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so lange nicht zwei Dichtungen denselben Stoff behandelt | Kodifizirungsarbeiten der Civil- und Strafjustiz sachlich haben. Aber es läßt sich doch andeuten. In einem der In einem der alten Stücke Sonnenthals spielte er den leichsinnigen und gebesserten Vater, der für seinen Sohn ein Duell aussicht. Er nimmt Abschied. Mit zweideutigen Worten spricht er von einer großen Reise, er trocknet Tränen, er macht mit rührenden Scherzen sein Testament und benimmt sich überhaupt so, daß jeder halbwegs vernünftige Sohn sich fagen mußte: Papa ist in Lebensgefahr, Papa schlägt sich für mich." Die alte Kunst will aber nur einen wirksamen Aftschluß, und so wiederholt es sich da wie immer, daß der dümmste Kerl im Parterre bemerkt, was auf der Bühne niemand sehen darf. Die neue Kunst könnte dem Darsteller in cinem solchen Augenblick zweierlei Aufgaben stellen. Entweder soll der Sohn ernstlich getäuscht werden, und dann darf fein Witz des Dichters und feine Miene des Schauspielers das Geheimnis verraten. Oder die halben Worte und die versteckten Thränen sind wahrnehmbar, dann will der Vater, daß man Alles errate, daß man ihn vom Zweikampf zurückhalte, und das wäre wohl eine Scene von ganz lustigem Humor. Engels könnte das spielen, wenn er seinen guten Tag hätte.

Es wäre ein schöner Kunsttraum, das ganze Dußend Berliner Bühnen in einer Hand zu vereinigen und jedes Stück so zu besetzen, daß nicht nur die guten und mittel- | mäßigen Schauspieler an ihrer richtigen Stelle wären, sondern auch die schlechtesten einmal eine gute Stunde hätten. Wir würden dann Tragödien und Poffen in vollendeten Darstellungen sehen können, und den Schaden vermeiden, der daraus entsteht, daß wir dieselben Darsteller in ähnlichen Rollen immer wieder zu sehen bekommen. Es ist immer so viel Geld auf der Straße zu finden, wenn es sich um die Vereinigung von fonkurrirenden Hut fabriken oder andern nüßlichen Anstalten handelt. Vielleicht benkt ein energischer Mann, der ewigen Kohlengruben müde, über die Möglichkeit nach, diesen Kunsttraum zu verwirklichen. Ich würde eine Aktie zeichnen. Ich glaube, die neue Schauspielkunst mit ihrer Forderung unendlicher Wandlungsfähigkeit kann sich auf dem Boden der alten konkurrirenden Theater nicht völlig entfalten.

Das Deutschtum im Auslande.

Aus Desterreich.

Wien, 8. April. Am 9. April tritt das neugewählte Abgeordneten haus des österreichischen Reichsrates zusammen, von allen Parteien mit Spannung, von keiner mit aufrichtiger Begeisterung empfangen. Am allerwenigsten aber haben die Deutschen, die es nicht blos dem Namen nach, sondern auch im Herzen sind, Grund, der Tätigkeit des neuen Reichrates mit Vertrauen und freudiger Erwartung entgegenzusehen. Die schwierigen und zweifelhaften Majoritätsverhältnisse" wurden in dem Kommuniqué, durch welches die Regierung die Auflösung des Abgeordnetenhauses erläuterte, als der Anlaß zur vorzeitigen Auflösung bezeichnet; gleichzeitig wurde darin die Erwartung ausgesprochen, daß eine Vereinigung der „ge= mäßigten" Elemente im neuen Reichsrate die Regierung bei ihrer fruchtbringenden Reformtätigkeit auf wirtschaft lichem Gebiete und bei den dringend notwendigen

