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die alle Elemente enthalten, die die Zeit in ihren intereffantesten und rätselhaftesten Individualitätsprodukten durcheinander rührt.

Aus demselben Grunde werden auch solche Schöpfungen des Dichters niemals reine pathologische Phänomene sein fönnen. Es ist ja gerade seine Aufgabe, die Halbtöne, die Uebergangslichtbrechungen, die Beleuchtungen im physioLogischen Farbenspiel darzustellen, durch welche die fategortschen Urteile des Moralisten ebenso in Zweifel gestellt werden, wie die positiven Gruppirungsbestrebungen des Forschers, das schwebende Lichtspiel zwischen reiner Nor malität und reiner Abnormität, zwischen Trivialität und -Spuk, zwischen dem, was alle kennen und dem, was niemand ahut, anschaulich zu machen. Auf diesem Grenz gebiet bewegen sich nach meiner Ueberzeugung alle die Gestalten, mit denen es die echte Dichtung zu tun gehabt hat; sie sind das Heimatland des Dichtergeistes, seine eigentliche Stätte, und für sie hat das Wort: Gesichte seine doppelte Bedeutung.

Noch einen Gesichtspunkt, den in der zeitgenössischen Kritik fo gerne angewanten Vorwurf über Pathologie in der Dichtung betreffend, möchte ich hervorheben. Wenn einer der Menschen, die wir um uns sehen, unter denen wir leben, mit denen wir vielleicht durch intime Bande verbunden sind,- Menschen, die wir als unseres Gleichen schäßen, lieben, hochachten und bewundern, wenn wir sehen, wie ein solcher Mensch unwiderstehlich aus seiner Bahn getrieben wird durch Dispositionen und Impulse, | von denen wir nichts kennen außer ihrer Allmacht, und von denen wir nichts ahnen, außer daß sie radikal begründet sein müssen, was für einen Sinn hat es dann eigentlich, ein solches Menschenschicksal als pathologisch abzustempeln und es daraufhin aus der Dichtung zu verbannen? Wenn eine Zeitströmung bis in das Centrale der Menschenuatur hinabdringt und umformt, was das Wesen ist, z. B. am Weibe das Geschlecht, muß dann nicht der Dichter gerade die Erscheinungen schildern, die deswegen nicht aufgehört haben, der Mittelpunkt im Menschen leben zu sein, weil sie ihre Form gewechselt haben und in ihrer neuen Art Verwantschaft mit den Erscheinungen verraten, die auf der Rückseite der Natur gedeihen. Und schließlich erst wenn wir diesen Boden, den intimist menschlichen, aufgeackert haben und auf die Begriffstölpelei: Mensch und Tier und Tierisches und Menschliches mit Scham zurücksehen, erst dann werden wir in das Geheimnis blicken, wie viel Abnormität, wieviel pathologische Belastung an unseren Moralbegriffen, unserer Menschenauffaffung mit gearbeitet hat, und dann wird die Forschung in den Spuren des Dichters gehen.

Aus der polnischen Erzählungslitteratur.

Bon

Arthur Leist.

Seit mehreren Jahrzehnten besißen die Polen eine stattliche Reihe von interessanten und begabten Erzählern, von denen manche auch im Auslande eine verdiente Anerkennung gefunden haben, aber der Einfluß derselben ist bis jetzt nur innerhalb der polnischen Sprachgrenzen von Belang gewesen und hat sich in keiner der Nachbarlitteraturen bemerkbar gemacht. Selbst die gewiß weit über dem Mittelmaß stehenden Romanschriftsteller Heinrich Sienkiewicz und Elisa Orzeszko tönnen sich nicht rühmen, in irgend welcher Weise auf fremde Litteraturen eingewirkt zu haben. Der Ausländer wird ihre

