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Mit einer Zähigkeit sondergleichen hielt der Verwaltungsrat an den Drei Jahrhunderten am Rhein" fest, anstatt entschloffen fofort mit Besserem auf dem Plane zu erscheineu. Elfmal ging in gewissen Zwischenräumen diese angebliche Dichtung über die Bretter und erst als sich der Unmut über sie zu sehr äußerte, wurde die dekorationslose Bühne sammt Herrig fallen gelassen und das Spiel- und Fest haus nahm den Character eines Provinztheaters zweiten Ranges an. Der Beweis für diese Behauptung wird erbracht werden. § 1 der Sagungen für das Städtische Spiel- und Festhaus" lautet:

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„Das Wormser städtische Spiel- und Festhaus ioll eine Kunstanstalt fein, in deren Betrieb die Würde der Kunit das oberite Gefeß ist. Auf feiner Bühne follen hauptsächlich deutsche Werke zur Aufführung gelangen und zwar Stauspiele und Volksschauspiele, ernster sowohl als heiterer Art; ausgeschloffen sollen ein alle Stücke und Aufführungen welche ohne Kunstwert sind, oder in welchen durch thre ganze Be handlungsweise die Verleßung der Sittlichkeit wie etwas Erlaubtes, Gleich. gültiges oder von selbst Verständliches erscheint. Außerdem soll das Gebäude als Festhaus dienen für die Abhaltung von Versammlungen und Festlichkeiten öffentlicher und nichtöffentlicher Ari."

Recht schön gesagt, schade nur, daß es bei den Worten geblieben ist. Ich kann die Ziellosigkeit der künstlerischen Leitung des Hauses nicht schlagender dartun, als wenn ich der Reihenfolge nach die 1889 90 und 1890/91 von Mainzer und Darmstädter Schauspielern dargestellten Stücke aufführe:

Drei Jahrhunderte am Rhein. G'wiffenswurm. Doctor Klaus.

Der

Nathan der Weise. Der Die wilde Jagd. Lartüffe. Der Bibliothekar. Gringoire und der zerbrochene Krug. Der eingebildete Kranke. Die Schulreiterin. Minna von Barnhelm. Das Bild des Signorelli. Die berühmte Frau. In der Mark. Iphigenie auf Tauris. Der verwunschene Prinz. Emilia Galotti. Bürgerlich und Romantisch. Ultimo. -Das Testament des großen Kurfürsten. Die Karlsschüler. Kriegsplan. Der Hüttenbesizer. Die Welt, in der man sich langweilt. Post festum und Mit fremden Federn. Goldfische. Othello. Der Schwabenstreich. Krieg im Frieden. Graf Effer. Das Stiftungsfest. Maria Stuart. Der Raub der Sabinerinnen. Donna Diana. Das Gefängnis. Pension Schöller. Aus der Gesellschaft. Figaros Hochzeit. Der Königslieutenant.

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Man sieht, Moser und Schönthan haben das meiste erhascht und mit recht schrieb kürzlich ein Lokalblatt: „Das Hin- und Herwerfen zwischen Ertremen, zwischen Tragödien und Bossen kann keinen Theaterfreund befriedigen." Werke, welche von dem Geiste unserer Zeit erfüllt sind, hat man bisher ängstlich von dieser Musterbühne ferngehalten, und so lernten die Wormser ein Schauspiel wie Sudermanns Ehre erst im Wilden Mann“ kennen, wo es von einer Heidelberger Schauspielertruppe unter rauschendem Beifall gegeben

wurde.

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Nun soll abermals mit Dilettanten das arme „Volksschauspiel" an die Reihe gelangen und zwar Wilhelm Henzens „Heilige Elisabeth", freilich in entsprechender Bühnenausstattung. Ob das „Volk“ an dem neuen Erwerb Geschmack findet, ist zweifelhaft. Auch in Worms beginnt man der Unwahrheit und Dede auf der Bühne satt zu werden und immer dringender schallts: „Laßt das Spiel- und Fest= haus nicht im Dienste falscher Poesie und seichter Bühnenpraktiker untergehn!" H. R. F.

Litterarische Neuigkeiten.

