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Joseph Lehmann.

für Sifferafur.

Berausgegeben von Fritz Mauthner und Otto Neumann-Hofer.

Redaktion: Berlin W., Körner: Straße 2.

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S. & P. Lehmann. Erscheint jeden Sonnabend. Preis 4 Mart vierteljährlich. Bestellungen werden von jeder Buchhandlung, jedem Postamt (Nr. 3589 der Postzeitungsliste), sowie vom Verlage des „Magazins" entgegengenommen. Anzeigen 40 Pfg. die dreigespaltene Petitzeile. Preis der Einzelnummer: 40 Pfg. &

60. Jahrgang.

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Berlin, den 28. März 1891.

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Nr. 13.

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Inhalt: Marie v. Ebner-Eschenbach: Margarete. Franz Servaes: Zolas L'argent. Dr. Reimann: Bülow als Erzieher. Hermann Sudermann: „Erzellenz Onkel". - Adalbert Svoboda: Die internationale Ausstellung in Stuttgart. - Nach jüngsten Muitern, der höhere Zustand, nach Gerhart Hauptmann. Theater von Frit Mauthner: Ernesto Rossi; Richard II. Litterarische Chronik. Litterarische Neuigkeiten: F. Holländers „Jesus und Judas“ und L. Bergs „Seruelles Problem", besprochen von_C. G.; C. Arnos „Zu spät", besprochen von F.; A. G. v. Suttners „Kinder des Kaukasus", besprochen von A. Leist. Auszugsweiser Nachdruck sämmtlicher Artikel, außer den novellistischen und dramatischen, unter genauer Quellenangabe gestattet. Unbefugter Machdruck wird auf Grund der Gesetze und Verträge verfolgt.

Margarete.

Von

Marie v. Ebner-Eschenbach.

Margarete schob leise und vorsichtig den Vorhang des Bettes zurück. Robert fühlte, ohne sie anzusehen, daß ihre Augen lauernd auf seinem Gesichte ruhten und daß fie angstvoll den Eindruck beobachtete, den der Anblick des Kranken auf ihn hervorbringen würde. Er bemühte sich vergebens, das Entseßen zu verbergen, das ihn ergriff, als er die Veränderung sah, die mit dem Kinde Eine grünliche Blässe bedeckte das vorgegangen war. schmalgewordene Gesicht, die halb geschlossenen Lider ließen nur das Weiße der Augen sehen, die Pupillen waren aufwärts gedreht. Die Arme zuckten von Zeit zu Zeit krampfhaft auf dem Kiffen, und die Fingerchen bewegten fich hastig und zitternd, als ob sie nach einem unsichtbaren Gegenstande haschten.

Roberts und Margaretens Blicke begegneten einander, und der seine war so voll Bestürzung, daß sie zusammen fuhr und, als gälte es eine Gefahr abzuwenden, den Arm über das Kind ausstreckte..

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„Was denken Sie? Was bilden Sie sich ein?" rief
„es geht ja besser!"

Bei diesen laut gesprochenen Worten regte sich der Knabe, warf sich im Bette hin und her, öffnete die Augen, sah Robert groß an, und ein Lächeln flog über seine Züge, als dieser sich zu ihm niederbeugte. Mit unsäglicher Zärt lichkeit streichelte er ihm die Wangen und fallte unterbrochen und kaum hörbar:

„Wo hast du deine schöne Uniform? ... Die schönen schlimmen Pferde?" seine schweren Augenlider sanken

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Warum haben Sie die Hilfe des Arztes verschmäht, den ich Ihnen fante?" fragte Robert.

„Hilfe", wiederholte sie, „hätte ich nicht verschmäht. Aber der hätte nicht geholfen, das ist ein Gelehrter, ein großer Herr, das ist kein Arzt für uns. Doktor Weiler hat mich vor ihm gewarnt. Ja, experimentiren hätte er gewollt, eine Operation machen auf Leben und Tod; ge= lingt fie, denkt er, ist's gut, mißtingt sie auch gut was liegt an dem Kind einer armen Näherin? nein! für solche Hilfe danke ich!"

„Woher kommt, bei so viel Argwohn, Ihr Vertrauen auf Doktor Weiler?"