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Werke geistreich und unterhaltend finden, oft die scharfe Beobachtungsgabe der Verfasser bewundern, aber neue Gefühls= werte oder die Gährungsideen einer neuen ethischen Richtung wird er vergebens in ihnen suchen. Das Grübeln sowie das Sache zu sein, obgleich es andererseits nicht zu leugnen ist, daß Weiterentwickeln von Lebensgrundsäßen scheint nicht der Polen sie alle philosophischen Errungenschaften des Auslandes mit gutem Verständnis sich zu eigen zu machen wissen und ihren nationalen Anschauungen gemäß umgestalten. Bei zahlreichen polnischen Schriftstellern wird man eine klare und scharfe Auffassung menschlicher Dinge wahrnehmen, aber auch oft die Bertiefung der aus der Beobachtung entstandenen Ideen vermissen. An schwierige seelische Probleme wagen sie sich nur selten heran, und wenn sie es tun, verfallen sie leicht in die besonders die schriftstellernden Frauen und auch manche Lustberpönte Belehrungsmanie und fangen zu deklamiren an, worin spieldichter Großes leisten. ist die schwache Seite der zeitgenössischen polnischen ErPsychologische Oberflächlichkeit zählungslitteratur, außerdem hat dieselbe aber noch einen andern Makel, der mehr die Form betrifft. Viele der neueren Erzähler schreiben nach einer Manier, die nicht die thrige zu sein scheint; sie haben irgend ein Vorbild vor Augen, dem fie ihren Stoff anzupassen suchen. Diese Unfreiheit schimmert oft durch die Zeilen hindurch und drückt dem Erzählten den Stempel des Gemachten auf, während es doch wahr und wie aus der lang war es der Naturalismus, dem einige nachgingen, ohne Wirklichkeit aufs Papier übertragen scheinen soll. Eine Zeit jedoch auf diesem Gebiete Hervorragendes zu leisten, denn wie gesagt, sie arbeiteten nach Schemen und hielten sich mehr an die Form als an die gegenständliche Ausnüßung ihres Stoffes. Dank dieser oberflächlichen Behandlung desselben und einer allzu tendenztösen Einseitigkeit hat der polnische Naturalismus nur Mittelmäßiges hervorgebracht, und da ihm die Leserwelt ziemlich schroff entgegentrat, ist er bald aufgegeben worden. Selbst der unstreitig talentvollste polnische Romanschriftsteller Sienkiewicz hat seinen Versuch, auch einmal recht naturalistisch zu sein, bereuen müssen. Seine Novelle Diese Dritte" (Ta Trzecia), die er nach seinen historischen Romanen „Mit Feuer und Schwert", Die Sturmflut" und Herr Wolodyjowski" in die Welt schickte, ist als mißlungen zu betrachten und steht keineswegs auf der Höhe seiner früheren Novellen. Er ließ in derselben seinem Humor allzusehr die Zügel schießen, und in der Sucht immer wißig zu sein, verfiel er ins Abgeschmackte. Gegenwärtig ist die polnische Erzählungslitteratur in einen gesunden Realismus zurückgetreten, the Erzeugnisse zeigen eine maßvolle interessante Erscheinungen des nationalen Lebens an den Tag Verbreitung von Licht und Schatten, ohne jedoch besonders zu bringen. Die meisten Schriftsteller sind allerdings bestrebt, moderne Menschen und die Wandlungen des modernen Lebens zu schildern; aber bei alledem kommt viel Altes und längst Erzähltes heraus. Sienkiewicz's neuester Roman „Ohne Grunda" (Bez dogmatu), der gegenwärtig in der warschauer Zei= tung Slowo erscheint, darf hiervon ausgenommen werden; aber da er noch nicht beendigt ist, ist es schwer, ihn schon in seiner ganzen Tragweite zu beurteilen. Auch Boleslam Brus, der vortrefflich und humorvoll schreibt und bereits in einer ganzen Reihe von Romanen und Novellen manchen Krebsschaden der unteren Volksklassen aufgedeckt hat, versteht es, dem laufenden Leben seine intimeren Regungen abzulauschen und Bilder der neuesten Wirklichkeit zu schaffen. Elisa Orzeszko, die in lepterer Zeit mit Vorliebe die stark realistisch gefärbte Novelle pflegt, steht den beiden obengenannten Schriftstellern feineswegs nach, und als Menschenkennerin mag sie Prus wohl gar übertreffen. Ihre Charakteristik ist immer geschickt und reich an sogenannten Dokumenten, aber da die von ihr geschilderten Lebensbilder meistens sehr trübe sind und den Gegensatz alles Idealen hervorkehren, wird einem nicht wohl dabei und man liest sie nicht gern zum zweiten Male. Auch thr gegenwärtig im warschauer Tygodnik Ilustrowany" erscheinender Roman Die böse Sieben" (Jendza) schildert ein Stück sehr düstern Lebens, enthält aber eine ganze Reihe vortrefflich) gelungener Genrebilder im vlämischen Stile. In der leßteren Art letstet auch Vinzenz Kosiatiewicz Bedeutendes. Seine meistens nur kurzen Novellen lösen zwar keinerlet ethische oder gesellschaftliche Probleme, aber sie führen intereffante Menschen in verschiedenen Lebenslagen vor und zeugen von einer feinen Beobachtungsgabe des Verfassers. Kosiakiewicz

