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der Unterricht ausgeht, sei zugleich ein Erkennen und Einsehen, oder führe doch zu einem solchen; es sei wertvoll, indem es teils geistige Kraft entbindet, teils als Grundlage und Voraussetzung für neues Erkennen und Lernen dienen kann, teils gesinnungbildend und gemütveredelnd wirkt; alles tote, unfruchtbare Wissen von zusammen hanglosen, disparat liegenden Objekten ist abzulehnen. Er verwirft mit recht das maßlose Nebeneinander der Fächer, die geringe Nückficht auf die Fassungskraft der Schüler, das Hinarbeiten auf Fach bildung und die übergroßen Klassen- und Schülkörper.

Und nun Breyers Broschüre! Professor Preyer ist ein entschiedener Freund radikaler Schulreform, und er hat seiner Meinung nicht immer einen maßvollen Ausdruck verliehen. Allerdings hat man es ihm auch danach gemacht; Direktor Jäger und andere haben ihn in einer Weise behandelt, die man als unwürdig bezeichnen muß. Und nun klingt der in den Wald gerufene Schall stets stärker zurück, und die Folge ist die, daß auch vornehm gesinnte Gegner, wie Direktor Conradt, über Preyer unangemessen aburteilen. Den Schaden trägt ohne Schuld der Realschulmännerverein, dem es gewig wieder in die Schuhe geschoben wird, wenn auch aus dieser Broschüre Preyers wieder künstlich gefolgert werden soll, daß alle "Realisten" es auf den Untergang des Gymnasiums abgesehen haben. Ich bin entschiedener Freund der Gleichberechtigung des humanistischen und des modernen Gymnasiums, bekenne aber ausdrücklich, daß das erstere durchaus lebenskräftig ist und manche der von Prof. Breyer erhobenen Vorwürfe nicht verdient; es ist bedauerlich, daß man wieder einmal übereifrigen Reformern in den Arm fallen muß. Wir klagen mit recht darüber, daß die Juristen am grünen Tisch oft underständliche Verfügungen erlassen; aber dem Lehrprogramm der von Prof. Breyer befürworteten deutschen Schule“, die vorläufig als Privatinstitnt ins Leben treten soll, merkt man es an, daß Mediziner und Naturforscher auch fehlgreifen können. Das vorausgesezte Lehrermaterial ließe sich vielleicht beschaffen; die Schulen wären vielleicht einzurichten (freilich mit einfach unmöglichen Geldopfern); das vorauszuseßende homogene Schülermaterial ist dagegen eine reine Utopie. Wollten wir das Programm im einzelnen durchnehmen und in seiner oft greifbaren Unmöglichkeit widerlegen, so müßten wir ein Buch schreiben; es genüge, hier bloß zweierlei anzuführen: häusliche Aufgaben fallen weg, und Zensuren werden nicht erteilt, damit das Ehrgefühl nicht auf falsche Bahnen gelenkt wird. Können die radikalen Schulreformer im Ernst an die Verwirklichung eines pädagogischen Wolkenkukuksheim glauben? Davon aber mögen sie sich überzeugt halten: aus ihren Ueberschwenglichkeiten schmieden bekannte Intriganten die prächtigsten Denunciationen gegen die maßvollen Reformer und namentlich gegen die Realgymnasien. Mit welchem Erfolge das schon geschehen ist, wissen wir.

Die unter 5 genannte mit gründlicher Sachkenntnis geschriebene Broschüre ist zwar durch den Gang der Ereignisse bereits im einzelnen überholt worden, aber trotzdem noch lesenswert. Die Quintessenz von Ohlerts Ausführungen läßt sich kurz so zusammenfassen: das humanistische Bildungsideal ist veraltet; die Ansicht, daß der abstrakt logische Unterricht in der Grammatik die Fähigkeit des logischen Denkens entwickle und daß der fremdsprachliche Unterricht auch die Muttersprache fördere, ist falsch; der Unterricht muß seinen Mittelpunkt im modernen Geistesleben und in der Entwicklungsgeschichte des deutschen Volkes suchen; der Unterricht im Deutschen ist auf dem einheitlichen Gymnasium bedeutend zu vertiefen; das Latein ist zu beseitigen, dagegen das Griechische beizubehalten. Mit mehreren seiner Vorschläge kann der Verfasser unmöglich Glück haben. An die fogenannte Einheitsschule ist im Ernste nicht zu denken, und gegenwärtig auf unsern höheren Schulen das Latein abschaffen wollen fann wol nur jenen wunderlichen Heiligen nach der Art des Herrn van Eynern einfallen, die ihre Lebensaufgabe darin suchen, die Katholiken zu ärgern. Auf demselben Standpunkte steht die vor einigen Jahren in dieser Zeitschrift besprochene Schrift des Dr. Hans Müller, der auch das Latein haßt und eliminirt wissen will, weil es katholische Kirchensprache ist. Auch Oberlehrer Ohlert macht aus seiner antikatholischen Gesinnung kein Hehl; dergleichen müßte man aber doch unterdrücken können, wo es sich um die Intereffen der Schule und der deutschen Jugend handelt.

