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Ein junges Weib, schwärmerisch, romantisch, liebt einen fremden Seemann; aber er ist verschollen. Da stirbt ihr Vater und mittellos wie sie ist, verkauft sie sich gegen lebenslängliche Verpflegung und den Titel Frau an einen' andren. Aber sie fühlt darin ein Vergehen fie kann fich ihm nicht hingeben ohne Widerwillen dazu ist sie doch zu gesund, und in zu hohem Maße Persönlichkeit und darum scheidet sie sich leiblich und geistig von ihm, freilich ohne den Mut zu finden, nun auch den Kauflohn zurückzugeben. Dazu ist sie zu beschränkt. Sie bleibt gesellschaftlich seine Frau; denn er ist ja ihr Brodherr, und sie muß doch leben. Und es ist bekannt lich bitter, nichts zu beißen zu haben. Und um des Erwerbs willen verkaufen sich ja so viele Weiber. Da kommt der andere wieder. Er zieht sie wol noch an, aber der alte starke Zauber der Jugendliebe ist gebrochen. Sie weist ihn schließlich ab, und begeht in Freiheit und unter Verantwortlichkeit dieselbe Untat noch einmal, die fie einst halb im Traume begangen: Sie bezahlt den Handel aufs nene mit ihrem Leibe, den Handel — 3 denn über Nacht ist die persönliche Geschlechtsliebe zu ihrem würdigen Eheherrn doch nicht gekommen; wenigstens schweigt der nordische Rätselskalde darüber.

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Rein hier weiß man nicht, wo aus und ein ist ein unerquicklich Ding um diese Problemdichtung, um dieses Wühlen im Fleische der eigenen Zeit, um das Spielen mit diesen gefährlichen Fragen, die so leicht Einfluß auf das Handeln der Gegenwartsmenschen gewinnen könnten. lnd was follte denn aus den landesüblichen Vorurteilen werden? Es ist nicht abzusehen, das Unglück!

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Aber es ist überhaupt unerquicklich, peinlich! Und darum fort mit allem, was Problem heißt, und darum wollen wir lieber ins Gartenhäuschen gehen und ein bißchen Pepita spielen. Neue hübsche kleine Ausschnittchen aus dem Puppenstubengetriebe. Jedesmal ́eine ganz besondere, noch nie dagewesene Puppe! Jede oriJede ori ginell! Und ganz in individuelle Sance getaucht! Einmal vier Zentimeter Taillendurchmesser und das andre mal ein Märchen vom Menschenfresser. Aber nur eins: Individualität! Individualität!

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Das ist die Vorgeschichte dieses Kampfrufes - wenn man einen Ruf, der da mahnt, den schwierigen Aufgaben der Gegenwart aus dem Wege zu gehen, noch einen Kampfruf nennen kann →

Ist es wirklich eine solche Großtat, an der Bahnbarrière einstweilen Skat zu spielen, bis der Zug vorüber gebraust istiqa

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da entstand dem Volke ein Retter, ein Held des Geistes' ein Malthus des Ozeans. Mit klarem Blicke durchschaute er, daß auf zwei Wegen geholfen werden könne. Erstens, wenn man die Nahrungsmittel vermehre und zweitens, wenn man die Effer vermindere. Die Krone alles Dentens aber schien ihm ein Gedanke, der beide Mittel in sich vereinigte. Tagelang trug er ihn still mit sich herum. Endlich trat er in öffentlicher Versammlung damit hervor und machte den Vorschlag, die Hälfte der Einwohner aufzuzehren. Er sprachs und schon flogen die Steine. Nach wenigen Minuten war das Licht seiner großen Seele erloschen. Aber der Gedanke war mit ihm nicht gestorben. In tausend Köpfen klang er wieder. Nach wenigen Jahren hatte er sich die Mehrzahl der denkenden Männer erobert denkenden Männer erobert und damals dachten alle Männer. -— Es kam zur Abstimmung; die Weiber durften nicht mitstimmen; denn es gab ein altes Geseß, welches bestimmte, daß sie keine Menschen seien - und mit wenigen Stimmen erlangte der Vorschlag Gesezeskraft. Ein Haupt der Bewegung opferte sich zuerst, nach ihm audere. Bald überstieg das Angebot die erforderliche Opferzahl. Erst efelte man sich ein wenig, dann trieb der Hunger zum Effen. Schließlich schmeckte das Menschenfleisch vortrefflich. Keine fünfzig Jahre vergingen,die Segnungen der neuen Einrichtung zeigten sich nur zu bald und eine Kultur erblühte, wie sie noch nie dagewesen. Kunst und Wissenschaft nahmen einen ungeahnten Aufschwung. Längst war beschlossen worden, daß die allgemein menschliche Tugend des Menschenfressens für immer, ewig und für alle Tage fortbestehen solle und daß eine Emanzipation des lebenden Menschenfleisches bei Fressensstrafe verboten sei. Wenn man dann abends beim gerösteten Menschenfleische saß und die füßlich faftigen Stücke mit den Zähnen zerriß, dann fühlte man sich so recht auf dem Gipfel der Zivilisation, dann freute man sich mit Recht stolzen Mutes des herrlichsten der Siege des Menschengeistes, der das eiserne Bevölkerungsgesetz enthüllt hatte. Man sang Lieder zum Preise des Gesteinigten und schon nach hundert Jahren fand er seinen Homer. Das Lied aber wird seinen Ruhm nicht untergehen lassen, so lange Menschen leben und allgemein menschlich" fühlen.