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unterstüßen werde. Ueber Mangel an Teilnahme der Bevölkerung bei den Wahlen darf man sich nicht beklagen; nie vorher war in Oesterreich eine so lebhafte und alle Schichten des Volkes durchdringende Wahlbewegung wahrzunehmen, als im lezten Februar und März, aber auch nirgends vorher wurden die Leidenschaften des Rassen- und Klassenhafjes in gewissen- und rücksichtsloser Weise aufgestachelt, als dies im lezten Wahlkampf der Fall war. Das Ergebnis dieses Kampfes entspricht den Befürchtungen und Warnungen, welche von deutscher Seite seit langem und noch in den letzten Wochen geäußert wurden, leider aber dort, wo die allgemeine Wolfahrt und die Lebensintereffen des Staates im Auge behalten werden sollten, ungehört verhallten. Gerade die extremen Parteien, d. h. diejenigen, welche den ver fassungsmäßigen Zustand, wie er seit mehr als zwanzig Jahren besteht, von Grund aus zu ändern vorhaben, kehren beträchtlich verstärkt in das Abgeordnetenhaus zurück und find entschlossen, die staatsrechtlichen Fragen auch in der kommenden Session nicht zur Ruhe gelangen zu lassen, durch die Aufrollung der alten nationalen Streitfragen der Erledigung dringender Reformen, welche schon seit Jahrzehnten vergeblich angestrebt wurde, Hindernisse zu bereiten. Statt der ausgleichsfreundlichen Alttschechen aus Böhmen ziehen die Jungtschechen triumphirend in das Abgeordnetenhaus ein, in den Reihen der mährischen Alttschechen macht sich eine Hinneigung zu den Jungtschechen bemerkbar und im Hohenwartklub, der eine verläßliche Stüße der Regierung sein sollte, rührt sich immer heftiger die Unzufriedenheit der slovenischen Mitglieder, welche neue Zugeständnisse auf dem sprachlichen Gebiete verlangen.

Wie der Wunsch der Regierung auf eine Stärkung der gemäßigten Elemente im Parlamente nicht in Erfüllung gegangen ist, ebenso ist wenigstens vorläufig ihr Versuch, eine verläßlichere Mehrheit im Abgeordnetenhause zu schaffen, gescheitert; wie könnte auch eine solche hergestellt werden, wenn die Regierung darauf beharrt, troß der Vernichtung der Alttschechen aus Böhmen und troß der unerfüllbaren Forderungen der Jungtschechen, welche eine Annäherung der Regierung an die „Vereinigte deutsche Linke" unvermeidlich machen, die alte Politik der kleinen Liebesdienste an die Slaven und Klerikalen fortzusehen? Die Verhandlungen des Grafen Taaffe mit den Führern der vereinigten deutschen Linken blieben ohne Erfolg, weil er von den Deutschliberalen verlangte, daß sie einer Mehrheit sich einfügen sollten, welche außer ihnen die Polen und den Hohenwartklub umfaßt, sie sollten sich in dieser sehr gemischten Gesellschaft von den seelenverwanten Polen, Klerikalen und Slovenen majorifiren lassen und für die zweifelhafte Ehre, der Taaffeschen Mehrheit anzugehören, eine slavenfreundliche, föderalistische und klerikale Politik unterstüßen. Eine derartige Unterwerfung wäre das Signal zur Auflösung des stärksten deutschen Klubs gewesen. Es giebt also heute keine parlamentarische Mehrheit für die Regierung, es giebt auch keine gegen die deutsche Opposition ohne die Jungtschechen Diese letteren, welche der Kaiser im vorigen Jahre in entschieden abfälliger Weise kritisirte, sind vorderhand für den Grafen Taaffe als Bundesgenossen unbrauchbar, da sie dem Ausgleich im böhmischen Landtag entschiedenen Widerstand leisten, für dessen Durchführung sich der Ministerpräsident verpflichtet hat.

Vielleicht hilft dem Grafen Taaffe, der in der Politik ebenso leichtlebig ist wie im privaten Verkehr, sein Humor und sein unbestreitbares Talent, allen wichtigen Entscheidungen auszuweichen, noch für einige Zeit aus den sich häufenden Schwierigkeiten dieser Lage. Aber

