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· Die internationale Ausstellung in Stuttgart.

Von

Adalbert Svoboda.

Mutig und vernünftig waren jene französischen Maler, welche die hiesige Ausstellung mit etwa vierzig Bildern beschickt hatten, obwol sie nicht außer Gefahr standen, für unzulängliche Patrioten erklärt zu werden. Unter den Werken derselben ragt das Bildnis eines anmutigen Mädchens von Carolus-Duran hervor, welches ein Cabinetsstück lebenswahrer Darstellung ist, das sich unsere Naturalisten zum Muster nehmen könnten. Ein edelschönes Bild ist auch die Madonna von Bouguereau, deren Linienadel und weibliche Anmut doch eine größere ästhetische Befriedigung bieten, als in Uhdes Gemälde Geburt Christi" die Jungfrau Maria, welche uns im besten Falle die Züge einer ehrsamen Wäscherin vor Augen führt. Darin besteht eben der Vorzug internationaler Ausstellungen, daß darin die Ausartungen des Geschmacks in wahrhaft künstlerischen Werken ein Korrektiv vorfinden.

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Die Stuttgarter Ausstellung zeichnet sich dadurch aus, daß die Kommissäre derselben von vornherein nur gute Bilder in den Werkstätten der Maler selbst aufsuchten, um einen Schwall mittelmäßiger oder schlechter Bilder schon des beschränkten Ausstellungsraumes wegen fernzuhalten. Nur bei den hier zufällig seßhaften Malern wurde eine Ausnahme gemacht und wurden deren wenn auch nicht immer hervorragende Bilder zur Ausstellung zugelassen, wie auch plastische Objekte nur von den in Stuttgart wohnenden Bildhauern ausgestellt wurden. Von den Lehteren ist nur die „Windsbraut“ von Curfeß deshalb erwähnenswert, weil sie einen anmutigen Mädchenkörper treu nachbildet, wenn auch der Stoff dieser Statue so unplastisch als möglich ist. Ein Steinbild der bewegten Luft erinnert an die Marmorwolken, welche man in der Peterskirche zu Rom als Ruhesize für Engel und Heilige gemeißelt fieht. Diesem fehlt jedoch die Linienanmut, welche an der Windsbraut" von Curfeß das Auge erquickt. Von schwäbischen Malern hat Robert Haug, ein Stuttgarter, in jeinem Morgenrot" einen neuen und poetischen Gedanken ausgesprochen. Es sind deutsche Soldaten aus dem Befreiungsfriege, welche an ihre Pferde gelehnt den Vorpostendienst versehen. Die Stimme" dieses Bildes mutet an, doch ist dieses leider nicht genug ausgeführt, um als ein tadelloses Kunstwerk gelten zu können. Es ist eben ein Dogma der neuesten Malmethode, daß der Reiz der koloristischen Andeutung mehr wert jei als die vollständige Ausführung eines Bildes, was für pedantisch erklärt wird.

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Die Ausstellung ist ziemlich reich an Genre- oder Sittenbildern, und es befinden sich unter denselben einige sehr tüchtige Werke. Allerdings fällt in einem Teile der Genrebilder die Gleichgiltigkeit gegen die Qualität des Gemäldestoffes auf, und man begnügt sich oft mit Themen abgegriffener Art. Die spanischen Maler, welche seit einigen Jahren deutsche Ausstellungen von Rom aus beschicken, lieben es z. B. immer wieder Kirchenfeste darzustellen und in diesen die hellsten Farben wirken zu lassen. In der hiesigen Ausstellung sieht man drei Sacralfeste von spanischen Künstlern ausgestellt; allein in einem derselben Fest der Mutter Gottes" von Benlliure y Gil wird eine ungemein beredte Ausdruckssprache im Schildern der Andacht geboten; weil darin außerdem ein hochentwickeltes technisches Können glänzend zur Geltung kommt, so nimmt man diese stoffliche Einseitigkeit gelassen hin. Ein prächtiges Sittenbild wurde von dem Spanier J. Villeyas aus Rom eingeschickt; es stellt den Abschied mehrerer Stierkämpfer von ihrem eben in der Arena gefallenen Meister mit einer Eloquenz des Ausdrucks dar, die nicht allzu häufig vorkommt. Man erkennt an dem Mienenspiel, an der Körperhaltung, an den Geberden der virtuos gemalten Gestalten die mannigfach abgestuften Gemütsvorgänge und die Sinnesart derselben.

Einige Genrebilder der Ausstellung führen wirksame Einfälle komischer Art vor. So das Aquarell von H. Bartels Neugierige holländische Mädchen“. An den kokett oder dumm lachenden Gesichtern der strickenden Backfische spricht sich eine frische Laune im Charakterisiren aus, welche erquickend wirkt.

