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Meine kleine Tochter und ich waren so glücklich zu= sammen, und wenn es zuweilen auch knapp herging: solche Tage, wie ich erlebt, als ich mit dem trunksüch | tigen Faulenzer von Mann beladen war, die kannten wir nicht mehr! Das Kind war mein Trost und meine Freude, es wuchs schön heran und artete so gut. Die zwei alten Fräuleins, bei denen sie aufwartete, bezahlten fogar ihren Konfirmationsanzug so beliebt war sie. Als sie aber konfirmirt war, wollte ich nicht, daß sie dienen sollte. Dienen ist ja ein bischen gewöhnlich, und dann konnte ich sie ja auch nicht unter Augen haben. Sie hatte eine Kousine, die Silber polierte; das lernte fie auch schnell und brachte so kostbare Theebretter und Kannen zum polieren nach Hause, daß mir manchmal ganz beklommen dabei wurde, wenn ich bedachte, daß wir für all den Reichtum verantwortlich feien.

In dieser Beziehung ging es nicht schief; aber schief ging es doch. Wie oft habe ich in den letzten Tagen gewünscht, daß sie troßdem in Dienst gekommen wäre; aber des Menschen. Schicksal ist so verwirrt und ver wickelt, daß es am besten ist, wenn man alle Wünsche an den Nagel hängt und mit aller Macht daran festhält, daß es bestimmt war, so zu gehen, wie es gerade ging. Und vielleicht ist es auch allein meine Schuld. Was ich ihnen vorhin sagte, gnädige Frau, daß allein wir, die wir in Armut und Elend geboren sind, jemals so recht klar darüber werden, was für ein empörendes, abscheuliches Tier eine Mannsperson sein kann, wenu er von Natur selbstsüchtig und roh ist, das ist ein Gedanke, der sich früh bei mir festseßte, und als die Kleine konfir mirt war, prägte ich ihr das bei jeder Gelegenheit ein allerdings öfter, als ich gefollt hätte. In meines | Herzens Eigenfinn wollte ich sie bei mir behalten, bis ich einmal die Augen zutat, und Vorsicht kann ja niemals schaden. Da war ein Glasergeselle, den ich allen | Grund habe, für einen braven Menschen zu halten, und der jezt sein eigner Herr in der großen Regenstraße ist. Mit ihm tanzte sie auf einem Ball im „Arbeiterverein", wohin die Eltern der Koufine sie mitgenommen hatten. Als er später unter irgend einem Vorwand zu uns kam, war sie so spit und zurückhaltend, daß er nicht wieder kam. Ich lobte sie, ich alberne Närrin, und sagte, so müsse man sich benehmen.

Es ist grausam, wenn man erlebt, daß die eigenen | Worte sich wie Mefferklingen gegen einen wenden. Aber gerade das sollte über mich kommen.

Der Goldschmied, von dem sie die kostbaren Sachen ins Haus bekam, hatte einen Sohn, und der war Kandidat. Ab und zu hatte sie ihn genannt; aber mit einem Mal hörte das auf. Sie wurde traurig und zerstreut, war dann aber wieder in einzelnen Augenblicken rein übermütig und saß und baute Luftschlöffer, so daß ich vor Erstaunen beinahe in die Erde fant. Oft sprang fie dann mit einem Mal auf, küßte mich und sagte: „Ja, Mutter, man weiß ja nic, was passiren faun!"

Was geschehen war, sollte ich bald zu wissen befommen.

Sie wußte ganz genau, wann ich zu Hause war und wann ich aus war, und sie wußte auch auf ein Haar, welche Wege ich ging. Wenn man Abend und Morgen umhertraben muß wie ich, tut man keinen unnötigen Schritt. Aber in allem kann ja eine Veränderung eintreten. Eines Abends wollte eine von den anderen Zeitungsfrauen zur Hochzeit, und da verteilten wir, die wir im selben Stadtteil gehen, ihren Packen unter uns und übernahmen jede einige Straßen: Man muß einander auf dieser elenden Welt ja helfen! Dabei geschah es, daß ich in eine Straße kam, wohin ich sonst nie meinen Fuß sebe und die des Abends auch so einsam

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und menschenleer ist, daß einem förmlich angst werden kann. Da sehe ich auf dem Trottoir einen Herrn gehen, der ein junges Mädchen küßt. „Ach so!“ dachte ich und wollte direkt vorüber gehen. Da fällt mein Blick auf ihr Gesicht fie war es, mein eigen Kind, und der, der | sie küßte, war der Kandidat, der Sohn des Goldschmiedes. Gott weiß, woher ich die Dreistigkeit nahm; aber in diesem Augenblick war mir zu Mut wie einer Löwin, und sie können glauben, gnädige Fran, daß ich dem jungen Herrn Bescheid sagte.