Felix Holländer, Jesus und Judas. Ein moderner Roman.
Berlin 1891. Sallis'scher Verlag. 8° und 364 Seiten.
Es giebt Anfängerwerke, deren Mängel man auf jeder Seite
spürt, deren Technik unvollkommen, deren Personen verzeichnet, deren
Motivirung ungenügend ist und die doch troß alledem etwas in sich
enthalten, das fie über viele tadellos korrekt und virtuos geschriebenen
Bücher hoch erhebt. Ein derartiges Anfängerwerk ist der Roman von
Felix Holländer: Jesus und Judas.

Der Verfaffer hat sich in mehrfacher Beziehung an Hermann Bähr geschult, besonders hat er sich dessen gefühlvolle Wärme zu eigen gemacht und damit jene kalte, pedantische Nüchternheit zu verbannen gewußt, an welcher die moderne Dichtung noch immer krankt. Freilich das andere Extrem, die krankhafte Fieberhige, die seinem Vorbilde eigentümlich ist, hat er dabei nicht ganz vermeiden können. Indessen hält er sich von decadentem Raffinement und Fin de siècle-Künstelei ziemlich frei. Vor allem aber durchzieht den Roman das Feuer und der. mächtige Glaube eines ernst ringenden Talentes.

Der Held, Carl Truck, ist freilich noch einer von den jezt üblichen Romanfiguren, die an ungünstigem Milieu zu grunde gehen. Er, der dem Volke ein Heiland fein will, wird von demselben für einen Judas gehalten. In bitterster Not verrät er ähnlich wie Graf Friedrich in Hans Lands neuem Gott nun wirklich das

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Volk und sucht, wie jener seinen Tod im Waffer. Indeffen ganz conradi'scher Adam Mensch oder der österreichische Maler_in_Bahrs Guter Schule“ ist Carl Truck doch nicht. Obwohl noch voller Launen und wechselnder Stimmungen, obwohl noch im Banne Schopenhauerscher Weltenleids- Phrasen, zeigt Holländers Held doch hier und da rüstige Energie, er ist ein starker, kräftiger Mann, einmal wird er sogar eine kampffrohe Natur genannt. Vielleicht steckt in ihm der Keim zu einem Zukunftshelden, den man später als das Ideal Nießschescher Weltfreude bewundern wird.

Es ist noch recht viel Gährung, recht viel ueberwücherung und Zügellosigkeit in dem Roman. Kleine naturalistische Mäßchen, die den fonsequenten Fortgang der Handlung hemmen, sind noch nicht ausgemerzt, Bierhaus-Wörter noch nicht vermieden.

Auch vornaturalistische Litteratur-Atavismen fehlen nicht. Die geduldige, nonnenhafte (man sagte früher: engelsreine) Lene ist eine romantische Figur. Dann aber macht sich bei Holländer jener, von den Franzosen jezt beliebte und von Bahr zuerst importirte Bibelstil und verzückte Weihrauch-Ton recht bedenklich breit. Dieser Rückfall ins Mystische ist das Beklagenswerteste, was unserer Litteratur begegnen kann. Ich weiß wohl, was die modernen Dichter dazu treibt: es ist der Ekel an der Nüchternheit des Realismus und die Sehnsucht nach poetischer Verklärung. Indeffen jest gilt es eben, diesen poetischen Hauch nicht mehr in der mittelalterlichen_Romantik, sondern in neuem Schönheitsempfinden zu suchen, neue Schönheitswerte zu schaffen.

Hat so der holländersche Roman auch viele Mängel, so sind doch selbst diese interessant, jedenfalls aber ist derselbe ein beachtenswertes Werk eines, wenn auch künstlerisch noch nicht abgeklärten, so doch Hoffnungsvollen Autors. C. G.

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Dr. Pascal (Leo Berg), Das seruelle Problem in der modernen Literatur. 3. Auflage. Berlin 1891. ·Sallis'scher Verlag. 8o und 46 Seiten.

