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ordnete Zustände anzubahnen. Sie ist vielfach mit bewundernswürdiger Energie und mit einem staunenswerten Heroismus durchgeführt worden, der vor dem Aeußersten nicht zurückschreckte, aber auch vielfach eine weise Mäßigung, einen rohen Gerechtigkeitssinn und volles Bewußtsein der Verantwortlichkeit an den Tag legte.

Die Entstehung und Bedeutung des Wortes „Lynch, lyuchen" ist dunkel. Man hat es von dem angelsächsischen Wort linch, mit einer Keule schlagen, züchtigen", herleiten wollen, wahrscheinlicher ist aber wol seine Entstehung aus irgend einem Personennamen. Einige wollen das Wort mit einem Bürgermeister von Galway in Frland, Namens James Fitstephen Lynch, der in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts lebte, in Beziehung bringen, weil von diesem resoluten Stadtoberhaupt berichtet wird, daß er seinen eignen Sohn wegen Straßenraubes „männiglich zum abscheulichen Erempel" aus dem Fenster hinaus erhängt habe, ohne sich mit juristischen Feinheiten lange aufzuhalten Eine andere Ueberlieferung führt das Wort auf einen Farmer John Lynch zurück, der im 17. Jahr hundert in Virginia oder Nord-Carolina lebte. Flüchtige Sklaven und Verbrecher sollen sich damals in Banden zu sammengerottet haben, die das Land verwüsteten, und die Einwohner in beständigem Schrecken hielten. Da sich die Kolonialgesete als machtlos erwiesen, habe die Bevölkerung dem genannten Farmer Vollmacht zur Ausübung einer summarischen Justiz erteilt, die darin bestand, daß die ergriffenen Strolche nach kurzer Erörterung ihres Sündenregisters an den Bäumen gehängt wurden. Endlich giebt cs auch eine Ansicht, welche das Wort „Lyuchen“ von der Stadt Lynchburg in Virginia herleiten will.

Die Geschichte der Vereinigten Staaten ist reich an Beispielen dieser Volksjustiz, an erhebenden und erfreulichen sowohl, in denen sich ein empörtes Gerechtigkeits- und Ordmungsgefühl äußerte, als auch an abscheulichen und bar barischen; und nicht immer traf die Maßregel nur den Schuldigen. Am verwerflichsten war die Lynchjustiz da, wo sie sich in den Dienst der politischen Kämpfe stellte, wie zu den Zeiten der Antisflavereibewegung. In den Südstaaten, deren Bevölkerung überhaupt mehr zu Gewalt tätigkeiten neigt, wurden nur zu häufig diejenigen, die sich als Anhänger der Sklavenbefreiung zeigten, oder die gar einem flüchtigen Sklaven Unterstüßung gewährten, Opfer der Lynchjustiz. Wenn man sieht, daß auch die staatlich organisirte und gesetzlich geordnete Justiz sich in den Zeiten tiefgehender politischer Zerrissenheit bei sonst sehr civilisirten Völkern in den Dienst der Parteileidenschaften stellt, so kann es am Ende nicht Wunder nehmen, daß die rohe Selbsthilfe als politisches Kampfmittel benutzt wurde.

Am segensreichsten hat die Lynchjustiz in denjenigen Gegenden Amerikas gewirkt, wo infolge eines massenhaften Zusammenströmens von Menschen wie in den Golddistrikten Kaliforniens, oder infolge der Entlegenheit, die staatlichen Behörden zu schwach waren, um die Ordnung aufrecht zu erhalten. Das war und ist teilweise noch der Fall in den westlichen Staaten. Kalifornien, Oregon, Nevada, Kansas, Colorado waren oft der Schauplatz eines solchen Notwehr aftes der Bevölkerung gegen das Verbrechertum. Ganz besonders lockten natürlich die Goldminen den Abschaum der Menschheit an. In den schnell emporblühenden Ortschaften sammelte sich eine erschreckende Zahl der verwegensten und gefährlichsten Subjekte an. Es mimmielte von Mördern, Wegelagerern, Desperados", Abenteurern, Schwindlern, Gaunern, Spielern und den mehr oder weniger harmlosen Tramps", die Amerika vagabundirend durchstreifen. Wenn das Maß voll war, raffte sich die Bevölkerung endlich zur Selbsthilfe auf, und entschlossene Männer machten es sich zur Aufgabe, die Gegend zu säubern", wie man etwa ein Haus vom Ungeziefer befreit. Unter dem Namen

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„Vigilanten“, „Vigilanz-Komitee“, „law and order men", Regulatoren", traten die Anhänger der öffentlichen Sicher heit und Ordnung heimlich zusammen, und mit eiserner Energie wurde das Werk durchgeführt. Der Tod durch Erhängen war die gewöhnliche Strafe, indessen begnügté man sich in leichteren Fällen auch mit der Verbannung. Die Rückkehr des Ausgewiesenen wurde bei Todesstrafe untersagt. In anderen Fällen von Lynchjustiz bestrafte man den Schuldigen auch wohl durch Zerstörung seines Eigentums oder durch das abscheuliche Theeren und Federn", welches infolge der Unterdrückung der Hautfunktion durch den Theerüberzug eine keineswegs unge| fährliche Strafart bildet.

