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herausgekommen ist. Und Dilettantismus ist nur in der Lyrik erträglich, dort mitunter sogar erfreulich; im Drama aber wäre es auch dem Genie nicht gestattet, dilettantisch zu arbeiten, denn der Dilettant arbeitet wesentlich zu seinem eigenen Vergnügen, der Dramatiker aber darf nicht einen Augenblick an sich selber denken, wenn er Erfolg haben will.

Will man die Anwendung des Wortes Dilettant in einem weiteren Sinne gestatten, in dem Sinne, in welchem auch Carmen Sylva gewiß nichts gegen solche Bezeichnung etwas einzuwenden hätte, so war auch unser größter Dichter ein bischen Dilettant. Der reife Goethe hatte vielleicht ein tieferes Kunstverständnis als irgend ein Dichter vor und gar nach ihm; der schaffende Dichter aber, bis etwa zu dem Alter, in welchem ungefähr Raffael und Mozart starben und in welchem Goethe sein Genietum begrub, der schaffende Goethe war naiv wie ein Dilettant und konnte darum als Lyriker Unerhörtes empfinden und sagen und konnte wieder als Dramatiker einzelne Szenen fast zusammenhanglos wie zwanglose lyrische Gedichte nebeneinander seßen.

Wer nun aber keine solche Urkraft ist wie Goethe, sollte wissen, daß nur strengste Selbstzucht denjenigen zu einem erträglichen Dramatiker machen kann, der von Hause aus eigentlich feiner ist. Sowie es auf hundert pfuschende Maler kaum zehn pfuschende Bildhauer geben wird, aus dem einzigen Grunde nicht, weil das Bildwerk rund ist und von keiner Seite aus mit Flausen täuschen kann, weil der Dilettantismus sich also auf den ersten Blick verraten müßte, so ist der schriftstellernde Dilettant im Drama am schlimmsten daran, weil jede Gestalt der Gattung gemäß Leben verlangen darf und ihren Schöpfer anflagt, wenn keine Schauspielkunst ihr Leben einzuflößen

bermag.

Tie großen Genies wie Goethe und andernteils die bewußten Reformatoren der Bühne, wie etwa Hebbel und Otto Ludwig durchbrechen die festen Geseze der Bühne. Die andern Denn nur die unterwerfen sich und heimsen Lob dafür ein. Naivität eines Goethe oder das freie Märtyrertum eines Reformators kann es ertragen, daß das Publikum Achtung vor den alten Geseßen verlangt, welche das Publikum für seine eigenen Geseze hält. Die anderen Schriftsteller, die nicht bewußte oder unbewußte Reformatoren sind, werden von der Not des Lebens, und wäre es auch nur von der Not des Schriftstellerlebens, aus dem schönen Traum des höheren Dilettantismus herausgerüttelt, aus dem Dichtertraum, ein Dramatiker könne für il suo diletto, zu seiner eigenen Lust, schaffen und wirken. Und daß Carmen Sylva die Not des Schriftstellerlebens nicht kennen gelernt hat, das mag dazu beigetragen haben, sie in einem gefährlichen Zustande bald des höhern, bald des niedern Dilettantismus zu erhalten.

Der

Von den Stücken des vorliegenden Bandes sind darum einige nicht ganz ernst zu nehmen und es wäre ebenso leicht wie lustig, die Dichterin ein wenig zu perfiffliren. Der Schwank „Herrn Daniels Witwen" wäre vielleicht sogar bühnenwirksam, aber der glücklichste Erfolg bei einem Sonntagspublikum würde dem Ruhm der Dichterin nicht gerade zuträglich sein. Einakter Am Verfalltag" spielt mit einem tragischen Konflikt, der an Heyses „Ehrenschulden" erinnert; aber ich zweifle nicht daran, daß der Schluß des aufgeregten Dramas ein kritisches Publikum in eine sehr ungewollt fröhliche Stimmung verseßen würde. Auch die Gräuel des Trauerspiels,,Ullranda“ und die Familienrätsel von „Loïse“ wären für die Bühne nur schwer zu gewinnen, und gewonnen wohl ein sicherer Verlust.

