das Fechten beginnt Hamlet hat Laertes zweimal getroffen die Sache spißt sich zu und nun will die Mutter, welche doch immerhin für das Leben ihres Sohnes oder auch nur um seine Niederlage bangt, Hamlet eine kurze Erholungspause gönnen daher bemerkt sie teilnehmend: „Er ist ermüdet und außer Atem" und weil das vorausseßt, daß er in Schweiß geraten ist, so reicht sie ihm nun ihr Taschentuch und bittet ihn, sich die Stirn zu trocknen.

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Kurz und gut, man hat es hier weder mit einem „fetten“, noch mit einem furzatmigen" Hamlet zu tun, sondern mit einem Hamlet, der von der Aufregung und der Anstrengung des Zweikampfes „flated“, d. h. ermüdet, und dementsprechend etwas „außer Atem“ gekommen, d. h.,,scant of breath" nicht aber ,,short of breath" oder short-rinded" oder „,broken-rinded" (furzatmig) oder ,,asthmatical" und ,,short-breathed" (engbrüstig) ist.

Mit der Hinweisung darauf, daß Shakespeare den Hamlet als „fett“ geschildert hätte, weil Burbedge, der erste Hamlet-Darsteller, zufällig etwas dickleibig gewesen, wird man hoffentlich die Stelle

| nicht fürderhin zu rechtfertigen versuchen jeder Besonnene wird diese Rechtfertigung schon deshalb ablehnen, weil sie dem großen Dramatiker eine Plumpheit zumutet, die wir kaum einem Poffenschreiber niedrigsten Ranges durchgehen lassen dürften, um wieviel weniger dem Schöpfer des Hamlet, der zu einer solchen „Charakteri= firung" wol eine andere Stelle gefunden hätte, als die anscheinend so wichtige Duell-Szene kurz vor Abschluß des Stückes.

Und bei dieser Gelegenheit will ich gleich noch einer andern Tertversion den Garaus zu machen versuchen.

Bekanntlich sagt Hamlet in der zweiten Szene des dritten Aktez zu Horatio:

„Seit meine teure Seele Herrin war

Von ihrer Wahl und Menschen unterschied,

Hat sie dich auserkoren.“

Ich zweifle nicht daran, daß auch Herr Kainz in jener Szene von seiner „teuren Seele“ gesprochen hat, ohne daß er oder ein Zuschauer darüber gelächelt haben wird. Und doch werden wir im Leben nicht lächeln oder vielmehr lachen, wenn jemand allen Ernstes von „meiner teuren Seele“ sprechen wollte. Dem Hamlet Shakespeares lassen wir es durchgehen, ohne darüber stußig zu werden, obwohl der unglückliche Shakespeare auch an diesem Unsinn durchaus unschuldig ist.

Allerdings, das Original lautet: Since my dear soul" also: „Seit meiner teuren Seele 2c.“ - aber auch hier lehrt uns ein wenig Nachdenken und ein guter Geschmack, daß der Druckfehlerteufel, der in den Shakespeare-Dramen auch das seine getan hat, um die Vernunft und die Aufmerksamkeit der Nachwelt auf die Probe zu stellen, hier ebenfalls die Hand im Spiele hat er hat „dear" für „dearn' (einsam) drucken und die Nachwelt ruhig daran glauben lassen, daß der edle Dänenprinz über seine „teure Seele" philosophirt. Die Stelle wäre also folgendermaßen zu verdeutschen:

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Seit mein vereinsamt Herz befähigt war

Zu eigner Wahl und Menschenunterschied,
Erkor sie dich 20.

Dieser inmitten des oberflächlichen verlogenen Hofgetriebes auf sich selbst angewiesene Hamlet hat allerdings ein gutes Recht von „vereinsamter Seele“ zu sprechen und deshalb sagt er „Since my dearn soul" 2c.

