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daß ich mich mit einem Tischchen und einem Stuhle oder auch mit einem Stuhl allein begnügte, je nachdem die Herrschaften mich als Klopfmedium, als Sprech-, Schreib- oder Traummedium gebrauchen wollten.

Der Gutsbesizer begann Anordnungen zu treffen, der Doktor aber öffnete rasch die Tür zu dem anstoßenden Speisesaal und etwa 30 Herren strömten einander drängend und schiebend sofort in das Zimmer. Mich überlief es kalt, denn 4 oder 5 von den Spiritisten gestikulirten lebhaft und sprachen unaufhörlich auf einander ein; da die meisten aber sich ganz ruhig verhielten und auch die Aufgeregten unter dem Blick des jungen Doktors still wurden und sich in den Ecken herumdrückten, verlor ich binnen kurzem alle Scheu und fühlte mich recht behaglich, wie in jedem andern Spiritistenverein.

Der Doktor stellte mir mit staunenswertem Gedächtnis die 32 Herren vor. Wie wurde mir, als ich eine große Anzahl als meine treuen Verehrer aus der Zeit meines früheren berliner Aufenthaltes wiedererkannte! Da war der dicke, bleiche Bäckermeister, der unsere spiritistische Zeitschrift subventionirt hatte; da war der lungenfranke Ingenieur, der mit Hilfe der Geister sein Perpetuum mobile erfinden und ausbeuten wollte; da war der Volksschullehrer mit den glühenden schwarzen Augen, der vor Jahren eine neue Religion gestiftet hatte; da war der Bierbrauer, der diese Religion am Kongo auszubreiten versprach, weil der Oberkirchenrat sich ablehnend verhielt; da waren die unzertrennlichen Freunde, der Schuster und der Tischlermeister, welche seiner Zeit immer die gleichen Fragen an mich stellten, und welche jezt, wie ich hörte, seit demselben Tage eine gemeinsame Stube bewohnten; da war der alte Profeffor, der mit meiner Hilfe mathematische Gleichungen über die Raumverhältnisse der vierten Dimension ausrechnen wollte; da war der schwarze Student, zuerst Theologe, dann Chemiker, der aus den Zahlen 3 und 7 anfangs die ganze Dogmengeschichte und dann die anorganische Chemie zu entwickeln suchte; da war der blonde Student, der schon vor 5 Jahren mit der schönen Helena zu plaudern verlangt hatte. Unter den Herren, welche sich bei der spiritistischen Irrenhaussigung irgendwie hervortaten, waren mir nur zwei unbekannt, unser freundlicher Wirt, der Gutsbesizer, und ein ehemals viel genannter Theaterdirektor, der aber eigentlich, wie der Arzt mich versicherte, schon mehr in die Abteilung der Blödsinnigen gehörte.

Die Herren saßen und standen zwanglos umher, einige rauchten, einige hatten sich eine Flasche Bier mitgebracht, alle aber verhielten sich eine Weile ruhig und blickten entweder den Arzt an oder auffallend scheu an ihm vorüber. Es war ungefähr, wie wenn bei einer gewöhnlichen spiritistischen Sigung das Lokal nicht ganz zuverlässig ist und bei jedem neuen Klingelzeichen das Eintreten eines Schußmannes befürchtet wird. Aber auch die Gêne der Kranken legte sich nach wenigen Minuten, und sie vergaßen ebenso wie ihr Medium, wo sie sich befanden. Der Gutsbesißer hielt eine Ansprache, in welcher er seiner Freude Ausdruck gab, den Genossen das berühmte Medium meinen Namen hatte er vergessen das weltberühmte Medium, welches in Amerika alle Indianerstämme zum Spiritismus bekehrt hätte und in Europa und Asien vor allen Potentaten aufgetreten wäre, in seinem Hause vorzustellen. Er wurde aber von vielen Vereinsmitgliedern unterbrochen, die ganz richtig bemerkten, zu reden hätte man ein

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andermal Zeit, heute müßte jede Minute ausgenüßt werden, so lange das Medium da wäre. Nach einem kurzen Zank, in welchem der Professor dem Gutsbesizer sehr logisch bewies, wie kostbar die Zeit sei und wie man sich hier nicht in dessen Privathaus, sondern auf der Universität befinde, begann eine ganz ordentliche Debatte darüber, was man eigentlich mit mir vor= nehmen sollte.

Der Arzt hatte sich mit übereinander geschlagenen Beinen auf das Sofa gesezt und machte sich von Zeit zu Zeit Notizen.