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huscht nicht wie viele andere über die psychologischen Schwierigfeiten hinweg, er dringt ein in das Menschengemüt, sucht seinen Regungen auf die Spur zu kommen und das, was er erzählt, zu begründen und glaubwürdig zu machen. Von den jüngeren polnischen Erzählern ist er ohne Zweifel der gründlichste Psychologe und besißt poetisches Bartgefühl, dessen sich nur wenige Anhänger der realistischen Schule rühmen dürfen, Farbenreich und sorgfältig im Malen der Situationen ist Sewer, der besonders in seinen Dorfgeschichten Vorzügliches geleistet hat. Er schildert die Bauern wie sie leiben und leben, hütet sich jedoch vor düsterer Trockenheit und durchwebt jedes seiner hübschen Stimmungsbilder mit einem poetischen Naturglanze, der seinen Erzählungen einen eigentümlichen Reiz verleiht. Solche Werke wie Sewers Dorfgeschichten liest jeder gern zwei oder dreimal durch, denn erstens packt einen ihr gesunder Realismus und zweitens findet man in ihnen eine erquickende, nichts Krankhaftes an sich habende Naturpoesie. Viel Mache und Oberflächlichkeit sowie cine an die Manier der romantischen Blaustrümpfe erinnernde Erfindungskunst läßt sich in den Romanen der ziemlich fruchtbaren Marie Rodziewicz wahr nehmen. Schon der Umstand, daß sie ihren Stoff aus allen Ecken und Enden hervorholt und bei diesem Suchen auf ziemlich fremde Gebiete gerät, erschwert ihr die gründliche, realistisch treue Verarbeitung desselben. Sie erzählte fließend und an genehm, aber tiefer blickende Leser wird sie kaum befriedigen können. Neben ihr steht eine ansehnliche Schaar schriftstellernder Frauen und Jungfern, die alle viel zu sagen haben, manchmal recht hübsch deklamiren, jedoch immer noch den Kunstgeseßent einer überwundenen Romantik huldigen. Selbst die Dichterin Marie Konopnicka, die vor einem Dußend Jahren als Lyrikerin einen ganz guten Anlauf nahm, ist als Novellistin zum über schwenglichen Blaustrumpfe geworden. Mit den hier erwähnten Erzählern ist die Reihe derjenigen, die einer Erwähnung wert find, keineswegs abgeschlossen, aber da dieser Aussat nur eine allgemeine Charakterisirung der gegenwärtigen polnischen Erzählungslitteratur zum Zweck hat, will ich hier innehalten. Vertreter neuer Ideen und Lebensanschauungen sind auch unter den andern nicht zu finden, ihre Bedeutung ist cine nur Litterarische und überragt nicht die Grenzen des polnischen Schrifitums. Der Einfluß des letteren auf das Ausland ist auch in früheren Zeiten, da die Polen geniale Dichter wie Mickiewicz und Slowacki besaßen, ein sehr beschränkter ge= wesen und erstreckte sich nur und dazu noch in geringem Maße auf die verwanten Slavenvölker. Ob er in Zukunft nachhaltiger werden wird, ist eine Frage, die sich nicht leicht beantworten läßt, und im übrigen find ja in unserer gegen= wärtigen llebergangsperiode alle litterarischen Rückwirkungen von kurzer Dauer und werden vielleicht einst in der Geschichte der Weltlitteratur sehr wenig Beachtung finden. Ich meine also, daß sich die Polen über ihre Ignorirung auf litterarischem Gebiete nicht allzusehr beklagen, umsomehr, da sich ihr Schrift tum troßdem fräftig fortentwickelt und sich eine Grundlage schafft, auf der neue Geistessaaten ganz gut gedeihen können. In den schönen Künsten, hesonders in der Malerei entwickeln fie mit jedem Jahre eine immer regere Tätigkeit und zeigen eine eigenartige Schaffenstraft, die ihre Ausstellungen in nicht ferner Zeit vielleicht den ersten in ganz Europa an die Seite stellen wird. Die Bedeutung, die sie sich in der Litteratur noch nicht errungen haben, wird ihnen möglicher Weise leichter in der Kunst zufallen und sie für die bescheidene Rolle, die sie bisher in der Weltlitteratur spielten, zur Genüge entschädigen. Die Völker sind einmal nicht gleich beschaffen und haben auch im Bereiche der höheren Schaffenstraft und Gabe ihre Eigenheiten. Tie Holländer hatten z. B. eine bis an das Höchste reichende Kunst, während ihre litterarischen Erzeugnisse nur wenig auf der Wag= schale der Weltlitteratur wiegen. Die Epanier haben in der Kunst und Litteratur Großes und Dauerndes geleistet, aber in der Philosophie und den Wissenschaften immer nur von den Errungenschaften anderer Völker gelebt. Mit dem Fortschreiten der noch in der Wiege liegenden Völkerpsychologie wird sich in dieser Hinsicht manches aufklären. Es wäre Zeit, daß diese neue Wissenschaft auf das Gebiet der Kunst und Litteratur übertragen würde.

Paul Beyfes Schlimme Brüder" *)

Von

Fritz Mauthner.

Das Litteratengeschlecht, welches gegenwärtig und körperlich in der Blüte seiner Jahre steht, hat sich von Paul Heyse abgewant. Kein anderer Dichter der ablaufenden Epoche ist von den jüngeren Leuten so viel gekränkt, so boshaft und persönlich angegriffen worden wie Paul Heyse. Heyse ist eine vortreffliche Zielscheibe, sowohl durch seine hohe Stellung, als auch durch das Licht, das er durch Jahrzehnte auf sich vercinigt hat. Vielleicht kamen noch Zufälligkeiten hinzu, um die Angreifer gegen seine Person besonders zu reizen. Er. steht über den Parteien; er ist den Konservativen als der Dichter der Sinnlichkeit und als Freigeist verhaßt, und den Demokraten von jeher etiva wie ein diplomätischer Hofmann nicht recht geheuer. Dazu kommt, daß er sich von dem angenehmen Verfehr der in der deutschen Reichshauptstadt mitlebenden deutschen Schriftsteller troß seines berliner Ursprungs fernhält und dafür seinen Sitz in München aufgeschlagen hat, wo das sogenannte jüngste Deutschland die große Waschküche des Feldlagers errichtet hat. Und da sprißt es denn herum, und es ist nicht immer Seifenschaum was sprißt.

