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Wenn man diese Schwänke schaudernd miterlebt hat, so ist man natürlich geneigt, auf die alte Schule hinabzublicken wie Arno Holz. Es ist wahr, so öde und unfruchtbar kann der deutsche Naturalismus selbst in seinen Verirrungen nicht werden. Da kommt plötzlich zwischen den beiden salzlösen Seestücken ein harmloses Lustspiel von Hans Hopfen: „Es hat so sollen sein". Alle ernsthaften Fehler der alten Schule finden sich in diesem Werkchen beisammen. Die abenteuerliche Handlung seßt Himmel und Erde in Bewegung, um zwei junge Menschenherzen zusammen zu führen, die sich ohne eine solche Revolution vielleicht vier Wochen später finden werden. Der Charakter der handelnden Menschen wird uns von ihnen selbst in ganz unmöglichen Monologen auseinandergeseßt. In den Nebenpersonen lernen wir Theaterfiguren aus dem ältesten Requisitenbestand kennen. Und zu all diesen Eigentümlichkeiten der alten Schule kommt noch eine fecke Stillosigkeit, die Hans Hopfen eigentümlich ist. Mitten in die burschifose Prosasprache platen Verse hinein, weil Hopfen welche machen kann, während in der Wirklichkeit gerade tiefe Empfindung sich nicht in gebundener Rede zu äußern pflegt. Die Karrikatur des Dichters, der Improvisator, plaudert in Reimen; Heinrich Heine arbeitete sie mühsam aus, wenn er allein war.

Das Merkwürdige aber ist, daß dieser Einakter alter Schule und trotz aller ererbter Fehler berührt und rührt wie das Stück eines Dichters. Wir fönnen mit den lustigen Einfällen Hopfens herzlich lachen, und wenn zum Schluß unter Donner und Blitz der Jüngling und sein Mädchen ihren Bund fürs Leben schließen, so trifft uns ein kleiner dünner Strahl von ewiger Poesie, die denn doch über den Unterschied zwischen alter und neuer Schule so sonnig lächeln dürfte, wie Poesie lächeln kann. Gerade weil das Lustspiel Hans Hopfens kein bedeutendes Werk ist, sondern nur der flüchtige Scherz eines Poeten, gerade darum ist die schöne Wirkung beachtenswert. Wenn man durch die Zugehörigkeit zu einer neuen, guten Schule Meister werden könnte, so wären gegenwärtig sämtliche junge Leute, die sich in Deutschland der Litteratur befleißen, schon Meister. Es ist auch für mich kein Zweifel, daß die neue Schule des rücksichtslosen Realismus die bessere ist, und daß diejenigen sich um_die_Logik sehr verdient gemacht haben, denen wir diese Konsequenz verdanken. Aber in der Kunst wird es nach wie vor auf Persönlichkeiten ankommen, Meister werden nach wie vor nicht von Lehrmeistern geschaffen werden. Geselle wird immerdar bleiben, wer nur was erfanu; Meister wird werden, wer was fann.

Aus der jungholländischen Lyrik.

Mitgeteilt von

C. Pluim (Baarn in Holland).

Machklänge

von W. Gosler in Amsterdam.

1. Ahnung.

Und als ich sah zum ersten Mal

Die rosigen Züge dein,

Da fuhr mir ein langer Sonnenstrahl Ins bebende Herz hinein.

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7. Vergebliche Botschaft.

Aufsproßt ein Zauberhain in mir,
Urplöglich, von hehrem Glanz,
Da wand ich die goldnen Stimmungen
Zum üpp'gen Liebeskranz.

Aufjubelt in meinem frohen Geist

Ein Nachtigallen-Chor,

Die zarten Worte, fie quollen mir

Wie Liebeslaute hervor.

Und was da blühte und was da klang,
Es sollte mein Abschied sein,

Es sollt' ihr sprechen von ew'ger Trcu,
Von der Trennung ew'ger Pein . .
Sie tam, sie schaute mir tief ins Aug',
Es wirbelt' in mir herum;
Lets hat sie gepflüstert: auf Wiedersehn!
Ich aber blieb kalt und stumm.