Das wäre, was ich hier über zwei scheinbar unwesentliche, aber trozdem sehr bedeutsame Worte im „Hamlet“ zu sagen wünschte. So lange man Geschmack daran findet, die Shakespare-Dramen und im besonderen den Hamlet zu spielen und anzusehen mag man wenigstens dafür Sorge tragen, daß der „fette und kurzatmige" Hamlet und mit ihm seine „teure Seele“ aus dem Text verschwinde. Eugen Reichel.

*

Litterarische Chronik.

In Tübingen ist am 23. August der bekannte Freund Ludwig Uhlands, der Germanist und Romanist Wilhelm Ludwig Holland (geboren 1822) gestorben. Holland, der vier Jahrzehnte lang den Lehrstuhl für germanische und romanische Philologic in Tübingen inne hatte, ist in weiteren Kreisen besonders durch die Herausgabe des vorwiegend wissenschaftlichen Nachlasses von Uhland bekannt geworden.

Am 25. August feierte Ludwig Pfau, der schwäbische, vielleicht allzu schwäbische Dichter und Denker, seinen siebzigsten Geburtstag.

Dem Dresdener Körner-Museum hat der Buchhändler Herr Rudolf Brockhaus in Leipzig am 26. August, dem 78. Todestage des Dichters, die Brieftasche Theodor Körners übermittelt, die sich bisher im Besiz des Grafen August Fries befand. In dieser Tasche befindet sich das Notizbuch Körners, das derselbe während des Krieges 1813 bis zu seinem Tode bei sich führte. Die ersten funf» zehn Notizblätter umfassen die Zeit vom 15. März bis zum

22. August 1813 und enthalten Schilderungen besonderer Erlebnisse dieser Lage. Die auf diese Tagebuchnotizen folgenden Seiten bergen die ersten Abfaffungen oder Niederschriften der später von Körners Vater, Dr. Ch. G. Körner, unter dem Titel „Leyer und Schwert" herausgegebenen Gedichte, darunter nicht nur Varianten der bekannten Gedichte, sondern auch noch zahlreiche ungedruckte begeisterte Vaterlandslieder.

Von Rudolf Straß wird am 5. September auf dem Deutschen Theater ein Drama aufgeführt werden, welches zum ersten Male einen militärischen Stoff ernst behandelt.

Paul Lindau hat soeben einen neuen Roman Hängendes Moos" vollendet, welcher der vierte in der Reihe seiner berliner Romane sein wird.

Die Herren Ernst von Wolzogen und William Schumann, deren Luftspiel Kinder der Ercellenz" während der lezten Saison im Deutschen Theater vielen Beifall erntete, haben soeben ein neues Stück In Landluft" beendet und dasselbe dem königl. Schauspielhaus zur Aufführung eingereicht.

Hans von Gumppenberg, der Verfasser des „Dritten Testamentes", wurde wegen Vortrag des Karl Hendellschen Gedichtes, An die deutsche Nation", in dem das Gericht eine Majestätsbeleidigung sah, zu zwei Monaten Festungshaft verurteilt.

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Für die Festvorstellung im Berliner Theater bei Gelegenheit des Geburtstages von Theodor Körner am 23. September, hat Ernst von Wildenbruch den Prolog geschrieben.

Der bekannte tschechische Novellist Neruda ist vorige Woche in Prag gestorben.

Alexander Dumas ist damit beschäftigt, die lezte Hand an sein neues Stück „Der Weg nach Theben" zu legen, welches er Ende September der Direktion des Théâtre français vorlesen will. Das Stück soll Ende des Jahres an dieser Bühne aufgeführt werden.

