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Ein solches Schwanken zwischen Modernität und alten Dogmen zieht sich durch Mantegazzas ganzes Werk. Recht bezeichnend für diese Unklarheit ist es, wenn er von einem Durchschnittstypus aller individuellen Typen von wolgebildeten und intelligenten Menschen spricht und von jenem aussagt, daß er das absolut Schöne für die Wiffenschaft sein könne. Der alte ästhetische Sat, daß das Schöne der Typus einer bestimmten Gattung sei, ein Saß, deffen Brauchbarkeit ich hier nicht untersuchen will, ist dabei von Mantegazza fritiflos in der Auffassung des vorigen Jahrhunderts herübergenommen worden. Er hat damit einmal wieder seinen ganzen Darwin und seine Physiologie" vergessen. Weiß er nicht, daß gerade der Typus je nach der Anschauungsweise verschieden ist? Warum stellten denn Italiener, Deutsche, Franzosen, Spanier u. f. w., das Mittelalter, die Neuzeit, die Gegen wart den Typus „Mensch“, den „Idealmensch“ Jesus immer verschieden von einander dar? Zugleich liegt in dem mantegazzaischen Saß jene irrige Annahme von etwas allgemein Menschlichem in der Kunst. Offenbar ist er sich nicht darüber klar, daß ein solcher absoluter Durch schnitt nichts wäre als eine zoologische Abstraktion: Mensch aufrecht gehendes Säugetier, Zweihänder u. s. w. Der Künstler aber macht sein Werk gerade dadurch ästhetisch interessant, daß er individualisirt.

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Indeffen derartige Untersuchungen, welche die moderne Aesthetik gerade jetzt beschäftigen, liegen Mantegazza vollftändig fern. Er giebt sich noch ganz und gar mit diesen alten ästhetischen Schematisirungen der Wolfffchen (und auch noch Kantschen) Schule ab. Dabei ist ihm Rafael Mengs der Geleitsmann. Bezeichnend ist es dabei übrigens daß er sich an den Kärrner anstatt an den König, an Mengs anstatt an Kant hält. Er spricht von den Quellen der Schönheit und führt als solche die Symmetrie, den Kontrast, die Farbe und so weiter auf. 3ft es nicht genan dasselbe, als wenn er die Buchstaben als Quellen der Dichtkunst anführte? Denn ebenso wie die Farben können die Buchstaben ein großes Kunstwerk geben, wenn sie der Dichter ebenso wie der Maler die Farben in der nötigen. Weise zusammenzustellen versteht. Kurzum, anstatt zu zeigen, in welchem Falle, in welcher Anwendung und Verbindung Symmetric, Kontrast, Farbe u. s. w. einen ästhetischen Wert erlangen können, nimmt er diese Dinge als von der persönlichen Schäßung unabhängige feststehende Begriffe an und ergeht sich über sie in den allgemeinsten und nichtssagendsten Ausdrücken. Wie sehr er in dieser Schematisirung absoluter Begriffe nach Art der alten Aesthetik befangen ist, das zeigt auch seine Behandlung der Formen des Echönen: des Grandiosen, Erhabenen, Graziösen u. s. w. Auch hier natürlich läßt er sich wieder von dem Schelm Wort, wie Nietzsche sagt, täuschen. Daß wir unter dem Wort Grandios verschiedene ästhetische Werte nur deshalb zusammenfassen, weil unsere Sprache noch nicht so differenzirt ist, um die verschiedenen Schönheitsqualitäten der Grandiosität mit verschiedenen Aus drücken zu belegen, daran hat er offenbar nicht gedacht. Das will ich ihm indessen nicht übelnehmen. Denn unsere ganze moderne Aesthetik hat sich noch nicht zu der um wälzenden Anschauung durchgerungen, daß kein ästhetischer Wert dem anderen gleich ist, weder quantitativ noch qualitativ, und daß der Ausdruck schön, grandios, erhaben u s. w. nur sehr allgemeine Abstraktionen sind, unter denen die mannigfachst nüanzirtesten Gefühlserregungen schablonenhaft zusammengefaßt werden. Daß sich auf diese Anschauung eine vollständig neue ästhetische Werttheorie bauen läßt, will ich hier nur andeuten.

Mantegazza ist jedoch nicht nur der Vorwurf veralteter Anschauungsweise zu machen, sondern es ist gegen

ihu vor allem die Anklage zu erheben, daß er wissenschaftlichen Humbug treibt.