Die Schrift von Th. Devidé ist der ernstesten Beachtung wert, namentlich auch seitens der maßgebenden Behörden. Devidé geht von der Tatsache aus, daß das Gift der sozialistisch-anarchistischen Verführung den Gesamtkörper der Arbeiterschaft infizirt hat, und daß es darauf ankommt, schon die zarteste Jugend durch Erziehung zu schüßen. Mit zum Herzen gehender lebhafter Wärme schildert er das elende Los der noch nicht schulpflichtigen Arbeiterkinder, welche ohne Aufsicht und Erziehung aufwachsen und teilweise schon verkommen und verroht sind, wenn sie in die Volksschule eintreten. Ihm hier zu widersprechen ist unmöglich, und darum kann man nicht umhin thm recht zu geben, wenn er die gefeßmäßige Zuweisung der noch nicht schulpflichtigen Jugend an die unentgeltlichen Kindergärten ver langt. Allerdings kann man gewisse Bedenken nicht unterdrücken. Nicht nur müßten gewisse Auswüchse beseitigt werden, welche das Jungfröbeltum in die Kindergärten eingeführt hat, sondern es wäre

auch die Frage zu beantworten: Welche Kinder sollen in diese Art Zwangserziehung genommen werden? Alle? Das ließe sich wol kaum durchführen. Noch sehr viele Einwürfe ließen sich aufstellen, und zwar recht ernsthafte; jedenfalls wäre es aber die Pflicht der maßgebenden Behörden diese Idee rasch und zugleich gründlich zu prüfen und namentlich auch etwas zu tun; das bei ihnen übliche achselzuckende Wolwollen und wolwollende Achselzucken bringt uns nicht weiter.

Leimbachs Buch ist ein sehr verdienstvolles und verdient auch über die Schule hinaus weite Verbreitung. Er bietet 92 Volkslieder äl'erer und neuerer Zeit in sorgfältiger Redaktion; bei jedem einzelnen Stücke sind die Quellen angegeben und erläuternde und erklärende Anmerkungen reichlich und mit gutem Geschmacke beigefügt. Eine umfassende Einleitung über das deutsche Volkslied geht voran; die Stücke selber zerfallen in historische Volkslieder (deren poetischer Wert begreiflicherweise oft dürftig genug ist), Liebeslieder, Soldatenlieder, Geselligkeits-, Standes- und vermischte Lieder; auch einige geistliche Volkslieder kommen noch hinzu.

Inbezug auf die Schrift sub 8 hat der Verfaffer recht, wenn er meint, daß sie keineswegs Anspruch auf durchweg selbständige wissenschaftliche Ergebnisse zu machen habe; selbständig ist an der kleinen Arbeit in der Tat wenig oder nichts; aber der Verfasser hat es verstanden, einen großen Teil der norddeutschen Quellen mit Geschick auszuziehen und dem gebildeten Publikum eine ansprechende und anregende Zusammenstellung der zahlreich verstreuten Einzelüberlieferungen zu bieten. Weshalb er aber die füddeutschen und namentlich die alpinen Traditionen systematisch beiseite gelassen hat, ist nicht recht einzusehen.

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Ob endlich Titurel" wirklich auf der Bühne erscheinen kann, steht dahin. Die Idee, daß unreine Liebe den Lod als Sündenfold hat, ist gut, aber zu oberflächlich durchgeführt, und selbst die Verse erinnern nicht selten an Zacharias Werner. Einzelne Stellen find nicht ohne Schönheit; daß aber die ganze Dichtung auf uns einen mächtigen Eindruck gemacht hätte, wüßten wir nicht zu sagen. Viel leicht geht es der Wagnergemeinde anders. F.

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Arvède de Barine, Bernardin de Saint-Pierre. Paris, Hachette, 1891. (Aus der Sammlung,,Les grands écrivains français").