Ich habe diesen Zorn gegen Heyse niemals verstehen können. Ich bin zwar, wie ich glaube, noch keiner von den alten Herren und zähle mich selbst zu den „Modernen“, wenn ich auch für den Büßendienst der Moderne" fein aber daß man seine Lehrer rechtes Verständnis habe, prügeln müsse, weil man nicht mehr in die Schule gehen will. daß scheint mir doch eine gewisse Ungerechtigkeit zu sein. Ez giebt ja in der Südsee lleine Volksstämme, welche ihre alten Semester, Herren und Damen, totschlagen, und, glaab' ich, auch aufessen. Nun ist es doch sehr fraglich, ob Deutschland durch Nachahmung solcher Kultur wesentlich gewinnen würde. Auch meine ich, daß selbst unter diesen vorurteilsfreien Völkern die großen Medizinmänner am chesten geschont werden. Wer sechzig Jahre lang auf seine Volksgenossen Zauber ausgeübt hat, den sollten die jungen Kandidaten des Zaubererstandes erst recht nicht aufcffen, denn: Hirtenknave, Hirtenfnabe! Wenn aber das Bild vom Bezauberer und Medizinmann schon zu romantisch erscheinen sollte, so fann ich auch mit einem realistischen aufwarten. Hat da ein Bäcker= meister sechzig Jahre lang schöne weiße und knusprige Semmeln gebacken. Nun hören auf einmal die Lehrburschen und Laufjungen von neuen Maschinen, mit denen man im Osten dauerhaste und trockene Bisquits zubereitet. Die Lehrburschen und Laufjungen lassen sich so eine Maschine kommen und gründen eine Aktiengesellschaft für trockene Waare. Hat darum der Bäckermeister, der mit den schönen weißen Semmeln, aufgehört ein Meister zu sein? Er wird es bleiben, bis die Gründer der Aktiengesellschaft ihn selbst nach der Sitte der Südsee in seinen Backofen hineingeschoben haben.

Dies zur Beruhigung meines Gewissens, welches selbst die zwecklose Schöpferkraft eines Heyse denn doch mehr_ver= ehrt als den richtigen Kalkül der Truppe, welche mit geringen Kräften einem guten und klar erkannten Ziele zustrebt.

In ein anderes Kapitel gehört Heyses eigensinniges Beharren bei der dramatischen Produktion. Das vierundzwanzigste Bändchen der dramatischen Dichtungen liegt nun vor. Und da

*) Dramatische Dichtungen. Vierundzwanzigstes Bändchen. Schauspiel in vier Akten und einem Vorspiel von Paul Heyse. Berlin. Verlag von Wilhelm Hertz (Bessersche Buchhandlung) 1891.

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die ersten dramatischen Versuche Heyses in die Sammlung nicht | und Heyse darf nicht zum alten Eisen geworfen werden, weil aufgenommen sind, da ferner einige Bändchen eine Mehrzahl er sich der Mode troßig, zu troßig vielleicht, entgegenstemmt. von Einaktern umfassen, so liegen von Paul Heyse bereits mehr Bezeichnend dafür, wie Heyse nicht unmittelbar an die als dreißig Dramen vor. Die Fruchtbarkeit scheint gering Bühne denkt, ist ein gewisses Versteckspielen, das er mit den gegen die der großen spanischen Theatermeister. Aber unter Personen seines Dramas treibt. Der Teufel heißt im Vorden lebenden Deutschen dürfte kaum einer den berühmten spiel der Quacksalber, dann wieder Doktor Magnus; das mag Novellendichter Hcyse an Zahl der Dramen übertreffen. aber hingehen, weil jeder Leser die Maske sofort durchschaut. Die schlimmen Brüder aber, Hans, Hinz und Heinz heißen im weiteren Verlaufe Ariel, Michael und Gabriel, und so sicher der Zuschauer den Hans im Ariel u. s. w. wiedererkennen würde, wenn der gleiche Schauspieler ihn darstellte, so wird der Leser durch die sechs Namen in bedenklicher Weise verwirrt. Der Inhalt des Stückes aber ist der folgende.

Nun ist aber zu bemerken, daß mit Ausnahme von zwei älteren Schauspielen des Dichters kein cinziges einen dauernden Erfolg auf den Bühnen errungen hat, daß also der gefeierteste deusche Dichter seit Jahren Geist und Kraft und Stimmung bergendet. Und das muß doch gesagt werden, daß unsere Theater keine Schuld trifft, weder die Direktoren noch das Publikum. Es handelt sich bei Heyses Dramen nicht etwa um die schwierigen und von dem Theatermenschen deshalb umgangenen Entwürfe eines rebellirenden Kopfes, sondern um be hagliche Lustspiele im Geschmack der letzten Jahre und um feine, tiefsinnigen Schauspiele. Alles das wird in den größeren Städten aufgeführt, achtungsvoll entgegengenommen und eben so achtungsvoll wieder bei Seite gelegt. Dieses Schicksal trifft unbedeutende Lustspielchen ebenso wie das herrliche Charakterbild „Alkibiades“, der zwar kein guter Dramenheld, aber eine der schönsten Dichtungen Heyses geworden ist. Ueber den leßten Grund dieses betrübenden Schicksals läßt sich bei jedem neuen Bändchen nur wiederholen, was längst empfunden worden ist. Mit der Redensart, Heyse sei kein Dramatiker, ist es nun einmal nicht gethan. - Paul Heyse hat in „Hans Lange" bewiesen, daß er die Bühne gar wol zu beherrschen versteht. Was Heyse aber nicht will oder nicht kann, das ist: beim Schaffen fürs Theater unaufhörlich und mit Selbstverläugnung die Technik des Theaters im Auge behalten. Soll ein Dichter ein erfolg reicher Dramatiker werden, so muß er zugleich das Zeug zu einem Theaterdirektor haben. Und nicht jeder hat das gern. Der Dichter muß nicht nur sein vollendetes Werk als ein guter Regisseur auf die Bühne stellen können, er muß auch während des Schaffens bewußt oder unbewußt — unaufhörlich Negie führen. Er muß im Stande sein, die Gestalten seiner Phantasie immer und unaufhörlich auf die Bühne zu projiziren. Und diese Fähigkeiten eines guten Theaterdirektors scheinen dem. Dichter versagt zu sein, der doch sonst ein eleganter Diplomat ist.