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"Oh, dem liegt alles daran, das Kind gesund zu machen... der weiß -der ist Sie stockte. Verwirrt und wie mit Purpur übergoffen, fenkte sie die Augen und starrte finster zu Boden.

Die Glocke wurde gezogen. „Da ist er!" rief Margarete und eilte nach der Eingangstür, um zu öffnen. Draußen ließ die laute Stimme des Doftors fich ver nehmen: Guten Morgen, Schönste! Herrliches Weib! Wie geht es heute? Beffer? Nun, ob ich es nicht gesagt habe?... Werde ich endlich das Ziel meiner Wünsche..."

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gieb das Kind

Robert aber hielt sich nicht länger: „Elender Wicht. Hinaus mit Ihnen! fort!" herrschte er dem Doktor mit einer gebieterischen Geberde zu.

blieb er stehen und raffte sich zu leidlicher Haltung zuPfeilgeschwind schoß Weiler zur Tür. Dort angelangt, sammen. Er zupfte an seinen Manschetten; seine frechen und Margarete: „Echöne Wilde", sprach er, schon auf der Augen richteten sich mit höhnischem Ausdruck auf Robert Schwelle stehend: Ich überlasse Sie Ihrem neuen Beschützer."

Margarete streckte die Arme gegen Robert aus. „D Herr! retten Sie! helfen Sie!... Sie sind mirs schuldig! Retten Sie das Kind!"

Plöglich verklärte ein Freudenstrahl ihr Gesicht, sie drückte die flache Hand an die Stirn, wie durchzuckt von einem erlösenden Gedanken: Menschliche Hilfe vermag hier nichts mehr? ... Aber Gott ist da! ich hoffe auf Gott... Er wird ein Einsehen haben. . . Sie schlug sich auf die Brust und rief im Tone der Beteuerung: Ich glaube an Gott!..."

V.

Hofrat Keller saß gemütlich beim Frühstück zwischen seinem Affen und seinem Papagei, als Robert aufgeregt herein stürzte und noch einmal die Hilfe des berühmten Arztes für seinen Schüßling anrief. Der alte Herr ließ ihn nicht ausreden.

„Zu wem soll ich?“ rief er voll Entrüstung und fuhr mit beiden Händen in die weißen Haarbüschel, die ihm wie Flämmchen von den Schläfen standen. „Zu der Megare? Wissen Sie, daß sie mich hinausgeworfen hat; schmetternd! eklatant! .... Es wäre eine Ehr- und Charakterlosigkeit und die größte Gemeinheit... Mir das zuzutrauen!... Ich hätte Sie für gescheiter gehalten!"

Er wurde so derb, daß ihm zuleht, um seine Heftig. feit gut zu machen, nichts anderes übrig blieb, als eilends. in den Wagen zu steigen und in allen Blödsinns Namen zu der Megäre" zu fahren.

Am Abend erschien er bei Robert. Dieser eilte ihm entgegen:

Nun, Doktor, waren Sie dort?"

„Bis jetzt."

O Bester! so hoffen Sie

„Nichts. Der Junge erlebt den Morgen nicht. Schad' um ihn, es ist ein liebes Kind. Gehen Sie hin und verhüten Sie, daß die Mutter irgend eine Narrheit begehe. Sie scheint mir sehr aufgelegt dazu.“

Zola selbst bekennt, daß ihm das Gebiet des Geldes und der Geldwirtschaft ein völlig fremdes gewesen sei; er habe sich in eine neue Welt einleben müssen. Mögen auch die ersten Vorstudien etwas weiter zurückliegen, jedenfalls ist sichergestellt, daß Zola genau ein Jahr vor dem Erscheinen des Romans, in den ersten Tagen des März 1890,,,im Begriffe stand, sich über L'Argent herzumachen.“ Er hatte Konferenzen mit Fachmännern, machte zahlreiche Male die pariser Börse, stets mit Notizbuch und Bleistift neue Bekanntschaften und betrat am 17. April zum ersten bewaffnet. Auch mit der einschlägigen Litteratur machte Der Hofrat nahm Abschied, und Robert wollte sich sich Zola eingehend vertraut. Seine Vorarbeiten umfassen noch in das Vorzimmer begeben, um dort eine Botschaft in neuerer Zeit ungefähr sechshundert geschriebene Seiten, für seine Frau zu hinterlassen, bei der eine kleine Damen- gegen etwa zehn in früheren Jahren. An der wissengesellschaft versammelt war. Als er den Speisesaal durch-schaftlichen Methode" des großen Romanzier ist daher auch nicht der leiseste Zweifel gestattet. schritt, fam Priska, die ihn vom Salon ans erblickt hatte, auf ihn zugeeilt.

