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Kleidung, deren angstvolle Blicke sich keinen Augenblick von dem Kranken abwendeten.

Der Doktor befragte die Wärterin, das Hausmädchen, doch diese wanten sich, indem sie antworteten, immer mit den Worten an diese dritte Person: Nicht wahr, Signora Giuseppina? so daß Gelsi, die Blicke, welche die Baronin ihm zuwarf, nicht beachtend, sich fortan nur an diese allein wante. Und Giuseppina antwortete mit einer sanften Stimme, die zu Herzen sprach, flar und bestimmt, kein Wort zu viel, keins zu wenig. Ich verstehe, sagte der Doktor. Dann beugte er sich über den Kranken und sagte: Wie geht es, Signor Alfredo? Wie fühlen Sie sich?

Cavaliere Alfredo bewegte mit Mühe den Kopf.

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Ah! sagte Gelsi, -er hat eine Bewegung gemacht, er versteht mich!

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Ach, seufzte Guiseppina, er versteht sehr wol, wenn er sich nur auch verständlich machen könnte!

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Die Baronin näherte sich dem Bette, auf der entgegen! gesezten Seite, an der sich Giuseppina befand. Alfredo Alfredo! Kennst du mich? Ich bin Eleonora, Eleonora.... Willst du, daß ich ein wenig bei dir bleibe? Dieses so betonte ich" verriet ihre geheime Absicht. Sie bot sich an, einige Stunden bei ihm zu wachen, in der Vorausschung, daß die andere dann nicht wagen würde zu bleiben, oder daß man Mittel finden würde, sie fortzuschicken. Doch der Kranke wante das Gesicht ab, heftete die Augen auf Giuseppina, die wie Espenlaub zitterte, und streckte ihr den noch gesunden Arm entgegen. Giuseppina ergriff die Hand und behielt sie in der ihren. Gelsi schritt ein.... Signora Baronessa, wir wollen morgen sehen! Für diese Nacht ist es am besten, wenn Signor Alfredo feine fremden Gesichter um sich sieht.

Aber ich...

Ganz wol! Ich habe Unrecht gehabt, von Fremden zu sprechen. Ich hätte sagen sollen: die Gesichter von Verwanten, die der Kranke lange nicht gesehen hat. Die anderen. Herrschaften können, wenn sie wollen, im Nebenzimmer abwechsend wachen... Sie, Frau Baronin, sollten sich niederlegen... Sie werden müde von der Reise sein, und im Notfall werden Sie ja gerufen. Wer wird heut Nacht wachen?

Nachdem er noch einige Verordnungen gegeben, cutfernte sich der Doktor. Heine Verschlimmerung, sagte er draußen, indeß ist die Lage doch crust, sehr ernst! Ich komme morgen um sechs wieder. Guten Abend, guten Abend.

Die Baronin begleitete ihn hinaus. Sie werden mir zu geben, Doktor, daß die Anwesenheit dieser Person ein Skandal ist. Wenn ich das geahnt hätte, gebe ich Ihnen mein Wort, daß ich nicht gekommen wäre, um in dieser Weise empfangen zu werden... denn mein Bruder, so krank er ist, hat mir zu verstehen gegeben, daß ich ihm lästig bin...

Glauben Sie das ja nicht!" glauben Sie das ja nicht! unterbrach der Doktor. Ich kann mir den Seelenzustand Signor Alfredos sehr wol erklären. Selbst Menschen, die sehr krank sind, denken, vielleicht gerade weil ihre geistigen Kräfte geschwächt sind, nicht an den Tod, bis irgend ein Zufall ihnen die Möglichkeit eines solchen Ausganges vor die Augen führt. Cavaliere Alfredo ist sich der Gefahr, in der er schwebt, bewußt geworden, als er die Verwanten, als er Sie, Frau Baronin, gesehen hat. Und der Gedanke, dem großen Schritt ins Jen= seits nahe zu sein, hat schon Helden beunruhigt.

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Die weise Auseinanderseßung überzeugte die Baronin nicht. Nein, nein! sagte fie. Die Sache ist sehr einfach. Alfredo zieht seine Geliebte seiner Schwester vor.

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Gelsi hatte Eile. Verehrte Frau Baronin, sagte er. Im Leben bleibt uns nichts übrig, als uns mit Geduld zu waffuen. Mit Kranken und mit Kindern kann man nicht rechten. Und übrigens ist das Mädchen cine vortreffliche Krankenwärterin. Ich wünschte, ich hätte viele solche im Hospital.

IV.

Die Rudeni, die Cuaglia, die Minucci waren, so gut es ging, im Hause untergebracht. Die anderen verabschiedeten. sich, als die Uhr elf schlug. Doch die Baronin bat den Better Raimondi und den Rechtsanwalt Rizzoli, noch ein wenig zu verweilen. Sie verabschiedete ihren Gatten, der sich nicht ungern mit seiner Zeitung zurückzog, und riet den beiden Neffen Cuaglia und Minucci, sich für einige Stunden schlafen zu legen.