Na, schlecht und verstockt war er nicht. Er wurde gräßlich verlegen, mehr als ich geglaubt hatte, und er stotterte etwas, daß meine Tochter ein schönes Mädchen sei, der er niemals Aergernis zu bereiten beabsichtigt hätte, und daß es nur so zufällig gekommen, daß ich aber als Mutter ein Recht habe, das er künftighin respektiren werde. Dann lüftete er den Hut und machte, daß er fort kam, so schnell die Beine ihn trugen.

„Komm jezt mit mir!" sagte ich zum Mädchen, und da kam sie mit und wartete getreulich, während ich oben in den Häusern war. Kein Wort wurde zwischen uns gewechselt, bis wir nach Hause kamen.

Ich begann den Thee zu machen und ihn in die Tassen zu schenken. Aufrichtig gesagt, ich war durchaus nicht aufgelegt, anzufangen. Mein frommes, leichtgläubiges Kind war auch die erste, die sprach.

Mutter!" sagte sie, als ich ihr die Taffe gab, „Herr Malmgren ist nicht von derselben Art wie wir, und du hast ja immer gesagt, daß nur die aus meinem Stande so schlecht sind."

Nun mußte ich wol umsatteln und versuchen, fie darüber aufzuklären, daß die Herren auch schlecht sein können. Ich sprach mich warm, ich verschoß alles Pulver, das ich hatte, ich erniedrigte und verdächtigte den Kandidaten auf jede erdenkliche Weise und vielleicht noch ein wenig mehr.

„Herr Malmgren ist immer nett und höflich gegen mich gewesen," sagte sie kurz und sah mit festem Blick vor sich hin.

„Ich habe selbst gesehen, daß er dich küßte," cutgegnete ich.

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Das hat er heute Abend zum ersten Mal getan. Er fragte mich: haben Sie mich denn wirklich gern, Marie? und darauf antwortete ich: ja! denn ich liebe ihn, Mutter!"

Ich stellte ihr auf jede Weise vor, daß sie sich diese Grillen aus dem Kopfe schlagen müsse. Sie antwortete nicht und ließ den Thee stehen.

Wenn ich abends nach Hause komme, bin ich immer wie zerschlagen an allen Gliedern. Trotz allem, was ich gesehen und gehört hatte, gewann die Müdigkeit Macht über mich.

Wir haben stets in demselben Bett geschlafen. Als fie fah, daß ich aufing mich auszuziehen, tat sie schweigend daffelbe und bald lagen wir wie gewöhnlich neben einander ausgestreckt.

Ich hatte die Lampe ausgelöscht und wollte gerade einschlafen, da merkte ich, daß sie lag und still weinte. Das konnte ich nicht mit anhören.

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Marie, sei nun ein vernünftiges Mädchen!“ sagte ich. Es ist ja möglich, daß Herr Malmgren was von dir hält; aber wenn er es tut, so wird er sich dir schon wieder nähern, wenn du selbst dich nur zurückhältst. Such' ihn nicht, sondern laß ihn dich suchen, und laß dich auf nichts ein, was bedenklich ist. Dann wird unser Herrgott es schon machen, wie er will." Du bist meine einzige, füße Mutter!" sagte fie und füßte mich. Einen Augenblick später merkte ich, daß sie schlief.

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Am nächsten Morgen war sie ganz rotwangig und zufrieden, aber die roten Backen verloren sich bald. Der Kandidat war durch meine grimmigen Worte abgeschreckt, er suchte sie nicht mehr, er vermied es geradezu, ihr zu begegnen. Als sie eines Nachmittags kam, um das blanke Silberzeug im Laden abzuliefern, kam er ihr unerwartet von der Treppe entgegen. Mit ihm waren zwei Damien, eine ältere und eine ganz junge. Als er an ihr vorüberging, wurde er rot bis an die Haarwurzeln. Eine Woche erzählten sie ihr in der Werkstatt, daß er sich verlobt habe.