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es steht doch weit Wichtigeres auf dem Spiele, als die Volksschichten, die in ihrer Rat- und Hilflosigkeit den Ministerpräsidentschaft des heiteren Grafen, es handelt Juden als Urheber ihrer Leiden anklagen, weil sie die sich um die Entscheidung über die inhaltsschwere Frage, tiefer liegenden Ursachen ihrer Verarmung nicht erkennen. ob fernerhin auf dem Wege der Slavifirung Desterreichs Diese Quelle der Zersplitterung unter den Deutschen und damit auch der Föderalisirung des Reiches weiter Desterreichs wird in dem Maße versiegen, als der weit geschritten werden soll. Je deutlicher die Wirkungen des verbreitete wirtschaftliche Notstand durch geeignete gesetzSystems Taaffe hervorgetreten sind, desto zahlreicherliche Maßregeln und durch Forderung des Unternehmungswurden die Stimmen, welche vom Standpunkte des Ge- geistes gemildert wird. Diese dringende Reformarbeit, samtstaates, einer gedeihlichen Verwaltung, der mili- welche keinen Aufschub mehr duldet, wird vielleicht auch tärischen Interessen und der allgemeinen Kultur schwere dazu beitragen, den Fanatismus der extremen Parteien Bedenken gegen die Förderung des Slavismus erhoben. und die nationale Unduldsamkeit zu schwächen; jedenfalls Diese Bedenken waren es auch, welche die Umkehr der wird der neue Reichsrat die großen wirtschaftlichen AufRegierung in der böhmischen Frage und die Ausgleichs- | gaben nicht unerledigt lassen können, welche heute schon verhandlungen veranlaßten. Ist es wahr, daß das bis- an die Tore des Parlamentes pochen. herige Regierungssystem für die Zukunft des Reiches eine steigende Gefahr bedeutet und das ist wol für jeden, der Oesterreichs Fortbestand nur in der Aufrechthaltung seines geschichtlich gegebenen Grundcharakters für möglich hält, zweifellos dann ist die Ablehnung des Versuches durch den Grafen Taaffe, eine parlamen tarische Mehrheit gegen die slavisirenden und föderalifirenden Bestrebungen aus den Deutschliberalen, den denselben nahestehenden Klubs und den Polen zu Stande zu bringen, auch vom Standpunkte der dauernden Staatsintereffen als ein Unglück zu betrachten. Die bisherige Mehrheit wird zwar keine weiteren erfolgreichen Angriffe | auf den einheitlichen Bestand des Staates, auf die geseßlich gesicherten Stellungen des Deutschtums und auf die allgemeine Volksbildung unternehmen können, es wird aber auch nicht möglich sein, die notwendigen Schutz wehren gegen eine zukünftige Wiederaufnahme solcher Tätigkeit herzustellen.

Die Deutschen in Oesterreich haben weniger Grund für sich zu fürchten, als der Staat, für den sie in oft zu weit gehender nationaler Entsagung in den schwersten Zeiten gegen dessen innere und äußere Widersacher gekämpft haben. Die Regierung, deren langjähriges geistiges Haupt, Herr v. Dunajewski, im Parlamente fich rühmte gezeigt zu haben, daß man in Desterreich auch ohne die Deutschen regieren könne, hat sich gegen ihren Willen das Verdienst erworben, die Deutschdie Deutsch Desterreicher auf die Notwendigkeit hingewiesen zu haben, nur ihrer eigenen Kraft zu vertrauen und die Erhaltung und den Schaß ihrer Nationalität durch Schöpfungen und organische Einrichtungen, die das deutsche Völkertum aus sich geboren hat, sicherzustellen. Die außerordent liche Stärkung, welche das nationale Bewußsein der Deutsch-Desterreicher seit zwölf Jahren erfahren hat, ist eine weit bessere Bürgschaft für die Zukunft ihrer nationalen Interessen als alle gesetzlichen Maßregeln, welche eine deutschfreundliche Regierung in Verbindung mit einer ebensolchen Parlamentsmehrheit durchzuführen vermöchte. Das rasche Wachstum des Slaventums unter dem deutschen“ Ministerium Auersperg II. hat wol für immer die Hoffnungen zerstört, nach welchen das Deutschtum in der Ostmark durch eine deutsche Regierung sichergestellt werden sollte. Was heute den Mut der nationalgesinnten Deutsch-Desterreicher stählt und die bereits tief gesunkenen Hoffnungen auf eine bessere Zukunft wieder aufgerichtet hat, das ist das im letzten Jahrzehnt vor sich gegangene, von manchen Pessimisten bereits für unmöglich gehaltene Erwachen des nationalen Geistes in den breiten Schichten des deutschen Mittelstandes, welches auch durch die betrübenden Erscheinungen der leyten Wiener Walkämpfe nur vorübergehend und__auf_eng begrenztem Boden erschwert werden kann. Der Antisemitismus, ein schmerzhafter Pfahl im Fleische des deutschösterreichischen Volkes, ist in seinem wesentlichen Bestandteil Ausfluß wirtschaftlicher Bedrängnis von

