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Wo ich einst im sumpfgen Thale
Meinen Lenz sah trüb' erblühen,
Dorthin mit des Blizes Strahle
Laß ich die Gedanken ziehen.
Meiner Heimat Klängen lauschen
Will ich aus der Wolken Höh',
Mit dem Sturm dann niederrauschen,
Sinken in die tiefe See!

Main acht.

(Sestine.)

Noch niemals wurde eine mild're Nacht
Begrüßet von der Schar der holden Sterne
Am Stromesufer und im Glanz der Wellen;
Und träumend zittert' auf betautem Rasen,
Durchbrechend rings die Schatten an den Hügeln,
Das Licht des alten, einsam-stillen Mondes.

O reines, keusches, strenges Licht des Mondes,
Welch' linde Düfte stiegen durch die Nacht
Zu dir empor von all den wald'gen Hügeln!
Mir war's, als schwebten bei dem Schein der Sterne
Die zarten Nymphen über'm grünen Rassen,
Und sanftes Flüstern tönte aus den Wellen.

Nie schiffte selbstvergessen durch die Wellen
Ein Liebespaar bei schöner'm Licht des Mondes,
Als liebelos ich's sah hier auf dem Rasen;
Mir schien, als strahlt der Zauber dieser Nacht
Den Guten nur, als sendeten die Sterne
Der Freunde Geister nieder zu den Hügeln.

Ihr Schläfer in der Muttererde Hügeln,
Und Ihr, die leis umspület von den Wellen
Am Himmel wandern seht die klaren Sterne,
Euch alle sah ich bei dem Licht des Mondes,
Wie Ihr erwachtet in der stillen Nacht
Und leichten Fluges schwebtet auf dem Rasen.

meine Jugendzeit, hier auf dem Rasen
Durchlebt' ich wieder dich auf diesen Hügeln,
Und in die Tiefen floh besiegt die Nacht.
Ich sah ein Antlig tauchen aus den Wellen,
Gezeichnet von dem sanften Licht des Mondes,
Und drin als Augen lächelten zwei Sterne.

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Verlag von F. & P. Lehmann, Berlin W., Köthenerstr. 30. Gedruckt bet Julius Sittenfeld in Berlin W.

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Erscheint jeden Sonnabend. – Preis 4 Mark vierfeljährlich. Bestellungen werden von jeder Buchhandlung, jedem Postamt (Nr. 3589 der Postzeitungsliste), sowie vom Verlage des „Magazins" entgegengenommen. Anzeigen 40 Pfg. die dreigespaltene Petitzeile.

60. Jahrgang.

Preis der Einzelnummer: 40 Pig. &

Berlin, den 28. Februar 1891.

Nr. 9.

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Inhalt: Ludwig Pietsch: Wie man Schriftsteller werden kann. VIII. Adolphe Landeresse: Zolas neuester Roman (L'Argent). Dla Hansson: Tor Hedberg und Jonas Lie. Fr. Helbig: Die Geschichte des Problems des Grafen von Gleichen (Schluß). Theater von Frig Mauthner: Turgenjev's Gnadenbrot" und Fabers Fortuna". Alfred Kerr: Die Zeitschriften und die Litteratur. Litterarische Neuigkeiten: Adolf Schäffer's Geschichte des spanischen Nationaldramas; Adelheid Weber's „Eheglück“; Hans Londs „Neuer Gott"; Westbury's Acte"; Das Grillparzerjahrbuch.

Unbefugter Machdruck wird auf Grund der Gesetze und Verträge verfolgt.

Wie man Schriftsteller werden kann.

Von Ludwig Pietsch.

VIII.

Mieter kleiner Wohnungen in Berlin waren damals, und sind wohl kaum weniger auch heute noch, zu einer Art nomadischer Existenz verdammt. Es war und ist ihnen nicht vergönnt, für längere Zeit seßhaft in einem Quartier zu werden. So trat denn auch für mich im Herbst jenes Jahres 1853 die Notwendigkeit ein, die Wohnung in dem Gärtnerhause in der Ließower Wegstraße mit einer andern zu vertauschen. Prince-Smith hatte mir dringend zugeredet, eine etwas anständiger disponirte zu suchen, deren Zimmer man betreten könne, ohne erst die Küche passiren zu müssen. Zu unsrer nicht geringen Freude fanden wir eine solche Wohnung in einem eben vollendeten kleinen Hause in der Bendlerstraße (einem der wenigen aus jener Zeit, die heute noch ziemlich unverändert stehen geblieben sind, gegenwärtig Nr. 13). Drei Zimmer und Küche, und noch dazu im Erdgeschoß, und gar mit einem Balkon vor der Glastür des ersten Zimmers! Der Mietspreis freilich erschien mir fast unerschwinglich: Hundert Thaler jähr lich! Aber ein frischer Wagemut war über mich gekommen und Prince-Smith übernahm freundschaftlich die Garantie, falls es einmal am Quartals-Ersten hapern sollte.