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„Wohin?“ fragte sie munter und unbefangen, „schleicht man so aus dem Hause, ohne sich vorher bei seiner Herrin

zu melden?"

„Ich wollte dir eben sagen lassen, du mögest mich nicht erwarten, ich komme vielleicht spät nach Hause," erwiderte er, und küßte sie zärtlich auf die Stirn.

Sie hatte die Arme um seinen Hals geschlungen und fah ihm in die Augen. Du bist bekümmert „Du bist bekümmert was fehlt dir?"

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Am 10. Juni 1890 wurde die erste Zeile des für den Druck bestimmten Romans geschrieben. Einen Monat später stand das erste Kapitel (im Druck vierundvierzig Seiten, genau ein Zehntel des Ganzen) auf dem Papier. Der Rest von elf Kapiteln sollte bis zum Ende des Jahres heruntergearbeitet werden. Indeß zeigten sich so große Schwierigkeiten, es waren so entsegliche Mühen" zu überstehen, daß sich die Arbeit verzögerte und erst Ende Januar abgeschlossen werden konnte. Der Dichter klagt darüber, daß in Folge seines angestrengten Arbeitens gelegentlich sein Blick getrübt worden sei.

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Ich würde diese Daten und Zahlen hier nicht mitgeteilt haben, wenn nicht zwischen ihnen eine Geschichte geschrieben stände, die es sich wohl verlohnte, mit den Augen des Psychologen zu lesen. Wir sehen vor uns einen schwißenden Mann, der Berge von Büchern und Dokumenten um sich aufgehäuft hat und der mit dem eisernen Pflichtgefühl des gedrillten Beamten jeden Tag sein Pensum abackert. Er hat wenig oder gar kein persön liches Verhältnis zu seinem Stoff. Er bearbeitet ihn, weil er dies sich vorgenommen hat, weil er gerade diesen ihm fremden und widerstrebenden Stoff ergreifen und vewältigen will, nicht weil er selbst ergriffen und überwältigt ist. Was für den Roman von vornherein feststeht, ist lediglich das Rein-Sachliche: das Geld. Das Menschliche, die mit diesem Sachlichen verknüpfte Schicksalskette, muß sich später einstellen und so oder jo anwachsen. Es findet sich unter den bereits eingeführten Familienmitgliedern der Rougon-Macquart ein Deann, der sich zum Träger eines Geldromans eignet, Aristide Rougon, der Held von „La Curée, der sich selbst den Namen Saccard gegeben hat. Für diesen Saccard findet sich dann die Geschichte eines großen Bankhauses, das in den letzten Jahren des dritten Kaiserreichs zu einem ebenso raschen Aufschwung wie Zusammensturz gekommen war. Zola unterrichtet sich über Glück und Ende dieses Geschaftshauses aufs Genaueste und studirt zur Ergänzung auch noch einige andere Börsenkrache, die sich in neuester Zeit ereignet haben. Hiermit verbindet er alsdann seine persönlichen, rein ad hoc gemachten Beobachtungen. Wit feinem stets auf das Allgemeine und Gattungsmaßige gerichteten Blick gelingt es ihm rajch, einige wesentliche Typen der Börjenwelt herauszufinden, auf die er dann gelejene oder gehörte Schickjale überträgt und die er über seinen Roman nach Raum- und Zweckbedürfnisjen verteilt. So schwillt ihm der Stoff unter den Handen an und krystallisirt sich weitschichtig um einen festen, unverrückbaren Mi baren Mittelpunkt. Aber noch immer fehit das Wichtigste, das ganz besonders Menschliche, das, was einen Sioman von einem Geschichtswerk unterscheidet, und was gerade die Franzosen von allen Völkern der Erde am wenigften vermiffen mögen: noch nie fehlt ein Blättlein Lieve". Schließlich aber muß auch das sich finden, und es fand