8. Leer ist der Plak. Leer ist der Plaz, voll aber mein Gemüt.

Bald stürmisch-hoch, bald leise wie Gefieder, Tönt's ab und ab im Dickicht meiner Glieder, Ich kann nicht fühlen mehr, bin todesmüd...

Wie freie Vögel, die man sperren will

In Käfige, verschmachten meine Lieder Wie Echnuppen jäh fiel meine Muse nieder Ich kann nicht denken mehr, bin todesstill...

Verlorene Liebe.*)

Von

C. Pluim.

Nun über dich der Liebe Sonne scheint,
Fällt in mein Herz, gleichwie in dunklen Wald
Ein wundervoller Schimmer hellen Lichts
Auf eine stille Lichtung und vertreibt

Den Schatten, der die Aeste schwarz umflort.
Und allerorten blühen aus dem Moos
Blaßblaue wundersame Blumen auf,
In deren Kelche eine Träne glänzt,
Als ob hier eine Nymphe schwermutsvoll
Sie pflanzte und dann weinte lang und still.
Und in die nächste Buche, deren Laub
Unheimlich zittert vor seltsamer Furcht,
Seht sich ein Vogel, der sein traurig Lied
Leis klagend durch die stille Waldluft singt.
Die blassen Blumen senken tief das Haupt,
Als ob sie weinten bei dem Klagelted
Und wüßten, daß die kleine Lichtung dort
Das Grab ist meiner frühverlorenen Lieb',
Und jener Vogel meine Secle, die
Noch immer trauert über jene Liebe.

Wassersche u. Humoreske

von

Ernst von Wolzogen.

(Forthegung.)

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Sie

sollte. Daß er die Sache ganz falsch auffaßte und mir
allein die Schuld für den mißglückten Versuch beimaß,
das brauche ich Ihnen wol nicht besonders zu versichern.
Aber es giebt eben Menschen, die selbst durch Schaden
nicht klug werden wollen. Schon nach wenigen Tagen
hat sich dieser unverwüstliche Menschenfreund von seinem
Schreck erholt und macht mir einen neuen Vorschlag. Mit
einem ebenso triumphirenden als geheimnisvollen Lächeln
drückt er mir einen Zeitungsausschnitt in die Hand. Da
stand ungefähr zu lesen: Eine Dame wünscht behufs fort
dauernder geistiger Anregung mit einem philosophisch ge-
bildeten Herrn in Korrespondenz zu treten. Spätere per-
sönliche Bekanntschaft nicht ausgeschlossen. Offerten unter
So und so. Na, was soll ich denn damit? frug ich,
natürlich einigermaßen verwundert. Das ist doch ganz
flar, verseßte er, das ist natürlich irgend eine bildungs-
wütige, alte Schachtel, die in der Wolle sitzt und nichts
zu tun hat, außer die Hoffnung zu hegen, daß sie viel
leicht doch noch einen Mann bekommen könnte.
laffen sich mit ihr in einen Briefwechsel ein, imponiren
ihr selbstverständlich ganz gewaltig und wer kann
wissen, was draus wird? Im Himmel werden ja die
feltsamsten Ehen geschlossen. Pfui Teufel, Sie wollen
mich doch nicht etwa verheiraten?! rufe ich ganz entscht.
Mit Frauenzimmern lassen Sie mich gefällig aus, ich
muß schon bitten!" Da zieht der Mensch einen Brief
aus der Tasche - und was wars? Er hatte schon auf
eigene Faust der unbekannten Philosophin meine Bereit-
willigkeit erklärt, und das war die Antwort darauf! Ich
riß ihm den Wisch wütend aus der Hand und fange an
zu lesen.
Ich beruhige mich interesfire mich Lese
weiter vier Seiten, acht Seiten, zwölf Seiten sech-
zehn Seiten schrieb das Frauenzimmer, und ich kann
Ihnen sagen: gar nicht dumm! Alle Achtung! Natürlich
etliche Begriffsverwirrung, falsche Voraussetzungen, mond-
süchtige Phantasien; aber es steckte doch Geist dahinter,
gesunde Skepsis, Sehnsucht nach Erleuchtung. Die Ge-
schichte reizte mich dieser suchenden Seele mußte ge-
holfen werden. Ich sagte meinem Schadchen schönen
Dank und lieh mir ein bischen Kleingeld von ihm, um
mir sofort einen Vorrat von feinem Briefpapier und eine
große Flasche violetter Salontinte anzuschaffen. Und noch
am selben Abend antwortete ich meiner Heloise, wie sie
fich sinnig unterschrieb, auf ihre sechzehn Seiten deren
zwanzig, natürlich mit der Unterschrift: Ihr hochachtungs-
voll ergebener Abälard.