Die Bendlerstraße, damals die lezte, westlichste, der vom neuen Landwehrkanal zum Tiergarten führenden Straßen, hatte noch ein ziemlich ländliches Gepräge. Ein paar vereinzelte Landhäuschen inmitten von Gärten standen auf ihrer Westseite zwischen dem Tiergarten

und unserem, in der Mitte der Länge zwischen diesem und dem Kanal errichteten, schlichten zweistöckigen, aber mehr städtisch ausschauenden Hause, dessen Parterrewohnung ich dem Besizer, Töpfermeister Friebe, abmietete. Heute befindet sich ein Kolonialwarenladen darin. Den übrigen Raum bis zur " Grabenstraße" (Königin Augusta-Straße) nahm eine große sumpfige Wiese ein, die sich gegen Westen hin bis zu den Zäunen einiger erst vom Kanal begrenzten Privat-, Wirts- und Konzertgärten dieses Teils der Tiergartenstraße erstreckte. Eine Allee von hohen italienischen Pappeln und mächtigen alten Weiden zog sich über jene Wiese vom Kanal aus bis zu einem merkwürdigen alten Gartenhause, das tief hinter den Häusern der Bendlerstraße inmitten der ausgedehnten Gartengrundstücke des Handelsgärtners Delacror, unter Bäumen und hinter Hecken versteckt lag.

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Auch auf der Ostseite war die Bendlerstraße erst wenig bebaut. An der Ecke der Tiergartenstraße stand das bis heute noch unverändert gebliebene, langgestreckte einstöckige fast dörflich ausschauende weiße Haus, welches Th. Fontane in seinen Erinnerungen an den Dichter Scherenberg, der es einst bewohnte, schildert. Darauf folgte der hübsche schattige Kaffee- und Konzertgarten, der ehedem Heinzelmanns Elysium" genannt war, und sich damals eben in das „Marienbad", eine große Badeanstalt inmitten eines Wäldchens von alten Birken-, Pappeln- und Kastanienbäumen verwandelt hatte. Das legte Haus auf dieser Ostseite, unserm Friebeschen gegenüber, war eine der schmucksten unter den in jener Zeit in diesen Quartieren vorhandenen Villen. Sie wurde von einer reichen berliner Familie Jacobson bewohnt. In ihrem Vorgarten an der Bendler= straße stand ein prächtiger rotblühender Kastanienbaum; im Frühling immer der Gegenstand der Bewunderung aller Vorübergehenden. Ein langer Bretterzaun begrenzte

von hier ab die Ostseite der Bendlerstraße bis zu dem Fabrikgebäude, das die Ecke an der Grabenstraße, der Sumpfwiese gegenüber, einnahm.

Auch die ganze Gegend dieses nun so vornehmen und bevorzugten, dicht bebauten Viertels zwischen Kanal und Tiergarten, Bendlerstraße und Lichtensteinallec war zu jener Zeit und noch lange nachher in ihrem Aussehen nicht minder grundverschieden, von dem gegen wärtigen, als es die, im zweiten Abschnitt dieser Erinnerungen geschilderte cinstige Erscheinung der jenseits des Kanals ausgebreiteten Landschaft zwischen ihm. und Wilmersdorf, der Potsdamerstraße und dem Zoologischen Garten von dem sich dort heute bietenden Bilde war.