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Von komischer. Kraft ist auch jenes Bild von Gabr. Max, welches eine Gesellschaft von Affen ein Gemälde betrachten läßt. Der Künstler hat sich in diesem prächtig gemalten, die Stupidität und philiströse Selbstzufriedenheit der menschenartigsten der Tiere mit föstlicher Naturwahrheit darstellenden Bilde an jenen Kritikern gerächt, welche die Absichten seiner Schöpfungen nicht verstanden haben. Leider wählt der geistvolle Maler seit seiner Jugend auch Stoffe aus der vierten Dimension und hat diesmal eine Visionärin dargestellt, welche vor sich in matter metaphysischer Beleuchtung einen Kranz schweben sieht. Gewiß kann ein Maler auch hysterische Frauenzimmer malen, welche dem religiösen Wahnsinn verfallen sind; allein wir möchten gern den Wahnsinn durch Schönheit gemildert sehen und würden einer Visionärin eine feingezogene und feine so häßlich aufgestülpte Nase geben, wie sie die arme kranke Hellseherin von G. Max im Gesichte trägt.

Gesunder Humor spricht sich auch in dem Genrebilde von feinen auf einen Schemel gestellten Standesgenossen, der mit E. Grüßner Frater Lukas“ aus. Da malt ein Klosterbruder ausgespreizter Hand, mit aufwärts gefehrtem Kopf und mit anderen Gesten die Ekstase seiner Gottesliebe beteuert. Einige Mönche umstehen den malenden Mönch und geben ihre Zufriedenheit mit dessen künstlerischer Schöpfung kund. Es ist wahr, auch E. Grüßner malt immer wieder Klosterherren und stellt ihre kleinen Schwächen blos; allein er gewinnt diesem Stoffe immer wieder neue Seiten ab und beurkundet sich das durch als ein Künstler von Geist und Geschmack. Von den französischen Genrebildern spricht besonders jenes von H. Gerver "Jury des Pariser Salon" an; der Preisrichter gallische Lebhaftigkeit wird da insofern deutlich geschildert, als sie ihrem Urteil mit hoch emporgeschwungenen Stöcken und Regenschirmen Nachdruck verleihen. Unter den deutschen Genremalern hat Ferd. Brütt aus Düsseldorf den Ehrgeiz, in feinen Gemälden ursprüngliche Vorwürfe zu behandeln. Sein Bild „Verurteilt“ stellt ein in Tränen aufgelöstes Mädchen dar, welches ein greiser Richter mit Herzensteilnahme betrachtet; vielleicht denkt er an den eigentlich Schuldigen und nicht Verurteilten, an den Verführer des armen Mädchens. Originell ist auch der Gegenstand eines Gemäldes von Siemiradzki; es führt in einer römischen Gräberstraße ein Liebespaar vor, welches einen Glühwurm betrachtet. Es muß dies eine ganz besondere Art Glühwurm sein, weil das demselben entströmende Licht sehr intensiv ist.

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Einer der besten münchener Maler, Klaus Meyer, gehört auch zu jenen Künstern, denen an der Mache alles, am Stoffe gar nichts liegt; was geht uns eigentlich der von ihm gemalte Holländer des 17. Jahrhunderts an, welcher in einer Kammer mit zerstreutem Lichte auf einer Laute klimpert? Man kann für eine solche Gestalt kein Interesse gewinnen; hingegen fesselt uns das im Abenddämmern träumende schöne Mädchen von W. Amberg aus Berlin durch den lyrischen Reiz, von dem cs umflossen ist. Erwähnung verdienen noch die Bildnisse von Angeli, Fr. v. Kaulbach und Lenbach sowie eine Reihe guter Landschaften, unter denen der Friedhof in Ragusa“ von Schindler durch sein poetisches Gepräge besonders auspricht.

Nach jüngsten Mustern.

Der höhere Sustand.

Drama.

Nach Gerhart Hauptmann gedichtet und in die Hände aller derjenigen gelegt, die es schaudernd miterlebt haben.

Die Vorgänge

dieser Dichtung gehen nicht vor, sondern um einige Epochen nach und geschehen in einem Landbause am Plößensee...

In allen fünf inf Aften bleiben Schauplab und Handlung unverändert. Ein Wohnzimmer, eingerichtet mit altem Hausrath in Benedir'scher Manier. Sehr viele fleine Sächelchen, Nippes und dergl., welche die Schäbigkeit der Einrichtung verdecken sollen Die Bilder von Darwin

und Häckel zeigen klar, daß das Stück nichtsdestoweniger zur neuen Richtung gehört.

Raum und Drama haben eine mäßige Ticfe. Zwei Bogenfenster gestatten einen Ausblick auf den See und somit zugleich auf den Gang der Handlung.

Von Zeit zu Zeit hört man die Bewegungen der Plößen im Wasser.

Erster Akt.

Man vernimmt die Stimme des predigenden Pastors. Dann wird es still. Nach einer Weile kommen Frau Vockerat und Käthchen mit dem Läufling.

Fr. Voderat: Er hat doch sehr schön gesprochen?! Nicht, Käthchen?!

Käthchen: (seufzt) Hja! (Es ist hierbei zu bemerken, daß das Ja von den einzelnen Personen ihrem Charakter gemäß verschieden aus. gesprochen wird. Käthchen sagt „hja“, der alte Vockerat tja“ und Braun „ya“).

