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lein Geist schwebte. Die Masse der Bildungsphilister erbaute sich platonisch an den Namen Lingg, Herz, Greif, Heyse, einige wußten auch, daß sich W. Jensen hier „Dichtens halber aufhält“ und freuten sich dessen; ihre geistige Nahrung aber war Benno Rauchenegger für den Werkeltagsgebrauch und bei festlichen Gelegenheiten, wenn eine Hoheit Geburtstag feierte oder Turner, Sänger, Schüßen einzogen, George Morin und Ernst von Destouches. Rauchenegger ist ein Lokalhumorist, der den guten Einfall hatte, gerade den Typus zu erfinden, der seines Erfolges Bedingung ist: den berühmten Nudelmeier, den liebenswürdigen Philister; Georges Morin und Ernst von Destouches sind selbst Typen, Urbilder des professionellen Dilettantismus, wenn dies Paradoxon erlaubt ist. Unter diesen Verhältnissen befand sich Nudelmeier sehr wohl, aber München besteht durchaus nicht, wie man zuweilen auswärts meint, lediglich aus Nudelmeiern, und diesen anderen gefiel weder die platonische Erbauung an bekannten Namen, noch die Nudelmeierei, noch das feierlich banale Auchdichtertum. Die, denen das nicht gefiel, gehörten durchaus nicht blos der Litteratur an, sie waren aus allen Kreisen, in denen es eine ehrliche Anteilnahme am Geistigen giebt. Ein Teil von ihnen sam= melte sich zwanglos zu einer sehr bunten Gesellschaft, die sich „ungespundet“ nannte und Jugend und Alter, Militär und Zivil, Wissenschaft und Kunst in sich schloß. Durchgängig und allen gemein war der Zug nach dem Neuen. Hier geschah es, wo die junge Litteratur und die junge Kunst sich Aug' in Auge schaute und gegenseitig verstehen lernte. Zumal die junge Litteratur war vollzählig vertreten. Auch Auswärtige kamen zu Gaste, so 3. B. Arne Garborg. Als Organ der Vereinigung konnte die „Münchner Kunst" gelten.

An diesem Tische der „Ungespundeten“ gedieh der Plan, all'

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Wir werden leicht für demütig gehalten, wenn wir uns

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Wie viele Leute sind glücklich vor lauter Dummheit.

das Neue, das nach Sammlung drängte, in einen weiteren Rah- | nicht überheben.
men zu fassen, um vor die weitere Öffentlichkeit als organisirte
Macht treten zu können. Denn in weitester Öffentlichkeit wollte
man nun, da offenbar die Sinne allenthalben wach geworden
waren, mithelfen an der Entwickelung „modernen schöpferischen
Geistes auf allen Gebieten: soziales Leben, Litteratur, Kunst,
Wissenschaft".

Die bereits bestehenden Beziehungen zwischen einzelnen hervorragenden schöpferischen Geistern aus allen Gebieten, die sich der neue Geist bereits erobert hat, praktisch auszuwerten, dem öffentlichen Geistesleben Münchens nußbar zu machen: Das also ist der Hauptzweck dieser neuen Gesellschaft. Es soll vor allem gezeigt werden, daß alle geistigen Bestrebungen der Moderne, alle Künste zumal, einem einheitlichen Zuge folgen, der freilich gerade cinen ungefesselten Individualismus betont, also keinesfalls auf Schablone hinausläuft. Daher wäre es denn auch ganz verkehrt, wollte man meinen, daß die neue Gesellschaft ihr Gepräge von irgend einer Persönlichkeit besonders erhielte. Sie ist erwachsen aus den Wünschen und Bedürfnissen einer großen Anzahl selbständiger Köpfe der Litteratur, der bildenden Künste und der Wissenschaft, sie wird also darauf halten, daß sie sich lediglich in Freiheit und unter eigener Verantwortung" des Einzelnen auslebt. Keineswegs auch will sie ihr Ziel in einem revolutionären Drauflosgehen erblicken, das die bestehenden Klüfte noch erweitert, sie will lediglich aufklären durch die Tat, indem sie all' jenen Irrtümern, die durch einseitige Schlagwortbetonung" entstanden sind, um mit der hiesigen Allgemeinen Zeitung zu reden, die wirklichen Erzeugnisse des neuen Strebens entgegenhält.