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Dämmerung“ ist eigentlich weniger ein Drama als ein Irrtum. Es ist klar, daß diese Ballade in Dialogform um nichts mehr dramatisch ist, als Schillers „Klage der Ceres" oder ähnliche Gedichte. Zu der verlassenen Gattin eines Kreuzfahrers kommt dessen morgenländische Geliebte, und die beiden Frauen tauschen ihre Gedanken über den geliebten Toten aus. Tauschhandel mag das sein, aber dramatische Handlung nicht. Es ist nichts weiter als ein ausführlicher Botenbericht. Ebenso gut könnte die Erzählung des schwedischen Hauptmanns im Wallenstein" zu einem selbständigen Einafter umgewandelt werden; die Sentimentalität ist beim Berichterstatter und bei der Zuhörerin ohnedies schon genügend vorhanden. Und trog alledem schwebt über dieser einaktigen Ballade doch echte dichterische Stimmung. Nicht das historische Kolorit ist echt; im Gegenteil, Carmen Sylva verlegt ihre historischen Gestalten am liebsten in ein Märchenland und pußt sie dort nur mit etwas Theaterkostüm heraus. Aber unbekümmert um historische und menschliche Wahrheit geht doch Poesie durch das Ganze; Poesie berührt mit den Spihen ihrer Füße die Grashalme des Thals, so hätte man vor hundert Jahren von Carmen Sylva sagen können.

Weitaus das beste Werk der kleinen Sammlung ist das dreiaktige Drama,,Marioara". Es soll nach einer rumänischen Sage gedichtet sein und in einer halben Märchenwelt fühlt die Dichterin sich woler. Freilich zerschlägt die Komposition ganz keck die ersten Forderungen des Dramas. Shakespeare und der Dilettantismus dürfen es wagen, uns eine Schauspielerin zuerst als junges Mädchen und noch an demselben Abend als Mutter erwachsener Söhne zu zeigen.

Auch sonst nimmt es die Dichterin mit der Einheit der Zeit nicht sehr genau. Und mit den anderen ernsteren Einwenn man „Marioara“ in heiten noch weniger. Und doch guter Stimmung zu Ende gelesen hat, verläßt man eine gut litterarische Gesellschaft, in welcher ein feiner Kenner rumänischer Volkspoesie und eine tief empfindende vornehme deutsche Frau abwechselnd das Wort geführt haben. Und man bedauert, daß diese Fülle schöner lyrischer Szenen nicht mit festerer Hand, meinetwegen selbst mit der Hand eines Theaterhandwerkers zusammengebunden sind. Man würde, wenn die nötige Kunst darauf geseßt wäre, nicht so oft das Gefühl haben: Schade, daß so gute Poesie hier zu nichts mehr als zu einem Operntext verwant ist.

Daß das arme Menschenherz nicht auf einen einzigen Streich fällt, daß es sich langsam zu Tode ringt, das ist be kanntlich ein Glück für die lyrische Poesie. Bei großen Dichtern kann das Herz in zwanzig und mehr Bogen gebrochen werden; aber stückweise" sollte es nicht brechen. Alle Glut und aller Schmerz des Lebens, der in Gedichten zu Worte kommen kann, sei verbannt, wenn der Dichter mit solchen Einaktern die Bühne erobern will.

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Litterarische Neuigkeiten.

Kauffmann, Friedrich: Deutsche Mythologie. 107 6. Stutt gart. 1890. 6. I. Göschen.

Das Büchlein bietet eine interessante Lektüre nicht blos, sondern auch die schäzenswerte Frucht tüchtiger Studien; so ist es namentlich der gebildeten Jugend zu empfehlen, aber auch allen denjenigen, welche an der Hand eines kundigen Führers durch die vielfach verjchlungenen Srrgänge pangermanischer Mythologie geführt sein wollen. Seltsam ist es nur, daß der Verfasser unter seinen Hauptquellen das Büchlein von Petersen „Ueber den Gottesdienst und den Götterglauben des Nordens während der Heidenzeit“ anführt. Daß er Sie Phantasieen des Herrn Bugge, wenn auch nur teilweise, billigt, ist zu bedauern.

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Die Einleitung Der Untergang des germanischen Heidentums" ist gewant und mit Verständnis geschrieben; einige katholikenfeindliche Wendungen hätte er sich und den Lesern ersparen dürfen. Ist es übrigens sein Ernst, wenn er drei Mal auf einer Seite „arrianisch“ schreibt? Der Mann wird doch unsers Wissens "Aquios oder "AgLOS geschrieben? Der Schlußsaß, daß auch bei den Germanen die Religion nichts anderes gewesen sei, als der in sakraler Form zu Tage tretende Patriotismus, ist sehr schwer verständlich und höchst anfechtbar.

