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F. & P. Lehmann.

Erscheint jeden Sonnabend. — Preis 4 Mark vierteljährlich. Bestellungen werden von jeder Buchhandlung, jedem Postamt (Nr. 3589 der Postzeitungsliste), sowie vom Verlage des magazins" entgegengenommen. Anzeigen 40 Pig. die dreigespaltene Petitzeile. ∞ Preis der Einzelnummer: 40 Pig. &

60. Jahrgang.

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Berlin, den 17. Januar 1891.

Nr. 3.

Inhalt: Ludwig Fulda: Epilog zur Aufführung von Grillparzers „Traum ein Leben“ am 15. Januar 1891 im Lessing-Theater. Adam Müller-Guttenbrunn: Erinnerungen an Grillparzer. Friz Mauthner: Festrede, gehalten bei der Grillparzer-Feier der Litterarischen Gesellschaft zu Berlin am 15. Januar 1891. Musik: Gerhart Hauptmanns „Einsame Menschen“, besprochen von Friß Mauthner.

Theater und

Unbefugter Machdruck wied auf Grund der Gesetze und Verträge verfolgt.

Des reichlichen Materials wegen, das wir in dieser Nummer zum hundertsten Geburtstage Grillparzer s vereinigen, wird der fünfte Akt von Hermann Sudermanns Drama „Sodoms End c“ und die Fortsekung der Leben ser innerungen von Ludwig Pietsch erst in der nächsten Nummer gebracht werden.

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Die Gedanken, die Gestalten,
Die aus großem reinem Sinn
Mit Gewalten sich entfalten
über alle Herzen hin.

(Der Gesang bricht ab; die Harfentöne klingen fort und schwellen immer mächtiger an. Allmälig, den folgenden Bersen entsprechend, verwandelt sich die Scene wie am Schluß. des ersten Aufzugs. Die Wand des Hintergrundes öffnet sich; Wolken verhüllen die Aussicht und heben sich langsam. Man sieht endlich wieder die Gegend des zweiten Aufzuges; nur der Hintergrund mit Bergstrom und Brücke hat sich in eine heitere Landschaft verwandelt. In deren Mitte, umrahmt von Blumen und Büschen, erhebt sich die Büste Franz Grillparzers; auf den Stufen des Postamentes ist die Muse gelagert, ihre Blicke zu dem Bild emporgewant, den goldenen Lorbeerkranz in ihrer Rechten.)

Rustan.

Horch! Der Harfeutöne Wogen
Kommen feierlich gezogen;

Wie sie schwellen, wie sie hallen!
Täuscht mich wiederum ein Traum?
Wolken schweben, Schleier wallen,
Und es weitet sich der Raum,
Und die Ferue wird zur Nähe.
Ist es Blendwerk, was ich sehe?
Ist es wieder jene Stätte,

Wo sich meines Ruhmes Bahn
Trügerisch mir aufgetan?
Mirza, Massud, rette, rette!

Nein, seht her! Das ist sie nicht!

Nicht der Strom mehr, nicht die Brücke!
Und mein wirrer Traum vom Glücke
Ward verklärt im Sonnenlicht.
Wo ich stürmte jugendwild,
Um zu frevelu, um zu büßen,
Ragt ein hehres Menschenbild.
Seine ernsten Blicke grüßzeu,
Und es schmiegt sich ihm zu Füßen
Eine Göttin stolz und mild,
Und der Kranz in ihrer Rechten
Soll das Heldenhaupt umflechten,
Das geheiligt hat ihr Ruf,

Soll die hohe Stirne krönen,

Die sich gab dem Dienst des Schönen,
Deren Traum uns Leben schuf,
Seinen Töchtern, seinen Söhnen.

(Die Harfe verstummt. Er wendet sich zu dem Bilde.)