Sie trifft sich also mit den ähnlichen berliner Vereinigungen, den freien Bühnen und der „Freien litterarischen Gesellschaft“ auf gleichem Wege, nur daß sie, gemäß der großen Bedeutung der bildenden Künste für München, noch den freien Kunstsalon hinzufügt.

Das geistige Leben Münchens wird infolge dieser Gesellschafts

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Junge Bäume tragen herbe Früchte.

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Der echteste Pessimist ist der Pessimist wider Willen.

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Eine Gans schnatterte, bevor sie starb. —
Schwanengesang," sagten die anderen Gänse.

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Es giebt wahre Helden der Gleichgiltigkeit.

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„Das ist ihr

Den Weisen kann man nicht beleidigen, bei ihm haben die Menschen - Narrenfreiheit.

Fin de siècle und kein Ende.

Bon
Frih Mauthner.

So ist denn das leerste und sinnloseste Wort von den pariser Boulevards nach Berlin W. herübergekommen. Nicht nur der Eiffelturm und die hübsche Mörderin Gabriele sind tout ce qu'il y a de plus fin de siècle, sondern auch auf berliner Er= eignisse wird das Wort angewant. Der erlassene Fideikommißstempel und der unter Wasser gesezte Cirkus sind fin de siècle.

Von Koch ganz zu schweigen, dessen Erfindung natürlich höchst fin de siècle ist.

So

Wir sind vielleicht wirklich ein historisch gebildetes Geschlecht; jedenfalls aber sind wir ungeduldige Leute. Unsere historische Anschauungsweise befähigt uns, uns selbst auf Schritt und Tritt vergleichend zu beobachten und das Gleichgiltigste in unserem Dasein um deswillen wichtig zu finden, weil es nach hundert Jahren einem Kulturhistoriker wichtig erscheinen könnte. sammeln wir unsere eigenen Briefe und unsere eigenen menschlichen Dokumente, weil wir in der historischen Sammelwut mit der Vergangenheit fertig geworden und bereits bei der Gegenwart angelangt sind. Wir sind aber auch ein nervöses, ungeduldiges Geschlecht, und datiren voraus. Wir haben ja ganz recht. Die gute Hälfte von uns, die wir heute im Alter zwischen dreißig und siebzig Jahren irgendwo in der geistigen Bewegung stehn, wird den großen Rausch der Sylvesternacht zwischen dem neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert nicht mehr erleben, und da wir doch nicht ganz leer ausgehn möchten, so fangen wir den Spektakel gleich zehn Jahre vorher an. Erfahrene Schauspieler in ihrer Dekadenz pflegen ihr Jubiläum derart voraus zu feiern. Es ist auch wirklich das Sicherste. So wie etwa wackere Tischler= meister einem Schwerkranken noch bei Lebzeiten das Maß zum Sarge nehmen, sowie in einer tüchtigen Redaktion der Nekrolog für einen berühmten Mann, oder auch für einen bejahrten Fürsten lange vor dem Gebrauch bereit liegt, so sind wir in das leßte Jahrzehnt des neunzehnten Jahrhunderts mit dem erlösenden Worte fin de siècle eingetreten und gebrauchen es bald bewundernd, bald entschuldigend, immer aber finnlos.

Andere Zeiten haben ihrer Säkularfeier nicht mit solcher Andacht und Selbstberäucherung entgegen gesehen. Als unter dem seligen Kaiser Augustus die merkwürdige Säkularfeier stattfand, da dauerte der Spaß im Ganzen drei Tage und der Festdichter Horatius begnügte sich selbst bei diesem Anlaß mit einer frommen Biermimit, welche heutzutage von jedem Sylvesterartikel an Länge und Wichtigtuerei übertroffen wird. Und doch hatte das Säkulum damals gar hundertzehn Jahre gedauert und ahnungsvolle Gemüter hätten so wenige Jahre vor Christi Geburt empfinden können, daß auf den Trümmern einer alten Welt eine nene zu erstehen begann. Horatius wußte eben nicht, daß er fin de siècle war. Er war sich seiner Dekadenz nicht bewußt und war nicht stolz darauf ein décadent zu sein.

