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war der große, längliche Raum durch eine spanische Wand geteilt, und mit Schrecken gewahrte ich, daß noch eine andere junge Dame sich daselbst befand, die hier mit Karla gemeinsam arbeitete.

Der Gedanke, jene könne mich kennen, denn noch sah ich nichts von ihr, raubte mir die leßte Spur von Fassung. Mir war ganz wie einem Deliquenten zu Mute, und so mag denn der erste Eindruck seltsam genug ausgefallen sein, wenigstens bemerkte ich, daß | Karla ein leichtes Lächeln zu verbergen suchte.

Und troßdem ich über die ganze Komödie erröten mußte, war ich doch mit dem Lächeln, das ich erweckte, nicht unzufrieden.

Franz stellte mich vor als einen Schreiber, den er zufällig gefunden habe, und der nicht abgeneigt sei, sich durch Modellstehen sein Brot zu verdienen, so lange, bis er eine entsprechende Beschäftigung gefunden habe. Endlich wurde ich aus meiner Qual betreffs der anderen Dame erlöst, die hereingerufen ward, um ihr Urteil mit abzugeben. Sie sprachen französisch zusammen, in dem Glauben, daß ich sie nicht verstand; Franz versicherte sie deffen noch ausdrücklich, während er mir einen Blick zuwarf, so voller Schelmerei, daß ich mich kaum halten konnte. Es lag darin zugleich: daß du uns aber erzählst, was sich die beiden über dich vor allem sagen. Solche harmlose Indiskretion verlange ich von dir, mur deshalb habe ich deine Unkenntnis der Sprache versichert.

Schon jezt amüsirte ich mich köstlich, während mich alle mit kritischen Blicken musterten. Und dabei wäre ich fast aus der Rolle gefallen, als mich Karla etwas auf franzöfifch_fragte und ich schon antworten wollte, um gerade noch zu rechter Zeit zu stocken und vor Schreck zu Boden zu sehen, so daß jene meinten, ich sei verlegen über meine Unwissenheit; denn so sprachen sie sich aus.

(Fortsetzung folgt.)

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schichte, und doch atniet alles nur Gegenwart und harrt sehnsüchtig oder furchtsam der Zukunft. Das Geheimnis der Modernität hat man dort erraten wie nirgends auf der ganzen Welt. Dem Bedeutendsten wie dem Albernsten wohnt ein 'unfaßbarer Reiz von Neuheit inne. Aber in all dem Experimentiren, Ausprobiren und Haschen steckt ein merkwürdig me= thodischer Geist, ein organisches Ineinandergreifen. Wol versucht man es von allen Seiten, und es leuchtet bald hier bald dort, aber da fährt kein unerwarteter Bliß herab, wie etwa Böcklin oder Makart oder Klinger in Deutschland. Konzentration und Tradition halten die buntscheckige Masse im Bann und zwingen selbst Künstler fremder Rasse in den Rahmen der spezifisch parisischen Kunst.

Die Herren Franzosen selbst nun wir haben ja bereits im ersten Aufsatz darüber gesprochen. Herr Bouguereau kann sie nicht wol repräsentiren. kann sie nicht wol repräsentiren. Denn gerade weil dort alles neu ist, ist ein Maler, der seine Haupttriumphe vor zwanzig und dreißig Jahren erfocht, mehr als anderswo unleidlich alt, was soll Halb römisch, halb venezianisch, halb nazarenisch uns Herr Bouguereau noch, am Ende des neunzehnten Jahrhunderts! Da sind doch auch wir berliner Barbaren schon cin bischen zu fortgeschritten in der modernen Kultur. Sprache gefunden, die zu unseren Ohren dringt. Dieses ab= Aber Jimenez, der bereits erwähnte Spanter, hat die gemergelte Mädchen mit dem blöden stumpfen Krankengesicht und den dünnen, unbehülflich herabhängenden Armen in dem weiten, falten, grauen Krankensaal, wie es sich mechanisch-bewußtlos von dem alten Arzt untersuchen läßt, während eine Schaar lernbegieriger, zum Teil auch gelangweilter Studenten mit Wärter und Wärterin um ihr Schmerzenslager versammelt stehen - dieses troftlos verlöschende junge Leben inmitten einer gleichgültigen, geschäftsmäßigen Umgebung erfüllt den Beschauer mit einem dumpfen Schreck und öden Jammer, der zwar nicht das Ziel der Kunst“ sein mag, aber trotzdem nur durch ein hier jenes Grauen, wie Zbsen es beschreibt, das abstößt und großes Kunstwerk hervorgerufen werden kann. Es herrscht doch unwiderstehlich anzieht, und in das man sich hinein versenken möchte mit derselben unersättlichen Begierde wie in die Vorstellungen der höchsten Wonne und der lautersten Schönheit