Bret Harte in seinen „Kalifornischen Erzählungen" bietet interessante Schilderungen jener Kulturzustände, die das Lyuchen als eine notwendige Maßregel zur Folge hatten, und in der meisterhaften kleinen Erzählung Tennessees partner" beschreibt er lebenswahr und mit feinem Humor eine Gerichtssitzung des „Richter Lynch". Denn in den meisten Fällen wurden die Formen eines ordentlichen, wenn auch sehr summarischen Gerichtsverfahrens beobachtet, freilich nicht mehr als eine Formalität, da die Angeklagten" meistens ein so umfangreiches Verbrechen konto aufzuweisen hatten, daß an dem Urteil nicht zu zweifeln war. Ie sicherer der Strick den llebeltäter erwartete, desto mehr war man geneigt, ihm in seiner Verteidigung allen Spielraum zu gewähren: eine Freisprechung war nicht zu befürchten. Dem Urteil folgte die Vollstreckung auf dem Fuße, und der letzte Willen des Gerichteten wurde stets mit peinlichster Sorgfalt von den Männern des Sicherheitsausschusses ausgeführt. Oft zeigten sich bei solchen Gelegenheiten inmitten der rauhen Bevölkerung die edelsten Seiten der menschlichen Natur, und immer war jedenfalls die Kühnheit und Entschloffenheit derjenigen Männer, die dem Verbrechertum entgegentraten, eine bewundernswürdige.

War einmal ein solches Vigilanz-Komitee einige Zeit in Tätigkeit, so machten sich die Wirkungen schnell bemerkbar merkbar Das Abenteurer- und Desperadotum fing an die Gegend zu meiden; der Ruf, daß man dort mit blutiger Strenge vorgehe, verbreitete sich unter den herumziehenden Verbrechern. Man wußte, es war dort nichts mehr zu machen". Diejenigen Desperados, deren man nicht habhaft wurde, beeilten sich, den unwirtlichen Distrikt zu verlassen, und der Farmer konnte wieder ruhig schlafen, der Goldgräber durfte ohne Furcht vor Wegelagerern seine Ausbeute nach der Stadt schaffen.

Auf diese Weise ist in Kalifornien und in Colorado der erste Schritt zur öffentlichen Ordnung geschehen, nachdem die Goldgruben lange Zeit der Sammelpunkt des internationalen Verbrechertums gewesen waren. Nächstdem wurde Montana gesäubert. Hier stand ein Deutscher Namens Beidler an der Spitze des Vigilanz- Komitees, deffen Erfolge wunderbar waren. Das Land wurde von einer geheimen Verbrecherbande geradezu terrorifirt; an der Spike der Straßenagenten", wie sich die Mitglieder dieses Seitenstücks der italienischen Mafia nannten, stand ein Sheriff; die Verbrecher hatten die Macht in Händen, die Männer der Ordnung waren in der Minderzahl, die ordentlichen Gerichte machtlos, denn die Geschworenen wurden von den Verbrechern entweder bestochen oder durch Drohungen beeinflußt. Trotzdem gelang es, durch kalte Entschloffenheit und unerbittliche Strenge dem Unwesen ein Ende zu machen; unerwartet und wie ein Blitstrahl aus heiterem Himmel traf die Schuldigen die verdiente Strafe: die hervorragendsten Mitglieder der Bande, darunter der würdige Polizeibeamte wurden vom Volksgericht zum Tode verurteilt und gehängt, bis auf den leßten Mann wurden die Organisatoren des Verbrechens

ausgerottet, die übrigen Anhänger und Mitglieder der Gesellschaft traf zum größten Teil dasselbe Schicksal, der Rest entfloh und suchte sich eine andere Stätte der Wirk samkeit. Man sieht, der Fall hat einige Aehnlichkeit mit den Vorgängen in New-Orleans; auch dort handelte es sich um eine wolorganisirte Verbrecherbände.

In Montana lebte zu jener Zeit, in den sechziger Jahren, ein früherer Richter aus einem größeren deutschen Staate, ein politisch Kompromittirter, der in Folge der Ereignisse des Jahres 1818 hatte flüchten müssen. Der Mann, der übrigens später vom Präsidenten Lincoln zum Gesanten in Costa Rica ernannt wurde, schilderte im Jahre 1867 in einer deutschen Zeitschrift die Tätigkeit des Vigilanz-Komitees in Montana und nahm dabei sehr warm das Lynchwesen in der Gestalt, wie es in jenen Gegenden gewirkt hatte, in Schutz. Er sagte unter anderm: „Mein Beruf als Richter in einem der größten deutschen Staaten bis 1849 und mein Aufenthalt seitdem in einem der verrufensten amerikanischen Grenzstaaten gab mir volle Gelegenheit, beide Seiten (der Lyuchjustiz) zu prüfen. Ich habe Jahre lang bewußt unter der Herr schaft von Vigilanz-Komitees gelebt und mich sicherer gefühlt, als unter dem Schuß der königlichen Polizei- und Staatsbehörden; mancher meiner nächsten Bekannten und Freunde, frühere deutsche Professoren, Kanflente, Justizbeamte u. f. w. waren Mitglieder des Komitees und fast täglich oder nächtlich in ihrer traurigen Mission tätig, ohne daß unser Verhältnis dadurch getrübt wurde, ja ich fonnte den Männern einen höheren Grad von Achtung nicht versagen, die alles aufs Spiel seßten, um die Gesell schaft, die Herrschaft des Gefeßes an deren Todfeinden zu bestrafen und zu rächen.“