Die kleine Schrift behandelt einen interessanten Stoff in jener aphoristischen, parador verschnörkelten Weise, wie sie Friedrich Nietzsche eigentümlich ist. Was bei ihm indessen, dem großen ChamäleonPhilosophen, natürlich und überwältigend wirkt, das erscheint bei Leo Berg doch etwas zu gesucht und zu gezwungen. Vor allem aber fehlt die überzeugende Folgerichtigkeit und der besiegende Ernst der Gedanken. Da man sogar findet, daß lettere sich hie und da widersprechen, so faßt man das Ganze als eine unterhaltende Plauderei auf, die ja gewiß eine Menge von Anregungen gewährt. Am besten gelingt es dem Verfasser, die Darstellung der Frau in der modernen realistischen Litteratur zu analyfiren. Da jedoch, wo er eigene Ansichten über Frauen äußert, scheint er mir den sichern Boden der Erfahrung zu verlieren. Für Weiberfeinde mag die kleine Schrift recht woltuend und genußreich sein. C. G.

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Carl Arno, zu spät! Moderne Tragödie in drei Aufzügen. Anna, Baronin von Lingen, vergiftet sich mit Schlaftropfen" unter der wörtlichen Behauptung, daß der Tod erlöst, der ist schön und gut. Aber das Sterben ist doch nicht so leicht! Nicht wahr? Das ist ein häßlicher, häßlicher Moment!" nachdem sie die Nachricht erhalten, daß ihr Gatte ihren Liebhaber im Duell erschossen ihren Liebhaber, dem sie kurz vorher verschämt“ „etwäs" in's Ohr geflüstert. Besagter Tod tritt infolge übermäßigen Genusses von Schlaftropfen am Schlusse des dritten Attes nach 62 Druckseiten ein! Zu spät! F.

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Während Suttner in seinen früheren Erzählungen aus dem kaukasischen Leben umfangreichere Sitténgemälde gab, bringt er in dem vorliegenden Bande nur fürzere Charakterbilder und scheint, worauf auch der Titel des Buches hindeutet, die Absicht gehabt zu haben, dem Leser eine Typenreihe vorzuführen. Seine Kinder des Kaukasus sind jedoch mit Ausnahme seines Freundes Gudja und der duldsamen Ketewan nur oberflächlich skizzirt und werden dem Lefer weniger Befriedigung bereiten, als des Verfaffers frühere Novellen Daredjan“ und „Der Batoni", die ein Glutstrahl der kaukasichen Sonne zu durchschimmern schien. Troß dieser hier und da bemerkbaren Flüchtigkeit wird das Buch jeden erquicken, denn es ist flott geschrieben und enthält wahre und stellenweise mit frischer Naturpoesie durchflochtene Lebensbilder. Die Arme Rose“ und „Margaliti“ find zwei reizende Gedichte in Prosa, voller Farbenpracht und Wärme und frog aller Wirklichkeitstreue beinahe romantisch, denn so ist das Leben der Kaukasier, und der Realist Suttner hat hier nur ge zeigt, daß er ein Künstler ist und ein offenes Auge für das Schöne hat. Noch farbenreicher ist „Ketewan", aber mehr in Bezug auf die Schilderung der örtlichen Sitten und Gebräuche. Wer der überkultivirten Schablonenmenschen müde ist, wird die „Kinder des Kaufasus" mit Freude lesen und sich an ihnen erquicken wie an einem Hauche frischer Patriarchenluft. Arthur Leist.

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Verlag von F. & P. Lehmann, Berlin W., Körnerstr. 2. - Gedruckt bei N. Gensch, Berlin SW,

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Redaktion: Berlin W., Körner: Straße 2.

Verlag

F. & P. Lehmann.

Erscheint jeden Sonnabend. Preis 4 Mark vierteljährlich. Bestellungen werden von jeder Buchhandlung, jedem Postamt (Nr. 3589 der Postzeitungsliste), sowie vom Verlage des „Magazins" entgegengenommen. Anzeigen 40 Pfg. die dreigespaltene Petitzeile. ∞ Preiß der Einzelnummer: 40 Pfg. &

60. Jahrgang.

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Berlin, den 4. April 1891.

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Nr. 14.