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Der Abschnitt „Die Götter“ behandelt sein Thema klar und knapp. Die Wanen dürften aber nicht finnischen, sondern alt= littauischen oder slavischen Ursprungs sein. Unter den feindlichen und freundlichen Gewalten" sind die Riesen ungenau charakterisirt. Ihre Doppelnatur ist leicht erklärlich: die Gestalten der urweisen Urgötter sind mit denen der Riesen, der Vertreter der rohen Naturkräfte, in Eins verschmolzen worden; bei den späteren Teufeln ist ja dasselbe der Fall.

Im Ferneren wird nun die eigentliche Mythologie in knappen energischen Zügen entworfen; wir kennen kaum ein Buch, das auf so kurzem Raume so tüchtiges leistet. In einer neuen Auflage könnte der Verfasser wol hie und da einen oder den andern unnügen nationalistischen Ausdruck weglassen. Wenn er anführt, daß ein Herr 3. Kaftan (jedenfalls derselbe, den man als Profeffor der Theologie an die Berliner Universität berufen hat) „die Not oder ebensowol das Allgemeine, welches in der Not ám bittersten erlebt wird, nämlich das Gefühl des Menschen von der Unsicherheit seines Lebens und der Güter, die er hochhält", als Motiv der Religion hinstellt, so mag das für die freie Gemeinde ausreichen. Aber so ist es auch begreiflich, wenn sich später der sonderbare Ausdruck findet: „Der Zauber ist für den heidnischen Germanen dasselbe, was für den Christen das Gebet"; und darum heißt es auch am Schlüsse Der große, unbekannte Gott, dem die heidnischen Athener einen Altar errichtet, ist bereits [?] in das Bewußtsein der heidnischen Nordländer getreten, fein Weltregiment ist in den Weissagungen der nordischen Zauberin angekündigt". Die Lehre von den neuen Welten ist nicht jüngeren Ursprungs, wie der Verfasser meint; der Gott, der an drei Stellen der so älteren Edda erwähnt wird, der wahre, geoffenbarte Gott ist nicht derjenige, den nach Herrn S. Bugge erst die christlichen Priester importirt haben, sondern ein verschleierter, aber noch wol empfundener Begriff aus urältester Vergangenheit. 2. Freytag.

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Wassilij Iwanowitsch Nemirowitsch-Tantschenko, Hinter den Kulissen. Roman. Uebersegt von Aleris Markow. Berlin. Verlag von Richard Wilhelmi. 1891.

In der Vorrede zu vorliegendem Roman giebt uns der Ueberseber eine Biographie des Verfassers mit dem langen Namen und teilt uns mit, daß seine Dichtungen in Rußland in ganz kurzer Zeit mehrere Auflagen erlebten und zu den bedeutendsten Werken der russischen Litteratur zählen. Da in Deutschland bisher nur eine fleine Novelle bekannt geworden, welche sofort die Aufmerksamkeit der weitesten Kreise auf sich lenkte," hat Herr Markow es unternommen, uns „Hinter den Kulissen" ins Deutsche zu übersehen und glaubt, daß dieser größere Roman auch den Beifall des Publikums finden wird. Ich fürchte, Herr Markow täuscht sich in dieser Annahme und wird mit der Uebersezung einer langweiligen Theaterintrigue, die sich an einer ungenannten russischen Bühne abspielt, die Aufmerksamkeit der weitesten Kreise wieder von Herrn Wassilij Iwanowitsch Nemirowitsch-Dantschenko ablenken.

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Dem Schauspiel Außerhalb der Gesellschaft“ von Arthur Zapp geht eine Einleitung voran, überschrieben: An die Kritik". Der Ber fasser teilt uns darin mit, daß er sein Schauspiel nicht in der Abficht drucken ließ, um die Zahl der unglückseligen Buchdramen zu vermehren, sondern um an die Kritik die Frage zu richten: Ist das Schauspiel Außerhalb der Gesellschaft“ ein bühnengerechtes Stück und verdient es die öffentliche Aufführung oder nicht?" Veranlassung zu diesem Schritt gab dem Verfasser die Ablehnung seines Schauspiels seitens dreier berliner Direktören, die allerdings dem Stückt ihr Lob nicht vorenthielten, sich jedoch nicht zur Aufführung derselben entschließen konnten. Herr Zapp denkt aber auch:

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Wir können ihm durchaus nicht Unrecht geben und müssen auf seine Frage: Ist das Schauspiel „Außerhalb der Gesellschaft“ ein bühnengerechtes Stück und verdient es die öffentliche Aufführung? mit einem lauten, vernehmlichen Ja“ antworten. Es sind in den lezten Jahren viele schlechtere und nicht so sehr viele bessere Schauspiele über die Bretter gegangen, und ehe man uns mit mittelmäßigen Werken ausländischer Autoren überhäuft, sollte man sich endlich entschließen, auch unsere einheimischen dramatischen Schriftsteller mehr zu Worte kommen zu lassen. Das vorliegende Werk hat Anspruch Barauf, aufgeführt zu werden; ob es einen unbedingten Erfolg davontragen wird, ist eine andere Frage. Der Inhalt ist fol gender: Hedwig, die angetraute Gattin des Geheimen Kommissionsrats Bender, ist diese Ehe aus praktischen Gründen eingegangen. Weil der Egoismus (bezw. das Schuldenconto) meines Bruders es so verlangte, mußte ich mich (aus Gehorsam gegen die Eltern) an den Meistbietenden verkuppeln lassen." Aber dieses Zusammenleben mit dem unsympathischen, ungeliebten Manne konvenirt ihr auf die Dauer nicht. Ihr Ehrgefühl" empört sich und da „dás Recht auf Liebe" in ihr erwacht, löst sie die Ehe mit Bender, indem fie einfach sein Haus verläßt, zu ihrem geliebten Freund dem Doktor Eschbach flüchtet, dem sie sich zu eigen giebt, mit Umgehung des Standesamts. Das Gefühl des Ehebruchs empfindet sie bei dieser Handlungsweise nicht.

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Hedwig: Weißt du, daß ich gar nicht das Bewußtsein habe, gegen Gesez und Sitte zu handeln, gleichsam außer halb der Gesellschaft zu stehen?"

Doch die Idylle voll Frieden und Glück an der Seite des an= gebeteten Freundes wird rauh zerstört durch die Angriffe und Feindfeligkeiten der Menschen. Doktor Eschbach ist es seiner Stellung als Abgeordneter schuldig, in Berlin zu leben. Sein Ansehen in der Gesellschaft sowie Hedwigs Ruf leiden natürlich durch das Verhältnis ihres Verkehrs. Hedwig ist bereit, Alles zu erdulden, nur dem geliebten Manne muß jeder Angriff erspart bleiben; und so sicht sie schließlich kein anderes Mittel, ihn vor Demütigungen, deren Urheberin zu sein sie sich selbst beschuldigt, zu bewahren, als sich mit einem Revolver, der zu diesem Zweck etwas gar zu absichtlich auf die Bühne gebracht wird, zu erschießen. Dieser Schluß ist vielleicht theatralisch wirksam, aber keine erschöpfende, befriedigende Lösung des Konfliktes, sondern lediglich ein — Knalleffekt. Abgesehen von drei überflüssigen und etwas abgeschmackten Scenen (4., 5. und 9. des 3. Aftes), zeichnet sich das Schauspiel durch eine geschickte „Mache“, durch einen interessanten Vorwurf und durch gewante, geistreiche Sprache aus, und es wäre zu bedauern, wenn es dem Verfasser tatsächlich nicht gelingen sollte, sein Werk auf einer berliner Bühne zur Aufführung zu bringen. F.

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Aus Versehen ist in der legten Nummer des „Magazins“ als Verfasser des Artikels Weimars klassische Theaterzeit" Lothar Schmidt anstatt Arthur Goldschmidt angegeben.

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Anläßlich der Kritik unsers F1-Korrespondenten von Julius Harts Sumpf" macht uns Herr Georg Zimmermann, der Regisseur der Deutschen Bühne“, darauf aufmerksam, daß ihn für die Nichtausmerzung der Weitschweifigkeiten des genannten Dramas kein Vorwurf treffe, da er ein ganzes Drittel des Stückes gestrichen, an weiterer Streichung indeffen vom Verfasser verhindert worden sei.

Verlag von F. & P. Lehmann, Berlin W., Körnerstr. 2.

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Erscheint jeden Sonnabend.

Redaktion: Berlin W., Körner - Straße 2.

