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flar hervor. Deshalb ist der Eindruck des in fünf Bildern eingeteilten Stückes troß des rege gehaltenen Interesses, ein hoffnungsloser. Die vom Autor mit bemerkenswertem Talent und künstlerischer Fühlung in jedem jeiner Bilder berechneten scenischen Wirkungen, die raschen, sprechenden Säße, die schlagenden Worte, die am Schluß jedes Bildes gleich den Anfang zum folgenden bildenden Bindeglieder vermögen es nicht, uns über eine gewisse innere Ermüdung hinweg zu helfen, als hätte unsere arme Seele einen gar zu weiten Weg unter Stoppeln und Staub zurücklegen müssen.

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Das. Sujet ist folgendes. Es ist Beerdigungstag Madame Mirelets, Gattin eines reichen Industriellen. Die Gäste sind verjammelt; Bater und Sohn empfangen dieselben. Konventionelle Gesichter überall und überall Aufzucken, Hervordrängen individueller Interessen, egoistischer Äußerungen, forcirter Teilnahme. Die einzelnen kleinen Scenen und Stimmungsbilder sind meisterlich beobachtet, die Charaktere gleich mit wenigen Strichen gezeichnet. Mirelet, der mit Anstrengung trauernde Witwer, entpuppt sich sofort als schwacher, gutmütiger Charakter, als FrauenrockJäger, Henry, sein einziger Sohn, als „un type fort chic, un type qui ne s'epâte pas". Aus den Worten des jungen Mannes treten uns dessen Hohlheit und Herzlosigkeit, sein fades, brutales Selbstbewußtsein mit falter Realität entgegen, zugleich aber hat Ancey hier den Ton pessimistischer Charakterzeichnung schon ein wenig forcirt. „Du hat viel Aufregungen gehabt?" erkundigt sich bei der Beerdigung ein Freund. „Gewiß, es ist entseßlich, was diese Art Ereignisse einem Unkosten, Unannehmlichkeiten und Kummer verursachen. Und alle diese Laufereien zum Stadtamt, zur Kirche, zum Kirchhofe, zum Notaren . . . . lezteres freilich durchaus notwendig... Du begreifft!"

Und weiter findet derselbe liebenswürdige Sohn auf sehr formalistisch klingende Beileidsbezeugungen nur sehr formlos klingende Gegenfragen nach seinem Cercle. Sollte hier die Wahrheit nicht vielmehr darin liegen, die Herzensleere Henrys durch irgend ein feineres Merkmal zu zeichnen, ein wenig tulle illusion über dessen Nacktheit zu decken?

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seiner Geliebten zu vervollständigen. Er hat nur noch Anstandsregeln, Bildung, Litteratur und Kunst im Munde, bringt Bücher und erklärt die Geheimnisse seiner Färberei. Marguerite lang= weilt sich unendlich und wird, was sie sogleich gewollt, die Maitresse Henrys. Der Vater merkts, doch er schweigt, schweigt aus Feigheit, Furcht vor einem Bruch. Endlich aber kommts doch zur Aussprache; die jungen Leute treiben es zu offen und küssen sich in allen Ecken. Mirclet kann nicht mehr blind sein wollen. Henry soll fort, nach Rouen, eine dem Vater gehörige Fabrik leiten oder enterbt werden. Der junge Mann lächelt ungläubig. „Ich schwöre es bei den Gebeinen deiner Mutter!" ruft der vortreffliche Mirelet sehr à propos aus, der Sohn aber droht, Marguerite mitzunehmen. Mirelet steht Todesqualen aus; er hängt an ihr mit der Treue eines Hundes, mit der klammernden Angst des egoistischen Alters, das nichts neues mehr suchen fann noch finden mag. Er bietet ihr Wagen und Pferde, Gold und sogar die Diamanten der verstorbenen Madame Mirelet. Endlich findet er einen feigen Vorschlag: zwei freie Tage in der Woche. Doch Marguerite giebt nicht nach und Mirelet präzisirt: zwei Tage und zwei Nächte . . . Rouen ist nicht weit... Manches läßt sich vollbringen während zweier Nächte. Doch Marguerite bleibt, nur wenn Henry bleibt, und der Vorhang fällt unter dem väterlichen Versprechen „nachdenken zu wollen“.