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Inhalt: Marie v. Ebner-Eschenbach: Margarete. Hans Müller: Berlin als Musikstadt. Curt Grottewiß: Dichter als Hohepriester. Ola Hansson: Die dänische Erotik und ihr Herold. Frit Mauthner: Allerlei Parodien. Heinz Tovote: Gedichte. Hermann Sudermann: „Erzellenz Onkel". Litterarische Chronik. Litterarische Neuigkeiten: Bernhard ten Brinks „Aufgabe der Litteraturgeschichte", besprochen von C. G.; K. E. Franzos' Judith Trachtenberg", besprochen von F. L.; Westenbergers Notlage unsers Bühnenschrifttums", besprochen von F.; Ed. Pögls „Klein-Wiener", besprochen von 2. K-r. Auszugsweiser Nachdruck sämmtlicher Artikel, außer den novellistischen und dramatischen, unter genauer Quellenangabe gestattet. Unbefugter Nachdruck wird auf Grund der Gesetze und Verträge verfolgt.

Margarete.

Bon

Marie v. Ebner-Eschenbach.
(Fortsetzung.)

Die alte Aufwärterin, von welcher Robert eingelaffen wurde, empfing ihn mit leisen Freudenbezeugungen. Sie hatte sich sehr gefürchtet, die Nacht über allein zu bleiben mit Margarete und dem sterbenden Kind.

Im Krankenzimmer war alles still. Eine verdeckte Lampe brannte auf einem Tisch in der Ecke. Die dort zusammengestellten Fläschchen und Gläser glißerten in grellem Lichte. Der Rest der Stube lag in mattem Halbdunkel. Am Bette des Kindes stand Margarete aufrecht und regungslos. Robert näherte sich ihr, sie wante sich und fragte rasch:

War der Hofrat bei Ihnen? Was hat er Ihnen gefagt? ... Das Kind ist schlecht behandelt worden, nicht wahr? weil er es nicht behandelt hat. . .' „Nein, das sagte er nicht."

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„Es geht beffer," sagte sie, „er wird nicht sterben. Gott kann ihn nicht sterben lassen, kann mir den Jungen nicht nehmen ohne Grund. Ja, wenn eine schwere Krankheit ihn ergriffen hätte, bei der man gleich im Anfang weiß, das ist gefährlich... Aber fortgehen munter wie ein Hirschlein und heimkommen nach einer halben Stunde, zum Tode reif, unrettbar verloren Warum? weil ein reicher Herr zur Hochzeit gefahren ist Nein, nein! das ist zu arg, zu dumm, das ge. schieht nicht" Sie senkte den Kopf und grübelte so fort, wie Wahnsinnige über einen Trugschluß grübeln.

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Wozu sollt' ich? - ein Unglück? -warum gerade dem unschuldigen Kind und warum denn mir? hab' ich nicht Unglück genug gehabt? Ich will nicht mehr leiden! Ich kämpfe! Ich gebe das Kind nicht her, lasse es nicht sterben... Ich hauche ihm meinen Atem ein, ich teile mein Leben mit ihm, ich habe genug für zwei!“

Sie hatte den Arm unter das Kiffen geschoben, auf dem der Knabe ruhte und drückte ihre Wange, die sich allmählich gerötet hatte und jest fieberhaft brannte, an die seine. War es nur Widerschein von ihrer Glut, oder besaß das mütterliche Leben wirklich die Kraft sich noch einmal im Kinde zu erneuern ein Anflug von Farbe schimmerte einen Augenblick auf seinem Gesichtchen) und seine Lippen bewegten sich leise.

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Margarete füßte ihn, warf sich in ihren Lehnseffel zurück und begann hastig zu sprechen, um die Angst, von der sie verzehrt wurde, zu betäuben. Sie erzählte von ihrer Vergangenheit, ihrer Jugend, und aus ihren ordnungs,

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losen Reden setzte sich Robert später ihre Geschichte folgender-
maßen zusammen:

Sie war die Tochter eines wolhabenden Fabrikanten
in Regensburg, der ihr eine gute Erziehung hatte geben
laffen. Der Vater starb, und seine Witwe heiratete den
Werkführer der Fabrik, einen jungen, ordentlichen, aber
rohen Menschen, für den die alternde Frau eine leiden
schaftliche Neigung gefaßt hatte. Da begannen schlimme
Tage für Margarete. Sie vertrug sich nicht mit dem
Stiefvater, fie lebte in offener Feindschaft mit ihm. Das
zweifelhafte Glück, das die Mutter in ihrer zweiten Ehe
gefunden hatte, dauerte nicht lang; auch sie starb, der
Witwer vermälte sich bald wieder, und nun war Margarete
ganz fremd im Vaterhause, allen ein Stein des Anstoßes,
alle haffend, von allen gehaßt. Noch jest sprühte sie
Feuer und Flammen, während sie sich der Feindseligkeiten |
erinnerte, die sie damals erlitten.

Sechzehn Jahre war sie alt geworden; da, nach einem heftigen Auftritt mit ihren Stiefeltern, entfloh sie aus dem Hause. Holzflößer nahmen sie mit nach Wien. Hier fand fie einen Plaz in einem Modengeschäft, dem eine Französin verstand, eine würdige, alte Dame. Diese nahm sich Margaretens mütterlich au, und auf ihre Veranlassung wurden die Erbrechte der Verwaisten durch einen Advofaten in Regensburg geltend gemacht. Die Angelegenheit zog sich in die Länge, drei Jahre vergingen, und die geringe Summe, mit welcher die Waise zuletzt abgefunden wurde, betrug faum ein Zehnteil dessen, was ihr gebührte.

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Sie beugte sich über das Kind, ihr Kopf lag neben dem seinen auf dem Polster.

„Weißt du noch unsere Sonntage auf dem Lande?" fragte sie mit weicher Stimme, „wenn der Hollunder duftete und die kleinen Vöglein in den Zweigen Frühlingslieder sangen?... Unsere Mahlzeiten auf dem Grase, waren die nicht gut bestellt? Wenn wir auch die Woche hindurch gedarbt hatten, am Sonntage wußten wir zu leben! Die Leute beneideten uns und hatten recht. . .

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Sie richtete sich auf, schüttelte die Haare aus der Stirn und warf ihre schweren, hängenden Zöpfe zurück: Mein Bub' wuchs und gedich“ rief sie triumphirend, mir wurde er ähnlich, mir allein, keinen Zug hat er von seinem Vater; der kann und mag ihn verläugnen! Mein Georg ist voll Mut und Kraft, nicht eine Stunde lang hat er mir Sorge gemacht, nie hat ihm das Geringste gefehlt!"

zuckte zusammen; fie fuhr zitternd mit der Hand nach Das Kind that einen tiefen Atemzug, und Margarete feinem Herzen, näherte ihre Lippen seinem Munde, die Sprache versagte ihr; nur ein tonloses Wimmern entglitt ihrer Brust, und mit stummem Entfeßen starrte sie in die gebrochenen Augen des Kindes, deffen Leben still entflohen

war.

Armen und hob ihn empor: „Hörst du mich Kind? Ant-
„Georg!" schrie sie endlich, umfaßte ihn mit beiden
worte mir! . . . Willst nicht? . . . Aber einen Kuß .
worte mir!...
Gieb deiner Mutter einen Kuß. . . Laß dich nicht jo
bitten, Kind! . . .“ Sie hielt ihn von sich, blickte in sein
lebloses Gesicht, und wehvoll aufschluchzend ließ sie ihn
langsam in die Kissen zurückgleiten.

