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Verstehen braucht' ich

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Hm, ja!

Der Riemann ist doch ein Esel mit seiner Reinheit ... Was fing' ich wohl mit Dir an, wenn Du so als ein ahnungsloses Schäfchen zu mir aufschautest, mit ein bischen Jungferntrog bewaffnet und weiter nichts ? Ne, ne, ne, ne sichst Du — cin Geschöpf braucht' ich, das sich zu verlieren drohte, wie ich mich verlor . . . Eine, die sich in mir findet, wie ich mich in ihr finde. Die braucht' ich und die hab' ich! Gott sei gebenedeit! Die hab' ich! . . . Nu sag mal, willst Du noch immer fort?

Kitty. Nein, Willy, ich will bei Dir bleiben jezt und alle Zeit.

Willy. Na, dann wären wir ja in Ordnung! (Er faßt ihre Hand. Schweigen.) Ja, da sißen wir nun wie die beiden Königskinder aus der verflossenen Romantik auf einem wüsten Felsen mitten im Meer... Und wollen unser Haus bauen der ganzen Welt zum Troß. Allem zum Troß, was das Gesez und die Sitte, und noch schlimmer was das gesunde Gefühl von den Menschen fordert. Und doch wissen wir uns innerlich gut Freund mit allem. Ist das nicht drollig? . . . Und wie kommt das? Blos, weil wir es ehrlich meinen. -Nu woll'n wir aber 'mal praktisch reden! allem: Dein Vormund!

Vor

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Willy. Hab' keine Bange. -Morgen ziehen wir in ein Chambre garni und arbeiten drauf los, um den ganzen Schwindel zu bezahlen. Aber meinst Du auch wirklich, das ich noch etwas kann?

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Spieß
schlechten Bildern bau'n wir Barrikaden.
ans Fenster.) Ei, das ist ja ein Auflauf!
Kitty. Sieh doch sie kommen aufs Haus zu!
(Die Hausglocke tönt heftig. Sie schreit auf und klammert sich
fester an ihn.) Man holt mich! Man holt mich!
Willy. Sei unbesorgt! (Öffnet das Fenster und ruft
hinunter.) Was ist da?

Kramers Stimme. Willy
Willy. Was ist geschehn?
Kramers Stimme. Schnell
Willy (das Fenster schließend).

mach' auf!

mach auf! Bleibe ruhig! - Ver=

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stecke Dich! Es ist ein Freund! .. Er bringt mir Nachricht von Hause.

Kitty (verbirgt sich hinter den Draperien).
Willy (ab).

(Pause, während welcher Kitty, hervortretend, atemlos lauscht. Ein gellender Aufschrei Willys dringt von ferne her - dann wieder. Pause man hört polt rnde Schritte. Kitty zieht sich in den Winkel zurück.)

(Schluß folgt.)

Napoleon Bonapartes Wehrpolitik.

Von

H. A. Taine.

(Aus dem Februar 1891 erscheinenden 5. (Schluß-) Bande von Taines,,Origines de la Françe contemporaine" (deutsch von

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Napoleon führte schon als Erster Konsul eine ge= rechtere Verteilung der Pflichten und Rechte der Staatsbürger ein, vor allem durch eine vernünftige Regelung

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des Steuerwesens. Hier wollen wir erläutern, wie er eine Abart der Steuern regelte: diejenige, die der Staat nicht in Geld, sondern in der Person fordert. Wir meinen den Militärdienst, der den ganzen Menschen mit Leib und Seele in Anspruch nimmt, und zwar während der besten Zeit seines Lebens. Die Revolution hat den Militärdienst schwer gemacht; vorher war er leicht, weil im Prinzipe freiwillig. Nur die Miliz wurde zwangsweise ausgehoben, meistens in den Reihen der ärmeren Landleute, indem die Bauern durch Verlosung den größten Teil des Kontingents beistellten. Aber sie bildete lediglich eine Ergänzung der aktiven Armee, eine lokale und provinziale Reserve, eine abgesonderte, seßhafte, in zweiter Linie stehende Verstärkungstruppe, die in Friedenszeiten nie in Bewegung gesezt wurde. Sie versammelte sich blos au neun Tagen im Jahre und seit 1778 überhaupt nicht mehr. (Ausgenommen waren einige Regimenter, die sich jedes Jahr auf einen ganzen Monat versammelten.) 1789 bestand fie nur aus 75 260 Mann, deren eingetragene Namen seit elf Jahren die einzige Betätigung ihrer Zugehörigkeit zur Truppe bildeten. Andere Konskribirte gab es unter der Monarchie nicht; in dieser Beziehung war dieselbe wenig auspruchsvoll, zehnmal weniger als die Republik und das Kaisertum, weil die beiden leßteren unter Anwendung des alten Zwanges und noch größerer Strenge zehnmal so viele Aufgebotene und Angeworbene aushoben.