Seit Aimé-Martins großer Biographie des Dichters von „Paul et Virginie, die ziemlich unzugänglich geworden ist, vermißte man eine quellenmäßige und nicht von Freundeshand kommende Charakte ristik von Bernardin de Saint-Pierre. Die geistvolle Schriftstellerin, durchaus zutreffendes Bild des vielgewanderten Schwärmers gezeichnet. die hinter dem Pseudonym Arvède de Barine sich verbirgt, hat ein Barines Buch ist, vom flotten Stil abgesehen, gründlich und stellenweise geradezu meisterhaft. Manchem Träumer wird freilich die eine oder die andere Illusion über B. de Saint-Pierre geraubt werden. Vorzüglich gelungen ist die Klarlegung der schriftstellerischen Methode des Jüngers Rousseaus: er war bekanntlich der erste, der die Méthode expérimentale feinen Landschaftsschilderungen zugrunde legte. Einleuchtend ist die Nebeneinanderstellung einer beschreibenden Stelle aus dem Télémaque mit einer solchen aus Bernardin de SaintPierre und einer aus Pierre Lotis „Islandfischer“. Besser konnte das Fortschreiten der deskriptiven Litteratur nicht veranschaulicht werden. Joseph Sarrazin.

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Aug. Bertuch, Nerto, provençalische Erzählung von Frédéri Mistral. Straßburg, Teubner, 1891.

Ein kühnes Unterfangen ist es, als Ueberseßer an Erzeugnisse. landschaftlicher Poesie heranzutreten, namentlich an die neuprovençalische Dichtung, die Dank Mistral und den Félibres in den legten Jahrzehnten so prächtige Blüten getrieben hat. Indessen bietet. A. Bertuch in seiner Nachbildung den des Provençalischen unkundigen Lesern ein sehr annehmbares Abbild des Mistralschen Epos in 7 Gefängen. Bekanntlich war Nerto die goldgelockte Tochter eines Barons, der nach einer durchzechten und durchwürfelten Nacht sein Kind dem Teufel übermacht hatte, um sich Geld zu schaffen. Durch einen unterirdischen Gang kommt sie zu dem in Avignon belagerten Papst und befreit ihn. Aber nur das Kloster kann ihr Rettung bringen. Ritter Roderich macht einen Strich durch die Rechnung, indem er die junge Nonne entführt. Diese Romantik aus dem Süden und aus dem 14. Jahrhundert mutet uns Kinder der Gegenwart fremdartig an. Jos. Sarrazin.

Berantw, Dr, Curt füße Grottewiß, Berlin, Verlag vpn F, & P, Lehmann, Berlin W., Körnerstr. 2.

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Erscheint jeden Sonnabend.

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Redaktion: Berlin W., Körner Straße 2.

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Verlag

Don

S. & P. Lehmann.

Preis 4 Mart vierteljährlich. Beßtellungen werden von jeder Buchhandlung, jedem Postamt (Nr. 3589 der Postzeitungsliste), sowie vom Verlage des „Magazins" entgegengenommen. Anzeigen 40 Pfg. die dreigespaltene Petitzeile. Preiß der Einzelnummer: 40 Pfg.

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Nr. 29.

Inhalt: Heinz Tovote: Das Modell. (Schluß.) Alexander Lauenstein: Oskar von Redwiß. Otto Julius Bierbaum: Liliencrons neue Lyrik. Curt Grottewiß: Die Ueberwindung des Milieus. Paul Schellhas: „Richter Lynch."— Friß Mauthner: Aus den Briefen Gustave Flauberts. Hellmuth Mielke: Im Spiegel. Litterarische Chronik. — Litterarische Neuigkeiten: Französische Werke, besprochen von May Nordau.

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Auszugsweiser Nachdruck sämmtlicher Artikel, außzer den novellistischen und dramatischen, unter genauer Quellenangabe gestattet. Unbefugter Nachdruck wird auf Grund der Gesetze und Verträge verfolgt.

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Von jezt ab verkehrte ich eifrig in ihrem Hause und fühlte, daß ich nicht nur ein gern gesehener Gast war, sondern daß ich mir in den Gedanken Karlas einen würdigen Plaß erobert hatte. Bald genug wußte ich, daß ich wiedergeliebt wurde; aber noch immer hielt ich mit einer Erklärung zurück, weil damit zugleich ein Geständnis unabweislich war.

Ich hätte mein Geheimnis unter den veränderten Umständen nicht mehr mit mir herumtragen können. So schob ich den Zeitpunkt immer weiter hinaus. Wußte ich doch, daß sie mir unverloren sei.

Ich war in argem Zweifel, ob ich ihr das Geständnis nicht vorher machen sollte. Würde es nicht | angemessener sein? Und doch wiederlag darin nicht eine große Gefahr?