Wie schämte meine liebe, füße Kleine sich, und wie bleich wurde sie. Ich hoffte, daß wir nun etwas für einander sein würden, aber zu meinem Erstaunen wurde sie reizbar und bitter, wie sie es nie zuvor gewesen.

Eines Abends endlich machte sie dem, was sie so lange mit sich herum getragen hatte, endlich Luft. Mutter!" sagte sie, weshalb mußtest du denn auch an jenem Abend kommen?"

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Ich stellte ihr vor, daß der Kandidat hinlänglich bewiesen habe, wie wenig crust er es gemeint, und daß es ihr Verderben gewesen, wenn es so weitergegangen

wäre.

Verderben! Was nennst du Verderben?" sagte fie beinahe wild. Du hast mir selbst gesagt, daß ich als kleines Mädchen dein Trost und deine Freude gewesen bin. Wäre ich dir vielleicht weniger Troft und Freude gewesen, wenn du Vater niemals geheiratet hättest, von dem du selbst sagst, daß er dein Kreuz gewesen, unter dem du beinahe du beinahe zusammen gebrochen wärst?"

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Du barmherziger Gott, Kind!" schrie ich. „Du meinst doch wol nimmermehr -?"

Ich meine, daß, wenn er mich betrogen hätte, was niemand wissen kann, und mich mit einem kleinen Feinde hätte sien lassen, so würde ich jetzt etwas haben, das mein Trost und meine Freude sein könnte. Was habe ich jest?"

Sie ließ den Kopf sinken und weinte, als ob ihr das Herz brechen sollte. Als ich mich ihr besorgt und bekümmert näherte, stieß sie mich gewaltsam fort. Ich ging hinaus in die Küche und dort weinte ich! Der Arzt sagte, daß sie das Silberpolieren nicht länger vertrüge. lleberdies ich wollte ungern, daß fie weiter in jene Werkstatt käme oder jenes Haus betrete. So fing sie an zu nähen das war nur wenig, das war nur wenig, und da fiel es mir ein, daß sie mir ja mit dem Zeitungsaustragen helfen könne.

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Sie ging mit mir ins Bureau und bekam ihre Hälfte von den Zeitungen. Dann gingen wir zusammen bis an eine bestimmte Straßenecke und hier ging jede ihres Wegs. Daß sie diese Arbeit übernahm, bewirkte wenigstens, daß sie am Abend müde war. Keine von uns tam je auf das zurück, wovon wir damals gesprochen hatten. Ich hätte es um keinen Preis der Welt gewagt, und sie vermied es. Aber sie brütete innerlich darüber, und obgleich sie niemals auffahrend gegen mich war, konnte ich doch merken, daß ihr Herz sich von mir gewant hatte.

Das qualte mich, gnädige Frau, und ich glaube wol, daß ich auch anfing abzumagern. Sie bemerkte es; aber lange Zeit hindurch sagte sie nichts. Aber eines Morgens früh, als wir im Schneegestöber und Finsternis nach dem Bureau trabten, umschlang sie mich plöglich unter einer Gaslaterne mit den Armen und sagte: Du bist doch die einzige, die mich im Leben lieb gehabt hat. Glücklich war ich; an dem Morgen, gnädige Frau, können Sie glauben, daß es nun mit den Zeitungen flink von der Hand ging..

Troßdem merkte ich, daß fie bald darauf wieder in die alten Gedanken verfiel. in die alten Gedanken verfiel. In ihr waren gewissermaßen zwei kämpfende Heere, die sich wechselweise in die Flucht schlugen. Ich sagte nie etwas; aber ich wußte ganz genau, wie es jeden Augenblick, wo wir beisammen waren, um sie stand, und jedes kleine Krümchen Dankbarkeit pickte ich auf wie ein dankbarer Vogel.

Am Abend bevor sie starb, war sie so blaß und still. Als ich ihr Haar streicheln wollte, stieß sie wieder meine Hand fort; aber gleich darauf füßte sie mich.