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Die spanische Kolonie in Paris ist nicht klein, und sie hat viel Tüchtiges hervorgebracht im Geiste der Modernität. Doch hat sie jenes spanische Element des gemessenenen Ernstes und einer bis zum Finsteren gehenden Entschlossenheit, wie gerade auch auf dem Bilde des Jimenez, durchaus bewahrt. Einige Damen, wie Antonia Banuelos im Kinderporträt und Annie be los Rios und Luisa de la Riva im Stilleben, ragen durch

Betrachtungen über die internationale Kunst besonders intensive, doch wol verschmolzene Farbengebung

Ausstellung in Berlin.

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hervor.

Auch über Ungarn, Rußland, Polen und besonders Amerika sind pariser Wogen an den Spreestrand verschlagen worden. Die Brozik und Munkácsy genießen eines alten Rufes. Sie lieben beide den Prunk und die Breite und sind Anbeter jener Magnatenherrlichkeit, wie sie die Ungarn bet festlichen Anlässen zu entfalten lieben. Broziks „Gesellschaft bei Rubens" ist 1881 gemalt und für einen so alten Ladenhüter noch leidlich frisch, wenn auch für unsere Augen etwas dunkel. Auf seinem neugemalten Prager Fenstersturz", einem zehn Klafter weiten Kolossalgemälde, wird viel geschrieen, gebalgt und gepufft, es wird heftig mit Füßen getreten und kaltblütig befohlen, und im ganzen wird so energisch an die Luft befördert, daß der Künstlerwiß nicht umhin konnte, das Bild „die Jury“

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zu taufen als ob unsere zartfühlende und rücksichtsvolle Jury einer so barbarischen Handlungsweise überhaupt fähig wäre! Warum. lobt man die Leute dermaßen über Gebühr?! Munkácsy spielt sich, je länger er in Paris lebt, desto mehr auf den Boulevardier heraus. Er. hat neben einem schwer entzifferbaren Deckengemälde das Bild eines pikant arrangirten Boudoirs ausgestellt und den zufälligen Umstand, daß in dem Boudoir eine Dame sitzt, dazu benutzt, das Bild ein Porträt zu nennen. Das sind pariser Wißchen, die man in Berlin etwas mühsam versteht!

Unter den pariser Russen und Polen machen sich zwei Damen durch festes Draufgehen bemerkbar, Maria Bashkirtseff und Anna Bilinska. Erstere hat das Bild einer. lachenden Dame ausgestellt. Man weiß, wie süß solche Bilder in Deutschland zu geraten pflegen. Hier aber sehen wir eine schludrige, seiste Person, die sich über ihr schief sizendes Ne- | gligee einen mächtigen Prozenpelz gezogen hat, die Augen einkneift und aus der bleichen schwammigen Masse thres slavischen Antlizes heraus mit einer wahrhaft hålbasiatischen Unverfrorenheit grinst. Die beiden Herren Jean und Jaques, im Alter von etwa acht und vier Jahren, die sich auf einem anderen Bilde präsentiren, sind ein paar schwarzkittelige Pudel köpfchen, führen einen mächtigen dunklen Parapluie und gehen mit einem gleichmütigen Selbstgefühl durch die Straßen, um das sie ein preußischer Lieutenant beneiden könnte. Auch die Bilinska ist eine Porträtistin von schauriger Erfassung der Individualität. Sie hat es manchem gezeigt, der sich ihr anvertraute. Sie ist aber auch mit sich selber nicht besser umgesprungen. Denn sie hat ein Selbstbildnis gemalt, welches auszustellen wol den höchsten Grad von Verzicht auf weibliche Eitelkeit bedeutet, den die Weltgeschichte kennt. Fräulein Bilinska hat es nicht einmal für nötig gehalten, sich für diesen Zweck zu frisiren; und ob sie sich gewaschen hat, ist wenigstens nicht far ersichtlich.