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fich, zur vollen Zufriedenheit des Dichters, wenn auch
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nach mühseligem Suchen. Ist es mir doch verzweifelt
schwer geworden, ein Weib da hinein zu bringen“, schreibt
Zola an seinen deutschen Eckermann. Die an mehr als
zwanzig Romanen erworbene Routine des zweiundfünfzig
Jährigen Meisters trug aber den Sieg davon, und die
Maschine funktionirte wieder mit der für den gewissen |
haften Arbeiter wünschenswerten Regelmäßigkeit. Das
Weib mußte in seiner Doppelbeziehung zum Mann und
zum Geld gefaßt werden, und es boten sich auch hier
verschiedene Typen, je nach Gesellschaftskaffe und nach Art
der Leidenschaft. So war denn alles beisammen, und in
weniger als einem Jahre ist das große Werk, von der
ersten bis zur legten Zeile und eingerechnet seine weit
ausholenden Studien, vollbracht worden Ein ehrliches
und saures Stück Arbeit!" darf der Dichter sagen, indem
er sich den Schweiß von der Stirne trocknet. Die Muse
aber, als echtes Frauenzimmer, lächelt dazu und denkt:
Ward je in dieser Laun' ein Weib gewonnen?" Und
vielleicht fügt sie, noch weit verschmißter, hinzu: „Du sollst
mich haben - doch nicht lang behalten "

auseinanderführt, wie es einen großen Teil der Preffe beherrscht und, teils durch die Presse, teils durch eigene Macht, in Wechselwirkung mit dem Gang der ganzen politischen Ereignisse steht, das ist überall mit Händen zu greifen. Die eigentlichen Geldmänner trefen uns in Repräsentanten aller Gesellschaftsklaffen entgegen, der jüdische Finanzkönig, der materiell zerrüttete auf Geldspekulation angewiesene Geburtsadel, der industrielle Glücksritter, das Heer der Wechselagenten und Börsenmakler, die mitspekulirende Dienerschaft der großen Herren, die schmierigen Wucherjuden und nicht zuleßt einige Vertreter des weiblichen Geschlechts, eine von Spielwut fieberhaft erregte und völlig demoralisirte Baronin und eine verfettete, gemütsleere Proletarierin, Die entwertete Papiere aufkauft und wieder an den Mann zu bringen sucht. Wie stets bei Zola, herrscht ein beständiges Gehen und Kommen dieser Personen, ohne daß sie untereinander und zur Haupthandlung (wenn von einer solchen die Rede sein kann) in festem Zusammenhange stehen. Es find Typen, die der eisrige Beobachter sich notirt hat, und die er in seinem Gemälde anbringen wollte. Zweimal So ist denn Zolas nenester Roman, mehr noch als gelingt es ihm jedoch, die ganze Schaar dieser Personen seine vorausgegangenen Brüder letzter Zeit, vor allemi das zusammenzudrängen: Das erste Mal, in ziemlich äußer Werf einer erstaunlichen Mache, und an dieser Tatsache licher Weise, im Anfangskapitel, wo Saccard sich um die ändert auch der Umstand nichts, daß derjenige, der dieses Börse herumtreibt und bald hier, bald da ein paar Worte Werk gemacht" hat, ehemals ein ganzer Dichter war und oder Blicke wechselt; das zweite Mal gegen Schluß, als selbst jetzt inmitten seines rnhelofen Fabrikbetriebes noch | sich der große Krach vollzieht, und wo ein erregtes Gegenvereinzelte dichterische Blicke hat. In Kürze mag betonteinanderarbeiten der beiden Parteien, einer internationalwerden, daß der Roman sich Zug für Zug mit seiner | jüdischen und einer französisch-ultramontanen, in wechselEntstehungsgeschichte deckt. vollem Ringkampf stattfindet. So wenig der Einzelne beseelt ist, so stark beseelt ist hier die Maffe; sie ist von der feinsten Sensibilität, die auf jeden Druck oder Gegendruck sofort reagirt, und die sich solange in einem nervösen Vibriren befindet, bis der entscheidende Umschlag eintritt und dann die bisherigen Sieger mit sich zieht in unaufhaltsamem Niedersturz.