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Im fünften Akt bereitet sich Marguerite zur Abreise vor und macht in Gefühl . . . Wie reizend zu zweien . . . ein kleines Nest u. s. w. Und dabei packt sie all den Tand ein, den der freigebige Alte ihr gegeben. Doch Henry, der nie aus dem Gleichgewicht kommende, praktische, belehrt sie eines besseren: er nimmt sie nur mit, um des Vaters Eigensinn zu strafen sonst keine Romanze und besonders fein Geplärr . . . „Weißt du, was du anstatt dessen machen solltest?“ erklärt er. „Den Papa sehen, mit ihm die Sache arrangiren“ u. s. w. Gejagt, getan. Zum Schluß des Aktes wiederholt sich, verschärft, der im vierten Akt bereits abgespielte Auftritt zwischen Marguerite und Mirelet. Erstere fordert noch mehr, alles, leßterer willigt in alles ein und gewährt drei freie Tage den Wagen, die Diamanten, Spißen und Bänder. Darüber kommt Henry hinzu. „Nun?“ fragt er, „ists vollbracht? Ja? Also auj morgen!" Morgen ist eben sein Tag. Und der Vorhang fällt. Wie in Monsieur Lemblin, nur noch häuslicher, ist le ménage à trois installirt . . .

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Die Handlung aber schreitet rasch weiter. Sechs Monate nach Beerdigung seiner armen Gattin hat Mirelet bereits eine Maitresse, die er größerer Bequemlichkeit wegen und um der Einsamkeit zu entgehen, zu sich ins Haus nimmt. Eine für den Alten quälende Frage ist nun: was wird Henry dazu fagen?" Meiner Treu, Papa, Du bist ja Junggeselle!" erwidert auf die Eröffnung des Vaters der gefällige Sohn. — „Nur mißtraue dem collage!" fügt er praktisch hinzu. -,,500 Franks gebe ich ihr", flüstert der Alte zaghaft und Henry billigt. Alles geht vortrefflich bis zu dem Augenblick, da Marguerite, die Geliebte Mirelets, Henry sieht und sich natürlich gleich in ihn verliebt. Die beiden, die einander auf den ersten Blick durchschauen, sind zwei Menschen, die schon ihrer Jugend wegen zu einander gehören. Deshalb auch verständigen sie sich, ungeachtet der väterlichen Gegewart, séance tenante, rasch), mit einer Rücksichtslosigkeit und Ironie, mit einem nur halb verschleierten Zielbewußtsein, die voll drastischer Komik und Bitterkeit wirken und einen Auftritt zwischen den dreien hervorrufen, der zu den besten des realistischen Theaters zählt. Marguerite, der Typus einer jener individualitätslosen, unpersönlichen Cocottes, deren es tausende, jede einzelne ihre Art repräsentirend, giebt, ist von einer Lebendigfeit der Gestaltung, als sähe man sie in Fleisch und Blut im Café américain auf den großen Boulevards. Unterstügt von Henry, der sorglos die Schwächen des Alten geißelt, untermischt | modernen Menschenverachtung und wißelnden Psychologie brechen, fie die Unterhaltung mit Jch-Ausrufungen, die sehr bezeichnend

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Auch dieses Werk Anceys ist ein Erörtern gewisser sozialentsittlichender Kompromisse, wie sie in allen Gesellschaftsschichten, mit mehr Scheinheiligkeit jedoch, das heißt mit dem Buchstaben Respekt der Pflicht und Schamhaftigkeit, mit mehr Kunst und Eifer sich und andere zu belügen, in bürgerlichen Kreisen ge= schlossen werden. Diese Gleißnerei tritt in l'Ecole des Veufs nicht klar genug hervor. Es herrscht in Worten und Handlungen eine Offenheit, die zu Ungunsten der Realität als gewollte Schulen Übertreibung gelten muß. Die junge naturalistische Schule hat nur Extreme, wie sie die romantische im Gegensaß auch gehabt. In der Menschheit nur lasterhafte Unbesonnenheit oder cynische Uumoralität sehen, ist eben so falsch, wie nur unschuldige Unbedachtsamkeit oder kindliche Unterscheidungslosigkeit. Tut man ersteres jedoch, so sollte man schon diese Immoralität ohne Künstelung durchführen, seiner Überzeugung die brutalen Effekte, die Derbheit der Sprache, die unwahr wirkenden Übertreibungen opfern. Ja, gäbe sich Ancey, der über so reiche dramatische Mittel verfügt wie fein anderer seiner Schule, vollkommen aufrichtig, einfach, wahr, wollte er mit der

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welch eine tiefgreifende Wirkung würde er erzielen! Ja, wenn, und warum nicht? Ein Beispiel nur. Im lezten Aft, da Mirelet alles, alles zugestanden, sogar die drei freieu Tage, fleht er findisch und unbewußt die Form wahren wollend: Schwöre mir, daß du mich während dieser drei Tage mit