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Neben der Miliz gab es im vorrevolutionären Frankreich eine eigentliche Armee von „regulären" Truppen, aber diese wurden einfach angeworben, nicht ausgehoben. Dies gilt sowohl von den 25 ausländischen Regimentern Schweizer, Irländer, Deutsche, Lütticher als auch von den 145 französischen: 177 890 Mann. Die Anwerbung war freilich nicht immer, was sie hätte sein sollen: ganz frei bezw. freiwillig; oft genug bedienten sich die Werber der Verleitung oder der Überrumpelung, zuweilen des Betruges oder der Gewalt, um Rekruten zu pressen. Allein die Einsprüche der herrschenden Menschenfreundlichkeit bewirkten eine Abnahme dieser Mißbräuche und im Jahre 1788 beseitigte eine Verordnung die schlimmsten derselben; aber trog derjenigen, welche noch bestehen blieben, bot die Armee zwei große Vorteile.

Erstens nämlich bildete sie ein Ableitungsmittel. Durch sie wurde der Gesellschaftskörper von seinen bösartigen Säften, von den allzu verdorbenen oder hißigen Bestandteilen seines Blutes befreit. Obwohl das Soldatenhandwerk für sehr wenig ehrenvoll galt, eine aussichtslose Laufbahn ohne Beförderung und fast ohne Ausweg war, konnte man für ein Handgeld von 100 Franken und ein Extratrinkgeld einen Rekruten haben; dazu kam ein mehrtägiges Wirtshausgelage. Schon hieraus läßt sich auf die Beschaffenheit der Angeworbenen schließen. Diese waren zumeist Leute, die sich für ein bürgerliches oder häusliches Leben mehr oder weniger untauglich erwiesen, beschäftigungslose, keiner Selbstzucht und anhaltenden Arbeit fähige Abenteurer, Halbbarbaren oder Schnapphähne; viele gehörten guten Familien an und wurden infolge dummer Streiche in die Armee gesteckt. Andere waren entlassene Lehrlinge oder stellen lose Diener, noch andere Landstreicher und Bettler, die man den Armenhäusern entnahm, die meisten wandernde Handwerksburschen, Pflastertreter, Abhub der Großstädte", fast alle dunkle Existenzen“. Kurz, die aus

schweifendsten, lärmsüchtigsten und hißigsten Elemente eines hißigen, lärmsüchtigen und einigermaßen ausschweifenden Volkes. In dieser Weise, und zum Nußen der Gesellschaft, verwante man die gesellschaftsfeindlichen Schichten. Hier geschah, was auf einem vernachlässigten Grundstück geschehen würde, auf d'm etwa viele Hunde, welche gefährlich werden könnten, frei umherlaufen: man lockte sie mittels Köders an, Icgte ihnen ein Halsband an, hielt sie an der Kette und verwandelte sie in Wächterhunde. | Zweitens ermöglichte die Armee dem Staatsbürger die Wahrung seines kostbarsten Freiheitsideals: den Vollbesig seiner Person, die freieste Verfügung über dieselbe, das ungeschmälerte Eigentum an seinem Leib und seinem physischen Leben. Diese Freiheit war den Eingriffen des Staates gegenüber gewährleistet, und zwar durch die Armee besser als durch die gelehrtesten Verfassungen, denn die Armee war eine eingewurzelte Einrichtung, ein stillschweigendes, in Fleisch und Blut übergegangenes, unvordenkliches Übereinkommen zwischen Staat und Untertan, welches besagte, daß jener von diesem zwar Geld fordern konnte, aber keinen Anspruch auf seine Person hatte. Im Grunde genommen und in Wirklichkeit war der König der Hauptsache nach nichts anderes als ein Unternehmer wie sonster auch; er übernahm die nationale Verteidigung und die öffentliche Sicherheit, wie andere Leute die Straßenreinigung oder die Instandhaltung eines Dammes. Es ist seine Sache, seine militärischen Hilfskräfte anzuwerben, wie es Sache jener ist, sich ihre bürgerlichen Arbeiter zu dingen: gütlich, zu vereinbarten Preisen, auf Grund des jeweiligen Marktwertes. Wie er, unterlagen auch die Subunternehmer, mit denen er es zu tun hatte, dem Geseze von Angebot und von Nachfrage; er be= willigte ihnen einen bestimmten Betrag für jeden Rekruten, den sie ihm „lieferten“, wogegen sie sich verpflichteten, das Kontingent stets auf den erforderlichen Stand zu ergänzen. Es war ihre Sache, sich auf ihre Gefahr und Kosten" die nötige Anzahl von Menschen zu verschaffen, und der Werbeoffizier, den sie mit einem Sack voll Taler ins Wirtshaus schickten, engagirte daselbst Artilleristen, Kavalleristen und Infanteristen in ähnlicher Weise, wie man Straßenfeger, Pflasterer oder Kloakenarbeiter zu engagiren pflegt: nach Übereinkommen.