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So zerfallen denn die dramatischen Werke Heyses wesentlich in zwei Abteilungen. Die kleinere Hälfte bilden die Lust spiele, die keinen rechten Daseinsgrund haben, wenn sie auf der Bühne nicht leben können. Die größere Hälfte bilden die Schauspiele und Tragödien, welche nicht aufhören müssen Poesien zu sein, weil sie in Dialogform geschrieben sind. | Das Trauerspiel Alkiblades z. B. müßte von rechtswegen bei der Leserwelt ebenso verbreitet sein wie nur die Meisternovellen des Dichters. Ich stehe nicht an zu versichern, daß ich auch Goethes Iphigenie lieber lese als auf der Bühne sehe. Und Paul Heyse ist doch trok elle dem Goethe gefolgt, einen Saum ergreifend.

Zu den edlen Werken der bedeutenden Gruppe gehört sicherlich auch das Schauspiel „Die schlimmen Brüder", das vor einigen Wochen in einer kleineren Stadt abgelehnt und danach in kurzen Berichten etwas höhnisch abgetan wurde. Es ist aber ein sehr nachdenkliches Buch, und wer sich für Heyse interessirt, sollte es nicht ungelesen lassen. Denn unser Dichter hat viel von seiner Weltanschauung und viel von seinem Zauber hineingelegt. Es scheidet ihn mehr, als was er sonst in den lezten Jahren geschrieben, von der augenblicklichen Litteraturbewegung; aber nicht jeder ist modern, der die Mode mitmacht,

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Der Teufel hat den Kampf gegen den Herrn des Himmels nur so weiter führen zu können geglaubt, daß er drei Söhne in die Welt seßte, den Musiker Hans, den Bildhauer Hinz und den Dichter Heinz. Von diesen verlangt er, daß fie die fromme Herzogin Elisabeth (es ist eigentlich die Landgräfin) verführen sollen. Die Teufelsbuben machen sich mit viel Vergnügen und | mit großer Erfahrung an das Geschäft. Der Musiker und der Bildhauer blizen ab. Nur der Dichter, der ernsthaft liebt und dem die Landgräfin Elisabeth eine platonische Neigung zu schenken beginnt, scheint sich dem Ziele zu nähern. Da kommt der Herzog dazwischen, es werden Theaterschwerter gezückt, und die fromme Frau sinkt durchbohrt nieder. Schon befehren sich die schlimmen Brüder an ihrer Leiche. Da tritt der Teufel wieder auf und weckt Elisabeth zu neuem Leben. Sie soll mit dem Tichter durchbrennen. Sie aber, die die Wonne des Paradicses schon ein wenig vorgekostet hat, stirbt leichten Sinns lieber zum zweiten Male, als daß sie ihren langjährigen Grundsäßen untreu würde. Nun sagen die schlimmen Brüder dem Teufel, der ihr Vater ist, vollends ab, der Teufel verduftet, und der Dichter spricht vor der zweimal Entriffenen:

Nein, nicht umflorten Auges foll

Dein Freund hinschreiten durch des Lebens Auen.
Er darf getrost auf zu den Sternen schauen,
Und wenn vor Sehnsucht ihm der Busen schwoll
Nach dem entrisfnen, überirdisch Schönen,
Soll ihm Gesang das Leid versöhnen,
Dein Bild verewigend liebevoll.

Der Dichter hat es sich nach meinem Gefühl etwas zu bequem gemacht, besonders mit der Idze des Dramas. Ich will ganz offen sein. Wer heute den Teufel in einem poetischen Werk auftreten läßt und ihn durch allerlei Merkmale als ganz schlechten Kerl zeichnet, der sollte sich nicht damit begnügen, ihn zum Feind von Psalmensang und Glockenklang zu machen. Wir hören von Heyse, nur die Herzogin sei fromm und darum suche der Teufel sie zu verführen. Der Feind der frommen Prüderie hat aber von Anfang an unsere Sympathien, was doch Heyse offenbar nicht wollte. Es ist im Ernste nicht modern, dasjenige mit dem alten Glauben zu identifiziren, was ein moderner Satan vernichten will. Ich glaube, Mephisto würde sich in unsern Zeitläuften mit Gretchens Mutter ganz gut verstehen. Der Gegensatz zwischen der Lichtwelt und Beelzebub liegt für uns wie mir scheint, in dem Altruismus, werktätigen Liebe, dem neuen Jdeal und dem Egoismus in uns, dem alten Adam, der doch recht gut orthodox sein kann. So wird die Aufgabe, welche der Teufel gleich dreien seiner Söhne stellt, ein wenig zu klein; ja man möchte fast nach dem alten Rechtsgrundsatz an der Vaterschaft des Teufels zweifeln, wenn man sieht, daß dreien Teufelsbuben nicht gelingt, was sonst wol schon manch liebes Mal ein einziger fertig gebracht hat.