Achtzehnhundert Jahre später gab es wieder so einen Zusammenbruch mit dem gewohnten neuen Leben, das aus den Ruinen blühte. Da verfertigte Friedrich Schiller sein Fin de siècleGedicht und hatte Veranlassung auszurufen:

„Das Jahrhundert ist im Sturm geschieden,
Und das neue öffnet sich mit Mord.“

Sogar in solcher Zeit aber war ein Mann wie Schiller so wenig feierlich gestimmt, daß er ganz gemütlich einen seiner Helden noch unter die Erde zu bringen suchte, bevor er mit einem Manne wie Goethe den Sylvesterabend zwischen zwei Jahrhunderten verbrachte. Nicht einmal ein Toast scheint ausgebracht worden zu sein; denn Goethe schreibt seinem Freunde am ersten Januar 1800: „Ich war im stillen herzlich erfreut gestern Abend mit Ihnen das Jahr und, da wir einmal Neunundneunziger sind, auch das Jahrhundert zu schließen. Lassen Sie den Anfang wie das Ende sein, und das Künftige wie das Vergangene."

Das ist doch nicht ein bischen fin de siècle! Die beiden arbeiten ihre Aufgaben so ruhig weiter, als ob die Kalendermacher keinen großen Punkt gemacht hätten. Wir aber, wir sind fin de siècle durch und durch und bereiten uns schon zehn Jahre vorher auf den großen Rausch und den noch größeren Kaßenjammer vor!

Einige besonders freundliche Leser werden sich erinnern, daß ich schon vor Monaten einmal gegen den Ausdruck fin de siècle zu Felde zog. Es ist auch zu dumm, wenn die Menschheit sich selber wie einer Weinflasche die Etiquette mit der Jahreszahl aufflebt, und sich darauf noch etwas einbildet. Wenn wir noch Elfer wären! Wir aber sind ein ganz gewöhnlicher Kräßer. In der Jahreszahl steckt der hohe Wert nicht.

Nun ist aber die Sprache ein allmächtiges Ding; und wenn erst einmal die oberen Schichten von ganz Europa eine sinnlose Bezeichnung in ihr Wörterbuch aufgenommen haben, so bildet sich allmählich, wenn auch nicht gerade ein scharfer Begriff, so doch eine deutliche Stimmung heraus, an welche das Wort erinnert. Welche Stimmung, welche Kunst- und Weltanschauung ist also fin de siècle?

Da sind zwei Richtungen zu unterscheiden. Ein kräftiges, frisches Geschöpf ist niemals fia de siècle. Das Ding muß vielmehr schon völlig abgelebt oder aber es muß noch unreif sein. Der Klassizismus, der ruhig auf seinen Lorbeern ruht, ist ebenso wenig fin de siècle, als der neue Realismus, der keck seine Eroberungszüge begonnen hat. Ich will très fiu de siècle sein und einen Vergleich von dem Kochofen der Ärmsten und von der Küche der reichen Leute herholen. Kunstgeschmack und Speisengeruch zu vermengen ist ja sehr modern. Also: wenn das Alte fin de siècle sein will, müßten seine üblen Eigenschaften von den Feinschmeckern anerkannt worden sein. Alter Käse ist fin de siècle, natürlich noch mehr ein reifer Fasan. Auch in der moralischen Welt liebt der Roué die Fäulnis bei bestimmten Marken. Ju diesem Sinne ist unter den Franzosen Huysmans ganz und gar fin de siècle, ein magerer aber mürber Fasan. In der Kunstwelt scheint das Älteste dann für ganz modern zu gelten, wenn es in jugendlicher Verkleidung auftritt. Auf den großen öffentlichen Maskenbällen haben die angestammten Damen des Hauses noch Glück, wenn sie als Babys erscheinen. Und in Paris wird die hohe Tragödie allgemach durch die kindliche Pantomime abgelöst.

Ist das Alte mit Fasangeruch fin de siècle, so ist es auch das Ungeborene, das in den Fleischtopf des Verbrecherkellers wandert. Besonders ungelegte Eier find höchst fin de siècle. Und namentlich in Deutschland, wo der Name früher da war als das Kind, sollen wir seit einigen Jahren an ungelegte Eier als an die nächste Zukunft von Welt und Kunst glauben. Ungelegte Eier sind so recht unser Ideal. Sie haben keine feste Schale, sie lassen sich nicht ausbrüten, sie verderben sehr rasch. Daher kommt es, daß in Deutschland die neuesten Ideale so entfeßlich schnell auf einander folgen. Wir haben jezt etwa zehn Kunstrichtungen, zehn Arten von ungelegten Eiern, welche um die Priorität streiten.

Die Fäulnis und die Unreise wird von unserer Polizei vom Markte fern gehalten; beides aber hat seine heimlichen Liebhaber.