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Über dieses Prinzip und diese Praris hat der Gesellschaftsvertrag" den Sieg davongetragen. Das Volk ist souverän erklärt worden. In Europa nun, dessen miteinander wetteifernde Staaten stets auf dem Sprunge sind, in Streit zu geraten, sind alle Souveräne Militärs; sic sind es von Geburt und Beruf, durch Erziehung und aus Notwendigkeit; ihr Titel begreift die militärische Tätigkeit in sich und zieht dieselbe nach sich. Maßt sich der Untertan also ihre Rechte an, so übernimmt er damit auch ihre Verpflichtungen. Ist das Volk souverän, so muß es auch militärisch sein.*)

*) Dieser Grundsaß ist von den Jakobinern sofort aufgestellt worden. Jeder Bürger wird ein Soldat der Verfassung sein,“ sagt Dubois-Crancé am 12. Dezember 1789 in der Nationalversammlung. Die Auslosung und das Stellen von Ersag= männern hören auf. „Jeder Bürger muß Soldat, jeder Soldat Bürger sein." (Yung: Bürger sein." (Yung: Dubois-Crancé und die Revolution".) Die erste Anwendung findet der Grundsaß in der Einberufung von 300 000 Mann (26. Februar 1793), die zweite in dem Massenaufgebot (Oktober 1793), welches 500 000 Soldaten unter die Fahnen brachte, vermeintlich Freiwillige, in Wirklichkeit Ausgehobene.

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Künftig wird jedermann als Wähler geboren, aber auch als Soldat. Der Bürger ist eine neuartige Verbind lichkeit von unbestimmter Tragweite eingegangen; hatte der Staat früher nur Anspruch auf die Güter, so hat er jezt auch Anspruch auf die Glieder des Bürgers, und da Gläubiger ihre Forderungen nicht tot liegen zu lassen pflegen, findet der Staat jederzeit Gründe oder Vorwände zur Geltendmachung der seinigen. Das Volk hat sich angesichts drohender oder erfolgter feindlicher Einfälle anfangs bereit gefunden, die Leibesforderung des Staates zu bezalen, weil es sie für zeitweilig und vorübergehend hielt; später als dauernd und endgiltig, denn der Gläubiger fährt auch nach errungenem Sieg und während des Friedens fort, seinen Anspruch zu erheben. Nach den Verträgen von Lüneburg und Amiens hält Napoleon die allgemeine Wehrpflicht in Frankreich auf recht. Dasselbe tut die preußische Regierung in Preußen nach Abschluß der Verträge von Paris und Wien. Von Krieg zu Krieg hat sich diese neue Einrichtung verschärft, wie eine Epidemie hat sie sich von Staat zu Staat verbreitet. Gegenwärtig ist fast das ganze festländische Europa von ihr ergriffen; sie herrscht da in Gemein schaft mit ihrem natürlichen Genossen, der ihr stets vorhergeht oder nachfolgt: ihrem Zwillingsbruder „Allgemeines Stimmrecht". Der eine dieser beiden blinden und furchtbaren Regler oder Lenker der künftigen Welt geschichte drückt jedem Erwachsenen einen Stimmzettel in die Hand, während der andere ihm einen Tornister auf den Rücken schnallt. Es ist leicht zu ermessen, welche Fülle von Blutbädern und Staatsbankerotten infolge dessen im zwanzigsten Jahrhundert bevorstehen, welche Ernte internationalen Grolls und Mistrauens aus solcher Aussaat emporsprießen muß, welche Verluste an menschlicher Arbeit, welche Entartung der - fruchtbarerer Zwecke würdigen neuen technischen Erfindungen, welche Vervollkommnung der Zerstörungsvorrichtungen die allge= meine Wehrpflicht nach sich zieht, welches Zurückgreifen auf die niedrigen, unheilvollen Formen der alten streit baren Gesellschaften, welche Wiederannäherung an die selbstischen, rohen Triebe, an die Gefühle, die Sitten und die Sittlichkeitsbegriffe der Städte des Altertums und der wilden Stämme dieses System zur Folge hat, haben muß.