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keinem andern als Henry - hintergehen wirst. Schwöre es mir, – ich bedarf dessen." Das ist trefflich, aber nun: in Wirklichkeit würde die wenig gewissenhafte Marguerite schwören, Mirelet mit einiger Anstrengung glauben oder auch aus Eitelkeit und Eigenliebe diese überzeugen wollen, daß er glaube. Hier bricht Marguerite in helles Lachen aus: „Sie wissen doch, daß ich nicht Wort halten würde!" Er aber: „Tut nichts, schwöre immerhin!“ Was, also nur Formalität, nur Farce, nichts von einem ernsthaften Sich- und Andere-Betrügenwollen? Wer bleibt danach noch der Narr? Niemand. Suchen wir hier doch umsonst nach jenem Realismus, der uns unwillkürlich dem Gedanken zuführt: Wäre ich jener Ged, jener Dummkopf, jene Kanaille, so sagte ich und täte dasselbe". Ancey, der so überaus natürlich sein kann, wenn er will, die Kunst, Worte der Natur entquellen zu lassen, so trefflich versteht, kleidet hier, offenbar in einer gewissen Übertreibung des Dokumentirens, Gedanken ein, die jeder verbergen würde. Nicht, daß man sie hat, ist falsch, sondern daß man sie sagt. Man ist reinlicher in unserer bürgerlichen Gesellschaft, man ist auch falscher, abgeschliffener, vorsichtiger, man läßt mehr erraten.

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Wie treffend sind dagegen folgende kleine Stimmungsbilder: Mirelet sagt am Beerdigungstage zum Sohn: „Soeben ist der Minister angekommen. . . . welche große Ehre!" Und der gute Bürger ist gezeichnet. Zwei Freunde unterhalten sich über Henry. „Ich weiß nicht, was dieses Tier den Frauen antut, daß sie ihn alle lieben.... er besißt sie alle!" Er haut sie!" antwortet der andere. Und weiter: „Was der Junge da in seinem Leben für Eroberungen hat machen müssen!" ruft Marguerite aus, Henry zum ersten Mal erblickend. Dadurch sind nicht allein Henry und das Mädchen charakterisirt, sondern es wird auch, hier wie am Schluß jeden Aktes, gleich der folgende vorbereitet. Wir kennen denselben bereits durch diese eine, einfache Äußerung. Höchst komisch wirkt auch der Auftritt, da Mirelet Marguerite. zur Belehrung,,l.es Soireés de St. Petersbourg", „Madeleine“ und „La grande Marnière" bringt, derselben empfehlend „Ohnet zwei Mal zu lesen". Der gute Mirelet, er wäre der erste, der in aller Naivität eine solche Empfehlung wagte.

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Diese und viele andere Meisterstriche dienen dazu, l'Ecole des Veufs trop einer endgiltig etwas verstimmenden Empfindung zu einem hervorragenden Schauspiel zu machen. Die Verstimmung hat eben, und das ist nicht Auceys Schuld, denn, weshalb sollte man nicht etwas aufs Theater bringen, wenn es dazu dient, soziale Schäden bloszulegen, besonders wenn man die Konklusion zu einer ratenden, helfenden macht, im Sujet selbst, im existirenden Vorwurf jener „Schule der Witwer" ihren Grund. Hier ist nicht nur der Fall Mirelet behandelt, es ist in ihm der Fall der Witwer generalisirt. Und wir finden ihn recht häßlich, häßlich umsomehr, als Ancey, der naturalistischen Schule treu bleibend, uns die Krankheit als solche beschreibt, uns dagegen nicht die geringsten Heilmittel zur Hand giebt. Dazu schneiden seine Messer oft etwas scharf, etwas Theater machend"..

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Sprechen wir zum Schluß noch, um das Bild, das wir uns von Ancey gemacht, zu vervollständigen, von dem im Odéon gegebenen Lustspiel Grand' Mère. Hier ist Ancey ganz der Vertreter seiner jungen Schule und giebt einfach ein Lebensbild wieder, wie es ihm erschienen ist, ohne sich weiter um Ansprüche oder Erwartungen der Zuschauer zu kümmern. Mir scheint hier der Autor interessanter als sein Werk. Den Fall einer Wöchnerin, um die sich die ganze, dazu gehörige Scenerie in ihrer alltäglichsten Alltäglichkeit abspielt und deren Mittelpunkt ein eben geborenes Wesen ist, könnte uns höchstens von der ungeheuren Nichtigkeit überzeugen, zu der der Autor und mit ihm die ganze Umgebung der jungen Frau, die folgenreichste Offenbarung der Natur herabdrückt, ihr jede Weise, jede idealere, ja fast jede wissenschaftliche Prägung nimmt. So wie der Autor sein Werk gestaltet, sagt es

nicht einmal das. Es ist einfach die Geschichte eines durch die tyrannische Liebe einer Großmutter zu ihrem fleinen Großsohn, gelangweilten und in ihrer Freiheit beeinträchtigten Ehepaares.