Für die Fantasie der Berliner von 1891 mag es nicht leicht werden, sich dies einstige Aussehen zurück zu konstruiren und sich eine klare Anschauung davon zu bilden. Es ist wirklich nicht nur der verschönernde Duft der Zeitferne, welcher mir dasselbe in der Erinnerung so viel reizvoller erscheinen läßt, als das heutige, troß der Menge von geschmackvollen, prächtigen und kunstschönen Gebäuden, welche sich, freilich zwischen manchen modernen, architektonischen Gräueln, auf diesem weiten damaligen Wiesen- und Gartenterrain erheben. Auch hier, wie in der früheren Wohnung in der Liezower Wegstraße, umgab uns im Frühling und Sommer, wohin man blickte, „rings von duft'gen Gärten ein blütenreicher Kranz." Nur hatte alles, was auf diesem rechten Ufer des Kanals in größerer Nähe des Tiergartens lag, einen gleichsam sonntägigeren Schimmer, eine viel weniger dörfliche Physiognomie als das jenseits Gelegene.

Ich weiß wohl, daß diese Schilderungen mich ziemlich weit ab von meinem eigentlichen Thema führen. Aber ich denke, das Beste an solchen Berichten von eigenem Erleben, Wirken und Schicksal sind gerade die Abschweifungen von der geraden Straße der Erzählung, und ich scheue mich daher auch nicht, diese Irrgänge oder Seitensprünge noch eine Strecke lang weiter fortzuseßen.

Regenten-, Hildebrandts Privat-, Hohenzollernstraße hatten das weite, grüne Meer der westlich an die Bendlerstraßenwiese angrenden Parks und prangenden Gärten noch nicht durchbrochen, eben so wenig wie die Viktoriastraße das zwischen der, damals bereits elfjährigen, Mathäikirchstraße und der Potsdamer sich ausbreitende. Das ganze Gelände des nördlichsten Theils der heutigen Friedrich Wilhelmstraße bis zur Hizigstraße hin nahm einer der größten und schönsten von allen Konzert- und Wirtsgärten dieser daran so reichen Gegend, der des Hofjäger-Etablissements", ein, der Schauplag der Wieprechtschen Monstrekonzerte. Im Süden und Westen umzog ihn ein Teil des später zugeschütteten kleineren, schmaleren Wassergrabens, dessen einstiges Bett und Lauf der Flucht der westlichsten Strecke der Kaiserin Augustastraße, der östlichsten der Rauch-, der nördlichsten der Hizig-, und der ganzen Länge der Stülerstraße entsprach. In der Richtung jenes neuesten Teils der Kaiserin Augustastraße schlängelte sich dieser Graben zwischen den, von der Tiergartenstraße bis hart an ihn heranreichenden, umzäunten Parks und dem ausgedehnten Garten des berühmten altberlinischen ländlichen Wirtshauses Morißhof dahin.

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Wo heute am nördlichen Eingang der Van der Heydtstraße das Eckhaus mit dem Restaurant im Erd- | geschoß steht, öffnete sich die Tür in dem niedrigen Holzgitterzaun, der zu diesem Garten führte. Dicht

| dahinter erhob sich das lange, schräge abstehende, niedrige, einstöckige, gelbe Wirtshaus mit dem hohen altersbraunen Dach. An dem mit hohen Fliederhecken eingefaßten Nordrande seines Wirtsgartens lag auf der ihn bespülenden trüben Flut jenes Grabens eine Flottille von Gondeln und Ruderböten für die zahlreichen empfindsamen Freunde und Freundinnen von Wasserfahrten an schönen Frühlings- und Sommernachmittagen, Mondabenden und Sonntagmorgen bereit. Man konnte sich in dem hier gemieteten Nachen auf diesem dunkeln Gewässer, unter dem Laubdach der Garten- und Parkbäume am Südrande des Tiergartens entlang weiter bis zu den Wasserläufen und Teichen des Seeparks rudern.

Die Villa Van der Heydt, seit Jahren die Residenz der chinesischen Gesandschaft, ließ schon der fromme reiche Handelsminister im Ministerium Manteuffel in den fünfziger Jahren dort auf der Stelle alter Gehöfte, Morighof gegenüber, auf der Halbinselspiße sich zum Wohnsiß erbauen. Seltsam genug erschien sie mit ihrer gegen Often gekehrten klassischen Tempelfaffade inmitten dieser ländlichen Umgebung. Morishof blieb noch lange ein bis in die sechsziger Jahre von der Masse der berliner Bürgerschaft vielbesuchter und beliebter Wirtsgarten mit Kaffeehaus. Es blieb auch der Zielpunkt der regelmäßigen winterlichen und sommerlichen Nachmittagswanderungen eines Kreises von nationalliberalen Schriftstellern und Beamten, die dort gewohn= heitsgemäß ihren Kaffee tranken, ein paar Stunden die politischen Tagesangelegenheiten besprachen, das Kreiselspiel mit dem kleinen Elfenbeinkreisel oder Schach spielten. Den übrigen Teil des Geländes zwischen dem südlichen Gartenzaun von Morißhof und dem großen Kanal bis westlich zur Grenze von Albrechtshof bedeckten Getreidefelder.