Als sie das Geld erhielt und alle diese Zustellungen, Aften, alle die Siegel und Unterschriften fah, und wie viele Leute sich angestrengt hatten, um im Namen der Gerechtigkeit ein schußloses Mädchen zu bestehlen, da hatte nicht Zorn sie ergriffen, nur Verachtung und ein namen loser Efel; da hatte sie sich vorgenommen: mein väterliches Erbe wird vertan! Sie wollte sich davon ein paar fröh liche Tage machen. Ihre alte Französin, die freilich meinte es anders, die hatte nichts im Kopfe als Sparen, den Kreuzer zum Kreuzer legen; sie konnte sich nicht mehr denken, wie einem jungen Ding zu Mute ist, das fagt: Was morgen was Alter! soll ich darben, sei es dann, wenn ich nicht mehr genießen kann. Margarete hatte fie reden lassen, war tanzen gegangen und hatte sich verliebt lassen, in einen nichtsnußigen Burschen, einen Bildhauer. Er hatte so gut verstanden, den Unglücklichen zu spielen und ihr weis zu machen, das Leben sei ihm nichts wert ohne fie. Doch war alles erlogen -er hatte nichts gewollt als seine wahre Geliebte, mit der er sich eben entzweit, zu eifersüchtig machen. Das war ihm auch gelungen; sie seßte Margarete raffte sich zusammen Beten ja! Himmel und Erde in Bewegung, um ihn wieder zu ge- Beten ist gut, aber nicht du Beich ich will..." winnen. Sie versöhnten, heirateten sich, und Margarete schwörend streckte sie die Arme aus: „Hörst du mich Gott? saß da ein Kind in Erwartung, keinen Heller in der Ich bete für mein Kind!... Hilf... Du kannst helfen, Tasche. Sie behielt den Kopf oben, wieder half ihr ihre wenn du allmächtig bist, du mußt helfen, wenn du gütig Menschenverachtung, aufrecht zu bleiben, wo andere ver- bist so tu's! Zeig', daß du gütig und allmächtig bist! zweifeln. Weggejagt wollte sie von ihrer alten Frau nicht O, wenn ich du wäre, ich würde meine armen Gewerden, so kündigte sie ihr den Dienst. Als die Erinnerung schöpfe nicht so quälen!... Hilf! Hilf!... Du bist nicht an diese Tage in ihr aufstieg, rief Margarete: Gott, wenn du nicht hilfft!"

Die Wärterin kniete am Bette nieder und begann laut

beten.

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Mit einem tollen Sage stand sie vor ihm, schwang die geballte Faust und holte aus zum Schlag in sein Gesicht.

Er warf sich ihr entgegen, erfaßte ihre beiden Arme und hielt sie mit eisernem Griff umklammert. Sie wand und bog sich zurück vor Schmerz, und öffnete den Mund zu neuem Fluche. Aber sie sprach ihn nicht aus. Das Angesicht des Mannes, in das sie jezt blickte, machte sie erschauern es loderte von den Gluten eines Zornes, vor dem der ihre nur Ohnmacht war. Herr im Himmel, ist das derselbe Mensch, den sie nie anders als gütig und ruhig gesehen?

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Ihr schönes, von der Majestät eines großen Schmerzes verklärtes Angesicht blieb abgewendet, aber eine tiefe Rührung zitterte in ihrer Stimme.

„Machen wir Frieden, weil das Kind Sie lieb gehabt hat."

Er betrachtete sie von nun an wie eine Schußbefohlene. Priska und er glaubten, nicht genug für sie tun zu können und ließen es nie an Beweisen ihrer Fürsorge mangeln. Zwei Verbündete leisteten ihnen dabei eine kräftige Unterstützung: Hofrat Keller und die alte Wärterin, die nun förmlich in Margaretens Dienst getreten war. Diese wurde von den beiden mit einer gleich lebhaften, in ihren Aeußerungen jedoch sehr verschiedenen Aufmerksamkeit umgeben. Die Magd faßte für ihre Gebieterin eine redselige Liebe, die allmählich einen Charakter von weinerlicher Abgötterei annahm. Der Hofrat hingegen war zu der Erkenntnis gelangt, daß „mit dieser Näherin, dieser Stickerin ja, etwas Sauberes, eine Näherin, die nicht näht, eine Stickerin, die nicht stickt", nichts anzufangen sei; daß man sie ihrem Schicksal, daß heißt ihrem eigenen unbändigen Naturell überlaffen müsse. Und mit unerschütterlicher Konsequenz antwortete er, so oft Priska nach Margareten fragte:

„Es tut mir leid, meine gnädigste Gräfin, aber nächstens werde ich die Ehre haben, mich bei ihr zu empfehlen auf Nimmerwiedersehen!“

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In Erwartung dieses Augenblicks indessen besuchte er fie täglich, und nach einigen Wochen begann er sich mit der Hoffnung zu schmeicheln, daß es ihm gelingen werde, | „die Löwin“ zu zähmen. Er war sehr mit sich selbst zufrieden, als ihm später eine noch passendere Bezeichnung für sie einfiel, nämlich: „Eine dämonische Kreatur!“

„Ich behandele jetzt eine Seele!"... meinte er, nicht auskultirbar, das Ding!"

