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amerikanische Hudibras ist vielleicht so volkstümlich, wie unser Onkel Bräfig und Mons. Tartarin de Tarascon zusammengenommen. Dem Schöpfer dieser überaus gelungenen Yankeegestalt ist aber auch überall Ehre und Anerkennung zu teil geworden und man hat ihm drüben im freien Lande der „Wits“ das Gemüse des Ruhms gegönnt; bei uns hätte man ihn am liebsten Kränze von Disteln gewunden aus Rache dafür, daß er so vielen Leuten mit dem stacheligen Kräuticht seiner Satire unter der empfindsamen Nase herumgesuchtelt hat, daß sie nießen, sich unter dem Fluch der Lächerlichkeit zu Tode nießen mußten. Indessen könnte uns wahrlich ein Lowell gar nichts fchaden, denn an solchen Herren, wie der ehrsame Hosea Biglow einer war, ist bei uns keineswegs Mangel. Aber wir Germanen der alten Welt haben unsere Philosophen... es scheint, als ob der Boden des altersschwachen Europa nicht mehr fett und trächtig genug sei, um der Satire und dem Humor die nötige Nahrung zu gewähren. Gegen die Wigblätter Onkel Sams ist der „Kladderadatsch" nur ein Waisenknabe, dafür sorgt schon unsere pflichteifrige Vormünderin der öffentlichen Meinung, die Censur, die ganz unbegründete Angst hat daß in unserem Dichterwalde die Bäume in den Himmel wachsen könnten. Wenn der selige Vischer, der vielleicht am meisten dazu befähigt gewesen wäre, eine einzige Zeile geschrieben hätte, wie sie sich in den ,,Biglow-Papers" zu Hunderten finden, so wäre er wahrscheinlich am längsten deutscher Professor gewesen.

geistiges Eigentum unzählige Male nach, erwies sich aber insofern erkenntlich, als ihn Oxford und Cambridge mit Ehrengraden bedachten.

Lowell war am 22. Februar 1819 zu Cambridge, Massachusetts, geboren; er studirte am Harvard College Rechtswissenschaft, hängte aber seine Advokatur bald an den Nagel und dichtete. Nach mehrjährigem Aufenthalt in Europa folgte er 1855 Longfellow in der Profeffur. 1841 war seine erste Gedichtsammlung „A Year's Life erschienen, der bald die Verserzählung „Legend of Brittany" folgte, die Poe das edelste Gedicht seiner Art nannte, das in Amerika geschrieben wurde. Seine litterarischen und kritischen Studien legte der Dichter in einem Bande „Conversations on gome of the old Poets" nieder. Darauf gründete er mit Robert Carter die litterarische Zeitschrift,,The Pioneer", zu der ihm die hervorragendsten Schriftsteller Amerikas ihre Mitarbeiterschaft zugesagt hatten. Das Unternehmen hielt sich nur wenige Monate. Eine Gralsdichtung The Vision of Sir Launfal" erschien 1848, und in demselben Jahre der erste Band seiner „,Biglow-Papers", nachdem die einzelnen Teile bereits in Zeitschriften enormes Aufsehen erregt hatten. Der Erfolg blieb allen drei Bänden treu. 1857 begründete Lowell das einflußreiche „Atlantic Monthly" und führte diese Monatshefte zu einer bleibenden Bedeutung im geistigen Leben der Vereinigten Staaten. Wie Amerika seine Dichter zu Professoren macht, so verleiht es ihnen auch hohe diplomatische Würden: 1877 wurde 2. als Gesanter nach Spanien und bald darauf nach England geschickt. Erst vor wenigen Jahren zog sich der Dichter vom öffentlichen Leben K. v. S.

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James Russell Lowell dagegen wurde an dem berühmten Harvard College, mehrere Jahre nachdem er den ersten Band der .,BiglowPapers" veröffentlicht hatte, und vielleicht gerade deshalb, Professor der neuen Sprachen und Litteratur, und zwar als Nachfolger Long- | zurück. fellows, des gefeiertesten unter den amerikanischen Dichtern angelsächsischer Zunge. Freilich eines Ueberflusses an Poeten im Sinne der alten Welt haben sich die praktischen Amerikaner nicht zu erfreuen gehabt: Poe, Hawthorne, Longfellow, Bryans, Whittier, Taylor, Whitman, Stoddard, Bret Harte, Mark Twain... ihre Dichter im modernen Stile heißen Kompson, Edison ... und unter den ersteren sind auch wiederum nur wenige waschechte Yankees, die es verschmähen, bei den Herren Kollegen im alten Vetternlande in die Schule zu gehen. Unzweifelhaft gehört Lowell zu diesen wenigen.