Albrechtshof, dessen dessen Gastwirtschafts-, dessen Nebengebäude und zu Sommerwohnungen vermietete bescheidene Landhäuschen sich ungefähr in der Flucht des jenseits der Hizigstraße befindlichen Teils der heutigen Rauchstraße hinzogen, wetteiferte mit dem benachbarten Morißhof um den Preis der Beliebtheit bei den Berlinern. Bis zum großen Kanal hin erstreckte sich der Wirtsgarten mit seinen Lauben, Alleen, Boskets, Blumenbeeten. Auf der andern Seite aber, nördlich bis zur heutigen Stülerstraße (dem schon erwähnten Graben), östlich bis zur Grenze des Hofjägergartens, westlich bis zur Lichtensteinallee breitete sich eine Wiese aus, die längs dieses Wasserlaufes von mächtigen FliederHecken und Obstbäumen gesäumt wurde. Nach Albrechtshof zog man, um bei primitiven Gartenkonzerten seinen Kaffee, sein Weißbier, besonders aber, um die vielbeliebte, in flaschengrünen Glasfatten aufgetragene, mit ge= riebenem Schwarzbrot, Zucker und Zimmet bestrente dicke Milch zu genießen. Ob die in Albrechts- oder die in Morighof servirte vorzuziehen sei, blieb immer eine unentschiedene Frage. Jene Nebengebäude und Landhäuschen wurden häufig als Sommerwohnungen von wolfituirten berliner Familien gemietet, die sich hier wie der horazische wunderselige Mann, welcher der Stadt entfloh", fühlten, fern von Lärm, Staub und Mißduft der inneren Straßen. Zu den ständigen Gästen Albrechtshofs aber gehörten mehrere der bekanntesten berliner Künstler und geistreichsten Schriftsteller; unter andern auch der Zeichner und die Gelehrten des Kladderadatsch“. So geschah es denn, daß einer von ihnen, der „Vater

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der berliner Poffe", David Kalisch, sich die damals schönste und begehrenswerteste Blume dieses Kaffee- und Milchgartens mit allen Wurzeln ausgrub" und mit sich "zum stillen Haus trug": des Wirtes und der Frau Wirtin holdes Töchterchen. Es wurde bekanntlich die Mutter des reizenden Fräulein Anna (heute Madame St.Cère zu Paris) und des Sängers, Herrn Paul Kalisch. | Die ganze Besitzung, Albrechtshof, mit Wiesen, Häufern, Gärten aber fiel um 1862-63 der Grundstückspekulation und den Bauunternehmern zum Opfer. Eine durch den Geh. Oberbaurat Professor Hißig gegründete Baugesellschaft kaufte es an. Es wurde parzellirt und nach und nach längs den darüber hintracirten Straßen mit einer kleinen Stadt von Villen bebaut, unter denen sich einige der edelsten, anmutigsten und der charaktervollsten derartigen architektonischen Schöpfungen des ganzen berliner Westens befinden.

