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schloffene Zusammenhang eines fertigen und notwendigen Charakters erscheint, von einer unendlichen Reihe winziger Zufälle allmählich gefügt worden ist. Die Auflösung der Melodie vollbrachten die Musiker, wie sie sich immer wieder verliert, aber gerade wenn sie ganz entäußert und an das Fremde verloren ist, immer am Ende sich wiederfindet, sich selbst in dem anderen. Die Schauspielerei konnte dahinter nicht zögern.

Die maskenstarren Typen des älteren Realismus vertrugen sich damit nicht länger. Das Wachsen und das Werden, die Bewegung und den Wechsel darzustellen, aus dem Unscheinbaren und Unmerklichen gerade, welches erst wirkungslos erscheint, das Große und Entscheidende zu entwickeln und plötzliche Ueberraschungen, auf die feiner gefaßt sein konnte, als etwas Notwendiges und Unvermeidliches vorzubereiten, daß man es dennoch ohne Verwunderung und wie ein Selbstverständliches hinnimmt

einen neuen Realismus (wenn man das nichtssagende Wort schon einmal will) verlangen so neue Pflichten. Menschliche Wirklichkeit, aber nicht, wie sie in irgend einem gegebenen Moment etwa erscheinen mag, nicht, wie sich aus ihren Handlungen und Schicksalen nachher die rückwärts schauende Betrachtung ihren Charakter gruppirt, sondern eben ihre langsame Formung und Zubereitung aus den Verhältnissen und Zuständen, ihren ganzen Prozeß in allen Stadien, alles Schwanken, Ueberwinden, Unterliegen das muß er verrichten.

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Das ist für die Schauspielerei die Aufgabe von heute und morgen. Es sind überall schon mancherlei Zeichen, daß in dem Geschmacke der Zeit mächtige Begierden nach ihr sich regen. Aber ich weiß in ganz Europa vorläufig doch eigentlich nur drei, die die neue Kunst schon be sißen: die Bernhard, die Réjane und Emanuel Reicher.

Die Bestrebungen der Moderne in München.

Bon

Otto Huling Bierbaum (München.)

Schlug man in der leßten Zeit eine Nummer des führenden Organs der bayrischen Centrumspartei auf, so fand man mit ziemlicher Sicherheit irgend eine bitterböse Auslassung über „die Gesellschaft für modernes Leben“, kurz genannt „moderne Gesellschaft“, oder noch kürzer „Die Modernen“. Bald war es ein Leitartikel, bald war es ein Feuilletonstück, bald eine Notiz: in allen Winkeln des frommen und streitbaren Blattes war ein Häuschen Gift zu

finden, Antidoton gegen den verruchten „modernen Gedanken". Und, damit es nicht langweilig werde, sondern immer wieder lustig zu sehen und zu lesen, so schleuderte man das giftige Gegenmittel bald mit dem armwerfenden Schwung fulminanter Kanzelrhetorik in die Menge des gläubigen Volkes, bald trug man es auf als Streuzucker über dem füßen Mehlbrei, seichter Wißelei bald auch legte man es fürsichtig und verstohlen an den Stufen nieder, welche in das Amtszimmer des Polizeipräsidenten führen. Eines aber war immer gleich dabei, die Grundbestandteile der Mittelchen zur Rettung der modernen infizirten Scelen: die Verdrehung und der Mangel an Verständnis.

Der äußere Grund zu diesen lebhaften Bemühungen einer wenig mittelwählerischen Gegnerschaft lag in dem großen Eindruck, welchen die Gründung der so wütend befehdeten Gesellschaft auf alle geistig vorgeschrittene Kreise Münchens gemacht hat. Mit heillosem Schrecken gewahrte man, daß aus allen Schichten der Bevölkerung stattliche Mengen dem Rufe der „Modernen“ folgten, die man bisher für ein Häufchen rabiater Umsturzköpfe ohne wesentlichen Anhang gehalten hatte. Und nun die erste Versammlung der Gesellschaft. In einem Saal, der bequem nur 350 Personen faßte auf mehr hatte der Vorstand nicht zu rechnen gewagt, saß und stand gedrängt eine Menge von über fünfhundert, und schier ebenso viele hatten vor den wegen lleberfüllung geschlossenen Toren umkehren müssen. Die fünthundert aber im Saale, so wenig angenehm der Aufenthalt bei dem Uebermaß der Zuhörerschaft war, harrten, Damen und Herren zum Teil eng gedrängt stehend, von Anfang bis zu Ende mit gespannter Aufmerksamkeit aus und bewiesen durchgängig das lebhafteste Intereffe. Merkwürdig war die ver

Wenn Reicher auf die Bühne kommt, so geschieht das nicht gleich mit dem offenen Steckbrief des ganzen Charakters. Er spielt nicht in der ersten Scene schon den legten Akt. Er schminkt sich nicht alles vergangene und künftige Schicksal auf die Wangen seines Helden. Er weiß das große Geheimnis, das alle moderne Psychologie und besonders alle Psychologie der Modernen ausmacht: die Vielheit des Ichs, daß jeder in jeder Stim-hältnismäßig starke Anzahl von Personen in vorgeschrittenem Alter mung und für jede Stimmung sein besonderes Ich hat und daß keiner zwei verschiedene Stimmungen hindurch derselbe ist. So, während die anderen immer von vorneherein ein nachträgliches Resumé des Charakters spielen, spielt er eben den Prozeß selbst des Charakters, in der ganzen Fülle langsamer Folgen und unvermuteter Reihen. Er ist der Ribot der Schauspielkunst.