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Manche fahren lieber mit, und noch andere suchen die Leitung der Lokomotive in ihre Hand zu bekommen.licheren psychologischen Analyse, als die lumpige Tat Also einstweilen Individualität!

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Ein Mensch schreibt Bücher, aber er hat nicht die mindeste Begabung dazu er läßt sie drucken, und die Kritik ist kaltgestellt: Begabungslosigkeit ist ja seine Individualität! Ein andrer zotet ganze Bogen voll wer will mit ihm rechten? Soll der Mensch vielleicht keine Individualität mehr haben dürfen? Er besißt num einmal ein reich gegliedertes und mannigfach differenzirtes Geschlechtsleben. Ein dritter predigt; ja zum Predigen ist auch eine gewisse Begabung nötig und Be gabung ist nun mal ja doch Individulität.

Ein vierter aber trifft den Vogel der Zeit ins Herz: er schreibt ein wundervolles vorgeschichtliches Epos:

Auf einer einsamen Insel im Weltmeer war vor dreitausend und mehr Jahren eine schreckliche Uebervölkerung. Im Vergleich zu derselben waren die Lebens mittel, die sie hervorbrachte, sehr gering. Da mißriet die Bananenernte; eine furchtbare Hungersnot war die Folge davon. Eben hatte die Not ihren Gipfel erreicht,

Welche Kunst erfordert es nicht, all diese großen Gefühle, all diese Wonnen beim Verzehren der saftigen Menschenbratenstücke darzustellen! Welch erhabener Gedanke, von keinem unwürdigeren Geschöpfe zu leben als von seines Gleichen! Welch beneidenswerte Begabung, die Fähigkeit solcher Dinge im Jahre 1890 noch einmal lebendig zu machen, daß sie durch die Herzen der Leser zittern! Das giebt Anlaß zu einer freilich noch gründdes Raskolnikow! Das zeigt den Meister, der die tiefsten Tiefen des Menschenherzens kennt, der jeden Strom kennt, der durch die Nervenbahnen zuckt. Das erfordert einen Künstler der Verrohtheit, einen Meister des Viehtums, einen Homer der Magenfüllung! Das fordert einen Dichter, der speziell für diese Dichtung gezeugt und geboren werden muß, das fordert Individualität! Und Individualität ist der Gipfel aller Kunst.

Außerdem der kulturhistorische Wert dieses Liedes der Unmenschlichkeit! La bête humaine ist die reine Säuglingsleistung dagegen. Hier ist einmal Reichsunterstüßung am Plaze. Es wird sich empfehlen, für diesen kommenden Dichter immer eine der Kochschen Millionen bereit zu halten.

Angenommen, es fände sich wirklich ein Mensch, der diese Skizze ausführte, und im Jahre Rembrandts ist kein Ding unmöglich wäre dies Werk, gesezt natürlich, daß es seinen Inhalt wirklich lebendig vor Augen führte, daß mindestens jeder zehnte Leser Hunger auf das be

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fäme, was um die Knochen seiner Mitmenschen hängt — wäre dieses Werk wirklich ein Kunstwerk für unsere Zeit? Es giebt auch jezt noch Menschen in Deutschland, welche diese Frage bejahen.

Man muß sie vor solch ein Extrem stellen, und dann, wenn man hier ein schauderndes Nein errungen hat, denselben Maßstab an Roskolnikow, La bête humaine und den Dämon des Neides legen.

Ist nicht doch vielleicht der Stoffkreis der modernen Dichtung irgendwie beschränkt? Giebt es nirgends Grenzen für ihn? Ist nicht vielleicht schrankenklose Willkür und Freiheit selbst in der Stoffwahl schon nicht gestattet? Kann nicht vielleicht der Stoff schon ein Werk für den Kulturmenschen des neunzehnten Jahrhunderts unter die Stufe herabdrücken, auf der er das Ganze noch als Kunstwerk zu genießen vermag?

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Fragezeichen sind auch eine Antwort.

Im Eingang war von Problemdichtung die Rede. Dieses Wort auf das vorliegende Epos angewendet, ergiebt für dasselbe das Problem: darf der Mensch Menschenfleisch effen? Unsere kultivirte Anschauung antwortet: Nein, und nur deswegen, weil es diese Frage für den Kulturmenschen nicht giebt, weil er über sie hinaus ist, weil sie beantwortet hinter ihm liegt, nur darum ist ein Buch, das diese Frage behandelt, es mag sie lösen wie sie will, fein Kunstwerk mehr für unsere Zeit.