Er ist der erste Dichter, der sich des unverfälschtesten Yankees Dialettes meisterhaft bediente... er mußte sich dazu erst seine eigene Orthographie, feine besonderen poetischen Bilder, Tropen und das gesamte Handwerkszeug schaffen. Bei uns ist er leider aus diesem Grunde nur von Wenigen gekannt, da wir zwar die Sprache Shakespeares, aber nicht die Master Hoseas verstehen. Uebersehen läßt sich dieser ergögliche Sprachenwirrwarr begreiflicher Weise nicht und man kann sich von ihm nur ein ungefähres Bild machen, wenn man das Kauderwelsch Sam Slicks in die zehnte Potenz erhebt. Lowell hat aber auch mit seinem Wig und seinen unglaublichen Reimen ganze Geschichtskrisen und Zeitstimmungen gewendet und niedergelacht: mit seiner ersten Biglow-Serie die Sklavenstaaten und ihren Jammer über die Befreiuungskriege, aber auch die Sentimentalitäten der Freiheitshelden; die zweite Serie wendete sich gegen den Bürgerkrieg und die dritte gegen Präsident Johnsons Versuche, die Südstaaten wieder aufzurichten. Mitunter ist die Satire mehr als bissig, muß aber ihrer Zeit wie ein Blig eingeschlagen haben. Unvergänglich in der amerikanischen Litteratur werden z. B. die Briefe Birdofredom Swains über seine Kriegserlebnisse bleiben, die in jeder Zeile ein ganzes Feuerwerk von Geist und Humor losbrenneu.

Schon durch seine ,,Fable for Critics" hatte Lowell seine kräftige satirische Begabung dargetan. Das Büchlein war wie ein Wirbelwind, der in die versumpfte Stickluft der zünftigen Kritik hineinfuhr und einmal kräftig lüftete. Gegiftet mögen fich aber die Herren Brüder in Apoll nicht wenig haben, denn sogar Poe, sein Mitarbeiter und Gönner, der gleichfalls seinen Hieb abbekommen hatte, fand das Buch

schlecht.

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Vom 1. Oktober 1891 ab wird eine neue Monatsschrift, „Litterarische Monatshefte" (Josef Schmid, Braunseifen in Mähren) er scheinen. Nach dem Prospekt zu schließen, scheint es den Gründern derselben sehr schwer zu werden, das dringende Bedürfnis nachzuweisen, dem diese Zeitschrift abhelfen soll. Mit einigen allgemeinen Redensarten, die auf sehr viel Jugend, aber auf wenig Klarheit und gar keine Erfahrung schließen lassen, ist unserer Litteratur nichts geholfen. Anstatt, wie die dichterisch unbekannten Herausgeber es wollen, das Sternenbanner der Poesie, des ewigen Ideals höher zu pflanzen“, wäre es nötiger gewesen, ein einziges bestimmtes Ziel zu nennen, einen einzigen positiven Gedanken, den sie verwirklichen wollen. Indessen die neuen Gedanken liegen nicht auf der Straße, und die sechs Herren „Schriftverwalter, Schriftleiter und Stellvertreter" find vorderhand noch weit davon entfernt, jene zu entdecken.

Litterarische Neuigkeiten

„Die Libertad“, Novelle. (Zürich, Verlags-Magazin).

Ein Kunststück dieses Buch. Ganz offenbar ist es um einer Tendenz willen geschrieben, und diese Tendenz wird in endlosen Reden und Diskusionen schier predigend abgehandelt, dabei fehlt es an innerer sowol als äußerer Handlungsentwickelung fast ganz und die geschilderten Charaktere sind allesamt auf einen Grundton gestimmt, und dennoch eine fesselnde Lektüre, ein Kunstwerk voll Bildkraft und Plastik.

Der nicht genannte Verfasser gehört zweifellos dem Geschlechte an, welches fünftighin nicht mehr das schwache genannt sein mag, dem nach Emanzipation strebenden Frauentum. Ich bin überzeugt, eine ganze Anzahl von Lesern hat bei diesen Worten allsogleich die Zwangsvorstellung von irgend etwas Dürrem in Frauenröcken mit intenflechigen Fingern, kurzen Haaren, eckig schiebenden Bewegungen und einer großen Brille auf dem knochigen Nasenrücken. Oder geht es nur mir so, daß ich das Wort „Emanzipirte“ nicht hören kann ohne die Erinnerung an längst nicht mehr berechtigte Karrikaturen? Ich möchte es wünschen, denn das Emanzipationsstreben der Frau

von heute ist eine so ernste und mit so viel geistig und gemütlich | Lyriker zum teil selber schuld sind), so läßt er sich doch einen duftigen bedeutsamem Aufwande verfochtene Sache, daß man wirklich aufhören sollte, darauf mit Lächerlichkeiten zu reagiren.

Die Libertad" ist ein Buch, das in dieser Hinsicht Ernst gebietend und Ernst einflößend wirken muß. Es ist ein Buch von ernstem Kampfe voller Heldentum, und nicht bloß den Frauen predigt es ein Exzelsior.

Vier Menschen werden darin geschildert, drei Frauen und ein Mann. Und dabei keine Liebesgeschichte, unglaublich. Freilich wird auch von der Liebe gesprochen, aber ganz und gar nicht im Sinne der Lavendelnovellistik, sondern vielmehr problemwälzerisch, theoretisch. Dies aber wiederum nicht im Sinne leerer Konstruktionen ohne Erfahrungsboden, sondern aus menschlichen Dokumenten heraus. Das ist der große Vorzug und das Kunststück, und darum feffelt diese Novelle" trog ihrer handlungsarmen Problematik.