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Mir ist es an seinem Willy Janikow am deutlichsten geworden, den er neulich in Stettin spielte: wie er diesen durchaus modernen, nervösen, sensitiven, wandelhaften und gegen die Eindrücke wehrlosen Künstler, der sich immer wieder an jede äußere Begegnung verliert, vierfach zerlegte, wie er den „Willy der größen Welt“ und die besondere Spielart des „Willy mit Adah allein“ von dem Willy des Elternhauses" und dem durch Riemann. wieder erwachten Siegfried-Willy" schied, während es durch eine unsichtbare, aber empfindliche Verbindung doch jedesmal wieder derselbe wurde, und wie er aus diesen vielen angenommenen und von der jeweiligen Umwelt auferlegten sieghaft am Ende die ursprüngliche Anlage und den eigentlichen Grund seiner unverderbten Natur befreiten das war wohl ein beispielloses, unvergleich liches Wunder. Das hat aus dem bedrückenden und quälenden berliner Schwindsuchtsdrama, das peinigte und verdroß, in Stettin die wirksamste und tiefste Tragödie gemacht, welche die neue deutsche Litteratur besißt.

und aus den bestsituierten Klassen. Dabei war das Programm des Abends durchaus nicht von besonderer lleppigkeit, und es ereignete sich noch das fatale Mißgeschick, daß die wichtigste und bedeutendste Nummer ausfallen mußte.

Ich will das Gebotene ganz kurz aufzählen: Der Vorsigende der Gesellschaft entwickelte in weiten Zügen die Bestrebungen des modernen, neuschöpferischen Geistes unter Bezugnahme auf die besonderen Bestrebungen der Gesellschaft, der Verfasser dieser Zeilen legte die Wesensart dieses Geistes an dem Neubilde der heutigen deutschen Lyrik kurz dar, Frl. Dandler, das begabte und beliebte Mitglied des münchener Hofschauspiels, trug zur näheren Kennzeichnung dieser Ausführungen Gedichte von Her. mann Conradi, Karl Henckell und Gg. Schaumberg vor, Herr Julius Schaumberger wartete mit ein paar Novellen auf (verfaßt von Frau Anna Croissant - Ruß, Frau Marie Conrad - Ramlo und ihm selber), und Herr Hanns von Gumppenberg behandelte das Thema „Deutsche Lyrik von gestern" mit den Mitteln seiner außerordentlichen parodistischen Begabuug. Dieser Darbietung sollte als Gegengewicht positiver Natur, wenn man an der Parodie nur den negativen Zug betrachten will, die Nummer folgen, welche der vortreffliche Charakterdarsteller, Hofschauspieler Bonn, übernommen hatte, dessen Mitwirkung aber leider durch die zu spät beendete Generalprobe von Ibsens „Hedda Gabler“ unmöglich gemacht wurde. Die Vonn'sche Nummer hätte bestanden aus Gedichten von Friedrich Niegsche (An den Mistral"), Detlev von Liliencron („Gewitter“, Cincinnatus"), Arno Holz („Samstagsidy¤“), I. H. Mackay („Der erste Ball“, „In der Gesellschaft“) und Karl Henckell („Sozialreform"). Dadurch, daß dieser Teil des Programms ausfiel, ers

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Geschicklichkeit macht den Eindruck eines glücklichen Treffers.

schienen die Parodieen als gewolltes Hauptstück, und dieser Umstand feine nächste Arbeit von den Direktoren sehr umworben werden. Ob erregte bei einer fchwachen Minderheit Mißfallen, zumal deshalb, | dieses Verhältnis dauerhaft sein wird, scheint mir zweifelhaft; seine weil auch die Größen des alten münchener Parnasses, die Heyse und Lingg, in die parodistische Scheere genonimen worden waren. Indeß, die Zischlaute der Mißznfriedenen standen durchaus in keinem nennenswert starken Verhältnis zu dem lauten Beifall, den im ganzen auch diese Nummer fand. Zunt Schluß brachte der Vorstand Mitteilungen über die freie Bühne. Diese lassen sich heute mit größerer Bestimmtheit dahin zusammenfaffen, daß die Gesellschaft für modernes Leben gegründete Aussicht hat, die Vorstellungen ihrer freien Bühne in einem der königlichen Theater und mit dessen künstlerischen Mitteln zu geben. In dieser Tatsache drückt sich der ideale und praktische Erfolg der münchener Modernen" am schlagendsten aus. Sie wäre freilich nicht möglich, wenn München nicht das Glück hätte, cinen künstlerisch so freisinnigen und wagemutigen Intendanten zu besigen, wie es Baron Karl von Perfall ist, der sich nicht blos als Beamter, sondern, und dies mit Fug und Recht, auch als Künstler fühlt. Man wird hier also wahrscheinlich das seltene Schauspiel der kühnsten fünstlerischen Experimente unter autoritativer Begünstigung erleben. Eine ganz unschätzbare Bedeutung hätte dies für die modernen Bestrebungen überhaupt; die Furchtseelen würden hoffentlich daraus ersehen, daß es sich bei den freien Bühnen nicht um die Propaganda sozialer und ethischer Umsturzideen, sondern um die Probe handelt, die man auf die Lebensfähigkeit modern künstlerischer Anschauungen machen will. Zur Aufführung an der freien Bühne sind u. A. in Aussicht genommen: Ibsen: „Gespenster", Julius Brand: „Nero“, Bahr: „Die große Sünde“, Mar Halbe: „Freie Liebe" (unter dem ürsprünglichen und richtigeren Titel: Ein Verhältnis“.)