Aehnliche Vorgänge wie in Montana haben sich in Panama, Zentralamerika, abgespielt zu der Zeit, als die Eisenbahn von Panama nach Aspinwall gebaut wurde. Das Zusammenströmen des Gesindels begann hier, nach dem die Goldminen in Kalifornien entdeckt waren, weil die Dampfer Panama mit dem Goldlande verbanden und der gesamte Verkehr über den Isthmus ging. Hier konnten in größter Bequemlichkeit die heimkehrenden Goldgräber, die mit den erworbenen Schäßen in der Tasche aus den Mördergruben Kaliforniens glücklich entschlüpft waren, von ihren Schätzen befreit werden. Mordtaten waren auf der Tagesordnung, Revolver und Messer in beständiger Tätigfeit; es waren unglaubliche Zustände. Von einer Tätig feit der Behörden oder Gerichte war nichts zu bemerken; man beschuldigte den Gouverneur fogar, mit dem Ver brechertum im Einverständnis zu sein.

Als die Zustände schließlich einen solchen Grad von Unsicherheit erreicht hatten, daß sogar der Verkehr auf der nen erbauten Bahn über den Isthmus darunter zu leiden anfing, sah sich die Direktion der Eisenbahn genötigt, Maßregeln zu ergreifen. Ein „Oberst" so und so erbot sich, im Wege der Lynchjustiz die Gegend von dem Gefindel zu befreien. Die Eisenbahngesellschaft schloß einen förmlichen Vertrag mit ihm, und ein Vigilanz-Komitee wurde eingerichtet. Jedes verdächtige Individuum wurde angehalten und nach dem Zweck seiner Anwesenheit auf dem Isthmus befragt. Fühlte sich der Befragte aus gewissen Gründen zur ungenügenden Beantwortung dieser peinlichen Frage" veranlaßt, so wurde er nur noch befragt, ob er Geld befäße, um mit dem nächsten Dampfer den Isthmus von seiner Anwesenheit zu befreien. Fiel die Antwort auch hierauf ungenügend aus, so wurde der Betreffende ohne Umstände aufgehängt in der wolbegründeten juristischen Vermutung“, daß er es hinreichlich® verdient habe. Dasselbe Verfahren wurde beobachtet, wenn Dampfer im Hafen einliefen; wer von den Passagieren verdächtig war, keine Mittel zur Weiterreise besaß und

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offenbar nur kam, um vom Verbrechen auf so günstigem Boden zu leben, wurde kurzer Hand gelyucht. Das Verfahren erwies sich als sehr heilsam. Denn die Kunde von dieser prompten Justiz verbreitete sich unter den Desperados des Goldlandes sehr schnell, und die wandernden Abenteurer vermieden den Isthmus von Panama fortan.

In den civilisirten Staaten der Union find Fälle von Lynch justiz heutzutage selten und kommen nur bei ganz außergewöhnlichen Anlässen vor. Man will beobachtet haben, daß mit der Abschaffung der Todesstrafe in Wisconfin die Lynchjustiz zugenommen habe. Den_in_NewOrleans vorgekommenen Fall wird man mit Recht als einen außergewöhnlichen bezeichnen können. Wenn man die Umstände, welche dort den Anlaß zu den bedauernswerten Vorkommiffen geboten haben, mit den früheren Zuständen in Kalifornien, Montana u. f. w. vergleicht, so muß man indessen zugeben, daß eine gewisse Aehnlichkeit vorhanden ist. Wenn eine heimliche Verbrecherbande so weit geht, daß selbst die Gerichte bestochen werden und die Bestrafung der Verbrecher in Frage gestellt ist, so ist damit nach amerikanischen Begriffen die Anwendung der Lyuchjustiz geboten, und es ist unzweifelhaft, daß man in weiten Kreisen der Vereinigten Staaten das Geschehene zwar bedauerlich, aber keineswegs unentschuldbar findet.

Es sei endlich erwähnt, daß sogar in Deutschland noch bis vor einigen Jahrzehnten eine Art von Lynchjustiz ziemlich häufig vorkam. Es ist das sogenannte "Haberfeldtreiben", welches in Ober-Bayern üblich war. Personen, die sich migliebig gemacht hatten, und gegen die doch ein gerichtliches Einschreiten nicht möglich war, weil ihre Vergehen oft mehr gegen die Moral als gegen die Gesetze verstießen, wurden durch das „Haberfeldtreiben" bestraft. Dieser merkwürdigen Volksfitte lag ein vollständiger Geheimbund zu Gründe, der gewiffe Obmänner, sogenannte „Haberfeldmeister" hatte, und deffen Mitglieder zu unverbrüchlichem Schweigen eidlich verpflichtet wurden, so daß auch heutzutage, troß der vielen gerichtlichen Verhandlungen, die sich an derartige Vorkommnisse knüpften, das Geheimnis nicht ganz aufgeklärt ist. Uebrigens war die Bestrafung des Schuldigen eine ziemlich harmlose. Er wurde vorher durch anonyme Zuschriften gewarnt und aufgefordert sich zu beffern.