Ein amerikanisches Ehepaar, das zugleich eine Advokaturfompagnie-Firma darstellt, lebt zurückgezogen auf einer Villa im Schwarzwald mit einer jungen, kranken Malerin zusammen, welche eine Studiengenoffin der Frau ist. Eine andere Kommilitonin von der philosophischen Fakultät kommt zu Besuch dahin. Unterhaltungen zwischen den Vieren, hauptsächlich über die Frauenfrage, bilden den Juhalt des Buches, das seinen Abschluß mit dem Tode der Malerin findet.

Das kann natürlich nicht „spannend" sein, aber feffelnd ist es in hohem Grade. Schon deshalb, weil die vier Charaktere eminent scharf neben einander gestellt sind, und dann durch Zurückgreifen auf ihren Entwickelungsgang Dies giebt vorzüglich ein sehr gutes, lebendiges, interessantes Bild vom weiblichen Studentenleben in Paris, in dem ein Stückchen Bohème von besonder r Art steckt. Ferner die Berührungen der selbständigen Frau mit der Männerwelt, Liebesabenteuer" in einem neuen Lichte. Dies, in Verbindung mit Anderem, läßt häufig das Thema der Prostitution anklingen. Das Ehepaar, im Verein mit der Philosophin, arbeiten an einer Statistik dieser Institution". Vortrefflich sind die Gespräche, die dabei einfließen. Durchaus nicht allein der Verstand ist es, der da spricht, wenngleich diese Frauen es mit besonderer Schärfe ablehnen, lediglich als Gefühlsmenschen zu gelten. Auch Fragen über moderne Kunst spielen hinein. Sie finden ihre Beantwortung im Sinne des Realismus. Vorzüglich aber ist es natürlich der Kampf um die Gleichberechtigung der Frau, der in allen diesen Unterhaltungen den Grundton abgiebt. Erschütternd wirkt die Schilderung des Ringens der mittellosen Malerin in Paris, Respekt einflösend die Energie Phils, der Philosophin, welche vergeblich nach einem Lehrstuhl strebt.

Diese Phil ist überhaupt die Hauptperson. Es scheint, daß die Verfasserin sich in ihr teilweise selber geschildert hatte. Wir würden ihr dann noch mehr Hochachtung zollen müssen, denn diese Phil ist ein weiblicher Vollmensch ganz und gar.

Merkwürdig ist die Sprache. Sie hat etwas furzgeschorenes, zuweilen Struppiges. Nur zuweilen fällt fie ins Lehrkanzelhafte und dann wird sie unerquicklich wie ein Leitartikel.

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D. J. Bierbaum.

Czeslaw Jankowski, Dichter-Silhouetten (Sylwetki Poetow.) Warschau, T. Paprocki & Co.

Die vorliegenden Silhouetten Rudolf Baumbachs und Josef Viktor Scheffels erscheinen als Heft I einer offenbar auf viele Fortfebungen berechneten Sammlung. Der leitende Gedanke des Verfassers ist, die Polen, denen er eine gewisse Vernachlässigung der fremden Litteraturen vorwirft, mit hervorragenden Vertretern derselben bekannt zu machen. In Baumbach und Scheffel hat er sich zwei Dichter gewählt, die in ihrer Eigenart dem polnischen Geiste besonders ferne stehen, aber er hat es verstanden sie so zu charakterisiren und durch eingefügte Uebersetzungen ihrer Dichtungen auch den des Deutschen Unkundigen so nahe zu bringen, daß sein Büchlein dem Werke der Vermittlung gewiß große Dienste leisten wird. R. L.

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W. Rudo, um die Erde. Eine Auswahl der schönsten und kennzeichnendsten Dichtungen der wichtigsten Kultursprachen überseßt. Wernigerode 1891. W. Rudow. XVI, 294 S.

Daß der Verfasser noch jugendlich ist, sagt er selbst; das verrät aber auch die Ungeduld, mit welcher er die Kleinlichkeit der Verleger und die Umständlichkeit der Kritiker über sich ergehen läßt. Ist er zehn Jahre älter, so dürfte die erstere sich ihm gegenüber in zuvorkommende Liebenswürdigkeit verwandelt haben, und die letztere kann ihm dann gleichgiltig sein. Jugendlich zeigt er sich auch in dem empfindlichen Selbstbewußtsein, mit dem er von seinem Wissen spricht; aber wer im Jünglinglingsalter keinen Stolz hat, ist auch keinen Schuß Pulver wert.

Die ganze Idee des Verfassers ist eine recht gute; wenn auch unser Publikum grundsäglich keine Lyrik mag (woran nebenbei die

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Strauß erotischer Blumen noch ganz gerne gefallen. Es kommt nur darauf an, ob der Verfasser oder richtiger der Nach- und Umdichter mit gutem Geschmack eine zweckmäßige Auswahl unter dem Guten und Besten trifft und ob er, was noch viel wichtiger, eine poetische Natur und daneben ein ausreichendes Formtalent hat. Was nun hier den ersten Punkt betrifft, so kann auch ein verwöhnter Leser in der Hauptsache zufrieden sein. Es giebt kein poetisch begabtes Volk, von dem der Verfasser nicht Proben entlehnt und übertragen hätte; daß der indogermanische Sprachstamm den Löwenanteil davonträgt und daß hier wieder die neuere Periode der modernen europäischen Kulturvölker hervorragende Berücksichtigung gefunden hat, kann nur gebilligt werden. Nur darüber ließe sich mit dem Verfasser rechten, ob er nicht besser getan hätte, von wenigen Dichtern viele statt von vielen Dichtern wenige Proben zu geben. Was er z. B. an Proben antiker Poesie bietet, ist entschieden zu wenig. Sonst kann man mit seinem Geschmack wol zufrieden sein, wir unserseits wünschten nur gerne das „Keßergericht" von Bisazza beseitigt, nicht etwa wegen des unangenehmen Stoffes, sondern wegen der dürftigen Ausführung