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Zur Eröffnung des freien Kunstsalons" find Unterhandlungen mit dem genialen May Klinger angeknüpft.

*** Alles in allem also: Die Moderne hat in München alle Taschen voll guter Hoffnungen. Es ist ihr unbändig wohl zumute, denn sie hat Leben geschaffen, frischen Wind und Durchzug in die moderstaubige Atmosphäre einer unwürdigen Gleichgültigkeit gegen den Geist und seine neuen Ideale. Die alten Schlagwortlügen werden mit ruhiger Kampfesfreude erschlagen und begraben, die neuen. Werte öffentlich auf hellen, hohen Tafeln aufgerichtet vor allem Volke. Wenn auch die Clericalen mit ihren Kotkügelchen nach diesen neuen Tafeln zielen, - so hoch treffen sie doch nicht.

Theater.

Von

Fritz Mauthner.

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Deutsches Theater: Das
alte Lied", Schauspiel in drei
Aufzügen von Felix Philippi. Freie Volksbühne: „Der
Leibeigene", Schauspiel in 4 Aufzügen aus dem Russischen, des
Pissemskij.

„Das alte Lied" von Felix Philippi hat im Deutschen Theater cine ungewöhnlich starke Wirkung geübt. Der Verfasser, dessen bisherige Versuche es kaum über' Achtungserfolge gebracht hatten, hat nun das Unglück erlebt, daß bei seinem ersten wirklichen Erfolge die Achtung der ernsthaften Kritik, sich verminderte. Das sollte nebenbei über die wahre Bedeutung des schielenden Ausdrucks Achtungserfolg zu denken geben, da d

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So ist denn ein neuer großer Dramatiker von Publikums Gnaden entstanden, und die Kritik tut gut daran, ihren Angriff gegen dieses oft geschmähte und oftgepriesene Berliner Premiérenpublikum zu richten. Das Stück behandelt ohne weitere dichterische, philosophische oder legislatorische Absicht, den Fall eines Ehebruchs. Hundert Theaterreminiszensen werden durch berliner Straßennamen scheinbar zu einem lokalisierten Ganzen vereinigt, und Theodor Fontanes „Stine“ muß ihr rotes Blut hergeben, damit Philippi etwas Schminke daraus bereite. Ein berliner Rechtsanwalt wird also von seiner Frau betrogen. Die Entdeckung solcher Dinge macht auf der Bühne Effekt, ob nun wie bei Sardon ein ungewöhnlicher Scharfsinn oder wie bei Dumas ein ebenso ungewöhnlicher Zufall geholfen hat. Der Rechtsanwalt erfährt die Sache ganz überflüffiger Weise durch Zufall und Scharffinn zugleich. Er hat vorher gewissermaßen sein Versprechen gegeben, seine Frau vorkommenden Falls nur durch Verachtung zu strafen; sie würde also nach der Entdeckung mit einer Art von Succes d'estime aus dem Hause des betrogenen Rechtsanwalts gehen können. Endlich aber wiederholt sich das alte Lied: der betrogene Mann verliert zum Schlusse des dritten Aktes denn doch die wünschenswerte Ruhe, er sieht rot (wie es in französischen Romanen an dieser Stelle immer heißt) und ersticht sie mit der nächsten, der besten Waffe, diesmal mit einem zierlichen Ananasmesser, was wenigstens eine originelle Erfindung des Autors zu sein scheint.

Das Publikum nun ließ sich von dieser kleinen Ehebruchsgeschichte in Spannung halten, was sein gutes Recht ist; es lachte aber auch unbändig über die eingestreuten Poffenscenen und hielt das Ganze merkwürdigerweise für realistisch. „Ganz wie die Ehre!" hörte ich überall. Und da muß ich doch Hermann Sudermann gegen die Gleichstellung in Schuß nehmen.