So stellt er ein Diagramm der ästhetischen Erregung auf, welche die llebergänge derselben in die verschiedensten Gehirncentren darstellen soll. Diese Centren nennt er das erotische, das künstlerische, das Centrum der Affekte, das Centrum X, Y und Z. Nun meint er, daß eine ästhetische Erregung, die etwa durch den Anblick eines schönen Mädchens hervorgerufen, in das erotische Centrum überfließe und so verschiedene Phänomen der seruellen Exaltation hervorbringe. Diese ganze Manipulation ist nur ein Prunken mti wiffenschaftlichen Ausdrücken und wissenschaftlicher Methode ohne irgend welchen Gehalt und Wert. Zunächst ist es nichts als fraffe an Galls Schädellehre erinnernde Unwissenschaftlichkeit, wenn er verschiedene Gehirncentren für Erötif, Kunstbefähigung und so weiter annimmt, dann aber ist es vollständig wertlos, wenn er uns mitteilt, daß, um es einfach auszudrücken, das Gefühl des Schönen einmal in das der Liebe übergehen kann, endlich ist es aber geradezu Humbug, wenn er von diesen Nebergängen der ästhetischen Erregung sagt, daß sie die clementare Physik des Schönen begründeten. Wie hohl und nichtssagend diese ganze Auseinandersetzung ist, das sieht man übrigens am besten aus den Beispielen, die er anführt. Gebt, sagt er, um den Uebergang der ästhetischen Gefühlserregung in das artistische Centrum" darzutun, gebt einem unkundigen Arbeiter ein Stück Bronze, und er wird es höchstens zu einer Glocke aushöhlen, gebt es Benvenuto Cellini, und er wird daraus den Perseus machen. Welch hohe Weisheit! Und wie bescheiden ist Herr Mantegazza, wenn ihm seine Spielerei als die Anwendung der experimentellen Methode auf das Studium der psychischen Phänomene“ erscheint.

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Solcher Beispiele wissenschaftlichen Humbugs giebt aus dem Bishergesagten geht zur Genüge hervor, welchen es gar viele in Mantegazzas Buche. Indessen ich glaube, Wert wir dieser Abhandlung beizumessen haben. würde sich gar nicht verlohnen, über dieselbe ein Wort zu verlieren, wenn nicht andere ästhetischen Traktate der Gegenwart ebenso unwissenschaftlich wären, wie derjenige des italienischen Physiologen und wenn nicht diejer geradezu das Prototyp dieser modernen Aesthetiker wäre. Wieviel ich auch von der Physiologie im Verein mit der Philosophie für die Aesthetik erwarte, ein Versuch wie der Mantegazzas, die wenigen Erfahrungssäße einer noch im Anfangsstadium befindlichen Wissenschaft auf die kom plizirten Gejeße der Kunst und noch dazu in so plumper Weise anzuwenden, kann nur als wissenschaftlicher Humbug betrachtet werden. Gegen Mantegazza werde ich nun jedoch mehr denn je mißtrauisch sein, auch gegenüber seinen physiologischen Werken. Ist seine Wissenschaftlichkeit dort nicht stärker als im Epikur, dann kann man Mantegazza aus der Liste der Ernstzunehmenden ruhig streichen.