Was nun den zweiten und dritten Punkt betrifft, so können wir dem Verfasser gern und willig zugestehen, daß wir vor seiner poetischen Begabung volle Hochachtung haben und auch an der poetischen Form, was Veršbau, Metrum und Reim betrifft, fast nichts Erhebliches zu tadeln wissen; nur sehr selten sind uns Härten aufgestoßen, und die Gedichte lesen sich so leicht und glatt, als wären es Originale. Das müssen doch die Verleger, an die sich der Verfasser gewant hat, auch eingesehen haben, und deshalb ist es unbegreiflich, daß er sein hübschez Buch schließlich in eigenen Verlag hat nehmen müssen.

Wir haben diese Zeilen fern von Berlin in der schweizer Sommerfrische geschrieben und hatten begreiflicherweise keine griechische Anthologie mitgenommen. Doch kommt es uns vor, als wäre das auf Seite 20 übersezte berühmte nodhoi μèv hovrovo zazoi nicht von Solon, sondern von Palladas.

Daß das Buch gut ausgestattet ist und sich namentlich auch als Geschenk für Damen, allerdings nicht eben für Klosterfrauen und höhere Töchter, vortrefflich eignet, mag schließlich noch erwähnt werden. 2. Freytag.

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Aus klaffischer Zeit. Wieland und Reinhold. Herausgegeben von Robert Keil. Leipzig, Verlag von Wilh. Friedrich.

Diese brieflichen „Original-Mitteilungen" bezeichnet der bekannte Herausgeber als „Beiträge zur Geschichte des deutschen Geisteslebens im XVIII. Jahrhundert“ und reiht damit diesen Band in die langen Reihen von Briefsammlungen aus dem vorigen Jahrhundert ein, die dem Forscher auf dem Gebiete der Litteratur- und Kulturgeschichte, namentlich zur Ausarbeitung von Monographien als erste und zuverlässigste Quelle dienen. Unsere biederen Altvordern des vorigen Jahrhunderts schrieben weniger Broschüren und Zeitungsartikel, dafür waren sie redseliger und gründlicher in ihren Briefen, die gleichsam als erster Niederschlag ihres ganzen geistigen und gesellschaftlichen Lebens anzusehen sind. In der vorliegenden Sammlung wird uns namentlich die Gestalt des liebenswürdigen und geistreichen Wieland in ein helleres Licht gestellt. Wir lernen ihn von der intimeren Seite kennen; auf Wieland den Menschen, als treuen Gatten, liebenden Vater, fürsorgenden Hausherrn werden zahlreiche feine Schlaglichter geworfen. Zufriedenheit und Herzensfreundlichkeit, das sichere Gefühl eines festgegründeten Daseins wehen uns aus diesen Blättern an. Ganz unentbehrlich für einen Wielandbiographen find diese über hundert Briefe Wielands an seinen Schwiegersohn Reinhold. Karl Leonhard Reinhard (geb. 1758, gestorben 1823), der erste und wol einer der klarsten Kant-Kommentatoren, ist eng ver wachsen mit der wissenschaftlichen Revolution des 18. Jahrhunderts. Reinhold genoß zu seinen Lebzeiten einen Weltruf, er machte die Universität Jena zu einem Centralpunkt des Studiums der Kantschen Philosophie; er verstand auch die widerstrebendste Materie in einem geschmackvollen und fesselnden Stil zu behandeln, so daß auch Kant so etwas Einleuchtendes und Beliebtes, zugleich Durchdachtes" darin fand. Seine Zeitgenossen, z. B. Fichte, hielten ihn für eins der leuchtendsten Gestirne am philosophischen Himmel. Für uns kann dieser feinsinnige, vornehme Geist nur noch eine sekundäre Bedeutung haben Die Sammlung wird eingeleitet durch eine Biographic Reinholds; es folgen dann 111 Wielandbriefe von 1787 bis 1809, denen sich Briefe aus dem übrigen Freundeskreis Reinholds anschließen: von Schiller, F. H. Jacobi, J. H. Voß, Lavater, der geistreichen hamburger Familie Reimarus und der Familie Griesbach aus Jena. P. K.

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1832 begründet

von

Joseph Lehmann.

← für
für Sifterafur. →→→

Berausgegeben von Fritz Mauthner und Otto Neumann-Hofer.

Erscheint jeden Sonnabend.

Redaktion: Berlin W., Körner Straße 2.