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Preis 4 Mart vierteljährlich. Bestellungen werden von jeder Buchhandlung, jedem Postamt (Nr. 3589 der Postzeitungsliste), sowie vom Verlage des „Magazins" entgegengenommen. Anzeigen 40 Pfg. die dreigespaltene Petitzeile. Preis der Einzelnummer: 40 Pig. &

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Nr. 20.

Fuhalt: Marie v. Ebner-Eschenbach: Margarete. Otto Neumann-Hofer: Die neuen Goethefunde in Weimar. - Prof. Pol de Mont: Das neue antwerpener Museum. Viktor Wahle: Gregorovius. Curt Grottewiß: Das Grundideal der neuen Ethik. Villiers de l'Isle-Adam: Die Töchter Miltons. Friz Mauthner: Arne Garborgs Bei Mama. Litterarische Neuigkeiten: Dr. Heinrich Pudors Sittlichkeit und Gesundheit in der Musik", K. Gedans „Egbert", Humanus' "Naturgemäße Entwicklung des Menschen und Goethes Faust", besprochen von A. D.; Otto Moras und H. Thoeles „Heidnische Geschichten“, besprochen von E. Höber; Wißmanns „Zweite Durchquerung Afrikas“, besprochen von Graf Pfeil.

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Auszugsweiser Nachdruck sämmtlicher Artikel, außzer den novellistischen und dramatischen, unter genauer Quellenangabe gestattet. Uubefugter Machdruck wird auf Grund der Gesetze und Verträge verfolgt.

Margarete.

Von

Marie v. Ebner-Eschenbach.
(Fortsetzung.)

An einem milden, stillen Märztage kamen Robert und Priska vom Spaziergange zurück; fie gingen Arm in Arm, liebevoll neigte er sich zu ihr:

,,War die Wanderung nicht zu weit? bist du nicht müde geworden?”

zweiflung lag. Ihre Züge waren verzerrt, auf ihren halb geöffneten Lippen schien ein Fluch zu schweben. . . Robert warf einen kurzen Blick auf sie und beschleunigte seine Schritte. Die kleine Hand, die auf seinem Arme lag, zitterte, der rosige Mund, der eben so lieblich gesprochen, öffnete sich erst wieder, als sie zu Hause angelangt waren, zu den Worten:

,,Kennst du dieses Weib?"

„Es ist Margarete," antwortete Robert.

„O mein Gott!" rief Priska aus. „Ihr Kind tot, und sie sieht mich . . . die Unglückselige!"

„Nicht im geringsten!" erwiderte fie. „In Vohburg gedenke ich noch ganz andere Ausflüge zu unternehmen, bevor ihr mich einsperrt auf lange Zeit. Wann reisen wir ab? Ich sehne mich nach Vohburg du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr! . . . und wenn ich denke, wer dort das Licht der Welt zum ersten Mal erblicken soll, in dem lieben, alten trauten Neste... da überläuft michs,kommt sie sonst um Mittag zurück." vor Schrecken und Wonne.

Zur selben Zeit ging Steinau in der Straße vor Margaretens Wohnung auf und nieder. Er war oben gewesen und hatte die Magd allein und in Sorge über das lange Ausbleiben ihrer Herrin getroffen. „Sugar, wenn sie auf den Friedhof hinausgeht," meinte die Alte,

,,Vor Schrecken?“

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Nachdem Steinau eine Stunde lang oben im Zimmer gewartet hatte, ging er hinab und schlich num, nach allen Seiten ausspähend, um das Haus herum. Er spottete dabei weidlich über sich selbst und über die Ungeduld, die in ihm prickelte. Es ärgerte ihn, sich gestehen zu müssen, daß er sich jetzt vollkommen glücklich fühlen würde, wenn er sie nur erblicken könnte, wenn er sie nur des Weges kommen sähe.

,,Warten Sie auf mich?" fragte plößlich ihre Stimme dicht hinter ihm; er wante sich und sah sie dastehen mit ganz verstörter Miene, sie war totenbleich.

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„Dann kommen Sie.“

Sie trat in das Haus und eilte die Treppe hinan, er folgte langsamer. Als er ihr in die Stube nachfam, stand sie neben dem Bette, auf das sie Hut und Mantille geworfen hatte, und war damit beschäftigt, ihre Handschuhe | hastig aufzuknöpfen.