Fr. Vockerat: Ach, ich sags ja, ich sags ja, wenn ihm der Johannes nur folgen möcht. Der Johannes ist ja ein guter Mensch. Aber er spricht so schlecht. Er will nichts mehr gelten lassen, seit er unter die Neesager gegangen ist. Und das ist doch nicht gutt. Denn immer nur nee sagen, das giebts ja doch gar nicht, nein, und das führt doch zu nichts. Käthchen: eufzt).

Braun tritt auf, gleich nach ihm Johannes. Braun. Wir sind alle Schlappiers, alle miteinander. Ähm! Wir reden hier große Worte, und das klingt dann nach was! Wers glauben will! Pah, so machen wir die neue Zeit!

Johannes: Käthchen, daß du nun wieder auf der Veranda gedeckt hast! Du weißt doch, wir wollen keine frische Luftja! Wenn hier nun der Zugwind hereinfährt von draufen, dann fegt er uns alles davon, den ganzen Hausrat. Und auch das Manuskript, mit all meinen neuen Ideen das zuerst! Käthchen: (feufzt).

Fraun: Kohle man nich wieder! Immer das alte Lied! Johannes: D, o, o, o! Ne, wie du sprichst! das alte Lied, das hier zu nennen, hier bei uns, in diesem Raum, wo die Zukunft der Welt

Braun: Ach, die Zukunft, ihr könnt mir ja alle mit eurer Zukunft-!

Johannes: Tsch, ß! (stürzt hinaus, man steht ihn draußen schwedische Heilgymnastik treiben).

Braun: (hinaus deutend) Hannes ringt ehrlich!

(Kleine Pause. Man hört draußen die Plößen im Sec. Nach einigen Sekunden kommt Johannes wieder,).

Johannes: (zieht das Manuskript hervor) Soll ich euch was vorlesen ?

Käthchen: (seufzt.)

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Frl. Anna: Bienchen, Bienchen!
Johannes: Hier auch! O, mich sticht etwas achach!
Frl. Anna: Eine Biene, Herr Doktor?
Johannes: Ne, ich glaube nicht-o!
Frl. Anna: Mir ist so sonderbar.

Johannes: Mir auch. O, daß wir nicht stark sind, daß wir untergehen müssen, daß wir bankrott sind, verpfuscht, ge= brochen!

Frl. Anna: Aber warum sind Sie gebrochen, Herr Doktor? Johannes: Wir können nicht kämpfen, Fräulein Anna. Wir sind gar keine Männer. Wir haben alle einen Knick. Wir kommen zur Welt voll Ekel gegen die Welt und voll Lebenswiderwillen.

(Draußen ziehen Turner vorüber und singen: „Freut euch des Lebens..") Frl. Anna: Es ist ja auch nicht nötig, daß man immer nur lachen muß, Herr Doktor!

Johannes: Ja, erschüttern und aufwühlen soll uns die Kunst - hm.

Frl. Anna. Erschüttern und aufwühlen, Herr Doktor.

Johannes. Freilich, wer das könnte! Und wer so recht erschüttert würde, im Innersten! Aber nun sige ich hier, und bin ich erschüttert? Nein, doch nur gequält und gepeinigt. Und gemartert. Und dann wieder gequält. Und darum wird auch nichts Gescheidtes herauskommen bei all' der Kunst... (Es wird dunkel. Frl. Anna beginnt Märchen zu erzählen. Dann feßt sie sich an das Klavier.)

Johannes: Wo haben Sie das alles gelernt?

Frl. Anna: Ich bin bei der Birch-Pfeiffern in die Abendschule gegangen, Herr Doktor.

Es wird ganz dunkel. Er rüßt ihr näher. Sie fingt am Klavier die alte Weise:

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Frl. Anna: Ach, früher nannte mans die platonische Liebe, Herr Doktor!

Johannes: Die platonische -? Es ist dasselbe?

Frl. Anna: Oder doch etwas Aehnliches. Aber das ist ja das Köstliche und Große in unserer Zeit, daß sie soviel neue Worte gebiert! Soviele große, klangvolle Worte! Welch' herrliche Neubelebung der Kunst! Platonische Liebe - sehen Sie, das klang verbraucht, beinahe albern. Kein Mensch wollte mehr davon hören. Niemand hätte es interessant ge= funden. Aber höherer Zustand nicht wahr, das versteht niemand, aber man kann sich allerlei dabei denken ? Johannes: Sie meinen also, wir sollen uns lieben, Jeder für sich allein, in einer Isolirzelle gewissermaßen?

Frl. Anna: Ja, Isoltrzelle, Herr Doktor, das ists, das wäre vielleicht das Beste für uns. Eine solche schöpferische Kraft der Entsagung! Und dann alles geistig, alles. Vor Sonnenaufgang die Getränke, nach Sonnenuntergang die Liebe. Denken Sie doch nur diesen Fortschritt!

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Johannes (tief traurig vor sich hinmurmelnd:) Und ganz geistig ganz?! (Plößlich kommt ihm ein Gedanke, cine Hoffnung dämmert in ihm auf:) Meine Schwester! (Er füßt sie inbrünstig.) Anna (üßt ihn wieder:) Mein Bruder!

(Sie küssen sich noch einige Male, dann eilt sie hinaus. Es wird still. Dann fährt sich Johannes in die Haare, lauscht. steht wirr um sich. Er wankt zum Fenster und blickt hinaus auf den Plößensee.) Johannes: Ja, ja dort gehöre ich hin!