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Er seufzte tief auf, kraßte eine ganze Minute lang auf das Grausamste auf seinem interessanten Schädel herum und dann fuhr er endlich düster fort: „Es war alles so nett - es hätte so hübsch werden können! Auch der Graf ein so wolmeinender Herr, so ein rosiger Graukopf mit fabelhaft wolgepflegten Händen, und die Komteffen schöne, große, gutgenährte junge Damen aber die ganze Familie duftete dermaßen nach Seife, daß einem ganz übel werden konnte; auch Fräulein Gabriele Gott sei's geklagt! Und dann hatten sie eine Manier, einem hinter die Ohren zu guden und auf die Hände und dann schamhaft zu erröten, wenn sie irgend etwas Ungehöriges entdeckt zu haben glaubten, einen schmalen Trauerrand unter den Nägeln oder dergleichen. Es war zum Auswachsen! Die jungen Mädchen hatten außerdem noch die unangenehme Eigenschaft, sich fortwährend zu zublinzeln oder gar anzustoßen, wenn ich bei Tische irgend ein Verbrechen beging, das Gemüse mit dem Messer zu Munde führte, den Fisch schnitt oder den Zucker mit den Fingern nahm. Ich gab mir zwar alle mögliche Mühe, ihnen ihre albernen, gezierten Manieren beim Effen und Trinken abzugucken, obwol solche Dummheiten eigentlich eines Philosophen unwürdig sind; aber das half alles nichts. Ich habe zu wenig Talent zum Affen! — Am Abend pflegte dann Fräulein Gabriele oder eine von den Komtessen etwas Französisches oder Englisches vorzulesen. Natürlich kann ich Englisch und Französisch, ich lese jedes Buch. Aber wenn diese Damen vorlasen, verstand ich kein Wort, solch eine verrückte Aussprache hatten sie. Das war mir natürlich einigermaßen unangenehm Aber ich hätte mich gern über solche Kleinigkeiten hinweggesetzt, wenn mich nicht auf Schritt und Tritt diese verwünschte Reinlichkeitsmanie verfolgt hätte. Morgens, Mittags und Abends hieß es: Befehlen Sie nicht vielleicht warmes Wasser zum Waschen? oder: Sie werden sich gewiß ein wenig zurückziehen wollen, Herr Doktor, um etwas Toilette zu machen? oder: Schwimmen Sie nicht? Wir haben kaum ein Stündchen von hier einen sehr hübsch tiefen See und so weiter und so weiter. Am zweiten Morgen weckte mich der Diener, um mir zu sagen, daß das gewünschte warme Bad bereit sei. Es half mir nichts, ich mußte hinein. Stellen Sie sich vor: innerhalb vierzehn Tagen zweimal! Und außerdem mußte ich mich doch noch täglich waschen; denn ich mußte fürchten, daß der Diener es dem Grafen hinterbringen würde, wenn das viele, viele Waffer unbenutt blieb. Am dritten und am vierten Tage polterte der Kerl auch richtig wieder mit seiner großen

Sizwanne herein und erkundigte sich immer eindringlicher, ob ich auch heute noch kein faltes Bad vertragen könnte. Es war, um aus der Haut zu fahren, wenn ich mir nicht schon wie aus der Haut gefahren vorgekommen wäre.

„Hatte ich bisher noch eine leise Hoffnung gehabt, daß diese Wasserwut ein Erbübel der gräflichen Familie und meine Heloise als Philofophin über ein so kleinliches Vorurteil erhaben sei, so schwand auch die, als ich eines Tages mit der Frau Gräfin allein blieb und sie mir Fräulein Gabrieles Lob in allen Tonarten zu singen begann. Und da erfuhr ich denn zu meiner schmerzlichen Ueberraschung, daß gerade sie es gewesen war, welche die Reinlichkeit als vornehmstes Erziehungsprinzip aufgestellt und damit diese sichtbaren, außerordentlichen Erfolge erzielt hatte. Sie glaubte auch an Jägers Seelentheorie und behauptete, einem jeden Menschen seine jämtlichen Tugenden und Laster anriechen zu können. Ein so gescheites Weib - unfaßlich! Und am fünften Tage meiner Anwesenheit nimmt mich der wackere Graf mit sich in fein Zimmer, bietet mir eine vorzügliche Cigarre an und eröffnet mir darauf folgendes: Fräulein Gabriele habe an meinem Geiste ein so großes Gefallen gefunden, daß sie sich wohl entschließen würde, über den Mangel auffallender Körperschönheit hinwegzusehen. Sie habe sich immer nichts Besseres gewünscht, als einmal die Gattin eines stillen Gelehrten zu werden, dessen Lebensarbeit sie bei ihrem reichen Wissen zu folgen und vielleicht sogar zu fördern imstande wäre. Sie kenne meine dürftige Lage und sei bereit, das Ihrige mit mir zu teilen. Sie habe sich in den achtzehn Jahren, die sie in seinem Hause zugebracht, ein ganz hübsches Sümmchen gespart und außerdem noch eine ganz angenehme Erbschaft gemacht, so daß wir zwei bei bescheidenen Ansprüchen wohl damit unser Auskommen hätten, zumal wenn wir beide noch durch Schriftstellerei etwas verdienten. So weit war alles sehr schön und mir war so selig zu Mute, als hätte ich das große Los gezogen. Aber nun kam das große Aber. Der Graf fuhr fort: Fräulein Gabriele ist nur in einem Punkte etwas eigen Sie gestatten mir, ganz offen zu reden. Sie hat mich natürlich nicht beauftragt, Ihnen das zu sagen; aber sie hat mit meinen Damen davon gesprochen, und auf diesem Umwege habe ich es wiedererfahren. Also ganz unter uns Männern, sans gène et compliment: sie hat nämlich eine sehr feine Nase, Fräulein Gabriele, und da glaubt sie zu bemerken -- da fürchtet sie gewissermaßen, äh, wie soll ich mich ausdrücken? - ich meine, das heißt: sie meint, Sie wären vielleicht ein wenig wasserschen! Nun, mein Gott ja, hehe es ist eben nicht jedem Menschen angeboren und Sie haben ja auch nicht Fräulein Gabriele zur Gouvernante gehabt. Aber glauben Sie mir, es ist riesig gesund, es hält Leib und Seele zusammen - zum Beispiel diese falten Abreibungen morgens. Mein Diener sagte mir, Sie hätten seine Hilfeleistung bisher verschmäht - das sollten Sie wirklich nicht thun, mein lieber Herr Doktor! Und dann erzählte er mir eine lange Geschichte von seinen vergangenen Leiden und wie die alle gewichen