Uf!" feufzte Steinan und warf sich auf einen Seffel, pflegen Sie Ihre vier Treppen stets in diesem Tempo zu nehmen ?"

Margarete trat vor den Spiegel, der vorgeneigt am Pfeiler zwischen den Fenstern hing, und sah hinein. Es ist wahr" sagte sie „man kann vor mir erschrecken."

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Ein wildes Lächeln verzog ihre Lippen; sie begann vor dem Spiegel auf- und abzuschreiten und warf von Zeit zu Zeit einen Blick auf ihr Ebenbild.

Steinau folgte jeder ihrer Bewegungen mit stillem Entzücken. Wann gefiel sie ihm besser, in den Augenblicken der Ruhe, oder in denen der Leidenschaft?

„Ich bin jezt“, sprach fie, „diesem Grafen Vohburg begegnet; er führte seine Frau am Arme. Sie ist nicht schön."

„Schön? Nein aber bezaubernd. Eine anmutige kleine Frau, verständig, gut, sauft, selbstlos ...“

Margarete schrie auf: „Selbstlos? Was heißt das selbstlos? Das muß ein erbärmlich schwaches Selbst sein, von dem man im Stande ist, sich los zu machen!“

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„Es kommt darauf an — vielleicht auch ein starkes Selbst, das aber ein stärkerer Wille unterwarf... Vielleicht ein stolzes Selbst, das aber demütig geworden ist, durch die Liebe zu ...“

„Liebe!“ fiel sie ihm heftig ins Wort. Liebe, Liebe! Was erzählten Sie mir denn jüngst von Heiligen, die nur an den Himmel denken und irdische Seligkeit verschmähen? Diese Menschen lieben und find glücklich in ihrer menschlichen Liebe... Dieser Mann betet ja seine Frau an und ist glücklich... O“, brach sie plößlich aus,

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Wenn ich Ihnen Unrecht tue, so beweisen Sie's... Kommen Sie, Margarete, kommen Sie zu mir. Es ist ein Wahnsinn von Ihnen, diesen Mann zu lieben, denn niemals wird er Ihr Gefühl erwidern. Trachten Sie damit fertig zu werden und statt Ihr Herz an einen Menschen zu hängen, der es nicht zu schäßen weiß, schenken Sie es einem, der nach diesem Besize lechzt- und brennt. Derjenige, den ich meine, war sein ganzes Leben hindurch vernünftig, bedächtig, ein Ausbund von Klugheit. Nun sehen Sie! er ist bereit, jede Torheit zu begehen, um Ihnen zum Siege über die Ihrige zu verhelfen."

Er schlang den Arm um sie und sah mit blizenden Augen zu ihr empor.

Willst du hier in unserer kleinen großen Stadt durch „Was willst du? Befiehl ich bin dein Knecht. Glanz und Pracht alle Frauen überstrahlen und alle Männer durch deine Schönheit entzücken; Feste geben oder Feste durch deine Gegenwart verherrlichen? Willst du hier der Mittelpunkt aller Bewunderung, aller Mißgunst, übers Meer? Willst du dich überzeugen, ob die Sonne alles Neides sein?... Willst du fort — über die Berge? der Tropen heißer brennt als das Feuer, das in deinem Herzen lodert, oder willst du tanzen auf dem Opernball in Paris?... Die Welt ist schön, du kennst sie nicht, sie steht dir offen ich rate dir: Tritt ein!" „Mit Ihnen?" fragte sie.

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„Mit mir! Hand in Hand mit mir! Ich will dein Führer sein, folge mir getroft, du sollst es nicht bereuen, sollst nicht darben, nicht klagen über Mangel an Freuden. Schönste! Geliebteste! Was die Zukunft bringt, weiß ich nicht, aber meine Gegenwart ist dein und mein Ehrgeiz... Nun, vielleicht ergreift er mich einmal wieder man muß nichts verschwören jetzt bin ich seiner Herr geworden und werfe ihn dir zu Füßen.“

Sie legte beide Hände auf seine Schultern und senkte nachdenklich den Kopf:

So viel Macht habe ich?" sagte sie. „Die Macht, Seligkeit zu verschenken - die höchste,

„wie kann man glücklich sein, wenn man ein Menschen- die es giebt. llebe sie aus, diese Macht, so lange du sie

leben auf dem Gewiffen hat!"

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Steinau blickte sie fest und boshaft an, Eifersucht und Grimm kämpften in seiner Brust.

hast. Jeder Tag, mein Kind, ist ein Dieb an deinem Reichtum."