(Er eit hinaus. Man hört eine Lokomotive pfeifen und an dem Pfiff erkennt man, daß es ein Güterzug ist, der dort nach Hamburg fährt. Dann hört man wieder die Plößen. Daun Nuderschlag. Und dann die Schritte der Männer, welche die Leiche bringen. Die Familie stürzt ins Zimmer. Wirres Durcheinander. Die Erste, welche ihre Sprache wieder. findet, ist Käthchen.)

Käthchen (te seufzt).

Theater.

Von

Fritz Mauthner.

Ernesto Rossi. Berliner Theater: Richard II." Wenn diese Zeilen erscheinen, hat Ernesto Rossi Berlin wohl schon wieder verlassen. Hoffentlich wird er in nicht zu ferner Zeit wiederkommen, und uns einmal einen seltenen Genuß bereiten; er soll uns mit seiner wundervollen Sprachbehandlung und seinem alle Stimmungen aufrüttelnden Seelenverständnis einige Gesänge Dantes und einige Gedichte Leopardis lesen. Aber Komödie wird er uns nicht wieder vorspielen wollen, wenn ihm an seinem Ruhme bei der ältern Generation mehr gelegen ist, als an der kühlern Anerkennung neuer Schichten.

Hart und unumwunden spreche ich dies aus. Den Erfolgen feines diesjährigen Gastspiels kann diese Rücksichtslosigkeit nicht mehr schaden, wie denn der Berichterstatter eines Wochenblatts kaum daran denken kann, so unmittelbar wie der Kritifer einer Tageszeitung das Schicksal des Theaters zu beeinflussen. Und auch die erfreuliche Höflichkeit gegen den berühmten Gast wird in einer Zeitschrift, die nach seiner Abreise erst erscheint, nicht so schwer verlegt, wie wenn es noch bei seiner Anwesenheit in allen Blättern steht: Es war diesmal kein Vergnügen, und nicht einmal ein Kunstgenuß. Ich habe Ernesto Rossi, seitdem er Deutschland aufzusuchen pflegt, und das ist lange her, oft und oft in allen seinen Rollen bewundert, sogar noch jugendlich bewundert. Und auch jezt noch, unter dem Eindruck seines diesjährigen Auftretens, muß ich dankbar sagen: unter allen Menschen darstellern unserer Zeit hat mir feiner so tiefe und entscheidende Eindrücke hinterlassen wie Ernesto Rossi. Als Virtuose stellt er alle unsere Charakterspieler in den Schatten; sein unnachahmlicher Kean, fein Ludwig XI. hoben durch die äußerste Genialität in der Verknüpfung realistischer Details schlechte Stücke fast zum Range von Dichtungen empor. Und wo Rossi, allerdings auf Grund virtuosenhafter Theaterbearbeitungen, sich in den Dienst Shakespeare stellte oder vielleicht nur Shakespeare in seinen Dienst zwang, da erlebten wir Offenbarungen der Schauspielkuust. Ich will von seinem Othello, von seinem Romeo und von seinem Hamlet gar nicht sprechen. Vor allem aber sein Macbeth und sein König Lear waren noch vor zehn Jahren so überwältigende Menschenschöpfungen, daß jede andere Darstellung schaal schmecken mußte nach Ernesto Rossi. Wie er als Macbeth im Augenblick vor der Ermordung des Königs über die Schwelle stolpert, das geht doch weit über alle feinen psychologischen Enthüllungen Werders, und wie er als Lear zuerst gutmütig tapprig sein Königreich verteilt, wie er dann beim ersten Undank der Töchter aufschreit, das fand vor ihm so schön im Shakespeare kein Gelehrter und kein Künstler.

Ich spreche von Zeiten, die vergangen sind. So wie Ernesto Rossi uns heute auf der Bühne gegenübertritt, erinnert nicht viel mehr an die geniale Kraft; die wundervolle Sprachmusik freilich ist noch da, die unverlierbar sein Geheimnis zu sein scheint, und von der man einst vielleicht in Italien und in Deutschland erzählen wird als von einem Märchen der guten alten Zeit, da Verse noch so ge= sprochen wurden, daß der Wohlklang allein Herzen bewegen konnte. Der alte Scherz, daß Garrick mit dem gefühlvollen Hersagen des Alphabets hätte zu Thränen rühren können, wurde bei Roffi Wahrheit; viele Tausende, die kein Wort italienisch verstanden, haben sich von ihm erschüttern lassen. Diese köstliche Sprache ist dem stilvollen Naturalisten fast völlig erhalten geblieben. Aber die Kraft, die Elastizität, die Leidenschaft scheinen verschwunden. Inmitten einer italienischen Truppe, die so schlecht zusammenzustellen nicht einmal der Ristori jemals gelungen ist, und die jeder bessere deutsche Schauspieler hoch überragen würde, steht Rossi immer noch wie ein Thurm da, aber mehr durch seine Unbeweglichkeit und durch die Unveränderlichkeit seiner Linien. Seine Sicherheit auf der Bühne ist natürlich ohne gleichen; aber nach einer dreißigjährigen Virtuosenlaufbahn ist diese Sicherheit zu einer Art von Gleichgültigkeit geworden. Wie etwa ein gefeierter Tenor auf der Probe die Töne nur markiert, so giebt Rossi jezt vor dem Publikum nur Andeutungen seiner Rollen. Wohl verrät ein Blick, ein Wort, eine Geste den Löwen; aber der alte Löwe ist müde geworden und führt die angefangene Bewegung oft nicht mehr aus. Er gerät in Zorn, und der Stab in seiner Hand beginnt zu zittern; das Zittern des Stabes ist ein gutes Zeichen von Zorn, aber es bleibt auch dabei. Der Zorn selbst bricht nicht aus. Sein Tod wird ihm angekündigt. Mit unbeschreiblich trauriger Betonung fragt er: Wann? Aber wenn's an's Sterben geht, wird er bequem; Rossi, mit dem wir hundert Tode gestorben sind, schläft jezt nur noch ein.