Ja, auch du warst jung und warm
Und dem kühusten Traum ergeben,
Als mit kraftgestähltem Arm
Du dich stürztest in das Leben;
Ju der Jugend heißen Tagen
Fühltest du die Pulse schlagen
Und vertrautest deinem Stern,
Wolltest kämpfen, wolltest wagen,
Und kein Ziel war dir zu fern.
Du entwichest aus der Enge,
Drin die dumpf bescheidne Menge
Sich verriegelt vor der Tat,
Und mit tausend hellen Glocken
Hörtest du den Ruhm dich locken
Auf der Ehrsucht Schwindelpfad.
Fliehend in der Träume Land,
So entsagtest du der Liebe,

Die mit ihrer weichen Hand,
Wartend, ob dein Herz ihr bliebe,
Ihrem Helden Kränze wand;
So entsagtest du dem Glücke,
Das dich hielt in träger Ruh',
Stürmtest auf der schwanken Brücke
Deinen hohen Göttern zu.
Doch du fühltest dich ermatten
Ju der Geistesfürsten Schatten,
Dic, gewaltiger als du,
Fremder Dichtkunst bunte Schlange
Töteten mit sichrem Streich
Und in heimischem Gesange
Sich geteilt das Königreich;
Standest zag vor ihrem Trone,
Fühltest unwert dich der Krone,
Lauschtest an des Tempels Stufen,
Ob dich nicht zum Eintritt lade
Deiner Göttin späte Gnade,
Deines Volkes Jubelrufen.
Doch kein Echo klang zurück,
Bis dir sank des Lebens Leuchte,
Bis dir wertlos ward der Preis,
Bis der kampfesmüde Greis
Sehrend suchte nach dem Glück,
Das dem Jüngling nichtig deuchte.
Als der Tag schon fast verglommen
Deinem Schaffen, deinem Mühn,
Sahst du einsam und beklommen
Durch dein Fenster stralend kommen
Deines Traumes Morgenglühu.
Deine Sonne war entbraunt;
Doch dich freute nicht ihr Scheinen;
Hieltest nur die weiche Hand,
Der du kämpfend dich entwant,
Abschiednehmend in der deinen.

Doch erlöst von ird'scher Fessel
Stieg dein Geist zu jenen Großen,
Die dich nimmermehr verstoßen
Von dem golduen Fürstensessel,
Die zum Gruß entgegeneilten,
Als du eintratst scheu und bleich,
Die das tausendjähr'ge Reich
Stolz und freudig mit dir teilten:
Denn du wuchsest ihnen gleich.

und dein Volk, das lange schwieg,
Jauchzet Dank und jubelt Sicg
Deines Kampfes heil'ger Beute;
Deiner Dichtung Sonne stieg;
Hoch im Mittag steht sie heute.
Wer von solcher Träume Macht
Ward durchleuchtet und entfacht,
Dem ist nur ein Traum die Bahre,
Ist ein Tag wie hundert Jahre,
Hundert Jahr wie eine Nacht.

(Währenddessen ist das Dichterbild von immer hellerein Glanze übergossen worden.)

Sel'ge Sonne dieses Helden,
Die dem reinsten Licht entstammt,
Wirst den Enkeln flammend melden,
Was du nus ins Herz geflammt
Breit' es aus mit deinen Stralen,
Sent' es tief in jede Brust:
Höchstes Menschenlos hienieden
Ist dem Genins beschieden
Und der heil'gen Schöpferlust.

(Wieder zum Bilde gewendet.)

Dir war Größe nicht gefährlich,
Dir der Ruhm kein leeres Spiel;
Was er nahm, war nicht'ger Schatten,
Was er gab, es war so viel:
Hat die Schwingen dir gegeben,
Körperlos dahinzuschweben
Über Raum und über Zeit:
Deine Träume wurden Leben
Und dein Leben Ewigkeit.

Erinnerungen an Grillparzer. Nach Mitteilungen von Otto Prechtler.

Von

Adam Müller-Guttenbrunn (Wien).

I.

Otto Prechtler, der vielleicht zu früh so ganz vergessene deutsch - österreichische Poet, stand in den vierziger, fünfziger und sechziger Jahren im Mittelpunkte des litterarischen und gesellschaftlichen Lebens in Wien, und er wurde zweimal als möglicher Burgtheater-Direktor genannt: Ehe Laube sein Amt antrat, im Jahre 1849, und achtzehn Jahre später, als Laube dieses Amt niederlegte. Darin prägt sich unzweifelhaft eine gewisse Dauerhaftigkeit des Ansehens aus, das Prechtler