Wenn alle zu gleicher Zeit wachten, würde sich bald niemand mehr aufrecht halten können. Zulegt fagte sie zu ihrem Schwager Cuaglia und zu Minucci: Ihr aber erweist mir die Gefälligkeit noch hier zu bleiben. Ich habe mit Euch zu sprechen.

Es geschah wie sie wollte. Und nun begann sie Raimondi Vorwürfe zu machen. Er war von einem Leichtsinn gewesen! Er wohnte in Venedig, verkehrte freundschaftlich mit Alfredo... er mußte wissen mußte benachrichtigen.

Raimondi war erstaunt. Was sollte ich wissen? Wobon Euch benachrichtigen?

- Nun von diesem Liebeshandel!

Aber was fällt dir ein, Eleonora! Erstens hatte ich nur eine ungefähre Ahnung von der Geschichte. Und dann, was weiter? Ein Mann wie er, reich, unabhängig, Junggeselle... Sollte ich vielleicht ein Cirkular herumschicken?

- So findest du es schicklich, daß wir, die Verwanten, hierherkommen und den Play, der uns gebührt, von einer Fremden besetzt finden? Was mich betrifft, wenn ich geahnt hätte, daß ich hier eine Hausfrau finden würde, wäre ich, ungeachtet der Zuneigung, die ich für meinen Bruder habe, in Livorno geblieben.

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Ülebertreiben wir nicht! sagte Graf Cuaglia, der ein Mann von vieler Gemütsruhe war.

Und inwiefern Hausfrau? sagte Raimondi lebhaft, wenn die Giuseppina doch sonst nie im Hause gewesen ist? Sie ist gestern gekommen wer konnte sie daran hindern? Sicher hätte Alfredo, wenn er sprechen oder schreiben gekonnt hätte, nach ihr geschickt! Und wenn ich sehe, wie das Mädchen ihn gepflegt, kann ich es ihm nicht verdenken... jeit gestern hat sie sein Bett nicht eine Minute verlassen. Sie ist nicht, sie schläft nicht... ich begreife nicht, wie sie es aushält.

Du glaubst wol an Wunder? sagte die Baronin spöttisch. Ein solches wäre die Interesselosigkeit dieser Giuseppina ! Gewiß ist, daß sie im Fall eines Unglücks alles verliert, bemerkte Minucci.

sich nicht durch ein Unglück überraschen. Für sie ist die Liebe Wie naiv! rief die Baronin. Diese Geschöpfe laffen Rechtsanwalt, habe ich Sie gebeten zu bleiben, weil Sie nicht ein Handel. Sie wird sich vorgesehen haben. Deshalb, Herr nur ein Freund unserer Familie, sondern auch in diesem Falle der beste Ratgeber für uns find.

nicht, daß man sich Ratschläge von Rechtsanwälten nur in -Diese Frauen! dachte Rizzoli. Wissen Sie denn deren Bürcaus erbittet? Er neigte jedoch zustimmend den Kopf. Ich nehme Gift darauf, - fuhr die Baronin in geheimnisvollem Flüsterton fort, daß hier eine Jutrigue dahinter steckt. Wenn ein Mann in die Hände ciner Intriguantin Brüder, Neffen, ja jogar Eltern und Kinder, wenn er welche fällt, sicht er nur durch ihre Augen und vergißt Schwester, hat... kurz, ich bin fest überzeugt, daß diese Signora Giuseppina ihn zu einem Testament zu ihren Gunsten beschwazt hat...

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Du hast immer vorsintflutliche Ansichten, Raimondi, unterbrach die Baronin, und fic fuhr mit bekümmerter Miene fort: Gott weiß, daß es mir widerstrebt, alle diese Dinge zu berühren! Wollte der Himmel, mein Bruder lebte noch hundert Jahre! Ich verabscheue das gemeine Interesse, überdies habe ich ja keine Kinder; ich spreche nur für Euch, für Eure Intereffen, und eine Ungerechtigkeit würde mich empören. Es sind schon allzuviel Ungerechtigkeiten in unserer Familie begangen worden. Der arme Papa hatte Alfredo in einer Weise bevorzugt... nun, er war der einzige Sohn! Was ich Sie nun fragen wollte, Rizzoli, ist Folgendes: Für den Fall, daß eine neue Ungerechtigkeit wirklich begangen und wir, die nächsten Verwanten, dieser leichtfertigen Person hintangesezt werden würden, giebt uns das Geseß keine Mittel in die Hand, unsere Rechte zu behaupten?

Ueber das ganze?

Ja wol, die Geseße sind klar genug. Unbestreitbare Rechte haben nur die direkten Nachkommen und die überlebende Gattin. Gewiß könnte man ein Testament anfechten, das durch Betrug oder Zwang erlangt worden wäre, allein darüber läßt sich doch erst später sprechen.