Im Brennpunkte des Ganzen steht nicht Mensch, etwa Saccard, sondern eine Sache, das Geld. Saccard ist nur insoweit von Intereffe, als an ihm und in ihm das Geld lebendig wird. Er ist der personifizirte Golddurst. Alle seine Energien und Begehrungen münden in dieser einen Leidenschaft. So vielfach der Charakter auch schillert, er überwindet doch niemals diese einseitige Starre, und in all seiner Befremdlichkeit und Koloffalität bietet er nicht das Mindeste von eigenartigem psychologischen Reiz. Er ist ein ganz unzusammengesettes Wesen, gleichsam ein grober unbehauener Block ohne Individualität. Ja, er ist weniger ein lebendes Wesen, als das Geld, wie denn Zola von jeher es verstanden hat, das Tote lebendig, und leider auch zuweilen das Lebendige tot zu machen. Das Geld, als die herrschende Macht im sozialen Leben, das in Millionen metallener Münzen durch Millionen von Händen geht, erscheint Zola wie eine fürchterliche Gottheit, die auf gefüllten Säcken trout. Von dieser Gottheit geht Segenspendendes und Fluchwürdiges gleichermaßen aus, worüber Zola seiner Lieblingsfigur, Frau Karoline, lange Reflexionen in den Mund legt. Im Romane selbst tritt die schlimme Seite weit mehr hervor als die gute; nirgends aber äußert das Gute sich rein. Wenn z. B. eine steinreiche Herzogin ihre dreihundert Millionen den Werken der Barmherzigkeit widmet, so läßt Zola sie das in einer fo törichten Weise tun, daß sie ihre ungeheuren Mittel innerhalb zehn Jahren verschleudert.. Die schlimmen Folgen dagegen treten uneingeschränkt zu Tage. Sittliche Berkommenheit und tiefstes materielles Elend, bürgerliche Unehre und leiblicher Tod find schließlich die Folgen einer ausgedehnten Geldwirtschaft. Je glänzender die Aussichten, desto sicherer und niederschmetternder ist die Enttäuschung, Quan tout marche trop bien, c'est que tout va craquer.

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Die Kunst, welche Zola darauf verwant hat, das Geld auf seinen vielen verschlungenen Wegen durch das moderne Leben zu begleiten, zeigt die nach dieser Richtung noch völlig unverminderte Kraft des Dichters. Wie das Geld überall ins Familienleben hineingreift, Menschen zu- und

Das Börsenleben tritt also für jeden Kenner, und mehr noch für den Nichtkenner, mit vollster Gegenständlichkeit aus Zolas Roman hervor. Freilich muß man dafür auch viele umständliche Beschreibungen und langweilige Erörterungen in den Kauf nehmen. Mit der Freude des Mannes, der etwas Altbekanntes erst frisch gelernt hat, framt Zola seine Fachkenntnisse aus und hält uns z. B. einen längeren Vortrag über den Unterschied von Aktien und Obligationen oder läßt einen Sozialisten begeisterte Excerpte aus Mary rezitiren. Doch kennt Zola mancherlei Kunstmittelchen, um die Eintönigkeit zu heben und die Trivialität vergessen zu machen, insbesondere drei: Die Antithese, die Hyperbel und die Symbolik. Alle drei hat er nach und nach in ein bewußtes System verarbeitet, das er der Komposition seiner Romane als Schablone zu Grunde legt.