Es giebt un troßdem eine Kunst, welche durchaus fin de s'èrle ist, ohne darum gesundheitsschädlich zu sein. In dieser Bedeutung ist das französische Wort vollends unüberseßbar und kaum durch eine Vergleichung wieder zu geben. Ich sah vor Jahren einen Studienkopf von Alfred Stevens, der die Sache vorahnend getroffen hatte. vorahnend getroffen hatte. Das Bild hieß: die Sphing, heute würde es der Maler vielleicht „Fin de siècle“ nennen. Ein junges Weib vom Boulevard; sinnlich und tiefsinnig zugleich; die Gesichtsfarbe einer Schwerkranken und in den Augen die Glut von toller Lebenskraft; das Frauenzimmer hielt einen Finger an die Lippen und man wußte nicht, ob sie dem Vorübergehenden ein Zeichen gab, ihr un bock zu bezahlen, oder ob sie sich selber zurückhielt, die tiefsten Schmerzen des Zeitalters zu verraten. Natürlich war das Bild mit Meisterschaft gemalt. Eine vollendete Kunstleistung, welche die alte Romantik yon der Schmuzlache des leßten Regens wiederspiegeln sieht.

Fin de siècle ist sicherlich auch Jbsen. Aber gerade er löst uns vielleicht eines der Rätsel dieser Sphiny. Wie kein andrer Dichter dieser Übergangsepoche hat er uns die nächsten Ziele gewiesen. Der verzweifelte Peffimismus, der fast vor hundert Jahren auffam, und sich in einen ethischen Nihilismus zu verwandeln drohte, wird bei ihm zu einer ironischen Resignation. Der weinerliche Trübfinn der Kunst, der sich am liebsten und schnellsten von törichten Possen vertreiben ließ, wird bei ihm zu leise lächelndem Ernst. Und endlich die Hartherzigkeit des ablaufenden Jahrhunderts, welche schließlich mit Sentimentalität, mit Tränen seliger Liebe zu den Mühseligen und Beladenen sich selber täuschen wollte, wird bei Ibsen zu einem gewissen harten Mitleid, wenn das Beiwort gestattet ist. Ähnlich wie bei Lessings Schöpfungen fehlt auch in den Dramen Jbsens ein geheimnisvolles Kräutlein, das, was Goethefche Lieder zu Goetheschen Liedern macht. Doch ähnlich wie bei Lessing, wenn auch in viel beschränkterem Kreise, hat Jbsen von einem Hügel das Land der Verheißung gesehen. Mit ihm vor allen andern kommen wir über die dumme Übergangsepoche hinüber und fühlen die starke Luft des zwanzigsten Jahrhunderts.

Auf diesem Wege kann uns selbst der abscheuliche Ausdruck fin de siècle nüßlich werden. Es ist so recht geeignet, uns die Übergangsjahre widerwärtig zu machen und uns mit Sehnsucht nach dem kommenden Ideal zu erfüllen. Selbsterkenntnis ist auch hier der Anfang der Besserung.

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Wir sind fin de siècle!

Wir sind rechte Efel!

Wer die Sonne will, der ist verdreht."

Haben wir uns erst mit dem neueren Dichter, der diesen

dem gedruckten Wort „Stand“ das Wort „Maler" geschrieben. „Aber ich bin ja kein Maler, ich bin ja Schriftsteller!" ,,So? na hier steht aber: Maler“, und dann wird's ja wohl richtig sein." Gut, so mag es stehen bleiben. Ein Kern der Wahrheit ist ja auch darin. Und zudem kann man auf Reisen, ich habe es 1886 in Sofia gleich nach der Entführung des Fürsten Alexander erfahren! in Lagen kommen, in denen die amtliche Bestätigung, daß man ein Maler sei, manche Ungelegenheiten erspart, denen uns der Berufstitel: Schriftsteller oder Korrespondent sicher ausgesezt haben würde.