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ich nicht so sanft und höflich umgegangen, wie mit unserem berühmten Dichter! Aber sie nahm mir nichts übel und gab auch nicht leicht eine Partie auf. Harte Nüffe hat sie mir zu knacken gegeben, das weiß der liebe Himmel, und mehr als einmal hat sie mich nicht übel ins Bockshorn laufen lassen. Unsere sogenannten Briefe waren bald zu förmlichen Broschüren ausgewachsen na, sie wagte ja auch bald einige schüchterne Andeutungen, daß sie sich ein Gewissen daraus mache, meine kostbare Zeit in solcher Weise in Anspruch zu nehmen. Das war ja nun sehr hübsch von ihr; aber ich konnte doch unmöglich so schofel sein, mir von ihr die Briefe etwa bezahlen zu laffen, die ich ja doch auch rein zu meinem Vergnügen schrieb. Es ging mir ja freilich damals gerade über alle Begriffe miserabel, und ich mußte schließlich sogar mein schönes Federbett, daß meine gute Mutter so allmählich aus den weißen Brüsten galizischer Gänse für mich zusammengerupft hatte . . .. ach Gott ja, das mußt' ich versehen, um wenigstens zweimal in der Woche in der Volksküche essen und das Porto für meine Doppelbriefe bezahlen zu können. Trotz alledem wäre noch alles ganz schön gewesen, wenn nicht mein hinterlistiger Freund Joelsohn sich wieder in meine Privatangelegenheiten gemischt hätte.

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Also denken Sie: eines schönen Tages überfällt mich der Mensch wieder in größter Aufregung mit einer soge= nannten Freudenbotschaft. Sie sollen kommen, schreit er, sofort sollen Sie sich aufmachen und hin! ,Wieso, wohin? frage ich). ,Na, zum Grafen natürlich, nach Schloß Kluczewo. Herrgott, Mensch, sehen Sie mich doch nicht so an, als ob Sie von gar nichts wüßten!“ ,Was soll ich wissen von einem Grafen und einem Schloß? fahre ich auf; denn ich denke, er will mich foppen. Nu wie heißt: hat sie Ihnen nicht geschrieben, daß sie bei dem Grafen ist und darauf brennt, Sie persönlich kennen zu lernen? ,Was, weine Heloise will mich kennen lernen, von Angesicht zu Angesicht? Nein, den Schmerz wollen wir ihr doch lieber nicht antun, sage ich und schneide ihm eine Frage, daß ein anderer gleich Reißaus genommen hätte. Aber was tut er, Joelsohn? Er greift in seine Tasche und holt ein Röllchen, in Papier gewickelt, heraus und zählt mir, so wahr ich hier size, zehn blanke Doppelkronen auf den Tisch. So viel Geld hatte ich noch nie auf einem Haufen gesehen - in meiner Behausung wenigstens nicht! Ich kann Ihnen sagen, mir zitterten die Kniee, und es lief mir eiskalt den Rücken hin„Wissen Sie, ich als Philosoph, als Mann der un- unter. Mir war zu Mut, als wollte mich einer mit dem erbittlichen Logik, habe die Weiber nie ausstehen können. Mammon bestechen, daß ich meiner leiblichen Mutter, die Ich habe sie nur so als notwendiges Uebel angesehen und mich geboren hat, soll Gift in die Chokolade schütten. für meinen geistigen Menschen existirten sie überhaupt |,Gehen Sie,' feuchte ich, „gehen Sie raus! Wofür halten nicht. Aber meine unbekannte Heloise ich schäme mich | Sie mich, Herr Joelsohn? Ich bin ein ehrlicher Mensch!“ gar nicht, es einzugestehen die tat es mir dermaßen Und was sagt er? Ein Narr find Sie, fagt er, an, daß ich, nachdem die Korrespondenz so ein paar wenn Sie nicht gleich das koschere Geld einstecken und Wochen im Schwange gewesen war, ganz vergessen hatte, dem Herrn Grafen schreiben, zu welcher Stunde er Ihnen daß sie ein Frauenzimmer sei und sie einfach für meines- seine Equipage an die Bahn schicken soll.' Und nun klärte gleichen ausah. Ich kann Ihnen sagen, es war eine er mir den Zusammenhang auf. Meine Heloise war seit Freude, sich mit ihr herumzuzanken und mit der bin zehn Jahren als Erzieherin in dem Hause des Grafen