Wenn dies nicht geschah, so wurde in einer Nacht seine Behausung plößlich von teilweise bewaffneten, unkenntlich gemachten Männern umzingelt, der „Angeklagte" mußte ans Fenster oder an die Thür treten, und nun wurde ihm ein gereimtes Verzeichnis seiner Sünden (meist handelte es sich um Geiz, Wucher, Liebschaftsangelegenheiten und dergl.) vorgelesen. Nach jedem Verse stimmte die versammelte Wenge eine schauerliche Katzenmusik an. Im übrigen geschah dem Schuldigen kein Leid, ja es wurde fogar etwa entstandener Schaden nachher heimlich erstattet. Zur Durchführung dieses sonderbaren Gerichtsverfahrens wurde aber auch nötigenfalls, Gewalt angewendet. Die Teilnehmer blieben stets geheim. Diese eigentümliche Volksfitte, die schließlich zu einem bloßen Krawall und Unfinn herabsank, ist heutzutage infolge des energischen Einschreitens der bayrischen Behörden ausgerottet; fie war jedenfalls ein merkwürdiges Beispiel von Lynchjustiz inmitten eines ganz civilisirten Landes.

Aus den Briefen Gustave Flauberts.")

Von

Fritz Mauthner.

poltern, lachen, predigen, unter der Arbeit feuchen, und man hört von Zeit zu Zeit durch all das Schimpfen und Spaßen hindurch die gütige Stimme des Menschenfeindes, der die ganze Menschheit verachtet und jeden Nebengründ-menschen liebt. Auch bei uns hat der Band Briefe Bewunderer gefunden, welcher Flauberts köstliche Korrespondenz mit George Sand enthält. Aber die Briefe an die berühmte Dichterin verlieren etwas grade durch den Zauber der Galanterie, mit welcher der geniale junge Flaubert die berühmte, alte Dame umschmeichelt. Es find Kunstwerke, deren Stoff aus Güte und Geist gemischt ist; weil Flaubert aber mit jedem dieser Sand-Briefe erfreuen will, enthalten sie wenig von seiner innersten unglücklichen Natur. Zur Kenntnis des Mannes, zur Ge schichte des französischen Naturalismus wird die große Brieffammlung weit mehr beitragen.

Wer die Achtung vor deutscher Gründlichkeit lich verlieren will, der braucht nur einmal hintereinander nachzulesen, was in deutschen Litteraturgeschichtswerken über Gustave Flaubert zusammengefaselt worden ist. Da bekommt er regelmäßig eine Tadelsnote dafür, daß er die Madame Bovary geschrieben hat, in welcher die Bericht erstatter die Stammnmutter von Zolas Rougon Macquart sehen wollen. An Madame Bovary läßt man aber immerhin einiges Talent gelten. Uebrigens sei an Flaubert gar nichts Besonderes gewesen. Ein unklarer Kopf, der auf diesem und jenem litterarischen Gebiete sich versucht habe.

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In Frankreich liegt die Sache nicht viel besser, da die frommen Leute sich dort noch heute vor dem Dichter der,Madame Bovary" befreuzen und die große indifferente Masse viel lieber zu den leichteren Büchern von Zola greift, als zu den immer litterarischen und tiefsinnigen Schöpfungen Flauberts. Aber in Frankreich giebt es wenigstens eine ansehnliche Flaubert Gemeinde, welche weiß, was die Welt an diesem eigensinnigen und unglück lichen Dichter beseffen hat. Flaubert ist nun zehn Jahre tot. In der wunderschönen Stadt Rouen, in deren Um gebung, am Ufer der Seine, er seinen Beruf erfüllt hat mit einer Anstrengung, wie wenn ein Leibeigener den Pflug mit eigener Kraft durch steiniges Land zu ziehen hätte, in Rouen, der Stadt der herrlichsten Kirchen und des besten 'Apfelweins, steht seit kurzem Flauberts Dent mial. Seine Gemeinde aber hat ihm ein schöneres Denkmal gesezt durch Herausgabe seiner sämtlichen Briefe, vou denen eben der dritte Band erschienen ist.

ftum der:

Der vorliegende Band umfaßt die 15 Jahre, in denen Flaubert seine drei Hauptwerke geschaffen hat. Sie reichen bis zum Tode seines einzigen Herzensfreundes. An ihn, den dichtenden Landsmann Bouilhet, schreibt er einmal das bittere Wort: Wir leben in einer Welt, wo man nur noch fertig gekaufte Kleider anzieht. Im so schlimmer für uns, wenn wir zu lang sind; die Konfektionsgeschäfte arbeiten für ein gewiffes Mittelmaß, wir werden nackt gehen müssen." Diesem Freunde schüttet er seine ganze Seele aus, so oft eigene Not, fremde Dummheit oder die Zeitgeschichte ihn zum Rasen bringen. Die beste Stimmung gegen das zweite Kaiserreich, wie wir sie in den Romaneit Bolas seit 20 Jahren finden, tritt uns schon in den 30 Jahre alten Briefen Flauberts entgegen. Und das Programm des Naturalismus hat er schon damals flarer und weitsichtiger aufgestellt, als der robustere, beschänktere und darum erfolgreichere Zola.