Die erste Scene allein beweist, was sich das Publikum an unmöglichen Voraussetzungen bieten ließ. Die Frau Rechtsanwalt hat ein Rendez-vous mit dem Banquier Eduard. Die Frau Rechtsanwalt, welche von ihrem offenbar glänzend gestellten Gatten in jeder Geldfrage verwöhnt wird, läßt sich von Eduard zum Liebeslohn die kostbarsten Geschenke machen. Dieser selbe Eduard wohnt bei seinen Eltern und trifft die Geliebte darum in einer Wohnung, zu welcher die Liebesleute vom Tiergartenviertel eine dreifache Tour brauchen. Das Alles ist noch wahrscheinlich. Aber das Rendez-vous findet in dem berliner Zimmer einer Wäscherin statt und durch dieses Zimmer können ungehindert aus- und eingehen: zwei Chambregarnisten, zwei Töchter der Wäscherin und 4 Plätterinnen. Ein solches Rendez-vous sollte wirklich nicht mit dem Tode bestraft werden. Weiter. Zu 'diesem Rendez-vous mit der vornehmen Dame läßt der splendide Eduard 6 Flaschen Champagner und einen Hummersalat kommen. Dabei muß er doch unbedingt an die Chambregarnisten und die Wäschermädel gedacht haben. Um aber ́endlich die Glaubhaftigkeit voll zu machen, haben die Liebesleute unter sämtlichen 300 000 berliner Wohnungen sich diejenige ausgesucht, in welche der Rechtsanwalt als Vormund der Töchter jeden Augenblick eintreten kann. Auf dieser höchst wahrscheinlichen Voraussetzung baut sich das Stück auf.

Und ich war so frei, in dem Premièrenpublikum umherzublicken, und fah fast durchaus Damen, deren Schönheit den Gedanken an einen Anbeter wenigstens nicht ausschließt, und fah sehr viele jüngere und ältere Herren, deren Vermögensverhältnisse den Gedanken an ein Liebesabenteuer nicht gerade unmöglich macht.

ganz anders. Und eitt

Alle diese Herren und Damen haben gewiß noch niemals eine heimliche Zusammenkunft gehabt, aber einiges Nachdenken und der Wenn ich an das alte Lied künstlerische Maßstäbe anlegen wollte, Genuß guter Romane hätte ihnen doch sagen müssen: Nein, das ist so würde ich mich ohne Zweifel denen anschließen, welche den glück oder zwei unter den Zuschauern haben lule den glücklichen Verfasser in die Pfanne gehauen haben. Aber aus dem Stücke spricht so wenig eigene litterarische Persönlichkeit, es ist so sehr nur verwendbare Bühnenarbeit, es ist darin so wenig Kunst, daß der zornige Kritiker leicht eine offene Tür einrennen und sich selber mehr wehe tun könnte, als dem ficgesfrohen Verfasser. Denn der mag mit manchem andern hinter dem Rücken der Kritik jubeln; er wird für

auch gewiß durch ihre Erfahrung die Unwahrheit der Voraussetzung
nachweisen können; vielleicht sogar drei. Man fand aber das Idyll,
das Rendez-
das Rendezvous in einer Paffage entzückend, reizend, die un-
schuldige Blume auf dieser humusreichen Erde echt und wahr, den
jungen Arzt, der die Plätterin heiraten will und sich von Mutter und
Vormund Körbe holt, tragisch, hold die Frau Rechtsanwalt in ihrer

füßen Unvorsichtigkeit, und wollte sich endlich totlachen über eine Scene im cabinet separé (Sonderwirtszimmer sagen die strengen. Sprachreiniger). Zum Schluß aber hatte der Verfasser einen wirklich feinen Einfall; oder vielleicht schrieb er das ganze Stück dieser hübschen Wendung wegen zusammen. Der Rechtsanwalt überfällt das Pärchen in der Sonderwirtsstube. Eduard läuft natürlich davon. Schon daß Eduard davonläuft, ist gut beobachtet und sollte eigentlich ausreichende Strafe für die Frau Rechtsanwalt sein, welche einen Mann von einem Buben nicht unterscheiden konnte. Doch es kommt in Wahrheit noch besser. Der Rechtsanwalt bezwingt sich, will die Frau einfach fortschicken und ihr Gelegenheit geben, den Geliebten zu heiraten. Da erfährt er, daß zwischen Eduard und der schönen Leonie eigentlich gar kein großes Gefühl bestanden habe, sondern nur ein bischen Lüderlichkeit. Im Zorn ersticht er sie. Und das Publikum, | ivelches alle unwahren Scenen mit rauschendem Beifall begleitet | hatte, zuckte vor diesem schlecht geschriebenen aber gut empfundenen Auftritt zurück. Alle Bekannten Eduard's und Leonie's waren für❘ ein Weilchen peinlich berührt. Erst als der Staatsanwalt kam und dem brutalen Rechtsanwalt mit Plößensee drohte, da löste sich die Verstimmung wieder in allgemeine Zufriedenheit auf. Das stillose Stück wurde bald im Stile des Wallnertheaters, bald in dem des Deutschen Theaters vorzüglich gespielt. Unter den Darstellerinnen fiel diesmal Fräulein Reisenhofer auf, welche die sehr gefährliche Rolle der Frau Rechtsanwalt tapfer mit der anmutigsten Schamlosigkeit | spielte; an dieser Figur hätte das Schauspiel sonst leicht scheitern. fönnen.