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nachdem ich nun schon so arg Haare gelassen hatte, auch noch die alte Haut, die in Ehren auf meinem Leibe ergraut war, zu Markte tragen zu sollen. Sehen Sie, ich muß sagen: die Reinlichkeit ist in meinen Augen eine ganz banaufische Tugend. Der gemeine Mann findet eine Statue am schönsten, wenn sie ganz golden in der Sonne funkelt, wogegen der Kenner sie erst recht schäßt, wenn sie eine recht dicke grüne Patina angesetzt hat. Die alten Griechen bemalten ihre Marmorstatuen, weil das falte Weiß ihren Schönheitssinn verlegte. Und so ist auch der Reinlichkeitsfanatismus nur eine beklagenswerte Verirrung unserer nervenschwachen Hyperfultur. Liegt etwa Charakter in einer gleichmäßig glatten, rosenroten Menschenhaut? Würde es die Schönheit des Waldes erhöhen, wenn man den Bäumen jeden Samstag die Borke glatt hobelte?

und wurde jezt noch, obschon die Kinder bereits alle er-
wachsen waren, als eine werte Freundin dort behalten.
Aber das untätige Wohlleben befriedigte sie nicht, und ihr
reicher Geist fand in der Einsamkeit das Landlebens zu
wenig Nahrung. So war sie auf den Gedanken ge-
kommen, jene Annonce in die Zeitung setzen zu lassen.
Und dann war wirklich eingetreten, was mein weiser
Freund Joelsohn vorhergesehen hatte: ich imponirte ihr,
und sie empfand das brennende Bedürfnis, mich persön-
lich kennen zu lernen. Der Graf, der den lebhaften
Wunsch hegte, sich der geistvollen Erzieherin seiner Kinder
dankbar zu erweisen, hatte ihr Geheimnis erraten und
sich darauf mit Joelsohn als dem ersten Vermittler in
Verbindung gesezt. Und da hatte dieser Mensch sich nicht |
entblödet, ihm die ganze hundsgemeine Wahrheit über
mich zu enthüllen! Von diesem Gelde sollte ich mich | Na also!
äußerlich rehabilitiren und außerdem die Reise bestreitey.

|

„Der Unmensch, dieser Joelsohn, stieß mich also wirklich mit rauher Faust in eine Badezelle hinein. Eine Gefängniszelle wäre mir lieber gewefen! Aber was halfs? Der Gedanke an meine Heloise machte mir Mut. Es geschah ja doch nur ihr zu Liebe. Da sehen Sie, wie sehr es das Frauenzimmer mir angetan hatte! Schinden ließ ich mich für sie, um würdig zu sein, ihr Sklave zu heißen. Einfach schmachvoll, nicht wahr? Ja, die Weiber, die Weiber! Aber es soll auch wahrhaftig nicht wieder vorkommen. Das heißt, um der Wahrheit die Ehre zu geben: wie ich dadrin faß in der warmen Flut, das war eigentlich ganz nett und mollig; aber nachher! Mir klappern noch die Zähne, wenn ich daran denke! Es war doch so gut, als hätte ich mein warmes Unterzeug versehen müssen und sonst war ich nur so leicht, so sommerlich gekleidet. Joelsohn war mir so fatal geworden, ich konnte den Menschen nicht mehr sehen! Ich rannte wie ein Beseffener auf meine öde, elende Bude, riegelte mich da ein und warf mich zitternd aufs Bett. Aber,