Ich wußte einmal wieder gar nicht, was ich tun sollte; und so hätte ich mir beinahe all mein Glück verscherzt.

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war dunkle Nacht. Ich hatte ihn in diese Einsamkeit gezogen, um ihn um Rat zu fragen, ob er nicht unser Abenteuer Karla erzählen wolle; es könne das ja in humoristischer Weise geschehen. Sie liebte mich und würde mir den übermütigen Streich gewiß ohne weiteres verzeihen. Oder sollte ich ohne Bedenken den heutigen Tag benutzen und um ihre Hand bitten, um dann meiner Verlobten das unausbleibliche Geständnis zu machen.......

Wir erwogen die Gründe hin und her und schritten weiter, aber kaum waren wir ein paar Schritte ge= gangen, als es hinter uns raschelte und eine Frauengestalt dem Hause zuhuschte, die in der Laube sich befunden haben mußte, vor der wir gestanden.

Voll banger Ahnung eilte ich hinter ihr her, um noch erkennen zu können, daß es Karla gewesen, die alles gehört hatte. Ich rief sie an, aber sie war schon im Hause verschwunden. Sofort begaben wir uns hinein, um nach ihr zu suchen. Ich wartete, daß sie wieder im Salon erscheinen sollte, aber sie kam nicht. Dahingegen berichtete Leonie, daß ihre Freundin von plöhlichem Unwolsein ergriffen sei und bedauern müsse, nicht wieder erscheinen zu können. Nach kurzer Zeit hatte sich dann die kleine Gesellschaft aufgelöst, troßdem es noch nicht allzu spät war.

Untröstlich kam ich zu Hause an. Ich allein wußte, was dieses angebliche Unwolsein zu bedeuten hatte. Aber ich gab die Hoffnung nicht auf. Sie mochte im ersten Augenblick erzürnt und verwirrt sein, lange konnte.es nicht währen. Die Liebe mußte siegen, troßdem ich mir nicht verhehlte, von welch übergroßer Feinfühligkeit fie in mancher Beziehung war.

Am folgenden Tage sprach ich bei ihr vor.... Ich

wurde abgewiesen.

Ich wurde krank. Es war nur ein leichtes, vorübergehendes Fieber, teilweise hervorgerufen durch die peinIch schrieb einen langen ausführlichen Brief, in|liche Ungewißheit und Aufregung, in der ich mich während dem ich alles wol auseinanderseßte und ihre Verzeihung all der Zeit befand. erbat. Er blieb unbeantwortet.

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Ich klopfte von neuem bei ihr an, aber ich wurde nicht vorgelassen. So verflossen ein paar qualvolle Lage.

Dann ging ich geraden Weges zu ihrem Vater, einem einsichtigen, prächtigen, alten Herrn und legte ihm die ganze Angelegenheit vor, indem ich ihm zugleich erklärte, daß ich bei ihm um Karla's Hand anhalte.

Er hörte mich mit Wolwollen und kaum zu verhehlender Freude an und versprach mir, sein möglichstes zu tun. Er glaube, daß Karla mich liebe, und unsere Verbindung habe seine volle Zustimmung. Nur müsse man das Troßköpfchen erst zur Vernunft bringen und das sei nicht so leicht. Ich solle nur nicht verzagen. Die Zeit würde mir schon günstig sein.

So hatte ich also wenigstens den Vater auf meiner Seite, ein kleiner Trost in meiner kritischen Lage. Allein was half das, wenn Karla bei ihrem Entschluffe, mich was half das, wenu Karla bei ihrem Entschluffe, mich nie wiederzusehen, beharrte.

Ich vertraute mich Leonie an, aber ihr Einfluß auf die Freundin war wirkungslos. Ich hatte Karlas Gunst völlig verscherzt. Franz erklärte ihr, der Plan sei einzig von ihm ausgegangen, er nur trage die alleinige Schuld. Sie hörte nicht darauf und zürnte ihm ebenso wie mir. Er erhielt vom ersten Tage an kaum eine Antwort mehr von ihr. Die Lage schien ganz verzweifelt; denn Karla blieb fest, troß der eindringlichsten Versuche von allen Seiten. Eines Tages erschien Herr von Traunių bei mir, um sein Leid zu klagen. Daß Karla mich liebe, stche feft. Sie sei seelisch krant. Mich je wiederzusehen, weise sie von sich, und doch leide sie unfagbar unter dieser Trennung. Mit bleichen Wangen schleiche sie im Hause einher. Selten nur zeige sie Freude über etwas. All seine Bemühungen seien fruchtlos. Sie sei zu grausam hintergangen und könne nicht vergeffen, was ihr angetan sei, erwidere sie auf all seine Vorstellungen.