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Unter denselben wird der Abschluß der künftigen Handelsverträge mit Deutschland, Italien, der Schweiz und Rumänien von hervorragender Bedeutung sein. Die Grundlagen für die künftigen Handelsbeziehungen Desterreich-Ungarns mit den wichtigsten Staaten Europas werden. eben in den Vertragsverhandlungen mit dem deutschen Reiche gelegt. Sind auch die Einzelheiten des aus diesen Verhandlungen hervorgegangenen Abkommens noch nicht bekannt, so besteht doch kein Zweifel über das grundsätzliche Ziel derselben, nämlich die handelspolitische Annäherung der beiden Reiche durch einen Zollvertrag, welcher Desterreich-Ungarn eine Ermäßigung der deutschen Agrarzölle und Deutschland eine Herabsetzung gewisser für deutsche Ausfuhrindustrie wichtiger Tarifposten gewährt. Der Gedanke einer Zollunion zwischen beiden Reichen, welcher durch den langjährigen Zollfrieg für die nächste Zukunft unbrauchbar gemacht wurde, findet in diesem Zollvertrage doch eine gewisse Anerkennung, indem darin das Zugeständnis liegt, daß Produktion, Handel und Verkehr der beiden Reiche inniger zusammenhängen und mehr auf einander angewiesen sind, als diejenigen anderer großer europäischer Staaten. Das politische Bündnis findet in dieser Tatsache auch eine wirtschaftliche Begründung und Vertiefung, welche von weittragendem Einflusse werden kann. Wiederholt wurde von deutschliberaler Seite in der Aera Taaffe auf den notwendigen Zusammenhang zwischen der inneren und äußeren Politik Oesterreich-Ungarns hingewiesen und hervorgehoben, daß es für die Dauer unmöglich sei, im Innern ein flavenfreundliches Regierungssystem und nach außen ein Bündnis mit Deutschland aufrecht zu erhalten. Die Unhaltbarkeit dieses Widerspruches trat auch wiederholt in der Haltung der tschechischen und slovenischen Führer und ihrer Presse gegenüber dem deutschösterreichischen Bündnis zu Tage. Es ist daher begreiflich, daß in allen Kreisen, wo man die Pflege der gemeinsamen geistigen Interessen der Deutschösterreicher und der Reichsdeutschen als eine heilige Verpflichtung aller national gesinnten Deutschen übt, auch die bevorstehende wirtschaftliche Annäherung als eine neue wertvolle Bürgschaft für die Zukunft der Deutschen im Donaureiche angesehen wird. In einer Zeit, die im Zeichen des Verkehrs steht, bildet dieser ein festeres Band zwischen den Staaten als je vorher. Es ist ein Grund hoher Befriedigung für die Deutschen in Desterreich, daß selbst eine Regierung, welche im Innern mittels der Slaven und auf Kosten der Deutschen ihr Dasein fristet, nicht umhin kann, nach außen den geschichtlichen Zusammenhang mit dem deutschen Reiche anzuerkennen und dessen Fortdauer in neuen Formen zu sichern.

E. K.

Litterarische Chronik.

Eine sonderbare Anklage sezt gegenwärtig die litterarischen Kreise Kopenhagens in Aufregung. Das dänische Justizministerium hat nämlich das strafrechtliche Verfahren gegen eine unserer Zeitungen beordert wegen des im Feuilleton des Blattes aufgenommenen Romans, der nach der Meinung des Justizministeriums als unfittlich angesehen werden muß. Das Blatt ist das Organ der „Jungen“, Kóbenhavn, und der Fall wird auch außerhalb des Nordens Intereffe erwecken können, sowohl wegen des Namens des Verfassers, der rechtlich verfolgt wird, als auch wegen der gänzlich neuen Praxis, die gegen litterarische Werke geschaffen wird, falls das dänische Höchstegericht der Regierung Recht giebt.

Der der Unsittlichkeit beschuldigte Verfasser ist kein Geringerer als Guy de Maupassant. Er hat seit einer Reihe von Jahren zu den Lieblingsschriftstellern der nordischen Jugend gehört. VerLeger und Zeitungen wetteiferten in der Wiedergabe seiner Werke, die bei uns von „Ein Menschenleben“ bis herab zu „Stark wie der Tod" bekannt sind. Wir haben die Klarheit seines Stils, die Gedrängtheit und Stärke seiner Darstellung, seine unbarmherzige Kenntnis der Menschheit bewundert. Jegt erhebt plößlich ein Justiz-| minister die Anklage auf Unfittlichkeit gegen eine Ueberseßung seines „Bel-Ami“, nachdem er dasselbe Blatt, gegen das man jezt die Anklage richtet, sogar Zolas „La bête humaine“ ungehindert hat veröffentlichen lassen.