Da hat es Lucy Lee-Robbins, die schöne Amerikanerin, doch besser mit sich gemeint, als sie ihr Selbstporträt anfertigte. Ein wenig Nachlässigkeit freilich gehört zum Künstlerhandwerk. Also- roter Morgenrock! Er fleidet ja auch recht hübsch! Dann ein schwarzes Barett auf den üppigen Lockenkopf gedrückt, das Gekräusel wol in die Stirn hinein arrangirt, Pakette und Pinsel zur Hand, und jest bitte recht freundlich! Bravo! Das Mündchen ein wenig geöffnet und die Zähne leicht durchschimmern lassen! Unübertrefflich! Und den Pinselstock keck hervorgekehrt, als ob er eine Reitpeitsche wäre! Wirklich, ich möchte Sie gerne einmal zu Pferde sehen, schöne Lady. Vielleicht zur nächsten Ausstellung?

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Im Uebrigen verblüffen die Amerikaner nicht gerade durch Koketterie und Grazie. Denn das Sprague Pearcesche Porträt der allen Herren so wolgefälligen und darum den Damen verhaßten Madame P., die sich zur Erhöhung der Gesamtwirkung ihren weißen Seidenpintscher unter den Arm ge= nommen hat, ist nur eine Ausnahme. Sprague Pearce selber legt zweifellos weit höheren Wert auf sein Bild einer schwindsüchtigen und schmalbrüstigen Schafhirtin, eines blutjungen Wesens, das in seinem Lumpenkleide wie eine Greisin gebückt, sich auf den hohen Hirtenstab stüßt, wie um sich vor dem Um fallen zu schüßen. Es ist dies ein Bild, von dem sich die Gesamtheit der berliner Philister entseßt, weil ihnen dessen Ernst unbequem und lästig ist. Wenn es doch wenigstens ganz klein wäre", seufzen sie und verstehen nicht, daß gerade die Lebensgröße inmitten einer verstaubten und reizlosen Landschaft die Eindringlichkeit des Vortrages ausmacht.

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Diese Amerikaner sind ein grobknochiges und didfelliges Geschlecht und keineswegs aufgewachsen unter süß duftenden Blumen. Blumen. Sie kennen die Prosa des täglichen Lebens und malen sie und fragen den Teufel nach dem Kuß der Muse. So ein Kerl seßt sich ins Kaffeehaus, schiebt den Cylinder zurück und bläft den Rauch seiner Zigarrette in gemächlichen Stößen in die Luft. So bin ich und so bleibe ich", denkt er und malt, sich in dieser Stellung auf die Leinwand. Wenigstens tat Julius Rolshoven so und dünkte sich dabei nicht wenig. Was ist ihm die Kunst? Technik, mit einem Wort! Seine Bilder nennt er Tonstudie" oder „ein Tongegensatz" oder „Licht, Schatten und Ton“ und bezeichnet sie damit vollkommen ausreichend. Denn der Inhalt ist gänzlich gleichgültig, wenigstens für Herrn Rolshoven als Maler - ob auch für ihn als Menschen möchte ich bezweifeln, da besagter „Inhalt“ meist ein hübsches Kind aus dem Volke ist. Wirklich hat auch Herr Rolshoven erreicht, auf diesem Wege, troß seiner Amerikanerurwüchsigkeit, im Handumdrehen zum Manieristen zu werden - ein Ziel, in dem ihm die meisten seiner Landsleute mit seltenem Erfolge nachstreben. Im Großen und Ganzen gewinnt man den Eindruck, daß die Amerikaner die pariser Kunstweise blindlings mitmachen und nachäffen, wobei sie freilich übersehen, daß sie kein gallisches Blut in den Adern haben und sich neben den schlanken behenden Franzosen wie plump tappende Bären ausnehmen. Hier und da findet sich zwar jemand, der wie Guy Rose, auf kleinen Landschaften in zartgrünen, lila und rosa Tönen schwelgt, aber so etwas, wie Bridgmans Opfer der Tugend", wo (auf einem Triptychon) eine schöne Orientalin von einem rohen Tartaren vergewaltigt wird und zum Schluß in ihrem Blute schwimmt, bringt das treibende Element des in die Kunst verirrten Amerikanismus doch weit schlagender zum Ausdruck. Wie breit und paßig, mit lauter unverbundenen Farben, hat Stewart seine jungen Damen gemalt, die am Steuer eines in voller Eile dahin brausenden