Ein Ehebruchsdrama, wenn nicht von einem Dichter, so doch von einem hervorragenden Schriftsteller mit glänzender politischer Satire dargestellt und durch scharfe Beobachtung des heimischen russischen Bauernlebens zu einem Gemälde von voller äußerlicher Realität gemacht, würde am Sonntag vor einem Publikum von Sozialdemokraten in der „Freien Volksbühne“ aufgeführt. „Der Leibeigene“ von Alexis Pissemskij wird wohl bald auch über andere Bühnen gehen, und wir können uns freuen, daß die westöstliche Bewegung dieser Jahre uns näher mit Pissemskij bekannt gemacht hat, von dem man bisher nur einen Roman las; ich könnte über diesen Roman „Tausend Seelen“ hübsche Aeußerungen von Honegger abschreiben.

Pissemskij ist ungefähr zehn Jahre tot; wenn sein Stück also demnach einer älteren Litteraturbewegung angehört, so ist es für die jenigen unter uns sehr lehrreich, welche eine Erscheinung wie Leo Tolstoi nicht mit der gehörigen Kenntnis von seiner litterarischen Abstammung betrachtet haben. Tolstoi arbeitet als Künstler die Charaktere tiefer heraus und geht als Reformator über die politische Satire hinaus, wenn er wie die Mystiker vor 1800 Jahren, deren Weisheit ebenfalls vom Osten kam, dem Erlösungsbedürfnis der Menschheit beredte Worte leiht. Tolstoi ist ohne Frage eine weit stärkere Persönlichkeit. Aber das Schauspiel von Pissemskij ist dem Nichtrussen vielleicht verständlicher und in seinem Humor jedenfalls wirkungsvoller. In der Fabel ist viel Aehnlichkeit mit Tolstoi's „Macht der Finsternis“. Ein betrogener Ehemann, ein ermordetes Kind, am Ende freiwillige Buße des Mörders.

Aber das Stück „Der Leibeigene“ ist nicht modern im Sinne der leßten zehn Jahre. Die Leibeigenschaft, gegen deren furchtbare Konsequenzen der Dichter sich wendet, ist heute auch für Rußland historisch geworden; nicht alt genug, um den Stoff zu einem historischen Drama abzugeben, und doch schon zu alt, um die Gemüter unmittelbar zu erhißen. Das Verhältnis nur zwischen dem Leibeigenen und seiner Frau, dessen sakramentale Unlösbarkeit die selbstverständliche Vorausseßung des Stückes ist, t, würde von einem heutigen Dichter zum Angriffspunkte genommen werden. So kann das wertvolle Drama unter uns doch nicht mit voller Kraft wirken, und die Aufführung an der freien Volksbühne, so gut die Auftritte im Bauernhause gelungen waren, reichte bei der Darstellung der Gutsherren und der Beamten nicht aus. Vielleicht lag es daran, daß namentlich im zweiten Akte manche Längen unangenehm fühlbar wurden.

Die freie Volksbühne ist einfach das Theater der Sozialdemokraten. Die zweite Serie der Aufführungen macht das noch viel deutlicher; das Publikum besteht natürlich nicht aus interessanten Prole

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tariern, wie sie uns auf den Bildern der neuesten Schule wirkungsvoll und elend entgegentreten, sondern aus Arbeitern, welche am Sonntag eine Mark für sich und Frau oder Mädchen, vor allem aber für ihre Parteizwecke übrig haben. Man muß schon ein gutes Auge haben, um das Publikum der freien Voltsbühne etwa vom Sonntagspublikum der andern berliner Theater zu unterscheiden. Für dieses ursprünglich aus Parteiinteresse zusammengetretene Publikum bietet nun der „Leibeigene“ herzlich wenig Gelegenheit zu Demonstrationen. Heute würde fein Dichter den Stoff anfaffen können, ohne mit Recht oder Unrecht die Arbeiterbewegung zu be rühren. In dem Stücke Pissemskij's aber ist es der Hauptreiz, daß echt altrussisch der um sein Glück betrogene Leibeigene eigentlich ein Kaufmann ist, an Wohlstand, Bildung und gewissermaßen auch seinem Stande nach den Bourgeois des Dorfes überlegen. Dadurch fällt jede Vergleichung (und sie wurde allgemein erwartet) zwischen dem Lose der Leibeigenen und etwa den Leiden eines Fabrikarbeiters fort, und die politische Satire des Dichters wendet sich, wie ungefähr in unserer rormärzlichen Litteratur, gegen den Leichtsinn des Adels und gegen die Willkür der Beamten. So konnte in der Freien Volksbühne“ endlich einmal ein Stück ganz harmlos wirken und „Der Leibeigene" von Pisemski hatte einen ganz unverfälschten Erfolg. Ich muß bei meiner Ansicht beharren, daß es ein Fehler wäre, dem Arbeiterpublikum immer wieder die Schöpfungen der jüngsten Schule vorzuführen, so viele Berührungspunkte zwischen dem theoretischen Naturalismus und dem politischen Radikalismus auch bestehen mögen. Die neueste Richtung ist leider immer noch in ihren feinsten Arbeiten eine Kunst für Künstler geblieben und ein Parterre von Arbeitern nimmt sie auch nicht verständnisvoller auf, als unser Premièrenpublikum.