Signora Baronessa, erwiderte der Advokat, da Signor | und es geschah ziemlich unbarmherzig und in einem fabelhaft wissentAlfredo keine direkten Nachkommen und keine Gattin hinter | schaftlichen Gewande. Nicht immer pflegt du Prel diese strengfaltige Lassen hat, ist er vollständig frei, über sein Vermögen nach Toga der falten Forschung zu tragen, man sah ihn auch schon im seinem Belieben zu verfügen. bunten Mantel und Spizhut der Magier. Hier indessen also operirte Gumppenbergs derb ins Fleisch. er mit der Sezirfonde. Und er schnitt dem dritten Testamente“ Leider auch ins Gesunde, mit stümperhaften oder böswilligen Fehlschnitten, wie der beleidigte Offenbarer weint. Und deshalb, wie auch aus anderen Gründen, machte sich dieser daran, selber eine Art Kommentar zu seinem neuesten Gottesworte zu schreiben, Prophet und Exegetiker in einer Person, und er gab diesem Selbstkommentar den etwas ausschweifend langen. Titel: „Der Prophet Iesus Christus, die neue Religion und andere Erläuterungen zum dritten Testamente Gottes. Von Hanns von Gumppenberg." (München, bei M. Pößl.) In der Vorbemerkung giebt er kund, daß er in dieser kurzen Schrift einerseits auf gewisse Angriffe antworten wolle, welche an der strenggefügten Logik seiner Offenbarung zweifeln machten, und daß er andererseits nachträglich Aufklärungen über den „Propheten Jesus Christus insbesondere hinsichtlich seiner nachirdischen Entwickelung“ bringe, Aufklärungen, die ihm erst nach Druck des „dritten Testamentes“ durch die bekannte „Geben" geworden seien. Der erste Teil: „Zur nachirdischen Fortentwickelung," behandelt u. a. auch das Wesen des

Uebrigens, fügte Rizzoli hinzu, ist es jest dreiviertel auf elf, und ich muß noch einige Aften durchsehen. Ich bin, wie gesagt, mit Raimondi der Ansicht, daß Signor Alfredo gar feine Bestimmungen getroffen hat. Ein gerichtliches Testament ist nicht vorhanden und jedes andere ungültig.

Der Advokat empfahl sich. Raimondi ging mit ihm. Mein Ehrenwort darauf, sagte derselbe auf der Treppe, - ich hatte mehrmals Lust, meiner Cousine eine Ohrfeige zu geben... Dieser Chuismus! Der arme Alfredo ist noch nicht tot und schon hat sie alle Schlüssel an sich gerissen und durchstöbert die ganze Wohnung. Diese gemeine Habsucht. Und dabet dieser Heiligenschein, bei ihrer Vergangenheit... es ist zum Lachen!| Ich hätte die Verwanten von dem Liebeshandel benachrichtigen follen?... eine gottvolle Idee! Was geht das mich an? Testament oder nicht Testament, ich erwarte feinen Centesimo. Es tut mir wahrhaftig leid, daß ich die Telegramme abgeschickt habe, welche diesen Schwarm von Raben hergelockt...

Nun, nun, bemerkte Rizzoli mit einem satanischen Lächeln, - wenn es sich um pekuniäre Interessen handelt, find die Menschen alle gleich. Auch du......

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Was fällt dir ein?

- Du wirst mich doch nicht glauben machen wollen, daß du dich eher über Alfredos Verlust trösten würdest, so gern du ihn hattest, wenn er dir hunderttausend Lire hinterlassen hätte? Unverbesserlicher Skeptiker, murmelte Raimondi.

Litterarische Chronik.

(Fortschung folgt.)

Des Propheten Hanns von Gumppenberg schlimme
Erfahrungen und weitere Enthüllungen.

Die Zeiten sind ungünstig für Offenbarungen und Religionsgründungen. Selbst die Anhänger der „übersinnlichen Weltanschauung“, die jeder Kartoffel Glauben schenken, welche spukhaft, von unsichtbaren Händen geschleudert, durch die Luft fliegt, selbst die Spiritisten, sofern sie sich auf Wissenschaftlichkeit was zu Gute tun, wollen nichts von modernen Propheten wissen. Das macht: sie sind meist selber schon von prophetischen Anwandlungen genarrt worden und haben es an sich selber erfahren, wie man sich selber was aus der anderen Welt offenbaren kann, ohne es zu merken, daß man sich selber foppt. Bezeichnend für diese starke Abneigung gegen allzukühnen praktischen Spiritismus in den Kreisen der „forschenden“ Spiritisten ist der Rat, den die hiesige „psychologische Gesellschaft“ dem jüngsten Propheten, Hanns Freiherrn von Gumppenberg, sofort nach Erscheinen seines „dritten Testamentes“ gegeben hat. Der Rat hieß: „Prophet, entferne dich! So du dich aber nicht entfernst, werden wir dich entfernen. Denn dein Prophetentum bringt uns um alle wissenschaftliche Reputation." Das eigentliche Oberhaupt dieser Gesellschaft deren Wissenschaftlichkeit übrigens sonst recht erkleckliche Dosen von Glauben zuläßt, Dr. Freiherr Karl du Prel, augenblicklich die erste Autorität unter den mystisch angehauchten Psychologen unserer Zeit, beeilte sich nach Erscheinen des seltsamen Prophetenbuches auch persönlich, sofort sein Urteil öffentlich abzugeben. Es geschah das in einem Feuilleton des größten münchener Blattes, der „Neuesten Nachrichten,“