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Ebenso unzweifelhaft das ist, ebenso unzweifelhaft ist es auch, daß diese Frage in einer menschenfreffenden Gemeinschaft aufgeworfen, allerdings dieselbe Spannung hervorrufen kann, die in uns ein modernes ethisches Problem hervorruft, innerhalb deffen wir noch stehen, für das wir noch keine endgiltige Antwort haben.

Denn eben in der Gewinnung einer großen Zahl solcher Antworten besteht im Ganzen die Kulturentwickelung im Laufe der Jahrhunderte.

Es mögen sich in dem obigen Epos einige Stellen finden, die auch uns noch packen - als Ganzes ist es kein Kunstwert für unsere Tage.

Daffelbe gilt von einer Dichtung, in der vielleicht umgekehrt in einer menschenfreffenden Gemeinschaft zuerst ein milder weiser Mann auftritt mit der Lehre, es sei unsittlich, Menschen zu freffen, und natürlich dafür gespießt und verzehrt wird. Nicht lange nach ihm siegt aber doch sein Gedanke, und er wird im Liede gefeiert und von der Sage umwoben, wie der Rabbi Jeschu in den sogenannten Evangelien.

Dem Philister wird das vielleicht als eine Leistung erscheinen; denn es weckt in ihm den stolzen Gedanken, wie wir es doch so herrlich weit gebracht. Aber auch Aber auch dem gebildeten Gegenwartsmenschen?

Denken wir uns dies Lied von einem jüngeren Zeitgenoffen jenes Blutzeugen der Menschlichkeit gedichtet, und es ist eine Dichtung, ein Kunstwerk. Es führt die Zeit über sich selbst hinaus und greift in die Zukunft. Es enthält einen vornehmen Zeitgehalt, Werte für die fittliche Entwickelung der Gemeinschaft, in der es auftaucht. Wir stehen jenseits aller dieser Fragen, und ein Geschreibsel, das heute diesen Stoff behandelt, ist für uns eine Verirrung einer atavistischen Einbildungskraft. Aber wo ist heute die wirklich moderne Kritik, die erbarmungslos solchen Plunder auf den Misthaufen wirft?

Alberti hat allen Ernstes behauptet: „Kein Ding steht als künstlerischer Stoff höher als das andere", und genug andere haben ihm diesen Unsinn nachgesprochen.

Allerdings find diese Dinge nicht so einfach den drittehalb Jahrtausenden Litteraturentwickelung zu entnehmen, die wir doch einigermaßen an der Hand er

haltener Denkmäler verfolgen können. Aber dieser Raum ist eben zu klein, um daraus bindende Schlüsse auf das Wesen der Kunft zu ziehen und einen Regelkoder für diefelbe anzufertigen. Nur der Sinn, der an diesem kleinen Zeitraum haften blieb und denselben für die Gesammtentwickelung hielt, konnte den Unsinn des AllUnsiun gemeinmenschlichen in der Kunst erfinden.

Es giebt kein Kunstwerk, das dieses bleibt für alle Ewigkeit. Ewigkeit. Jedes hat nur Zeitwert; manche veralten rascher, manche langsamer. Die Gretchentragödie in Goethes Faust wird man vermutlich länger bewundern als den Rahmen der Teufelswette, aber schon hente fehlt uns für den Kindesmord die rechte Teilnahme.

Und es giebt gewisse Vorbedingungen, die eine Dichtung erfüllen muß, wenn sie ein Kunstwert für unsere Zeit sein will. Nicht als ob mit der Erfüllung dieser Bedingung auch schon gesagt wäre, daß sie nun wirklich ein Kunstwerk sei aber wenn sie ihr fehlt, dann ist sie auf keinen Fall als ein solches zu betrachten.

Die erste und vornehmste dieser Bedingungen ist aber, daß sie nicht auf dem Boden einer Fragestellung steht, über welche die Gegenwart längst hinaus ist, oder positiver ausgedrückt, daß sie innerhalb einer Frage steht, die auch den Kulturmenschen noch beschäftigt, innerhalb deren er sich selbst befindet. Natürlich wird es in jeder Entwickelung vorkommen, daß die Menge über Fragen hinauszusein glaubt, die von Denkenden immer und immer wieder aufgenommen werden. So geht es heute mit der Frage der Lösung einer Ehe ohne Liebe. Der mittelalterliche Teil der Gegenwart betrachtet sie selbstverständlich als einen Frevel am Heiligsten, und der denkende Ethiker der Gegenwart fordert sie, und nennt das Fortbestehen der Che in diesem Falle unfittlich. Hier ist die Grenze, wo sich die Werturteile scheiden. Und bald auch die Lebenswege.

Wenn jemand eine solche Frage wieder aufnimmt und im Ernst abermals zur Diskussion stellt, wie Dostojewskis kranker Held die Frage, ob man unter Umständen berechtigt sei, seinen Mitmenschen zu töten dann, aber auch nur dann, mag er es tun.

Die Stellung, welche die Zukunft zu der Frage einnimmt, wird entscheiden, ob das Buch ein atavistisches Machwert oder eine befreiende Geistestat ist. Einzig die Zukunft; denn die Stimmen der Gegenwart haben sich hierin von jeher als schlechte Propheten erwiesen. Und doch ist es die Gegenwart, aus deren Händen die Zukunft hervorgeht.