Im Figaro vom 28. August bespricht Hugues Le Rour die Bücherkrise in Frankreich. Nach einer jüngst veröffentlichten Schätzung sollen nämlich anderthalb Millionen Bände gegenwärtig in den Lagerräumen französischer Verleger vergraben sein. Hugues Le Rour meint, daß vom Kriege 1870 an das Lesebedürfnis des französischen Publikums sehr gestiegen sei, da dasselbe nicht die Mittel gehabt zu größeren Vergnügungen und deshalb die Abende meistens mit Lesen zugebracht habe. Infolge dieses Bedürfnisses aber stieg der Absatz der Bücher ins Unermeßliche, Schriftsteller und Verleger machten gute Geschäfte. Der Erfolg litterarischer Werke berauschte die Spekulanten, und wie sie früher in Getreide und Kohlen spekulirt hatten, so spekulirten sie jest auf die Schriftsteller. Sie machten für ihre Schüßlinge große Reklame und verdarben dadurch die Kritik. Andererseits lockte der Erfolg viele Unbefähigte. "Wir alle haben Schulkameraden gehabt, welche von Prima an daran dachten, Romanschriftsteller zu werden, wie man sich vorbereitet auf die juristische oder medizinische Laufbahn. Auf der anderen Seite find die Salons von Paris voll von jungen Lebemännern, die ihren psychologischen Roman schreiben. Es ist das ein Vorwand, um im Müßiggang zu leben, um die Entscheidung zur Heirat zu verzögern; und nebenbei dient es als Empfehlung bei hübschen Frauen Der junge moderne Don Juan ist mehr ein Mann der Feder als des Schwertes."

So wird der Dilettantismus groß gezogen und zugleich das leere Strebertum, dem es nicht um die Sache, sondern um eine momentane Anerkennung zu tun ist. Das Publikum läßt sich aber auf die Dauer nicht täuschen.

In Frankreich fehlt es niemals an Leuten, die das Publikum zu unterhalten verstehen. Da hat sich jezt ein Kreis von Schriftstellern und Künstlern zusammengetan und einen in Geheimnisse und

Mystik gehüllten Bund gegründet. Es ist ein Orden, La Rose + Croix du Temple heißt er, und Josephin Peladan ist der Großmeister. Natürlich nennt er sich Sar, weil das sehr unheimlich flingt. Und absolut ist er auch, weil das gegen die republikanische Verfassung Frankreichs woltuend absticht. Im übrigen ist er Magier, und hierin hat er vieles mit seinen Landesgenossen gemeinsam. Denn der Offultismus wird drüben gegenwärtig gut honorirt, und Hauffe-Spekulationen in Mystik können vor der Hand nichts schaden. Vor ein paar Tagen hat nun der Sar Josephin Peladan im Rate der Siebenmänner" eine ideale Ausstellung für den Frühling 1892 anbefohlen. In der feierlichen Aufforderung, welche der Sar bei dieser Gelegenheit an die Magier auf dem Gebiete der Poesie und Kunst erläßt, befinden sich folgende kluge Stellen:

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„Noch einmal muß das Ideal sich offenbaren vor der slavischmongolischen Invasion. Die sterbende lateinische Rasse muß denjen igen, welche auf sie folgen sollen, ein Buch, einen Tempel, einen Degen überliefern. Es ist nötig, ein Verzeichnis aufzunehmen von den Schäßen, die Vergangenheit und moderne Erwerbungen aufgespeichert haben; es ist vor allem nötig, in geeigneter Weise das Werk der Civilisirung der kommenden Barbaren zu vollführen.

Nun kann allein die Kunst auf das seelische Ganze wirken, ohne daß Mystizismus dabei ist; wir alle kennen Menschen, die an Phidias und Leonardo glauben und sich nicht um die katholische Wahrheit bekümmern.

Der zeitgenössischen Kunst und besonders der ästhetischen Bildung ein theokratisches Wesen einzupflanzen, das ist unser neuer Weg.

Zerstören den Begriff, welcher sich an die gute Ausführung knüpft, vernichten den Dilettantismus der Manier, unterordnen die Künste der Kunst, das heißt zurückkehren zu der Tradition, welche darin besteht, das Ideal als den alleinigen Zweck architektonischen, malerischen oder plastischen Strebens anzusehen.

Wie jene erhabenen Britten, wirken wir ein jeder nach seiner Weise: aber das heilige Herz im Herzen und das Zeichen des Kreuzes als Erkennungszeichen."