Die Debatte wurde hauptsächlich durch den Professor und den Ingenieur beherrscht, welche darüber ins Klare zu kommen suchten, ob ich den geehrten Herrschaften zuerst wissenschaftliche Probleme lösen oder praktische Ratschläge geben sollte. Ich hatte die ganze Zeit über nichts zu tun. Während die Führer sich immer mehr in die Haare gerieten, trat wol ab und zu einer von den Anwesenden an mich heran, und flüsterte mir etwas zu, ich aber hatte mit den Spiritisten keine Privatangelegenheit zu ordnen. Am zudringlichsten war der blonde Student, der von Zeit zu Zeit hastig an mir vorüber schoß, mir dabei immer mit der Hand die Schulter streifte und mir zuraunte, er würde auf der Stelle nach Hause gehen, wenn die schöne Helena nicht bald käme. Der Ingenieur zeichnete mir auf ein Blatt Papier in immer größeren Proportionen seine Erfindung auf. Der Direktor versprach mir 5000 Freibillets für eine Extrasißung. Der Bäckermeister wimmerte von Zeit zu Zeit nach spiritistischer Lektüre, und zwischen= durch wurde immer lauter der Streit über das Programm der heutigen Sigung geführt. Mir wurde immer behaglicher zu Mute.

Plöglich mischte sich der schwarze Student, der ein wollenes Jägerkostüm trug und anfangs die dunkelste Zimmerecke nicht verließ, in die Debatte und widersprach dem Professor, der die Materialisationen der Geister für unkörperlich erklärt hatte. Die Geistererscheinungen seien wol körperlich, ihr Stoff sei der allgemeine Astralkörper und sein Gewicht verhalte sich zu destillirtem Wasser nach seinen genauen Forschungen die er troß der Niederträchtigkeit der Ärzte im Geheimen fortgesezt habe Geheimen fortgesezt habe wie 0,3 zu 7000000. Um diese kühne Behauptung seßte es einen furchtbaren Kampf, bis endlich auf Antrag des Volksschullehrers die Frage des Astralkörpers zum Programm der Sizung gemacht wurde. Ich erklärte mich bereit, versezte mich sofort selbst in den nötigen Traumzustand und bejahte auf Befragen, daß Geister anwesend seien. Die Sigung verlief nun so, daß ich anfangs unter dem Diktat der Geister niederschrieb, was nötig war, daß ich mich aber nach kurzer Zeit, der allge= meinen Bitte nachgebend, in ein Sprechmedium verwandelte. Das ging viel schneller und war für mich auch darum bequemer, weil die geisteskranken Spiritisten viel schärfer aufpaßten als die gewöhnlichen. Ein Sprechmedium aber ist unter allen Umständen davor sicher eines Betruges überführt zu werden.

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Ich mußte also zuerst den Geist des alten Aristoteles zitiren, und der diktirte mir ungefähr folgendes: Es ist richtig, daß der Stoff der seligen Geister der sogenannte Astralkörper ist, kürzer auch Astral genannt. Aus Astral bestehen auch alle Himmelskörper, besonders die Kometen. Die Berechnungen der Astronomen sind alle falsch und treffen nur zufällig mit der Wirklichkeit

zusammen. So wie die Musik etwas anderes ist, als ihr glaubt, so auch die Himmelskörper. Das ganze Sonnensystem ist gefrorene Musik. Wenn es sehr warm wird, taut das Sonnensystem auf, und dann regnet es, der Regen ist unreines Astral. Die Schwere des Astral ist vorhin falsch angegeben worden. Aber auch der Professor hat Unrecht. Astral ist wohl ein Körper, aber ein verkehrter Körper."

Dieser Blödsinn wurde mit Begeisterung aufgenommen. Der Schullehrer öffnete das vergitterte Fenster und hielt in seiner ruhigen milden Weise eine Ansprache an die Völker der Erde. Der Bierbrauer verlangte, daß ich ihm die Enthüllungen des Aristoteles sofort in Negersprache überseße, damit er morgen früh mit dem ersten Schnellzuge nach Afrika reisen könnte, vom Lehrterbahnhof über Stendal. Der Professor ging heftig auf und nieder, und der schwarze Student über schrie sich vor Wut, um dem Aristoteles zu beweisen, daß seine Berechnung richtig wäre. Der Gutsbesizer, der Bäckermeister und der Ingenieur erklärten aber die Äußerungen des alten Griechen für Schwindel. Zur Ordnung gerufen, erklärten sie sich zur Abbitte be reit; wahrscheinlich habe ein neckischer Geist uns gefoppt, das Medium hätten sie nicht beleidigen wollen.

