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pickte sie mit dem Schnäbelchen ihrem Gatten auf den Scheitel. Aber in demselben Augenblick schwärmte eine berauschte Gesellschaft an der Wohnung des Zeifigs vorüber. Das waren die Brüder in Begleitung einer ganzen Schaar von Kameraden. Mit Geschrei und Pfeifen fangen sie das Lied: Marlborough s'en va-t-en guerre..." Als die junge Frau diese Töne vernahm, war sie augenblicklich wie umgewandelt Im nächtlichen déshabillé lief sie an den Rand des Nestes und lachte und scherzte mit den Junkern bis spät in die Nacht hinein. Der Beifig, welcher feine Uniform wieder angezogen hatte, stand hinter seiner jungen Frau und bemühte sich gleich falls heiter zu erscheinen. Aber wehe!gar bald gewann er die Ueberzeugung, daß im Majorsrange einem die Fröhlichkeit nicht mehr zu Gesichte steht. So sehr er sich auch zusammennahm, so machte doch der Rang in Verbindung mit dem vorgerückten Alter sein Recht geltend. Die Augen fielen ihm wieder seinen Willen zú, und nach einer Minute ertönte lautes Schnarchen im Innern des Nestes. Auch das darauf folgende laute Gelächter erweckte ihn nicht mehr. So verschlief er in zugeknöpfter Uniform die Brautnacht.

Von dieser Stunde an hatte er in den Augen der Frau alle Achtung eingebüßt.

(Fortseßung folgt.)

Die Krankheit in der modernen Poesie.

Studie

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Leo Berg (Berlin).

Es giebt ein Wort, mit dem man ein für alle Mal ein Werk, einen Autor glaubt abgetan zu haben; cs giebt ein Urteil mit dem man Abschied nimmt von Werk und Autor. Dies Wort, heißt: frank, Krankenpoefie: dies Urteil lautet: N. N kann hier nur noch pathologisch genommen werden.

Merkwürdig genug, unsere Realisten, denen doch selbst der Vorwurf, daß ihre Poesie krank sei, bis zum Ekel oft gemacht wurde, urteilen gar nicht anders.

Drei Stadien scheint jedes Werk im Urteil des Publikums durchmachen zu müssen: Anfangs ist es einfach abscheulich, es ist das Produkt eines zerfahrenen, ohumächtigen, größenwahn sinnigen Talentes, gegen das die guten Genten des Geschmacks, der Kunst und der Sittlichkeit angerufen werden. Dann mildert sich die schroffe, feindselige Stimmung des Publikums. Man räumt dem Autor Talent ein, begreift auch sein hohes Wollen; aber, aber ... es ist das Schaffen eines Kranken, Halbwahnsinnigen. Im vorigen Jahrhundert sprach man vom „betrunkenen Genie", heut sagt man: Herr N. N. ist hochbegabt, ein Genie ohne Zweifel; aber er ist leider nur pathologisch zu nehmen. Schließlich ändert sich auch das. Eine neue Generation ist aufgetreten, N. N. hat Schule gemacht, sein Nachfolger treibt's noch töller als er selbst. Und jetzt sieht man plößlich, wie groß, wie maaßvoll bei allem Talent, wie gesund selbst N. N. gewesen ist.

Jezt sind die Jungen die Kranken. Ach, ach, die Jungen sind immer krant, sie lassen sich immer pathologisch nehmen. Und am Ende, was ist auch damit gesagt? Wer läßt sich denn nicht pathologisch nehmen? Man denke auch, im Sinne einer starken konservativen Partei ist jede Art von Neuerung ein Zeichen von Dekadenz. Krankheitserscheinung. So ist der

Mensch Homer der Dekadent, verglichen mit den hellenischen Helden, die vor Troja fochten; Goethe ist ein Dekadent gegenüber Lessing, Heine einer gegen Goethe 2c. Und schließlich müssen Geschlechter und Völker, wie die heut in Europa herrschenden, die noch, bei allem Atheismus und aller Freigeisterei, die ganze Bibel im Leibe haben, die trotz Darwin - wie sollten die nicht doch umgekehrt darwinistisch empfinden, alles Neue mit mißtrauischem Blicke betrachten, gleichsam als einen weiteren Abfall von Gott!

Da heute die alten naturalistischen Recken, Zola und Ibsen, schon anfangen rühmlichst ausgenommen zu werden, wenn auf den Naturalismus geschimpft wird, ja, da sie bereits als Typen von Kraft und Gesundheit gelten, gegenüber den Strindberg, Bourget, Hauptmann, Bahr u. s. w., so ist es jetzt auch vielleicht nicht ohne Intereffe zu untersuchen, was an dem ganzen Vorwurf des Pathologisch-Zunehmens denn eigentlich ist.