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„Ich lag schon seit einer halben Stunde wach und klapperte in banger Erwartung mit den Zähnen, als der grimme Friedrich mit seinen Marterwerkzeugen in mein dämmeriges Gemach hineinschlich. Ganz leise rollte er die Wachstuchdecke auf, poftirte den Blechzober genau in die Mitte und den Wassereimer rechts daneben. Dann trat er an mein Bett heran und räusperte sich. Vergebich versuchte ich, mich schlafend zu stellen, um die Eyekution noch ein wenig hinauszuschieben. Er hatte mich vorher schon blinzeln sehen und sagte nun mit eisiger Ruhe: ,Herr Graf haben angeordnet, daß Herr Doktor heute doch ein kaltes Bad wünschen. ,Jawol, lebhaft!" schreie ich ihn an und fahre mit dem Mute der Verzweiflung mit beiden Beinen gleichzeitig aus dem Bette. Was tut man nicht, um ein Weib mit Geist und Vermögen zu erringen! Ein Ruck und hüllenlos war das zerbrechliche Gefäß meines Geistes den Augen dieses Sklaven preisgegeben. Sind diese Aristokraten nicht eine fchamlose Gesellschaft, denen so was zur täglichen Gewohnheit werden kann? Ich biß die Zähne aufeinander und nahm in dem weiten Zuber Plaß. Kaum aber hatte mein Körperliches den kalten Blechboden berührt, da schoß auch schon der eisige Wasserfall über mein Haupt hinweg. Der Atem verging mir, das Herz trat mir in die Kehle und alle meine Muskeln kontrahirten sich so plötzlich, daß ich, wie von einer gewaltigen Feder emporgeschleudert aus der Wanne herausflog. Ich wollte um Hilfe schreien, aber die Stimme verjagte mir. Ich wollte fliehen, hinaus in die Wälder, über die russische Grenze vielleicht, wo es doch noch fühlende Menschen giebt. Aber der Friedrich, dieses Ungeheuer, hielt mich fest, wickelte mich in das Frottirtuch ein und schrubbte mich ab mit der Erbarmungslosigleit einer Köchin, die einen Aal bei lebendigem Leibe schindet. Ich war fertig, hin, schachmatt aber mein Entschluß war gefaßt. Nie wieder and könnte ich mir dadurch eine königliche Prinzessin zur Gemahlin erwerben! An allen Gliedern zitternd, kroch ich in meine Kleider hincin, und dann hinaus, fort aus diesem unheimlichen Hause, auf Nimmerwiedersehen! Dem frech grinsenden Friedrich, der mir im Garten begegnete, rief ich zu, ich wollte vor dem Frühstück noch einen kleinen Spaziergang machen. Und dann, als ob der Tod mit der Hippe hinter mir her wäre, nach dem Bahnhof. Am Tage vorher hatte mir Joelsohn glücklicherweise den Rest von dem Reisegelde geschickt. Es langte gerade noch zu einem Billet vierter Klaffe bis Berlin. Ich kann Ihnen sagen, ich dankte meinem Schöpfer, als ich wieder in meinen kahlen vier Wänden saß!"