Mit solchen und ähnlichen Worten befiehlt der Sar Josephin Peladan im Namen von Jesus, dem alleinigen Gotte, und von Petrus, dem alleinigen König, allen denen, die den zwölften Vers des zweiten Kapitels vom Bereschit verstehen, ihre Kraft für den künstlerischen Plan einzusehen, bei Strafe, aus dem Orden gestoßen zu werden." C. G.

Litterarische Neuigkeiten

Luise von Kobell, „Ignaz von Döllinger." Erinnerungen. Verlag von Ostar Beck in München.

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Die Verfasserin dieses jüngst erschienenen ungewöhnlich intereffanten Buches ist die Tochter des bekannten Gelehrten und Dialektdichters Franz von Kobell, Gattin des Staatsrats von E senhart. Dollinger war mit ihr und ihrem Manne befreundet; während der lezten zwölf Jahre seines Lebens machte er allwöchentlich einmal, zumeist am Freitag, mit ihnen längere Spaziergänge in den Anlagen des Englischen Gartens". Dabei wurde, nach seinem Ausdruce, de omni re scibili et quibusdam aliis gesprochen. Auch in seinem Heim und während seiner Landaufenthalte am Tegernsee ward mit den Freunden über bedeutende Menschen und Dinge der Vergangenheit und Gegenwart Unterhaltung gepflogen und dann durch ernste und launige Briefe ergänzt. Das Buch bringt nun Mitteilungen aus dem reichen Schage dieser schriftlichen und mündlichen Aeußerungen des berühmten Theologen; dazu wird manches erzählt, was er getan und erlebt. Es ist ein wertvoller Beitrag zur Geschichte Döllingers und seiner Zeit; und sehr unterhaltend, belebt durch viele kleine Züge anekdotischer Art. Welche Szene aus der Tragikomödie der Geschichte, wenn Döllinger von seiner Romreise erzählt: Wissen Sie, was ich mir bei der Audienz beim Papste dachte? Ich dachte: nie wieder. Schon das Zermoniell mißfiel mir. Ich hatte die Audienz mit Theiner. Jeder Priester muß dreimal niederknieen: im Vorzimmer, inmitten des Audienzzimmers, endlich vor dem Papste, der einem seinen Fuß in weiß- und goldgesticktem Pantoffel zum Kusse hinhält. Nach dieser Zermonie erhoben wir uns, und Pius IX. sprach mit uns in etwas alltäglicher Weise, die Welt habe sich vor dem apostolischen Stuhle zu beugen, dann sei das Wol der Menschheit gesichert, der Papst sei die höchste Obrigkeit, der alles untertan sein müsse. Dann fragte er uns über dies und jenes und_sprach_weiter, ohne auf die Antwort zu warten, in einem ge= läufigen, aber ungewählten Französisch. Er war ein schöner Mann und imponirte den Frauen so sehr, daß sie vor ihm wie vor Gott auf den Knieen lagen. Diesmal zeigte sich in seinem Gesichtsausdrucke schon bei unserem Eintritte etwas wie spöttische Neugierde,