Schon dieses Faktum wirkt wie eine Ungereimtheit. Aber noch sonderbarer wird die Anklage dadurch, das man sie nicht gegen das ganze Buch gerichtet hat, sondern gegen 20 bestimmte Zeilen, zwanzig losgerissene Zeilen des Maupassantschen Werkes.

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Man hat gewiß seine Gründe dafür gehabt. Das dänische Strafgeset fordert nämlich, daß eine unzüchtige Schrift „von bewußt finnenreizender Art“ sein soll. Nur ein solches Werk, daß die Sinne reizen will, kann vom Gesetz getroffen werden.

Man hat nun kaum geglaubt, Guy de Maupassants Bel-Ami unter diese Kategorie bringen zu können. Denn selbst die littera= rischen Ratgeber eines Justizministers haben einsehen können, daß der Roman wohl schonungslos in seiner Menschenverachtung, grausam in seiner Aufrichtigkeit, kalt wie Stahl in seinem versteckten Hohn ist aber erhigend und sinnenreizend ist Bel-Ami nicht.

Man hat daher den Ausweg gewählt, gegen die einzelne Nummer der Zeitung, die den Roman veröffentlicht, einzuschreiten, und betrachtet die sechs bis acht Seiten der Einzelnummer als ein Ganzes für sich. Aus diesem Ganzen reißt man wieder zwanzig Zeilen als finnenreizend heraus und hofft auf diese Weise sein Ziel: eine Verurteilung, erreichen zu können.

Hoffentlich wird das Höchstegericht diese Hoffnung zu Schanden werden lassen. Denn eine Verurteilung würde unglaubliche Konsequenzen für die Freiheit der Litteratur mit sich führen. Es würde möglich werden, fast jedes einzelne moderne Werk zu treffen, wenn man Anklage gegen einen Schriftsteller erheben kann wegen einer kleinen Zahl bestimmter Zeilen, die man aufs Geradewol aus dem Werk herausgreift und aus dem Zusammenhang reißt, der sie erklärt und sie künstlerisch notwendig macht.

Hr. Guy de Maupassant wird sicher die Nachricht von dem nordischen Vandalismus mit Heiterkeit aufnehmen. Ihm kann kein Polizeistock die wohlerworbene Berühmtheit aus den Händen schlagen, und er wird, wie von einer Sage, von den Lächerlichkeiten dort unten in König Kristians kleinem Königreiche hören. Aber für die Schriftsteller im Norden ist die Sache ernsthaft genug. Eine Verurteilung wird der litterarischen Reaktion gar zu gefährliche Waffen gegen den Freifinn und die Wahrhaftigkeit in der Litteratur in die Hände geben; sie wird die Litteratur der Polizei und der Willkür übergeben.

Wenn dieses Verfahren wirklich glückt, ist es gefahrdrohend für alle Litteratur, die nicht der Flachheit oder der Heuchelei dienen will. Kristian Dahl.

In der lezten Nummer (4. April) der Revue bleue, der bekannten französischen Wochenschrift, die auch öfters Artikel über deutsche Litteratur bringt und besonders in ihren Nouvelles de l'étranger die bemerkenswertesten Vorgänge unserer Dichtung, vor allem der modernen, kurz berichtet, befindet sich ein sehr unterrichtender Aufsag über die in Deutschland noch wenig bekannten Décadents und Symbolisten, La Poesie Nouvelle á propos des décadents et symbolistes von Georges Rodenbach. Der Verfasser weist auf die Unfruchtbarkeit der Realisten auf lyrischem Gebiete hin, das ohne die Parnassiens ganz brach gelegen haben würde. Die letteren charakterisirt er kurz von Leconte de Lisle, ihrem Meister, an, bis auf Anatole France, die „mystische harmonisch unruhige Seele“, die fich für Hellas und Jesus begeistert. Sodann geht er zu Baudelaire über, dem geistigen Vater der gegenwärtigen Lyriker, von dem die Häupter der Décadence, Stephane Mallarmé und Paul Verlaine stark beeinflußt sind. Nachdem Georges Rodenbach die dichterische Eigenart dieser beiden scharf gekennzeichnet, verweilt er längere Zeit bei dem Romane von I. K. Huysmans A rebours, jenem 1884 cr= schienenen Werke, das ein unwillkürliches Programm, das Gesetz und der Coder, das Feldgeschrei, die Hymne der Rekruten der neuen Kunst“ geworden sei. Außer Arthur Rimbaud, dem Verfasser der Illuminations (1885) ist besonders Jules Laforgue, der 1887 im Alter von achtundzwanzig Jahren gestorben, interessant. Rodenbach nennt denselben einen Träumer, der sein Nervenleiden hätschelt, einen Empfindungsmenschen und Phantast, der, wie Heinrich Heine mit seinen großen Schmerzen kleine Lieder mache, der traurig sei, aber über sich selbst spöttele. Die jüngeren Dekadenten, die sich aus Abneigung gegen das übelberufene Wort Dekadenz Symbolisten nennen, ohne im Wesen von ihren Vorgängern verschieden zu sein, werden in Jean Moréas näher charakterisirt, in ihrem Führer, dessen vor kurzem erschienenes Werk Pèlerin passionné in den jüngeren Kreisen des litterarischen Frankreichs große Erregung hervorgerufen hat. C. G.