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In unserer neuen Wohnung kamen wir uns selbst fast verwandelt und wie zu einer höheren Stufe unter den Menschenwesen aufgerückt vor. Die Lage des Hauses, so nahe der vornehmen Tiergartenstraße, die Zahl und die Disposition der Räume mit ihren zwei vorderen Eingängen und einer Hintertür zur Küche, vor allem der Balkon über dem kleinen gitterumfaßten Vorgarten, alle diese Vorzüge trugen gleichmäßig dazu bei, diese Empfindung und mit ihr ein bisher nie gekanntes wohliges Behagen in uns zu erzeugen. Wir genossen dasselbe besonders intensiv, wenn wir in den uns noch vergönnten, schönen Oktobertagen und mehr noch im folgenden Frühling und Sommer, auf diesem Balkon sigend, in der ersten Morgenfrühe unsern Kaffee tranken. Holde, tiefe, friedliche Stille lagerte über der einsamen Straße und über der ganzen weiten, reizenden Gartenwelt ringsum, nur durchtönt vom sanften Rauschen der vom duftgewürzten Morgenwinde bewegten Baumwipfel des Jacobson'schen Villengartens und des nahen Marienbad-Parkes gegenüber, vom Vogelgezwitscher, Hähnefrähen und Hundegekläff auf den Nachbarhöfen. In den späten Nachmittagstunden hatte der Plag auf dem Balkon wieder andre, nicht zu unterschäßende Reize. Man sah die Spaziergänger, besonders die nach Morighof und nach dem Zoologischen Garten pilgernden, vorüberschlendern. Gute Bekannte unter ihnen, die des Weges kamen, wurden begrüßt und traten wol auch zu uns herein, wo man ihnen doch schon einen erträg lichen Aufenthalt, sei es draußen an unserm Balkontisch, sei es im Innern der beiden Vorderzimmer bieten konnte war es in diesen doch bereits nicht mehr gänzlich wüste und leer. Ja, in dem ersten Zimmer stand sogar ein mit blauem, weißgeblümten Baumwollenzeug bezogenes Sofa, zu dessen Erwerbung mir Prince-Smith_ver= holfen hatte. Abends wehte der Wind den Klang der Gartenkonzerte vom Kemperhof oder vom Hofjäger herüber. In die Stille der Sommernächte hinein aber tönte weniger melodisch, jedoch nicht unwillkommen, der quäkende Chorgesang der Frösche aus der nahen Sumpfwiese herein.

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Der Kreis der guten Bekannten" war seit einem halben Jahr um manche schäßenswerte und fesselnde Persönlichkeit vermehrt worden. Aus dem anfangs nur geschäftlichen Verkehr mit Franz Duncker hatte sich neuerdings ein geselliger entwickelt, der allmälig zu einem wahrhaft freundschaftlichen wurde. Im Frühling war

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ich mit der Zeichnung zweier großer Kreideporträts der Damen des Hauses, Frau Lina Duncker und ihrer zum Besuch bei ihr wohnenden, frisch aus der niederrheinischen Heimat gekommenen, jüngeren Schwester, Frl. Betty Tendering, beauftragt worden. Da es sich von selbst verbot, in meiner damaligen Wohnung in der Ließower Wegstraße Besuche zu empfangen und Porträtsizungen abzuhalten, so hatte ich diese in das Dunckersche Haus verlegt, Staffelei und Reißbretter dorthin gebracht und führte da die beiden Bildnisse aus.

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Dies Haus lag in der Johannisstraße und besteht in seiner Grundform wol heute noch. Die mit einem großen Eingangstor verschlossene Mauer, welche seinen Vorhof von der Straße trennt, läßt heute wenigstens so gut wie damals eben nur den obersten Teil des Daches von dieser aus erblicken; jedenfalls ein Beweis, daß das feltsaine Gebäude nach der Höhe hin auch in den seitdem verfloffenen vierzig Jahren keine Veränderung fahren, kein neues Stockwerk aufgesezt erhalten hat. Welche Umgestaltungen sonst damit vorgenommen sind, während es von Robert Tornow, dem Sammler, bewohnt wurde und nach dessen Tode, kann ich nicht beurteilen. Seit Dunckers es verließen, um das neue, auch verschwundene schöne Haus Potsdamerstraße 20 zu beziehen, habe ich an der Johannisstraße jenes Tor der Außenmaner nie mehr geöffnet gesehen, die einer direkten Aufforderung und Anreizung der Phantasie eines Novellisten, wie Paul Heyse oder Heinrich Seidel gleicht, sich dahinter eine geheimnisvolle, seltsame poetische Lokalität zu dichten und diese zum Schauplaß absonderlicher, wunderbarer Vorgänge im Leben und Treiben einsamer, rätselhafter Menschen zu machen.