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Dampfers beieinanderstehen! Wie schwer und massiv reckt sich auf Waldens Bild einer „Abreise auf der Themse" der grauschwarze Schiffbauch des Dampfers über etwa ein Drittel der gesamten Leinwandfläche. Wie kalt und hart find die Figuren und Farben nebeneinander gefeßt auf Melville Dumonds Gemälde Nachsißen" (Nonne mit Schulmädchen) oder auf Walter Gays „Barmherzigkeit", wo durch die Grobheit der Gegenfäße der tiefere Gemütsinhalt schwer geschädigt wird. Auch der zweifellos hochbegabte Indienmaler Weeks licht die starken und grellen Kontraste und die Quadratmeter-Leinwand, wodurch er fast an Wereschagin erinnert. Shields Clarke gar, in seiner „Nacht in Marokko", kontrastirt gelbes Licht mit dunkelviolettem Schatten, eine abscheuliche Farbenzusammenstellung, die durch die pathetische Komposition noch unleidlicher wird. Eines der gesündesten Talente dagegen ist Gari Melchers, der auf seinem „Abendmahl der Armen“ durch die Schlichtheit und Macht der Charakteristik und durch die Breite und Energie seines Vortrags überrascht.

Wenden wir uns von Paris nach dem nahen Belgien, das ja auf fast allen Kulturgebieten engste Anlehnung an das gewaltige Nachbarreich sucht, so stoßen wir auf einen eigentümlichen, inneren Gegenjat, der sich als scharfe Spaltung durch die ganze belgische Malerei hindurchzieht. Die belgischen Maler sind entweder ganz modern oder ganz unmodern. Die einen schielen nach Paris, die andern in die Vergangenheit. Da aber viel tüchtiges Kunstvermögen vorhanden ist, so werden wol beide Richtungen ihre Liebhaber finden. Am altfränkischsten von allen giebt sich Albrecht de Vriendt. Er zeichnet für

jede Person schwarze Umrißlinien, baut seine Kompositionen mit absichtlicher Steifheit, stellt die Farben bunt und unabgetönt nebeneinander, läßt keine Luft zwischen den Dingen und verwendet gelegentlich Goldgrund. Gesichtertypen und Gebärden= sprache hat er den van Eyck und der altkölnischen Malerschule entlehnt, er wirtschaftet also ganz mit alten Formen. Eine Spur moderner ist Edmond van Hove. Er hat sich etwa den Quentin Massys zum Vorbild genommen und bewahrt sich sogar ein Minimum von geistiger Freiheit. Die Formen sind bereits größer und minder gebunden, die Ausarbeitung im Kleinen zeigt viel Feinheit und Spürsinn. In echt altvlämischer Weise stellt er einmal Alchemie, Hererei und Scholastik in Charakterkompositionen nebeneinander, wo auf dem mittleren Hauptbild eine jugendschöne Nackte von einigen ausgetrockneten, hämischen Doktoren mit der Pincette bedroht wird. Doch man braucht nicht immer bis ins Mittelalter zurückzuweichen, um herzlich unmodern zu sein. Smits mit seiner „Diana" und Stevens (der sonst einige gar nicht üble Marinen ausgestellt hat) mit seiner „Ophelia“ sind es, ohne daß sie sich gerade an ein älteres Muster sichtbar anlehnen. Auch Hennebicq, mit seiner „flichenden Messalina" und Carpentier (der sich in einem anderen Bilde, das nach Jauche riecht, auf den Ultranaturalisten herausspielt) mit seinem höchst theatralischen „Dorfdrama" gehören, wie sie sich auch sperren mögen, zu den Altmodischen. Wenn aber Julian de Vriendt vielleicht meint, für biblische Darstellungen sei orientalische Tracht und Scenerie ausreichend, um für modern zu gelten, im übrigen aber könne man Komposition und Charakteristik nach der Scha blone einrichten, so dürfte er in holdem Wahn befangen sein. Auf einer interessanten Uebergangsstufe befindet sich Ernest Slingeneyer. In seinem Bilde der leßten Stunden von Pompeji tutet er ins Horn der hochpathetischen Historienmalerei. Er läßt Feuer und Steine hageldicht vom Himmel regnen und die Menschen flüchten und rennen wie Steppenwild vor einem Präriebrand. Trotzdem habe ich nicht im entferntesten den dämonisch-wilden Eindruck empfangen wie etwa von der Lunaschen Christenverfolgung in der spanischen Abteilung. Es ist alles zu wol komponirt und zu sichtbar gegeneinander abge wogen; das stört die Illusion. Und doch hat dieser selbe Slingeneyer ein ganz kleines Bildchen gemalt, „Nebel im Moerdyk", das als ein töstliches Juwel zu bezeichnen ist. Mitten in den hellgrauen Nebel fällt ein gedämpfter Sonnenstrahl, der sich auf den Meereswellen spiegelt, vorn ein Segelbot sicht bar macht, andere in Umrissen andeutet. Dieses Wenige ist mit feinster Kunst geschildert und mit lebendigster Naturempfindung herausgefühlt.