Um das zu crmessen, brauchen wir nur den gegen wärtigen Militarismus mit dem frühern_zu vergleichen. Ehedem gab es in Europa nur wenige Hunderttausende von Soldaten, jezt gibt es ihrer sechszehn Millionen, alle Erwachsenen, auch die Verheirateten, selbst die Familienväter, werden einberufen oder können einberufen werden und bleiben 20 bis 30 Jahre lang unter den Fahnen, d. h. so lange als sie diensttauglich sind. Einst bedurfte Frankreich für seinen Militärdienst keiner durch das Gesez mit Beschlag belegten, sondern nur vertragsmäßig erkaufter Menschenleben, und zwar solcher, die sich für diesen Dienst besonders eigneten und an andrer Stelle vielleicht schädlich gewirkt haben würden; es genügten etwa 150 000 Leben von geringerer Beschaffen heit und mittelmäßigem Werte, die der Staat minder ungern opferte als andere und deren Opferung, wenn nötig, weder die Gesellschaft noch die Zivilisation besonders schwer schädigte. Heutzutage nimmt der gleiche Dienst in Frankreich drei Millionen Personen in Anspruch; das Gesez fordert sie, und wenn sie nicht willig sind, wendet es Gewalt gegen sie an; von ihrem zwanzigsten Lebensjahr an werden all diese Leute für den

gleichen mechanischen und mörderischen Beruf gedrillt, darunter die für denselben ungeeignetsten, für andere Beschäftigungen aber geeignetsten, darunter die schöpferischesten, fruchtbarsten, empfindlichsten, gebildetsten Geister, darunter manches Genie von größter Bedeutung für die Gesellschaft, dessen erzwungenes Scheitern oder vorzeitiges Ende einem Unglück für die ganze Menschheit gleichkäme. Die Wehrpflicht spielt im modernen politischen Leben die Rolle eines Lösegeldes und einer Gegenleistung für die politischen Rechte. Der Bürger kann beides gegen einander abwiegen. In die eine Wagschale legt er seine Souveränetät, d. h. im Grunde genommen das Recht, in jedem vierten Jahre unter zehntausend Stimmen eine abzugeben, um abzugeben, um falls er nicht grade für den durchfallenden Bewerber stimmt einen von den 650 Abgeordneten zu wählen. Auf die andere Wagschale wirft er seine wirklichen, greifbaren Lasten, drei bis fünf Jahre Kasernenleben und leidenden Widerstandes, dann die häufigen Waffenübungen, endlich Jahrzehnte lang bei jedem Kriegsgerücht die angstvolle Erwartung des Einrückungsbefehls, der ihm die Flinte in die Hand drücken soll, damit er töte oder getötet werde. Wahrscheinlich wird er bald finden, daß die beiden Wagschalen einander nicht das Gleichgewicht halten und daß ein so wesenloses Recht von einem so handgreiflichen Frohndienst keineswegs aufgehoben wird.