Im ersten Bilde sehen wir, die Entbindung der jungen Frau Lucie Mascade erwartend, Gatten, Arzt und Großmutter beisammen. Lettere, die Befehle über Befehle giebt, schickt eine, von der Schwiegertochter engagirte Kindermagd fort. Während der berühmte Accoucheur sich frisch rasirt, sezt Lucie ganz allein einen Knaben auf die Welt, der gleich von der Großmutter mit ungezügelter Begeisterung in Beschlag genommen wird. Darüber gerät Leon, der Sohn und Vater, in helle Verzweiflung.

Im zweiten Bilde bringt Großmutter ihrem dreimonatlichen Großsohn einen Papierdrachen, eine Trompete und ein Pferdchen. Abermals wird die Frage, ob Lucie weiter nähren soll oder nicht, erörtert. Großmutter ist dafür, Leon dagegen, doch die praktische Lucie stimmt in Anbetracht der zu erwartenden Geschenke mit ersterer überein, der Arzt ebenfalls. Lean verzweifeft mehr und mehr. Im dritten Aft will Leon ausziehen, ein kleines Hotel mieten, weit, sehr weit von seiner Mutter. Doch siche Großmutter hat das Hotel selbst gemietet und beabsichtigt, ihren Kindern eine Wohnung darin anzubieten und selbst bei ihnen zu bleiben. Leon, der zuerst diesen Vorschlag mit Entseßen zurückweist, hat eine Idee: Diese Situation auszubeuten, von seiner Mutter neue Möbel, Stickereien, Wagen, Pferde 2c. zu fordern. Großmutter bewilligt alles. „Allons!“ ruft Leon aus, „auf diese Weise komme ich nicht all zu kurz?"

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Das Interessante des Stückes beruht in der Persönlichkeit des Dichters selbst, in seiner, bis in die geringsten Einzelheiten, in allen Dialogen, in schroffem Gegensatz zum Sujet stehenden Bitterfeit. Andererseits ist der Ton dieser Dialoge selbst durch= weg von überraschender Wahrheit, die Wahl der Details von großer Komit. Das im zweiten Akt zwischen den drei Frauen, Mutter Marcade und ihren zwei Töchtern sich entspinnende, wortreiche Bemühen um bébé ist von einer fanften Dümmlichkeit, von einer kindlichen Wichtigtuerei, die dem alltäglichsten Leben nur zu sehr entnommen ist. Ein anderer freilich, ein Daudet, der Autor von Le petit chose" 3. B. hätte über die ganze Fabel den Geist einer nachsichtigen, warmen Eintracht und vielleicht etwas ironischen Gemütlichkeit ausgegossen, die den sich zwischen Leon und der Großmutter entspinnenden Konflikt in ganz anderem Lichte gezeigt hätte. Georges Ancey zieht jedoch eine bittere, äßende Verachtung vor. Das ist der hervorragendste Zug seines zu großen Erwartungen auffordernden Schriftsteller-Charakters.

Zwei Skizzen.

Von
Johannes Schlaf.

Feierabend.

Den ganzen Nachmittag über grub ich heute hinten im Garten, und nun hab' ich gegessen, in der Laube, der vollbrachten Arbeit gegenüber, zwischen flüsterndem Weingerank, an weiß gedecktem Tisch. Milch, Eier, Landkäse, Schinken und braunes Brot. Mit einem Appetit wie ein Scheunendrescher.

Nun ist es gegen Sonnenuntergang und vorm Schlafengehn mach ich noch meine Runde durch die Felder.

Auf der Dorfgasse schreiende Kinder, Leute vor den Häuserchen, die ihre arbeitsmüden Glieder in der

Abendfrische fühlen. Auf den Höfen bellen Hunde. Das Brüllen einer Kuh. Dumpfes Pferdegestampf und Stallgeruch.

Drüben das leßte Gehöft. Mit einem langen, windschiefen Staket streckt es sich spit in das freie Land hinein, das sanft ansteigt. Eine Gänseschar, weiß an der äußersten Spiße des Gartens, kreischt in die tiefe, milde Abendruhe.