Aber imponirend ist dafür die Tatsache, daß die „Freie Volksbühne“ für 50 Pfennige so Tüchtiges zu leisten vermag und bei einem Programm, welches den Arbeitern und ihren Frauen ein ernstes und edles Sonntagsvergnügen verspricht. Bald wird jedes Stück vor einem dritten ausverkauften Hause gegeben werden können, und ich halte es für möglich, daß bis zum nächsten Winter sieben Serien vollzählig sind. Dann könnten die Leiter des Unternehmens ihre Mitglieder wie Abonnenten behandeln und hätten wenn die Arbeitszeit des Publikums es gestattet ein großes Theatergebäude Abend für Abend bis auf den lezten Play gefüllt. Ich glaube nicht an die Utopien eines sozialistischen Zukunftsstaates, weder an den von Bellamy noch an den von Mary. Aber diese fozialdemokratische Schöpfung verdient unbedingte Hochachtung, besonders, wenn wir daran denken, wie alle anderen Theaterunternehmungen fast immer für ihre Leiter ein Geschäft und für deren bestes Publikum ein Verdauungsvergnügen find. Vielleicht könnten die Direktoren, welche das zehnfache des Preises für die guten Pläße verlangen, etwas von der Freien Volksbühne" lernen; dem Publikum gegenüber wage ich einen. solchen Gedanken nicht auszusprechen.

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Das alles aber kam so... Wie ich sie kennen lernte, weiß ich nicht mehr recht, aber ich glaube durch einen Freund gelegentlich, bei einem Spaziergange im Tiergarten, zu Anfang des Sommers. Ich kann nicht sagen, daß sie grade besonderen Eindruck auf mich gemacht hätte.

Dann aber sahen wir uns wieder, und immer öfter... und so kam es, daß ich mich endlich in sie verliebte.

Es ist merkwürdig und klingt vielleicht komisch, aber was mich zuerst auf sie aufmerksam machte, was mir an ihr gefiel, war ihre etwas heiser klingende Stimme. Alles was sie sagte, bekam dadurch eine ganz eigentümliche Bedeutung; so jung sie war, klang es beinah weise, wirklich seltsam.

Und dann war ich in ihre Augen verliebt, wunderbare mattblaue Augen, von ganz feinen dunklen Wimpern umkleidet; und schmalen, sehr schmalen, graden Augenbrauen, die man für gefärbt halten konnte, wenn man nicht wußte, daß sie wirklich so dunkel waren; weil sie sonst aschblondes Haar hatte.

Und scharfe, energische Züge, fast zu herb; durchsichtig blaffe Wangen, über die zuweilen eine hingehauchte Röte glitt, wie ein Wolkenschatten.

Dabei war sie für ihr Alter kräftig und stark, schlank, mit jenen breiten, üppigen Hüften, die man so selten findet, jene Hüften, einer Eva würdig.

Ich weiß wirklich nicht, ob sie eigentlich hübsch war. Einige behaupteten, sie sei eine ganz eigenartige Schönheit, andere sagten, sie könnten nichts an ihr finden. Mich selbst reizte dieser Zweifel. Ich fühlte mich zu ihr hingezogen; denn in ihrem Wesen lag etwas, wie ein Rätsel; allein ich liebte sie anfangs nicht, weder mit dem Herzen, noch mit den Sinnen.

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Es lag kaum ein Hauch von Sinnlichkeit in ihr, aber auch so gar keiner. Das war das merkwürdigste. Und dann glaube_ich und das trug viel dazu bei, daß sie einen so seltsamen Reiz auf mich ausübte, war sie etwas schwindsüchtig.

Dieses blaffe, oft milchweiße Gesicht, und die breiten dunklen Flecke um die Augen verliehen ihr eine oft beunruhigende Wirkung auf mich.

Wir zerrten unsere Liebe hin und her, über vierzehn Lage, dann war es mit der Kraft unserer Entsagung zu Ende. Ich war ihr verfallen.

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Wir fühlten es beide. Es half nichts mehr! liebten uns.

Es war eine brennende Sehnsucht, die uns Ruhe mehr ließ, die uns verzehrte.

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Wir

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Und doch merkwürdig, wichen wir jeder Gelegen heit aus, die uns einander nahe bringen könnte.

Eine fast gereizte Spannung herrschte zwischen uns, daß wir aufingen, uns gegenseitig zu quälen; daß jene fleinen Reibereien nicht mehr ausblieben, die zu bestimmter Zeit immer aufzutreten pflegen.

Dann wieder gab es Tage, wo jenes Gefühl des Ineinanderfließens der Persönlichkeit mächtiger in uns war als je ...

Eines Tages, zu Beginn des Herbstes hatten wir einen Ausflug gemacht. Von Halensee waren wir am Bahndammi hin, dann die kurze Strecke durch den Föhrenwald nach Beelithof gegangen, wo wir zu Mittag aßen.