genoß. Auch brachte das Burgtheater zwölf Stücke von ihm zur Aufführung. Diese Tatsache allein reicht vielleicht hin, dem Freunde Grillparzers eine gewisse Bedeutung zu verleihen. Da die erste Bühne Deutschlands niemals, und am lezten zur Zeit Laubes, ein Tummelplatz des Dilettantismus war, so kann sein dichterisches Können nicht so gering gewesen sein, daß man wenige Jahre nach seinem Tode nicht mehr von ihm sprechen dürfte; wenn dies aber der Fall gewesen wäre, dann bliebe dieser Dichter erst recht eine gesellschaftliche Erscheinung des Wiener Kunstlebens, von der man reden müßte.

Otto Prechtler zählte erst 16 Jahre, als man 1829 in Linz sein erstes Drama aufführte. Die Schauer der Romantik erfüllten seine junge Dichterseele, und die Schicksalstragödien der Houwald, Müllner und Werner hatten auch ihm den Kopf verdreht. Sein Jugendwerk hieß „Die blutige Locke", und der Spott der Rezensenten schlug Jahrzehnte lang Kapital gegen den Dichter aus dieser Jugendsünde, deren Titel allein schon die Parodie herausforderte. Von diesem ersten Schritt auf die Bühne führte ein weiter, entsagungsvoller Weg bis zu den Pforten des Burgtheaters, die sich ihm erst 1842 erschlossen, also nach 13 Jahren. Auch war das Lustspiel (Die Waffen der Liebe"), das man endlich von ihm annahm, schon sein dreizehntes Bühnenwerk, denn jedes Jahr zeitigte ein solches, und sein ganzes Leben spiegelt sich in folgenden Zahlenverhältnissen ab: Zwölf Stücke schrieb Prechtler, bevor sich das Burgtheater ihm erschloß: zwölf brachte diese Bühne von 1842 bis 1867, und zwölf oder mehr brachte sie nicht mehr zur Aufführung. Der Dichter war geistig früh gealtert, er überlebte sein Talent um mehr als zwei Jahrzehnte und erfuhr Kränkungen und Zurücksetzungen die Fülle. Prechtler gehörte zu jenen fruchtbaren Dichtern, die im Interesse ihres Ruhmes nicht früh genug sterben können, und er hatte es versäumt, zu sterben, als sein Name noch genannt und gekannt war. Als er 1881 starb, vermochte ihn selbst sein Tod nicht mehr für das deutsche Theater lebendig zu machen.

Otto Prechtler war 1813 zu Ginskirchen in Oberösterreich geboren und er sollte Priester werden. Aber er tat, was so viele vor und nach ihm getan, die der Dichtkunst ergeben waren, er sprang als Kleriker aus der Kutte und widmete sich der Litteratur. Es trieb ihn nach Wien. Hier gewann er alsbald in Grillparzer einen unermüdlichen Förderer und Freund, und dieses Verhältnis zu dem großen Dichter drückte dem Leben des kleinen fortan sein bleibendes Gepräge auf. Prechtler war zeitlebens biegsam wie Wachs und sein Talent der Anempfindung war so groß, daß er unbewußt ein vollständiger Abklatsch von Grillparzer wurde.

Als der junge Kandidat der Theologie sich bei Grillparzer, der schon einige Gedichte und Stücke von ihm gelesen hatte, vorstellte, fragte ihn dieser: „Was sein's denn?" Brechtler war mit wallenden Locken, in einen malerischen Mantel gehüllt und mit einem breitkrämpigem deutschen Hut bedeckt, nach Wien gekommen; unterm Arm hielt er das Manuskript eines Bandes lyrischer Dichtungen, im Haupte trug er hundert dramatische Entwürfe, und in seiner Tasche flimperten etwa dreißig Silberzwanziger, die seine Mutter ihm beim Abschied eingehändigt, trotzdem ihr fast das Herz darüber brach, daß er nicht geistlich werden wollte. Und jetzt stand er, der Dichter, vor dem Dichter, und dieser fragte ihn: „Was sein's denn?"