Warum das nicht ehrlich sagen? Wir danken ihm so viel, wir die Zuhörer, und noch mehr dankt ihm die deutsche Schauspielkunst. Zu einer Zeit, als die deutsche Bühne langweilig war, wie die Devrientsche Schule in Birch-Pfeifferschen Stücken, hat Rosst, der Italiener, uns den englischen Shakespeare neu kennen gelehrt. Heute, wo unsere Schauspielkunst schon reife Früchte zu pflücken bereit ist,

trogdem die neue dramatische Bewegung erst Frühlingsknospen an jegt, heute würde selbst der ehemalige Rossi nicht mehr eine solche Bedeutung haben. Der müde Künstler steht als edle Ruine in grünem Buschwerk da. Ruinen aber find in der lebendigen Welt nicht so schön wie in der toten Natur.

Und warum soll nicht auch verraten werden, daß Rossi keine rechte Wirkung mehr ausübt? Bei einer Vorstellung, welche ich mit ansah, schienen nicht einmal die Freibillets benügt worden zu sein. Denn so weniger Kritiker giebt es in Berlin nicht, als sich da Menschen im weiten Raume herumdrückten.

Das neue Stück, welches er dieses Mal mitbrachte, ist der Lod Iwan des Schrecklichen", eine Staatsaktion von Alexei Tolstoi, der zwar ein Graf war, wie der noch lebende Leo Tolstoi, aber zufällig kein so bedeutender Dichter, Wie ich von vertrauenswürdiger Seite höre, ist der Tod Iwan des Schrecklichen“ nur der erste Teil einer lesenswerten Trilogie; das Drama soll im Original hübsche Verse enthalten und gute Historienbilder geben. Das will ich gerne glauben. Aber so wie wir es in einer halb prosaischen, halb in poetische Floskeln gebundenen Theatersprache vor unz schaudernd aufführen sahen, ist es eine recht zusammenhanglose Aufeinanderfolge von mißglückten Einaktern, die ziemlich regelmäßig damit schließen, daß Zar Iwan irgend eine Gemeinheit begeht. In seiner schlimmen Zeit, als er noch knöcheltief im Blute badete, mag er dramatisch weit interessanter gewesen sein. Der sterbende Iwan aber, der wie König Saul einen Speer wirst, ohne zu treffen, der auf seine Höfleute einzuhauen sucht, ohne ihnen wehe zu tun, der seine fiebente Frau fortzujagen droht, ohne die achte zu bekommen, der hat von seiner Schrecklichkeit so viel eingebüßt, daß sein Beiname nur noch für Foyerwige gut genug ist.

Für uns wird die Geschichte darum nicht erfreulicher, weil das Trauerspiel von Alexei Tolstoi etwas wie eine Vorgeschichte des Schillerschen Demetrius bietet. Wir sehen wohl den wohlbekannten Boris Godunoff auftreten (und sein Darsteller, Herr Borelli, ist der einzige gute Sprecher der Truppe), wir hören den Sohn der siebenten Gemahlin nennen, eben unsern Demetrius, aber die Verwantschaft ist doch zu weitläufig, um uns diejenige Klarheit zu geben, welche für Theaterverwantschaft nüßlich ist. Der Dichter macht uns zwar nicht mit allen Zweigen dieses orthodoxen Harems bekannt. Nun immerhin treten sieben Familienmitglieder auf, die eigentlich nummerirt werden müßten, damit wir jeden Prinzen und Kaiserschwager an seine richtige Stelle fezen. Ein langer Zettel, der in angeblich deutscher Sprache die Handlung des Stückes für diejenigen erzählt, die weder italienisch noch russisch verstehen, ließ von einer Scene des dritten Aktes hoffen, daß der Zar mit seiner fiebenten Gemahlin eine der Auseinanderseßungen haben würde, die ihm doch geläufig sein müßten und die Einblick in die Seele dieses Blaubart verspräche. Aber leider ging es da wie mit dem ganzen Stück und wie mit dem Spiele Rossis. „Zarina du bist mir zuwider." Schlicht und einfach, wie man es von Iwan garnicht erwarten sollte. Eine Tatsache, aber kein Auftritt. Und so ging es von Anfang bis zu Ende. Lauter Tatsachen, hoffentlich lauter historische Tatsachen, aber kein Fortschritt in der Handlung, fein dramatisches Leben. Telegramme, als s wäre es es ein Stück von Heinrich Laube. Und so sparsam der Verfasser mit malenden Zügen war, so war auch Rossi. Er meldete die Tatsachen wie ein Telegraphenbote die Depeschen bringt. Höchstens zeigte er hie und da durch die Anordnung der Szene, wie das eigentlich gespielt werden müßte.