Paradox, wie ich nun einmal bin, stelle ich folgenden Saß voran: Die Mehrzahl der Menschen dichtet und schafft künstlerisch überhaupt nur aus Krankheit; Krankheit als Motiv genommen. Der Mensch muß schon halb verrückt oder unheilbar krank, d. h. in irgend einem Sinne ein Tekadent sein, wenn er überhaupt auf den Gedanken kommen soll, ein Genie zu werden.

Ich habe es schon an anderer Stelle ausgesprochen*): Selbst Goethe macht hiervon keine Ausnahme. Auch Goethe war nicht gesund von Haus aus; man kann höchstens sagen, er wurde es. Der alte Goethe war vielleicht gesund, der junge war es auf keinen Fall. Junge Genies sind niemals gesund. Genie und gesund sein, das scheint mir das eigentliche Paradoxon. Die für mich tiefsten Dichter, die es überhaupt gegeben hat Shakespeare und Dostojewski, waren unzweifelhaft (wenigstens ich zweifle nicht daran; bei dem ersten läßt es sich leider nicht beweisen, beim zweiten ist es bekannt); auch die belden kränkesten, unglücklichsten, aufgewühltesten und unheimlichsten Menschen, die es in neuerer 3 it überhaupt gegeben hat.

Der Vorwurf des Krankhaften erstreckt sich nun aber auf sehr verschiedene Dinge. Jbsen, Zola und Hebbel hatte man es schon übel gedeutet, daß sie überhaupt etwas wie eine Frankheit auf die Bühne oder in den Roman brachten. Man verwechselte es kann dies dem Publikum bei aller ästhetischen Bildung doch zuweilen geschehen einfach das Dargestellte mit dem Darsteller selbst. Ein Dichter, der einen sexuell heruntergekommenen Menschen schildert, muß natürlich selber heruntergekommen sein. Man fängt eben an, ihn pathologisch. zu nehmen, ohne zu merken, daß dieser schon selbst etwas pathologisch genommen hatte.

Jetzt ist man schon so weit, zu sagen: Ja seht! Jene schilderten die Krankheit, aber sie waren doch selbst wenigstens gesund, sie waren ja gleichsam nur die Aerzte der Gesellschaft. Ihr aber, ihr Jungen, seid ja selber die Patienten! Das scheidet Euch von jenen.

Gesezt, dies wäre richtig, dann wäre es für mich ein Grund, den Jüngeren den Vorzug zu geben, denn sie sind in diesem Falle wahrscheinlich die künstlerisch Wahreren. Ein Patient weiß auf alle Fälle genauer, wie ihm zu Mute ist, als selbst der ge cheiteste Arzt.

Aber ich glaube nur nicht, daß die älteren. Naturalisten nichts anderes seien als die Aerzte der Gesellschaft. Vergleicht man z. B. die Darstellung von Krankheitserscheinungen bei

*) Moderne Dichtung Juni 1899 und Moderne Nr. 1. Uebrigens verweise ich hier auf meine Schrift: „Das seruelle Problem in der modernen Litteratur“. Sallis'scher Verlag. Vierte Auflage. Berlin 1891. In derselben finden sich die Ergänzungen zu obigen Ausführungen

Der Satiriker ist übrigens das deutlichste Beispiel von der Notwendigkeit einer vorausgegangenen Erkrankung des Dichters und seiner Zeit (meist des Ersteren an seiner Zeit, zuweilen auch umgekehrt). Der Satiriker erscheint nämlich immer auf dem sumpfigen Boden kranker Kulturen, in Niedergangs-Zeiten.

Auch die Tendenz jedes Wißes, zu verwunden, in tiefste Wunden hineinzustechen, zeugt davon, nämlich wie verwundet man selber sein muß. Rache ist das Motiv jedes Wizzes, boshafte Rache.