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So ist denn Berlin wirklich eine Kunststadt geworden, und zwar mit Frühlingsanfang, fast auf die Stunde. Wer hinausging, durch den Tiergarten, nach dem moabiter Park, der schritt durch zart keimendes Grün, und zum ersten Male im gesegneten Jahre 1891 wandelte er in einer ernstzunehmenden Sonne. Fast genau bis zum 1. Mai schten die Natur ihre Kraft aufgespart zu haben, um dann mit einem plöglichen Emporsprießen und Hervorbrechen all ihre Frühlingsgewalt zu entfeffeln und die bis dahin fröstelnden Menschenkinder mit einem Male schwißen zu machen. Frohgemut hüllte man sich in festtägliches Gewand, und ob man sich eine weiße oder eine rote Kravatte umband, oder ob man sich ein Ordensbändchen oder eine Feuernelke ins Knopfloch flocht, es war das gleiche hoffnungsvolle Gefühl, das alle Welt beseelte und sich in einem tausendfach nüanzirten Lächeln freudigster Siegeszuversicht äußerte.

Die Menschheit glaubt ja immer lächeln zu müssen, wenn sie sich einmal behaglich fühlt, und sie fühlt sich behaglich, wenn die Sonne scheint.

Draußen im Ausstellungspark waren die Festlichsten der Festlichen bei einander. Defters etwas zu dicht bei einander; denn man drängte sich rudelweise zusammen, um etwas sehen zu können, und sah sich außerdem durch Spalier bildendes Militär in seiner Bewegungsfreiheit gehemmt. Da verwandelte fich denn der Frühling mitunter schnell in einen Sommer, und der Sommer in einen Backofen, in dem man lieblich schmorte und briet. Das alles beeinträchtigte die Stimmung aber nicht, und nicht einmal als zwei Schwadronen lanen im vollen Trab einhergestoben kamen und eine Staubsäule aufwirbelten, in der der Herrgott des alten Testamentes vor dem Volke Israel hätte einherschreiten können, sank die Festbegeisterung. Vielmehr atmete man den Staub tapfer hinunter und schrie hinterher aus tausend heiser gewordenen Kehlen den vorüberfahrenden Majestäten ein donnerndes Hoch zu. Schließlich militärische Prachtentfaltung der Kunst erst die rechte Weihe gefanden sich sogar loyale Gemüter, welche meinten, daß die geben habe.

Später ergoß sich die Schar der Gäste in die Säle, und das Schauen nahm nun seinen Anfang. Zuerst lief man ziemlich blöde umher und starrte die bunten Herrlichkeiten an

den Wänden neugierig-befangen an, dann bildeten sich allmählich Gruppen, in denen man plauderte und lachte, und schließlich wurde es ziemlich menschenleer: die Honoratioren eilten zum köstlichen Festbankett, und die Andern taten wenigstens so, als ob sie auch hineilten. Da gewann man dann Muße, sich seinen Eindrücken unbefangen hinzugeben, und Herr Dr. Schüße durchwandelte die Säle, einsam und ungestört.

Ich werde mich wohl hüten, was ich im einzelnen empfand und dachte und beobachtete, hier gleich der Druckerschwärze anzuvertrauen. Dazu bin ich nicht leichtfertig und schnellfertig genug. Vielmehr harrt die Fülle meiner motivirten Weisheit und Wissenschaft noch des kommenden Gärtners, der sie vom Baume pflücken soll. Für heute werde ich das Bäumchen blos einmal schütteln und auflesen, was dabei herunterfällt. Es werden weniger Früchte als Frühlingsblüten sein.

Zunächst also cin Wort über die Anlage der ganzen Ausstellung. Sie verdient meiner Ansicht nach volles Lob und vermittelt die Schau der herbeigeschleppten Schäße in wohl übersichtlichen Gruppen. Die Plastik, welche sonst in die hinteren Säle verwiesen wurde, breitet sich jezt zu beiden Seiten des Eingangs - Kuppelraumes in zwei großen hellen Hallen aus. Sie wird dort weniger leicht übersehen oder mit ermüdeten und übersättigten Augen betrachtet, als dies ehedem der Fall zu sein pflegte. Und dies ist sehr wünschenswert, weil beim deutschen Publikum der plastische Sinn noch tiefer darnieder liegt als der malerische. Soll die Ausstellung, wie wir hoffen, eine Schule für das Publikum werden, so hat man den Anfang zweckmäßig eingerichtet.