Verlag

von

S. P. Lehmann.

Preis 4 Mart vierteljährlich. Bestellungen werden von jeder Buchhandlung, jedem Postamt (Nr. 3589 der Postzeitungsliste), sowie vom Verlage des „Magazins" entgegengenommen. Anzeigen 40 Pfg. die dreigespaltene Petitzeile. → Preiß der Einzelnummer: 40 Pfg. &

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Inhalt: F. B.: Hermann von Helmholz.
Sfaltykoff-Schtschedrin: Des Zeifigs Herzeleid.
Erich Hartleben: Hebbels Briefe.

Denkmal. ausstellung.

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Nr. 35.

Friz Mauthner: Und wieder einmal das WilhelmDr. Albrecht Schüße: Berliner KunstH. Reimann: Erste Aufführung von Meyerbeers „Robert le Diable" in Paris. Enrico Castelnuovo: Giuseppinas Erbschaft. - Litterarische Chronik. Litterarische Neuigkeiten: Junius' „Philister über dir“, B. v. Bielskys „Glück“, besprochen von O. J. Bierbaum; ‚Aus den Lebenserinnerungen eines Siebzigers“, besprochen von A. L.; A. Sturms „Donat“ besprochen von E. Höber.

Auszugsweiser Nachdruck sämmtlicher Artikel, außer den novellistischen und dramatischen, unter genauer Quellenangabe gestattet. Unbefugter Nachdruck wird auf Grund der Gesetze und Verträge verfolgt.

Hermann von Helmholt.

Von F. B.

In der Mitte der siebziger Jahre erregte ein fleines Bild, welches in den Schaufenstern der meisten Kunsthandlungen ausgestellt war, die Aufmerksamkeit der Beschauer in ganz besonderer Weise. Das Bild zeigte den deutschen Kronprinzen Friedrich Wilhelm mit seiner Gemahlin in der Gesellschaft des bekannten Akademikers Anton von Werner und des Naturforschers Hermann von Helmholz mit ihren Frauen. Es ist bekannt, daß das Fürstenpaar eine besondere Vorliebe für diese beiden bedeutenden Vertreter der deutschen Kunst und Wissenschaft hegte und daß dieselben gar oft in intimer Weise in den Kreis des tronprinzlichen Hofes gezogen wurden. Beide Männer find nicht nur als die ersten sondern auch als die populärsten - allerdings im edelsten Sinne - Vertreter ihres Standes zu betrachten. Diese Popularität, die von Helmholz seit lange genießt, tritt uns jest gelegentlich der Feier seines siebzigsten Geburtstages wiederum recht dentlich vor Augen, und wir dürfen uns der Liebe und Hochachtung freien, die dem großen Manne weit über die Grenzen seiner Fachgenossen hinaus im In- und Auslande gezollt wird; eine Bewunderung, die in vieler Beziehung an Alexander von Humboldt erinnert.

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rühmtesten Schriften, welche im Jahre 1847 unter dem Titel Ueber das Gefeß von der Erhaltung der Kraft" erschien. Helmholtz zeigte in derselben, daß keine Kraft in der Welt gewonnen oder verloren gehen könne, sondern daß überall mur Kraftverwandlung stattfinde. In dieser Jugendschrift, die übrigens einen der wertvollsten Bausteine im Gebäude der modernen Physik darstellt, finden sich schon die wichtigsten Keime, aus denen sich die exakten Im Wissenschaften in unserer Zeit entwickelt haben. Jahre 1851 veröffentlichte Helmholt die Beschreibung seines Augenspiegels. Dieser diagnostische Apparat ermöglichte es bekanntlich, das lebende Auge im Innern zu untersuchen. Hiermit war zuerst eine wissenschaftliche Augenheilkunde, wie wir sie jetzt besigen, möglich. Schon allein durch Erfindung des Augenspiegels ist Helmholtz als einer der größten Woltäter des Menschengeschlechts zu bewundern.

Durch seine akademischen Aemter zur Physiologie geleitet, beschäftigte sich Helmholtz zumeist mit diesem Gebiete; und zwar wählte er diejenigen Fächer, welche seinen physikalischen Neigungen am meisten entsprachen. Besonders ist es die physiologische Optik und Akustik, welche von ihm mit größtem Glücke durcharbeitet wurden und unter seinen Händen ein vollkommen neues Gepräge erhielten. Von der sehr großen Anzahl seiner Entdeckungen und Erfahrungen auf diesem Gebiete nennen wir nur Die Theorie der Farben“, „Die Erklärung des Nah- und Fernsehens durch die Veränderung der Linse im menschlichen Auge", „Die Darstellung der Vokale aus einfachen Tonelementen", mit welcher zugleich eine Physiologie und Psychologie der Sprache angebahnt wurde; und „Die Entdeckung und Erklärung der Kombinations- und Summationstone". Das Gesamtresultat dieser Studien legte er in den beiden klassischen Werken, dem „Handbuche der physiologischen Optik" und in der Lehre von den Tonempfindungen", nieder. Diese beiden Werke find in viele moderne Sprachen übersetzt worden; und sie gehören zu den hervorragendsten Schriften, welche die moderne phyfi

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kalische Litteratur aufzuweisen hat. Ganz besonders „Die Lehre von den Tonempfindungen", die sich übrigens durch ihr formschönes Gewand auszeichnet, hat dem Namen Helmholt unter dem musikalisch gebildeten Laienpublikum | Berühmtheit verschafft.