Ibsen und einigen Jüngeren, etwa die Wirkung, die die „Gespenster" oder „Rosmersholm“ auf den Zuschauer machen. mit derjenigen Strindberg'scher Schauspiele, da möchte man allerdings das Erlebnis, das hier zur Darstellung kommt, etwa folgendermaßen charakterisiren: Zbsen ist freilich viel weniger frant. Er erinnert uns an die Stimmungen, die wir haben, wenn wir lange Zeit am Bette eines teuren Kranken sizen müssen und uns hinaussehnen in die goldene Freiheit. Wir find nur aus Liebe gefesselt, nur aus Mitleiden mitfrank. Aber in den Zwischenpausen, wenn der Kranke schlummert, und wenn wir gar zu ungeduldig werden, dann kommt der heiße Drarg Ob ein Mensch, der glücklich lebt und gesund ist an nach einer anderen Umgebung, Erbitterung und stiller Haß Leib und Seele, wol je cinen Wiß zu stande brächte? Ich über uns. Wer seine Jugend in engen verzweifelten Ver- glaub's nicht! Wol, daß sich im Stadium der Genesung nach hältniffen verlebt hat, unter Not und unter der harten Zucht irgend einer Abfindung mit dem Grund-lebel (das oft das eines strengen Vaters, der mag als Mann so empfinden, wie Leben selber ist) eine sogenannte humoristische Stimmung ent= Ibsen und Hebbel ihren Vätern gegenüber empfunden haben, wickeln kann! Aber auch hier ist immer noch ein leises Weh derselben bürgerlichen Gesellschaft gegenüber, der sie selbst ent- | übrig geblieben, an dessen Heilung der Dichter keinen rechten sprossen sind. Das wird ganz offenbar, wenn man nach Glauben mehr findet. Humor ist Resignation. *) den Krankheitsmotiven bei Jbsen forscht; es ist immer von einem Krankwerden durch Ansteckung, Vererbung 2c. die Rede. Hier hat man offenbar auch die Gründe für Ibsens starten Einsamkeitsdrang. Er selbst hat die Empfindung und weiß sie auch uns zu suggeriren, daß in uns nur etwas verdorben. worden ist durch die Gesellschaft. Daher auch die erst peinigende und dann überrumpelnde Wirkung seiner Dichtungen.

Wie anders Strindberg, und was sonst zur Dekadenz gehört! Der ist nun selbst der Kranke. Alles, was er schildert, man merkt es das hat er bis in die Fingerspißen hinein selber erlebt und empfunden. Das ist alles noch in einem ganz anderen Sinne, subjektiv und persönlich, wahr. Ihn bannte nicht die Pflicht an ein Krankenbett, sondern die Not; ihn treibt nicht mehr eine geheime Ungeduld von dannen, denn er liegt gebrochen auf seinem Lager. Aber jeder Laut, der über seine Lippen kommt, ist noch in ganz anderer Weise ein document bumain, als es uns je ein Zola zu geben vermag. Diese Krankheitsschilderungen sind die Natur selber, allerdings eine Natur, die nur noch ein einziger Nerv ist.

Und nun giebt es noch ein drittes Verhältnis, das cin Dichter zu seinem Darstellungs-Objekt, dem Krankheitsphänomen haben fann. Oder besser gesagt, ein drittes Mittel, durch das er sich von ihren Qualen befreien kann, das ihm zuin künst= lerischen Ausdruck desselben verhilft. Kann man das Verhältnis der einen Klasse von Dichtern (das aller Stürmer und Dränger, der Lenz und Goethe ebensowohl als der Hauptmann und Conradi) als das naturalistische, das der andern, der Lessing, Hebbel, Ibsen, Zola als das tendenziöse bezeichnen, so wird man das dritte, von dem ich jezt rede, das wißige nennen. müssen. Hier wird der Wiß, so wie in jenen Fällen die Tendenz und das naturalistische Sich-Ausseufzen und Austoben, die Möglichkeit der Selbst-Befreiung und Selbst-Darstellung...

Wer seiner Ketten spottet, sagt Lessing, ist darum noch nicht frei. Wer seiner Krankheit spottet, ist darum noch nicht gesund Aber es scheint doch so. Der Lacher hat immer Recht, auch wenn er schon halbtot in seiner Matraßengruft liegt. Heine und Nietzsche haben bisher dem Wiß die größte Seelenund Gedanken-Tragweite zu geben verstanden. Ihre Werke sind ein einziger Salto mortale über schauerliche Abgründe hinweg, ein gewaltsames Sich-selber-Auslachen, ein gewaltsames Ueber-sich-selber-Hinwegsehen und Ueber-sich-selber-Hinwegspringen! Jeder Wiß eine Flucht aus gequälten Situationen, der Abtötungs-Versuch kranker und verfaulter Teile des Leibes und der Seele!