Er war sprachlos. Grillparzer benußte dieses Verstummen seines Gastes und hielt ihm eine Predigt. „Lieber Freund," sagte er, ich habe die Ahnfrau und die Sappho geschrieben und bin ein kleiner Beamter. Sie haben die blutige Locke" zur Aufführung gebracht und wollen davon leben? Warum nicht gar! Schiller war Professor, Goethe Minister und Saphir schreibt für die Bäuerlesche Theaterzeitung Kritiken. Sie müssen entweder Professor, Minister oder Kritiker werden. Oder noch besser

Sie treten in unserem Amt als Diurnist ein. Dann dichten's halt, wie ich das auch getan hab'.“

Nach dieser köstlichen Ansprache reichte Grillparzer dem jungen Manne die Hand und gab ihm praktische Ratschläge, wie er es anzufangen hätte, Beamter zu werden.

Und Prechtler wurde Beamter. Er hatte in dieser Laufbahn so großes Glück, daß er in zwanzig Jahren Grillparzer einholte, und als der große Dichter in den Ruhestand trat, wurde Prechtler sein Nachfolger in der Stelle eines Reichs-Archiv-Direktors im Finanzministerium. Als am Ende der sechziger Jahre Prechtler selbst in den Ruhestand trat, übersiedelte er nach Oberösterreich, und seine letzten Stücke famen nur noch auf der Linzer Bühne zur Aufführung, die auch sein erstes Drama zur Darstellung gebracht hatte.

Und in Linz trat ich dem alten Manne näher. Wie er zu Grillparzer, so war ich als junger Mensch zu ihm ge= kommen, und auch ich hatte dichterische Schmerzen. Prechtler fragte mich nicht: Was sein's denn?" aber er erzählte mir, wie Grillparzer ihn einst empfangen. Daraufhin konnte ich ihm die beruhigende Versicherung geben, daß ich wohlbestallter Eleve der Linzer Telegraphendirektion sei und jährlich 300 fl. Einkommen habe. Erst als er dies vernommen hatte, lobte er meine poetischen Arbeiten.

An diese erste Begegnung knüpfte sich ein mehrjähriger Verkehr, über den ich ein Tagebuch führte. In diesem ist alles niedergelegt, was Prechtler mir über seinen Umgang mit Grillparzer, Laube und Hebbel erzählte.

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Wenn man die Namen Prechtler und Grillparzer nebeneinander nennt, muß man vor allem auf die rührende Bescheidenheit Otto Prechtlers, auf die tiefe Demut hinweisen, mit der er Grillparzer gegenüberstand. Und die lettere war keine Pose, sie saß dem Manne tief im Herzen. Unter den zahlreichen Gedichten, die sich in Prechtlers Nachlaß „An Grillparzer" vorfinden, ist das folgende das bezeichnendste: An Grillparzer.

Mild angeglüht vom Sonnen-Widerscheine,
Zieht froh der Mond durch nächtlich-blaue Ferne;
Er träumt, zu herschen über alle Sterne,
Wohl trunken von des Gottes Stralenweine.

So milde angeglüht von Strale Deines Lichtes,
Wähn' ich, erleuchtet, selber auch zu glänzen;
Was ich geahnt, Dein Wort will's mild ergänzen,
Du blühst ich brech' die Frucht mir des Gedichtes.

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Doch wie der Mond, wehmütig (kommt die Frühe),
Ablegt den Lichtkranz, einem Höhern eigen,
Tieffühlend, daß er in der Sterne Reigen
Nicht durch sich selbst nur durch die Sonne glühe:

So kann ich mich an Deinem Geiste lezen:

Fühl ich beschämt mich und zugleich erhoben!
All' was ich schuf, auf einmal ist zerstoben
Ein Bettler schwelg ich froh in Deinen Schäßen.

Darin liegt mehr als Bescheidenheit und Selbstver= leugnung, es ist eine vollständige Selbstpreisgebung gegen= über dem höheren Geiste.

Ein anderes Gedicht an Grillparzer fängt an:

Du warst mir von allen Menschen,

Denen ich im Leben genaht,

Der edelste, reinste, unwandelbarste;

Von allen Dichtern, die leben,

Der größte, der tiefste, der wahrste;
Dein bleibend Wohlwollen mir
Das höchste Gut!