Nun wollte der alte Mann sich bei mir Rat holen, bei mir.... Hätte sie noch eine Mutter gehabt, so wäre leicht alles anders gewesen.

Sie klammerte sich an den Gedanken, man habe sie hintergangen; sie sah sich getäuscht von dem, den sie liebte. Es war ein krankhaftes Verkennen der Tatsachen.

Worüber eine andere mit fröhlichem Lachen hinweg gegangen wäre, was sie als einen mutwilligen Streich), denn nichts anderes war es doch, angesehen, da fand Karla eine nicht zu fühnende Schuld. Und soweit ging diese Verkennung, daß sie sich selbst weit größere Qualen bereitete, als dem schuldigen Teile. Der Arzt fürchtete für sie.

Da brachte der Zufall, wenn man es so nennen will, die Lösung, die wir vergebens angestrebt hatten.

Und wieder wurde zu einem kleinen Betruge ge= griffen. Wenigstens vermute ich es und halte Leonie für die Schuldige, wenn nicht die krankhafte Ueberreizung bei Karla das ihrige getan.

Es war nicht die leiseste Gefahr für mich vorhanden. Karla aber hatte gehört, daß ich schwer krank sei, und nun brach sich bei ihr die Erkenntnis durch. Voller Angst nahm sie jeden Bericht auf, den ihr Franz oder durch ihn Leonie brachte. Die zurückgehaltene Liebe brach sich Bahn, und jetzt bangte ihr um mein Leben. Alle Ursache maß sie sich selbst bei. Wenn ich starb, trug fie die Mitschuld an meinem Tode.

Angstvoll befragte sie den Arzt. Sie fand keine Ruhe mehr im Hause. Das ganze Gebäude ihres Stolzes, ihrer verleßten Feinfühligkeit brach zusammen. Die liebevollste Reue überkam sie, und so fand ich sie denn einst beim Erwachen aus noch etwas fieberhaftem

longue ruhte. Sie war herbeigeeilt mich zu retten. Mit Schlummer, als ich als Rekonvaleszent auf der ChaiseTränen warf sie sich an meine Brust, um meine Verzeihung zu erflehen und sich immer von neuem anzuklagen, maßlos und weit heftiger, als sie einst mich und meinen mutwilligen Streich verdammt hatte. Die Gewißheit, mir einen so herrlichen Schaß wie Karla errungen zu haben, ließ mich den geringfügigen Fieberanfall noch schneller überwinden.

ich ihr so hoch gestanden und so gut erschienen sei, daß Gleich beim ersten Wiedersehen gestand sie mir, daß die Entdeckung des Zusammenhanges zwischen mir und riffen habe. Ihre im Geheimen aufgewachsene Neigung dem Schreiber Schmidt sie aus all ihren Träumen geemporgesehen und mußte nun entdecken, daß sie einen mußte die Tat so schwer verdammen. Sie hatte zu mir Menschen wie alle anderen vor sich hatte, der sich eigentlich einen recht schlechten Scherz mit ihr erlaubte. Und das nicht meine Erkrankung alles so frühzeitig und glücklich war für sie zu schwer zu verwinden gewesen. Wenn gelöst hätte, würde die Zeit sie bald zu richtigem Urteil geführt haben. Wenn meine kleine Frau jezt guter Laune ist, nennt sie mich sogar manchmal neckend Adolf Schmidt, und nichts macht ihr mehr Vergnügen, als die komischen Vorgänge bei der Modellsizung sich ins Gedächtnis zu rufen.

Schon damals hatte ich ihr ein wenig gefallen; das wußte ich aus ihren Gesprächen mit Leonic, die mir nach meiner Verlobung eine furchtbare Strafpredigt ge= halten hat, des Inhaltes, daß es recht gräßlich und häßlich von mir gewesen sei, sie beide so zu belauschen, und daß sie, wenn ich nicht troß allem ein so guter Mensch sei, gewiß nicht ihre Hand dazu hergegeben hätte, um mich mit Karla zu versöhnen, die unschuldigerweise wegen meiner dummen Streiche so habe dulden müssen.

Die verhängnisvolle Leinwand, wie du siehst, hat einen Ehrenplag erhalten. Wir haben manchmal glücklich davor gestanden. Und nun muß ich dir noch eins zeigen. Komm einmal mit hinüber in das andere Zimmer; aus meinen durch Modellstehen verdienten Fünf- und Drei markstücken habe ich mir nämlich einen Pokal machen laffen. Sie sind darauf alle sehr schön eingefaßt.