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Ich habe Rossi noch niemals in so prächtigen Gewändern gesehen wie dieses Mal, aber es schmerzt mich, daß ich mir das alte herrliche Bild' seiner Erscheinung so verwischen lassen mußte.

Wenige Tage vor Tolstei ist im Berliner Theater Shakespeare mit seinem Trauerspiel Richard II. entschieden durchgefallen. Ein Streit könnte höchstens darüber entstehen, ob die Schauspieler, ob der Bearbeiter Dingelstedt und sein Regisseur, oder ob endlich der Dichter selbst die Schuld an der Niederlage trage. Shakespeare hat so viel Schlachten gewonnen, daß ihm ein fleine Schlappe in unsern Augen nicht schaden kann. Regie und Bearbeitung haben das Bes sonderste am Drama, ein romantisches Stück Mittelalter, so wenig herausgebracht, daß sie sich den Verdacht gefallen lassen müssen, es

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nicht verstanden zu haben. Und auch, die besten der mitwirkenden Schauspieler begnügten sich, landläufige Ritter unserer Ritterdramen vorzuführen, anstatt mit Shakespeare in den alten Eisenfressern Menschen zu sehen und erkennen zu lassen. Deshalb ist Richard II. aber immer noch kein gutes Drama, und auch bessere künstlerische und litterarische Kräfte dürften es für die Dauer der deutschen Bühne nicht sichern können.

wenn

Die Stellung des Schauspielers zu einem solchen Werke wird flar, wenn wir bei Richard II. ein wenig an Wildenbruchs Quizows denken, die nicht nur zur selben Zeit spielen sondern auch man nur an die großen Züge denkt einen ähnlichen politischen Hintergrund, einen ähnlichen patriotischen Zweck und schließlich ein verwandtes Milieu haben. Selbstverständlich hört beim näheren Zusehen die Vergleichung auf. Wildenbruch steckt seinen Dietrich, der von dem Begründer der neuen Dynastie besiegt werden soll, einfach in die Ritterstiefel der Theatergarderobe, und sofort weiß der legte Heldenliebhaber der leßten Schmiere, wie er den Dietrich zn spielen habe. Der grübelnde König Richard, der der neuen Generation, dem Vater von Shakespeares Liebling unterliegt, ist in ein enges Rollenfach nicht einzufangen. Auf der andern Seite erscheint bei Wildenbruch der Burggraf von Nürnberg in farbloser Engelsschöne, während Bolingbroke, troßdem er der Vater des Prinzen Heinz ist, sehr starke und gestaltungsfähige Menschlichkeiten zeigt. Und dazu ist der arme Shakespeare ein so schlechter Kenner der Bühne oder vielleicht ein so elender Historiker, daß er sich das erste Auftreten der faulen Grethe oder anderer Kanonen so wie eine prophetische Verkündigung der europäischen Armeereorganisation völlig entgehen läßt.

Im Ernste. In Shakespeares Historien, besonders aber in diesem zweiten Richard herrscht eine Technik, die in einer Beziehung vollständig mit der radikalsten des deutschen Naturalismus zusammenfällt. Wie es in den „Einsamen Menschen“ von Hauptmann und auch in der Familie Selicke“ von Holz-Schlaf weder auf den Anfang noch auf das Ende sonderlich ankommt, die Kraft der Verfaffer vielmehr sich darauf richtet, den einzelnen Akt lebendig zu machen, der als Teil einer unendlichen Wandeldekoration gerade augenblicklich den Prospekt bildet, so fügt Shakespeare mit seiner Urkraft Aft an Akt, fünfzig Akte und mehr, und die Abteilung in fünfaktige Trauerspiele ist nicht immer eine notwendige. Das ist für uns Nichtengländer gerade das Verwirrende an diesen großen Historien, und das mag für die englischen Zeitgenossen des Dichters ihr Hauptreiz gewesen sein. Denn hierin liegt der Unterschied zwischen der Technik unserer deutschen Naturalisten und des großen Shakespeare, auf den sich alle Schulen berufen: der Naturalismus wird inkonsequent, er ist ein Kompromißler, wenn er nach alter Kunstgewohnheit dem ewig fließenden Leben an einer bestimmten Stelle, am Ende des fünften Aktes, einen Damm segt und dem Strome befiehlt, er solle stehen bleiben. In der alleinseligmachenden. Wirklichkeit giebt es keinen Schlußakt, in Shakespeares Historien auch nicht.