Nun, Sie werden selbst sagen müffen, es wäre schnöder Undank gewesen, die in einer so feinen Form an- | gebotene Hilfe zurückzuweisen. Ich raffte also all meinen Mut zusammen, und dann sprang ich mit drei Schritten | Anlauf auf den Tisch los und strich die zehn Doppelfronen ein. Ich werde den Moment nie vergessen es wird mir auch wohl nicht zum zweiten Mal passiren! Ich kam mir vor wie Faust mit dem Hexentrunk im Leibe. Vierundzwanzig Stunden später hätten Sie mich nicht wiedererkannt! Mein Freund Joelsohn schleppte mich aus einem Laden in den andern und kleidete mich | nach seinem Geschmack vom Kopf bis zu den Füßen nen ein. Erst gings zum Kleiderhändler, dann zum Wäschehändler, dann zum Barbier und endlich gar ..... nein, | hören Sie, das Letzte war entsetzlich. Bisher hatte mir die Geschichte Spaß gemacht, das muß ich gestehen. Der kaffeebraune Kammgarnrock und die papageigrün gestreiften Hosen hatten, weiß der Teufel, mein philosophisches Herz höher schlagen machen, als wäre ich ein Backfisch, der o Gott, meiner Mutter schöner Daunensack befand sich ja sein erstes Ballkleid anprobirt. Auch den Barbier er- noch auf dem Leihamte. Ich hatte bisher einfach in duldete ich noch gutwillig, der mir die Perrücke kappte | meinen Kleidern geschlafen und in meiner Patina und und zwei hohle Hände voll Del an meine schwarzen | mich dabei immerhin leidlich behaglich gefühlt. Nun aber Borsten verschwendete. Aber dann kam das Entschliche! | fror ich wie ein Hund und schämte mich noch überdies in Mein Freund maß mich mit einem unendlich wehmuts vollen Blicke und flüsterte voll zärtlicher Schonung: Jezt nur noch eins, lieber Robert! Sie müssen sich taufen laffen!

Na, das versteht sich ja am Rande. Mir ist es gleich, ob man mich Christ, Jud oder Moslem nennt. Ich bin ein freier Geist und lasse mich weder vom Rabbi, noch vom Pfaffen, noch vom Mufti an der Nase herumführen; aber einen gelinden Schrecken friege ich doch. ,Verlangt das meine Heloise wirklich? stotterte ich. Und er darauf; Verlassen Sie sich d'rauf, sie verlangts; aber nicht so, wie Sie denken, lieber Freund. Eine Handvoll Waffer tuts nicht bei Ihnen Sie müssen ein Vollbad nehmen! Ich muß Ihnen gestehen, hätte er mich nicht fest beim Arm gepackt und mit Gewalt hineingeschleppt in die nächste beste Badeanstalt, ich wäre davongelaufen; denn es war mir ein fürchterlicher Gedanke,

|

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meinen neuen Kleidern wie ein Mensch, der unter seinem
gestohlenen Bratenrock verbergen will, daß er kein Hemd
auf dem Leibe hat. Ja, wahrhaftig, ich kann es nicht
anders bezeichnen, ich kam mir vor wie ein neugeborenes
Kind, so nackt und kloß und hilflos und gebrechlich. Erst
als es völlig dunkel geworden war, wagte ich mich wieder
auf die Straße hinaus und rannte wie ein Besessener, um
mich zu erwärmen.
mich zu erwärmen. Und dann, wie ich in das feine
Viertel kam, mit all den glänzenden Schaufenstern, den
aristokratischen Hotels und Restaurants, da packte mich
plötzlich mit dämonischer Gewalt die Lust und die Be-
gierde, mich auch einmal zu Gaste zu laden an der üppigen.
Tafel der oberen Zehntausend und meinen imvendigen
Menschen zu erwärmen durch den Nektar, den die feile
Natur sonst nur für diese Auserwälten wachsen läßt.
Ich hatte ja ein neues Hemd und einen neuen Rock auf
dem Leibe und echtes Gold in der Tasche! Ich steige

!