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In diesen Briefen aber, die nicht nur lebhaft sind Litterarische Parallelen hinfen womöglich noch stärker wie dramatische Szenen, sondern auch handlungsreich und als andere Vergleiche. Aber ich kann es troßdem nicht fast händelsüchtig, giebt es eine Idylle, und diese möchte ich unterlaffen, den deutschen Reformator hier zu nennen, an für heute herausheben. Er erhält eines Tages aus der Tiefe den mich Flauberts ungeheures Ringen immer wieder erder Provinz den Brief eines adeligen Fräuleins; Mademoiselle imiert. Wie Flaubert war Otto Ludwig ein litterarischer Leroyer de Chantepie, eine schöne Seele wie aus dem Bahnbrecher, wie Flaubert steckte er der kommenden Gene18. Jahrhundert, schickt ihm ihre Huldigungen und ihre ration Ziele ab und verbrauchte selbstquälerisch sein Leben, Manuskripte. Flaubert wird von der Persönlichkeit der um nicht nur den Weg zu zeigen, sondern ihn auch selbst fräuflichen und etwas hysterischen Dame so ergriffen, daß zu laufen, den eigenen Jüngern voraus, auch den Jüngsten. er sich in einen sentimentalen Briefwechsel mit ihr einläßt, Wie Flaubert ftand Otto Ludwig ableits ein bischen platonisch verliebt er sich sogar in das inte bekannte Fräulein, und wagt es brieflich, sie auf die Stirn zu küssen und mehr dergleichen altfranzösische Ritterlichfeit zu üben. Er sehnt sich nach ihrer Bekanntschaft und fordert fie ab und zu auf, ihn doch in seiner Einsamkeit zu besuchen. Dann scheint es, als ob seine Korrespondentin ihm mit ihren Manuskripten doch etwas lästig würde. Er schreibt seltener, wird mitunter ein wenig derb und chnisch in seinen freundschaftlichen Ratschlägen, aber der Geist von schöner Menschengüte und von feinster Galanterie verläßt ihn niemals. Der Briefwechsel mit Fräulein voit Chantepie scheint in dem vorliegenden Bande beendet zit sein. Und wenn die Briefe Goethes an Frau von Stein damit endigen, daß Goethe der nervös gewordenen Geliebten den Rat giebt, mit dem Kaffeegenuß vorsichtiger zu sein, so enthält Flauberts letter Brief an Fräulein von Chantepie gar den gut gemeinten, aber gewiß sehr fräufenden Rat, ihre Augen mehr zu schonen. Wie die Persönlichkeit Flauberts vor uns steht, mag er mitunter gewettert und geflucht haben, wenn so ein schönseliger, langer Brief der Dame eintraf. Aber der Reiz, den sie auf ihn ausübte, war zu mächtig, er antwortete dennoch und antwortete meistens in lesenswerten Briefen.

Kunst willen, und wie Flaubert verlangte er von sich selbst für jede neue Aufgabe eine neue Technik, für jedes Buch einen besonderen Stil und marterte sich ab wie ein Lage löhner, um bei flarem Bewußtsein, auf Grund eigener Theorien zu erreichen, was die Homer, Shakespeare und Goethe unbewußt getroffen hatten. Darum bei Beiden das höchste Wollen, bei Beiden eine geringe Fruchtbarkeit, bei Beiden Schäße von Schönheit für alle, die die Schönheit suchen. Und wie der Deutsche Ludwig seine leiden schaftlichsten Ueberzeugungen nicht in seinen Dichtungen niedergelegt hat, sondern in seinen immer noch unausgeschöpften Tagebüchern, so legt der Franzose Flaubert seine nackte Seele in seinen Briefwechsel mit guten Freunden. Wenn der Deutsche heutzutage einen intimen Brief schreiben will, so tut er es doch nur in seinem Tage buch; der Franzose hat die alte Kunst, auch schriftlich mit andern zu sprechen, nicht verlernt.

Der Vorteil liegt auf der Seite Flauberts. In den Nachlaßschriften Otto Ludwigs handelt es sich fast immer nur um die Sache; nur selten kommt die Persönlichkeit zum Wort. In den Briefen an seine Freunde lebt die Persönlichkeit Flauberts fast dramatisch; man hört ihn

*) Gustave Flaubert. Correspondance. Troisième série. (1854-1869) — Paris, Bibliothèque Charpentier 1891.

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Denn so ist nun einmal der persönliche wie der briefliche Verkehr der Menschen. Mit guten Freunden läßt man sich gehen und verläßt sich darauf, immer verstanden

zu werden, auch wenn man nur ein Wort oder eine Geste beigetragen hat. Die Brüder Goncourt und die anderen litterarischen Freunde kennen Flaubert so gut, daß sie sich einen derben Fluch oder einen Cynismus mit Leichtigkeit in theoretische Säße übersehen Fräulein von Chantepie aber ist eine Dilettantin in der Kunst, eine schöne Seele im Leben und eine Mystikerin im Denken; da kann Flaubert nicht umhin, sich ein bischen zusammenzunehmen, um ihr seine Weltanschauung und seine Ansichten von Kunst und Leben verständlich und in überzeugender Form vorzutragen.