Sonst war ich es, die sie morgens wecken mußte; als die Weckuhr aber um halb fünf Uhr Alarm machte und ich die Lampe anzündete, sah ich, daß sie wach war. Es thut hier am Herzen so weh, Mutter!" sagte sie. Sie sah furchtbar frant aus; mir wurde übel und ich sagte, fie folle liegen bleiben.

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Nein, ich will nicht allein sein!" rief sie beinahe angstvoll aus.

So ging fie denn wie gewöhnlich mit aufs Bureau. Aber ich konnte meine Angst nicht los werden. An der Straßenecke, wo wir uns zu trennen pflegten, begegneten wir der Frau, die das große Morgenblatt austrägt. Wir Zeitungsträger kennen uns, selbst wenn wir nicht mit demselben Blatt gehen, und leisten uns je nach Zeit und Gelegenheit immer eine kleine Handreichung.

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Lassen Sie meine Tochter mit Ihnen gehen, Madame Prip," sagte ich. Prip," sagte ich. Ihr ist nicht wol.".

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Das hat die Jungfer so oft getan," antwortete sie. Wir haben ja beinahe einen Weg, und wenn wir in dasselbe Haus müssen, nimmt eine von uns beide

Blätter mit."

So ging fie denn mit der Frau. Ohne mir etwas dabei zu denken, blieb ich stehen und sah ihnen bis dahin nach, wo die Straße abbiegt. Ich sollte sie lebend nicht wiedersehen!

Als sie ein paar Straßen zusammen gegangen waren, wurde sie plößlich weiß wie Kalk, packte den Arm der fremden Frau, sah sie mit schon gebrochenen Augen an und sagte:

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Mutter, ich sterbe!"

Und dann fank sie tot auf dem Steinpflaster um. Als ich spät am Vormittag nach Hause kam, stand die ehrliche Madame Prip mit Tränen da und wartete mit Ich ließ die Leiche bringen. der Nachricht auf mich. Der Arzt erklärte, daß das Herz gebrochen sei und erklärte, daß solche Art Schwächen oft verborgen vorhanden sein könnten.

Sie stützte sich auf den Arm der fremden Fran, als sie starb, gnädige Frau! Gerade deshalb machen ihre legten Worte mich so stolz und glücklich. Es kämpfte fortwährend in ihr, wie ich Ihnen schon sagte; es fämpfte noch am leßten Morgen, als wir zusammen fortgingen. Aber als sie fühlte, daß sie sterben müsse, wanten ihre Gedanken sich doch zu der, die sie seit ihrer Kindheit ge= liebt nicht zu ihm, dem fremden Menschen. In ihrer Verwirrung glaubte sie, daß Madame Prip ich sei. Ihr letter Gedanke gehörte mir, gnädige Frau! Von dem Echat zehre ich für den Rest meines Lebens."

Sie stellte die Laffe auf den Küchentisch.

„Ich fürchte, daß der Kanzleirat drüben nach seiner Zeitung verlangt," sagte sie. „Beständig umher zu streichen, das ist nun mein Loos geworden! Aber die Mühseligkeiten des Lebens find vielleicht zu etwas gut; fie hindern einen zu tief zu denken. Gute Nacht, und besten Dank!"

Dann nahm sie ihre Tasche und ging fort mit einer Miene, die beinahe zufrieden war.

Traumglück.

Grau scheint der Tag durch die Gardinen,
Erbarmungslos ruft er mich wach;
Es schwirren gleich geschäft'gen Bienen
Die Sorgen durch mein Schlafgemach.

Jedoch das Glück, das ich versäumte,
Da noch mein Weg in Sonne lag,
Und diese Nacht als Märchen träumte,
Durchleuchtet nun den grauen Tag!
Getrost mag seine Kette tragen
Der Sklave durch den Erdenraum,
Vergönnt ein Gott nach harten Tagen.
Ihm solchen Schlummer! solchen Traum!
Wiesbaden.
Helene v Gözendorff-Grabowsti.

Litterarische Neuigkeiten.

Alfred Friedmann: Schnell reich. Berlin, Rosenbaum und Hart, 1891.