Es kamen nun eine Reihe von sehr schwierigen Fragen, welche ich nur dank meiner Mitarbeiterschaft an spiritistischen Zeitschriften zu lösen vermochte. Welche Farbe das Astral habe? Ob die Gegenstände im Jen seits überhaupt farbig seien? Db man einen seligen Geist einfangen und mit Hilfe von Dampfmaschinen zu Astralextrakt zusammenpressen könne? Wie Astral schmecken würde? Ob die Milchstraße nicht am Ende geronnenes Astral sei? Ob das Gesetz der Undurchdringlichkeit der Körper auch für das Astral gelte?

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Ich ließ mir Zeit, aber schließlich beantwortete ich jede Frage zur Zufriedenheit der Herrschaften. Schwierig war es auch darüber Auskunft zu geben, was jeder einzelne für seine Person auf dem Herzen hatte. Der blonde Student raunte mir ins Ohr, er sei mit dem seligen Geiste der schönen Helena verheiratet, allerdings nur standesamtlich, aber der Staat, der die Ehe geschlossen, habe nun auch die Pflicht, die Pflicht, die Pflicht, schrie er mir den Schluß seiner geheimen Mitteilung ins Dhr ihm seine Frau zu materialisiren. Er verlangte eine Materialisationssizung auf Staatskosten. Der Bäckermeister wünschte ein anderes Programm. Der olle Grieche sei nur für die Studirten, er verlange einen einfachen Geist aus dem Volke. Der Ingenieur schlug heftig auf den Tisch und drohte den ganzen Berg in die Luft zu sprengen, wenn man ihm nicht den Archimedes zitire und das perpetuum mobile auf die Tagesordnung seße.

Ich zitirte meinen alten Freund Archimedes und gab dem Ingenieur nüßliche Winke für seine Er findung. So viel ich mich erinnere, mußte nur ein bischen mit den Füßen getreten werden, damit die Maschine in Gang käme, und dieses anstrengende Trampeln wollte der Ingenieur auch noch verschwinden machen. Der Gutsbesizer der so eine Art Vorsiz führte und mir einen Heiratsantrag machte, so oft er unter dem Vorwand einer Kontrolle sich über mich niederbeugte verlangte irgend einen berühmten alten Baumeister, der ihm den Plan für ein Riesenvergnügungslokal entwerfen sollte. Das Gebäude sollte unter anderem 3 Theater, 50 Tanzsäle zu je 6000 Paaren

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und ein russisches Dampfbad für eine Million Einwohner enthalten.

Sie sind verrückt!" schrie der Professor. Das Wort hätte einen furchtbaren Faustkampf entfesselt, wenn der Doktor nicht mit einem freundlichen „ich bitte, meine Herrschaften", den Frieden wieder her= gestellt hätte.

Der Theaterdirektor benußte die eingetretene Pause zu einer schüchtern vorgetragenen Bitte. Er wollte wissen, wie viel selige Geister bei ausverkauftem Hause auf einem einzigen Parkettsiz Plag hätten, vielleicht 40 bis 45, wie viele Besucher aus dem Jenseits demnach in seinem Theater unterzubringen wären, und ob die seligen Geister auch zahlen könnten? Astralgeld nehme er nicht. Dann fing er an zu stottern und schaute mich stumpfsinnig an. Er hatte seinen Gedanken ganz vergeffen. Die Unterhaltung nahm aber seine Anregung auf und führte zur Frage, ob auch die Gewänder der seligen Geister, das, was sie sonst bei sich hätten, aus Astral wäre. Ich antwortete wie gewöhnlich und wurde nicht müde, den Astralgehalt aller einzelnen Objekte zu bestimmen, welche man schon am Leibe oder in den Händen von Geistern wahrgenommen hat.

Die Phantasie der Herrschaften schien mit ihnen durchzugehen. Denn ich wurde nach der Zusammenseßung der unmöglichsten Gegenstände ausgeforscht. Aber im wesentlichen handelte es sich doch immer wieder darum, ob die Kleidung der materialisirten Geister irdisch oder überirdisch sei. Das war darum wichtig, weil die sogenannten entlarvten Medien regelmäßig im Besig von ganz irdischen weißen Leinentüchern, Gazestoffen und ähnlichen Dingen befunden worden waren. Ich gab dafür die mir geläufige hirnverbrannte Erklärung des Doktor Cyriar und wurde, weil ich diese Erklärung im Laufe der Jahre schon unzählige Male gesagt hatte, so zerstreut, daß ich meinen Traumzustand darüber vergaß, mein sauberes Taschentüchlein hervorholte und mich schnäuzte. Ich tat das mit demjenigen Anstand, den edle Weiblichkeit von einer in einem dresdener Pensionat erzogenen Dame verlangt. Dann steckte ich das Tuch gleichmütig wieder ein, redete meinen Unsinn weiter und wurde auch auf mein Versehen nicht gleich aufmerksam gemacht. Plöglich aber stürzte der schwarze Student mit geballten Fäusten auf mich zu, trommelte auf dem Tisch herum, daß die Lampe klirrte und rief wie ein Wahnsinniger: „Wir sind betrogen! Das Medium ist entlarvt, Geister schnauben sich nicht die Nase!" Ein Höllenlärm entstand. Der Arzt hatte sich erhoben, seßte sich aber dann wieder ein wenig lächelnd nieder, beobachtete uns scharf und machte sich Notizen. Der schwarze Student wiederholte immer nur diese Worte: „Das Medium ist entlarvt! Geister schnauben sich nicht die Nase!" Beweisen Sie das! Warum nicht? Warum nicht?" erwiderte der Professor, und viele Minuten lang hörte ich aus dem ganzen Stimmengewirr durcheinander die beiden Hauptschreier ihre Säße wiederholen: „Die Geister schnauben sich nicht die Nase!" und Warum nicht?" Warum nicht?"