Nach diesem Zeugnisse von Prechtler selbst wird man es verstehen, wenn ich sage, daß dieser Dichter fein inneres und sein äußeres Leben halb bewußt, halb unbewußt nach seinem großen Vorbilde modelte. Freilich erging es ihm dabei wie allen Nachahmern einer bestimmten Einzelart: er eignete sich blos die Mängel des Vorbildes an, denn dessen Vorzüge waren unnachahmlich. Die Abscheu vor der Welt, wie sie Grill

parzer zwei Menschenleben hindurch übte, und die hinreichte, einen Dichter seines Ranges in Vergessenheit geraten zu lassen, auch sie suchte Brechtler nachzuahmen, als er älter wurde. Und auch den Dichterstolz Grillparzers wahrte er sich. Oder liegt nicht der ganze Stolz eines Sängers von Gottes Guaden in den folgenden Worten des sonst so bescheidenen Prechtler: Gabst du dein Bestes, laß es dich nicht kümmern, Wenn dir die Gegenwart den Dank versagt; Des Ruhmes Frucht erspricßt nicht schnell im Raume, Im Stillen reift sie an der Zeiten Baume."

Man müßte diesen Trostspruch als prächtig bezeichnen, als eine Offenbarung, wenn Prechtler ihn nicht an sich selbst, sondern an Grillparzer gerichtet hätte, denn an diesem erfüllte sich das stolze Wort glänzend. sich das stolze Wort glänzend. Die Gegenwart gehört ja fast immer der Mittelmäßigkeit; dem Großen aber gehört die Zukunft. Auch den zweifelhaften Liberalismus seines großen Vorbildes ahmte Prechtler nach. Sein revolutionärer Sinn, den die Polizei in seinem Heinrich IV." gewittert hatte, reichte nie weiter als sein ästhetischer. Das war die Grenze, die auch Grillparzer in jenen Tagen des allgemeinen Völkerfrühlings von der gährenden Mitwelt trennte. So lange die Revolution sich geistig austobte, so lange sie schön war, gingen diese Boeten mit; als es aber anfing ungemütlich) zu werden, als es gar nach Pulver roch, da flüchtete der große Dichter nach Baden bei Wien, schrieb dort sein berühmtes Gedicht an Radeßky und schmiedete im Stillen giftige Epigramme gegen Metternich und andere Machthaber; der kleinere Poet aber trat in die Reihe der Ausgleichsapostel und ließ sich in jene Abordnung wählen, die nach Innsbruck eilte, um den von seiner Umgebung entführten Kaiser Ferdinand zu bitten, nach Wien zurückzukehren.

Die Geschichte dieser vorwiegend litterarischen Abordnung ist meines Wissens noch nicht geschrieben worden und doch ist sie wert, erzählt zu werden. Auch Friedrich Hebbel und Saphir gehörten dieser Abordnung an, und Hebbel warf sich zum Sprecher derselben auf. Wer Hebbels gewaltige, aber ganz abstrakte Suada kannte und an den verschüchterten "gütigen" Kaiser Ferdinand dachte, der durfte von dem Eindrucke, den dieser Sprecher erzielen würde, nichts gutes erwarten. Die Mitglieder der Abordnung lehnten sich jedoch vergeblich auf gegen Hebbels Forderung, er ließ sich nicht davon abbringen; er, der bedeutendste Dichter und Redner unter ihnen, nur er durfte sprechen. Man war schon einige Tage in Innsbruck und wurde zur Audienz noch immer nicht zugelassen. Es mußten erst Erkundigungen eingezogen werden über die Gesinnungen und Absichten dieser Litteratenbande aus Wien, bei welcher sich auch der furchtbare Dichter von "Heinrich IV." befand einer Dichtung, die dem verhaßten Reichstag in Wien als Festvorstellung dargeboten wurde.

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Endlich kam aber doch der Tag des Empfanges für die Abgesanten aus Wien. Der Kaiser stand in der Mitte des Saales, mit dem Rücken an einen Tisch gelehnt und seine ganze einflußreiche Umgebung war zugegen.