Daß der Verfasser mit Erfolg etwas griechische Mythologie_getrieben und über eine ziemliche Fülle schmückender Beiwörter, paffender und unpassender, gebietet, war bereits bekannt Namentlich im ersten Drittel des vorliegenden Buches zeigt sich das wieder mit ́aufdringlicher Deutlichkeit. Das Buch handelt von der Verheiratung dreier Geheimratstöchter und eines Schauspielers. Es ist schade, daß Friedmann nicht Professor der Ethit ist, sonst würde die Geschichte der Moralphilosophie sicher um ein interessantes Buch über komische Verpflichtungen reicher werden. Ein leichtsinniger Schauspieler hat in seinen Ferien ein flüchtiges Liebesverhältnis mit einem Landmädchen, das sich ihm in widerlicher Weise an den Hals wirft, ohne daß sie jedoch mehr als seine heimliche Braut wird. Er geht fort, verlobt sich in Berlin mit einem Mädchen, das er offenbar liebt; da kommt die kleine Ahlbeckerin nach Berlin und vergiftet sich in seiner Wohnung. Der Arzt erweckt sie wieder zum Leben, und aus diesem Selbstmorde leitet nun der Herr für sich die Verpflichtung ab fie zu heiraten. Alle Beteiligten stehen auf der gleichen Stufe fitt lichen Empfindens. Drei Selbstmorde, ein Verfallen in Irrfinn nebst Heilung durch ein Nervenfieber, bringen das eine Kettchen Handlung zu einem befriedigenden Abschluß. Die anderen vier Kettchen endigen in vier Hochzeitsknoten. Der Sumpf des Lebens wird dargestellt unter dem Bilde einiger zünftiger Realisten und eine Messerspite Sozialismus. Eine Reihe unmöglicher geschraubter Gespräche und fader Salonwiße sorgen für einige Erheiterung. Das erste Drittel steht auf der Höhe eines Kolportageromanes. Dann wird es ein wenig besser.

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A. L.

Friz Wazlawik. Raum und Stoff, das Negative und Positive der Natur zur Grundlage einer Ursachenwissenschaft, Berlin 1891. Ch. Cläfen & Co. Gr. 8", 3 G.

Ein offenbar noch sehr jugendlicher Laie, der von wissenschaftlicher Metaphyfit so wenig versteht, wie von positiver Naturforschung versucht mit findischer Anmaßung der kommenden Wissenschaft die Pfade zu weisen. Er ist noch so naiv, zu glauben, daß jeder unserer Begriffe in der transszendenten Welt auch wirklich eine Entsprechung habe. „Gegenfäße“ sind ihm nicht eine Form unseres Denkens, sondern etwas Wirkliches. Vorgänge und Werturteile, z. B. Kälte und Wärme, Gut und Böse, Schön und Häßlich sind ihm Gegenfäße", und aus ihrem Vorhandensein sollen wir sehen, daß Gegensätze auf allen Gebieten der Natur herrschen. Selbst für einen Laien bedenkliche Denkunreife. Einige Jahre Studium der neueren Philosophie wirken in solch einem Falle fast immer fördernd.

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Otto F. Lachmann: Die Bekenntnisse des heiligen Augustinus. Uebersegt, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen. Leipzig. (Reclam.)

Die beinahe unentbehrlich gewordene Universalbibliothek von Philipp Reclam bringt in Nr. 2791-91 ein merkwürdiges Buch in neuer Uebersetzung: Die Bekenntnisse des heiligen Augustinus. Das ist um so mehr anzuerkennen, als das einst so viel gerühmte Werk schwerlich die Menge Leser finden wird, auf welche die Universalbibliothek rechnen muß. Denn der geniale afrikanische Bischof, der mit seinen übrigen Werken den Katholizismus eigentlich begründet und mit seinen Bekenntnissen glaubensbedürftigen Gemütern des Mittelalters einen Wegweiser geschenkt hat, ist doch im Grunde immer ein Prediger, und es ist nicht jedermanns Sache, die geistreichen und tiefsinnigen Einfälle des Mannes aus seinent rhetorischen' Schwulst herauszulösen. Die Ausgabe zeichnet sich namentlich von der von Merschmann durch eine weniger theologische Sprache und durch sehr nüßliche Anmerkungen aus.