Litterarische Neuigkeiten.

A. G. v. Suttner, Schamyl, Roman. Stuttgart. Deutsche Verlagsanstalt. 1891. 8° u. 341 S.

Mit Schamyl hat A. G. v. Suttner seinen literarischen Ruf wahrhaftig nicht vergrößert. Es ist ein Roman, den man aus der Hand legt, ohne recht zu wissen, daß man etwas gelesen hat. Es ist so gar nichts darin, an das sich das Gemüt anhängen, so gar nichts, das der Geist mit Interesse umspannen könnte. Eine wirre Reihe von dürren, chronikenhaften Kriegsberichten verschlingt sich zu einem Gewebe historischen Materials, das durch den Namen Schamyl nur sehr äußerlich zusammengehalten wird. Schamyl ist der Anführer der aufständischen muhamedanischen Bergvölker im Kaukasus, die zur Zeit des Krimkrieges das russische Soch von sich abzuschütteln suchen. In diesen Kampf, der nach wechselvollem Glück mit der vollständigen Niederlage der Aufständischen endet, ist das Schicksal einer von den Insurgenten geraubten und zunächst für den Sohn Schamyls bestimmten georgischen Fürstentochter Irine und eines jungen Polen Roman Volkowski verflochten, der wider Willen in den Dienst der russischen Armee gebannt ist. Um diese beiden jungen Leute ein Paar werden zu lassen, bedarf es natürlich vieler Zufälligkeiten, Gefangennehmungen, Entführungsversuche u. s. w., und der Autor läßt es sich nicht entgehen, nach der Seite kolportagehafter Phantastik sich eben so weit zu versteigen, wie nach der Seite minutiöser Wissenschaftlichkeit. Während das Werk im Ganzen den Ton und die Methode eines Kompendiums der Geschichte hat, find diese phantastischen Momente hie und da unharmonisch in den trockenen Bericht eingeflochten und wirken gerade deswegen um so greller und unwahrscheinlicher. Uebrigens glaube ich, daß nicht einmal das anspruchlose Leihbibliothekpublikum Gefallen an einem Roman finden wird, der ein fo unerquickliches, interesseloses Zwitterding von Märchen und Historie ist. C. G.

Verantwortlich: Dr. Curt Grottewiß, Berlin.

Verlag von F. & P. Lehmann, Berlin W., Körnerstr. 2. Gedruckt bei N. Gensch, Berlin SW.

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Verlag

von

S. & P. Lehmann.

Erscheint jeden Sonnabend. Preis 4 Mark vierteljährlich. Bestellungen werden von jeder Buchhandlung, jedem Postamt (Nr. 3589 der Postzeitungsliste), sowie vom Verlage des „Magazins" entgegengenommen. Anzeigen 40 Pfg. die dreigespaltene Petitzeile. ― Preis der Einzelnummer: 40 Pfg. ~

60. Jahrgang.

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Berlin, den is. April 1891.

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Nr. 16.

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Inhalt: Ludwig Fulda: Wir alle, Gedicht. Marie v. Ebner-Eschenbach: Margarete. P. v. Gizycki: Vorstellungen vom beffern Jenseits. Dr. Albrecht Schüße: Berliner Künstler in dreizehnter Stunde. A. Dehlen: Neue Werte für alte Worte. Friz Mauthner: Das Theater der Sozialdemokraten. -T. Pluim: Jungholland. Ernst v. Wolzogen: Wasserscheu, Humoreske. Litterarische Chronik. Litterarische Neuigkeiten: W. v. Polenz' „Versuchung", besprochen von C. G.; J. Sommers Madeleine“ und M. Rugards Krim- und Kaukasus-Fahrt", besprochen von F.