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Ueberhaupt leisten die Belgier in der Landschaft Hervor ragendes. Auch malen sie nicht lauter Stoppelfelder, sondern sie wissen, das Eigenartige und Anziehende zu finden. Eine wette Elsfläche, die bei untergehender Sonne in allen Farben, violett und orangen durcheinander, glißert, hat Emile Claus gemalt und als Staffage einige dicht eingemummelte Knaben verwendet, die er artig als Eisvögel" bezeichnet. Auf der ,,alten Lys", einem schilfumwachsenen, stillen Teichgewässer, zeigt er einen einsamen Nachen, in dem sich ein alter Mann soeben sein Pfeifchen ansteckt; darüber breitet er die zitternde Melancholie eines Oktobernachmittags. Herbst und Winter sind auch sonst die bevorzugten Jahreszeiten; unser modernes Empfinden kommt ihnen besonders günstig entgegen. Baron und Denduyts haben hier Treffliches geleistet, während Euphrosyne Beernardt vrachtvolle alte Bäume in weiter luftiger Umgebung darzustellen liebt, und Leon Massaux in seinem

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Abend in den Polders" große milde Farbengegensätze (das tiefe Blau des Himmels gegen das tiefe Grün der Weide) ausspielt.

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Daß in dem Lande der Arbeiterstreits die Darstellungen aus dem Volksleben einen mehr oder minder ausgeprägten sozialistischen Charakter tragen, kann nicht Wunder nehmen. Am entschiedensten geht hier Léon Frédéric zuwege. Er trägt seine Tendenz ganz unverhohlen vor. Da er sich troßdem in der Eharakteristik durchaus schlicht und wahr verhält, so erreicht er, was er anstrebt. Die beiden Bilder „Auszug zur Arbeit" und Rückkehr von der Arbeit", sowie ein drittes „Mittagsmahl unter freiem Himmel", kann man nicht eingehend betrachten, ohne tief erschüttert zu werden. Das frendlose Einerlei der Arbeiterexistenz, wie es Vater, Mutter und Kinder betrifft, kann nicht eindringlicher geschildert werden. Eine stille Verdrossenheit liegt auf diesen Gesichtern, eine schleichende Mattigkeit der Seele, zuweilen auch eine mühsam niedergerungene Verzweiflung. Gebückte Körper, schlaffe Gliedmaßen, hier und da eine jälje, aufzuckende Bewegung dazu eine triste, graue Landschaft und ein mürrischer Himmel; die Totalität der Stimmung ist also mit allen Ausdrucksmitteln erstrebt. Derartiges findet sich noch mehrfach. Meunier malt in seiner Heimkehr der Landleute" einen Zug von lauter Idioten, Verheyden eine alte Frau im Herbstwald, die unter einem schweren Reisigbündel fast zusammenbricht. In Oscar Halle vermute ich die Einwirkung Liebermanns, der freilich nicht ganz erreicht ist, so kräftig auch die Alte Strickerin“ mit ihren ernsten, schweren Gesichtszügen herausgekommen ist. Völlig fret von tendenziöser Färbung halten sich blos zwei: Hans van Leemputten und Theodor Verstraete. Leemputten hat in seinem Palmsonntagbild eine wahre Glanznummer geschaffen. Die Kirche ist aus, und die Dorfleute kommen wieder ins Freie. Sie sind noch fromm in ihren Gedanken und gehen still oder in lelsem Gespräch nebeneinander her. Nirgends spürt man auch nur die leiseste Absicht, aber jede Linie und jeder Farben= ton sind charakteristisch und lebendig. Verstraete dagegen legt den Nachdruck auf das Landschaftliche; die Menschen sind gleichsam nur ein Teil davon und fügen sich organisch ein. Auf seinem Frühlingsbilde sieht man blaugekleidete Kinder und Bauernmädchen auf grüner Wiese in hellem Sonnenschein. Sie pflücken Blumen mit derselben Andacht, wie auf einem Novemberbilde ein paar alte Leute tief gebückt unter den Ackerschollen die letzten Kartoffeln zusammenlesen bei einbrechender Nacht. Alles klingt rhythmisch zusammen, doch ohne daß sich die Absicht hervordrängt.