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Der Gutsbesizer verlor alle Haltung und stieß den schwarzen Studenten, der mir mit der Faust vor dem Gesicht herumfuchtelte einige Mal vor die Brust. Schullehrer und der Bierbrauer nahmen sich des Studenten an und riefen weinend: Wir sind betrogen! Es war eine falsche Prophetin!" Alle anderen Teilnehmer stellten sich auf meine Seite. Das warum

nicht" des Professors drang durch. Mehr als zwanzig | Personen sprachen, schrien, gestikulirten und drohten durcheinander. Der schwarze Student sollte entweder entweder auf den Knieen Abbitte leisten oder das Zimmer verlassen. Ins Zuchthaus! An den Galgen! Der Tischlermeister und der Schuster erklärten sich bereit, den Verbrecher auf der Stelle in siedendem Öl zu kochen.

Dazwischen rief der Student mit gellender Stimme. Ihr Pöbel, ihr Proletarier, ihr Banausen, ihr seid gar keine Spiritisten! Abergläubisches Gesindel seid ihr, Dummköpfe, Narren! Ihr habt gar keine Ahnung von der Wissenschaft, begreift nicht einmal die Bedeutung der heiligen Ziffern und laßt euch von der dümmsten Betrügerin foppen. Fragt doch den Doktor, ob ihr nicht alle verrückt seid! Herr Doktor, antworten Sie, ich befehle es Ihnen! Bin ich nicht außer Ihnen der einzige vernünftige Mensch in diesem Zinimer?"

Augenblicklich wurde es still. Der Gutsbesizer benußte das, um seine Meinung dazwischen zu werfen. Die Geister könnten sich unbedingt schnäuzen, denn jeder Spiritist wisse aus Erfahrung, daß die Geister auch husten können. Der schwarze Student lachte fürchter lich auf.

"Susten? Noch nie hat ein Geist gehustet. Im Jenseits giebt es keine Krankheit, höchstens Geisteskrank heiten. Der Astralkörper wirft alle Krankheitsstoffe aus und schleudert sie mit einer Geschwindigkeit von 314157000 in das unermeßliche Weltall hinaus. Der Astralkörper kann höchstens verrückt gemacht werden, wenn er in solche Gesellschaft gerät, wie ihr seid. Ihr gehört in Ihr gehört in ein Irrenhaus und nicht in einen Spiritistenverein.

Nun brach der Sturm ernstlich los. Der Professor und der Student faßten einander bei den Haaren. Alle brüllten durcheinander, und nur der blonde Student und der Gutsbesizer stellten sich schüßend neben mich und riefen mir gleichzeitig zu, ich sollte mich ihnen anvertrauen. Als jezt der Arzt Ruhe gebot, gelang es ihm nicht gleich, Ordnung zu schaffen. Er mußte die Hauptstörenfriede durch Drohungen einschüchtern, und langsam nur verstanden sich die Herrschaften dazu, das Zimmer zu verlassen und für heute auf eine Fortsezung der spiritistischen Sizung zu verzichten. Ich folgte dem jungen Doktor in sein Sprechzimmer. Er zahlte mir dort das Doppelte des ausbedungenen Honorars aus und bedauerte, daß er mich zur Zeugin so furchtbarer Scenen gemacht habe.

Ich steckte das Geld dankend ein, konnte mich aber nicht enthalten, nachher zu sagen:

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Lieber Herr, Sie irren. Das war eine sehr hübsche spiritistische Sigung. Ihre Kranken haben mich nicht im mindesten erschreckt. In andern spiritistischen Vereinen geht es ebenso zu!"

Maurice Maeterlinck.

Von
Hermann Bahr.