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Aus jener von 1871 datirenden Berufsangabe in dem alten Registerbuch, welcher als das Geburtsjahr die Zahl 1824 zur Seite steht, geht es hervor, daß ich erst ziemlich spät in meinem Leben den einen Beruf mit dem andern endgiltig vertauscht habe. Geschrieben neben dem Malen und Zeichnen hatte ich damals zwar schon seit manchen Jahren, und hatte dies Geschriebene auch längst schon in Zeitungen, Wochen- und Monatsschriften, ja sogar in einigen Büchern, Albums 2c. gedruckt ge= sehen. Aber diese schriftstellerische, journalistische Tätigfeit hatte mir bis dahin doch nicht als die hauptsächlichste, nicht als meine eigentliche Berufsarbeit gegolten. Ich kam mir selbst noch als ein „Wilder", als ein Freischärler im großen Heere der deutschen Schriftsteller vor, scheute auch fast, mich offen dazu zu bekennen, ja mir selbst es einzugestehen, daß ich bereits zur Klasse der „Berufsverfehler" gehörte; wunderte mich aufrichtig darüber, wenn mein Geschreibe bei dem Publikum wie bei den Redaktionen, den Zeitungsverlegern und den

vortrefflichen Reim gefunden hat, ganz und gar von der Unzu kritischen Genossen vom Fach wohlwollende freundliche

friedenheit, von dem Hasse gegen die Lüge unsrer Epoche durchdringen lassen, dann sind wir nicht mehr fin de siècle, sondern können hoffen, das lezte Jahrzehnt in ruhiger Arbeit mit der Ausstattung des zwanzigsten Jahrhunderts auszufüllen.

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Zwei Tage vor dem Antritt einer größeren Reise gehe ich zum Polizeibüreau meines Viertels und ersuche den mit derartigen Amtshandlungen betrauten Schußmann, mir das Formular auszufüllen, das man zur Er langung einer Paßkarte vorzulegen hat. Mein Signalement, die Art des Wuchses, die Haare grau, Augen blau, besondere Kennzeichen fehlen, sieht er mir mit raschem Beobachterblick von der Gestalt und vom Gesicht ab, um es in das Formular hineinzuschreiben. Die Angaben über Alter und Stand entnimmt er einem alten vergilbten Registerbuch, das er aus seinem Repositorium herausholt Alle Häuser des Reviers, die Besizer, Mieter und sonstigen Bewohner aller Wohnungen in denselben sind auf dessen Blättern verzeichnet; die Daten ihrer Geburt und ihres Einzugs, das Amt, der Beruf, die Kunst, das Handwerk, womit sie sich und die Ihrigen erhalten. Ich hause in derselben Mietswohnung bereits seit neunzehn Jahren. Wie der Beamte mir den ausgefüllten Zettel übergiebt, sehe ich hinter

Aufnahme fand, und zeichnete noch immer kaum minder fleißig auf Papier, Holz und Stein nach der Natur und nach Illustrationen, als in den vorangangenen Jahrzehnten.

Man kann bekanntlich auf sehr verschiedene Façons selig werden und auf sehr verschiedenen Wegen und Umwegen zur Ausübung des Berufs gelangen, für welchen man eigentlich geboren", durch besondere geistige AnLage und gesamte Organisation eben zu meist berufen und begabt war. Unter den Dichtern und Schriftstellern, deren Arbeiten ihren Namen mehr oder weniger bekannt und berühmt gemacht haben, find diejenigen die Ausnahmen, welchen, wie die Phrase lautet, der Genius frühe schon die Stirn geküßt" hat. Ja diejenigen welchen in ihren Knaben und Jünglingsjahren schon ein Strom gedrängter Lieder sich unaufhaltsam neu gebar," hat man oft genug sich zu recht mittelmäßigen stümperhaften Poeten und „Lohnschreibern“ entwickeln gesehen, wie so viele ja von vermeintlichen Malergenics, welche die lieben Ihrigen und die Befreundeten als Jungen schon durch ihre Kompositionen in Staunen verseßten, zu ganz untüchtigen dilettantischen Künstlern. Aber ein starker innerer Drang, eine tiefe leidenschaftliche Neigung dazu, das, was sie mit innerm Aug', mit äußern Blicke sahen, was sie dachten und empfanden, in geschriebenen Worten wiederzugeben, um der Menschen Seelen zu ergreifen und zu fesseln, ist zweiffellos bei den meisten vorhanden und mächtig gewesen, welchen lezteres je gelungen ist, welche sich in der Litteratur ihrer Zeit eine irgend hervorragende anerkannte Stellung oder auch nur die Beliebtheit bei einem bestimmten Leserkreise zu erringen vermocht haben.