Einzelne Menschen pflegen aber zu sterben, und wenn nun der Titelheld so einer Historie stirbt, und er hat im Leben irgend etwas Großes geschaffen oder zerstört, so empfinden wir es wie das richtige Ende eines Trauerspiels, ob auch die Vettern und Basen des betreffenden Königs so wenig apotheosenhaft um seine Leiche stehen, daß wir beim Fallen des Vorhanges schon die blutigen Kämpfe des nächsten Stückes vor uns sehen. In theatralischem Sinne nun ist Richard II. trog der feinsten Charakterzeichnung nicht groß genug, um uns etwa so ausschließlich zu beschäftigen wie Prinz Heinz oder wie Richard III., und darin liegt wohl das nicht eben tiefe Geheimnis der mangelnden Wirkung. In der Verwendung der Nebenpersonen und im Humor des Stüdes ist gewiß die volle reife Kraft nicht vorhanden. Ich werde mich aber hüten, mich auf das Gebiet der Shakespeareforschung zu wagen. Der Unfall von Richard II. ist vielleicht nur darum zu bedauern, weil andere Theaterleiter auf den Einfall kommen könnten: es sei nun doch nichts mit Shakespeares Historien, denn eine der schwächeren, mit unzulänglichen Mitteln ausgestattet, langweilte. Die Langeweile war leider Tatsache, aber die Schlußfolgerung wäre falsch.

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Litterarische Chronik.

Hauptmanns,,Linsame Menschen" auf dem Deutschen Theater.

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Gerhart Hauptmanns Drama „Einsame Menschen", dessen große Vorzüge schon gelegentlich der Erstaufführung der Dichtung auf der Freien Bühne“ hier eingehend gewürdigt worden, ist nun auch an einer öffentlichen Bühne, im „Deutschen Theater", gegeben worden. Der Beifall des Publikums ist sonst kein Wertmesser für litterarische und künstlerische Leistungen - in diesem Falle aber bedeutet er die Antwort auf die wichtige Frage: sind Hauptmanns Dramen bühnenfähig, und ist unser Theaterpublikum bereits reif für die neue Art der Bühnendichtung? Oder kürzer gefaßt: bilden unsere modernen Dichtungen immer nur noch eine Litteratur für Litteraten oder bereits für das Publikum? Der große und nicht nur äußerliche Erfolg, den Hauptmanns Drama im Deutschen Theater" gehabt hat, entscheidet die Frage in einer für die moderne Litteratur erfreulichen Weise. Aber freilich dieser Erfolg muß ein anhaltender sein und dann, was für Hauptmann, den größten unter den Naturalisten Deutschlands gilt, gilt noch nicht für die anderen. Hat übrigens doch auch diese Acclimatisirung Hauptmanns auf dem der Aufackerung so bedürftigen Boden der regulären Bühne erst erfolgen können, nachdem die Dichtung vielfach beschnitten und das für die Charakteristik wichtige Mittelstück, der 3. Akt, ganz beseitigt worden war. Der Fortfall des 3. Akts ist bühnentechnisch freilich ein großer Vorzug; außerdem sind einige fleine konfessionelle und ästhetische Keßereien fortgefallen und leider auch die prächtige Waschfrau von Friedrichshagen völlig verkümmert worden. Aber immerhin kann man, wenn denn anders die Aufführung auf einer regulären Bühne nicht zu ermöglichen war, sich auch mit diesen kleinen und großen Verkürzungen zufrieden geben bedeutet doch der Erfolg der „Einsamen Menschen" weit mehr als der sonstige Erfolg irgend eines Theaterschriftstellers oder Theaterroutiniers; er bedeutet den Sieg der neuen Richtung, er bedeutet - da die Waffen zu diesem Kampfe doch die Freie Bühne“ geschmiedet hat den Sieg der Litteratur über die Bühnenpraktiker.

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„Die Ehre“ in Kopenhagen.

st.

Hermann Sudermanns „Ehre" hat in Kopenhagen einen großen Erfolg zu verzeichnen. Nachdem es dreißig Mal hinter einander aufgeführt ist, wird es noch heute im Folketeater vor ausverkauftem Hause gespielt.

Sudermann kann sich dieses Resultat zu um so größerer Ehre anrechnen, als Dank den Herren Moser und Kollegen deutsche dramatische Produktion im Norden mit einigem Mißtrauen aufgenommen wird. Nordische Theater haben sich im lezten Jahrzehnt eifrig der deutschen Farcen bemächtigt; die Lustspiele hat man meistens übergangen und französische Comedies gesucht, deren Technik vielleicht eine glänzendere ist, aber deren Stoff und Behandlung uns ficher weit weniger geistig nahe stehen als diejenigen deutscher Schauspiele.

Die wenigen Lustspiele, die man aufgeführt hat, hat man zudem noch merklich verdorben, indem man sie durch eine äußerliche Lökalifirung verflachte.

Es kann daher nicht verwundern, daß das Kopenhagener Publikum, trok des Rufes, welcher von der Ehre" erscholl, Sudermanns Stück im Voraus mit Mißtrauen entgegentrat. Man erwartete höchstens ein gutes Volksstück, und man bekam zu seiner Ueberraschung zwei Akte eines ausgezeichneten Schauspiels.