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wie wird sich der dentsche Pedant mit unseren Zeremonien abfinden? Man hatte das Gefühl, dieser Papst könne bei Gelegenheit ein treffendes Bonmot machen, aber sich nicht zu einer selbständig geistigen Denkart erheben. Und doch sagte er oft, er wolle etwas unternehmen, was fein anderer konnte, er wolle neue Dogmen in die Welt senden. Er hat die unbeflekte Empfängnis Marias und die Unfehlbarkeit ins Leben gerufen." Das priffig geniale Bauerngesicht, welches Lenbachs Pinsel verewigt hat spist es nicht hervor aus dieser scheinbar jó harmlosen Schilderung? Ist er nicht köstlich, der knieende Priester, der den Gesichtsausdruck dessen, dem er den Pantoffel füßt, mit ironischer Ueberlegenheit betrachtet? Wie oft haben, vorher und nachher, lange, lange Bullen und Encycliken jenes Rezept die Welt habe sich zu beugen u. f. w. „in etwas alltäglicher Weise" als Allheilmittel angepriesen! Ein andermal erzählt er: Paul IV. verdanken wir den ersten eigentlichen Inder. Das Verbot der Bücher ist interessant; es sollte auf dem sogenannten ex cathedera beruhen. Zu meinem Erstaunen erfuhr ich jedoch in Rom 1857, daß die Denunziation hierin maßgebend sei. Es kam nämlich eines Tages der Generalsekretär der Kongregation im Auftrag des Papstes zu mir, um mich als Deutschen über die Frohschammerische Arbeit Ursprung der menschlichen Seelen" zu befragen. Ich erfundige mich vor allem, ob der Generalsekretär denn die fragliche Schrift gelesen? „Nein, ich verstehe nicht deutsch. Es verstehen überhaupt nur wenige diese Sprache. Indeß genügt es, daß eine beim Vatikan angesehene Persönlichkeit das Buch anzeigt, anstößige Stellen ins Italienische übersezt oder überfegen läßt, und das Buch kommt nach Antrag des Referenten auf den Inder." "Des Referenten? (sagte ich), der des Deutschen unkundig ist?" Ich wante ein, daß herausgerissene, vom Ganzen losgetrennte Säße oft einen entstellten Sinn haben und man auf diese Art ein sehr unrichtiges Urteil von dieser lehrreichen Abhandlung bekommen könnte. Der Generalsekretär zuckte die Achseln: sono le nostre regole." Damit war es abgetan. Frohschammer blieb auf dem Inder. Nicht minder interessant ist eine Begegnung im Jahre 1884: Die damalige Kronprinzessin von Deutschland wollte ihn kennen lernen, er ward ihr im Atelier Lenbachs, der soeben im Auftrage des Papstes ein Bild Bismarcks für die vatikanische Galerie gemalt hatte, vorgestellt. Die Fürstin, der Gelehrte und der Maler stehen vor dem Bilde des Staatsmannes. Wie viel muß geschehen sein, daß der Papst sich Bismarck bestellt“, sagt die Kronprinzessin welcher Döllinger eine seltene Begabung und Leutseligkeit“ zusprach. Nicht immer scheint ihm, was aus Berlin fam, ganz gefallen zu haben. „Wie nach dem Ausdruck des römischen Satirikers so schreibt er der Freundin der syrische Orontes sich in die Tiber ergossen hatte, so scheint dieses Jahr die Spree, allen geographischen Gefeßen zuwider, sich in den Tegernsee ergießen zu wollen jo sehr wimmelt es hier von Berlinern und Berlinerinnen." Nicht alle Welt und nicht alle Formen der Weltfreude gefielen ihm. Die Mädchen (erzählt er aus seiner Jugend, die mir in ruhiger Positur ganz anmutig erschienen, fand ich schrecklich, wenn sie beim Tanze) so atemlos mit den Herren herumrasten. Wenn sie wenigstens ein Menuett getanzt hätten, aber diese Walzer! Ein Professor, der uns Studenten einmal einen Vortrag zur Geschichte des Tanzes" hielt, sagte: Die Tänze der fremden Völker stellen die Werbung dar, der deutsche Walzer stellt die Ehe dar; dort bemüht man sich voll Liebenswürdigkeit um die Mädchen, hier ist man bereits im Besize derselben. Und er hatte Recht.“ Bisweilen erläutert er, dessen Wissensdrang durch ein ganz außerordentliches Gedächtnis unterstügt ward, seine Gedanken durch heitere Beispiele. Es ist von Originalen die Rede. Welch eine Mischung von Verstand, Oberflächlichkeit, Liebenswürdigkeit und Leichtsinn in Geldsachen repräsentirte z. B. der Fürst W.! Er war dermaßen daran gewöhnt, von seinen Gläubigern angehalten und verfolgt zu werden, daß, als er sich einmal beim Austritt aus der Kirche an seinem Mantel festgehalten fühlte, er, sich umdrehend, entrüstet ausrief: „Das ist denn doch nicht der Play!" Zu seinem Vergnügen entdeckte er, daß sein Mantel nur an einem Nagel hängen geblieben war. Es eristiren massenhafte Anekdoten über den Fürsten, aber man tut am besten, hierin wie der verstorbene König von Hannover zu verfahren: Er empfahl einer Aebtissin eine schöne Sünderin, welche von ihrem Geliebten verführt worden war, zur Aufnahme in ihr Kloster. Die Aebtissin schrieb, sie bedauere vielmals, allein der Ruf der jungen Dame sei n cht ohne Makel, worauf ihr der Regent erwiderte: Ehrwürdige Frau, machen Sie es wie ich, ich glaube bei derlei Dingen stets nur die Hälfte von dem, was man sagt, und würde man mir hinterbringen, Sie hätten Zwillinge bekommen, so würde ich auch nur die Hälfte glauben." Und Dollinger selbst? Als der schöne Mann mit dem Talente für Bonmots sich unfehlbar erklärte, da wollte Döllinger nur etwa die Hälfte glauben und man sagte mit Recht, der Streit ginge darüber, ob zweimal zwei fünf sei oder sechs. Ja, le nostre regole! Auch er ist niemals davon frei geworden. Konnte er auch eine gegeschichtliche Darlegung über die Verehrung des heiligen Georg mit den Worten schließen: „Leider muß ich besorgen, durch diese Details dem Wein Ihrer Andacht zum heiligen Georg einiges Wasser beiVerantw.: Dr. Curt Psüße Grottewiß, Berlin.