Daß mir, als ich bereits weit, weit über die Lebensmitte hinaus gelangt war, gelangt war, ein solches

Glück

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nach meiner innigen Überzeugung über Verdienst und Würdigkeit zu teil geworden ist, dafür empfing ich seit seit Jahren, und empfange ich jest erst recht, so viele untrügliche Beweise, daß ich an die Tatsache wohl glauben muß. Aber, offen be kenne ich es hier: von jenem Drange, in Versen oder Prosa mein Denken und Empfinden, meine Anschauungen, Beobachtungen, Meinungen noch anders als in Briefen, Schriften und Tagebüchern auszusprechen und „meinem Volke darzubringen", mich gedruckt, mein Haupt mit dem Lorbeer des Dichters, des Schriftstellers oder auch nur des Kritikers geschmückt zu sehen, habe ich in meiner Jugend nie etwas in mir verspürt; wenn ich freilich auch von Kindheit an von einem auf litterarische Nei= gungen hindeutenden Leseheißhunger, der mich ganze Bibliotheken verschlingen ließ, besessen war, und in meinen kunstakademischen Studienjahren am liebsten mich meistens Schriftstellern und Poeten angeschlossen hatte. Und troß jenes mangelnden Wunsches und Dranges hat mich, wenn auch erst spät im Leben, eine wunderliche Verkettung von Umständen - von sogenannten Schicksalsfügungen würden diejenigen sagen, die sich an die Wichtigkeit ihres Einzellebens und an das ganz persönliche Interesse eines großen Unbekannten in ihrem Wohl und Wehe den kindlichen Glauben bewahrten! dahin geführt, daß ich schließlich zum Schriftsteller ge= worden bin, meinen Polizeibeamten rektifiziren mußte, und nachgerade mir selbst sage:

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Wie das so gekommen ist? Das ist eine wunder liche Geschichte. Es war im November 1852. Ich bewohnte mit meiner jungen Frau und zwei kleinen Kindern die armseligste kleine Wohnung unter dem Dach im Hofflügel eines Hauses der Friedrichstraße nahe dem Oranienburger Thor; eine Wohnung, die aus einer Stube und einer unheizbaren Kammer bestand. Kein anderer Raum, nicht einmal eine Küche, gehörte dazu. An dem einen der beiden kleinen Fenster malte und zeichnete ich Porträts für das erbärmlichste Honorar. Die meiste Zeit aber war ich außer dem Hause beschäftigt; in den Werkstätten von Bildhauern, für die ich ihre Gipsmodelle und Marmorwerke zeichnete. Die Photographie befand sich damals bei uns noch im Kindheitsstadium ihrer Entwicklung, und es gelang noch schwer und nur sehr ungenügend, Aufnahmen, selbst von plastischen Werken, zu machen. So war unsern Bildhauern ein sichrer Zeichner willkommen, der ein treues Bild von ihren Schöpfungen auszuführen verstand.

Durch das Revolutionsjahr, dessen Ereignisse mich nur zu sehr in Mitleidenschaft gezogen hatten, und durch des Vaters unerwarteten Tod waren meine künstlerischen Studien unterbrochen worden. Ich sah mich plöglich auf mich selbst und meine eigne, noch ziemlich unfertig ausgebildete Kraft gestellt, um den Kampf ums Dasein aufzunehmen, und erhielt in demselben zunächst nichts als Niederlagen. Aber, wenn der in mir damals noch immer mächtige Einfluß der Romantik, verstärkt durch den eines seit dem frühsten Jünglingsalter schon leidenschaftlich betriebenen Kultus Jean Pauls, viel Schuld an meiner praktischen Untüchtigkeit trug, die ich auf Tritt

und Schritt im Leben schmerzlich zu erproben hatte, so dankte ich beiden anderseits doch wieder die tröstliche Fähigkeit, den Honig selbst aus den schlimmsten Bitterkeiten dieses Daseins herauszufinden und zu saugen. Ja, sie hatten ihren starken Anteil an einer, wie die Verhältnisse lagen, ganz unverständigen Handlung, an meiner echt romantischen Heirat, gerade in jener Zeit der gänzlichen Mittellosigkeit, da ich und mein schöner braunäugiger schlanker achtzehnjähriger Schaß buchstäblich nicht, ein Bettchen, ein Tischchen, einen Stuhl" unser eigen nennen konnten.