Nun wird man freilich sagen: Wenn auch die Krankheit, die Dekadenz. der Schmerz die Voraussetzung der künst= lerischen Produktion ist, so folgt daraus doch nicht, daß der Dichter selber frant und verkommen sei! Gewiß nicht: Er kann nebenbei Athlet, Soldat der Garde, Hunger-Virtuose, oder was sonst sein! Aber es genügt ja für unseren Zweck schon zu konstatiren, wo die Vorausseßung liegt. Ob der Poet hinterher gesund oder verrückt geworden ist, das ist dann schließlich so gleichgiltig als die Frage, ob ein Dichter, der das Ehe-Problem behandelt, sich selbst wieder mit seiner eigenen Frau versöhnt hat u. s. f. Aber, wenn er es behandelt, dann ist kein Zweifel, daß auch für ihn die Ehe ein Problem war, an dem er zu knacken gehabt hat, und das er knackte, indem er jenes Poem verfaßte; und hier zeigt es sich dann, ob das Problem für ihn eine hohle Nuß war, oder ob es einen köstlichsüßen Kern barg.

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Man muß sich deshalb also hüten, Einzelheiten und jedes Thema gleich direkt auf die Person des Dichters selbst zu beziehen! Denn nun kommt noch etwas anderes hinzu, was die obigen Behauptungen wieder bestätigt: Jeder Künstler hat sein Interesse, das Publikum über sich, wenigstens in einigen Punkten, in Täuschung zu erhalten. Die Kunst ist eben eine hohe Schule der Lüge. Und die Wahrheits-Fanatiker wissen schon, was sie wollen, wenn sie aus der Kunst eine Wissenschaft machen möchten. Obgleich auch die Gelehrten Virtuosen im Lügen sind, und jedenfalls die Gefährlicheren. Die große Lüge unserer Wahrheits-Fanatiker ist eben gerade ihr Fanatismus. Die schlimmste Lüge ist vielleicht eben die, eine einzelne Lüge aus der Welt schaffen zu wollen. Und die Künstler haben jedenfalls noch das größere Recht auf die Lüge.

*) Man hat unglaublich oft in der deutschen Aesthetik den ziemlich unfruchtbaren Versuch gemacht, die Grenzen von Wig und Humor zu ziehen, hat jenen den Franzosen und Juden zugeteilt, den letteren den germanischen Völkern allein vorbehalten und über den geistreichen. Spekulationen den gemeinsamen Ursprung der beiden lange vergessen. Wig und Humor find generell weit weniger verschieden, als man meist annimmt. Nur das Tempo ist ein so grundverschiedenes und deshalb die so verblüffend verschiedentliche Wirkung. Der Humor ist ein beleibterer und deshalb notgedrungen gutartiger Wiz. Sein Gang ist ein schwerfälliger und sein Erscheinen ein so verspätetes, daß man lange die Ursachen seines Kommens vergessen hat und dann in nachdenklich refignirte Stimmung verfällt. Humor ist ein vergeffener und verträumter Wig. Der Wig aber fliegt pfeilgeschwind Und das eben ist der Unterschied und das ist auch der Wiz am Wize.

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Auf ihrem Schreibtische lag ein Journal und eine Visitenkarte. In dem Journal war ein Artikel mit einem Rotstifte angezeichnet: ein langer, dünner Strich, welcher einem Streifen Blutes glich. Die Visitenkarte enthielt einen Namen, drei ebenfalls mit Rotstift geschriebene Worte und eine Adresse.

"

Der Artikel war betitelt „Liebesphantasie“ und lautete: Wer bist du, o liebenswerte Unbekannte, die du mit traumhaften Worten von schmerzvoller Wirklichkeit sprichst? Ich liebe dich, ich liebe dich, du herrliches, vortreffliches Geschöpf! Ich möchte dich kennen, ich möchte teilnehmen an den Freuden und Leiden deines | Lebens: du mußst eine liebliche Stimme haben, einen sanften Blick.

Während ich deine Dichtungen las, dachte ich an die Liebesgeschichten vergangener Zeiten, an alte Legenden... Ich dachte an Jaufré, den Sänger der Melisenda“, an Carducci, den starken Poeten. Alles schien mir Wahrheit, Wirklichkeit . . . . .

O, liebenswerte Unbekannte, du bist sicherlich wie Melisenda „eitel Glück und Blütenduft“.

Ja, Blütenduft und Glückseligkeit! Deine dichte rischen Schöpfungen verraten eine seltsame Mischung von modernen Gedanken und altmodischem Hauch, von Liebreiz und Kraft, von melancholischen Träumen und wonnevoller Wirklichkeit.