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Gleich in einem seiner ersten Briefe trägt er ihr aus führlich seine individuelle Lebensphilosophie vor. Er ver langt von ihr ermüdende Arbeit. Das Leben ist ein so fcheußliches Ding, daß man es nur dann ertragen kann, wenn man ihm ausweicht. Und man weicht ihm aus, indem man in der Kunst lebt, in dem ununterbrochenen Streben nach einer durch die Schönheit dargestellten Wahrheit"... Kein großes Genie ist jemals zu letzten Schlüffen gekommen und ebensowenig ein großes Bitch, weil die Menschheit selbst immer vorwärts marschirt und weil sie zu keinem letzten Schlusse kommit. Das tut Homer nicht, und Shakespeare nicht und Goethe nicht, und die Bibel fogar zieht keine letzten Schlüffe.... Mir scheint es auch immer eine rechte Verrücktheit, die beste Religion oder die beste Regierungsform zu suchen. Die beste scheint mir immer die, die im Verscheiden ist, denn sie wird einer anderen Plaß machen.“

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Bald darauf spricht er zu der Unbekannten von seinen litterarischen Schmerzen. Er arbeitet wie ein Galeeren sträfling an seiner Salambô. Die Vorarbeiten bringen ihn zur Verzweiflung, und er bricht in die erschütternde Klage aus: Es ist leichter, ein Millionär zu werden und in Venedig einen Palast voll von Kunstwerken zu besißen, als eine gute Seite zu schreiben und mit sich zufrieden zu sein. Ich habe vor zwei Monaten einen antiken Roman begonnen und eben das erste Kapitel beendet; mun, ich finde kein gutes Haar an meiner Arbeit, ich verzweifle darüber Tag und Nacht, ohne zu einer Lösung zu kommen. Jemehr Erfahrung ich in meiner Kunst gewinne, desto mehr wird meine Kunst für mich zur Qual; meine Phantasie bleibt dieselbe, und mein Geschmack wird bedeutender. Da steckt das Unglück.... Aber wir sind vielleicht nur durch unsere Leiden etwas wert. Es giebt so viele Leute, deren Freude sehr schmutzig und deren Ideal sehr beschränkt ist, daß wir unser Unglück seguen follten." Und in demselben Briefe sagt Flaubert, der berüchtigte Naturalist, den Napoleon III. wegen Unsittlichkeit verfolgen ließ: „... In meiner Jugend war mein Herz weit wie die Welt. Dann habe ich daran Frende gefunden, meine Sinne zu bekämpfen und mein Herz zu martern. Jeden Rausch, der sich bot, habe ich zurückgestoßen. Gegen mich selber wütend, habe ich den Menschen. entwurzelt... Aus diesem Baum mit der grünenden Laubfrone wollte ich eine schmucklose Säule machen, ganz oben, wie auf einem Altar, ich weiß nicht, welche himmlische Flamme entzünden."

Die Freundin geht auf seine Idee ein und will zu irgend einem Zwecke die Geschichte des 30 jährigen Krieges studiren. Flaubert entschuldigt sich zuerst damit, daß er darüber nichts als die Darstellung Schillers gelesen habe. Aber bald reißt er sich aus seiner Sklavenarbeit und schickt ihr eine Bücherliste und empfiehlt ihr, sich, um zu genesen, in die Arbeit zu stürzen. Unsere Seele ist ein wildes Tier; sie ist immer hungrig, und man muß sie bis zum Schlunde vollstopfen, damit sie sich nicht auf uns selber wirft. Nichts beruhigt mehr als eine lange Arbeit. Gelehrsamkeit ist ein fühlend Ding. Wie sehr habe ich oft bedauert, kein Gelehrter zu sein, und wie beneide ich

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| die stillen Existenzen, die nichts tun, als alte Handschriften, Sterne oder Blumen studiren."

Noch einmal nach zehn Jahren fommt er auf den Ausgangspunkt der Korrespondenz zurück, sein Leben für die Kunst und seine Weltanschauung. Ueberzeugt, daß man frank ist, so wie man an sich selber denkt, suchte er sich in der Kunst zu berauschen wie andere im Branntwein. Seinem festen Willen gelinge es, das Bewußtsein des eigenen Individuums zu verlieren. Man sei dann nicht glücklich, aber man leide weniger. Und ausführlich kommt er auf den Gedanken zurück, daß es keine absolute Wahrheit und keine letzten Resultate gebe. Der Kannibale, der seinen Nächsten aufißt, ist ebenso unschuldig wie das Kind, das an seinem Gerstenzucker lutscht... Eine Lösung! | Das letzte Ziel, die letzte Ursache! Aber wir wären ja Gott, wenn wir die Endursache hätten, und je weiter wir kommen werden, desto mehr wird sie zurückweichen, weil unser Horizont größer werden wird. Je vollkommenere Feinrohre man machen wird, desto mehr Sterne werden wir ersehen. Wir sind verdammt, in der Finsternis und im Jammer zu freisen... Stellen Sie sich einen Menschen vor, der mit einer Waage von 1000 Ellen Länge den Sand des Meeres wägen wollte. Wenn er seine beiden Schalen gefüllt hätte, würde der Sand herausrinnen, und seine Arbeit wäre nicht gefördert. So steht mit allen Philosophen. Sie haben gut sagen: es giebt doch ein Gewicht, eine bestimmte Ziffer, die wir wissen müssen! Man vergrößert die Wagschalen, aber die Kette reißt, und so geht es immer, immer! Seien sie also christlicher und bescheiden Sie sich mit dem Nichtwissen. Lesen Sie Montaigne. Aber lesen Sie nicht wie Kinder lesen zu ihrem Amüsement auch nicht wie die Streber lesen, um was zu lernen. Nein, lesen Sie, um zu leben.“