Bis Mittag war heute eine drückende Hiße gewesen, dann war ein kleines Gewitter vorübergerauscht und hatte Kühlung geschaffen. Davon ist der Himmel jezt noch mit einem dünnen gleichmäßigen Dunsst überzogen. Am Horizont über den Feldern hin verdichtet er sich zu einer breiten, blaugrauen Schicht. Dazwischen hängt die Sonne, ein mächtiger, dunkelroter Nebelball. Nach rechts und links ist eine breite, schmutzige Nöte über den Himmel hingewischt.

Ein ungewisses Licht. Ein Abendsonnenschein, mehr zu fühlen als zu sehen. Nirgends ein Schatten. Und doch liegt es über den Wegstaub wie ein zartes, violettes Lichtdämmern, und in den Lüften webt es wie ein feiner Lichtdunst.

Ferner, immer ferner verklingt hinter mir das Kreischen der Gänse, das Gekläff der Hunde. Lauter und immer vernehmlicher jezt das Schrillen der Heimchen im Weggras und überall zwischen dem leise knisternden, überreifen, bronzefarbigen Getreidehalmen, das Schnarren der Rebhühner aus dem weiten Dämmern. Die mild schmeichelnde Abendkühle; das scharfe, würzige Duften von den Kartoffelfeldern her und dieses geahnte Sonnenlicht in der ganzen abendlichen Landschaft.

Die dicken Ähren nicken und beugen sich, und leise wühlt es in matten, rotgoldigen Lichtern über ein Hafergebreite hin.

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Allein. Mitten zwischen den Feldern. Ganz allein. Ein so eignes Gefühl, immer vorwärts, vorwärts, ziellos in das zunehmende Dämmern hineinzuschlendern mit seinen hundert geheimen Lauten.

Ab und zu zuckt es in meinen Armmuskeln von der getanen Arbeit. Über den ganzen Körper eine süße, wolige Müdigkeit. Frei und ruhig geht mein Atem.

Allmälig nimmt es den Horizont weg und die Nähe wird lebendig. Eine Feldmaus, raschelnd in eine Furche hinein. Das leise flüsternde Rauschen in den schwarzen Wipfeln der Kirschbäume zu beiden Seiten des Weges.

Ein leises, metallisches Surren vor meinem Ohr, und an meine Backe weht ein feiner, leichter, ganz leichter Lufthauch. Ich bleibe stehen. Fast erschrocken, was es ist. Ein Mückenschwarm. Gegen das verblassende Abendrot kann ich ihn noch erkennen, wie er durcheinander wirbelt in regelmäßigen, zuckenden Spiralen.

Und dunkler wird die Welt und dunkler und verschwimmt in Dämmerungen. Und weiter und weiter

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Hier, auf kühler Höhe, schwarz mit seinen dunkelroten Fensterlöchern mitten im einsamen Land ein Schachthaus. Drinnen, dumpf, das Stöhnen und Keuchen einer Maschine.

Hier oben der freie Nachtfrieden und da unten, tief unter meinen Füßen, mühen sich Menschen in enger dunstiger Finsternis.

Ein paar hundert Schritte weiter ein Tagesschacht. Steil, mit schwarzen, riesigen Wandflächen senkt er sich in die dunkle Tiefe. in die dunkle Tiefe. Fern aus dem stillen Grund kommt es herauf wie ein Rieseln und Kluckern von verborgenen Gewässern. Dies und das ewige Schrillen der Heimchen sind hier die einzigen Laute. Drüben auf der anderen Seite, mir gegenüber, ein Stück Staket, das sich schwarz gegen den Himmel abzeichnet, und ein paar kümmerliche, krüppelige Bäumchen; und hintereinander drei niedrige Wagen, mit denen am Tage allerlei Schutt aus dem Schachte heraufgefördert wird.

Überall dick schwarzbrauner, von unzähligen Radspuren durchfurchter Kohlenstaub. Drüberhin wird es jezt lebendig von einem feinen Glanz und neugierige Lichter dringen mit breiten Streifen hinein in die schwarze Tiefe.

Am Tage ist hier oben und da unten ein lautes Leben von hundert fleißigen Menschen. Peitschen knallen, die schwergeladenen Wagen knarren in den Achsen: die Fuhrknechte brüllen und fluchen, die Kohlenwagen rollen und klirren über die Schienenstränge.

Und jetzt das öde lastende Schweigen.

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Der Dunst hoch oben am Himmel ist zergangen vor dem aufsteigenden Mond her, der nun goldig leuch= tend über den hellen Feldern steht. Es ballt sich da oben zu weißen Wölkchen und dehnt sich hin zu milchigen, dünnen Streifen, zwischen denen die Sterne aufflimmern.