Kuno Fischer: Schillerschriften 2: Schiller als Komiter. 2. neubearbeitete und vermehrte Auflage. Heidelberg. Carl Winters Universitätsbuchhandlung, 1891.

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Dieses 2. Bändchen der Fischerschen Schillerschriften ist die Neubearbeitung eines Vortrages, den der Verfasser vor etwa 30 Jahren in Jena gehalten hat. Der Titel ist nicht gut gewählt; nicht Schiller als Komiker, als Lustspieldichter will Fischer analysiren, sondern die Fülle komischer Gebilde, die in die Zeitabschnitte von Schillers dichterischer Entwickelung ungleichmäßig verteilt sind. Fischer geht von dem Gedanken aus, daß im Pathos Schillers die Urquelle seiner komischen Schöpfungen liegt, und in der klaren durchsichtigen Erörterung dieses Sabes liegt der eigentliche Wert der Schrift. Das heroisch-pathetische Empfinden Schillers, fein leidenschaftlich gehobenes Selbstgefühl, der Zorn gegen das schlappe Jahrhundert haben in ihm die leidenschaftliche, die zürnende Satire geweckt, die den Gegenstand ihres Zornes bis zur wesenlosen Nichtigkeit entblößt und spottend vernichtet." Der feurige Ausbruch pathetischen Zornes schuf die komischen Elemente in Schillers Dichtung. Schillers Vernichtungskampf gegen das Gemeine, Philiströse, Frivole, Dumm-Stolze fand in der äßenden Satire die beste Waffe. Seinen Gegner vor aller Welt lächerlich machen, heißt ihn gründlich vernichten, indem dieser nicht allein in seinem Dasein, sondern in der Vorstellung der Menschen getötet, d. h. entwertet, sein Unwert allen klar vor Augen geführt wird. So ist die spielende Vernichtung der Satire die gründlichste, sie ist für die Leidenschaft die größte Befriedigung, also auch die größte Befreiung." Mit furzen Worten wird darauf hingewiesen, daß Shakespeare aus diesen Empfindungen heraus seine quellfrischen, gerade durch ihre Tragikomik uns wie mit Geisterhand berührenden Dichtungen schuf. Diese feinsinnigen Betrachtungen Fischers sollten unsere aufstrebenden Dramatiker nicht ungelesen lassen. In den vom Pathos getragenen Jugendwerken Schillers gedieh die Saat des Komischen am üppigsten. Fischer teilt die Reihe der komischen Gebilde in zwei der Zeit nach getrennte Gruppen: die erste fällt in die Jahre 1780-83, die zweite in die Jahre 1796-99. Der fernere Inhalt der Schrift besteht in der eingehenden, oft allerdings zu weit gehenden Besprechung der einzelnen Beispiele. Von der Besprechung der satirischen Gedichte in der Anthologie auf das Jahr 1782, sowie im Museum-Almanach für 1797, in denen sich in kurzen Epigrammen und beißenden Sentenzen eine scharfe, feinzugespiste Satire weidlich üben konnte, geht er über zu Charakterisirungen der komischen dramatischen Figuren Hier hat die Satire eine kraftvolle, dramatische Ausprägung. Von den Räubern bis zur Wallenstein-Trilogie werden uns die alten guten Bekannten vorgeführt, der Spiegelberg, der Mohr im Fiesto, der Stadtmusikant Müller, der Hofmarschall von Kalb, die Wallensteiner im Lager, samt ihrem Kapuziner, der Tiefenbach in den Piccolomini und die Mörder Wallensteins. Mag auch die Ausführung hier und da zu weit führen, so gewährt die Lektüre doch einen Genuß. So klar, so warm, so humorvoll durchleuchtet weiß Fischer zu schreiben, daß man nicht ohne Dank diesem neuen wertvollen Beitrag zur Charakteristik der Persönlichkeit und des künstlerischen Schaffens Schillers weglegen kann. In Schillers späteren Werken ist das komische Element gänzlich verschwunden, in der Maria Stuart, der Jungfrau von Orleans, der Braut von Messina und Wilhelm Tell. Seinen späteren künstlerischen Grundfägen widersprach die Vermischung des Komischen mit dem Tragischen. Die Reinheit der antiken Kunst schwebte ihm als Vorbild vor. habe große Lust," schreibt er an Körner, mich nunmehr in der einfachen Tragödie nach der strengsten griechischen Form zu versuchen". Schiller ließ sich durch diesen kunsttheoretischen Irrtum eines der stärksten Mittel dramatischer Bühnenwirksamkeit entgehen.