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Prophetentums. Wir erfahren da, daß Moses, Luther und Gumppen

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berg „Propheten des Wortes“ find, während Christus ein „Prophet der Tat" war: „Ein Prophet der Tat nun war Jusus Christus, und zwar im allerhöchsten Sinne. Von einem Geiste der nächsthöheren Stärkeklasse geistig erschaffen und durch Joseph und Maria der körperlichen Hülle teilhaftig, wurde er von Gott bestimmt, das für alle Zeiten maßgebende Vorbild eines reinen, selbstlosen und demütigen Erdenlebens zu geben. So war sein Erdenleben vom ersten bis zum legen Augenblick in den wesentlichen Zügen gottgewollt: die eigene und eigentliche Individualität Christi hatte kein wesentliches Teil daran ebensowenig als Moses oder ich wesentlich Teil an den göttlichen Wahrheiten haben, welche wir mitzuteilen hatten.“ Der zweite Teil ist überschrieben: „Die katholische Kirche, Luther und die Religion." H. v. Gumppenberg, aus der protestantischen Linie dieses alten Geschlechtes stammend, faßt Luther wie Christus als Propheten. Christus wurde zuerst von Gott gesant, aber die unreife Welt verzerrte seine Lehre, · aber auch dessen Zeit war nicht reif zur ganzen Wahrheit, und nun wurde Hanns von Gumppenberg mit dem endgültigen Heilswerke beauftragt. „Und Gottes drittes Testament streifte die lehte Hülle von dem Vilde der Wahrheit ab. Da stehts wunderbar, doch lapidar. Und nun kein Fortschritt mehr, Lessing, Leffing, freue dich, daß du gestorben bist, der Du sie lieber suchen, als haben wolltest. Uebrigens sind einige Anschauungen. dieser „neuen Religion“, deren Vermittler Baron Gumppenberg ist, | sehr schön, so schön, daß es uns nicht stört, wenn wir finden, daß auch Meister Kung, der alte Kung-fu-tszê, fie schon kannte und sämtliche Moralphilosophen nach ihm: „Die Gottheit hat gesprochen: und tatsächlich ist mit der Veröffentlichung des dritten Testamentes die Zeit des Kirchenkultus vorbei, wenn er auch für die träger nachschleppende Masse noch sein veraltetes Dasein fortfristen wird. Durch das neue Wort Gottes weiß fortan jeder, daß nur er selbst mit seinem tiesinnersten Willen für sein geistiges Wol zu sorgen hat, und daß auch nur er selbst dafür sorgen kann: nicht aber ein Priester oder die äußeren Gnadenmittel einer Kirchengemeinschaft. Das große Beispiel eines Erdenmenschen, die Einwirkung des guten Genius, ja Gottes selbst, kann das Gute und Heilbringende im Menschen nur anregen: „erlösen" aber, das heißt: zur höchsten gottnatürlichen Entwickelung führen kann ihn nichts, gar nichts, als sein eigener, individueller Wille. Jeder muß sein eigener Erlöser sein.“

„Ueber Freiheit und Notwendigkeit" handelt der dritte Teil, der eine absolute Freiheit des Handelns leugnet, den Schluß bildet „Einzelnes," Bemerkungen über Luzifer, die Schußengel der Kinder, die Genien und anderes. Alz Schlußfaß: „Gebet eines Erdenmenschen. Lieber Vater aller Geister! Gieb mir Kraft, daß ich täglich mein wahres Wesen reiner erkenne: daß ich freudig den Kampf dieses Lebens überwinde und dereinst dir nahen kann, würdig deiner und meiner selbst! Amen."

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Das Ganze, drittes Testament mitsamt Kommentar, ist unstreitig | das stärkste an „fin de siècle", was Deutschland hervorgebracht hat. Wer als Gourmet die Zeit genießt mit all ihren Absonderlichkeiten und all ihrem geistigen haut goût, mag eine Weile Geschmack daray haben. O. J. Bierbaum. Nachschrift. Soeben wird mir eine merkwürde Frucht des Dritten Testamentes“ und der „Neuen Religion" anonym zugefant. Es ist ein Heft, genau in der Ausstattung der Grumppenbergschen Bücher, als Manuskript gedruckt und trägt den Titel: „Das neue Vater Unser. Eine Offenbarung Gottes. Seiner Zeit mitgeteilt von Hugo Frh. von Trenck.“ Als Gratisbeigabe ist angeheftet „Die neue Kommunion," mit demselben Untertitel. Das Ganze ist ein etwas starksaftiger Scherz lasziver Gattung nach Art des Boccaz, mit ausgesprochen blasphemischem Wesenzuge, kennzeichnet sich aber als Improvisation eines flotten Talentes. In der Profacinleitung zu den im übrigen verfizirten Offenbarungen redet ein Fräulein den Geist Geben also an: „Bitte, sprechen Sie frei von der Leber weg. Was Sie auch immer Bedenkenerregendes auf dem Herzen haben, wir besuchen seit einem halben Jahre, die Gesellschaft für modernes Leben," wir können alles hören.“ Das ist ja an sich erfreulich, aber eigentlich ist es nicht recht von dem guten Baron von Trenck, oder wer sich hinter diesem Schilde verbirgt, daß er so den Anschein erweckt, als würden in besagter Gesellschaft Zoten zum Besten gegeben wie in dieser gepfefferten Ulfbroschüre. Bei der hervorragenden Verdrehungskunst des münchener ultramontanen Hauptorgans genügt so ein Passus, um sofort wieder die Unmoralität der Modernen in alle Winde zu kreischen.