Dort ein umgekippter Kohlenkarren. Die eisernen Räder schief nach oben. Das Mondlicht darauf in stillleuchtenden Reflexen. Ich schreite hin und seße mich und blicke von hier über das mondlichte Land hin.

Und alles, was ich dachte und je gedacht habe, und alles, was ich litt und was mich frente: es wird ein einziges Empfinden, es verdichtet sich zu einem unaussprechlichen Gefühl, zu einer unsagbaren, stillheiteren, wonnigen Sehnsucht: einer wollüstigen Sehnsucht zu sterben.

Ich kenne sie. Ich kenne sie ganz genau. Willenlos nimmt sie mich hin.

Ein wunderbares Träumen und Sehnen, wer weiß, wohin? Mir ist, als ob es mich hinnähme in rätselhafte Weiten.

Was ist es? Ein Rausch? Lebendigstes Leben? Glück! Glück! Zuviel Glück! Ein böses, gefährliches Glück!

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Zuviel Glück: Denn das Unfagbare benennen, es festhalten, es auskosten in flüchtigen Symbolen ist allein erträgliches Glück und erträgliches Leid. Darin leben wir alle, wie wir sind, was wir sind

Stimmen. Dunkle Gestalten gegen den hellen Himmel hin.

Eine Schar Bergleute vom Schachthause her. Es ist mir wie eine Befreiung. Talabwärts geh ich ihnen nach zum Dorf hinunter.

Vor den ersten Häuserchen unten singen sie noch zu einer Ziehharmonika. Die dünnen Töne verklingen über die Felder, über die nun weit, weit die Sterne leuchten, unzählig.

Ah! Ich bin müde zum Umfallen!
Werd ich schlafen! . .

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Ein Nichtstun ist mein Leben hier. So recht ein göttliches Nichtstun ohne Rene über verlorene, tote Stunden. Ich träume so hin. In innerster, stiller, unbewußter Fülle. So fühle ich, wie ich gedeihe; ge= deihe wie der Baum in freier Luft, in der heitren Sonne. Und nichts mag ich kennen; nichts, nichts außer diesem Gefühle.

Nach Mittag ist's. Ich size am Fenster und rauche meine Pfeife Toback zu einer Tasse Kaffee. Beim Umrühren wirbelt sich das flinkernde Braun zusammen in unzähligen, perlmutterfarbigen Perlchen.

Der Goldrand der Tasse glizßert in der Sonne. Ein zarter Brodem zieht sich gegen das Fenster hin, an dem eine Fliege summt. Der Tabacksrauch verliert sich hinten in dem lichtdunstigen Zimmer. Vorm Fenster rankt sich das helle Weinlaub.

Zwei Kinder. In blauen und roten Kleidchen, in saffrangelben Strümpfen kommen sie die Gasse herunter. Hand in Hand stolpern sie über das Pflaster. Sie haben die Stumpfuäschen in die Höhe gerecht und schwazen laut ihren füßen Unsinn so vor sich hin in das goldige Mittagslicht hinein.

Allmälig wiegt es mich ein. Ich dämmre so hinüber...

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Werks auf die Zuhörer festhalten; er soll zweitens als Litterarhistoriker die Beziehungen des Stücks von heute zu hundert ähnlichen Stücken von gestern erkennen, und soll drittens als Prophet die Bedeutung der neuen Erscheinung für die Zukunft erraten. Der ideale Theaterkritiker soll Ibsen, Tesmann und Lövborg in einer Person sein. Am bequemsten wird diese ideale Forderung wenigstens scheinbar für die Litteraturgeschichte erfüllt. Irgendwo findet sich immer schon etwas über die Sache gedruckt, was der gewöhnliche Zeitungsleser nicht in die Hände bekommen oder schon wieder vergessen hat, und was jeder Kritiker am Tage nach der Aufführung gewissenhaft nachschreibt oder benüßt. Auch ich habe mir schon hie und da mit dieser Zeitungsgelehrsamkeit geholfen; es herrscht darin ein rührender Kommunismus. Bei Besprechung der Raben" von Henri Becque fann ich mich aber nicht entschließen, mit diesen fleinen Kenntnissen zu prahlen. Denn alle Notizen, die darüber durch die Blätter laufen, fagen nur, daß ein Henri Becque ein französisches Stück geschrieben. und es „die Raben“ genannt habe. Das steht aber auch auf dem Zettel, sogar mit dem Zusaß, daß Frau von Borch die Übersegerin sei. Und das Schicksal, welches das hübsche Stück in Paris hatte, kann uns doch eigentlich recht gleichgiltig sein.