Dein Name klingt ähnlich dem eines wertvollen Juwels und in ihm spiegelt sich deine Kunst wieder. Es ist, als ob man ein Schmuckkästchen öffnete, in welchem sich Schäße des Orients befinden. Es funkeln | die Rubinen mit blutrotem, lebhaftem, verwegenem Schein; sie sprechen von heißen Lippen, auf welchen feurige Küsse brennen. Es blinken die Smaragde und erzählen von einem hoffnungsseligen Jugendtraum, von grünen, saftigen Wiesen, über welchen sich der blaue Himmel wölbt, aus dem die gold'ne Sonne milde herablächelt..., von seltsamen Augen seltsamer Frauen. Es schimmern die Saphire und erinnern uns an düstere Tränen und an das geheimnisvolle, unendliche Meer. Es strahlen die Brillanten im triumphirenden Feuer und flüstern ein Märchen von Pracht und Reichtum. Es glänzen die Perlen, und sie erzählen von Sanftmut und Liebe.... Die Kleinodien sprechen eine wunderbare, geheimnisvolle Sprache, die zum Herzen dringt und uns mächtig bewegt.

O erkläre mir doch, du holde Unbekannte, warum ich an durchsichtige, feine Spißen denke, wenn ich deine Erzählungen lese, an wundersame, zarte Gewebe, durch flochten mit Gold- und Silberfäden, schimmernd wie das dünne Neß einer phantastischen Spinne?

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Die kunstvollen Gewebe sind nicht mehr neu. Einst waren sie weiß wie Schnee heute haben sie einen gelblichen, elfenbeinartigén Glanz. Es ist, als ob lang

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fam, unerbittlich, Tropfen für Tropfen, der neidvolle Regen der Enttäuschung, darauf herabgefallen wäre.

Mattschimmernder Atlas, rauschende Seide, weicher Samt bilden die Unterlage, auf welchen die herrlichen Gewebe ruhen. Dies alles aber hat Leben. O füße Liebkosungen, o wonnesame Küsse..

.....

Warum hat man all diese schönen, seltsamen, unerklärlichen Gefühle, wenn man deine Dichtungen liest? Man möchte dich reden hören, man möchte dich fragen.... oder besser: erraten, was in deiner Seele vorgeht, was der Pflug deiner Phantasie erstrebt!

Was liebst du mehr, das Lachen oder das Weinen? Das Weinen, vielleicht.

Welche Farben haben deine Augen? Wie ist deine Hand beschaffen? Zart oder rund?" Kalt oder nervös? Liebft du die Ringe oder ziehst du vor, die Händchen unter den sich anschmiegenden, einschmeichelnden Handschuhen zu verbergen?

Kennst du Baudelaires Verse:

,,Sou haleine fait la musique,
Comme sa voix fait le parfum.“

Kennst du sie? Das denke auch ich von Dir.
Dein Bild ist: Musik und Duft.

Sprich, o Liebenswerte . . . . .

sprich, o Un

bekannte. Auf der Visitenkarte stand der Name: Angelo Venieri, die Adresse: Florenz, Via Cappuccini Nummer 9 und auf der Rückseite standen die Worte:

„Dies für Sie."

Sie las den Aufsatz neugierig zu Ende. Dann las sie ihn noch einmal mit Aufmerksamkeit, und ein ironisches Lächeln spielte um ihren Mund, doch nur für einige kurze Augenblicke. Bald verwandelte sich die Ironie in eine Art Rührung, und es bemächtigte sich ihrer ein eigentümliches Gefühl. Sie wußte selbst nicht, was es war. Mutlosigkeit, Verlangen, Wehmut, Seelenverrat?...

Sie folgte einer augenblicklichen Regung ihres Herzens, einem geheimnisvollen Zauber, nahm ein rosafarbenes, goldberändertes Kärtchen und pochenden Herzens' schrieb sie die Verse Jaufrés darauf:

Amors de terra lohndana Per vos totz lo cors me dol."

Dann hielt sie plötzlich inne: von neuem kräuselte jenes ironische Lächeln ihre Lippen. Dann schloß sie die Augen und zerriß das Kärtchen in kleine Stückchen, und bei jedem Risse fühlte sie einen Stich im Herzen. Sie öffnete die Augen, rückte den kleinen, von Cyclamen umrahmten Spiegel, welcher auf dem Schreibtische stand, ganz nahe an sich heran und betrachtete sich mit einem langen, forschenden Blick. Tränen traten in ihre Augen und ihre Lippen bebten

Dann nahm sie das nächstbeste Blättchen Papier zur Hand und mit sicheren, festen Zügen schrieb sie die wenigen Worte darauf: Dank, tausend Dank! Schreiben Sie mir nicht wieder. Möchten wir uns nie im Leben begegnen.'