Am erträglichsten ist die Antithese, weil sie das wärmste und künstlerischste Mittel ist und weil sich in ihr die meiste natürliche Erfindungskraft zeigt. Zola aber verwendet sie im Übermaß und mit gar zu durchsichtiger Absicht. Ich gebe einige Beispiele. Da ist zunächst ein durch innigste Liebe verbundenes Brüderpaar, namens Busch, Juden, die in einer Mansardenwohnung eine schmußige Wirtschaft führen. Der Eine ist erbarmungsloser Blutsauger, voll von lauernder Tücke und Bosheit, der andere sozialistischer Schwärmer, der in seiner Krankenstube sich ein goldenes Zeitalter ausgleichender Gerechtig feit ausmalt. Zu diesem in fich bereits kontrastirten Brüderpaar steht ein anderes in sich kontrastirtes Brüderpaar in denkbar schärffter Antithese. Dies sind die beiden, einander völlig fremden Söhne Saccards. Der aus legitimer Che ift ein verzärteltes, weibisches Bürschchen voll des fleinlichsten Egoismus, der auf sein Boudoir und

fein Badezimmer, auf seine Schlafröcke und Parfüms einzig Wert legt in dieser Welt. Der andere dagegen ist ein Bankert, dem Vater unbekannt, unter Proletariern aufgewachsen, früh verwildert und in Schmut verkommen; er foll gerettet werden, zeigt sich anfangs als Duckmäuser und explodirt dann in einer Tat bestialischer Rohheit. Natürlich hat Zola dafür gesorgt, daß die beiden Miliens dicht hintereinander geschildert werden, so daß der Gegen fat aufs Schärffte hervortritt. Noch ein drittes Beispiel. Als Saccard auf der Höhe seines Ruhmes steht, da tauft er sich eine Dame der höchsten Aristokratie, die sich dem Kaiser für hunderttausend Francs hingegeben hat, und bezahlt sie mit zweihunderttausend Francs für eine Nacht; kurz darauf bewirbt er sich angeblich um die Gunst einer kleinen, blonden Frau, die sich von aller Welt lieben läßt, aber für Geld nicht zu haben ist, weil sie nur dem Triebe ihres Herzens folgt. Ein andermal werden zwei Frauen folgendermaßen kontrastirt: Eine Zofe hat ihre Herrin an den betrogenen Liebhaber verraten. Es kommt zu einer Ertapping in flagranti, und da steht denn die Dienerin wohlangezogen und korrekt, ihrer völlig nackten und hierdurch zum gewöhnlichen Menschenkinde herabgefunkenen Gebieterin gegenüber und lächelt hoch mütig auf sie hernieder im Bewußtsein jener égalité des duchesses et des vachères, quand elles n'ont plus de chemise. Hier wird der Kontrast nachträglich durch eine starte Einheit zusammengehalten und dadurch doppelt wirksam gemacht. Diese Art des Kontrastirens geht bis in Kleinigkeiten hinein und ist oft recht gesucht. So darf 3. B. der hundertfache Millionär Gundermann sich nur von Milch nähren, und die blühend schöne und vollfaftige Frau Karoline hat seit ihrem sechsundzwanzigsten Lebensjahre schneeweiße Haare. Zuweilen verbindet sich mit dergleichen Antithefen das Symbolische. Alsdann entsteht die Wirkung eines widerlichen technischen Kniffs. Nachdem Saccard wegen seiner betrügerischen Treibereien ins Zuchthaus gesperrt ist, werden zwei Kinder eingeführt, die für ihn als ihren Woltäter beten und vom lieben Gott reiche Belohnung für ihn erflehen. Besonders aufdringlich ist der symbolische Nebenzug, als, nach glücklicher Gründung der Aktienbank, jene Frau, die mit entwerteten Papieren handelt, wie ein prophetischer Unglücksrabe bei Saccard eintritt.

Bekannt ist Zolas Neigung zu übertreibungen. Er muß immer alles ins Ungeheure steigern und setzt sich dadurch in unlöslichen Widerspruch zur Bescheidenheit der Natur, wird geradezu zum Antinaturalisten. Zudem hat die poetische Macht dieser Hyperbeln mit der Zeit stark nachgelassen und ist immer mehr aufs Verblüffen berechnet. In Nana, als General-Dirne und Personifizirung des ganzen verderbten Frankreich, steckt noch eine gewisse Größe der dichterischen Konzeption. In L'Argent streift die Rolle der Banque universelle (bezeichnenderweise meist furz l'Universelle genannt) gelegentlich aus Lächer liche. Silberminen am Karmel sollen ausgebeutet und. ein Straßennetz durch Kleinasien gelegt werden. Daran knüpfen sich die tollsten Kulturphantasien an. Erschließung des gesamten Orient, Ubertragung des Papsttums nach Jerusalem, Niederwerfung des Judentums (Saccard ist fanatischer Antisemit), und man bezeichnet sogar das Unternehmen als nouvelle. Croisade. Nicht minder sucht Zola den Eindruck zu erwecken, als ob ganz Paris Tag und Nacht nur von der Universelle träume, und die Herrschaft über Paris ist daher das Ziel, das Saccard bewußtermaßen anstrebt. Er ist le poète du million, der verfügt über eine glühende. Beredtsamkeit, die ein Geld geschäft zum Dichtermärchen umgestaltet". Als er aber nun gar wirklich die ersehnte Höhe erreicht hat, da wird er von einer Welle bengalisch-symbolischen Lichtes überflutet,