Ein stolzes Wort! Um dem Leben zu entgehen, d. h. um leben zu können, stürzte sich Flaubert in seine aufreibende Arbeit. Und wie andere schreiben, um materiell leben zu können, so schrieb er, um geistig zu leben. Ein folcher Mann durfte die Forderung stellen, daß man lesen solle, um zu leben. Und man lebt auch, wenn man Flauberts Briefe liest, lebt in guter Gesellschaft, im Umgang mit einem seltenen Mann.

Daß ein so vorurteilslofer Denker so wenig litterari:h wie politisch in einer Partei stecken blieb, ist wol zu glauben. Und es ist beachtenswert, wie Gustave Flaubeit zum franzöfifchen Naturalismus stand, den er selbst m geschaffen hat. (Ein zweiter Artikel folgt.)

Im Spiegel.

Bon

Hellmuth Mielke.

Ich hatte sie im Tiergarten getroffen, wie sie allein spazieren ging, und nach ihrer Begrüßung die Dreiftigkeit zu der Anfrage gehabt, ob ich sie ein wenig begleiten dürfe. Leicht errötend, hatte sie dennoch zum Zeichen ihrer Einwilligung mit dem Kopfe genickt, oder es war mir so vorgekommen, jedenfalls schritten wir, ich eifrig redend, während sie im Anfang noch etwas scheu blieb, nun gemeinsam unter dem hellen Frühlingslaub dahin,

leider nicht Arm in Arm, aber doch wie ein Pärchen, das sich innerlich gefunden hatte.

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Es gehört nun zum Verständnis dessen, was ich erzähle, daß ich einen bemerkenswerten Umstand hervor hebe: Martha war einige, sogar verschiedene Jahre älter als ich. Das hatte mich freilich nicht gehindert, in das anmutige Mädchen sterblich verliebt zu werden, welches sich so stolz und spröde allen Bewerbern gegenüber bisher verhalten hatte und sich bereits jenem Alter näherte, von dem für das unvermählte weibliche Geschlecht auch das deutsche Wort gilt, daß man bei seinem Eintritt die Hoffnung zurückzulassen habe. Wenn aber junge Mädchen älter werden", so löst sich die Stimmung ihrer Seele entweder in einen gewiffen Galgenhumor auf, bei dem sie die kecksten Anspielungen lachend dulden, oder sie zeigen einen wunderlichen Wechsel von subtiler Empfindlichkeit und harter Verstocktheit, den die Welt mit sehr verschiedenen Namen zu belegen pflegt. Es geht ihnen eben wie den Birnen, die, vom Baum abgenommen und auf das Lager gebracht, entweder, wie das Volk sagt, „mulsch" werden oder in ihrer Süßigkeit eintrocknen und einen herben, holzigen Beigeschmack bekommen. Ich fürchte, daß meine angebetete Martha sich bereits auf dieses lettere Stadium vorbereitete. Meine Liebe zeigte sich indessen so bescheiden und schüchtern ich war ja nicht viel mehr als zwanzig Jahre alt und ich harrte in dem wortarmen, asketischen Minnedienst so andauernd aus, daß Martha zulegt mir selbst entgegenkam und ich in ihren Augen die Freude sah, sobald sie mit mir reden konnte. Das war und blieb alles; deutlichere Zärtlich keitsbeweise von meiner Seite lehnte sie herbe ab, und für eine intime Aussprache hatte sich immer noch keine Gelegenheit geboten.

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Ich war so vergnügt und lebhaft, wie man nur mit zwanzig Jahren, die Liebe im Herzen und die Geliebte zur Seite, sein kann. Ich sprach von allen Dingen, die mich intereffirten, wie ein Prophet und forschte nach allen Dingen, die sie intereffirten, mit der Erfurcht, welche man den Geheimnissen einer Göttin schuldig ist. Da ich auf solche Weise sehr vielen Unsinn schwätzte, so erreichte ich, daß Martha selbst gesprächiger wurde und auf ihrem Gesicht die kleine, harte Falte um den Mund, die mich bisweilen erschreckt hatte, ganz versteckt blieb. Verwegene abenteuerliche Pläne, ihr mein Inneres heute zu enthüllen, zogen mir durch den Kopf; ich steuerte mit Vorliebe in weniger belebte Seiten-Allcen und suchte im Gespräch nach kühnen Uebergängen zu einer stärkeren Andeutung meiner Leidenschaft. Martha folgte mir in die Seiten-Alleen, aber meine Anspielungen schien sie nicht zu beachten.