Im August dieses beglückten Jahres, Jahres, eines schönen, warmen Sommersonntags, geschah es, daß der "Figaro" wieder einmal einen neuen Dichter entdeckte.

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Er hat darin schon einige Übung und um keinen Preis möchte er von der freundlichen und nüßlichen Gewohnheit lassen. heit lassen. Diese hastige, nervöse und nach dem Unbekannten hungernde Zeit, mit allen Launen eines verdorbenen Magens, braucht täglich neues Futter der Nerven und der Sinne und jede frische Berühmtheit, welche einige Würze gewährt, wird rasch verschlungen: das Bedürfnis neuer Namen ist groß, die Nachfrage wächst und sie sind ein Artikel, der sehr gut geht.

Der Entdeckte hieß dieses Mal Maurice Maeterlinck. Der Entdecker war Octave Mirbeau. Das ist keiner von den berufsmäßigen Impresarios der Litteratur, die alle sechs Monate einen anderen Stern unternehmen, keiner von den verwegenen Falschmünzern des Ruhmes. Er hats auch nicht nötig. Er kann, ohne daß er fremdes Talent schmaroßerisch ausbeuten müsse, müsse, von seinem eigenen leben: es langt reichlich. Der Dichter des Calvaire, des Abbé Jules, des Sébastien Roch braucht nicht erst eine Sonne, um zu leuchten: er hat selbst den Glanz und die Wärme des Genies. Gleichgiltig gegen die Tagesmeinung, unbekümmert um den herrischen Wahn der augenblicklichen Mode, außer den Schablonen der Schulen, nur dem eigenen Drange gehorsam, ein einsamer Wanderer auf einsamen Pfaden nach einsamen Zielen, hat er längst die Gipfel der Kunst erklommen. Und er ist ein aufrichtiger Künstler, ohne Pose und Schauspielerei, der es verschmäht, etwas aus sich zu machen, sondern sich schlicht und ehrlich bekennt. Sa hautaine originalité, c'est qu'il ne cherche pas à être original, hat Catulle Mendès von ihm gesagt.

Es mußte sich also doch wohl um eine ernsthafte Angelegenheit handeln. Gegen eine maskirte Annonce bürgte dieser Name. Doch klang es wunderlich und seltsam, wie eine ausgelassene Parodie der Reklame, und forderte das Mißtrauen und den Spott heraus. Unglaubliches, Phantastisches wurde erzählt. Der junge belgische Dichter sollte in seinem Drama das weitaus genialste, weitaus absonderlichste und weitaus naivste Werk dieser Zeit" geschaffen haben, vergleichbar, ja überlegen dem Allerschönsten, was in Shakespeare zu finden ist": un admirable et pur et éternel chefd'oeuvre, un chef d'oeuvre qui suffit à immortaliser un nom et à faire bénir ce nom par tous les affamés du beau et du grand; un chef d'oeuvre comme les artistes, honnêtes et tourmentés, parfois, aux heures d'enthousiasme, ont rêvé d'en écrire un et comme ils n'en ont écrit aucun jusqu'ici. Wahrhaftig, ein Werk muß von guter Konstitution sein, das solche mörderische Empfehlung aushalten soll.

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Kein Wunder, das ein großer Lärm ausbrach, den ganzen Boulevard entlang, viel Widerspruch und hämische Fehde, aber auch wieder Jubel und heller Zuruf der Begeisterung. Der gekränkte Patriotismus mischte sich darein, weil einem Ausländer doch nimmermehr der Vortritt vor dem heimischen Talent gebühren kann, und der gereizte Neid der konkurrenten Eitelkeit, welche dieser jähe Ruhm bedrohte, wüste Verleumdung und geschichte Bosheit. Aber der werbende Eifer der Freunde wuchs davon nur, über alle Ufer der Gewohnheit, und es wurde eine Reklame ohne Gleichen.

Man konnte an dem neuen Namen nicht mehr vorbei. Er war ein Ereignis geworden, zu dem man sich stellen mußte, so oder so. Man mußte sich irgendwie mit ihm abfinden.