Der Garten war leer. Nur welke Blätter trieben sich am feuchten Boden hin.

Kein Mensch ging vorbei; niemand, außer den Wirtsleuten, war im Hause zu finden.

In den kleinen, niederen Zimmern herrschte ein melancholisches Halbdunkel, das uns ganz trüb stimmte.

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Ein paar halberfrorene Fliegen krochen über die rote Tischdecke, und zuweilen schlug ein kahler Ast an die Scheiben der niedrigen Fenster.

Dann gingen wir in den Wald hinein, bis hinüber zum See.

Das Moos war feucht. Nebel braute zwischen den kahlen Stämmen der Kiefern, einmal jagten wir ein Rudel Rehe auf. Zu zweien und dreien zogen sie sich langsam tiefer in den Wald hinein.

Ueber den Wald hin frächzte zuweilen rauh in die tiefe Stille hinein eine einsam fliegende Krähe. Dann kamen wir an das Waffer.

Tief unten lag es zu unseren Füßen, aber ganz von dichten wallenden Nebeln bedeckt, daß man vom anderen Ufer nichts erkennen fonnte. ..

Lange lagen wir dort, schweigend, bis die Nässe sich bemerklich machte, und wir wieder aufbrachen.

Sie hing in meinem Arme, mit jener süßen, lässigen Träumerei, die jeden Willen bricht.

Und wieder zurück durch den Wald, in dem das erste Abenddämmern erwachte, langsam, pfadlos, durch die Tür des Wildgatters auf die Chauffee; und nun während der See stärker nebelt, den Hügel hinauf zur Station, die mit ihren zahllosen weißen, grünen und roten Lichtern vor uns auftaucht.

Langsam, eng aneinander geschmiegt, wandeln wir den Perron auf und ab.

Ein Schnellzug rast vorbei, die Signalglocken läuten, auf dem Bahnsteig eine Schar Maurer mit ihrem Handwerkszeug und eine Anzahl herumstehender Reisender.

Wir sprechen kaum mehr miteinander. Was sollen wir uns viel sagen? Jeder weiß, was der andere denkt. Nur zuweilen schmiegt sich ihr Arm enger in den meinen, und ich fühle an meiner Wange, wie heiß ihr Atem geht, sengend heiß.

Endlich kommt unser Zug; zwei glühende Augen aus der Ferne, schnaubt er heran, fährt langsam ein, und hält dann.

Wir bekommen ein Coupé für uns allein.

Die Tür wird zugeschlagen, die drei Schläge der und weiter geht es.

Glocke

Erst sißen wir still neben einander, aber dann, schen und langsam schmiegt sie sich an mich und legt den kleinen, blonden Kopf an meine Schulter, und ich fühle ihre weichen Stirnhaare an meiner Wange wie eine Liebkosung. Und ich sehe auf sie herab, wie sie die Augen geschlossen hat, diese feinen schenen Mädchenaugen, und dann streift mein Mund leise darüber hin; aber sie bietet mir die roten Lippen, die feucht sind, und sich festsaugen an den meinen, bis sie die Arme um meinen Nacken schlingt und sie verkettet fester und inniger.

Ihr heißer Mund liegt an meinem Halse, und zuweilen läuft ein unmerkliches Zittern durch ihren Körper, aber keiner von uns spricht mehr ein Wort.

Wir wissen ja beide, daß es jezt zu spät ist. Es giebt kein Halten mehr, und ob wir darüber zu grunde gehen müßten...

Einmal wird an einer Station die Coupétür aufgerissen, daß die kalte neblige Nachtluft hereinschlägt, und wir aufschrecken aus unserer Umarmung.

Dann fällt sie wieder zu, und der Zug braust

weiter.

Die ersten Häuser von Berlin; tanzende Lichter rechts und links, dann ein heller bläulicher Schein wir fahren langsam in die Halle.

Ein wirrendes Drängen und Stoßen, durch das wir uns langsam durchwinden.

Es ist, als seien wir in einer ganz fremden Stadt. Alles um uns hat ein so fremdes, neues Aussehen, die

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Der Wagen rollt die Potsdamer Straße entlang, unter den halbentlaubten Bäumen hin.

Pferdebahnen kommen uns entgegen, Wagen aller Art rasen an uns vorbei. Auf den breiten Trottoirs eine wimmelnde Menschenmenge, die sich flutend an den hellstrahlenden Läden vorbeidrängt.

Jett langsam über die Potsdamer Brücke, links und rechts der schwarze Kanal, in deffen dunkler Flut sich die zitternden Lichtpunkte der Laternen wiederspiegeln.

Der Wagen wirft sich in der Kurve, daß sie halb gegen mich fällt, und nun sich anschmiegt, trögdem der alte Herr uns beobachtet, neugierig freundlich.

Was geht es uns an? Was fragen wir in diesem Augenblicke nach den Menschen!

Und ohne daß die anderen es sehen können, hat mein Arm sich langsam um ihren Leib gestohlen.