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Man hat diesen schwächlichen Grundgedanken benüßt, um Paul Heyse prüde oder gar fromme Absichten unterzuschieben. Das hieße wol den Dichter beleidigen, der die Kinder der Welt" geschrieben hat. Heyse hat sich eben zufällig in einen Stoff berliebt, der ein reines Weib drei lüderlichen Schelmen gegenüberstellt. Der fromme Zug ist ihr fast nur wie durch einen falschen Pinselstrich gegeben, der sich freilich mit dem Zeitcharakter allein nicht recht entschuldigen läßt; der Personenzettel spricht vom sechszehnten Jahrhundert und die Herzogin ist zeitlos mittelalterlich. Die Wandlung der Teufelsbuben aber in gesittete Menschen mag allerdings aus einem Kampfgefühl des Dichters gegen den deutschen Naturalismus hervorgegangen sein. Da flingen in den letzten Gesprächen der Söhne mit dem Vater allerlei Töne an, als ob der Tichter die Fahne des Idealismus aufpflanzen wollte. Wir haben in Deutschland kaum einen würdigeren Fahnenträger als Paul Heyse. Muß man aber das hohle Wort Ideal auf den Lappeu schreiben? Könnte man nicht ein paar Jahre lang den Wortstreit ruhen lassen und abwarten, was werden wird? Ein Ideal hat am Ende auch der Teufel, und wenn zwei Heere gegen einander rücken, so pflegen sie denselben Namen zum Zeugen ihres Rechts und zum Bürgen ihres Sieges anzurufen. Paul Heyse ist ein Dichter, auch wenn er jetzt im Unrecht ist; und Holz-Sd laf find gegen ihn fleine Leute, auch wenn sie zehn Mal die. richtige Straße betreten haben und auf ihr weiter wandern.

Das Drama Heyses ist nicht teuflisch genug, darum hat es dem Publikum nicht gefallen. Wer nach dem jungen Goethe den Mephistopheles noch einmal auf die Bühne bringen will, der muß den echten Teufel des ersten Teils im Leibe haben, und sich nicht mit der Maske des zweiten Teils begnügen. Heyses Teufel ist nicht wild genug. Und wenn er gar ant Ende seinem Lieblingssohne, dem Dichter, das traurige Schicksal aller Idealisten voraussagt, so fällt er vollends aus der Rolle. Nun wirst verhöhnt Du und verkannt, Als Halbnarr und Phantast verschrieen, Ein Bettler durch die Gassen ziehen,

Unt wenn der goldene Trug der Jugend schwand,
Den ungeheuren Irrtum zu entdecken

Und wie ein armer Hund am Wegesrand
Im Hungerwahnsinn zu verrecken!

Die Verse haben natürlich nicht die geringste Beziehung auf den Dichter, auf den Teutschland stolz und auf den das Ausland neidisch ist. Aber ein leiser Zug von Bitterkeit liegt doch darüber, der mit Heyses litterarischen Epigrammen verwant ist.

Glücklicherweise ist von dieser Vitterkeit keine Spur in der Zeichnung der drei schlimmen Brüder, in denen Heyse vorzüglich und wieder ganz neu sein Lieblingsmotiv behandelt hat, die Werbung des Künstlers um ein Weib. Leute, die garnichts können, wundern sich darüber, daß Heyse das alte Liebesmotiv immer wieder und immer wieder neu zu behandeln versteht. Ja, wir müssen doch froh sein, daß er das kann. In den schlimmen Brüdern sind nicht nur die drei Künstler, sondern auch die, ich möchte fast sagen berufsmäßigen Arten ihrer Weiberverführung ganz meisterlich auseinandergehalten, und der Dichter des Romans Im Paradiese" hat keine seiner Künste vergessen. Jedesfalls ist er nicht nur ein ganzer Dichter, sondern versteht es auch diesmal wieder zu malen und mit dem Wollaut des Worts zu bezaubern. Die Herzogin Elisabeth muß eine sehr feste Dame gewesen sein.

,,Cavalleria rusticana" pong
(Sizilianische Bauernehre).

Oper in einem Aufzug nach dem gleichnamigen Volksstück des
G. Derga von G. Cargioni-Cozetti und G. Menagci.
Musik von Pietro Mascagni.

Endlich, am 13. Juni, hat auch die deutsche Reichshauptstadt das vielgepriesene Wunderwerk des jüngsten italienischen Maestro fennen gelernt. Dem rührigen und gewanten Prager Theaterleiter Angelo Neumann verdankt Berlin diesen Genuß, und die SpreeAufführung des Nibelungenwerkes schulden, fanden sich in Scharen Athener, eingedenk des Dankes, den sie diesem Manne für die erste ein und bereiteten dem kleinen Werk, die glänzendste Aufnahme. Solcher starten Erfolge hat das,.melodramma" Mascagnis schon viele zu verzeichnen und da, wie ebenfalls männiglich bekannt, das Opusculum seinen Schöpfer in kurzer Zeit nicht nur zum berühmten, sondern auch zum reichen Mann gemacht hat, so war für viele der Hörer sein Wert schon vor der Aufführung genau bestimmt. So konnte es an Beifallsstürmen nicht fehlen.

Die Handlung der Cavalleria rusticana ist den Lefern dieser Zeitschrift bekannt, da sie in der erfreulichen Lage sind, in Nr. 23 des laufenden Jahrgangs eine getreue Ueberseßung der meisterlichen Vorlage diente. Es erübrigt nur noch zu sagen, daß die Herren Volksszene von Giovanni Verga zu besißen, die den Librettisten als Targioni-Tozetti und Menasci dem kleinen Meisterwerk des ,,verismo" allerlei cingefügt haben, was weder meisterlich noch veristisch ist, sondern sehr, sehr opernhaft und theatralisch. Und das ist sehr zu bedauern, denn diese Einlagen find es, an denen zunächst der künstlerische Ernst und die Gestaltungskraft des Tondichters und in der Folge dann der Geschmack des Publikums gescheitert sind.