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Ich will offen gestehen: ich habe es mit Mißtrauen getan, mit einem komplizirten Mißtrauen. Erstens war darin von dem allgemeinen Mißtrauen der Modernen gegen jeden Enthusiasmus überhaupt. Wir sind spröde gegen die Begeisterung, wie wollen an das Große nicht mehr glauben, wir sind zu oft von eitlem Trug geblendet worden und fürchten den nachhinkenden Hohn, wenn es etwa wieder eine Enttäuschung wäre, auch dieses Mal wieder. Leicht in Bewunderung aufwallen, gilt für eine veraltete und entmodete Geschmacklosigkeit, welche einem teuer zu stehen kommt. Es stimmt schlecht mit der böswilligen und ruchlosen Blague, die heute der gute Ton ist. Zweitens war litterarisches Mißtrauen darin. Es ist uns die Erlösung zu oft verheißen worden, alle Jahre durch eine neue wundertätige Formel, als daß wir nicht endlich den ganzen Zauber satt gekriegt hätten. Die Sehnsucht ist lange da und der wachsende Wunsch und die hungrige Begierde, mit immer heftigeren Trieben, aber es naht keine Erfüllung, keine Gewährung. Anfangs wußte die Hoffnung vieles, das man versuchen konnte; nun ist alles versucht und keine Wirkung davon gewonnen; es will immer mehr scheinen, als ob es erst einer großen Umwälzung der Geister durch ein gewaltiges Schicksal und eines frischen Erwerbes von Kraft und Mut aus langen Leiden, die verhärten, und vieler Übung im Kampfe bedürfe, bevor an eine neue Kunst zu denken ist. Und endlich ein besonderes Mißtrauen gegen den französischen Enthusiasmus, der oft aus einem nervösen Bedürfnisse stammt, das schnell fertig und wenig wählerisch ist und ebenso rasch verraucht, wie es sich eilig entzündet.

Also der Voreingenommenheit für den neuen Dichter kann man mich jedenfalls nicht beschuldigen. Eigentlich war ich entschlossen, von ihm enttäuscht zu werden. Schon aus journalistischen Gründen empfahl sich das: was sich der Begeisterung abgewinnen und aus ihr machen läßt, das alles war bereits vorweg genommen und alle würden blos sagen: na, nun ist's zur Abwechse=| lung wieder einmal Mirbeau, den er kopiert.

Von dem belgischen Dichter, den ein geistreicher Kritiker neulich als einen deutschen Shakespeare, der in französischer Sprache dichtet", definiert hat, sind bis jezt drei Bücher erschienen: Serres chaudes", eine Sammlung von Gedichten; das Drama „La Princesse Maleine" und „Les Aveugles", zwei Akte, von denen der erste L'intruse" heißt.*)

Was man von den Gedichten zunächst gewahrt, gleich auf den ersten Blick, schon an ihrem äußeren Gebahren, bevor man noch zu den versteckten Trieben ein gedrungen ist, das ist ihre Herkunft aus der Ästhetik des jüngsten Frankreichs. Die Stammesart ist unverkennbar. Sie wollen der nämlichen Absicht dienen und sie versuchen es mit den nämlichen Mitteln. Wie jene wunderlichen und verhöhnten Sänger der Decadence und des Symbolismus, welche mitten im lauten Gedränge des vollen Paris, durch keine Grausamkeit des lauernden Spottes entmutigt, nach den stillen, einsamen, oft schaurig verwachsenen Idealen mystischer Versunken= heit und buddhistischer Weltentrücktheit ringen, so seufzen diese fremden Lieder aus der kahlen Dürre des Gewöhnlichen und Alltäglichen nach der üppigen Blütenfülle des Unsäglichen und Unfaßlichen empor, grüblerisch durch die legten Geheimnisse der Sinne wühlend,

*) Alle bei Paul Lacomblez, Bruxelles.

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ob sie in ihnen nicht das Übersinnliche erhaschen möchten. Es ist die nämliche Reaktion der inneren Menschlichkeit gegen die äußere Sachlichkeit des Naturalismus. gemeine Deutlichkeit der Dinge, das handgreiflich Wirkliche, das Straßenkleid der Wahrheit wird verschmäht und der Grund der Wogen in der tiefen Seele, die irre Sehnsucht, die sich nicht zu deuten weiß, und der schwüle Schwall der blinden Träume, alles Rätselhafte und | Unartikulirte wird aufgesucht. Es ist, von der frechen Despotie der toten Dinge weg, die Rückkehr zum lebendigen Menschen: der soll nun wieder ausgedrückt werden, wie damals, von der Romantik.