Man könnie Helmholz mit Fug und Recht den Akustiker nennen, wenn er nicht auch in anderen Gebieten so Hervorragendes und Bedeutendes geleistet hätte.

Die umfangreichen physikalischen und mathematischen Kenntniffe, die dem Arzte und Physiologen sonst nicht zur Seite stehen, ermöglichten es unserem Forscher, mit strengster Kritik an die Erscheinungen des Lebens heranzutreten. Er war im Stande zuerst animalische Vorgänge meffend zu verfolgen und auf das Genaueste zu untersuchen. So bestimmte er die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Reizung und Erregung in unseren Nerven und maß die Arbeitsgröße bei der Zusammenziehung der menschlichen Muskel. Eine Leiterin und Führerin in allen seinen Arbeiten ist Helmholtz von jeher die Mathematik, die ihm behülflich war, sich im Gewirr der Tatsachen zurecht zu finden und Gesetzmäßigkeiten zu erkennen. Auch rein mathematisch physikalische Untersuchungen schenkte er der wissenschaftlichen Welt, in denen Probleme gelöst wurden, deren Behandlung ihrer Schwierigkeit halber den Forschern bis dahin aussichtslos erschienen war. Eine der wichtigsten dieser Abhandelungen enthält eine Untersuchung über die Integrale, die den Wirbelbewegungen entsprechen. Dieselbe giebt uns neben vielen und neuen mathematischen Erkennt nissen den Stoff für die höchst wahrscheinlich einzig richtige Auffassung vom Wesen des Stoffes und der Materie. Bekanntlich eines der wichtigsten Probleme in Physik und Philosophie.

Seitdem Helmholtz zuerst im Jahre 1871 als Profeffor der Physik nach Berlin übersiedelte, wo er jetzt als Präsident der physikalisch-technischen Reichsanstalt wirkt, haben sich seine Arbeiten ausschließlich physikalischen Forschungen und zwar zumeist solchen, die der ElektrizitätsLehre gehören. zugewant. Er hat durch umfangreiche und scharfsinnige Untersuchungen viel dazu beigetragen, daß die mystischen theoretischen Vorstellungen aus dieser für die Praxis so wichtigen Wissenschaft verbannt wurden, und er schaffte den Arbeiten des großen Engländers Faradays auf diesem Gebiete bei den kontinentalen Physikern zuerst Gehör und sodann begeisterte Aufnahme. Die mysteriöse Anschauung von der Wirkung in die Ferne der elektrischen Kräfte, sowie die merkwürdigen elektrischen Flüssigkeiten, von denen wir noch bis vor Kurzem auf den Schulbänken und allüberall vernahmen, sie sind nunmehr durch solch ein Wirken in das Reich der Fabel verwiesen. Von besonderer Genugtuung müßte es für den großen Forscher sein, daß es gerade einem seiner Schüler, Heinrich Herz, vergönnt sein sollte, den experimentellen Nachweis für die Richtigkeit der Ideen, die er solange verfochten, zu erbringen.

Helmholt' Arbeiten führen tief bis in die Streitfragen philosophischer Systeme hinein; daher ist er denn auch mehr als je ein anderer Naturforscher den Angriffen philo sophischer Schriftsteller ausgesetzt gewesen. Sein Wirken war in dieser Hinsicht ein außerordentlich woltätiges; er warnte seine Fachgenossen vor einer Nichtachtung philosophischer Untersuchungen, zu welcher dieselben nach dem fläglichen Zusammenbruche der Naturphilosophie nur zu sehr geneigt waren und machte den Philosophen klar, wie durchaus notwendig eine wissenschaftliche Kenntnis des Tatsächlichen sei, wenn man über die Natur der Erscheinungen spekuliren wolle.

Die Arbeiten, welche Helmholz auf philosophischem Gebiete durchführte, entflossen zumeist seinen optischen und mathematischen Untersuchungen. Er hat in seiner physio

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logischen Optik ein vollkommenes System von den Gesichtswahrnehmungen gegeben; es ist die sogenannte empirische Theorie, die er verteidigt und in der er zeigt, wie die wunderbaren Vorgänge im Raum sich vernünftig und relativ einfach aus der Erfahrung erklären lassen. Er schuf damit die Grundlagen für die Physiologie unserer Tage und gab damit, wenn wir nicht irren, auch ein Fundament für eine Philosophie der Zukunft.

Eine hochwichtige Untersuchung ist seine Abhandlung über „Die Ariome, die der Geometrie zu Grunde liegen", in welcher der Kantsche Begriff vom Raume auf Grund umfangreicher mathematischer Untersuchungen Erweiterung findet. Helmholz ist ein großer Verehrer der Kantschen Erkenntnistheorie, aber er warnt davor, sich an die Säße des königsberger Weisen anzuklammern, wenn die Fortschritte in der Wissenschaft Umformung verlangen.