Ein solcher Schauplag war das 1849-1855 von Franz Duncker bewohnte Haus vordem in Wahrheit auch gewesen. Während der vierziger Jahre beherbergte es seinen Besizer, den Grafen Roß, eine halblegendarische Persönlichkeit im damaligen Berlin. Er hatte sich dies langgestreckte, nur aus einem Erdgeschoß und Dach bestehende Haus, das sich gegen jeden indiskreten Blick von der Straße her durch die Mauer schüßte, ganz nach seinem Geschmack und seinen Bedürfnissen bauen und einrichten lassen. Die beiden kahlen Seitenwände der nächstangrenzenden hohen Mietshäuser waren auf seinen Wunsch und seine Kosten mit kolossalen Dekorationsbildern, südlichen Ideallandschaften, mit Parks, Marmorhallen und schneegekrönten Alpenketten bemalt worden. Von ausgedehnten Reisen in allen Erdteilen nach Berlin heimgekehrt, hatte er seine großen mitgebrachten Sammlungen von Kunstgegenständen und Naturmerkwürdigkeiten der mannigfachsten Art, sorglich geordnet, in den verschiedenen Räumen dieses Hauses untergebracht. Die innere Gestaltung und Dekoration und Möblirung eines jeden war dem Ursprung und Charakter der Abteilung seiner Sammlungen entsprechend gehalten, welche darin aufgestellt werden sollte. So enthielt das Haus einen pompejanischen oder römischen, einen türkisch-maurischen, einen chinesisch-japanischen, einen ostindischen Saal, dazwischen fantastisch gestaltete und geschmückte Kabinets und Korridore von frei erfundener, an keinen bestimmten Stil anlehnender Ausstattung.

Schöner und wertvoller als das ganze Haus aber war der riesige Garten dahinter, der sich bis zur Oranienburger Straße erstreckte, wo ihn eine Mauer von deren Häuserflucht abschloß. Der Graf, von dem das Gerücht behauptete, daß er keine Lust am Weibe" habe, führte

in diesem Hause zwischen seinen Sammlungen, mit deren Ordnung, Vermehrung und Katalogisirung beschäftigt, und unter der Leitung gut honorirter junger Künstler malend und zeichnend, ein einsames, aber anscheinend sehr behagliches Leben, über welches in Berlin viele, meist ziemlich unbegründete oder übertriebene, Sagen umgingen.

Nach seinem in der lezten Hälfte der vierziger Jahre erfolgten Tode fiel das Haus an seinen Bruder oder Vetter, den bekannten evangelischen Bischof Roß. Deffen Großnichte oder Enkelin von Mutterseite war Frau Lina Duncker, die sich eben erst vermählt hatte. Sie bezog mit ihrem Gatten, dem Verlagsbuchhändler und achtundvierziger Volksmann, das Haus, und wohnte darin, wenn ich recht berichtet bin, gleichsam ihren Anteil am Erbe des Verstorbenen ab. Vieles von der Dekoration und Einrichtung der Räume blieb darin erhalten. Die genannte Dame war von zierlich gebauter, mittelgroßer Gestalt, die meist in sehr einfacher Tracht erschien. In ihrem, in den Formen eher unschönen als anmutigen Gesicht, Leuchteten ein Paar lebhaft glänzende, oft wahrhaft geist sprühende und faszinirende, aber ein wenig tagenhafte graue Augen, deren eines sogar entschieden schielte. Die breite weiße Stirn war von ganz glatt gestrichenem, einfach gescheiteltem, mattbraunem Haar eingefaßt.

So bildete die merkwürdige Frau in ihrer Er scheinung wie in ihrem Wesen, Denken, Anschauen, Empfinden den äußersten Gegensaß zu ihrer jüngeren noch unvermählten Schwester Betty. Ein wahres Elitewesen, an Leib und Seele ein Prachtgeschöpf, wie es die Natur nur ganz selten in ihrer besten Gebelaune bildet. Für eine junge Dame ungewöhnlich hoch und groß gewachsen, fast heroinenhaft in Körperformen und majestätischer Haltung, war ihr doch alles Mannweibliche, Walkürenhafte durchaus fremd. Mit der Hoheit ihrer Erscheinung war ruhevolle Grazie und Anmut der Bewegungen innigst verbunden. Der schöne Hals trug ein stolzes, von schwarzem langem üppigem Gelock umwalltes Mädchenhaupt mit einem Profil von klassischem Adel der Linien, unterhalb von dessen fein geschnittner wie gemeißelter Nase sich die blühenden schön geschwungenen Lippen über den weißen Zähnen kräuselten.