Die Richtung, welche die Entwickelung der Gegenwart in geistiger, sittlicher und kultureller Hinsicht einschlägt, ist dieselbe, welche die Kunst einzuschlagen haben wird, wenn anders sie bleiben will was fie inimer war, die Führerin der Völker nach dem Lande der Zukunft. Ueber diese Richtung selbst kann man heute noch verschiedener Meinung sein, in manchen Punkten Denkende aber wohl nicht mehr. Die einen wird die Zukunft als die redlichen Arbeiter im Dienste der Kunst feiern und der andern wird sie nicht gedenken, oder doch nur mit mitleidigem Achselzucken. Sie waren tausend Jahre hinter ihrer eigenen Zeit zurückgeblieben", wird dann von manchen litterarischen Größen der Gegenwart in den Litteraturgeschichten zu lesen stehen. Und merkten es nicht einmal", schreibt dann der lose Bube mit Bleistift als Randglosse daneben.

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steigere. Aber selbst die Verbote seiner Stücke ziehen nicht recht. Ohne sich das Warum? recht zum Bewußt sein zu bringen, fühlt man sich nicht recht heimisch darin, so intereffant" auch so manches sein mag.

Ibsen ist alt, und die Jugend wendet sich mit Recht von ihm ab. Aber der Grund, den sie vorschüßt, zeugt von ihrer Unklarheit:

Seine Individualität ist ihr nicht start genug. Und so muß es nach bewährtem nordischem Rezept folglich auch in Deutschland sein.

Haben wir aber wirklich zu wenig Individualitäten oder unsere Individualitäten nur zu wenig gefunden Inhalt? Oder haben wir vielleicht nur zu wenig Dichter, und insoderheit zu wenig Künstler, die ihre eigene Zeit verstehen und die ihr neue Ideale zu bieten wissen, in Deutschland?

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Es giebt allerdings Menschen, die in den Werken der Kunst sich nicht genug an Absonderlichkeiten und Ungeheuerlichkeiten freuen können - aber wem Conradis | „Phrasen“ und sein Adam Mensch oder Hermann Bahrs Gute Schule“ und sein Viehdrama „die Mutter“ noch nicht individuell genug gefärbt, gedacht und gedichtet find, von dessen individualistischen Ansprüchen ist schwerlich zu erwarten, daß sie in absehbarer Zeit einmal befriedigt werden.

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Die jüngere Schriftstellergruppe in Deutschland hat viel zu viel künstlerischen oder auch unkünstlerischen Eigen finn, zu viel absichtliche Schaffenswillkür, zu viel Gedankenlosigkeit und individuelle Unklarheit, als daß man ihnen noch zuzurufen brauchte, sie sollten mehr ungeschminkt tun. Und die älteren Herren von der goldenen Feder, die sich einmal in ihr Sprüchlein verliebt haben, laffen sich durch solch einen Ruf nicht mehr aus der ihnen liebgewordenen Ruhe bringen.

Man muß es der Zeit überlassen, sie in ihrer Trelmühle einzustampfen.

Das, was uns not tut, ist eine Kritik, die scharfe Zucht an dem wilden Holze übt und mit Messern schneidet, die nicht von gestern und vorgestern, sondern von morgen und übermorgen sind, die mit fertigen neuen Idealen, die aus der Zeit selbst genommen sind, auf ihren Richter stuhl steigt, und an ihnen mißt, was die Produktion ihr

bietet.

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Das ist unter allen Umständen ein sehr löbliches Werk" bemerkte ich dem würdigen alten Herrn, der mir meine Unterschrift abzufordern kam, nachdem ich die vorgelegten Schriftstücke durchgesehen hatte und wenn Sie glauben, daß Ihnen mein Name zur Förderung des kühnen Unternehmens irgendwie nüßlich sein kann, so gebe ich ihn nicht mehr wie gern. Aber lengnen fann ich freilich nicht, daß ich mir von solchem „Aufruf“, auch wenn er von Zeit zu Zeit wiederholt wird, nicht leicht einen günstigen Erfolg zu versprechen vermag. Man wird ihn, wie so vieles, was der Tag bringt und verschlingt,

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lesen und zum Uebrigen werfen. Die Kunstfreunde, die Hunderte und Tausende zu verschenken geneigt sind, wuchsen bisher auf deutschem Boden sehr spärlich."