Es ist bei uns nicht häufig, daß ein bedeutender Forscher auch zugleich ein glänzender Schriftsteller ist; bei Helmholt ist dies im vollsten Maße der Fall. Wir besißen in ihm einen stilistischen Künstler ersten Ranges, dessen Schriftwerke durch ihre klaren Formen sich vor den schriftstellerischen Erzeugnissen vieler Heroen unserer modernen Litteratur vorteilhaft auszeichnen. Ganz be= sonders zeigt sich diese Kunstfertigkeit in seinen „Akademischen Reden“, die gesammelt in zwei Bänden in dritter Auflage erschienen sind. Sie geben Einsicht in die wissenschaftliche Entwicklung der Arbeiten unseres Forschers und zugleich ein Bild von den gesammten geistigen Fort schritten auf naturwissenschaftlichem und philosophischem Gebiete während der leßten vier Dezennien. Es ist sehr zu bedauern, daß dieses Werk, welches als eine Perle unserer wissenschaftlichen Litteratur zu betrachten ist, nur in relativ engen Kreisen verdiente Beachtung fand. Es gewährt nicht allein durch seine künstlerische_Form einen hohen ästhetischen Genuß, sondern es dürfte auch das einzige Mittel sein, welches es dem Laien ermöglicht, einen Blick in die Vorstellungswelt unserer Physiker zu werfen.

Helmholz' äußeres Leben entwickelte sich relativ einfach; es war streng der Wissenschaft gewidmet. Dennoch sind ihm Ehren zu teil geworden, wie wenigen unserer Zeitgenossen, und wir haben mit Freude gerade durch ihn konstatiren können, daß vor wahrem Verdienste auch der Hader der Nationen schweigt; ehrte ihn doch der Präsident der französischen Republik mit dem Großkreuz der Ehrenlegion, und sind im Augenblicke die wissenschaftlichen Koryphäen aller Länder im Verein bestrebt, den großen Mann in entsprechender Weise zu feiern.

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werden. Es kam die Ausstellung der Konkurenz - Entwürfe, und wir waren um eine bittere Enttäuschung reicher. Nicht das war troftlos, daß eine Anzahl höchst dilettantischer und selbst verrückter Einfälle beim Wett bewerb erschienen; über derlei Scherze hätte man gut mütig lächeln können. Aber auch unsern besten Künstlern war nichts Großes eingefallen. Wer die Ausstellung aufmerksam studirte, der konnte da ein vorzügliches Pferd, dort einen guten Reiter bemerken, er konnte an einem dritten Entwurf einen kecken Einfall bewundern, aber keine einzige Skizze drängte sich der Vorstellung so auf, daß der Wunsch hätte rege werden können, sie in Bronze und Marmor ausgeführt zu sehen. Und gar die Architekten! Die meisten von ihnen schienen keinen andern Gedanken gehabt zu haben, als die vorhandenen Millionen Mark in Millionen von Steinen zu verwandeln, und die Steine auf einer großen Fläche übereinander zu häufen. Unter uns gesagt, es war ein schreckliches Fiasko!

Indessen wurden natürlich Preise verteilt, dann wurden noch eine Anzahl freigewählter Künstler zu einem engeren Wettbewerb ausersehen. Gleichzeitig aber hieß es bis vor kurzem: Alle Konkurenz sei ja überflüssig, Reinhold Begas würde schließlich doch den Auftrag erhalten. Und darüber wurde sehr viel geschrieben und noch viel mehr geredet.

Ich gestehe offen, daß mich eine solche Kabinetts entscheidung im Prinzip ganz und gar nicht schmerzlich berührt. Ich habe bei Fragen von ganz anderer Trag weite mitunter das Gefühl, daß der große Apparat des Parlamentarismus im Vordergrunde schöne Dekorationen zeigt, während hinter den Kulissen die Entscheidung genau to gefällt wird wie vor hundert und mehr Jahren. Wenn aber die Allmacht eines einzigen Willens in irgend einer Sache eine glückliche Wirkung ausüben kann, so ist dies ganz gewiß da der Fall, wo es sich um die künstlerische Ausschmückung einer Stadt durch die besten Künstler der Zeit handelt. Ich habe nirgends gelesen, daß Papst Leo X. die Entscheidung über Rafaels Entwürfe einer Kommission von Profefforen unterbreitet hätte. Und die Arbeiten sind ja troßdem erträglich ausgefallen. Freilich wäre den Künstlern, den Profefforen und manchen abstrakten Dingen ein besserer Dienst erwiesen worden, wenn die Dekoration des Wettbewerbs ganz und gar in Wegfall gekommen wäre. Es war eine kostspielige Dekoration.

Diese bekannten oder wenigstens vorausgesetzten Verhältnisse haben zur Folge gehabt, daß nicht alle aufgeforderten Künstler sich zum Wettrennen stellten. Es sind diesmal nur vier Arbeiten vorhanden, zwei ernsthafte und zwei na ich will sagen bescheidene. Von den letzten ist die eine Skizze, die von Geiger, nur als Mittelstück zu einer sehr wirkungsvollen Architektur von Bruno Schmit hingestellt. Der Architekt hat seine Aufgabe sonderbar genug aufgefaßt. Das Denkmal soll hart an den Spree- | arm vor dem Triumphportal des Schlosses stehen. Das spiegelnde Waffer, das jeder Landschaft und jedem Bau erst den vollen Reiz gewährt, wäre dort nach Niederreißung der sogenannten Schloßfreiheit ein wichtiges ästhetisches Motiv. Darum vielleicht hat Bruno Schmit wie die meisten anderen Architekten das Wasser wieder vollkommen verbaut. Die Schloßfreiheit soll wol nach wie vor eine ironische Bezeichnung bleiben. Die Denkmal -Skizze von Geiger also zeigt uns einen betrübten alten Kaiser auf einem recht müden Pferde. Der Sockel trägt als einzigen Schmuck zwei Löwenfelle. Der Architekt will offenbar von den Millionen nicht mehr für das Denkmal aufwenden. Aber es ist doch gut, daß er gegen das Waffer hin so starfe Mauern aufgerichtet hat. Denn wenn auch noch die beiden Felle fortschwimmen würden, bliebe dem betrübten Kaiser nicht das Mindeste übrig.