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Was die Belgier auf dem Gebiete des Porträts vermögen, fönnte man mit dem einen Namen Emile Wauters ausdrücken. Doch muß man hinzufügen, daß er würdige Rivalen hat. So etwas Lebendiges, wie Richirs Bild des Malers Hermans bekommt man nur höchst selten zu sehen. Man kriegt ordentlich Angst vor diesem Manne mit der Palette; er guckt einen so scharf an, als ob er einen sofort abfonterfeien wolle! Dagegen ist Herbos Bild des Obersten O'Sullivan ruhig gemessen und zurückhaltend. Eine auf sich beruhende, an Selbstbeherrschung gewöhnte kraftvolle Männlichkeit in kleidsamer Uniform steht vor einem glücklich abgetönten gelben Hinter= grund und blickt dem Veschauer ernst entgegen. Auch Verheyden, Broermann, Vanaise (Prinz Balduin von Flandern), Cluysenaer, endlich Luyten, mit seinem nur etwas zu unruhig geratenen, großen Gruppenbilde einer antwerpener Künstlerschar, sind fraftvolle Porträtisten, die entschieden über dem Durchschnitt stehen. Troßdem ist und bleibt Wauters der Unvergleichliche.

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"Ueber die holländische Malerei nur ein paar Worte. Selbstverständlich ist sie der belgischen nahe verwant. wie in jener das gallische, so tritt in ihr das germanische Element gelegentlich scharf hervor. Die Formen werden dann unbestimmter und sind weicher gegen einander abgetönt. Es ist mehr fautes Behagen dort zu finden als bei den beweglicheren und unruhigeren Belgiern. Ein sehr charakteristisches, zugleich ausgezeichnetes Bild ist Jan Vrolyks „Sommermorgen". Born stehen einige Kühe im Teichwasser, dahinten dehnt sich eine weite Flachlandschaft aus: fette Wiesen, Weidenbäume, viel ganz leicht benebelter Himmel. Das alles bietet sich sehr malerisch dar. Aus dem Dunstgewölk stehlen sich zarte Morgenlichter und flimmern über die breiten Kuhleiber. In ganz verwanter Weise erzählt Mesdag den Sonnenaufgang auf dem Meer in einer großen Marine, wo gleichfalls das Frühlicht durch weit wallende Nebel bricht; die Sonnenuntergangsstille verherrlicht Louis Apol auf einem Landstraßenbilde in Herbststimmung, wo ein leßtes Rot noch fern durch das sinkende Dunkel flammt und die gelbbraunen, ge= rollten Blätter an der Erde ihr unheimliches Leuchten anheben.