Sie schlägt die Augen zu mir auf, und ich lese es in dem bleichen Gesichte, in dem die Augen und der Mund wie Schattenflecke erscheinen, daß auch sie von brennender Sehnsucht verzehrt wird, nach einem Kuffe, in jenem ficbernden Wunsche, der sich kaum jemals einstellt, wenn man zu zweien ist, der aber an der Seele reißt, der uns peinigt, uns bis an die Grenze der Unklugheit treibt, in der Gesellschaft, grade unter den Augen von hunderten von Menschen.

Und langfam, wie um diese zitternde Wonne ganz in sich aufzusäugen, schließt sie die Augen..

Dann aber schreckt sie auf, weil das Sattelpferd ins Fallen geraten ist, ein prächtiger Brauner, stark und breit gebaut, der den Kopf so stolz wirft.

Die Vorderbeine hat er ausgegrätscht, und schon steht er wieder, der Wagen im vollen Fahren erhält einen neuen jähen Ruck vorwärts, und im nächsten Augen blick stürzt der Gaul aufs neu und kommt zu Falle.

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das

Der Wagen schiebt nach, der Kutscher reißt die Bremse an, der Gaul schlägt mit den Eisen gegen das Schußblech und liegt auf der Seite, im nächsten Augen blick ein schütternder Ruck, daß alle Fenster klirren, Pferd liegt ganz links, schon unter dem Wagen, der nicht mehr zu halten ist, und wieder - als ob der Wagen aus den Fugen gehen wollte, ein Stoß und die Räder gehen füirschend auch über die Vörderbeine des aufstöhnenden Pferdes.

Im selben Augenblicke, im vollsten Jagen auf dem andern Geleise ein Wagen! Die Pferde scheuen, ein Aufschrei, denn jeder sieht es, — und nun sind die Räder über den breiten Hals des gestürzten Gauls gegangen.

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schieben wollen, weil sie nicht sehen können, wie das Pferd Da sehe ich, wie sie den anderen Wagen zurückliegt. Die Räder müssen ihm so nochmals über den Kopf zurückgehen.

und heben ihn ganz aus den Schienen, schieben ihn feitIch rufe ihnen zu; und nun fassen wir den Wagen, wärts, bis das Pferd frei wird.

Jeht sicht man es, der Kopf eine blutige Maffe, schwarzes quellendes Blut, untermischt mit zerquetschten Hautfehen.

Die gebrochenen Beine werden mit Mühe unter den Rädern, aus der Schußstange und der Bremse, in deren Ketten sie sich verfangen haben, gezogen.

Es ist alles zermalmt; und nun faffen ein paar Männer den Gaul an Kopf und Schweif, und ruckweise schleifen sie das Tier über das Pflaster, bis hart an den Fußsteig.

Der Gaul sucht noch einmal den Kopf zu heben. Die großen, vorquellenden Augen schlagen sich noch einmal auf, ein Stöhnen, dann wie ein Krampf, der durch alle Glieder läuft, — und nun nichts mehr, als eine leb= lose zerfette Fleischmasse, ekelhaft und grauenvoll ohne gleichen.

Und dort die Else totenblaß, und läßt das Auge nicht davon, bis ich sie fast mit Gewalt am Arm faffe, um fie fortzuführen.

Es ist alles verflogen zerrissen.

...

Jählings hat sich uns der Tod entschleiert; den sie zum erstenmale gesehen hat; nicht jener langsame Tod, fenes Hinschwinden des Lebens, auf das man vorbereitet ist;- sondern unerwartet, mitten hinein in eine Stimmung, einen Rausch voller Lebensfreude, von der nun nichts mehr geblieben ist . . .

Schweigend gehen wir nebeneinander hin.
Nur einmal sagt sie: Mir ist so schlecht.
Ja, Kind, ja, ich glaube es schon.

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Wir gehen weiter, und wie etwas ganz selbstverständliches biegen wir in die Lüßowstraße ein, und so ohne ein Wort mehr, bringe ich sie nach Haus.

Als wir Abschied nehmen, schmiegt sie sich an mich und ich küsse sie... auf die Stirn.

Dann geben wir uns die Hand, und ich gehe Es ist noch früh. — Ich setze mich zu Hause hin und will arbeiten, aber es geht nicht recht.

Ich stehe auf und gehe in die nächste Kneipe. Das wie eine quälende Uebelkeit. Bier schmeckt mir nicht. Es steigt immer in mir auf

Und dann muß ich daran denken, wie so ganz anders dieser Abend hatte werden sollen.

Das Gefühl der Vereinsamung, der Verlassenheit überkommt mich, eine nicht auszufüllende Leere.

Und ich stehe auf, und gehe durch die dunklen Straßen, und vorüber an ihrem Hause.

Dort, ihre Fenster sind noch hell, die Gardinen herabgelassen; ich sehe den Lichtschein, bleibe stehen und blicke lange zu ihr auf.

die

Sie kann auch noch nicht schlafen, sie wacht gleich mir. Und ich gehe weiter, lange, mit unruhigen Gedanken, kommen und wieder zerflattern, solange bis ich müde geworden bin, totmüde; sodaß ich, heimgekommen, gleich einschlafe.

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