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*

*

*

Aber sie begegneten einander doch. Später, als ihre Erinnerung an jenes kleine Intermezzo schon sehr verblaßt war, als sein Verlangen. die kühne und liebenswürdige Schriftstellerin kennen zu lernen, lange vergessen war. Sie hatte manchmal, wenn sie an ihre Antwort dachte, darüber eine heimliche Freude, zeitweise aber auch ein wenig Rene empfunden. Er hatte über ihre Antwort oftmals gelächelt, zuweilen hatte ihm seine Phantasie gar seltsame Bilder vor Augen gezaubert: er sah eifersüchtige Liebhaber, antipathische Ehemänner, er dachte an unbequeme Ketten und unerträgliche Pflichten, die eine kleine, intelligente und leidenschaftliche Frau bedrückten. Dann aber hatte er

nicht mehr gelächelt, noch phantafirt, und sie hatte weder Freude noch Rene mehr gefühlt.

*

Sie hatte das Aussehen eines Kindes, aber ihr Blick war melancholisch; sie kleidete sich in Schwarz und schwarz waren ihre schönen Augen, schwarz ihr langes, weiches Haar, in welchem sie ein mattrotes Bändchen trug, ein ebensolches um den Hals. Sie haßte das Geschmeide. Allein saß sie in einer Ecke und schien in Gedanken versunken.

Angelo Venieri betrachtete das einsame, schweigsame Mädchen mit Intereffe. Die einfache, ernste Kleidung, die elegante, sympathische Haltung übten einen eigentüm lichen Reiz auf ihn aus, und er wollte ihr Gesicht sehen. Mein Gott, wie häßlich sie war! Häßlich? Ja, und doch hatte sie ein einnehmendes, intelligentes Aeußere. Um den Mund spielte ein sonderbares Lächeln. In diesem Lächeln lagen Bitterkeit, Sarkasmus, Schmerz.

Schade um das interessante Mädchen!" dachte er; grausames Schicksal! Wer mag sie sein?"

So hatte er sie zum ersten Male gesehen, während eines Konzertes. So hatte er sie überrascht in ihrer stillen Einsamkeit, in ihrem füßen Frieden. Dann hatte er fie reden gehört, reden mit einer göttlichen Stimme, die ihm unvergleichlich schien. Er fand die junge Dame immer sympathischer, immer anziehender. Er hätte ihren Worten lauschen mögen, lauschen dem zauberhaften Klang ihrer Stimme.

Das fühlte Venieri, als er sie zum ersten Male sah, ohne zu wissen, wer sie sei.

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Nein, ich hasse fic."

Warum liegen auf Ihrem Pianino Beethovens Lieder, wenn Sie die Musik nicht lieben? Warum stehen die Nelfen und Beichen an Ihrem Fenster und warum steht der Rosenstrauß auf Ihrem Arbeitstisch, wenn Sie die Blumen nicht lieben? Sie wollen mich glauben machen, daß sie unempfindlich sind, aber ich kann es nicht glauben, ich will nicht Sie sind meine Wonne Ja, ja, Wonne, Seligkeit.. Sie weisen mich vergebens von sich. Für mich besteht Ihr stolzer, wolklingender Name nicht. Ich habe Ihnen einen andern Namen gegeben: Sie sind mein liebes, zartes, bescheidenes, duftendes Veilchen....

,,Venieri. ," begann jetzt die göttliche Stimme. Mein Veilchen..." wiederholte Venieri, indem er sich ihr näherte.

„Mein füßes Veilchen, warum schreiben Sie mir nie? Schreiben Sie doch nur ein einziges Mal für mich allein jene schönen, herrlichen Worte, welche alle gleichgiltigen Menschen lesen, alle jene schönen Dinge, die Sie allein blos erdenken können ...

„Ich werde nichts mehr schreiben, für niemanden,“ sagte sie so leise, daß er es nicht hörte.

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Sie wollen nicht? Die Schriftstellerinnen befizen also nichts anderes, als ihre Phantasie?" frug er erregt. Sie barg ihr Antlik in beiden Händen. nichts mehr, mein Veilchen?"

Erinnern Sie sich an

"

An nichts.“

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"

„Mein Gott!..."