Sehr bedeutend ist die Genremalerei aus dem niederen Volksleben bei den Holländern. Auch hat sie nicht jenen betzenden sozialdemokratischen Beigeschmack wie bei den Belgiern, sondern fie schildert die allgemeinen menschlichen Schicksale, wie sie überall vorkommen, aber bei jenen kleinen Leuten einen naiveren und stärkeren Gefühlsausbruch verursachen. In tiefem Nachtdunkel führt uns Hubert Vos zu armen Leuten und in eine schmale Dachkammer. Sie hocken und sißen herum in Jammer und Elend, und auf dem Bett liegt eine Leiche. Das alles ist unsäglich traurig, ohne direkt anflägerisch zu werden. Der große Meister in diesem Genre ist aber Josef Israels. Seine „Bauern bei der Abendmahlzeit“ brechen ihr karges Brot nicht mit jenen tränenerfüllten Augen wie bei Frédéric. Sie sißen still im Dunkel und sind gewiß nicht heiter, aber auch nicht ausgesprochen mißvergnügt. Es sind Leute, die gewöhnt sind, ihre Tage dahinzuschleppen. Weit ergreifendere Laute schlägt ein zweites, viclberühmtes Bild an, „Allein“. Auch hier eine enge Kammer und eine Tote auf dem Bett. Aber als einzig Leidtragender ein alter Mann, der in dumpfem Gram mit dem Rücken gegen das Lager sigt. Er hat die Hände auf die Kniee gelegt und starrt tränenlos zu Boden. Nächtliche Dämmerung ist hereingebrochen und hüllt alles in graue Echatten. Kein erhellendes Licht fällt in diesen stillen, der ganzen Welt unbekannten Schmerz. Dem alten Mann ist seine alte Frau gestorben, und er ist jetzt ganz vereinsamt. Bald wird auch ihn die Dunkelheit verschlingen.

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Bon

Alexander Lauenstein.

Pepitas Hochzeit so haben in Nordlanden zwei Borkampfer der Moderne", Oskar Levertin und Werner von Heidenstamm, die Programmschrift betitelt, in der sie in kecken Bildern ein neues Evangelium predigen wollen, allgemein und dehnbar, wie jedes echte Evan gelium sein muß: schrankenlosen Idealismus, der seinen Schöpfungen die innerste Eigenart des Künstlers aufprägt und vor dem nichts gilt, als er selbst.

Das kleine Heftchen bedeutet nichts als einen Schlag ins Wasser. Gerade ein Jahr ist seit seinem Erscheinen verfloffen, und schon ists in Vergessenheit geraten aber mit seinem Rufe steht es doch nicht so allein. Die selbe Losung klingt noch aus andren Gegenden, und als ein Glied in einer geistigen Kette ists schon wert, ein mal — genannt zu werden.

Es ist nur der Rückschlag Schopenhauerscher Mitleidsvergötterung und christlicher Herdenmoral, die einzig und allein aus den Herdeninstinkten des Menschen eine Grundlage für sein sittliches Handeln zu gewinnen sucht, und damit an die älteste Weltreligion, den Buddhismus, anknüpft, der in der Fin de siècle- und DécadenceStadt Paris im vergangenen Sommer um Jünger warb es ist nur ein Rückschlag, aber ein gesunder Rückschlag, wenn in Deutschland Friedrich Nietzsche für die Ethik zu dem gleichen Prinzip gelangte, und gesunde Individualität, vornehme Selbstgewißheit, der ein Verstoß gegen die eigene sittliche Anschauung zu schlecht, zu gering, zu gemein ist, zu dem Leuchtstern nach dem Lande der Menschheitszukunft erhebt. Es ist ein Rückschlag aber eben darin liegt seine Bedeutung. Die Gegenwart wird von der Vergangenheit selbst in diese Bewegung hineingedrängt. Es ist eine geschichtlich notwendige Auflehnung gegen die Unterdrückung des Gesunden, des Anmaßenden, Selbstsüchtigen im Menschen, ein Hornstoß für das Recht der Triebgewalten gegenüber dem Vorurteil herrschender Anschauungen, die sich das Recht anmaßen wollen, allein für die ethisch gerechtfertigte Triebfeder des Handelns zu gelten. Aber die Gegenwart beginnt bereits diesen Rückschlag mitzumachen, und darum ist er berufen, zukunftsgestaltend zu werden und die Décadence, oder sagen wir lieber gut deutsch: Verkommenheit Westeuropas zur Gefundung zu führen.