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Briefkasten.

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Auszugsweiser Nachdruck sämmtlicher Artikel, außer den novellistischen und dramatischen, unter genauer Quellenangabe gestattet. Unbefugter Nachdruck wird auf Grund der Gesetze und Verträge verfolgt.

Wir Alle. Von

Ludwig Fulda.

Alle erleben wir eine Zeit,

Da ist das Herz uns voll und weit,
Die Zeit, wo wir mit seligem Schrecken
Uns selbst und unser Ziel entdecken,
Wo ausgerüstet mit blanker Wehr,
Mit funkelnagelneuen Waffen,
Wir singend uns stellen zum Geistesheer,
Um was zu erkämpfen, um was zu schaffen.
Wir fühlen in wonnigem Selbstvergessen.
Die eigene Kraft noch ungemessen,
Und träfen wir unterwegs einen Drachen
Mit feurigem Schlund, mit hungriger List,
Dem würden wir flugs den Garaus machen,
Ohne zu wissen, wie schwer das ist.
Unbekümmert und unberaten
Spielen wir unsere Jugendtaten.
Wir merken es erst am Beifallsruf,
Der rings um unseren Pfad erschollen,
Daß unsere Hand was Löbliches schuf,
Und glauben, wir könnten, was wir wollen.

Und dann erleben wir eine Zeit,

Da sind wir nicht mehr geschüßt und gefeit
Durch ahnende. Herzensdunkelheit.

Wir sehen der Dinge Form und Gestalt,
Erleiden des Lebens Tyrannengewalt,

Von Pflichten und Pflichtlein geplagt und gezwickt
In Lieben und Hassen vermengt und verstrickt,
Auf unserem Pfad nicht einzeln und frei,
Urplößlich umwogt von einer Partei;

Wo Schluchten wir einst übersprangen im Lauf,
Da hält uns jetzt schon ein Graben auf;
Wir stehen davor verstimmt und verzagt,
Wir halten Reden und bauen Brücken,
Und daß wir gekommen zur Drachenjagd,
Vergaßen wir gänzlich im Kampf mit Mücken.

Wir schauen, je mehr sich der Blick erhellt,

In langen Reihen uns aufgestellt,

Und glaubten wir einst verlockenden Zeichen,
Wir wären was Neues in der Welt
Und nirgends fände sich Unseresgleichen,
Nun tagt es in uns: wir rannten mit Vielen
Die nämlichen Wege zu nämlichen Zielen.
Uns hat vom gemeinsamen Vaterhaus
Die gleiche Sehnsucht hinweggetrieben;
Manche sind mälich zurückgeblieben,
Manche sind, ach, schon weit voraus.
Und kommen wir endlich, wohin wir wollten,
Zum Werke, dem all unser Stürmen gegolten,
Was hilft uns Kraft und Willen und Mut,
Mühsames Wissen und ehrliches Wagen?
Da liegt der Drache in seinem Blut;
Ein Andrer, ein Bess'rer hat ihn erschlagen.
Und dann erleben wir eine Zeit,

Da nagt uns die Reue, da zehrt uns der Neid;
Wir starren ins Licht mit tränendem Grollen
Und fragen uns heimlich, was wir noch sollen.
Wir sind entbehrlich, wir können weichen;
Wir dürfen an unserem Bettelstab
Uns unbemerkt von dannen schleichen
Weitab, weitab bis in das Grab.
Uns efelt der Kampf; uns dünkt erlaubt,
Die schartigen Waffen fortzuwerfen;
Ein Anderer mag sie wieder schärfen,
Ein Anderer, der noch an sich glaubt.

"

So rasten wir sternlose Nächte lang;
Da weckt uns lustiger Hörnerklang:
Die kämpfenden Brüder, die rings geschart,
Rüsten und rufen zur Weiterfahrt,
Und wenn es neu zu tagen beginnt,
Da freuen wir uns zum ersten Mal,

Daß wir der Streiter so viel an Zahl

Und gar so wenig verschieden sind.