Der soll ein Erinnerungszeichen sein an die Geschichte, wie ich zu meiner Frau kam.

Während ich stand und die Arbeit bewunderte, ging die Tür auf, wurde aber gleich mit einem kleinen Ausruf des Schreckens wieder zugeschoben.

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„Sie haben eben gewiß unsere Geschichte anhören müssen. Nach dem Pokale zu urteilen, den Sie in der Hand halten, scheint es so. Eigentlich habe ich es Waldemar untersagt. Er hat damals seine Geschichte so schön erfinden können, daß er auch über die Entstehung des Bildes etwas anderes berichten könne. Ihnen aller dings mußte er sie erzählen. Er hatte sich schon lange darauf gefreut, seinem lieben Freunde, von dem er mir so viel erzählt hat, daß Sie mir schon ein alter Bekannter geworden sind, einen seiner dummen Streiche zu erzählen, der beinahe recht übel ausgefallen wäre, dann aber doch noch ein ganz glückliches Ende genommen hat. Nicht wahr, Waldemar?"

„Ja, Schat, du hast recht. Wir haben uns die Erreichung unseres Glückes nicht wenig erschwert, damit wir uns seines vollen Wertes für alle Zeit um so mehr bewußt bleiben.“

Ostar Freiherr von Redwitz-Schmölz. Gestorben den 7. Juni 1891.

Von

Alexander Lauenstein.

Gerade ein Jahrzehnt ist es her, daß das große Sterben unter den deutschen Dichtern begann. Das Jahr 1881 brachte dem nationalen Epiker Scherenberg den Tod, 1882 wurde Gottfried Kinkel begraben, 1884 starben Emanuel Geibel und Karl Stieler, 1885 läuteten Viktor von Scheffel die Todesglocken und 1888 sanken Theodor Storm und Friedrich Theodor Vischer ins Grab. 1889 trug man Richard Leander und Fanny Lewald hinaus, Albert Lindner verschied im Irrenhause und Robert

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Wer das doppelte Leiden des Mannes gekannt und mit seiner Teilnahme verfolgt hat, wer von den innern Kämpfen weiß, die er durchzukämpfen hatte, bei dem wird das unbefangene Urteil über die Bedeutung seiner dichterischen Schöpfungen nur allzuleicht beeinflußt werden durch die Kenntnis des seelischen Ringens, unter dem sie geschaffen worden sind, und die litteraturgeschichtliche Würdigung wird sich in einen wehmütigen Nachruf verwandeln, aus dem hervorklingen wird, daß Deutschland viel an dem Toten verloren hat. eigene Beit ein Stück nach vorwärts geführt haben, Aber wahrhaft große Männer, d. h. solche, die ihre brauchen sich nicht davor zu fürchten, daß in dem Augenblick, wo ihre Wirksamkeit ihren natürlichen Abschluß findet, die Geschichte streng mit ihren Werken ins Gericht geht. Und es ist das Zeichen höherer Achtung, an einen Toten den höchsten Maßstab anzulegen, und seine Leistungen darnach zu bemessen, als die Fehler seiner Dichtungen mit wehmütiger Rührung zu verdecken.

So ist auch hier zu fragen: ist Redwiß seiner Zeit ein Führer gewesen? bedeuten seine Werke einen neuen Schritt der Entwicklung? hat er den Besten seiner Zeit genug getan und sich damit eine Stelle erobert in der Rückwärtsschriftstellern, die nur für Urgroßvaters GeLitteraturgeschichte aller Zeiten? Oder gehört er zu den danken einen Ausdruck finden, zu den Hemmschuhen am Rade der Zeit?

Ein nervöser, sich langsam entwickelnder Knabe, der trog mannigfacher Anregungen durch Wechsel des Wohnortes und trefflichen Unterrichtes, doch erst mit einundzwanzig Jahren reif war, die Universität zu beziehen und trot äußerlicher Bildung vollkommen in dem mittelalterlichen Aberglauben des Katholizismus befangen blieb

ein unlustiger Student der Philosophie und der Rechtswissenschaften in München und Erlangen ein verdroffener Rechtspraktikant in Speier und Kaiserslautern das sind die Bilder Oskars von Redwig in dem ersten Abschnitt seines Lebens.

Bis 1849 mehr von den Wünschen der Seinen als von eigener Neigung geleitet, glaubte er sich nun durch die rühmlich bestandene juristische Staatsprüfung ein Recht auf Selbstbestimmung erworben zu haben. Seine Neigung zog ihn zur Litteratur hin, und 1850 ging er nach Bonn und trieb unter Simrock zuerst Mittelhochdeutsch. Sein Wunsch war eine Profeffur der deutschen Litteratur.