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Wolverstanden: im Jahre 1789 sah der Bürger nichts dergleichen voraus. Damals war er ein friedliebender, freisinniger, menschenfreundlicher Optimist, der weder Europa noch die Weltgeschichte, weder die Vergangenheit noch die Gegenwart kannte. Als die verfassungsgebende Versammlung ihn zum Herrscher machte, ließ er dies ruhig geschehen, denn er wußte nicht recht, wozu er sich dadurch verpflichtete und dachte nicht daran, welche Ansprüche an ihn gestellt werden würden. Ohne es zu wissen, unterschrieb er zugleich mit dem Gesellschaftsvertrag jenen weitreichenden Schuldschein, der sich im Jahre 1793 als eintreibbar erwies; der Konvent hat die Schuld hereingebracht, und Napoleon schreitet an ihre Regelung Künftig bezahlt jeder taugliche, erwachsene Mann diese Blutschuld, ohne daß irgend einer sich ihr entziehen könnte; jeder Jüngling, der das militärpflichtige Alter erreicht hat, zieht seine Nummer und marschirt ab, sobald die Reihe an ihn kommt. Aber Napoleon ist ein intelligenter Gläubiger. Er weiß, daß diese Schuld für die Familie die schrecklichste und gehässigste" ist (dies seine eigenen Worte, 1804), daß seine Schuldner wirkliche, lebendige, und daher verschiedenartige Menschen sind, daß ein Staatsoberhaupt mit ihren Verschiedenheiten d. h. ihrer Lage, ihrem Bildungsgrade, ihrer Empfindlichkeit, ihrem Berufe rechnen muß und daß es weder im privaten noch im öffentlichen Interesse, weder durch die Klugheit noch durch die Gerechtigkeit geboten erscheint, sämtliche Untertanen ohne Unterschied zu demselben mechanischen Handwerk zu zwingen, in das gleiche Joch zu spannen, zu derselben langen Seelen- und Leibesknechtschaft zu verurteilen. Hatte das Geseß schon unter dem Direktorium die Verheirateten, sowie die mit Kindern gesegneten Witwer und Geschiedenen vom Militärdienst befreit, so befreit Napoleon auch noch jeden, der bereits einen Bruder im aktiven Heere hat, jeden, der einer Witwe einziger Sohn, jeden, der der älteste von drei Waisen ist, endlich jeden, der einen mindestens 71jährigen Vater hat, den er erhält. Diesen Familienstüßen fügt er die jungen Leute hinzu, die seiner Kirchen-, seiner

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Universitäts-Miliz oder einer seiner Zivil-Milizen_an= gehören, ebenso die Normalschüler, die geistlichen Schulbrüder und die als Priester ordinirten Seminaristen, freilich unter der Bedingung, daß all diese Leute ihm teils zehn Jahre hindurch, teils lebenslänglich in einer Zucht dienen, welche fast so streng oder noch strenger ist als die militärische. Schließlich erteilt er auch noch Schließlich erteilt er auch noch die Erlaubnis, auf Grund gütlicher Vereinbarung Ersatzmänner beizustellen, nur mußten diese diensttauglich und dienstwillig sein, und die Dienstpflichtigen, für die sie einsprangen, blieben für sie haftbar. Haben zwei PerHaben zwei Per sonen einen solchen Ersagvertrag geschlossen, so ist es im Wege freien Übereinkommens geschehen und weil jede von ihnen bei dem Tausch ihren Vorteil findet; der Staat hat nicht das Recht, die beiden unnüßer Weise um diesen Vorteil zu bringen, falls er nicht darunter leidet. Und er leidet nicht nur nicht darunter, er kommt dabei oft sogar noch besser weg, denn er bedarf gerade durchaus nicht eines bestimmten Menschen, sondern irgend eines Menschen, der fähig ist, zu schießen, lange Märsche zu machen, den Unbilden des Wetters zu widerstehen, und nur solche Ersaßmänner nimmt er an. Diese müssen von kräftiger, ganz gesunder Beschaffenheit und vorgeschriebener Höhe" sein, und da sie ärmer sind als die Herren, von denen sie gedungen werden, so sind sie auch mehr gewohnt und eher imstande, Ent- | behrungen und Anstrengungen zu ertragen. Überdies stehen sie meist in einem männlicheren Alter und taugen deshalb besser zum Dienst als die rekrutirten Jünglinge; manche waren schon einmal Soldaten und diese sind für den Staat doppelt so wertvoll wie die Neulinge, welche noch nie den Tornister getragen oder unter freiem Himmel gelagert haben. Aus all diesen Gründen wird das Stellen von Ersaßmännern gestattet den Aufgebotenen und Ausgehobenen

., welche außer

stande wären, die Kriegsstrapazen zu ertragen oder welche dem Staate durch die Fortseßung ihrer gewohnten Arbeiten bessere Dienste leisten können als durch ihren Eintritt in die Armee."