Individualismus in der Moral! ruft seit zehn Jahren Nietzsche Individualismus in der Kunst! schreit mit einem Male Pepita, und Mehr Individualität, mehr Unklarheit, mehr Allgemeinheit und doch

mehr Besonderheit, das ist der Leitgedanke des unklarsten und darum wirkungsreichsten aller deutschen Bücher im Jahre 1890: die Unbestimmtheit zum Prinzip erhoben und damit zur Individualität gestempelt. Es giebt noch viele andre, die da keinen Sinn haben für das bescheiden ehrfurchtsvolle non ignorabimus des großen Forschers, fein Auge für die tausend noch nie dagewesenen Forderungen, die das reiche und rege Leben der Gegenwart an den Kulturmenschen stellt, denen eines über alles geht, die blinde Duselei ins Blaue, eine Individualität, die noch keine ist, die erst eine werden soll, und die da rum auch durch keine gesicherten Ergebnisse der Wissenfchaft beeinflußt werden darf, und diese andren leiden an derselben pädagogischen Individualitäts-Monomanie.

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Aber der Kampf um das griechisch-lateinische Gymnasium, das wir mit Vorliebe das humanistische nennen weil ja, wie allbekannt, das Griechen- und Römertum so eine Art patentirter Liebigscher Extrakt aus dem ebenso bekanntlich sich ewig gleichbleibenden reinen Menschentum waren hat sich schon mit mancher Forderung der Zeit abgefunden, indem seine Hemmschuhträger mit den Achseln gezuckt haben, und wird voraussichtlich auch mit dem Rufe nach Individualismus in der Zeitpädagogik noch fertig werden.

Aber der Individualismus in der Kunst!
Was ist er und was will er sagen?

Zunächst ist er ein Stichwort und sagt als solches allen denen gar nichts, die nicht schon wissen, was ́er fagen will. lind deren sind nicht viele.

Um diesen Ruf aus dem Norden zu verstehen, muß man ihn ansehen als den Kampfruf gegen eine Gegenströmung. Denn es giebt kaum ein sichereres Mittel zur Erkenntnis des Wesens einer neuen Richtung, als sich genau mit dem zu beschäftigen, wodurch sie hervorgerufen worden ist und was sie bekämpft. Zwischen alten und neuen Bestrebungen ist es genau dieselbe Sache wie zwischen Vätern und Söhnen. Der, gegen den der Sohn zuerst geistig die Hand erhebt, ist immer sein Erzeuger.

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An der Spiße der nordischen Litteratur stehen heute immer noch der greise Ibsen und sein kluger Gefolgsmann und gemütsvollerer Nachdichter Björnson. Ibsens Dichtung verdankt ihren Erfolg ihrem Wesen als Problemdichtung. Unter Ibsens reiferen Stücken ist keins, das nicht eine Frage aufwürfe und dieselbe zu lösen ver suchte. Schon im „Fest auf Solhang" ist deutlich das Eheproblem zu erkennen. Als Ibsen mit der Fran vom Meere" hervortrat und mit Freiheit und Verantwortlichkeit einen heiklen Knoten zerhieb, statt ihn zu lösen, da sah man mitten in der allgemeinen Verhimmelung dieser matten Leistung so manchen stußig werden. Bei Jbsen ist immer die Frage die Hauptsache, die bestimmt formulirte Frage. Und er hat darin Nachahmer gefunden, zum Teil begabte Nachahmer, die es sich aber nicht genug sein ließen, die Frage einmal zu stellen, sondern sie mehrmals eindringlich wiederholten. Auf diesen Boden ist eine förmliche neue Art der litterarischen Produktion erwachsen der Tendenznovellencyclus, der in August Strindbergs Verheirateten" und in Ola Hanssons schwachen und lahmen Parias“ seine Vertreter hat, zu denen sich als verwant noch Tovotes Fallobst" gesellt. Es ist bezeichnend, daß man die Kreuzersonate sowol in Hanssons wie in Strindbergs Buch einreihen könnte, wenn sie für das erste nicht zu interessant und für das zweite nicht zu lang wäre.

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Im Mittelpunkte der allgemeinen Teilnahme stehen allenthalben die Ehe und die gesellschaftliche Lüge. Björnson bringt noch ein Pülverchen Romantik hinzu.

Da steht sie vor uns diese Problemdichtung:

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