Die nächste Fortsetzung ist freilich um so ärger. Es folgt nämlich sofort hinter dem Kuppelraum der sogenannte Ehren saal, der die offiziellen Fürsten-Porträts und einige patriotische Bilder enthält. Es scheint, daß hier die Ehre die Kunst erseßt. Wenigstens muß dies von den beiden Prunkporträts des Herrn von Angely gelten, auf denen, nach Aussage des Katalogs,, der Kaiser und die Kaiserin dargestellt sind. Lcblosere und anspruchsvollere Nostümbilder habe ich noch nicht gesehen, und daß dem so ist, ist um so bedauerlicher, als Herr von Angely nicht blos früher, sondern auch jezt, durch die Brustbilder der Kaiserin Friedrich und der Prinzeß Viktoria, gezeigt hat, was er zu leisten vermag, wenn er es mit der Kunst ernst nimmt. Den größten Raum des Saales nimmt die bekannte, pomphafte Allegoristerei Ferdinand Kellers ein, die Apotheose Kaiser Wilhelm I., ein Bild, das durch sein deklamatorisches und prahlsüchtiges Pathos ebenso sehr dem Charakter des verstorbenen Kaisers wie dem Geiste der neuen Kunst widerspricht. Sonst hängt einige Tußendware da herum, z. B. eine Farbenstizze von Anton von Werner zu seinem Bilde der Eröffnung des Reichstags durch Kaiser Wilhelm II.

Nachdem wir solchermaßen über die Schwelle haben stolpern müssen, betreten wir die folgenden Räume gehobenen Hauptes und festen Schrittes. Mit ihnen beginnt die eigent liche Ausstellung. In geschlossenen Massen tritt uns die Kunst der einzelnen Länder Europas (auch Amerika, als in Paris internirt, gehört in diesem Falle zu Europa) mit überraschend frischen Nationalfarben entgegen. Jeder Eaal, oder auch eine Gruppe von Sälen, führt uns ein bestimmtes Land vor, und je charakteristischer die einzelnen Länder sich gegen einander abstufen, desto einheitlicher und überzeugender ist der eine große Gesamteindruck einer mächtig aufstrebenden europäischen Kunstblüte. Gerade dadurch, daß jedes Land seine eigene Geige streicht, wird die Harmonie eine volltönende. Freilich fehlen die französischen Flöten und Cor

nets à piston, wodurch eine wenig ausgleichende Fülle, Süße und Feurigkeit verloren geht. Indes dürfte es doch die Frage sein, wer bei diesem Fehlen mehr verliert, wir, die wir die Franzosen entbehren müssen, oder die Franzosen, die bei einem allgemeinen europäischen Concert nicht gehört werden. Auf der Ausstellung als solcher ist so ungemein viel Eigenartiges, Bedeutendes und Anlockendes zu sehen, daß diejenigen, die nicht da sind, schwerlich vermißt werden. Zudem vermittelu d.e Amerikaner, Polen, Ungarn und Spanier, die in Paris malen und die die Ausstellung reichlich beschickt haben, durchaus eine Anschauung von dem, was man in der Seinestadt. anstrebt, und schließlich kommen ja auch einige wenige echt | französische Bilder hinzu. Die „Reingefallenen“ also find keineswegs wir, und vielleicht wird Herr Detaille, wenn er von dem Erfolge der Berliner Kunstausstellung liest, es doch noch im Geheimen verwünschen, daß er sich von dem phrasenklingelnden Radaubruder Déroulède hat ins Bockshorn jagen lassen ganz abgesehen davon, daß die „an der Spitze der modernen Civilisation marschirende" französische Nation in dieser Frage eine Engigkeit des geistigen Horizonts verraten hat, die man in dem an weitsichtigere Auffassung und Beurteilung gewöhnten Deutschland kaum zu begreifen vermag. Hat man es uns oft als Untugend angerechnet, daß wir vor frem den Nationen vom eigenen Charakter zu schnell etwas aufgeben, so entspricht dieser Untugend doch auch die Tugeud, daß wir fremde Volkscharaktere rasch und tief zu verstehen und zur Eweiterung unserer nationalen Bildung heranzuziehen wissen. Die Deutschen sind ihrem tiefsten Wesen nach ein international veranlagtes Volk, und darum werden sie bald, auch auf geistigem und künstlerischem Gebiete, das führende Volk sein. Denn der internationale Zug ist in der ganzen modernen Welt unverkennbar und verlangt gebieterisch nach Erfüllung und nach Herrschaft .