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Napoleon hat zu viel Geist, um sich von den blinden Forderungen der demokratischen Formeln leiten zu lassen. Sein Scharfblick, der zwischen den Worten hindurch die Dinge erkennt, hat sofort bemerkt, daß das Soldaten handwerk nicht das Gleiche ist für einen gebildeten Menschen der besseren" Stände einerseits und einen Bauernburschen oder Taglöhner andererseits, daß ein leidliches Bett, ein vollständiger Anzug, gute Schuhe, die Sicherheit des täglichen Brotes und häufigen Fleischessens nicht für den ersteren, wohl aber für den andern mehr oder minder neu und daher Genüsse sind, während hingegen diesen die gemischte Gesellschaft und die derben Düfte der Soldatenstube, die Flüche und rohen Befehle des Korporals, die Regimentskost und das Kommißbrot, sowie die unablässige physische Arbeit weniger unangenehm berühren als jenen, für den all dies mehr oder minder einer Bein gleichkommt. Hieraus folgt, daß man durch Anwendung der buchstäblichen Gleichheit die tatsächliche Ungleichheit schaffen würde, daß man also im Namen der wirklichen Gleichheit, wie auch im Interesse der wahren Freiheit, denjenigen, die in größerem Maße leiden würden, erlauben muß, mit denen, die weniger leiden würden, gütlich zu unterhandeln. Man muß das um so eher gestatten, als dadurch der Zivil-Generalstab seine künftigen Rekruten schont, denn grade im Alter von 19 bis

26 Jahren pflegen die späteren Leiter und Unterleiter der großen, fruchtbaren Friedensarbeit die Gelehrten, Künstler, Litteraten, Rechtskenner, Techniker, Ärzte, Handelsherrn, Großindustriellen u. s. w. — ihre höhere, bezw. fachliche Ausbildung zu erhalten, ihre grundlegenden Ideen zu haben oder zu vertiefen, ihre Eigenart und Tüchtigkeit zur Entfaltung zu bringen; entzöge man ihnen diese besten Jahre, so würde man ihr geistiges Wachstum mitten in seiner Vollsaftigkeit unterbrechen und dann könnten die zivilen Fähigkeiten, die für den Staat ebenso wertvoll sind wie die militärischen, leicht Schiffbruch leiden. Das Ersaßmännersystem ermöglicht es im Jahre 1804 durchschnittlich jedem zehnten konskribirten Franzosen, diesem Zwangsschiffbruch zu entgehen. 1806 kostet ein Ersazmann zwischen 1800 und 4000 Franken, das schon darum sehr viel ist, weil die Kapitalien selten und das Bargeld noch seltener zu finden sind. Offenbar kaufen nur die wolhabenden oder reichen Väter also die der mehr oder minder gebildeten Stände ihre Söhne los, und wir dürfen annehmen, daß sie diesen eine mehr oder minder vollständige Ausbildung geben lassen. Solcherart wird der Staat am Abmähen seines gesamten blühenden Getreides verhindert und behält eine Brutanstalt für Untertanen übrig, aus denen die gesellschaftliche Elite der nächsten Generation hervorgehen wird.

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Selbst mit diesen Milderungen bleibt das Militärgeseß noch ein hartes, aber es ist doch erträglich; erst gegen 1807 wird dasselbe ungeheuerlich und nun nimmt es eine von Jahr zu Jahr steigende Strenge an, bis es zum Grabe der ganzen Jugend des Landes wird; schließlich müssen sich sogar die Jünglinge, welche das militärfähige Alter noch nicht erreicht haben, sowie die bereits losgekauften oder sonstwie vom Dienst befreiten Männer als Kanonenfutter verwenden lassen. Das geht natürlich viel zu weit, allein in der Verfassung, die es vor diesen Ausschreitungen hatte, kann das Militärgesez, etwa noch mit einigen Linderungen, be= stehen bleiben. Die notwendigsten Anderungen würden sein: Die Umwandlung der Dienstbefreiungen und der Ersatzstellungserlaubnis in feststehende Rechte - bislang sind sie nur Gnadenakte, die Herabminderung des Jahreskontingents, die Begrenzung der Dienstzeit und die Gewähr, daß die einmal endgiltig Entlassenen nicht mehr einberufen werden dürfen. Das Militärgesez vom Jahre 1818 enthält diese Änderungen, die dasselbe so wirksam machen, daß es länger als ein halbes Jahrhundert hindurch seinen Zweck erreicht, ohne allzu schädlich oder verhaßt zu sein, und daß es unter den vielen Gesezen seiner Art -- alle mehr oder minder schädlich vielleicht das am wenigsten schlechte ist.