Der Kaiser hatte noch nicht Zeit gefunden, das Wort an die Eingetretenen zu richten, als Friedrich Hebbel auch schon vortrat und mit einem gewaltigen Gestus und donnernder Stimme begann; „Eure Majestät!" Und nun fing er im hochtrabendsten Style und in der aufgeregtesten Weise zu reden an und kam dabei unbewußt dem Kaiser immer näher. Die Umgebung desselben wurde unruhig und die Deputation geriet in die peinlichste Verlegenheit: aber was war zu tun? Man konnte Hebbel doch nicht an den Frackschößen fassen und halten! Der Kaiser, der den hochtrabenden Worten Hebbels nicht gefolgt zu sein schien, mochte den aufgeregten Mann, der ihm immer näher rückte, wol für einen verkappten Revolutionär gehalten haben, denn als Hebbel seine Stimme plöglich mehr als bisher erhob, verließ er plößlich mit einem Satz seinen Standpunkt und flüchtete sich hinter den Tisch; dort stand er zitternd und sah starr auf den Sprecher, der sich durchaus nicht stören ließ. Da reichte die Erzherzogin Sophie dem Kaiser den Arm und verließ mit ihm den Saal.

Das machte allem ein Ende und die Abordnung aus Wien 30g mit langen Gesichtern von dannen.

Hebbel mußte sich auf dem Heimwege nach Wien viel bittere Worte sagen lassen, und er ertrug jeden Vorwurf geduldig, denn er war zerknirscht von der Wirkung, die fein Rednertalent, auf das er sich so viel zu gute tat, in Innsbruck ausgeübt hatte. Daß die Deputation dennoch mit einem guten Bescheide Innsbruck verlassen konnte, verdankte sie der überlegenen Klugheit der Erzherzogin Sophie, die den unglücklichen Abgesanten zum Abschied noch tröstliche Worte sagen ließ und das Benehmen des Kaisers auf ein Unwohlsein zurückführte.

III.

Ich habe bereits erzählt, daß Prechtler der Amtsnachfolger Grillparzers wurde. Als er den Schreibtisch des Als er den Schreibtisch des Dichters übernahm, sagte dieser zu ihm: „Sie werden vielleicht manche Krigelei von mir da und dort vorfinden. Es taugt alles nichts!" Und Prechtler fand sehr vieles. Meistens waren es Epigramme. Auf Schreibunterlagen, auf unscheinbaren Papierschnigeln, selbst auf Akten fanden sich manchmal recht bösartige Verse vor. Der erste Ausspruch, der uns hier interessirt, bezieht sich auf des Dichters Verhältnis zu seiner Amtsstellung. Aus einer Schreibunterlage von steifem gelben Papier schnitt Prechtler folgende Zeilen, die mit „März 55′′ überschrieben sind:

„Hier siz ich unter Fascikeln dicht,

Ihr glaubt, verdrossen und einsam

Und doch vielleicht das glaubt ihr nicht:
Mit den ewigen Göttern gemeinsam."

Auf einem Aktenstück, dessen Inhalt Prechtler sich leider nicht gemerkt hat, standen unter dem Schlagwort: „Moderne Humanität" die Verse:

Sonst war das Gericht, gerecht und klar,
Des Frevels weltlicher Rächer;

Doch heutzutage verlangt es gar
Noch Achtung vor dem Verbrecher."

Man wird aus diesen vier Zeilen unschwer Grillparzers Meinung über unser modernes Gerichtsverfahren herauslesen können. Er kam eben aus einem andern Jahrhundert zu uns herüber und dies prägt sich in vielen seiner Anschauungen aus.

Unter den zahlreichen, aufgefundenen Epigrammen, von denen einige Prechtler, die anderen ich schon veröffentlichte, interessiren heute wohl auch die über Richard Wagner. Grillparzer war ein überaus feinfühliger Musiker. Er betete Mozart an, er verkehrte mit Beethoven und ließ sich herbei, einen Operntext („Melusine“) für diesen zu schreiben, der indes nie vertont wurde; auch für Schubert empfand er die wärmste Liebe und die Grabschrift Schuberts ist ein Werk Grillparzers. Zu Wagner aber wußte er sich in kein Verhältnis zu setzen. Ein mit,,R. W." überschriebenes Epigramm, das Prechtler fand, lautete:

„Was denken Sie, fragt mich der Meister,
Von meiner Zukunftsmusik?

Nun fämen wie Mozart noch Geister,

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Das wäre der Zukunft Musik."