Diese Verselbständigung seines Wesens hatte ihren tieferen Grund in seiner Liebe zu Marie von Holscher, die er von Kaiserslautern aus kennen lernte. Bald war sie seine Braut, und an ihrer Seite, auf dem Gute ihrer Mutter, in Schellenberg bei Kaiserslautern, entstand das Buch, das seinen Namen zuerst bekannt machte, „Amaranth". ranth". Das kleine Buch ist nicht zum wenigsten deswegen interessant, weil es alle Fehler in sich vereinigt, die bei einem Epos nur möglich sind.

Mittelalterliche, rückwärtsgewante Tendenz, überspannte füßliche Träumerei, Nuwahrheit der Charaktere, Zusammenhanglosigkeit der vielen Teilchen, Verfehlung jeder Art von Zeit- und Ortsfarbe, eine wahre Muster

karte von lyrischen Dichtungsformen, keine Spur von epischer Entwicklung, findischer Zelotismus: ein wahres Erbauungsbuch für die geistig Zurückgebliebenen unter Katholiken und Protestanten.

Zwei Freunde und Kreuzzugsgenossen beschließen, daß ihre Kinder sich dereinst lieben und heiraten sollen. Als folgsamer Sohn macht sich daher Walter aus Deutschland auf, um seine „Brant“ Ghismonda in Italien zu lieben und zu heiraten, obwol er sie nie gesehen hat. | Im Schwarzwald hat er ein kleines Abenteuer mit einem ein wenig beschränkten, herzlich unbedeutenden, aber mit ihm im Banne desselben Aberglaubens stehenden Gänse- | blümchen Amaranth, das ihm so gut gefällt, daß er es auf seiner Brautfahrt füßt. In Italien trifft er Ghismonda, ein gesundes, heißes, schönes, stolzes auf sich selbst ruhendes Weib, das den alten Aberglauben längst abgestreift hat. Er versucht sie in die Finsternis zurückzuziehen und dabei entpuppt sich der kleine Don Juan als der reinste Scholastiker in der katholischen Theologie des neunzehnten Jahrhunderts - aber sie ist aber sie ist zu klug dazu, und noch am Traualtar verläßt er sie, zieht heim und holt sich sein ihm geistig ebenbürtigeres Gänseblümchen.

Die Art, wie das weichliche, süßliche, kraftlose Schwarzwaldmädchen auf Kosten des edlen Raffeweibes Ghismonda verherrlicht ist, zeigt deutlich den krankhaften Sinn des jungen Dichters, die Erhebung der sinnlosesten Dogmen gegenüber der Teufelsschöpfung Vernunft, beweist, wie weit er hinter der eigenen Zeit zurückgeblieben war. Nur für die Zurückgebliebenen und Gefühlskranken war das Büchlein verbrochen worden, und unter ihnen hat es sich auch großen Beifalls zu erfreuen gehabt. Eine echte Rückwärtsdichtung.

Durch den raschen Erfolg nicht wenig stolz geworden, ließ Redwig in rascher Folge weitere Dichtungen erscheinen, von denen jedoch keine auch nur einigen Änflang fand: 1850 „Ein Märchen vom Waldbächlein und Tannenbaum", 1852 „Gedichte“, 1853 „Sieglinde, Eine Tragödie", und 1856: „Thomas Morus. Historische Tragödie", in der er den Helden als Märtyrer des katholischen Glaubens verherrlichte.

Im Jahre 1851 hatte Redwiß einen Ruf als außer ordentlicher Professor der Aesthetik und Litteraturgeschichte an die Universität Wien erhalten, den er auch annahm. Er bekleidete die Stelle indeffen nur wenige Monate und zog sich nach dem Gute seiner Schwiegermutter, Schellenberg, zurück, bis er 1853 auch seine fränkischen Familiengüter übernahm.

Mit dem Jahre 1856 schließt die zweite Phase in Redwizens Geistesleben. Der Mißerfolg seiner neueren Schöpfungen verstimmte seine leicht nervös gereizte Natur sehr, und wie zum Trost wante er sich jetzt zum ersten Male ernst-philosophischen Studien zu. Damit begann für ihn eine Zeit der geistigen Kämpfe, die noch keinen wirklichen Abschluß gefunden hatte, als er am 7. Juni die Augen zu tat. Bei ernster Arbeit wurde es ihm bald genug klar, wie weite Gebiete er noch zu durchmessen hatte, um seine eigene Zeit einzuholen. Das Gefühl der Unruhe, das damals in ihm aufstieg, hat ihn nie wieder verlassen und hat keines seiner weiteren Werke zur Vollendung reifen lassen. Sobald er Klarheit über den eigenen Standpunkt gewonnen hatte, gab es für ihn nur ein Streben: die fanatische Schwärmerei abzustreifen, die seinen Jugendwerken anhaftete. In Philippine Welser" | (1859) versuchte er eine Verherrlichung der deutschen Frauenliebe, in dem Zunftmeister von Nürnberg" (1860) den Preis der treuherzigen biederen Bürgergesinnung. Die Begeisterung für seine alten Ideale, der Religions