Einen alten reichen . . .“

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Was habe ich Ihnen getan, Venieri, daß Sie mich so quälen?... Nun denn, ja, ich habe einen alten, reichen Mann geheiratet. Ich därbte. Er gab mir seinen Reichtum, ich gab ihm meine Jugend. Ich glaubte, Ruhe zu finden... Ich hätte sie gefunden," seßte sie mit erhobener Stimme hinzu, vielleicht, wenn ich Sie nicht ge= fannt hätte. Gehen Sie... ich bitte Sie, gehen Sie..."

Venieri ging nicht. Oh nein, sie war nicht häßlich, bei Gott nicht! Wie sie so dastand im einfachen, schlichten, enganliegenden Kleide, die Wangen gerötet vor Unwillen und vor Liebe, wie sie so mit sich kämpfte, da war sie schön, die bedauernswerte Frau.

„Verzeihung..

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Oh, gehen Sie..." ,,Sie weinen?"

Sie bedeckte ihr Gesicht.

Ich weine nie, Angelo. O, könnte ich weinen!" ,, legen Sie ihr Köpfchen an meine Brust..." flüsterte die einschmeichelnde, verführerische Stimme Venieris. Und er streckte die Arme aus.

Sie näherte sich ihm nicht, aber so heftig war ihr Verlangen, ihren Kopf wirklich an sein Herz zu preffen, daß sich ihre Augen unwillkürlich schlossen, und sie, ihrer Sinne nicht mächtig, in seine Arme fiel. Armes, zartes, duftendes Veilchen ..

*

*

*

„Du hattest Recht, du bist falt, unempfindlich. Du liebst mich nicht."

"

Wie soll ich dir beweisen, daß ich dich anbete?"

frug sie.

"

„Du liebst mich nicht."

Sage mir, was soll ich tun?"

Banne deine Vorurteile."

Angelo, das, was du Vorurteil nennst, ist für mich Religion."

Unwahrheit! Du bist keine Künstlerin." Veilchen sah ihn erstaunt an. Ihr zarter Körper war nach vorne geneigt, die Augen blißten.

„Nein, du bist keine Künstlerin: dir fehlt die Leiden

schaft."

Die Leidenschaft! Abscheuliches Wort, das du mir entgegenschleuderst wie eine Beleidigung. Schreibe ich dir nicht? Empfange ich dich nicht bei mir, hier, allein? Sage ich dir nicht, daß ich für dich lebe? ..

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Er schrieb ihr täglich und Veilchen gab sich ganz der Umwandlung hin, die mit ihr vorging, langsam und ficher. Jene scheinbare Beständigkeit und Aufrichtigkeit, welche aus seinen Briefen sprachen, bewegten sie heftig, erfüllten sie mit Wonne. Das Unerlaubte, Heimliche des Briefwechsels gab diesem einen doppelten Reiz. Und da geschah das Wunderbare: sie fam, die Leidenschaft, gebieterisch, unbezähmbar, einschmeichelnd, Verderben bringend. Sie war gekommen.

Als er an einem Dezembertage schrieb: „Ich bin allein, frank, und während sich alles der schönen Weihnachtszeit freut, wünsche ich den Tod. O Veilchen, ich sterbe!"

Als sie diesen Brief gelesen, zog sie, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, ihren Pelzmantel an, setzte das Hütchen auf, tat den Schleier um, langsam, ruhig, als ob es sich um den gewöhnlichen Spaziergang handeln würde. Dann entnahm sie einer Schatulle einige Briefe, warf sie ins hellaufflackernde Kaminfeuer, blickte zu, bis fie verbrannt waren und ging.

Als sie auf dem Bahnhof angekommen war und sich überzeugt hatte, daß der Zug erst in einer halben Stunde abginge, setzte sie sich in den Wartesaal und wartete ruhig, als ob sie eine ganz natürliche, lange vorbereitet gewesene Reise unternehmen würde

Sie faß allein im Waggon und fühlte weder Furcht noch Reue. Sie fuhr eben zu ihm, um mit ihm zu sterben oder ihn zu heilen. . . wie er wollte: leben, sterben, alles hing von seinem Willen ab. Das war es.

Der Zug schien sich nur langsam vörwärts zu be= wegen. Sie dachte daran, wie sie plötzlich vor ihm erscheinen würde: unverhofft, aber erwünscht. Liebe, Leidenschaft... so hatte er doch gesagt. Ja, für immer!

Angelo, Angelo, Angelc. Es war ihr, als ob der dahineilende Eisenbahnzug das süße Wort immer wieder holen würde. Sie war kinderlos, dachte sie, sie konnte ja ihm gehören. . .

Ihm, ihm, ihm, wiederholte der Zug.