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Da bin ich doch anderer Meinung", antwortete er freundlich lächelnd. Es giebt nach meiner Erfahrung eine sehr große Zahl von Wohlhabenden und reichen Leuten überall, die mit Bergnügen einen Teil ihres Ueberfluffes mit warmer Hand zum Besten der Kunst hergeben oder sie in ihrem Testament bedenken möchten, und die nur eine Aufforderung oder Anweisung erwarten, zweckentsprechend vorzugehen. Sie, tragen sich eine Weile mit dem Gedanken, fragen gelegentlich den einen und andern um Rat, erhalten halbe Antwort, werden verdrießlich und versäumen die rechte Stunde. Viele wollen auch eine große, Summe schenken, von der selbständig ein großes Werk angeschafft werden kann. Wem soll, fie auch anvertraut werden? Und wohin einen kleinen Betrag einwerfen, der mit anderen Spenden zusammen zu sachgemäßen Verwendung kommen könnte? An solchen Fragen scheitert der gute Vorfaß. Mancher, der einer Ehrenpflicht genügen, will, fängts auch unrecht an und trägt zur Verzettelung der Mittel bei, die bei richtiger Beitung einem großen Zweck dienstbar werden könnten. Das ändert sich sofort, wenn eine Zentralstelle geschaffen wird, die alle von Nah und Fern zufließenden Geschenke und Vermächtnisse aufzunehmen bereit, ift und das Vertrauen genießt, die angesammelten Gaben sachkundig im öffentlichen Interesse zu verwenden. Es darf nur bekannt werden, daß eine solche Sammelstelle vorhanden ist, man braucht nur den Weg anzuzeigen, auf welchem mit der geringsten Mühe ein sicheres Ziel erreicht wird, und an dem gehofften Zufluß von allen Seiten fann es nicht fehlen. Wir wollen bei Leibe nicht einen neuen Verein gründen, sondern nur eine Anregung im Großen geben, das Gefäß hinstellen, in das und aus dem geschöpft werden kann. Für das Weitere bin ich nicht in Sorge."

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Profeffor Gustav Schauer, der sich bescheiden als „der Schriftführer" bezeichnet, hat unter dem Aufruf zur Beteiligung bei einem „Nationaldank für bildende Künste" durch Schenkungen und Vermächtnisse eine Schar von Männern der Kunst, Wissenschaft und schönen Litteratur versammelt. Gleichsam offiziell vertreten find die Vorstände der königl. Kunstakademieen zu Verlin, Düsseldorf und Königsberg. Von Schriftstellern finden sich da Julius Wolff, Ernst v. Wildenbruch, Friedrich v. Bodenstedt, Julius Rodenberg, Friedrich Spielhagen, Carl Frenzel, Rudolf Genée und der Verfasser dieses Artikels. heißt in dem Aufruf: Die bildenden Künste, denen wir die Verschönerung und Veredlung unseres Daseins verdanken, werden von der Ungunst der Zeiten zuerst betroffen. Die Mittel des Staates für dieselben sind beschränkte. Nur Reichen erlauben die Bedürfnisse des Lebens, der Kunst sofort materielle Opfer zu bringen, dagegen können weniger Bemittelte ihren Dank bei den Verfügungen über die Hinterlassenschaft betätigen. Kunst und Leben treten in liebevollere Beziehung, eine National-Galerie im erweiterten Sinne entsteht. Bedeutende Kunstwerke, an die der Künstler seine höchste Kraft und oft seine letzten Mittel gefeßt, finden darin ehrenvollen Platz und sittlichen Einfluß“.

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Se. Majestät der Kaiser und König hat am 3. Dezember 1890 der Stiftung die landesherrliche Genehmigung erteilt. Sie ist bereits ins Leben getreten durch eine Schenkung von bedeutendem Betrage seitens eines Gönners, der unbefannt bleiben will, an die National Galerie zu Berlin. Die Namen der Stifter werden dem Gedächtnisse der Nation in einem Ehrenbuche aufbewahrt, das an würdiger Stelle - im Mittelsaal der National-Galerie auf einem besonderen Pulte feinen Platz findet.

Aus den Zinsen des in seinem Kapitalbestande unangreifbaren Fonds sollen hervorragende Werke der

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deutschen bildenden Künstler (Malerei, graphische Kunst und Plastik) erworben werden. Unter deutschen" bilden den Künstlern sollen zunächst Künstler, welche deutsche Reichsangehörige find, zu verstehen, jedoch Werke solcher Künstler, welche der österreichisch-ungarischen Monarchie angehören, nicht ausgeschlossen sein. Die Verwendung erfolgt durch den Kultus-Minister unter Beirat der königl. preußischen Landes- Kommission. Zur Förde rung des Interesses an dieser nationalen Sache wird der Kulins-Minister einen ständigen Ausschuß von Kunstfreunden aus Deutschland berufen, welcher nach Bedarf zu Berlin auf Einladung des Kultus-Ministers zur Beratung zusammentritt..

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Die so erworbenen Kunstwerke werden der NationalGalerie zu Berlin einverleibt; fie finden ihren Plaß in derselben und werden mit Hinweis auf den NationalDant besonders bezeichnet.