Die Aufführung der „Raben“ durch die Freie Bühne war feiner ihrer großen Griffe und noch weniger ein Fortschreiten auf dem dornigen Wege des Naturalismus; aber sie machte uns mit einem geistreichen und unerschrockenen Franzosen bekannt.

Das Stück ist nach Stoff und Form so wenig naturalistisch, daß es von dessen Gesetzgebern hätte ausgeschlossen werden müssen. Der Dichter malt in typischen Bildern den jammervollen Zustand einer Familie, die plößlich ihren „Haushaltungsvorstand“ verloren hat. Wie die Raben über ein Aas, so fallen gelehrte und ungelehrte Geschäftsleute über Frau und Kinder her, benüßen. die verwickelten Verhältnisse und bringen Frau und Kinder aus Raubgier an den Bettelstab Die geschäftliche Lage des Hauses ist die mit hunderttausend Francs barem Gelde in der Hand würde die Familie ihr großes Vermögen retten können, ohne diese Waffe verliert sie alles. Die einfache Fabel schließt damit, daß die edelste Tochter der Frau Vigneron opfermutig die Frau eines der Raben, eines alten geizigen Bucherers wird. Jedermann mag das Werk um dieses Ausgangs willen je nach Weltanschauung Tragödie oder Lustspiel nennen.

Dieser Stoff ist nicht im entfernsten naturalistisch oder auch nur modern. Modern ist ein Stoff niemals darum, weil die Vorgänge erst in den lezten Jahren möglich geworden sind, sondern darum, weil sein ästhetischer Wert erst innerhalb der neuesten Richtung entdeckt worden ist. Neu wird das Goldstück durch die Prägung, das Gold ist immer alt. Nicht die Einführung des Telephons oder einer Telephonbeamtin auf die Bühne ist modern, sondern etwa die Darstellung der Arbeiter, die Telephondrähte bereiten. Einerlei. Die Raben hat es nicht nur immer gegeben, sie gehören auch zu dem ältesten Bestande der typischen Lustspielfiguren. Man kann kaum eine Zeit nennen, in welcher der Bucherer und seine eleganteren Abarten bis zur eleganten Damenicht auf den Pranger des Theaters gestellt worden wären, und es läßt sich kaum eine Zeit erhoffen, in welcher man im Volke diese Gestalt nicht mehr kennen würde. Selbst im Zukunftsstaate Bellamys werden Wucherer mit Speisemarken und Kelleramweisungen ihren alten Beruf weiter treiben. Ganz besonders in Frankreich haben die großen Sittenbeobachter von Lesage bis Balzac wunderbare Wuchererzeichnungen geliefert. Fast jedesmal vereinigt sich da die niedrigste Verliebtheit mit Geiz. Becques Bucherer Teissier man gestatte mir den Begriff Wucherer auf alle Freunde schmußiger Geldgeschäfte auszudehnen ist ein Nachkomme von Balzacs köstlichem Baron von Nucingen. Nur daß Balzac weit individueller darstellt als Becque, dessen Teiffier (eine vorzügliche Leistung von Herrn Haus

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Pagay) vielleicht schon ebenso irgendwo beim alten Plautus vorkommt.

Im Gegensatz zu Skandinavien und Rußland, wo die siegreiche neue Richtung durch ihre neuen Ideen wirkt, arbeitet der deutsche Naturalismus fast durchaus noch mit einer bisher ungeahnten äußeren Form, nach französischen Vorbildern. Auch in dieser Beziehung gehört Becque durchaus nicht der Schule der Freien Bühne an. Seine Menschen sprechen, wenn sie geistreich sind, wie Sardou, und für gewöhnlich sogar die völlig abgeschliffenen Phräfen der bewährten französischen Profa. Man mag in Paris entsegt darüber gewesen sein, daß da ein junges Mädchen aus guter Familie gegen die einheimische fable convenue vom Bräutigam verführt wird; wie dieser Unschuldsengel darüber aber mit ihrer Schwester und mit der Mutter des Verführers spricht (diese Mutter wurde gespielt wie eine Mutter des OstendTheaters), das ist unwahr wie ein sentimentaler Roman aus den Zeiten der feuschen Pamela.