Vor dem Bahnhofe standen einige Omnibusfe.
„Hôtel Bellevue?" frug Veilchen.

„Hier, Madame," sagte ein Kondukteur, indem er die Müße lüftete und sich ihr näherte.

Es schneite. Sie hatte nicht einmal einen Schirm mitgenommen, und der Schnee fiel auf ihr dunkles Pelzmäntelchen.

Haben Sie Gepäck, Madame?" frug der Kondukteur. Sie schüttelte verneinend mit dem Kopfe, und sie lachte sogar unter dem Schleier, sie lachte, die Unselige. Gepäck! Unsinn, sie war ja da, das genügte.

Veilchen hatte keinen Augenblick das Verlangen, zurückzukehren.

Es mußte spät sein, sie hatte keine Ahnung, welche Zeit es war. Ihre kleine, kostbare Uhr hatte sie zu Hause liegen laffen. Einen Moment dachte sie daran, für wen sie die Uhr bestimmen sollte, wenn . . .

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Der Omnibus hielt vor dem Hôtel, fie sprang flink auf das Straßenpflaster, betrat den Vorhof und frug den ihr entgegeneilenden Oberkellner:

„Herr Venieri?"

"Zweite Etage, Nummer acht," antwortete der Kellner, der sie sehr verwundert ausah.

Jezt hatte sie ihre Ruhe doch einigermaßen verloren, und ihr Herz schlug fast hörbar gegen die Bruft.

Sie stieg die Treppen hinan. Im langen Korridor blieb sie stehen. Lebhafte Stimmen, ausgelaffenes Lachen wurde hörbar.

„Fidele Gesellschaft," dachte fie, und er leidet!" Nummer acht. Sie öffnete die Türe ohne anzuklopfen. Eine brutale Szene vot sich ihren Blicken dar: sie glaubte, die Sinne verloren zu haben, Schmerz und Schamgefühl frampften ihr das Herz zusammen. Das Zimmer war hell erleuchtet. An einem reich gedeckten Tische saßen Offiziere und Damen, und Venieri stand in der Mitte, das Glas hoch erhoben, laut toastirend.

Alle wanten die Blicke der jungen schwarzgekleideten Dame zu, die regungslos an der Schwelle des Zimmers stand.

Venieri verfärbte sich. Einen Augenblick glaubte er zu träumen, dann begriff er, wer vor ihm stand, und er starrte mit weitgcöffneten Augen die Gestalt an, die ihm wie ein gigantisches Phantasiegebilde erschien.

"

Veilchen!" rief er, während sich die andern erstaunt von ihren Stühlen erhoben.

Sie aber wante sich mit Entfeßen und Abschen von ihm ab.

"Oh, die Leidenschaft?" sagte sie mit fester Stimme, in welcher sich Verachtung und Ironie ausdrückten. Dann verließ sie das Zimmer, stolzen, hocherhobenen Hauptes durchschritt sie den Korridor und entfernte sich.

Venieri ward sich seiner großen Schuld, seiner Erbärmlichkeit bewußt, er fühlte, daß er ein treues, edles Herz gebrochen, und in einem Aufalle von aufrichtiger Reue sprang er auf, lehnte sich über das Treppengeländer und rief mit gebrochener Stimme: „Veilchen, meinVeilchen!" Sie hatte eben die letzten Stufen erreicht und verließ, ohne sich umzusehen, das Hôtel.

Venieri lief blitzschnell die Treppen hinab. Zum leßten Male sah er die kleine, elegante Gestalt der jungen Frau, die seinen Blicken entschwand. „Veilchen!"

Aber sie antwortete nicht.

Unbekümmert um die eisige Kälte und den in dichten Flocken herabfallenden Schnee, ziellos schritt Veilchen dahin. Den stolzen, falten Blick vorwärts gerichtet, ohne Gedanken, ohne Schmerz, gleichgültig gegen alle Freuden, gegen die Liebe, gegen alles, ging sie sicheren Schrittes dahin, und sie fühlte, daß sie von nun an immer so wandeln würde im Leben, immer ohne je nach rückwärts zu blicken. . . .

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Litterarische Chronik.

James Buffell Sowell.

In der zweiten Augustwoche ist in Boston der berühmte Verfasser der,,Biglow-Papers" der Krankheit erlegen, gegen die noch niemand ein Wunderelerir entdeckt hat. Sein Alter war ein gefeiertes und sein Leben ein waches, von den Lorbeern des Erfolgs gekröntes. Wenn man drüben den Namen des Helden der Biglowiade ausspricht, kann sich niemand des Lachens erwehren. Der

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