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gemischt zu haben" er kam dennoch sein Lebenlang nicht aus dem Zwiespalt zwischen Wasser und Wein, und er mußte, wie jeder Wundergläubige, bisweilen vom Weine, sagen: Dies ist Wasser, und vom Waffer: Dies ist Wein. Entrang es sich auch einmal schmerzvoll seinen Lippen: „Eine Illusion um die andere verlieren, das ist das Leben"die große zweitausendjährige Illusion hielt er fest. Oder besser: sie hielt ihn fest. Denn sein Glaube war ehrlich. Aber dieser scharfe, kraftvolle Geist ist durch eine Weltweite getrennt von allem, was wir als das Beste unserer Zeit betrachten. Wir können ihn bewundern. Aber ihn lieben, ihn gelten lassen, ihm folgen das können wir nicht.

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Hugo Erdmann, Anleitung zur Darstellung chemischer Präparate. Ein Leitfaden für den praktischen Unterricht in der anorganischen Chemie. Frankfurt a. M., H. Bechhold. 1891.

Verfasser überträgt die Prinzipien, die für den Unterricht in der organischen Chemie zur Geltung gelangt sind, auf die anorganische Chemie und will den Schüler durch Vorstellung von Präparaten für die Analyse vorbereiten. Aber es will scheinen, daß sich diese Prinzipien nicht ohne weiteres übertragen lassen. In der organischen Chemie genügt es, wie schon aus der Lehre von den Somerien hervorgeht, durchaus nicht, die in einem Körper enthaltenen einzelnen Elemente in ihrer Menge festzustellen wie in der anorganischen Chemie, sondern auch die Gruppirung der Atome und Moleküle muß erkannt werden, der Kern, der in einer organischen Verbindung enthalten ist. Nur durch Herstellung von neuen Verbindungen kann diese Erkenntnis erreicht werden. Für die organische Chemie ist also die Darstellung von Präparaten zugleich die Einführung in die Methode und Technik der Analyse selbst.

In der anorganischen Chemie ist die Technik und Methode der Analyse außerordentlich viel einfacher und bedarf nicht des propädeutischen Unterrichts in der Herstellung von Präparaten.