Keine liebere anziehendere Aufgabe hätte mir werden können, als diesen herrlichen Kopf und diese Gestalt bis zu den Knien zu zeichnen, die in der damals eben modisch gewordenen Panzertaille (nach langer Pause kam diese Mode 1875 zum zweitenmal auf) die ganze Pracht ihres Wuchses zeigte. Während der Sigungen aber enthüllte sich mir im nie abreißenden lebhaften Gespräch mit dem schönen Fräulein über alle Dinge zwischen Himmel und Erde ein weiblicher Geist, der sich diese edle Hülle nur ganz nach seinem eignen Bilde geformt zu haben schien. Gerade das, was diesen zumeist auszeichnete, vor allem die tiefe, ehrliche Liebe zur Kunst und deren feines Verständnis, ließ der der älteren Schwester zumeist vermissen. Aber der Verkehr mit dieser war darum nicht weniger anregend und fesselnd, dank der Originalität ihrer Ansichten und überraschenden Einfälle, und der mutigen, bis zur Rücksichtslosigkeit aufrichtigen Art, mit der fie für ihre kezerischen Meinungen gegen jeden einzutreten und sie zu verfechten pflegte.

Durch die Situngen mit beiden Schwestern im Dunckerschen Hause selbst wurde ich mehr und mehr mit

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dem ganzen Treiben darin und mit den dort verkehrenden bevorzugtesten Persönlichkeiten bekannt. Mit Ausnahme des im ersten Kapitel dieser Erinnerungen als einer der Intimsten darunter aufgeführten Bildhauers Hermann Heidel, fehlten die Künstler gänzlich in diesem Hause. Politiker und Schriftsteller und neben ihnen ein Intendanturrat, ein Rechtsanwalt und ein poetischer Assessor führten hier ausschließlich das Wort: Palleske, Vehse, Julius Freese, Widmann, Bernstein, der die Redaktion der eben damals von Duncker auf den Trümmern der verbotenen „Urwählerzeitung" ge= gründeten Volkszeitung übernommen hatte, Adolf Stahr, Fanny Lewald, Ernst Dohm und der junge ungelenke bärbeißige Schweizer Gottfried Keller, der sich vor nicht langer Zeit erst als Dichter und Schriftsteller aus dem früheren Landschaftsmaler entpuppt hatte und die ganze Gesellschaft mit kaum verhohlenem Ingrimm zu betrachten schien, um dafür einzig der Herrin vom Hause seine ausschließliche und um so innigere Wertschäzung und Verehrung in jeder Art zu bezeigen. Der glänzendste Stern von allen, die je am Himmel dieses Hauses gestrahlt haben, Ferdinand Lassalle, ging hier erst einige Jahre später, 1857, auf.

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Die ganze geistige Lebensluft, die dort wehte, war eine litterarische. Daß ich sie daselbst jahrelang einatmete, hat mich vielleicht mehr als jeder andere Einfluß gleichsam litterarisch infizirt", den__LitteraturBazillus in mein Gehirn übertragen. Da mag er allerdings einen sehr sympathischen,

bereits wolvorbereiteten Nährboden vorgefunden haben, auf dem er sich weiter und weiter entwickeln konnte, um schließ= lich meine Maler- und Zeichnerzellen zu zerstören und an ihrer Stelle jene Wucherbildungen zu erzeugen, deren Wirkung auf den menschlichen Organismus sich im Schreiben für Journale unfehlbar kund giebt. Eine schlimme Krankheit, gegen welche bisher fast nur ein untrügliches Heilmittel gefunden ist: in Frankreich die Beförderung zum Minister, in Deutschland die zum Geheimen Regierungs- oder Legationsrat.

(Ein neunter Artikel folgt.)

Bolas neuester Roman.

Bon

Adolphe Landercsse. *)

Zola hat in dem grösten der bis jezt erschienenen Romane des Rougon-Macquart-Zyklus, in „Germinal“, den Gößen Kapital apostrophirt, der gesättigt und progig in seiner Höhle sigt und die Enterbten dieser Welt aussaugt. In dem jüngsten Bande seines gewaltigen Kulturepos in Prosa ist das Geld die handelnde und treibende Person, wie die kreisende Mutter Erde es war

*) Diese uns aus Paris zugegangene Inhaltsangabe von Zolas neuestem Roman eilt dem Abschluß des Romans voraus, der seit Ende November im pariser,,Gil Blas" als Feuilleton erscheint. In der von Josef Kürschner herausgegebenen neuen Zeitschrift Aus fremden Zungen" (Stuttgart, Hallberger) liegen drei Kapitel von ,,L'Argent" in guter Berdeutschung vor. Die pariser Buchausgabe erscheint am 25. März. Die Red.

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