Wie? Könnten wir nicht das schwerste Stück

Des langen Weges zusammen wandern,
Keiner voraus und Keiner zurück,

Jeder zu Schuß und Hülfe des Andern?

Und wieder erleben wir eine Zeit,

Da wird das Herz uns voll und weit

In sonniger Bescheidenheit.

Wir grüßen, o Morgen, dein flammendes Haupt,

Das aufsteigt aus dem Weltenschoße!

Wir haben zu lange an uns geglaubt;

Nun glauben wir dienend an das Große.

Margarete.

Bon

Marie, v. Ebner-Eschenbach.
(Fortsetzung.)

Sie preßte die flachen Hände gegen die Schläfe: Genug!" sprach sie und ließ sich auf einem Stuhl neben dem Tische nieder. „Ich werde Ihnen alles ruhig erzählen.“

„Ruhig,“ dachte Robert, „du arme friedlose Seele. „Ich hätte ihn also geheiratet damals. Aber der kleine Georg haßte ihn; er war eifersüchtig auf ihn, Herr Bernard tat, was menschenmöglich war, um seine Liebe zu gewinnen, bemühte sich um sie fast mehr als um die meine mit einer Geduld, mit

einer Güte . . . Wie oft hab' ich ihn bewundert! Ich führte seine Sache bei meinem troßigen Buben, der Kleine war sonst freundlich, mitleidig, dankbar. Herrn Bernard gegenüber verlernte er das alles. Ich sprach ihm zu, bat, strafte . . . ja, das half! erschlagen hätte ich ihn können, aber ihn zwingen, dem Kaufmann die Hand zu geben oder ihm ein freundliches Gesicht zu zeigen das nicht. Ich sah, es heißt: wählen zwischen dem Mann und dem Kind. Nun das Kind ging mir über alles. Bernard bekam seinen Abschied. Er sagte: Ich warte! Der Georg wird mit der Zeit schon vernünftiger werden. Hat auch wirklich zwei volle Jahre gewartet."

Sie hielt inne. Den Ellbogen auf den Tisch), die Wange auf die Hand gestüßt, blickte sie Robert lange und forschend an, als suche sie ihm die geheimsten Gedanken vom Gesicht zu lesen. Während der Krankheit des Kindes“, fuhr sie fort, war er täglich fragen gekommen: Wie geht's? Aber dem Kinde in die Nähe

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kommen durfte er nicht. Es schraf aus dem Schlafe auf, wenn es draußen in der Küche seine Stimme hörte, klammerte sich an meinen Hals und bat: Geh' nicht zu ihm! bleib' bei mir!"

Ihre Stimme begann zu beben: „Wissen Sie noch? Auch zu Ihnen hat er einmal gesagt: „Bleib bei mir!" „Ich weiß!" erwiderte er, „enden Sie! Was ge

schah nach dem Tode des Kindes ?“

„Nach dem Tode des Kindes schrieb Bernard, vermittelte mir die Arbeit, an der ich so viel verdiente. Er kam und fragte wieder: Wollen Sie meine Frau werden? Und heute jezt habe ich ihm ein für alle Mal: Nein gesagt.“

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Robert vermochte weder ein beschwichtigendes Wort hervorzubringen, noch die Augen von ihr zu verwenden. Ihr Blick senkte sich immer tiefer, immer drohender in den seinen. Jetzt beugte sie sich näher zu ihm und sprach langsam:

Menschen mit mir betrüge?" .,,Sie könnten also zugeben, daß ich einen braven

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,,Sie betrügen ihn nicht! Er kennt Ihr ganzes Leben, und liebt Sie dennoch und begehrt Sie dennoch zu Er wird Sie achten und ehren . . seiner Frau . . „Mich? . . . bin ichs denn wert? ... Ich habe Sie mit ihren Apostelfrüher nicht danach gefragt. mienen und Ihrer Steifheit," sie lächelte wegwerfend, verzeihen Sie, ich muß manchmal an den standhaften Bleisoldaten denken der alte Doktor mit seinen Ermahnungen. Ihr habt mich gelehrt danach zu fragen! Er wird mich achten und ehren, sagen Sie was wissen Sie davon? Wenn er um meinetwillen Demütigungen erleiden muß, wird er mich dann auch noch achten und ehren? und ich werde ich ihn achten und ehren, wenn er sie feig und stillschweigend erleidet? Wir gehen zusammen über die Straße und begegnen dem Bildhauer, und der lacht dem Manne ins Gesicht, der mich geheiratet hat ..

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