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Diese beiden Akte zündeten so stark, daß der Abend sich zu einem Giege gestaltete und sie thaten es durch ihren eigenen Wert, denn die Ausführung hob sie nicht. Die Darstellung dieser Atte durch das kopenhagener Theater umging die Wirklichkeitstreue, die hier. Hermann Sudermann seine dichterische Bedeutung verleiht. Man

folgte dem Dichter nicht, man suchte ihm zu entschlüpfen. Man fuchte aus den Auftritten das traditionelle Volksstück zu schaffen, dem die Scenen des Dichters gebieterisch widersprechen..

Denn Hermann Sudermann kennt und das ist der Kern seines Werkes keine Befehrung. Die Personen des Hinterhauses verblieben in ihrer Gefühlssphäre, und sie bewahren die Chr begriffe“, die für ihr Milieu eigentümlich sind. Sudermann predigt ohne Einschränkung die trübselige Lehre: Kümmerliches Leben, kümmerliche Gedanken; niedriges Dach macht auch die Begriffe niedrig.

Der deutsche Dichter schenkt uns diese Wahrheit in einer Reihe von Auftritten, deren tapfre Ehrlichkeit laut von seinem Mute zeugt, und deren Details künstlerisch bewundernswürdig sind. Wenn man die kräftige Wahrheit in den Auftritten im Hinterhause mit der theatermäßigen Flachheit in der Darstellung des Vorderhauses vergleicht, wird man unwillkürlich an eine Bemerkung Edmond de Goncourts erinnert, der an einer Stelle ausspricht, daß das Geheimnis der modernen Verfasser eigentlich das ist, daß sie so ganz fremd im Leben sind und so sehr wenig sehen. Wenn sie daher ein einzelnes Mal mit dem Leben in Berührung kommen, wirken deffen Auftritte mit der ganzen Kraft des Ungewohnten auf ihre An= schauung. Wenn sie sich dagegen täglich in dem Leben, das ste schildern, bewegten, würde ihr Blick durch das Alltägliche getrübt werden, das ihnen zulezt sowohl inhaltslos als unbedeutend erscheinen würde.

Im Hinterhausleben ist Hermann Sudermann ein Fremder. Bei einer einzelnen Gelegenheit ist er vielleicht damit in Berührung gekommen. Und das Ungewohnte hat sein Dichterauge scharf ges troffen, als wäre es durch einen Blisstrahl erleuchtet. Er hat in einem Moment dieses ganze Leben erraten, dem die Ideenassociationen seines Dichtergehirns darauf gefolgt sind, und er ist nicht weit das von gewesen, ein Meisterwerk zu schaffen.

In den Vorderhausaften dagegen hat er ein Leben schildern sollen, in dem er sich wahrscheinlich selbst täglich bewegt. Und sein Blick, der an alle Eindrücke dieses Milieu gewöhnt ist, zeigt sich getrübt und ohne Intensität. Er bleibt auch in diesen Acten ein Mann von vielem Geist, aber er hat als Dichter keine Menschen von einiger Originalität geschaffen.

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Gleichwohl hat Hermann Sudermann sich in diesem Augenblick einen Dichternamen im Norden erworben, und er wird einer der wenigen deutschen Dramatiker sein, auf den sich jezt auch nordische Theaterleiter verlassen können. Kristian Dahl.

Das Städtische Spiel- und Festhaus in Worms.

Am 20. November 1889 wars, daß sich in der alten Nibelungenstadt Worms Kunstfreunde aus ganz Deutschland und dem Auslande zur Einweihung des Städtischen Spiel- und Festhauses zusammenfanden. Stolz ragte der in romanischem Stil gehaltene, mit Fahnen und Guirlanden geschmückte Bau empor, und tausende von Menschen standen vor seinen Toren und sahen der Auffahrt der geladenen Gäste zu. Wer in jenen Stunden dort am Rheinesstrome verweilte, werden fie unvergessen bleiben; wohin man auch kam und mit wem man sprach, ob hoch, ob niedrig, war mit Genugtuung erfüllt über das von Herrn Friedrich Schön in Worms angeregte und von der Bürgerschaft wie den städtischen Behörden eifrigst unterstüßte Werk, das insgefamt 611,000 Mt. erforderte, wovon die Wormser Bevölkerung allein durch Zeichnungen 230,000 Mk. aufbrachte. Fremde, die einst der Eröffnung des bayreuther Festhauses, beigewohnt, sahen hier jene Begeisterung, die Alle erfaßt hatte, wiederholt; aber ach, was so vielverheißend begonnen, scheint fraurig im Sande zu verlaufen. Ueber die innere, zweckentsprechende Einrichtung des Hauses herrschte nur eine Stimme der Zufriedenheit, doch die dekorationslose, in zwei Teile getrennte Bühne konnte in ihrer Nüchternheit nur wenigen imponiren. Und endlich das undramatische Hans Herrigsche Volksschauspiel Drei Jahrhunderte am Rhein", dessen Bycantinismus, Chauvinismus und Langeweile den Tag zu einem verlorenen stempelten. Vielleicht hätten Berufsschauspieler ein wenig über die Hohlheit des Werkes täuschen können, aber dem unbeholfenen Spiel der etwa 170 mitwirkendenden Bürger und Bürgerinnen, die es allerdings herzlich gut meinten, war dies nicht möglich.

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