Der alte Herr war vollends geneigt, an seinen glück

eines Morgens nicht müßig ihren Grübeleien überlassen, sondern in eifriger Tätigkeit fand.

Margarete ́ trennte sich nicht von der Leiche ihres Kindes. Sie folgte dem kleinen Sarge, als er hinweglichen Erfolg als Seelenarzt zu glauben, als er Margarete getragen wurde, fie blieb an dem geschlossenen Grabe stehen, bis der Totengräber sie fortwies, weil es Zeit geworden, den Friedhof zu schließen. Es war Nacht, als sie heimkehrte. Beim Anblick des leeren Kinderbettchens in der Stube brach sie in Tränen aus, und am nächsten Morgen erzählte die Wärterin, so herzbrechenden Jammer wie diesen, habe sie noch niemals mit angesehen, und die Erinnerung daran werde sie verfolgen bis in ihre Todesstunde.

Als Robert an jenem Tage bei Margarete eintrat, faß sie regungslos auf einem Stuhle in der Fensterecke die Arme mit den verschränkten Händen um die Kniee gespannt, den Kopf auf die Brust geneigt. Er rief fie an, fie erbebte und sah scheu zu ihm empor, senkte aber sogleich wieder in qualvoller Verwirrung die Augen.

„Ich habe Ihnen gedroht", begann sie nach einer Weile dumpf und fast unverständlich, wenn dem Kinde etwas geschieht..."

Er fiel ihr ins Wort: Laffen Sie das! Wir haben beide zu bereuen und zu vergessen. Laffen Sie uns Frieden machen."

Sie hatte die einzelnen Bestandteile eines vollständigen Meßgewandes auf Rahmen von verschiedener Größe gespännt und schon begonnen, den weißen Brockatstoff mit Goldstickereien zu verzieren. Eine vornehme Dame ließ diese Ornamente anfertigen und bezahlte die Arbeit reichlich. Der Kaufmann, bei dem die Bestellung gemacht worden war, wies fie Margareten zu, „weil er weiß“, sagte diese, „daß ich Geld brauche, um einen Denkstein auf das Grab des Kindes sehen zu lassen“.

Der Hofrat bewunderte die künstlerisch schönen Zierraten, die auf die Seide gepaust waren und konnte sich eines Zweifels nicht erwehren, als Margarete seine Frage: wer die Originale dazu gezeichnet habe? kurzweg mit den Worten: „Ich selbst" erwiderte. Als sie aber vor seinen Augen den Rotstift ergriff und rasch, mit unglaublicher Sicherheit, eine schwungvolle Arabeske auf den Stoff hinwarf, rief er: „Wo haben Sie das gelernt?"

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Gelernt? was weiß ich? Das braucht man nicht zu lernen, es ist ja keine Kunst", sprach sie, ohne einen.

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Das war für Priska ein erwünschtes Wort. Jezt konnte ihr Robert die oft erbetene Erlaubnis, Margareten aufzusuchen, nicht mehr verweigern. Es hätte zu einem solchen Schritt keines Vorwands bedurft; aber warum ihn nicht ergreifen, da er sich von selbst bot? Priska, die in Priska, die in Vohburg die elendeste Hütte betreten durfte, begriff nicht, warum es ihr verwehrt sein sollte, zu der Dachstube der unglücklichen Frau emporzuklimmen, deren Schicksal ihr ein so brennendes Mitleid erweckte? Woltaten spenden kann jeder aber die Woltat dem Armen gedeihlich machen, aber den Mutlosen aufrichten, den Traurigen trösten - das ist ein Talent, und Priska fühlt sich in seinem Besik, und es drängt sie es auszuüben, man lasse fie doch gewähren.