Dies ist der Punkt, bei dem wahrscheinlich die Kritik des Unternehmens einsehen wird. Man gönnt der Reichshauptstadt alles Gute und findet es auch nur in der Ordnung, daß sie entsprechend ihrer Bedeutung einen Hauptanteil an den Werken der Kunst hat, die durch gemeinfame Mittel für gemeinsame Zwecke erworben werden; aber man äußert Bedenken gegen die vollständige Konzentration aller Erwerbungen für Berlin und gegen die ausschließliche Bereicherung eines Staats-Instituts in dieser Stadt, der National-Galerie. Vielleicht nicht ohne Grund! Es fann wünschenswert erscheinen, daß gerade die Kunstsammlungen der größeren Provinzialstädte, durch welche das Intereffe für die Kunst in Kreise getragen wird, die von den in Berlin aufgehäuften Reichtümern keine oder nur flüchtige Kenntnis nehmen können, einen würdigen Zuwachs von Kunstwerken erhalten, deren Anschaffung aus den eigenen meist sehr knapp bemessenen Mitteln nicht zulässig ist. Der Bildungszweck wird er weitert, wenn man an der Gunst, sich an Kunstschöpfungen von hervorragendem Wert erfreuen zu können, breitere Maffen der Nation beteiligt, als die zufällig in Berlin zusammenströmen. Es läßt sich befürchten, daß wolhabende Provinzialen, die sonst dem heimischen Institut eine Zuwendung gemacht haben würden, es nun lohnender finden werden, sich in das goldene Buch der National-Galerie eintragen zu lassen, woraus jenem dann sogar ein direkter Verlust entstände. Berlin ist schon mit Meisterwerfen der Kunst so reich versorgt, daß sich nur noch das Bedeutendste daneben behaupten kann, und insbesondere die National Galerie so gefüllt, daß sehr bald die Platfrage Schwierig keiten bieten muß, während den verschiedeneren ProvinzialMuseen auch ohne einen übergroßen Aufwand von Mitteln noch immer Mustergiltiges eingefügt werden kann. Aber wenn alle diese Bedenken auf Würdigung vollen Anspruch haben, so rechtfertigt sich doch wol für die Stiftung des Nationaldanks die Wahl der Hauptstadt des Reiches als alleinigen Sammelortes der aus diesen Zuwendungen erworbenen Kunstschäße. Eine Zersplitterung ist hier am wenigsten zu empfehlen. Zumal wenn Schenkungen und Vermächtnisse nicht als solche zum Ankauf von Kunstwerken verbraucht, sondern zu einem Kapital angestaut werden sollen, deffen Zinsen erst für diesen Zweck zur Verwendung gelangen. Es wird auch bei der günstigsten Berücksichtigung des Aufrufs und bei fortgesetter Förderung des Unternehmens eine geraume Zeit dauern, bis dieses Stammkapital so hoch angewachsen ist, daß die Zinsen sehr namhafte und rascher auf einander folgende Anschaffungen erlauben. Jedenfalls wäre es gewagt gewesen, von Anfang an den Plan derart zu erweitern, daß man auch noch einer Reihe anderer Kunst-Sammelstätten utopischer scheinende Versprechungen gemacht und dadurch das Verirauen zu dem Unternehmen gefährdet hätte. Schon des

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halb war eine Beschränkung geboten. Sie empfahl fich aber sicher auch aus dem Grunde, weil die Verteilung der Erwerbungen immer willkürlich erscheinen und füchteleien wachrufen würde, besonders wenn eine Staatsbehörde sie übernehmen sollte. Nach einheitlichen Grundfäßen kann nur dann verfahren werden, wenn es sich um die Herstellung einer zusammengehörigen und an derselben Stelle leicht überschaubaren Sammlung handelt. Ihre dauernde Verbindung mit der schon bestehenden NationalGalerie hat den Vorteil eines sicheren Stüßpunktes und gewährt die Möglichkeit, in kürzester Zeit die Stiftung ergänzend wirksam werden zu lassen. Kommt sie so allerdings in erster Reihe den zwei Millionen zu gut, die Berlin und seine nächste Umgegend bewohnen, so giebt es doch in ganz Deutschland feinen anderen Ort, der auch nur annähernd einen so starken Bruchteil der Nation in und um sich vereinigte, keinen zugleich, der einen fo großen Fremdenzufluß Jahr für Jahr zu verzeichnen hätte. Bei der jezigen Billigkeit der Verkehrsmittel und bei der leichten Erreichbarkeit der Reichshauptstadt aus allen Richtungen wird es auch für die wenig Begüterten mehr und mehr eine Ausnahme, Berlin nicht besucht zu haben. Je großartiger die Eindrücke, die der Auswärtige hier empfängt und in die Heimat mitnimmt, um so gemeinmüßiger die Hergabe von Kapital. Zudem ist es feineswegs durch das Statut ausgeschlossen, daß auch die aus dem Nationaldank angeschafften Kunstwerke, wie die aus der National-Galerie, auf Reisen geschickt und zeitweilig den verschiedenen Kunst-Ausstellungen als Schmuckstücke überlassen werden, so also auch den Massen zugänglich werden, die sich in Berlin selbst ihren Genuß nicht gestatten können. So gerade wird ein Wechsel ermöglicht, der den Provinzialstädten nach und nach den ganzen Befitz zuführt. Schenkungen für ihre Museen werden auch jezt nicht ausbleiben; sie pflegen in Bildern oder in Geldspenden zur Anschaffung von Bildern zu bestehen, die Sann als Geschenke des bestimmten Gebers bezeichnet. werden. Der Wunsch, sich auf diese Weise in der Erinnerung der Mitbürger und Landsleute zu erhalten, wird an Stärke nichts verlieren. Für diejenigen aber, welche ohne solche Rücksicht zur Beistener an einem Kapital_anfgefordert werden, in welchem ihre Einzelbeiträge gleichsaur untersinken, muß der Anreiz größer sein, wenn sie wissen, daß die aus den Gesamtzinsen angeschafften Kunstwerke zusammenbleiben und jeder Beschauer in jedem Stück den Stifter vertreten findet, dessen Name das in der NationalGalerie aufgelegte Buch ziert. Die meisten Geber, die sich hier einzeichnen, würden, wenn sich ihnen diese Gelegenheit, sich als Gönner der Kunst zu beweisen, nicht ergeben hätte, wahrscheinlich überhaupt nicht an Schenkungen oder Vermächtnisse zu ihren Zwecken gedacht haben.