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Litterarische Neuigkeiten

Junius: „Philister über dir!" Dritte Auflage. (Berlin. Hugo Steinig.)

Eine leidenschaftliche Strafpredigt gegen bornirte Juden und bornirte Judenfeinde. Der Antisemitismus, diese Wutkrankheit von heute, und das vertrocknete Judentum, dieses Faulfieber, das sich selber verzehrt, sind niemals wuchtiger abgekanzelt worden. Börnescher Geist steckt in dem Buche, zumal Börnescher Sprachgeist. Wie ein Gewitter entlädt sich der Zorn über die gedankenlosen Philister des Rassenhaffes und der Rassenbeschränktheit. Der Anhang des Buches ist mehr idyllischer Natur, novellistisch aufgepugt, eine fragmentarische Liebesgeschichte mit sehr viel Naturblicken. Aeußerst geschickt gemacht. Der Verfasser scheint indes weniger Künstler, als politischer Streitschriftsteller zu sein, aus dem Lager der Sozialdemokratic. Dem Werkchen ist weiteste Verbreitung zu wünschen in allen Kreisen, wo man noch immer nach dem Recept verfährt. Jud' oder nicht Jud', das ist die Frage. O. J. Bierbaum.

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Aus den Lebenserinnerungen eines Siebzigers. Gotha, Perthes. 1891. 8° 199 S.

Rückwärtsbetrachtungen eines kranken, alten Mannes, vieldeutige Lebensweisheit und offenes Seitwärtstreten von den Geistesaufgaben unserer Zeit. Kein Verständnis für den Kampf um die neue Weltanschauung und die neuen Wirtschaftsverhältnisse. Da es dem Ver

Verantw.: Dr. Curt Pfüße. Grottewiß, Berlin. - Verlag von F. & P.

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Boris von Bielsky, Glück!" Roman aus der heutigen Gesellschaft. (Berlin, Karl Ulrich & Co.)

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Die Spielerromane früherer Zeiten sind uns noch sehr wol in der Erinnerung, oder auch sehr unwol, wie man's nimmt. Sie hatten meist eine sehr plumpe Manier, mit dem Moralbakel zu drohen und ins Erschröckliche" zu wirken. Gute Grundfäße, ja wol, aber man soll auch da die Absicht nicht merken, denn die ist immer unkünstlerisch. Moraldidaktik oder bukolische, die Lehre vom Guten oder von der Rindvichzucht: mit Kunst haben sie nichts zu thun, gar nichts. Nämlich wenn die schönen Sachen lehrhaft vorgetragen werden, sonst wol. Ich habe z. B. aus La Terre cine ganze Menge Landwirtschaft gelernt, was gewiß nicht zu verachten ist, und aus Hermann Bahrs Büchern ein paar sehr schäßenswerte Odeurs, Christentum aber aus Tolstoj. Dies nebenbei. Glück" von Boris von Bielsky ist ein Spielerroman mit sehr viel moralischem, aber noch mehr künstlerischem Hintergrund, ein gutes, wahres, fesselndes Buch. Herr von Bielsky ist zu geschmackvoll und zu sehr Künstler, als daß er sich inmitten seiner Personen ein Känzelchen zurecht machte und davon herunter predigte: „Du sollst nicht spielen!“ „Bilde Künstler, rede nicht!" nach diesem Goetheworte handelnd wirkt er, ohne auch eine einzige Schulmeistermiene aufzustecken, künstlerisch und moralisch zugleich. Zweierlei Fäden schießen durcheinander. Einmal die Einwirkung fanatisch geistlichen Einflusses auf den Frieden einer konfessionellen Mischehe und dann die Leidenschaft des Spieles. Das Ende ist folgerichtig tragisch, aber nicht drückend. Die Erzählung ist durchaus interessant, ohne gezwungen spannend zu sein. Die Charaktere find in großen Zügen deutlich gegeben. An epischem Beiwerk fehlt cs, die Entwickelung ist zu kurz gefchürzt, um Kleinmalerei zu gestatten. Ein Hauptwert des Buches liegt in der Wirklichkeitsatmosphäre aus der heutigen Gesellschaft“. Von deren Echtheit muß selbst der überzeugt werden, der selber diese Gesellschaft nicht kennt. Unangenehm auffällig sind nur hie und da ein paar Romanaltertümlichkeiten im Ausdruck. Einen individuellen Stil besigt Herr von Bielsky überhaupt nicht, darum gebricht es ihm auch an der Fähigkeit zu satten, eigenen Stimmungsbildern.