in der er zu einem legendarischen Wesen erbleicht. Es heißt daselbst: Il était réellement (1) grandi, soulevé d'un tel triomphe, que toute sa petite personne se gonflait, s'allongait, devenait énorme. Gerade wie Nana beim Wettrennen im Bois du Boulogne, so sieht Saccard bei der Weltausstellung des Jahres 1867 „das besiegte Paris erniedrigt zu seinen Füßen liegen. Es ist also unverkennbar, daß diese Art symbolischer Steigerung bei Zola völlig zur Schablone erstarrt ist, und damit entbehrt sie jeglichen künstlerischen Wertes.

Es ist nach all diesem Gesagten meine ernste Ueberzeugung, daß Zola, mag er für Frankreich sein was er will, jedenfalls für unsere junge aufstrebende deutsche Litteratur nicht länger als Führer angesehen werden kann. Gegenüber dem Wenigen, was wir auch jetzt noch von ihm lernen können, nimmt das Viele, wodurch er direkt schädlich und hemmend wirken kann, einen gar zu breiten Raum ein. Vor allem ist Zola ein viel zu unbedeutender, viel zu wenig wahrhaftiger Psychologe, ein gar zu tief in unfruchtbare Schwarzseherei geratener Melancholiter, ein zu schwerfälliger, umständlicher, pedantischer Berichterstatter und Wissenschaftler", als daß er nicht von der überall auf Individualismus, Fortschritt und frische freudige Beweglichkeit ausgehenden deutschen Litteratur durch eine chinesische Mauer geschieden sein sollte.

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Mit der unverwüstlichen, ewigbleibenden C-mollSymphonie Beethovens schloß Bülow die Reihe seiner diesjährigen philharmonischen Konzerte ab. Darf man Anfang und Ende einer Konzertsaison nach dem Anfang und Ende der vornehmsten und über alles Andere weit hinausragenden musikalischen Darbietungen bestimmen, so wäre mit dem letzten, gewaltigen C-dur-Accord jener Symphonie der Konzert-Winter 1890/91 formell erledigt. Was etwa noch in Aussicht ist, die üblichen Paffions- und Frühjahrskonzerte, das ist mehr oder weniger Episode und Nachspiel. Es bewegt sich dies alles ja auch zumeist, mit einigen Ausnahmen, in dem glatten Fahrwasser der geselligen Konvenienz und berliner Alltäglichkeit. Ziehen wir nun, wie ein guter Haushaltungsvorstand am Ablauf jedes Quartals, die Bilanz der diesjährigen Winterkonzerte Bülows; fragen wir, welchen künstlerischen Erfolg dieselben gehabt? Wie und in welchem Sinne haben sie den Geschmack des Publikums im weitesten Sinne gefördert? Die Antwort auf diese Frage würde selbstredend zunächst die Konzertdirektion Wolff geben, indem sie uns einfach eine quittirte Rechnung" in Gestalt einer, gedrängten Uebersicht" der Konzert-Programme vorlegt und den ästhetischen Teil der Fragebeantwortung ihrem Konzertbuch-Redakteur überläßt: aber ich bin kein Freund von gedrängten Uebersichten", in welcher Form sie auch präsentirt werden mögen, noch viel weniger von folchen Konzert-Buch-Extrakten, ich halte mich an den Geist, der durch Bülows Taftstock in allen zehn Konzerten

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