Verlag von F. & P. Lehmann, Berlin W., Körnerstr. 2.

Dr. Paul Kühn.

Ich

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Erscheint jeden Sonnabend. — Preis 4 Mart vierteljährlich. Bestellungen werden von jeder Buchhandlung, jedem Postamt (Nr. 3589 der Postzeitungsliste), sowie vom Verlage des „Magazins" entgegengenommen. Anzeigen 40 Pfg. die dreigespaltene Petitzeile. Preiß der Einzelnummer: 40 Pfg. &

60. Jahrgang.

Berlin, den 27. Juni 1891.

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Nr. 26.

Dr. Albrecht Schüße: Internationale Kunstausstellung
Ernst
A. Lauenstein: Der Ruf nach Individualität.

Anhalt: Heinz Tovote: Das Modell. in Berlin. IV. – Ludwig Fulda: Sinngedichte. Wichert: Nationaldank für die bildenden Künste. Friz Mauthner: Eine Unterlaffungsfünde. Anton Tschechow: Kinder. Litterarische Chronik. Litterarische Neuigkeiten: Eduard Engels „Ausgewiesen“, besprochen von E. Höber; Grottewiß' „Neues Leben“, besprochen von Fr. Servaes.

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Auszugsweiser Nachdruck sämmtlicher Artikel, außzer den novellistischen und dramatischen, unter genauer Quellenangabe gestattet. Unbefugter Nachdruck wird auf Grund der Gesetze und Verträge verfolgt.

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Gewiß, sehr gut, sagt der. Habe schon früher viel im Hause ihres Vaters verkehrt. Ihre Mutter ist eine Jugendfreundin der meinen. Jezt haben wir sogar unsere Ateliers auf einem Flur. Sie arbeitet wieder an einer großen Leinwand, sie hat sich ganz in den Hamlet_vernarrt, aber die Gesichter unserer Schauspieler in dieser Rolle gefallen ihr nicht. Sie sucht jest nach einem passenden Modell. Die notwendige Ophelia hat sie schon. Uebrigens muß man ihr lassen, daß sie in der Haltung der beiden zu einander eine originelle Leistung geschaffen hat. Jetzt kommt aber alles auf den richtigen Hamlet kopf an. Der muß dem ganzen erst die Seele geben. Da brauchen Sie doch nicht weit zu suchen. Gefallen können Sie ihr schon tun. Sehen Sie sich einmal unseren Waldemar an. Was sagen Sie zu dem? — Es wäre herrlich. Ich könnte mir wenigstens nichts besseres wünschen.

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Und dabei sahen sie mich alle an und prüften mich auf meine Modellfähigkeit hin. Ich mußte mir das ruhig gefallen lassen. Das Resultat war trog meines Sträubens und der Versicherung des Gegenteils meiner seits ein sehr günstiges.

Ja, alter Freund, sagte Franz, wie wäre es, foll ich Sie bei Karla von Trauniß einführen? Sie würden ein junges Mädchen kennen lernen, wie es so leicht kein zweites giebt. Wahrhaftig, wäre ich nicht längst verheiratet, ich

würde mich schnurstracks in sie verlieben. Hätten Sie nicht Lust zu einem kleinen Abenteuer?

Aber troß allem Zureden blieb ich fest und wies das Anerbieten und Zuraten der Freunde ab.

So schnell konnte ich jedoch nicht von dem Gedanken abkommen, und als ich mit Franz allein nach Hause wanderte, der mir von Karla vorschwärmte, wurde mein Entschluß doch wankend; denn ich wußte, Franz hatte einen ausgezeichneten Geschmack, und eine derartige Bekanntschaft würde sich schon lohnen. Bald jedoch ließ ich den Gedanken wieder fallen. Ich würde sie schon einmal auf andere Weise kennen lernen. Das Modellsigen widerstrebt mir. Ich habe es eigentlich nie recht begreifen können, wie so viele Personen selbst in hochgeachteter Lebensstellung zuweilen geradezu begierig sind, einem Maler als Modell zu dienen. Es ist ja meist kleinliche Eitelkeit und nur selten Interesse für die Kunst. Nun, und ich hielt es für kein Verderben derselben, wenn ich mich Fräulein von Trauniß nicht anbot, ihr zur Vollendung einer künstlerischen Idee zu dienen.