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Dem Roman ist eine humoristisch angetönte Novelette Shr Kavalier" angefügt, ein kleines Salonstück, wie man in der Klavierlitteratur sagt, flott, prickelnd, amüsant, leichthin.

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O. J. Bierbaum.

August Sturm, Donat. Historisches Drama in vier Akten. Der neueren Dichtungen zweiter Band. Hamburg, Verlagsanstalt und Druckerei Aktien-Gesellschaft (vorm. I. F. Richter). 1891. Als der neueren Dichtungen erster Band" gab August Sturm, der Sohn des bekannten Dichters Julius Sturm, vor einigen Jahren die Gedichtsammlung „Lied und Leben“ heraus. In dieser Sammlung offenbbarte sich A. Sturm als würdiger Sohn seines Vaters und wurde als tüchtiger Lyriker allgemein anerkannt. Und vor allem als guter Dichter zeigt sich A. Sturm auch in diesem zweiten Band seiner neueren Dichtungen, dem historischen Drama Donat". Darin liegt in diesem Fall aber mehr Tadel als Lob. Die Jamben dieses Schauspiels sind erfüllt von warmempfundener edler Poesie und fluten in schönem Strom dahin; aber diese guten Verse machen Donat" nicht zu einem guten Drama. Den an und für sich nicht undramatischen Stoff aus der Graubündener Geschichte hat Sturm nicht richtig dramatisch zu gestalten verstanden. Die beiden ersten Akte können uns in ihrem episodenhaften Hin- und Herreden und -Handeln nur wenig fesseln und erwärmen. Die beiden legten Akte bringen schlagendere, dramatisch bewegte Szenen, die dem Endziel des Ganzen dienen; und auch in ihnen kommt erst klar und voll der seelische Konflikt im Helden Donat von Vaz zum Ausdruck. Das Drama ist wegen der poetischen, lyrisch-reflektirenden aber nicht dramatisch zugespizten Sprache, mehr ein dramatisches Gedicht zu nennen. Die Technik ist sehr mangelhaft und der oftmalige Szenenwechsel würde sich auf der Bühne noch unangenehmer bemerkbar machen als bei der Lektüre. Dagegen hat der Verfasser einige Charaktere seines Dramas vortrefflich gezeichnet, so vor allem den edlen Donat, den Schüßer des rhätischen Volkes vor der österreichischen Herrschaft, und seine Geliebte, Neria. Fassen wir das Urteil zusammen, so ist „Donat“ eine schöne Dichtung, aber kein gutes Drama. Troßdem glaube ich, daß aus dem Lyriker A. Sturm bei einigem dramaturgischen Studium und strenger Selbstzucht auch noch ein Dramatiker werden Denn einzelne Szenen des „Donat" bezeugen unleugbar dramatisches Talent. E. Höber. Lehmann, Berlin W., Körnerstr. 2,

kann.

Gedruckt bei R. Gensch), Berlin SW

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Verlag

Don

S. & P. Lehmann.

Erscheint jeden Sonnabend. — Preis 4 Mark vierteljährlich. Bestellungen werden von jeder Buchhandlung, jedem Postamt (Nr. 3589 der Postzeitungsliste), sowie vom Verlage des „Magazins“ entgegengenommen. Anzeigen 40 Pfg. die dreigespaltene Petitzeile. ❖ Preiß der Einzelnummer: 40 Pfg. &

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Nr. 36.

Inhalt: K. Th. Gaederß: Ein kleiner Goethefund. Dr. Arthur Seidl: Volkslektüre. J. V. Widmann: Der verklagte Amor. - Hugo Grothe: Toteninsel. Prof. Hans Müller: Kaulbachs Badereise nach Ems. Theater von Frit Manthner: Pinero-Blumenthals „Falsche Heilige“. — Enrico Castelnuovo: Giuseppinas Erbschaft. Eugen Reichel: Ist Hamlet fett und kurz von Atem? Litterarische Chronik. Litterarische Neuigkeiten: Kobells „Ignaz Döllinger", besprochen von Mar Bernstein; Erdmanns „Chemische Präparate", besprochen von A. D.; Roderichs „Glückliche Ehe“, besprochen von A. L.; Remins „Der gute Kampf“ und Berges' Amerikana“, besprochen von E. Höber.

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Auszugsweiser Nachdruck sämmtlicher Artikel, außer den novellistischen und dramatischen, unter genauer Quellenangabe gestattet. Unbefugter Machdruck wird auf Grund der Gesetze und Verträge verfolgt.

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in die Ferne schweifen? sieh, das Gute liegt so nah“, fummte ich unwillkürlich vor mich hin; denn der kleine, wunderbarerweise bisher unbeachtete Schatz steckt in dem sonst durchaus nicht unbenutzt gebliebenen litterarischen Nachlaß des berühmten Sammlers, Freiherrn Karl Hartwig Gregor von Meusebach.