Die Organisation ist verblüffend einfach. Die Stifter stehen unter sich in gar keiner Verbindung; es giebt keinen Vorstand, keine Generalversammlung, keine Kaffenverwaltung, keine Decharge. Wer dem Nationaldank für die bildenden Künste eine Zuwendung machen will, hat sie dem KultusMinister anzumelden. Dahin ergeht zunächst die Aufforderung. Sobald die Zahlung erfolgt, wird sein Name ins Buch eingetragen. Eine weitere Mitwirkung steht ihm nicht zu. Das angesammelte Kapital wird bei der Generalkaffe des Kultus-Ministeriums nach Maßgabe der für die Verwaltung von Mündelgeldern in Preußen bestehenden (übrigens sehr strengen) Vorschriften verivaltet. Der Kultus-Minister verwendet die Zinsen ebenso, wie die zu gleichen Zwecken bestimmten Staatsgelder nach bestem Ermessen und ist auch hier nur an den Beirat der LandesKunst-Kommission gewiesen. Der ständige Ausschuß von Kunstfreunden aus Deutschland", welchen er zusammensetzt und nach Bedarf beruft, hat keinen Einfluß auf die

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Verwaltung und Zinsenverwendung, sondern foll_mur „zür Förderung des Interesses an dieser nationalen Sache" be ratend und unterstüßend mitwirken. Es ist anzunehmen, daß die Stifter in ihm vorzugsweise einen Platz finden werden. Dem Aufruf, der durch die Förderer" der Stiftung verbreitet wird, find Formulare zu Schenkungen unter Lebenden, zu Schenkungen von Todeswegen und zu Vermächtnissen mit spezieller Anweisung des Gebrauchs beigelegt. Es fonnte den Gönnern der Kunst nicht bequemer gemacht werden!

Man maz sonst kein Freund der Verstaatlichung von Privat-Instituten sein, in diesem Falle wird man doch zugeben müssen, daß das Richtige getroffen ist, wenn die dauernde Verbindung mit einem Staatsinstitut gesucht und die Verfügung über die Zinsen des anzusammelnden Fonds allein in die Hand des jeweiligen preußischen Kultus Ministers gelegt wurde. Der Versuch, einen Verein von reichen Kunstfreunden zu gründen, die sich zu Schenkungen in größerem Maßstabe verpflichteten, oder einen Verein zur Verwaltung und Verwendung solcher Schenkungen, hätte keinen Erfolg haben können, da es den Gebern, die in den seltensten Fällen Kunstfenner find, an einer Vereinstätigkeit gar nicht gelegen ist, die sich bei der Verbreitung der Mitglieder durch ganz Deutschland auch kaum ersprießlich denken ließe, dagegen wesentlich bei der Hergabe größerer Summen auf die Sicherung der Verwendung anfommt, wie sie kein Verein in gleichem Maße gewähr leisten könnte. Es war auch nicht die Absicht, diejenigen reichen Kunstfreunde heranzuziehen, die augenblicklich zu einer Schenkung bereit sein möchten, sondern bis in die fernste Zeit sie jedem die Mitstiftung offen zu lassen und so nach und nach in fürzeren oder längeren Zwischen räumen das Kapitál zu vermehren, ebenso je nach Umständen die Zinsen bis zu dem dicht vorausbestimmbaren Zeitpunkie anzusammeln, in welchem eine zweckentsprestende Verwendung stattfinden kann. Daß das Kultus-Ministerium diese Mühewaltung übernommen hat, ist sehr dankenswert und sichert das Gelingen, auch wenn die Beteiligung zunächst sanguinischen Erwartungen nicht entsprechen sollte. Warum sollte sie aber nicht? „Das Bewußtsein einer Ehrenschuld gegen die bildenden Künste" ist hoffentlich lebendig, und der Ruhm, ein Mitstifter des Nationaldanks zu heißen, bei denen begehrt, die mit Glücksgütern gefegnet sind.