Du lieber Himmel, einmal mußte ich ihr doch sagen, was ich für sie empfand! Und so schüchtern ich war, so viel begriff ich, daß diese Gelegenheit günstiger war als je eine vorher und je eine nachher vielleicht sein konnte. Der liebe Himmel, den ich da angerufen hatte, war mir indessen gar nicht gnädig, denn zu unserer Ueberraschung wurde die prächtige Mailuft plößlich von feinen, zarten Regentropfen durchschwirrt, die immer zahlreicher und stärker auf das Laubwerk und uns harmlose Spazier gänger niederpraffelten. Die Lage wurde fatal; Martha bat mich sofort, die Richtung nach der Hauptstraße einzuschlagen, wo sie die Pferdebahn zur Heimkehr benußen könne. Ich sah es ihr an, daß auch ihr die Trennung von unserm Gespräch nicht lieb war, allein sie konnte doch nicht mir zu Liebe sich und ihre Toilette dem Regen aussehen. Oder konnte sie es doch? Ich weiß es nicht, es wäre eine Angelegenheit, die verdiente, einem mittelalterlichen Liebeshof zur Entscheidung vorgetragen zu werden; die Erfahrung freilich spricht dafür, daß das

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weibliche Geschlecht im allgemeinen mehr Rücksichten auf seine Kleider als auf seine Empfindungen nimmt. In jenem Augenblick hatte ich einen anderen Gedanken; ich fand die Besorgnis Marthas selbstverständlich und erinnerte mich nur an das glückliche Paar Aeneas und Dido, das seine vom Gewitter heimgesuchte Liebe trocken in eine Höhle retten fonnte. Was würde ich jezt für eine solche Höhle geben! Aber gab es denn nicht auch in unserer Zeit etwas Aehnliches, einen Zufluchtsort für naßgewordene Liebespaare, nur angenehmer, komfortabler eingerichtet als jener Trogloditenraum der karthagischen | Königin?

Mir fiel plößlich ein, daß ganz in der Nähe, am Ende einer der Tiergartenstraßen, eine kleine Konditorei lag; sie konnte nur einige hundert Schritte entfernt sein. Unter einigem Stammeln wagte ich an meine Begleiterin den Vorschlag, ob wir nicht in dieser nahen Konditorei den Frühlingsregen abwarten wollten. Sie schüttelte zuerst das stolze Haupt, aber ich bat und bettelte so lange, machte so lebhaft auf die Stärke des Regens, die Entfernung von der Pferdebahnlinie, die Ungewißheit, einen Wagen zu treffen, aufmerksam, daß sie nach einigem Zögern meinen Vorschlag annahm und wir rasch uns Sem angegebenen Zufluchtsort nähern konnten. Als sich die Tür des kleinen Ladens für uns öffnete und Martha mit ruhig entschloffenem Schritt einträt, ging, wie ich gestehe, ein listiges Lächeln über mein Gesicht. Triumph! sie ist herein. fie ist herein. Ich glaube, daß auch den Dümmsten und unerfahrensten bei seinem ersten glücklich eingefädelten Liebesabenteuer die Stimmung anwandelt, er sei doch eigentlich der entschloffenste und verschlagenste Roué, den die Sonne bescheint. Was mich angeht, so sah ich mein listiges Lächeln noch aus dem großen Spiegel mir entgegengucken, der die Ecke des kleinen Kabinetts ausfüllte, wo wir unweit des Fensters Platz genommen hatten. Ich bestellte bei dem aufwartenden Mädchen einige Kleinigkeiten, die schnell gebracht wurden und so appetitlich aussahen, daß auch Martha sich entschloß, davon zu genießen. Es war eine richtige süße Liebesspeise.

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Was mir vor allem lieb war, in der Konditorei befand sich außer uns kein Gast. Das bedienende Mädallein in dem kleinen Kabinett, an welches zwar mit chen saß wieder vorne in dem kleinen Laden, wir waren freiem, offenem Eingang ein anderes sich anschloß, allein auch in diesem sahen wir niemand, noch vernahmen So blickten wir einige Minuten, kuchenessend und wir ein Geräusch, das auf die Gegenwart Fremder deutete. plaudernd, durch das Fenster auf die Straße, wo immer noch der Regen das weißgraue Pflaster näßte und färbte. Süßigkeiten, und ich blieb ihr die Antwort nicht schuldig. Sie neckte mich mit meiner angeblichen Vorliebe für

„Wer wird denn den Süßigkeiten des Lebens aus dem Wege gehen?" sagte ich, in der Meinung, mit dieser faden Wendung eine sehr geistvolle Anspielung zu machen. Es hat noch größere Männer gegeben als meine Wenigkeit, die Kuchen aßen.“

"

So besteht am Ende die Größe der Männer im Kuchenessen," erwiderte sie lachend, von dieser Seite | habe ich mir die Weltgeschichte noch nicht angesehen. Aber da Sie Autorität find im Kuchenessen

Und in anderen Dingen," ergänzte ich. Meinetwegen auch in anderen Dingen. Umsomehr, warum sind Sie noch kein großer Mann geworden?" Wenn ich Ihnen damit einen Gefallen tun kann, Fräulein Martha, es soll sofort geschehen.“ Natürlich sofort, auf der Stelle."

"Aber Sie müssen mich zu Ihrem Ritter machen“, sagte ich keck.

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