Die Skizze von Schilling ist in geradezu überraschender Weise mißlungen. Der Hals des Pferdes könnte vielleicht einem Schwan zur Zierde gereichen, aber Dubois Reymond hätte vollkommen recht, wollte er seine morphologischen Bedenken gegen diesen Bastard geltend machen. Der ganze Entwurf macht den Eindruck, als ob er sich in Holz geschnitten und für eine illustrirte Zeitung zurechtgemacht ganz hübsch überblättern ließe. Auch zur Vervielfältigung für Briefbeschwerer und für Konditorwaren scheint dieser Aufbau recht gut geeignet. Aber was man in der Kunst Größe zu nennen gewöhnt ist, das ließe sich in diesen Entwurf nicht hineinbringen, und wenn er im Maßstab des Niederwalddenkmals ausgeführt würde. Es giebt solche Kolossalstatuen, in welchen die Zeitgenossen auf bequemen Treppen bis zu den Naslöchern dringen können; aber zur Seele zu gelangen ist noch niemals gelungen, weil die Seele wahrscheinlich schwerer zu treffen ist als die Naslöcher. Von den beiden andern ernsten Rivalen ist Carl Hilgers seiner Natur nach und besonders in diesem Werke der Maßvolle. Schönheit ist sein einziges Ideal, und er sucht die Schönheit unbekümmert um die Ziele des neueren Realismus auf dem alten hellenistischen Wege. So ist sein Werk überall da von der Konvention beeinflußt, wo die Griechen ein Wort mitzureden haben, und es ist schön und bedeutend zugleich, wo der Künstler modern sein mußte, um wahr zu sein. sein mußte, um wahr zu sein. Das Reiterstandbild des Kaisers ist geradezu herrlich; das Pferd in jeder Muskel lebendig, und der Kaiser ein sicherer, kraftvoller Reiter auf edlem Roß. Dazu ist dem Bildhauer die schwere Aufgabe, das Antlig des Kaisers fast nirgends vom Pferd verdecken zu lassen, in geradezu musterhafter Weise geglückt. Besonders neben dem malerisch gedachten, aber in der Bewegung ganz unverständlichen Reiterstandbild von Begas hat man vor dem Hilgersschen Werke das Gefühl: Dieses soll ausgeführt werden. Die Architektur und die übrige Komposition des Denkmals ist bei Hilgers recht gefällig. Aber die toten griechischen Symbole stören mir die Wirkung. Es ist bezeichnend, daß Hilgers von den zehn oder zwölf Karyatiden, welche das Gebälke seiner abschließenden Architektur tragen, im Progamm selber sagt, sie seien als Walkyren gedacht. Selten liegt es so klar zu Tage, wie unmöglich es ist, germanische Vorstellungen und griechische miteinander zu verschmelzen. Es ist unmöglich, die Schlachtjungfrauen, wie sie die nordische Sage schattenhaft malt und wie sie die Romantik und vor allem Richard Wagner heute ausgestaltet hat, als Karyatiden zu denken. Griechische Karyatiden sind nicht mehr lebendige Menschen, sondern steinerne Träger mit stilisirten Menschenformen, es sind Säulen, an denen regelmäßige Falten die Kannelüren ersehen. Karyatiden haben nichts zu tun als zu tragen, Walkyren sind immer in Bewegung. Auf den Stufen des Hilgersschen Entwurfs liegt ein römischer Krieger, der nur um eine Nüance lebendiger sehr glücklich den Soldaten im Frieden kennzeichnen würde, der ruht, aber jeden Augenblick zu kämpfen bereit ist. Warum aber ein römischer Krieger? Hat es der berliner Junge von 1870, hat es die preußische Uniform etwa nicht verdient, an den Stufen dieses Denkmals verewigt zu werden? Der Krieger von Hilgers hat ja unter Kaiser Augustus gegen Deutschland gekämpft. Man hat diesen Römer oft genug an den Denkmälern römischer Kaiser angebracht. Ich ersuche höflichst um einen neuen Mars aus Pommern oder Brandenburg. Mein Gott, die Nase wird dann weniger klassisch sein, aber mitunter haben die Pommern auch ganz aushauliche Köpfe.

Die beiden Breitseiten des Denkmals tragen in höchstem Relief die ruhenden Göttinnen der Frömmigkeit und der Gerechtigkeit. Offenbar sollen die beiden Göttinnen außerdem Porträtstatuen werden; die Mutter und die Gattin

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