Trotzdem kann ja das Buch ein sehr nügliches sein und durch die gewählten Uebungsstücke sich für den Unterricht als sehr praktisch herausstellen. Den übrigen Unterricht müssen wir berufenen Fachlehrern überaffen. A. D.

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Herr Ph. Reklam ist nicht nur eifrig bemüht, ältere Werke, die bereits in einem anderen Verlag erschienen sind, sobald dies möglich ist, seiner billigen Universal-Bibliothek einzureihen, sondern er bereichert seine Sammlung auch stets durch neue Schriften aus allen Gebieten der Weltlitteratur. Zu den beachtenswerten Erscheinungen der Universal-Bibliothek auf dem Feld der modernen schöngeistigen Litteratur gehört auch die vorliegende Novelle Der gute Kampf" von Ernst Remin. Der Verfasser offenbart sich in derselben als trefflicher Novellist. Der Konflikt der Novelle, die wie so häufig in unserer modernen Litteratur die Ehe behandelt, ist klar und groß gestaltet und ausgezeichnet psychologisch vertieft; die Charaktere find scharf und lebenswahr gezeichnet. Die Darstellungsweise der Ich-Erzählung ist knapp und lebhaft, an geeigneten Stellen von feinem Humor erfüllt. In den Gang der Handlung sind geiftvolle Bemerkungen und Auseinandersezungen über Philosophie und Kunst, namentlich Florentiner, eingeflochten. Die Novelle ist in jeder Hinsicht lesenswert.

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Geringeren Anspruch auf litterarische Bedeutung machen die humoristischen Skizzen aus dem amerikanischen Leben von Berges. Es sind kleine, oft an Satiren oder Karrikaturen grenzende Humoresfen, die in flottem, humorvollem Ton erzählt-sind. Ganz interessant und lustig werden da die verschiedenen Sonderbarkeiten und Auswüchse des Yankeetums geschildert, der unbegrenzte Unternehmungsund Spekulationsgeist, die wundersame Firigkeit im Schließen und Lösen der Ehen, das dumme Progentum der Millionäre und manches andere. Alles ist über die Wirklichkeit erhoben und etwas übertrieben. Es ist eine ganz annehmbare leichte Lektüre, die besser ist als manch gewöhnlicher Düßendwaarenroman. E. Höber.

Verlag von F. & P. Lehmann, Berlin W., Körnerstr. 2.

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Erscheint jeden Sonnabend. - Preis 4 Mart vierteljährlich. Bestellungen werden von jeder Buchhandlung, jedem Postamt (Nr. 3589 der Postzeitungsliste), sowie vom Verlage des Magazins" entgegengenommen. Anzeigen 40 Pfg. die dreigespaltene Petitzeile. ❖ Preis der Einzelnummer: 40 Pfg.

60. Jahrgang.

Berlin, den 12. September 1891.

Nr. 37.

Inhalt: Prof. Sarrazin: Der Dichter von „Paul und Virginie“ in neuer Beleuchtung. - Dr J. Lang: Suggestion und Strafrecht. Hermann Bahr: Vom jüngsten Spanien. A. Dehlen: Neue Werte für alte Franz Servaes: Ein Wiedersehen. Henri Becque: Der wahre Hamlet. Franz Bauer: Litterarische Chronik. Litterarische Neuigkeiten: Ph. Steins „Briefe von Goethes

Worte.

Jan Neruda.

Mutter", besprochen von -r.

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Auszugsweiser Nachdruck sämmtlicher Artikel, außer den novellistischen und dramatischen, unter genauer Quellenangabe gestattet. Unbefugter Nachdruck wird auf Grund der Gesetze und Verträge verfolgt.

Der Dichter von „Paul und Virginie“ in neuer

Beleuchtung.

Von

Prof Dr. Joseph Sarrazin (Freiburg i. Br).