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Golo:

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vom Hörensagen kannte, und Weine... . ah, wie mir das heiß durch die Adern rieselte! Das war eine Feitertaufe meiner Seele, ein Vollbad meines Magens, das ich mir gern gefallen ließ. Wieviel nachher die Rechnung betrug, das weiß ich nicht zu sagen ich weiß überhaupt von dieser ganzen wüsten Orgie nichts mehr zu sagen, als daß ich am andern Morgen auf der Pritsche einer PolizeiWachtstube erwachte! Und als ich meine Baarschaft zählte, da betrug sie noch sechs Mark und fünfundsechzig Pfennige. Ich kaufte mir für fünf Mark antiquarisch den Spinoza, den ich schon lange gern beseffen hätte und damit zog ich mich, weltentfremdet, in meine Klause zurück. Doch allein war ich nicht denn unter dem Bett hervor stierten. mich die feurigen Augen eines ungeheuren Katers an. O, dieser Kater! Ich sah nie seinesgleichen. Lassen Sie mich schweigen davon!

Litterarische Neuigkeiten.

(Schluß folgt.)

Franz Wichmannn, Genoveva, dramatisches Gedicht. Nachdem der Realismus Mode geworden ist, pflegen sich die Hände der Stümper hauptsächlich an modernen Stoffen zu vergreifen, und wir zählen bereits eine erstaunliche Menge von Karrikaturen der Moderne. Erfreulich ist da einmal als Gegenjaß eine Karrikatur der alten Naivetät. Franz Wichmann hat sie distelblütenreich mit seiner „Genoveva“ geliefert, einem schlechten Opernterte, welcher sich sehr verwegen dramatisches Gedicht“ nennt. Da Franz Wichmann als Lyriker nicht ohne Talent ist, wie man denn auch eine Weile glauben durfte, er sei auf dem Wege, ein tüchtiger Novellist zu werden, so seien über dies Trillerdrama (nämlich auch als Operntert wäre es nur für die älteste Koloraturenmusik möglich) ein paar Worte gesagt.

Offen gestanden: ich habe es anfangs für einen schlechten Wiz gehalten, für eine Frühgeburt des Fasching, und ich bin überzeugt, es geht das jedem so, der den Verfasser von früheren Zeiten her kennt und ihn im Ganzen daher noch für ernst nimmt. Sieht es nicht wie eine Parodie auf die Fabrikate der Tertbuchverbrechen aus, wenn man den „Chor der Ritter“ also vernimmt:

Abdorrhaman, zittre, zittre,

Wehe, wehe, wilder Heide,

Rache deiner Freveltaten

Wohnt in unsrer Schwerter Schneide! .

?

Ja! verriet' ich's

wie?

Dies wie?" ist unbezahlbar, aber es ist unnötig, denn Bertalda, wie gesagt, ist eine gefällige Gattin. Man möge das aus folgenden

Dueftstrophen ersehen: Golo:

Versteh' mich recht und zürne nicht,
Du bist mir gleich dem Sonnenlicht,
Doch sie, der stille, keusche Mond,
Der über Silberwölkchen wohnt.
Bertalda, ewig bleib ich dein,
Gar bald versprüht die kurze Glut,
Ich weiß, daß sie für immer ruht,
War fie nur mein, nur einmal mein.
Darauf das liebe Weiberl:

Ich zürne nicht, ich will versteh'n,
Von deiner Krankheit heil' ich dich,
Ich weiß, es wird vorübergehen,
und tief im Herzen liebst du mich.

Etwas zu bunt wird ihr nur die eingehende Schilderung der intimen Reize Genovevas, die mit den Worten endet:

Der Welle gleich muß lieblich sie zerfließen,

Wenn ganz dem starken Mann sie hin sich giebt.

In solchen Blumenkelch sein Leben gießen
Ist Wollust, die kein Reugedanke trübt.

Aber auch dies vergißt sie vor dem folgenden weltweit komisch erhabenen Bilderschwung:

Golo:

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So fall' ich sterbend denn in deinen Schoß!

Ich meine: nach diesen Proben wäre eine ernsthafte Kritik beinahe ebenso komisch, wie dieses „dramatische Gedicht“ selber. Denn wenn es komisch ist, mit Kanonenkugeln nach Spaßen zu schießen, so ist es auch komisch, mit dem ernsten Rüstzeug der Kritik gegen geblähte Nichtigkeiten vorzugehen, die sich obendrein albern gebärden.