Margarete lauschte, - aber nicht mehr seinen Worten, sie lauschte dem Klanze einer Stimme, die sich im Vorgemache erhoben hatte, die ihren Namen nannte, und jezt lauter den Steinaus.

„Hören Sie!..."

Hochatmend, pochenden Herzens, trat sie einige Schritte zurück und wandte in tiefer Verwirrung den Blick von der Tür ab, die sich in dem Augenblicke öffnete, um Robert einzulassen.

Dieser ging auf Steinau zu.

„Du hast befohlen“, sprach er erregt, „jeden Besuch abzuweisen.“

„Margarete, er fann wirklich nichts dafür, daß Sie sich in ihn vernarrt haben“, sprach er giftig und nach- | und antwortete mit unendlichem Spotte: drücklich.

Steinant streichelte langsam und behaglich seinen Bart

Sie stieß einen Schrei der Wut aus: „Ich?“

„Erstens - habe ich hier nichts zu befehlen, zweitens: du bist immer willkommen. Nicht wahr, Fräulein

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Margarete, Sie gestatten mir, es in Ihrem Namen zu versichern: er ist immer willkommen, der Herr Vor- | mund, der Herr Mentor ... besonders, wenn er wie jezt man sieht's ihm an eine Vorlesung in petto hat, die sogleich abgehalten werden soll, machen Sie sich darauf gefaßt... Sie wird gewiß sehr lehrreich sein. Wie leid tut es mir, sie nicht mit anhören zu können! Aber - eine Verabredung Geschäfte -" Er erhob sich, griff nach seinem Hute und verließ mit gleichgiltiger Miene das Zimmer, nachdem er sich vor Margarete tief und förmlich verneigt und Robert zugenicht hatte.

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„O, ich halte Sie für sehr fähig, Ihre Drohung zu erfüllen."

„Wahrhaftig?!.." Und - es wird mir leid tun, aber ich kann Sie nicht daran hindern.“

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Sie stieß ein langgedehntes, spöttisches: „So?“ hervor. „Es wird Ihnen leid tun? das ist freilich schlimm, aber auch ich muß gestehen. ich fanns nicht hindern. Ich kann nicht, um Ihnen ein vorübergehendes Leid zu ersparen, das Dasein einer Eingemauerten führen. Ich kann dieses öde, frendlose Leben nicht ertragen, damit Ihr Glück, das einzig und unermeßlich ist, auch nicht durch den leisesten Vorwurf getrübt werde."

Erwartungsvoll blickte sie ihn an und suchte auf seinem Gesichte die Spuren des Eindrucks zu lesen, den ihre Worte hervorgebracht. Aber nicht zornig, wie sie halb gehofft und halb gefürchtet, nur verächtlich blickte er auf sie nieder, und erwiderte:

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Wie Sie wollen."

Damit stand er auf und schritt dem Ausgang zu. „Halt!" rief fic: „Halt! nur noch eine Frage." (Fortsetzung folgt.)

Die neuen Goethefunde in Weimar.

Bon

Otto Neumann-Hofer.

Das waren reiche und schöne Auregungen, welche die vom 4. bis zum 11. Mai währende Festwoche in Weimar bot, unvergeßlich jedem, der daran mit Herz und Sinnen teilgenommen. Es ist ein nicht zu enträtselndes Geheimbreitet. Darin liegt alles, was historisches Werden heißt, nis, der Tuft, den die Vergangenheit über die Gegenwart und im Grunde auch alle Civilisation. Denn das Wertvollste aller Gesittung, ihre Seele, der Stamm, woraus die Aeste und Zweige in ihrer fürstlichen Pracht entsprießen, ist die Tradition. Ein Ort, ein Stamm, ein Land ohne Geschichte ist barbarisch, mit einer ruhmreichen Vergangenheit dagegen eine Stätte, an der die Kultur zähe klebt, eine Stätte, die selbst durch Jahrhunderte langen Unglücks schwer der civilisatorischen Patina beraubt werden kann. Eine große Vergangenheit adelt, und in den Enfeln lebt unbewußt ein ungeschriebenes und unparagraphirtes Noblesse oblige", welches jenen Duft erzeugt, der die Menschen fanfter und schöner zu machen scheint und den liebevollen Beschauer wie „Ahnung höherer Lust" berührt.

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