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Es sind Briefe und Billets von Goethe, acht an der Zahl. Merkwürdig ist, daß von denselben zwei seit dreißig Jahren bekannt und gedruckt find in Hoffmanns von Fallersleben Buche Findlinge. Zur Geschichte deutscher Sprache und Dichtung", der eine Brief an Heinrich von Kleist über das von ihm herausgegebene Journal,,Phöbus“ (1. Februar 1808), der andere an Arthur Schopenhauer als vorläufiger Dank für ein übersantes Werk (7. September 1815), beide unter Angabe der Quelle; von diesen gelangte wiederum nur der letzte zu der 1861 im Konzertsaale des Königlichen Schauspielhauses in Berlin veranstalteten Goethe-Ausstellung, während weder der an Kleist noch die übrigen sechs in dem damals erschienenen Katalog, der neben hochinteressantem auch allerlei nebensächliches Material enthält, verzeichnet stehen. Dieser Lücke verdanke ich die

Möglichkeit, die folgenden sechs immerhin wichtigen GoetheBriefchen hier zum ersten Mal zu publiziren. Der zuverlässige Chronologist Strehlke kennt sie nicht, auch hat sie nicht etwa das Goethe-Jahrbuch neuerdings geboten. Sie find von Goethe teils selbst geschrieben, teils diftirt und nur unterzeichnet, die Adressaten bis auf einen ungenannt. Seine eigene Handschrift wird hier gesperrt gedruckt.

Am 23. November 1801 war der weimarische Oberhofmeister und nachmalige Geheimrat Wilhelm von Wolzogen, Schillers Schwager, vom Hofe des Czaren Alexander I. aus Petersburg zurückgekehrt, woselbst er die Einleitung einer Verbindung des Erbprinzen Karl Friedrich mit der Großfürstin Maria Paulowna glücklich besorgt hatte. Die folgenden Zeilen sind offenbar dem Präsidenten des Staatsministeriums Christian Gottlob von Voigt gewidmet:

Herr von Wolzogen, den ich heute früh an seinem Bette besuchte, übergab mir beykommende Dose, als ein von des Kaysers Majestät dem hiesigen Ministerio zugedachtes Geschenk. Ich verfehle nicht solches sogleich zu communiciren.

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wie es Goethes Briefe an Voigt schon durch Jahns Publifation 1868 flargestellt haben, frönt gleichsam obiger Ausspruch.

1805 und Hartmann 1807 Uebersetzungen in Prosa lieferten.*) Goethe weiht im dritten Teile des west-östlichen Divan „Buch der Liebe“ (I. Musterbilder) den beiden Liebenden die Verse:

Nur für einander da:
Medschnun und Leila.

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Darum wars der höchste Jammer, Als einst Medschnun sterben wollte, Daß vor Leila seinen Namen Man forthin nicht nennen sollte.. Dschelal-eddin Rumi, der größte mystische Dichter des Orients, die Nachtigall des beschaulichen Lebens, wird im vierten Teile, Buch der Betrachtungen", Nr. 27, besungen, Motanabbi im achten, Buch Suleifa", Nr. 21: Hatem. Rumi starb Goethes Notiz zufolge 1262 (nach handschriftlicher Randbemerkung des obigen Briefes: † 672 [1273]), Motanabbi 654 [965]. Rumi ist Verfasser des doppelt gereimten asketischen Gedichtes Mesnewi. Goethe berichtet ihre Gedichte seit achthundert Jahren noch immer; wie in den Gloffen: „Die Perser lieben, schäßen und verehren wir denn selbst Zeuge gewesen, daß ein Orientale ein vorMesnewi - der Orientale war wol ein Jenaer Student züglich eingebundenes und erhaltenes Manuskript des wäre, betrachtete und behandelte." mit eben so viel Ehrfurcht, als wenn es der Koran

Der nächste Brief ist an den geheimen Legationsrat und Prälat Heinrich Friedrich von Diez*) in Berlin gerichtet, den einstigen Gesanten in Konstantinopel, den sehr bedeutenden Bibliophilen, deffen kostbare Sammlungen und ebendort (XVIII. Geheimstes): einen besonderen Bestand der Königlichen Bibliothek bilden. Derselbe hatte 1811 „Das Buch des Kabus oder Lehren des Persischen Königs Kjetjawus für seinen Sohn Ghilan Schach" herausgegeben, sowie 1815 eine Schrift „Unfug und Betrug in der morgenländischen Litteratur, nebst vielen hundert Proben von der groben Unwissenheit des Herrn von Hammer (Purgstall)"**) und „Denkwürdigkeiten von Asien in Künsten und Wissenschaften 2c. aus Handschriften und eigenen Erfahrungen gesammelt", woran Goethe sich beteiligte. In den Jahren 1814 und 1815 entstanden die meisten Gedichte Goethes, welche als „Westöftlicher Divan" 1819 die Welt entzückten, wie man aus dem von Creizenach veröffentlichten Briefwechsel zwischen Goethe und Marianne von Willemer", worin die SuleikaLieder chronologisch eingereiht sind, weiß. Der Dichter selbst erkennt dankbar in den Noten und Abhandlungen den Einfluß an, welchen Diez auf seine Studien hatte. Durch einen Reisenden bot ich jenem schäzbaren Manne, dem ich so viel Belehrung schuldig geworden, einen verbindlichen Gruß (nach dem Erscheinen des königlichen Buches orientalischer Weisheit), und so entspann sich eine briefliche Unterhaltung, die der würdige Mann bis an fein Ende mit fast unleserlicher Hand unter Leiden und Schmerzen getreulich fortsette". Strehlke sagt, Goethe habe eine größere Anzahl von Briefen an Diez geschrieben, doch ist ihm über deren Verbleib nichts als blos der eine vom 20. Mai 1815 bekannt. Der von mir aufgefundene in Hirzels Neuestem Verzeichnis auszugsweise mitgeteilte ist älter, aber auch nicht der erste, und lautet:

Ew. Wohlgeboren

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erhalten abermals hiebey ein schönes Persisches Manuscript, worüber ich um einige Aufklärung bitte. Können Sie mir die beste Uebersehung von Megnoun und Leila anzeigen oder mittheilen, so geschieht mir eine besondere Gefälligkeit.

War der berühmte Rumi der Verfasser des Messnewi ein Zeitgenosse des Motanabbi?

Verzeihen Sie, wenn ich auch manchmal eine ungeschickte Frage thue; da ich in einem für mich ganz neuen, ungeheuer weiten Fach mich fast verliere. Für die treffliche Rezension, aus der ich auf einmal so viel Belehrung nehmen konnte,***) sage den verbindlichsten Dank.

ergebenst

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Medschnun und Leila ist das vierte, berühmteste und sprichwörtlich gewordene morgenländische Liebespaar in Dschamis also betiteltem Wüstenroman, von dem Chézy

*) Kein Konversationslerikon, ja nicht einmal die Allgemeine Deutsche Biographie hat diesem hochverdienten Gelehrten und Staatsmann (1750-1817) ein Pläßchen gegönnt.

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**) Darüber aus einem bisher unpublizirten Briefe des Professors Ferdinand Hand an Herrn von Diez ein interessantes Urteil: Es war mir ein Vergnügen, Herrn Geh. Rat von Goethe, von der Darstellung begeistert, mehrere Stellen aus Ihrer Schrift gegen Hammer vorlesen zu hören. Nach dem, was ich so kennen gelernt habe, möchte es Hammer schwer werden, wieder festen Fuß zu gewinnen. Weimar den 3. April 1816". Im Befit der Königlichen Bibliothek.

***) Bezieht sich wol auf Diez' Beurteilung lebender Orientalisten in Rücksicht auf die von Goethe beabsichtigte Anstellung eines solchen in Jena. Vergl. Goethes Werke. Herausgegeben im Auftrage der Großherzogin Sophie von Sachsen. Band VII, Seite 295.

Der vierte Brief, welcher keines Kommentars bedarf, es sei denn der Hinweis, daß der erste Band der italienischen Reise im Oktober 1818 ausgedruckt wurde, war für einen Herrn von Wißleben**) in Halle, wie Suphan mir freundlichst meldet, bestimmt. Goethe stand zweien Gliedern des Geschlechts näher, dem weimarischen Wirklichen Geheimen Rat, Oberhofmarschall Friedrich Hartmann von Witzleben, Gleims poetisch beanlagtem Freunde. Legterer kann hier der schon 1788 das Zeitliche segnete, und dem preußischen Generalmajor Heinrich Günther von Wizleben (1755-1824), nur in Betracht kommen.

Hochwohlgeborner,

Insonders Hochgeehrtester Herr!

Ew. Hochwohlgeboren haben die ersten Bogen meiner Italiänischen Reise so freundlich aufgenommen, daß ich nicht verfehlen kann auch die Folge zu senden.

Mögen sie etwas enthalten, das denenselben zum Vergnügen gereichte. In Hoffnung, daß die Wirkung des Bads Ihnen heilsam gewesen, und mit Bitte, meiner geneigtest zu gedenken, habe die Ehre, mich mit vorzüglicher Hochachtung zu unterzeichnen Ew. Hochwohlgeboren

ganz gehorsamster Diener Weimar d. 22. Octbr. 1816.

J. W. v. Goethe. Neben den dichterischen Schöpfungen gingen die gelehrten und speziell die naturwissenschaftlichen Arbeiten Goethes fort. Lebhaftes Intereffe wante er der Witterungskunde und vornehmlich den Wolkengebilden zu. Als der Großherzog Karl August einen eigenen Apparat zur Meteorologie auf dem Ettersberg errichten ließ, machte derselbe ihn auf die von dem Engländer Lukas Howard bezeichneten und unter gewisse Rubriken eingeteilten Wolkengestaltungen aufmerksam; es ist der in Gilberts Annalen der Physik (Neue Folge, Band XXI. Leipzig 1815) im neunten Stück enthaltene Aufsatz. Das zehnte Stück bringt Bemerkungen über Blitz und Donner, nebst Vermutungen

*) Die erste deutsche Uebertragung in Poesie, in leicht dahinfließenden Rythmen, hat Graf Schack soeben gewagt: Orient und Occident. Band I. Stuttgart 1890.

**) Meusebachs Gattin Ernestine war eine geborene von Wigleben und häufig in Halle zu Besuch; so mag das Billet in seinen Besit gelangt sein.

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