Aber weil der Mensch seither, unter dem Wechsel seiner Bedingungen, sich verwandelt und völlig erneut hat und viele von diesen neuen Menschen jezt sich den Nerven untertan fühlen, nicht mehr dem Geiste, nicht mehr der Empfindung, welche der Herrschaft entsegt sind, darum sollen jezt die Wallungen der Nerven ausgedrückt werden, statt der Ratschlüsse des Geistes und der Ereignisse im Gefühle von damals. Es wird wieder Romantik, es wird wieder Symbolik: aber eine Nervenromantik jezt und eine Nervensymbolik. Das ist die Tendenz aller „Defadenz", das ist die Tendenz dieser schaurigen und betäubenden Lieder. Natürlich müssen sie auch die nämlichen Mittel wählen, das gleiche Verfahren. Nervöses soll geäußert und erweckt werden. Die alte Sprache, welche logische und allenfalls sentimentale Reihen vermittelte, kann dafür nicht genügen. Nicht um das Verstandesmäßige und das klare Gefühl, die in sichere und helle Worte faßlich sind, sondern um das jenseits des Verstandes und vor dem Gefühle, um die trüben und vervorrenen Anfänge der Empfindung, um alle Seltsamkeit, die unter der Schwelle des Bewußtseins kauert und nur wie ein dumpfes Stöhnen aus dem leßten Schlunde der Natur, wohin der Geist nicht dringt, - empfunden wird, darumi handelt es sich um eine neue Sprache, welche Nervenstände ausdrücken und mitteilen soll, indem sie die an ihnen charakteristischen Farben und Klänge giebt, welche von ihnen unzertrennlich sind. Das ist das große Suchen des Stiles seit den Goncourts. Das ist der große Fund Maurice Maeterlincks.

Das alles wird an seinem Drama noch deutlicher: die Lyrik war ihm blos die erste scheue Schwingenprobe; erst im Drama entfaltet er sich. Ein absonderliches Drama freilich, wider alle Begriffe: es war sehr töricht, ihn Shakespeare zu vergleichen. Mit dem britischen Naturalisten hat er keinerlei Gemeinschaft. Außere Dinge vermag er gar nicht zu gewahren, geschweige zu gestalten. gestalten. Außeres Leben zu bilden versucht er nicht einmal. Kein wirklicher Mensch wird ihm, keine wirkliche Handlung. Die Gestalten, welche er formt, find nur Zeichen seiner Sensationen, wie von seinen Stimmungen auf die Welt geworfene Schatten, und die Ereignisse, welche er häuft, sind nur Symbole vieler Geschichten in den Nerven. Wer das große Leiden seiner Tragödie hinter sich hat, erinnert sich keines Charakters, der vor dem Gesichte bliebe, keines Schicksals, das am Gefühle klebte, sondern er wird, wenn er sich fragend besinnt, nur eine Skala von Reizen wissen, die auf seinen Nerven vollbracht sind; und lange nachher, wenn er in Nebel und Sturin wilder Winternacht gerät, wird eine ihrer vergessenen Szenen erwachen, weil sie das intensivste, sie das intensivste, suggestivste Symbol des falten Schauers ist, und jedesmal, so oft ihn Angst der Reue anfällt, eine andere, welche das suggestivste Symbol

der Gewissensfurcht ist. Die Personen, die Handlung, die Dekoration, jede Geberde, jedes Wort alles folgt nur dieser Absicht: die Nerven in eine bestimmte Verfassung zu bringen. Lebendige Darsteller von Fleisch und Blut würden die Wirkung nur lähmen: von Puppen, hat der Dichter vorgeschrieben, daß sie gespielt werde; in dem unheimlichen, gespenstischen und beklemmenden Stile des Moreau müßten sie aus Wachs mit bunten Feßen angefertigt sein; und einsam, nächtig, in zer knirschte Andacht versunken, müßte man sie hören.

Zusammengefaßt: er ist eigentlich kein Neuerer, durchaus nicht. Er bringt keinen neuen Plan in die Litteratur, er versucht keine neuen Mittel. Die geduldigen und unermüdlichen Märtyrer des Symbolismus haben ihm das alles längst vorgemacht. Er ist blos ihr glücklicherer Schüler. Es ist ein einziger Unterschied zwischen ihnen und ihm: sie holten sich damit Spott und Hohn, und er holt sich jezt damit Ruhm und Lorbeer aber das muß doch seine besondere Ursache haben.

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Die Ursache ist einfach: er ist der erste, der, was alle Dekadenz will, auch wirklich kann und mit diesen Mitteln jene Zwecke auch wirklich vollbringt. Bisher, so oft die Dekadenz ihre neue Ästhetik entwickelte, da konnte man immer blos sagen: ja, das mag ja alles recht schön und vortrefflich gemeint sein und scheint auch wirklich mit unsern Bedürfnissen zu stimmen, aber es müßte einem doch erst einmal gezeigt werden, wie es wirkt und sich ausnimmt; und jedesmal, so oft sie es unternahm, es nun auch wirklich zu zeigen und durch die Tat zu erweisen, da verstand man es niemals und fand sich nicht zurecht und mußte sich mühsam durch umständliche Kommentare erst ein Verständnis und künstlich eine Art von Mitgefühl bereiten. Das ist sein großes Verdienst, daß er jene langen Verheißungen zum ersten Male erfüllt und die heftige Sehnsucht der Dekadenz endlich verwirklicht hat. Daher kommt ihm der rasche, maßlose Ruhm.