Das ist so gegangen. Pietro Mascagni ist ein moderner Musiker, und sein nächstes. Vorbild ist der alte Verdi, der Schöpfer des Othello; seine Freunde aber machten ihm das Volksstück des Verga nach der Opernschablone zurecht. Unvereinbare Gegenfäße, an denen das Werk unheilbar krankt. Denn während der schlagfertige Charakter der von Verga gedichteten Handlung und ihrer Hauptszenen den jungen Musiker zu der seiner Begabung und seinem Temperament entsprechenden dramatischen Behandlung der Musik aufforderte, nötigten ihn die eingelegten lyrischen Verse zur Anwendung breiterer Formen, die mit Leben zu erfüllen, es ihm cinstweilen an Tiefe und Wärme der Empfindung fehlt. Da überdem seiner Phantasie die Kraft, musikalische Formen und Gestalten zu bilden nicht in dem Maße eigen ist, wie das Vermögen, aus der leidenschaftlich erregten Rede den musikalischen Ausdruck zu schöpfen, so sah er sich für diese opernhaften Abschnitte seines Tertes auf die Nachempfindung be rühmter Muster" angewiesen.

Mit seltenem Geschick hat er so den jungen Verdi man vergleiche die Siciliana), Gounod (siehe das Regina coeli und das Intermezzo), Bizet (man beachte die Volkschöre und ihre instrumentale Begleitung ja selbst Offenbach (das niederträtig gemeine Trinklied flingt wie aus Bariser Leben“) nachempfunden" und mit erstaun lichem Raffinement die betreffenden Stilarten immer an passender Stelle anzuwenden gewußt. So gewann das ganze ein überaus buntes, dem Unterhaltungsbedürfnis der Hörer jehr entsprechendes Aeußere, verlor dafür aber umsomehr an dramatischer Eindringlich

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keit und Folgerichtigkeit. Um erstere doch zu wahren, griff dann der ungemein gewante und mit allen modernen Instrumentationskünften wolvertraute Tonseger zu dem billigen Mittel einer sog. kraftgenialischen Orchestration. Wo es ihm an guten Gedanken und seiner Rede an überzeugender Kraft fehlt, da läßt er die Pofaunen blasen und die große Trommel (NB zur Pauke!) schlagen. Dadurch erhält die Musik den Charakter des Aeußerlichen, der durch die häufige Wiederholung dieses nur auf der Tonfülle beruhenden Steigerungsprinzips und durch einige auffällig absichtliche Kontrastwirkungen noch erhöht wird. Eine solche ist das berühmte, auch hier zur Wiederholung verlangte Intermezzo für Orgel, Harfe und Streichorchester, ein wolklingendes, aber sehr gedankenarmes Tonstück, das

wir klavierspielenden Damen als Ersaß für das nach und nach veraltende „Gebet einer Jungfrau“ angelegentlichst empfehlen. Es ist sehr bezeichnend für das Publikum allerorten, daß diese schwächliche Nummer den größten Beifall findet, während das durch eine höchst originelle Harmonik und charakteristische Rhythmen ausgezeichnete Fuhrmannslied des Alfio spurlos vorübergeht, in Berlin so gut als in Rom.

Betrachtet man neben diesen ganz im Geiste der alten Opern musik erfundenen Solonummern die musikalische Behandlung des Dialogs, namentlich in den Höhepunkten der Handlung, so wird man das lebhafteste Bedauern empfinden. Denn so hohl und äußerlich gemacht, so alltäglich und roh hier das meiste ist, so kräftig und innerlich, so bezeichnend, neu und eindringlich erscheint die Tonsprache des jungen Meisters, wo er Gelegenheit hat seine Gedanken den Worten eines Dichters, der Sprache der Leiden schaft nachzubilden. Und nicht nur die Führung der Singstimme, sondern auch die Behandlung des Orchesters nimmt in diesen dramatisch bewegten Teilen einen ganz anderen, vornehmeren, moderneren Eharakter an; statt der uichtssagenden, geräuschvollen Begleitungsfiguren hören wir charakteristische Themen sich entwickeln, die als Erinnerungsmotive im Laufe der Handlung in geistvoller Weise verwertet werden. Hier, in der Auffassunz und Behandlung des Dramatischen, liegen die Vorzüge von Mascagnis Begabung und die Bedeutung seiner Art für die Zukunft. Ob er, dem Beifall des Publikums zum Troß, die von diesem kaum beachtete, noch unreife Eigenart weiter entwickeln und in sich zur Vollendung führen wird oder vom „melodramma“ ganz zur großen Bumbum-Oper mit modernem Anstrich bekehren wird, muß die Zukunft lehren. Möchte er sich zu völliger Behauptung seiner Persönlichkeit ermannen! Die Aufführung durch das Personal der Prager deuschen Oper war lobenswert; sie lehrte uns, daß eine umsichtige und geistreiche Leitung auch mit Kräften mittleren Ranges eine gute Vorstellung erzielen kann, in Berlin hat man häufiger Gelegenheit, das Gegenteil zu beobachten. Richard Wolfgang.