Zwei andere Vierzeiler behandeln denselben Gegenstand in überraschender Weise. Der erste ist überschrieben:

„R. W.-Tendenz" und lautet:

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Diese Antwort ist wol etwas dunkel, aber sie ist nicht unverständlich. Grillparzer will offenbar sagen, daß Musik und Dichtkunst im Grunde zwei so verschiedene Kunstgattungen sind, daß sich aus zwei Hälften, von denen die eine Wort, die andere Ton ist, nichts Ganzes gestalten lasse; entweder du bist ein ganzer Dichter oder ein ganzer Musiker, beides kannst du nicht ganz sein; bist du aber beides halb, so bist du eben kein Ganzes. Shakespeare ist für Grillparzer das Ganze; über den „Lear" hinaus giebt es für ihn kein menschliches Maß, der Dichter erreicht damit die Grenzen unserer Empfänglichkeit, und ein gleich großer Musiker, der auf den Lear" auch noch eine Tonschöpfung von solch furchtbarer Gewalt, wie sie der Dichtung innewohnt, aufbauen könnte, würde uns unfähig finden, diese ungeheuerliche Doppelwirkung noch als eine künstlerische zu empfinden.

Auch auf Heinrich Laube, dem der Dichter viel Dank schuldete für die Neubelebung seiner sämtlichen Stücke, fand man in Grillparzers Nachlaß ein Epigramm, das allgemein bekannt geworden ist. Es lautet:

„Laube - mein Paladin.
Schon tot, wieder lebendig geworden
Durch dich, mein tollfühner Sohn --
So nimm den Grillparzer - Orden,

Sonst hast du gar nichts davon.“

Prechtler aber fand in Grillparzers Amtsschreibtisch noch zwei andere Epigramme auf Laube. Aus diesen ersieht man, was man ja bei einiger Kenntnis Grillparzers empfinden muß, daß die keusche Dichterseele zu dem praktisch-derben Marschall-Vorwärts des deutschen Theaters kein rechtes Verhältnis finden konnte. „Trost an L.“ ist das eine betitelt: „Das Handwerk hast du verstanden

Ob aber die Poesie?
Das gilt in den deutschen Landen
Heut mehr wohl noch als die."

Und das zweite lautet:

„H. L.

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Er ist kein böser Mensch, wie ich glaube, Obwol ihn die Welt so verschreit.

's ist eben der grimme

Hagen,

Anmaßend wol, doch gescheit."

Unter den vielen Sprüchen und Gedankensplittern, die Prechtler fand und mir mitteilte, will ich hier vorläufig nur noch ein Wort anführen. Wie es sich später herausstellte, schrieb Grillparzer diesen Ausspruch in ein Exemplar seines dramatischen Märchens „Der Traum ein Leben" als Wid= mung für Laroche, der bekanntlich unter Goethe als junger Schauspieler in Weimar wirkte. Er heißt:

In Weimar war die Kunst ein Leben;
In Wien ist sie ein Traum!"

Als Heinrich Laube durch mich vom Dasein dieses Ausspruches Kenntnis erhielt, sagte er kurz und bündig: „Das Gegenteil ist wahr!" Und so ist es wol auch. Das Wort ist nicht für Wien, es ist blos für Grillparzer kennzeichnend.

IV.

Ein von den österreichischen Dichtern viel und mannigfach behandeltes Thema, ihr Verhältnis zu Norddeutschland, beschäftigte auch Grillparzer bekanntlich sehr oft, und man hörte ihn klagen: Sie haben mich nie verstanden - und verstehen mich heute noch nicht!" In diesen Klagen aber steckte ein Stachel, der sich gegen ihn selbst kehrte, und er wußte dies sehr wohl, denn er empfand es klar, was ihm fehlte. Dafür wußte Prechtler einige merkwürdige Belege, Worte des Dichters, die sowohl seine österreichischen als seine norddeutschen Verehrer im höchsten Grade überraschen werden, und auf die ich später zurückkomme.

Auch Prechtler glaubte sich über die Zurückseßung, die er von den Norddeutschen, aber von den Norddeutschen in Wien erfuhr, beklagen zu müssen, und Laube, der norddeutsche Burgtheaterdirektor, hatte manches Sträußchen mit

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