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Der Name Peter Cornelius ist seit der Neuaufführung seines Barbier von Bagdad" auf einmal in aller Munde. Man erfährt, daß er ein Neffe des andern Peter Cornelius war, der mum Peter von Cornelius heißt, weil zwei Residenzen sich um ihn stritten, und den man überdies den großen Cornelius nennt, weil er weniger konnte, als er wollte; man erfährt, daß der jüngere Cornelius seit bald zwanzig Jahren tot ist, und daß die komische Oper, die heute alle Musiker entzückt, vor dreißig Jahren mit einem bösartigen Theaterskandal in Weimar abgelehnt wurde, trok der Proteftion Liszts und sogar

*) Gedichte von Peter Cornelius. Eingeleitet von Adolf Stern. Leipzig, C. F. Kahnt Nachfolger. 1890.

troß ihrer Vorzüge; man erfährt endlich, daß seit dreißig Jahren in Deutschland eine kleine Cornelius-Gemeinde besteht, eine kleine Filiale der überflüffig gewordenen Wagner-Gemeinde. Und die alten Verehrer des feinen Peter Cornelius fommen zu den neuen und ätschen fie aus. „Seht Ihr, das wissen wir seit dreißig Jahren! Und besonders Ihr zünftigen Litteraten solltet Euch schämen, daß Ihr niemals auf die Größe wenigstens des Dichters Cornelius hingewiesen habt. Er war ein Dichter Komponist von Gottes Gnaden und Ihr habt nicht einmal den Dichter gekannt. Das war eine schwere Unterlassungsfünde!"

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Wir wollen diese Sünde also nach Kräften gut machen und nur bemerken, daß die gesanimelten Gedichte des Mannes erst seit ungefähr einem Jahre gedruckt vorliegen, daß die Sünde also noch nicht sehr alt geworden ist. Was aber die Texte anbetrifft, die Cornelius für seinen eigenen Zweck geschrieben hat, so hat es damit ein eigenes Bewantnis. Gewiß sind die Worte des Barbiers von Bagdad" nicht nur von Anfang bis zu Ende geschmackvoll und stellenweise geistreich, sie erheben sich mitunter selbst zu hübschen tyrischen Gedichten und man braucht nur an die lächerlich barbarische Uebersetzung von Mascagnis ,,Cavalleria rusticana zu denken, um für so einen deutschen Originaltert dankbar zu sein. Aber der braucht noch kein bedeutender Dichter zu sein, der einen bedentenden und fertigen Stoff geschickt zu einem Opernlibretto zurecht zu stußen versteht. Man sollte daran denken, daß fast alle erfolgreichen Opern (Richard Wagner gehört freilich nicht in diese Reihe) ihr Libretto der Tragödie oder dem Lustspiel eines hervorragenden Dichters verdanken. Die Ausnahmen dürften zu zählen sein. Wenn nun ein gescheidter Komponist imstande ist, sich das Libretto selbst zurecht zu schneiden, so bleibt er darum immer noch Komponist, wenn er im übrigen diesen Namen verdient. Die merkwürdige Erscheinung Richard Wagners hat nun das Wort „Dichter-Komponist" aufgebracht, und man nennt seitdem einen jeden so, der als Musiker die Masse schlechter Textfabrikanten um eine Nummer vermehrt. Das ist etwa so, als ob man einen Freskomaler, der sein Stück Mörtel immer selbst auf die Wand aufträgt, bevor er es frisch bemalt, nicht einen Mauermaler, sondern einen Maurermaler nennen und verlangen wollte, daß er die bei seiner Tätigkeit nicht unwichtige Infallversicherungsprämie sowol bei den Maurern als bei den Malern zahle.

Schon bei Richard Wagner ist der Ausdruck,DichterKomponist" etwas schief gerathen. Der Librettodichter Wagner hat den Komponisten vielfach sehr glücklich unterstüßt. Aber der Dichter wäre ohne die Unterstützung des Musikers Wagner niemals von irgend welcher Bedeutung für das deutsche Geistesleben geworden. Eher hätte noch der Musikschriftsteller Wagner allein Einfluß gewinnen können als der Librettodichter allein. Nun hat Richard Wagner auch als Librettist all das Theaterblut, das seinem Freunde Peter Cornelius zu fehlen scheint, und so würde der Name des Librettisten Cornelius kaum über enge Kreise hinaus genannt werden, wenn er seine Terte für irgend welche Kapellmeistermusik geschrieben hätte.

Dafür ist Cornelius schon als Librettist und dann erst recht als Lyriker weit liebenswürdiger, erfreulicher und feiner als die brutale und geniale Kraftnatur Richard Wagners und schon in dem äußerlichen Verhältnis der beiden zeigt sich dies. Wagner ist eine so große Kraft, daß er seine Sprachbeherrschung in den Dienst seiner Kunst stellt, und es erreicht hat, für einen großen Dichter zu gelten; in Cornelius steckt wirklich ein echter Poet, aber die Kraft seiner Persönlichkeit reicht nicht völlig aus.

Diese persönliche Beziehung von Cornelius zu Wagner ist so bezeichnend für beide, daß ich es mir nicht versagen

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