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Mutter, ich sterbe!" waren die letzten Worte, die sie sagte, das liebe Kind, als sie an der Straßenecke in die Arme der fremden Frau sank. Darf ich Ihnen das Ganze erzählen, gnädige Frau? Die Erinnerung an das Kind ist der einzige Schaß meines Herzens

Die alte Frau hatte nicht selten von der Tochter erzählt, aber jezt, wo meine Frau ihr an dem naßkalten Winterabend in der Küche eine Taffe Thee angeboten hatte, zeigte sie augenscheinlich Lust, ihr auf einmal eine zusammengefaßte Erzählung zu geben.

Sie warf einen prüfenden Blick auf ihre Tasche, es waren nur noch drei Eremplare der Zeitung übrig. Die kleine Anzahl von Abonnenten konnte wol warten! Sie begann also ganz gemächlich zu erzählen.

Jede Stellung im Leben hat wol ihre Sorgen; aber es giebt eins, gnädige Frau, was eine Dame aus den besseren Ständen wol niemals mit so grausamer Enttäuschung und so viel Herzensjammer erleben wird, wie

unsereins. Ich meine die Angst und die Seelenqual, wenn man einem Herz und Sinn hingegeben hat und ihn hinterher in seiner ganzen Ekelhaftigkeit kennen lernt. Die Menschen sind vermutlich auf jeder Lebensstufe dieselben, aber ich bin doch überzeugt, daß es einer feinen Dame selten oder niemals passirt, den Einblick in eine schlechte Mannsperson zu bekommen, die unsereins so leicht bekommt, und zu entdecken, welch' ein Stapelplatz von Unflätigkeit er eigentlich ist. Erziehung und Lebensweise legen immer ein bischen Vergoldung auf, und Not und Sorgen melden sich doch niemals so stark, daß sie ganz abgenügt wird. Wir hingegen, gnädige Frau, wir erleben so furchtbar leicht, daß alle Höflichkeit und Artigkeit von solch einem Burschen wie aufgeschmierte Farbe herunterregnet, und dann bleibt uns für's ganze Leben nur das trockne, nackte Brennholz; das ist nicht ergößlich anzusehen, gnädige Frau!

Mir ist es natürlich nicht beffer ergangen, als so vielen unter uns. Ich verlobte mich mit einem Zimmergesellen, der für mich ein Muster von Schönheit war. Wir waren nicht länger als einen Monat verlobt gewesen, als er anfing, mir etwas vorzureden und vorzuschnacken, und seine Schwüre und Versicherungen hatten kein Ende. Ich glaubte ihm, gnädige Frau, denn ich hatte ihn lieb. Es ging, wie es zu gehen pflegt; aber meine Eltern drangen darauf, und daher heirateten wir uns, ehe das Mädchen zur Welt fam das ich fürzlich verloren habe. Wenn sie nur nicht so darauf gedrungen hätten, denn schon ehe wir verheiratet waren, lernte ich ihn in seiner ganzen Annehmlichkeit kennen. Mir war, als müsse ich ihn haben; aber ich wußte sehr wol, was in ihm steckte, und ich hegte nicht den leisesten Zweifel über das, worauf ich einging. Eine kleine Ueberraschung follte ich in meinem Ehestand aber doch noch erleben. Er wurde arbeitslos; das zog sich so vier, fünf Monate hin. Ich mußte unsern Unterhalt durch Waschen verdienen; aber zur gleichen Zeit, wo der Bursche sich von mir ernähren ließ, ergab er sich dem Trunk, kam nach Hause, schlug Gläser und Schüsseln in Stücke und ließ mich in groben Worten hören, daß er Herr im Hause sei. Ich mußte froh sein, wenn ich ihn nur dazu bekam, daß er sich hinlegte und schnarchte. Wenn er dann so da lag und schnob, daß es ihm bis tief in die Brust hinein röchelte, konnte ich manchmal eine halbe Stunde lang dastehen und sein rotes erhißtes Gesicht betrachten und mich darüber wundern, daß ich den jemals hatte schön finden können. Aber wenn es mir einfiel, daß alles, was jest ohne Verheimlichung und ohne Scham zum Vorschein kam, schon längst in ihm gewohnt, als ich in meiner Einbildung noch glaubte, daß er ein braver, chrlicher Mensch sei, dann fing ich wohl an zu weinen. Gar so lange dauerte die Qual mun glücklicherweise nicht. Der da oben mag wol eingesehen haben, daß ich es nicht aushalten könne, wenn es so weiter ging. Da richtete Er es in seiner Gnade so ein, daß er ertrank. Im Rausch wollte er einmal abends mit seinen Kameraden über den Schülersee gehen. Das Eis war so fest und sicher wie dieser Fußboden; aber aus irgend einem Grunde war er hinter den anderen zurückgeblieben, und da stolperte er mit seinem verglasten umnebelten Blick direkt in eine Wake hinein. Als sie an den Damm kamen, wunderten sie sich darüber, daß er nicht mit war und kehrten um, ihn zu suchen; aber weg war er. Sie hatten keinen Schrei gehört; vermutlich hat ihn der Krampf im selben Augenblick gepackt, wo er ins kalte Wasser fiel. Daher glaubten sie, daß er eingekehrt sei und ahnten gar keine Gefahr. Gut fünf Tage später wurde er aufgefischt. Ich ließ ihm ein schönes Begräbnis geben und dankte meinem Schöpfer.

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