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Die Zukunft dieses Erfolges, wie lange er sich halten und wie weit er sich verbreiten wird, ist wichtig und wird viele Zweifel entscheiden. Manches umstrittene Rätsel der Kultur von heute kann sie lösen, manches Geheimnis entwirren. An ihr werden wir es erst erleben, wie wir sind.

Die Formel der Dekadenz stammt von Naturen, in welchen das Nervöse jede andre Potenz ausgetilgt und alle Triebe unterworfen hat, welche überhaupt blos Nerven sind; man erinnere sich des homme lib:e, des des Esseintes. Diese begehren cine Kunst, die ist wie sie selbst, die nur aus den Nerven kommt und nur auf die Nerven geht, die allen Erwerb aller bisherigen Kunst verwendet, um Nervöses auszudrücken und Nervöses mitzuteilen. Davon war die Dekadenz die lange Verfündigung und Maeterlinck ist davon die endliche Erfüllung.

Diese Menschen, die nur aus Nerven bestehen und in allem nur von nervösen Bedürfnissen beherrscht werden, machen seinen Ruhm. Sie verlassen alle andere Kunst, die sie befremdet, auf ihre Weise nicht eingestellt werden kann und darum unwirksam bleibt, für die seine, in welcher sie sich wiederfinden. Aus dem Maße seines Erfolges kann also ganz genau berechnet werden, wie viele ihrer sind, ob sie die Regel der heutigen oder blos eine seltsame Ausnahme darstellen, von wenigen Sonder

| lingen gebildet, die nur etwas viel Spektakel machen, auffällig placirt sind und deshalb leicht täuschen.

Sie selber maßen sich an, den typischen Menschen am Ausgange der modernen Kultur darzustellen, wie er sein muß und gar nicht anders sein kann. Wer ihnen nicht gleicht, den behandeln sie als zurückgeblieben in der Entwicklung und verspätet hinter der Zeit, welche durch unverdroffene Nacheiferung ihres Beispiels schleunigst einzuholen er sich befleißigen sollte. Wenn sie Recht behielten, dann wäre die Kunst des Maurice Maeterlinck als die Kunst der Nevrose die wahre Kunst der Moderne und müßte rasch alle anderen verdrängen, die sie als abgefaulte Überbleibsel ausgestorbener Menschenarten ausehen.

Andere nehmen es blos für eine Krankheit der Reichen, die sich zu würzig nähren und zu knisternd kleiden: daher die Virtuosität im Nervösen. Die ganze Dekadenz ist ihnen eine Luxuskunft der entarteten Eleganz, die zur Wirksamkeit hunderttausend Franken Rente vorausseßt und bis zum nächsten graud prix wieder von einer anderen Mode abgelöst werden wird. Ins Volk, das die Dauer des Ruhmes verbürgt, wird nichts davon dringen.

Manche, endlich, meinen gar, es sei überhaupt nur eine Marotte der Künstler, welchen kein Bedürfnis in den anderen Kreisen antwortet, eine Krankheit des Metiers, welche den anderen Gewerben fremd und unverständlich bleibt. ständlich bleibt. Außer dem Atelier fände die Dekadenz kein Echo. Künstlerkunst und Litteratenlitteratur würde das Werk Maurice Maeterlincks bleiben.

Nun werden wir sehen, wer Recht behält.

Zwischen Papieren.
Stizze.

Von
Johannes Schlaf.

Ein Gewitter, das sich während der Nacht um unsren Talkessel herum ausgetobt, hat sich in einen Regen aufgelöst. Seit frühstem Morgen raschelt er ununterbrochen in langen, dicken Fäden vom sackgrauen Himmel herunter und läßt mich nicht aus dem Zimmer.

Ich freue mich meiner warmen Filzsocken, meines Hausrockes und meines Nasenwärmers. Der Pudel meiner Wirtin hat sich neben mir auf den Teppich zusammengekuschelt und schnarcht leise, und drüben von der Wand her tickt die Uhr.

Ich size an meinem Schreibtische und höre auf die stille Musik draußen: das Rascheln der Blätter, das Plätschern der kleinen Gießbäche an beiden Seiten des Fahrwegs die Gasse hinunter in milchkaffeefarbigen Wirbeln. Dazwischen das Geschrei der Jungens, die sich die Hosen bis an die Hüften hinauf gekrempelt, in den breiten Lachen und Pfüßen verlustiren, auf denen hunderte von Blasen aufhüpfen und wieder verschwinden. Ich recke die Beine lang unterm Tisch und gähne, weißt du, so in einer angenehmen Lässigkeit, in behaglicher Langeweile.

Was nun gleich anfangen?

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