Es wird meine Aufgabe sein, in den folgenden Auffäßen die verschiedenen Nationen daraufhin zu sondiren, was sie als besondere und als allgemeine Elemente für das Aufblühen der modernen Kunst in die Wagschale zu legen haben. Wir werden überall auf festere Formationen und konzentrirteren Charakter stoßen, als gerade bei der deutschen Kunst, die daher an leßter Stelle zu betrachten sein wird. Was die Spanier, die Italiener, die Ungarn, Engländer, Polcu, Dänen erreicht haben, das lag gleichsam von Anbeginn in ihrer nationalen Eigenart als Entwicklungskeim vor und ist jetzt, man kann nur sagen: auf normale Weise, zur Blüte gelangt. Fortschrittsbedingungen sind natürlicherweise noch allenthalben vorhanden, aber die Art als solche ist figirt und wiro vor der Hand schwerlich Abänderungen erleiden. In der deutschen Kunst dagegen ist die Art noch nicht im mindesten fixirt, und was man vielleicht als Art bezeichnen könnte, die Weichlichkeit, Rührseligkeit und Schöntuerei ist gerade das, was von den wahrhaft vorwärtsschreitenden und führenden Künstlern am entschiedensten verlassen und befehdet wird. Natürlicherweise ist die altertümliche Gruppe numerisch noch ziemlich stark, ja sie verstärkt sich zu= weilen noch aus den Reihen derer, die in ihrem Können und Denken bereits weiter fortgeschritten sind, aber dem verderbten Modegeist gelegentlich ein Opfer bringen zu müssen glauben. Indeß wo diese Herren von der süßlichen Konvention nicht bereits durch ihre besser beratenen Landesbrüder in Schatten gestellt worden sind, da werden sie von den großen Meistern des Auslandes wie schlechte Töpferware förmlich zu Scherben zerschlagen. Wer von den Spaniern kommend in den großen Düsseldorfer Saal eintritt, der sieht an den Wänden alle Farben verbleichen und in einen gestaltlosen Syrup zerrinnen. Dieses

negative Resultat ist außerordentlich wichtig und in unserem Sinne sogar erfreulich. Denn es wird und muß den endgiltigen und allgemeinen Durchbruch der neuen, suchenden, arbeitenden, alle schöpferischen Seelenkräfte entfesselnden Kunst vor den Augen von ganz Europa bewirken und vollziehen. Im Uebrigen kann man in der deutschen Kunst ein eifriges Experimentiren und sich auf allen Gebieten Versuchen beobachten. Je weniger daher der Charakter unserer Kunst bereits festgelegt und in enge Schranken getrieben ist, desto freier, reicher und hoffnungsvoller vermag sie sich zu entwickeln. In München beginnt man bereits feste Wege zu finden, und in Berlin ist wenigstens eine Anzahl ernst strebender Kräfte tüchtig bei der Arbeit. München führt, und Berlin folgt, desgleichen die anderen deutschen Kunststädte außer Düsseldorf; das sich dazu anschickt, langsam in ein besseres Jenseits hinüberzuschlummern. Werden wir daher auch im einzelnen an den ausgestellten deutschen Kunstwerken vieles zu tadeln haben und vermissen, so dürfen wir doch mit dem Gesamtergebnis zufrieden sein. Es sind genug aufstrebende jugendliche Kräfte vorhanden, um eine gute Zukunft der deutschen Kunst wahrscheinlich zu machen, ja an Reichhaltigkeit, Vielseitigkeit und eigenartiger Phantasickraft, desgleichen an Fleiß und redlichem technischen Können brauchen manche Deutsche bereits jet den Kampf mit keinem der Ausländer zu scheuen. Gelangen wir später als unsere Nachbarvölker ringsumher zu einer nationalen (d. h. in deutschem Sinne universal-gefärbten) Kunstblüte, so wird es uns dafür voraussichtlich gegönnt sein, die Ergebnisse der bisherigen Gesamtentwicklung der modernen Kunst zusammenzufassen und in einem in tausendfältigem Farben glanz blizenden Strahlenkranz zu vereinigen. Zur Erreichung dieses Zieles wird uns die gegenwärtige internationale Kunstausstellung dankenswerte Dienste leisten.