Die Gedankenwerkstatt des Dichters.

Eine zweite Betrachtung zur Psychologie der Dichtung.*)

Von Otto Ernst.

Der Unterschied zwischen den hervorragenden Geistern, sagen wir: den bedeutenden Denkern, Dichtern und

Vergl. Nummer 51 des vor. Jahrgangs.

Künstlern einerseits und den gewöhnlichen Intelligenzen andererseits ist der, daß das geistige Pendel der ersteren eine größere Schwingungsweite hat als das der legteren. Jene werden nicht nur in der Regel die augenblicklich beleuchtete Vorstellung klarer sehen und sicherer die richtigen Beziehungen zwischen den Vorstellungen aufdecken, ihr charakteristischer Vorzug liegt vielmehr darin, daß bei ihnen mehr Vorstellungen, größere Vorstellungskomplexe und vor allem entferntere Vorstellungen mitschwingen. Die ungeahnte und doch selbstverständliche und überzeugende Verbindung solcher Vorstellungen, die für unser Denken weit von einander entfernt liegen und die wir noch nie auf einander bezogen haben, erzeugt eben in uns nicht nur dem Wißbold, sondern mehr noch dem Erfinder, dem Philosophen, dem Dichter und Künstler gegenüber jenes vou energischer Zustimmung begleitete Gefühl glücklichster Überraschung und entreißt uns das Zugeständnis : Darauf wäre ich nicht verfallen." Gerade bei denjenigen Dramen, Romanen und Gedichten, die uns am meisten ergreifen und am besten gefallen, weil sie in eminentem Sinne aktuell und wahr sind, sind wir bekanntlich regelmäßig überrascht, daß sie nicht schon eher geschrieben wurden, ja, daß wir sie nicht selbst geschrieben haben. Dort aber, wo die Vorstellungen zwar einander fern liegen, aber keine natürliche, überzeugende Beziehung zu ein ander haben, wo der Dichter nicht unbewußt gefunden hat, sagen wir sehr zutreffend: „an den Haaren herbeigezogen." Jeder Dichter kann in die Lage kommen, daß das unbewußte Material seine Mitwirkung versagt. Etwas ungewöhnliches, das sagt er sich, muß er hervorbringen; denn das ist sein Beruf. Ist er nun eigen finnig oder hungrig genug, um invita Minerva schaffen zu wollen, so greift er irgendwo ins Unbewußte hinein, zieht eine Vorstellung hervor und sucht sie durch Spißfindigkeit und Klügelei mit der ursprünglichen in Verbindung zu bringen. Dann erhalten wir den Eindruck des Gezwungenen und sind unangenehm überrascht, daß wir nicht angenehm überrascht werden. Die Tatsache ist bekannt," sagt Lazarus, „daß Dichter oft ihre schwächsten Erzeugnisse am höchsten schäßen; vielleicht erklärt es sich in den meisten Fällen daraus, daß bei diesen ihre Schaffensfreude die stärkste, die deutlichste gewesen." Da Lazarus zwar ein ausgezeichneter Psychologe, aber kein Dichter ist, erklärt es sich leicht, daß er hier irrtümlicher Weise von Schaffensfreude spricht. Was den Dichter in solchen Fällen veranlaßt, sein Schmerzenskind besonders zu lieben, ist der mensch lich-begreifliche Wunsch, für seine große Mühe in der öffentlichen Anerkennung ein Aquivalent zu finden. Dieser Wunsch ist der Vater seiner Selbstkritik. Mag er aber sein Werk noch so hoch schäßen, Schaffens freude hat er nicht genossen. Diese quillt dem Dichter eben aus der willigen Beweglichkeit des Unbewußten, aus seinen guten Einfällen. Heureka!" rief Archimedes; da sprang er vor Vergnügen aus dem Bade.