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Während die Zeit verging, vergingen auch mir derartige Gedanken, und bald hatte ich die ganze Angelegenheit vergessen.

Da schlenderte ich einst mit Franz Unter den Linden

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Ich, in der Freude meines Herzens, mußte nun noch neben ihm hergehen und ihm zuhören. Anfänglich hörte ich nichts von allem, was er sprach. Ich dachte nur an das schöne Mädchen, das ich eben gesehen.

Zu Hause angelangt, überdachte ich mir den Fall noch einmal ganz genau, und dabei reifte ein abenteuer licher Entschluß.

Es war nicht anzunehmen, daß ich sobald mit ihr bekannt wurde. Ich mußte mich jedenfalls auf Franz verlassen. Würde er mich ihr nun aber vorstellen als geeignetes Modell zu ihrem geplanten Bilde, so lag

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Ich eilte zu Franz und seßte ihm meinen Plan auseinander, dem er nach kurzem Bedenken beistimmte.

Er begab sich alsbald zu Fräulein von Traunit und erzählte ihr, er habe durch Verwenden eines Bekannten ein vortreffliches Modell gefunden. Es sei ein augenblicklich stellenloser Schreiber, der wie geschaffen zu diesem Zwecke sei. Wir hatten nämlich erst lange.gegrübelt, bis wir eine geeignete Stellung für mich fanden. Irgend ein Handwerk zu nehmen, war gefährlich. Man hätte leicht von mir die Ausübung desselben verlangen können. So waren wir zuletzt auf einen Schreiber verfallen, was ja auch am glaubwürdigsten scheinen konnte.

Bald war das nötige Kostüm herbeigeschafft. Ein langer, abgetragener schwarzer Rock, gleiche Beinkleider, eine entseßliche Kravatte bei einem zerknitterten Kragen, der ehemals weiß gewesen sein konnte, waren meine Ausrüstung; dazu kam ein ebenso natürlicher, alter Hut. Nun ließ ich mir noch meine Haare schwarz färben, nachdem sie ziemlich lang gewachsen waren. Du siehst, dort auf dem Bilde bin ich kohlpechrabenschwarz.

Mit all diesen Vorbereitungen ging eine ziemliche Zeit hin, bis der ereignisvolle Tag herannahte. Ich hatte mich in meine Rolle vollkommen hineingedacht, und wenn ich mich in dem Spiegel sah, erkannte ich mich in meiner Verkleidung kaum wieder. Und doch hatte ich eine entsegliche Angst. Mein Herz schlug zum Zerspringen, als ich mit Franz die vier Treppen zu ihrem Atelier hinaufstieg. Mir war ängstlicher zu Mute, als einem Anfänger, der zu seinem ersten Verbrechen schleicht. Würde ich mich auch nicht verraten? Ein einziges Wort, eine Bewegung konnte meine Maske aufdecken.

Ich hatte mir alles einstudirt. Meine Bewegungen, vor allem die linkische Verbeugung, die ich machen wollte, meine Sprache ich hatte stundenlang Sprachübungen gemacht, was ich ihr auf gewisse unabwendbare Fragen antworten solle.

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Verlegenheit brauchte ich nicht zu heucheln, der seltsame Anzug, die komische Situation, die zugleich die Gefahr einer Entdeckung in sich schloß, raubten mir alle Haltung. Ich war schüchtern, wie es nur eine arme, verhungerte Schreiberseele sein kann, die in solch eine Situation hinein versezt wird.

Vor der Türe noch wollte ich umkehren, aber Franz hatte schon geschellt und hielt mich am Arme fest.

Dann standen wir in dem großen Raume, ein Atelier, wie jedes andere, nur daß man überall das Walten einer Frauenhand wahrnahm. In der Mitte

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