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Ich kann diesen Vorbericht nicht schließen, ohne über den Katalog, der uns als Führer durch die Ausstellung zum Preise von zwei Mark dargeboten wird, einige Worte herbsten Tadels zu sagen. Er ist nicht blos unvollständig was bei der Eile der Herstellung zu entschuldigen sein mag und später nach geholt werden kann - sondern er ist auch unzuverlässig, willkürlich und unpraktisch. Ueberhaupt ist er ganz prinziplos zusammengestellt. Er hebt zunächst den „Ehrensaal" und einen ,,internationalen Saal" (später folgt noch ein zweiter) gesondert heraus mit welcher inneren Berechtigung, ist schwer zu sagen - und geht dann die Kunstwerke nach Nationen durch. Dabei giebt es unter „Deutschland“" folgende Unterabteilungen: Delgemälde (1-1219), Aquarelle (1301-1481), Fächer (1501 bis 1519), Diplome (1530-1577), Radirungen und Stiche (16011670), Bildwerke und Skulpturen (1701 1909), Architektur (1921-1968). Darauf beginnt Amerika mit Nr. 2002. In jeder dieser Unterabteilungen beginnt von neuem eine lexikalische Namensordnung, ohne daß oben auf der Seite zu lesen steht, in welcher Unterabteilung man sich gerade befindet. Eine Scheidung nach Lokalschulen, was für die gegenwärtige deutsche Kunst das Ausschlaggebende ist, ist nicht vorgenommen. über den Standort der Kunstwerke ist nichts vermerkt. Auch wer sich etwa, was gleichfalls von höchster Wichtigkeit ist, über die Zahl und Zusammenseßung der aus Paris geschickten Werke unterrichten will, findet in dem Katalog keine Zusammenstellung, sondern muß die Arbeit für sich allein vornehmen. Ferner, bet den Polen, die keine geschlossene Nation mehr bilden, ist es äußerst wissenswert, auf welche Kunstcentren sie ihre Arbeit verteilen. Sie bilden gleichsam ein Thermometer, um die Zugkraft der einzelnen Kunststädte zu messen, und in ihrem beweglichen Temperament spiegelt sich der Charakter

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Ein guter

der verschiedenen Lokalschulen eigenartig wieder. Katalog hätte auch darüber einige Zusammenstellungen gebracht. (Ich habe sie mir privatim gemacht und werde sie ihrer Zeit mitteilen.) Im Allgemeinen wäre demnach folgendes zu wünschen gewesen:

1. Durch den ganzen Katalog gehen drei Hauptabteilungen hindurch: Malerei, Plastik und Architektur. Innerhalb dieser Hauptabteilungen befinden sich als Unterabteilungen die einzelnen Nationen, und in Deutschland als weitere Unterabteilungen die einzelnen Lokalschulen. Die Malerei ferner erhält ihre besonderen Unterabteilungen nach Delgemälden, Aquarellen 2c.

2. Auf jeder Seite wird man oben genau darüber orientirt, an welcher Stelle des Kataloges man sich befindet.

3. Ten Schluß des Katalogs bildet ein alphabetisches Verzeichnis sämtlicher Künstler nebst Nachweisen, wo man ihre Werke aufgezeichnet und ausgestellt findet.

4. Für internationale Kunststädte wie Paris, München, Rom, sowie für internationale Künstler wie Polen, Spanier, Amerikaner werden besondere statistische Zusammenstellungen geboten.

Wären aber diese allgemeinen Forderungen erfüllt, so blieben noch viele Einzelmängel zu tilgen. Ich will einige Fälle notiren, die mir gerade aufgestoßen sind, die aber die Klagepunkte keineswegs erschöpfen. Herkomer befindet sich unter „England“ mit fünf Bildern aufgezählt (2595 a—e); das lezte dieser Bilder findet sich auch unter „Deutschland“ genannt, mit der Nummer 446. Der in Rom lebende Spanier Villegas ist mit dreien seiner Werke als Spanier, mit zweien als Italicner aufgeführt, obwohl alle fünf Bilder in der spanischen Abteilung dicht beieinander an einer Wand hängen. Von Wauters kennt der erste Internationale Saal" zwei Delbilder und drei Pastelle (bezeichnet mit einer Ziffer und b, b, d); je eines davon kehrt unten „Belgien“ wieder, die dret übrigen fehlen. Von dem deutschen Maler Hanns Fechner jun. ist ein „Kinder-Portrait" angeführt, das sich nachher zu höchstem Erstaunen als ein Portrait Virchows herausstellt. Hiermit schließe ich meine Blütenlese, welche wohl mein Gesamturtell rechtfertigen wird, daß der Katalog das Prädikat „Unbrauchbar“

verdient.

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