Mit selig verklärtem Antlig, von langen Locken umwallt, fist ein Mann vor einer Hütte. Sein getreuer Hund blickt ihn mit liebender Hingebung, eine abseits stehende Negerin mit wonnigem Entzücken an. Diese Titelvignette der älteren Ausgaben von „Paul und Virginie" giebt vom Charakter Bernardin de SaintPierres ein unrichtiges Bild. In seinem Briefwechsel, namentlich aber in den Zeugnissen der Zeitgenossen, tritt der Jünger Rousseaus uns als unruhiger, unverträge licher, ehrgeiziger, zeitlebens sich verkannt wähnender und in seinen Beglückungsplänen gehemmter Reformator entgegen, so daß ein Eingehen auf seinen Lebensgang sich wol verlohnt.

Die Jugend Bernardin de Saint-Pierres verfloß ziemlich ungebunden im Vaterhaus zu Hâvre. Als ihn eines Tages der Vater die Höhe des Doms zu Rouen bewundern ließ, rief der Knabe zerstreut aus:,, wie hoch fie fliegen!" Statt nach dem gothischen Türme, hatte er nach den Schwalben am Himmel geschaut. Als die Frage der Berufswahl kam, wünschte Bernardin Kapuziner zu werden, weil er einmal einen biederen Bettelmönch bei prächtigem Sommerwetter auf seiner Wanderschaft durch die üppigen Fluren der Normandie begleitet hatte. Doch brachte ihn die Lektüre des „Robinson" auf andere Pläne: er schiffte sich mit seinem Öheim nach Martinique ein, weil er eine Insel zu entdecken und als Gesetzgeber zu regieren hoffte, wie einst Don Quixotes Knappe Sancho.

Bei seiner Rückkehr von der Seereise war Bernardin sehr ernüchtert, da sein Onkel als ernster Mann der Praxis ihm die ziellofe Schwärmerei gründlich ausge

trieben hatte. Noch einmal loderte diese hell empor, als Bernardin ins Jesuitenkollegium zu Caen geschickt wurde: die Schilderungen der Heldentaten der Missionare und ihres Märtyrertodes begeisterten ihn so sehr, daß er den Plan faßte, auch im fernen Süden Missionar zu werden. Der Tod der Mutter und des Vaters Wiederverheiratung trieben den Schwärmer aus dem Elternhaus und nach Paris, wo er ein freudloses und lockeres Leben führte, bis ihm endlich durch ein Versehen der französischen Heeresverwaltung eine Offizierstelle im Geniecorps in den Schooß fiel. So machte Bernardin den unrühmlichen Feldzug von 1760 mit. Bald wurde er wegen dienstlicher Reibereien abberufen und zur Disposition gestellt, dann auf dringendes Bitten nach Malta abgesant, aber auch hier verstand er sich nicht der Disziplin zu beugen, so daß seine Offizierslaufbahn ein jähes Ende fans.

In Paris beschäftigte sich der Lieutenant a. D. Benardin de Saint-Pierre mit dem Abfaffen von Denkschriften über allerlei Mißstände in Heerwesen und Verwaltung, fand aber nirgends Gehör. Deshalb wante er sich nach Rußland, um am Uralsee eine Ansiedlung zu gründen. Durch den Anblick der männerfreundlichen Kaiserin Katharina, die den blanäugigen Offizier huldvollst anlächelte, wurde er indes bei der Audienz derart außer Fassung gebracht, daß er den eigentlichen Zweck derselben vergaß und an den Fürsten Orloff sich wenden mußte. Dieser ging auf die Kolonialutopien des jungen Franzosen überhaupt nicht ein. Nunmehr schüttelte Bernardin Rußlands Staub von seinen Füßen und suchte in Polen einen günstigen Boden für seine Reformpläne. Die Liebe einer freigebigen, polnischen Fürstin fesselte Bernardin über drei Monate an Warschau, der unvermeidliche Bruch des wenig ehrenvollen Verhältnisses trieb den Wandervogel nach Frankreich zurück.

Bernardin war dreißig Jahre alt und hatte keine anderen Subsistenzmittel, als seine ungebetenen Denk

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