Gerne freilich möcht' ich selber etwas Gutes herausheben, aber beim besten Willen: ich kann nicht. Denn alles das, was nicht geradezu lächerlich ist in dieser „Genoveva“, ist so banal, so lyrischgewöhnlich, daß es wiederum einen Mißbrauch der Kritik bedeutete, wollte ich es mit Rühmen vermelden. O. J. Bierbaum.

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Karl Strecker, Familie Knippe, Roman. Leipzig, Wilhelm Friedrich.

Ja, es wäre als solche Parodie wahrhaftig ein ausgezeichneter Wurf, zumal was den Ton anlangt, jene urkomische Mischung aus den Schablonenredensarten der sinnigen Reimleinmacherkunst und dem anderen Schablonenvorrat des Journalreporterstils. In dieser Hinsicht ist überaus lustig die amüsante Szene, in welcher Siegfried sich bemüht, mit Hilfe Golos zum Hahnrei zu werden, während dieser sich alle mögliche Mühe giebt, der Versuchung zu entgehen. Golo joll bei Genoveva bleiben, aber er ersucht dringend um Verwendung gehender Landwirt", erst infolge einer verwickelten Erbschaft, und

im Felddienst mit den Worten:

Mein Leben will ich gern dir weih'n,
Doch dies

es kann es darf nicht sein!

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Aber es hilft nichts, obwohl er nochmals singt (gesprochen ist das ja alles ganz grotesk):

Siegfried, erhöre Wunsch und Vitt':

zu deinem besten nimm' mich mit.

Und so ermöglicht sich denn die folgende Szene zwischen Golo und seiner überaus gefälligen Gattin Bertalda, welche ich gern als gutes Beispiel für allzu eifersüchtige Gattinnen herseßen möchte. Sie sprechen von Genoveva, die Beiden:

Golo:

Nein, sie soll, fie muß ja leben,

Gott erschuf zur Freude sie!

"

Wenn wir auch nicht an jeden Roman die Forderung stellen, daß er in der Entwicklung unsrer Litteratur eine Stellung einnehmen foll, so wollen wir doch wenigstens interessante Probleme in fesselnder Gestaltung vor Augen geführt haben. Derartige Romane aber wie Familie Knippe“ bieten uns so rein garnichts, was uns anregt und etwa in unserem Gedächtnis haften bleiben könnte, fie sind kaum als allgemeines Leihbibliothekfutter zu verwenden. In höchst simpler und naiver Weise wird uns hier eine Episode aus dem Leben einer kleinen Stadt erzählt. Die Hauptsache ist, daß die drei Kinder des Schneidermeisters knippe sich ihren Wünschen gemäß verheiraten. Frig, der „brave“ Handwerker, kommt am ersten und ehrlichsten zu einer Frau; Paul, der durchgefallene Referendar und nun an Hannchen-Julia erhält ihren Gustav-Romeo erst infolge einer Dilettanten-Vorstellung zu woltätigen Zwecken. Jede einzelne Person ist nach allbekannter Schablone gezeichnet. Recht sonderbar berühren dazu die vielen eingefügten poetisch-schwulstigen Reflexionen des Verfassers und die selbstkritischen Bemerkungen, wie z. B. „Leider ist diese Scene nicht übertrieben." Das Einzige, was wir dem Verfasser zugestehen, ist ein guter, manchmal sehr feiner Humor. Aber auch dieser muß erst gebildet werden, denn in vorliegendem Roman tritt er oft noch in recht alberner und unangebrachter Weise auf. Das Vermögen, Vorgänge aus dem Leben oder aus unserer Einbildung fließend zu schildern, macht noch lange feinen Romanschriftsteller aus, und ehe Herr Strecker nicht etwas mehr vermag, wird er sich als Romanschriftsteller keine Ruhmespalme erringen. E. Höber.

Berantwortlich: Dr. Curt Grottewiß, Berlin. - Verlag von F. & P. Lehmann, Berlin W., Körnerstr, 2,

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