Wollte man nun annehmen, daß demnach der Dichter nichts anderes zu tun habe, als auf gute Einfälle zu warten (etwa in der Position, in der man ge= bratene Tauben für den direkten Import zu erwarten pflegt), so wäre das freilich ein schwerer Irrtum. Die Meinung, der Dichter dürfe nicht zu viel wissen, wenn er sich die produktive Frische" erhalten wolle, kann nur soweit Geltung haben, als der Dichter sich von dem Ballast gelehrten Kleinkrams freizuhalten hat. Der

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Dichter soll viel lernen, sehr viel. Er braucht nicht den Ehrgeiz zu haben, ein fach- oder gar ein Universalgelehrter sein zu wollen, aber ein gebildeter Mensch soll er sein im allerschöpfendsten Sinne des Wortes. Und zwar soll er sich in dem Wort „gebildet" mehr den Verbal- als den Adjektiv-Begriff gegenwärtig halten. Wenn wahre Bildung überall nicht in der bloßen Anhäufung von Wissensstoffen, sondern in der fortgesett denkenden Verarbeitung, in der beziehenden Neugestaltung, Neubelebung und Nußbarmachung derselben besteht, so gilt das gewiß in erster Linie von der Bildung des Dichters. Die Verdichtung, jener hochbedeutsame Prozeß, durch den wir ungeheure Vorstellungsmassen zu einer flatternden, schwebenden und schwankenden" Vorstellung repräsentativ zusammenziehen und durch den wir allein jene ungeheuren Massen zu bewegen vermögen, diese Verdichtung soll beim Poeten in Höchstem Maße fortgeschritten sein und ihm jeden Augenblick in einem Worte ein ganze, flar durchschaute Welt zu Füßen legen. Der von modernem Bewußtsein getragene, von seiner Mission erfüllte Dichter weiß auch, daß er unablässig für den Glanz und die Größe seiner Schöpfungen wirkt, wenn er seinen Vorstellungsschat bereichert und ihn durch beständige Denkarbeit praktikabel erhält, weiß, daß es ihm spätere gesegnete Stunden der Intuition" vergelten werden, wenn er heute den Ursachen einer Arbeiterrevolte, einer Kaffee-Hausse oder eines Ministerwechsels nachforscht. Der Gedankenwebstuhl will in guter Ordnung und in Gang gehalten werden, wenn ein Schlag tausend Verbindungen schlagen“_soll.

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Ich kann es mir nicht versagen, bevor ich meine Betrachtungen fortseße, wiederum ein präzises und schönes Wort aus dem Leben der Seele" hierher zu stellen. „Es kann“, heißt es daselbst, „schwerlich ein wesentlicheres und mehr charakteristisches Element zur Konstituirung der Individualität geben, sei es der Individualität geistiger Persönlichkeiten, sei es der geistiger Werke, als das Maß der Fülle, Energie und gleichmäßigen Klarheit von psychischen Elementen, welche in einem gegebenen Zeitmoment in einheitlichen oder be= ziehungsreichen Gedanken gedacht oder angeregt werden." Lazarus exemplifizirt dabei u. a. auf die Lyrik Goethes als auf eines der geistigen Werke, welche vorzugsweise die Zucht auf den empfangenden Geist ausüben, daß sie ihn zwingen, in den engen Rahmen des Moments eine größere Fülle von Gedanken zu drängen". In der Tat, je mehr ein Dichter die Fähigkeit besigt, in wenigen Worten die für unseren alltäglichen Blick von einander entfernt liegenden Dinge beziehungsreich und einleuchtend zu verbinden, je leichter „sein Gemüt das Weitzerstreute sammelt", je mehr er es vermag, mit einem Zauberschlage ein ausgedehntes Lauffeuer von Gedanken in uns zu entzünden, desto williger erkennen wir in ihm die superiore Geistesmacht. Die Weite seines Blickes, die er uns für Augenblicke mit Übermacht aufzuzwingen weiß, ist eben jene Betrachtung sub specie aeterni, die das Hauptkennzeichen alles Poetischen beim Schaffenden wie beim Genießenden ist. Diese Betrachtung erzeugt in uns das Gefühl der Befreiung und des Gehobenseins, das sich beim wahren Kunstgenuß einstellt; durch sie erklärt sich die Tatsache, daß wir bei der Aufnahme jedes wirklich dichterischen Erzeugnisses über unserem gewöhnlichen Standort stehen und auch da, wo wir geklärten Auges auf ein vom Dichter schonungslos gezeichnetes Stüd irdischen Grauens

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