Wir haben nichts umsonst im Leben und werden für unsre Handlungen belohnt und bestraft durch deren Konsequenzen. Ich habe das damals gründlich an meiner eignen Haut erfahren! Aber troz aller Not und Plage, tros des fümmerlichen und beengten Daseins, der Entbehrungen härtester Art und des notgedrungenen Ver= zichtes auf manchen kühnen und schönen Jugendtraum, wie auf die höhere künstlerische Tätigkeit in dem Vertehr mit geistigen Genossen, und alle Genüsse der Gesell= schaft empfand ich, (wie immer auch im späteren Leben) die Freuden, welche mir aus jenem törichten" Schritt erblühten, noch viel stärker, als die Leiden und Schmerzen, die er zur natürlichen Folge hatte. Mit einem aus Schauder und Wonne eigentümlich gemischten Gefühl denke ich heute noch an die Jahre 1850, 51, 52, jene Jahre des Elends, des vergeblichen Ringens, der Demütigungen, des Hungerns, selbst mit ihrer durch das Alter dennoch nicht zerstörten Fülle reinen menschlichen Glückes zurück.

Damals im Sommer und Herbst 1852 führte ich im Auftrag Franz Dunckers, des Verlagsbuchhändlers, eine Steinzeichnung nach dem großen Gipsmodell eines, das Anschlagen der Thesen an die Tür der Schloßkirche zu Wittenberg durch Luther darstellenden, Hochreliefs aus, welches Herrmann Heidel, der Bildhauer für das Martinstift zu Erfurt gearbeitet hatte. Heidel (geb. 1810 zu Bonn, gest. zu Stuttgart 1865) ein Schüler Schwanthalers, ein für einen Bildhauer litterarisch zu gebildeter Künstler von reicher Phantasie und originellem Geist, lebte seit 1843 in Berlin und war dem Dunckerschen Hause intim befreundet; ja er spielte lange Zeit, bis ein Mächtigerer tam, in demselben die erste Rolle, in dem merkwürdigen Kreise von Schriftstellern, Künstlern, Gelehrten und Politikern, welcher sich um die Herrin des Hauses, Frau Lina Duncker, als um die Zentralsonne gebildet hatte; eine Frau, die, jedes Reizes der äußeren Erscheinung entbehrend, durch ihre von allem Gewohnten gründlich abweichende, originelle Natur und Geistesart, die bedeutendsten Männer von der verschiedensten Gattung gleichmäßig anzuziehen und zu fesseln, ja sich nöllig sklavisch zu unterwerfen verstand.

Franz Duncker ließ außer diesem Relief aus Freundschaft und Bewunderung für Heidel noch mehrere reliefgeschmückte Kleinkunstwerke desselben durch mich zeichnen, deren Holzschnitte als Illustrationen für eine von ihm projektirte Kunstzeitung verwendet werden sollten.

(Ein zweiter Aufsaß folgt.)

Verantwortlich: Otto Neumann-Hofer, Berlin. Verlag von F. & P. Lehmann, Berlin W., Köthenerstr. 30.

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Erscheint jeden Sonnabend. — Preis 4 Mark vierteljährlich. Bestellungen werden von jeder Buchhandlung, jedem Postamt (Nr. 3589 der Postzeitungsliste), sowie vom Verlage des ,,Magazins" entgegengenommen. Anzeigen 40 Pfg. die dreigespaltene Petitzeile.

60. Jahrgang.

Preis der Einzelnummer: 40 Pig.

Berlin, den 10. Januar 1891.

Nr. 2.

Inhalt: Hermann Sudermann: Sodoms Ende, Aft IV, Scene 11 bis 21. Hildegard Nilson: Eine spiritistische Sigung im Irrenhause. Hermann Bahr: Der belgische Shakespeare (Maurice Maeterlinck). Ludwig Pietsch: Wie ich Schriftsteller ward. II.

- Johannes Schlaf: Unter Papieren.

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Glas Waffer!

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ihre Nester

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Adah. Sie meinen Weiße. Natürlich natürlich leider. Also, die ihr Nest in die Wipfel der menschlichen Erkenntnis gebaut haben.

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Adah (die Pastille einrührend). Soll das eine Liebeserklärung werden?

Weiße. Die kommt später! Sehn Sie, und mit diesen heimlich halben Lauten möcht' ich Ihnen gern 'n guten Rat geben. Ganz umsonst... aus gutem Herzen. Denn ich bin auch ein edler Mensch, wie Papa Janikow sagt.

Adah. Wo will das hinaus?

Weiße. Sie haben mich Ihres Vertrauens ge

Adah. Bis das Wasser kommt, wollen wir würdigt, als es galt, Ihnen den jungen Maler von plaudert.

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