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Schon am folgenden Tag brachte eine Mietkutsche Robert und Priska vor das Haus Margaretens. Sie stiegen langsam die Treppe empor und waren im dritten Stock angelangt, als sie von einem jungen und stattlichen Mann eingeholt wurden, der bei ihrem Anblick stußte, sie verwundert ansah und dann rasch an ihnen vorüber eilte. Robert hieß Priska warten und horchte. Die lauten Schritte des Fremden erschallten im Gang, der zu Margaretens Wohnung führte... Die wohlbekannte Schelle erhob ihr heiseres Geklingel -die Tür wurde geöffnet und wieder geschloffen der Besucher war eingelaffen worden.

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Ah, der Herr Graf!" sagte plößlich eine Stimme, und wie aus dem Boden gewachsen stand Frau Theres da, den Kehrbesen in der Rechten, ein verbindliches Lächeln auf den Lippen. Der Herr Graf und das find wol und das find wol die gnädigste Frau Gräfin?" fie näherte sich und küßte Priskas Hand. „Was befehlen Euer Gnaden? Wollen gewiß die Frau Generalin besuchen? Die wohnt aber im zweiten Stock.“

„Nein, nein“, antwortete Prikka, „wir wollen zu Margarete, der Näherin."

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Wie?... Was? - Theres schien ihren Ohren nicht zu trauen „Zu der?" Sie warf einen offenbar miß billigenden Blick auf Robert: „Zu der führen Euer Gnaden die Frau Gräfin? Aber ich bitte ... Das ist zu viel; Euer Gnaden sind zu gut... Wirklich.“

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Wir kommen zur Unzeit, glaub' ich," sagte Robert, und Frau Theres zog mit verschämter Miene die Achseln in die Höhe:

Ich weiß halt nicht, Euer Gnaden, ich mein' nur. Es ist grad der Herr von Bernard hinaufgegangen; der kommt jezt öfters zu uns. Ein nobler Herr, Euer Gnaden, der große Kaufmann aus der Stadt. Ja!"

Sie hatte die Backen voll genommen zu diesen leßten Worten, und blinzelte dabei verständnisinnig zu Robert empor.

Der und Priska schwiegen und traten nach einem fleinen Weilchen den Rückzug an.. troffen. So saßen sie auch stumm nebeneinander in dem Er unwillig, fie beWagén, den sie zur Heimfahrt bestiegen hatten.

In der Nähe des Hauses begegneten sie dem Hofrat, der gleich voll Neugier fragte, wie der Besuch Marias bei Magdalena ausgefallen sei. Er ergrimmte, als er hörte, was sich zugetragen:

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ist die Musik." Der schönsten und herrlichsten Gaben Gottes eine So hat der wackere Martin Luther einmal in seinen Tischreden behauptet. Und auch an vielen anderen Stellen hat er manches freundliche Wörtchen über diese Kunst gesagt. Er meinte, Musica sei eine halbe Disziplin und Zuchimeisterin, so die Leute ge= linder und fanftmütiger, sittsamer und vernünftiger mache. Wer diese Kunst könne, der sei guter Art, zu allem geschickt. Sie sei ein' Gabe und Geschenk Gottes, nicht ein Menschengeschenk. Ja, er war sogar der Ansicht, sie vertreibe den Teufel und mache die Leute fröhlich. vergaße dabei alles Zorns, Unkeuschheit, Hoffart und andere Laster. Er gäbe nach der Theologia der Musik den nächsten Locum, die höchste Ehre. Musica sei das beste Labsal einem betrübten Menschen, dadurch das Herze wieder zu Frieden erquickt und erfrischt würde.

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Wenn alles dies wahr ist, so muß die Hauptstadt des Deutschen Reiches ein wahres Paradies von Tugend und Sanftmut, Friedsamkeit und Fröhlichkeit, Schicklichfeit und Geschicktheit sein. Denn wohl in keiner Stadt der Welt wird heutigentags soviel Musik gelehrt, gemacht und geduldet wie in Berlin. Oder sollte das Gegeneil der Fall sein und die Ueberfülle von Musik nur als Präservativ und Heilmittel gegen alle lauten und leisen Sünden des Riesennestes verwendet werden?

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