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fanatismus ist hier allerdings geschwunden, aber noch ist der Dichter nicht zu neuen Idealen durchgedrungen, noch hat er sich nicht für Neues erwärmt. Daher der Mangel an Wärme und packender Kraft.

In diesen beiden Dichtungen liegt schon der Beginn einer nationalen Periode, die deutlicher erst 1869 in dem Gegenwartsroman Hermann Stark" hervortrat, der fast nicht gelesen worden ist, ihren Höhepunkt aber in einer der formell seltsamsten Dichtungen erreichte: in dem „Liede vom neuen deutschen Reiche" (1871). Dieses Monstrum besteht aus mehr als fünfhundert Sonetten. Es besingt mehr als es schildert, wie ein alter Jäger aus Lüßows Freischaar für das Fehlschlagen alter Vaterlandshoffnungen, durch die Heldentaten seines Sohnes im siebziger Krieg schadlos gehalten wird.

Diese nationale Periode ist genau genommen nur eine Episode in Redwißens Entwicklung, ein flüchtiger Durchgangspunkt, der weder mit seiner vorherigen noch mit seiner nochmaligen Anschauung in inhaltlichem Zusammenhang steht.

durchlief Redwiß die Bahnen moderner Philosophie und Vom schwärzesten religiösen Aberglauben ausgegangen, der politischen Bewegung, um endlich bei der naturwissenschaftlichen Weltanschauung auzulangen. 1858 und 1862 wurde er im Bezirk Kronach zum Abgeordneten des bairischen Landtags gewählt, dem er bis 1866 angehörte. Hier saß der Reaktionär der Amaranth unter den Liberalen, und die Berührung mit der politischen Zeitbewegung zog ihn immer mehr zur Gegenwart hin. Hermann Stark" und dann das Lied vom neuen deutschen Reiche" find die poetischen Belege dafür. 1866 legte er sein Mandat nieder, da ihn ein altes asthmatisches Leiden nötigte, das milde Klima von Meran aufzusuchen, wo er seit Herbst 1872 dauernd auf seiner Besizung Schillerhof" lebte.

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Durch seine philosophischen Studien wie durch seine politische Thätigkeit war Redwiß aus seiner religiösen Entwicklung mehr ausgebogen, als daß er sie gerade fortgesetzt hätte. Noch stand er auf dem Boden des vermoderten Dogmas. Da trat ein schwerer Schicksalsschlagan ihn heran. Er sah ein geliebtes Leben vor seinen Augen erlöschen, trog Beten, Händeringen und Ver zweiflung, und er stieß seine bisherigen Gößen von ihren Thronen.

Litterarisch ist dieser Schritt bezeichnet durch seine poctische Erzählung aus der Gegenwart: Odilo (1878).

Durch den „Odilo“ geht für den modernen Menschen ein eigentümlicher Zwiespalt. Hätte Redwiß nur die zweite Hälfte geschrieben, so würde das Buch vielleicht ein echt modernes geworden sein. Aber auch so wird ihm die Litteraturgeschichte nicht vergessen, daß er der erste ist, der ein neues Problem in die epische Boesie der Gegenwart eingeführt hat.

Der Held des Buches ist Odilo. In der ersten Hälfte schlägt er sich noch mit Dingen herum, die für den modernen Menschen kein Interesse mehr haben, weil er unwiderruflich über sie hinaus ist; er geht ins Kloster, scheidet zwischen fruchtbarem und unfruchtbarem Glauben, verläßt seinen Orden wieder, erkennt, daß die Menschen nicht von Natur aus böse sind, und tut dergleichen Unnüßes mehr.

Jezt endlich kommt er dazu, wozu ein moderner Mensch seiner Art gleich gekommen sein würde. Er studirt Medizin und wird Irrenarzt. In der Linderung der Leiden anderer findet er Befriedigung, und die Liebe zu der Tochter des Anstaltsdirektors hebt ihn vollends in eine neue Welt. Er verlobt sich mit ihr. Da zeigen sich die Anfänge eines alten Familienübels, der Schwindsuch

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