Was demnach auf das Publikum der „Freien Bühne“ wirken fonnte, das war einerseits eine vortreffliche Satire im Geiste Sardous, andererseits ein Rührstück nach dem Muster Ifflands oder vielmehr nach dem Muster der großen Vorgänger von Iffland. In den besten Augenblicken des Stücks konnte man, an Versuche Diderots erinnert werden, der freilich kein deutscher Naturalist und troßdem kein geborener Dramatiker war.

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die Raben" aber der Freien Bühne" zu empfehlen schienen, waren im ersten und legten Akte einige Scenen von vollendeter Intimität. Und Intimität ist die große Forderung an die neue Kunst; hier nähert sich Gerhart Hauptmann der Sicherheit May Liebermanns.

Becque aber hascht, in diesem Stücke wenigstens, mit seiner Intimität nach Effekten. Im ersten Akte, wenn die ganze Familic Vigneron minutenlang die „Weiße Dame“ durcheinander brüllt (die Scene war köstlich inscenirt), hat man wirklich das echteste Bild einer gutmütigen, beschränkten Spießbürgerfamilie. Benn man aber merkt, daß diese übermütige Posse nur des Kontrastes wegen da war, um den plößlichen Tod des Herrn Vigneron um so schrecklicher erscheinen zu lassen, so verstimmt die Absicht nach= träglich. Das Publikum hatte diesen guten Mann offenbar lieb gewonnen; es war über sein plößliches Hinscheiden, noch dazu schon im ersten Akte, ernstlich betrübt, ja fast sittlich empört. Der Darsteller, Herr Guthery, wäre gewiß mit donnerndem Applaus aufgenommen worden, wenn er im zweiten Akte wieder aufgetreten wäre und ein ärztliches Zeugnis über seine gute Gesundheit vorgelesen hätte. Scherz bei Seite, es giebt zu denken, daß solcher Naturalisinus als Aufpuß jedesmal die Absichten des Dichters vernichtet; es drängt sich mir immer mehr die Überzeugung auf, daß die neue Richtung ihre Größe nur als ethische Macht beweisen wird, in ihrem Kampf gegen jedwede Lüge, daß die naturalistische Form unserer Tage im Dienst so ernster Ziele zu einer veränderlichen Nebenfache werden wird, daß also als einer der führenden Geister nur anerkannt werden darf, wer in dieser oder jener Form, tragisch oder lustig, mit heiligem Ernst die Wahrheit sucht, die dann natürlich immer als neue Wahrheit erscheint. Zu diesen führenden Geistern wird Henri Becque nicht zu zählen sein.

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Gedichte von Giosuè Carducci.

Aus den Rime Nuove LXIII.
Übersetzt von Balerie Matthes.

Auf Monte Mario.

So feierlich auf Monte Marios Gipfel
In klarer, stiller Luft stehn die Cypressen,
Und lautlos durch die grauen Felder fließen.
Sehn sie den Tiber.

Sie sehen Rom sich unten in dem Schweigen
Hinstrecken, und gleich einem Riesenhirten.
Der seine Herde treu bewacht, Sankt Peter
Drüber sich wölben.

Kredenzet auf des lichten Hügels Gipfel
Den goldnen Wein, o Freunde, und es spiegle
Die Sonne sich darin; ihr Schönen, lächelt,
Wir sterben morgen.

Laß unberührrt, o Lalage, im Haine

Den Lorbeer stehu, den man als ewig rühmet,
Er würde, durch dein braunes Haar geschlungen,
Weniger glänzen.

Mir sei bei meines Liedes sinnigem Fluge
Gewährt der frohe Becher und die Blüte
Der sanften Rose, die den Winter flüchtig
Schmückt und vergehet.

Wir sterben morgen, so wie gestern starben
Sie, die wir einst geliebt; aus dem Gedächtnis
Und aus dem Herzen werden, flüchtige Schatten,
Leicht wir verschwinden.

Wir werden sterben; emsig wird die Erde
Die hehre Sonne fort und fort umkreisen,
Zu jedem Augenblicke tausend Funken
Von Leben zeugend.

Von Leben, darin neue Liebe schäumet,
Von Leben, das zu neuen Kämpfen spornet,
Und neuen Göttern werden dann lobsingen
Hymnen der Zukunft.

Ihr Ungebornen, deren Hand die Fackel
Ergreifen wird, die uns entfiel, verschwinden
In der Unendlichkeit wird einst auch eure
Leuchtende Heerschar.

Leb wohl, du Mutter meines kurzen Denkens
Und meiner flüchtigen Seele Mutter, Erde!
Wie vielen Ruhm und Schmerz wirst um die Sonne
Noch du bewegen!

Bis hingedrängt zu des Äquators Raume,
Den Spuren der entfliehenden Wärme folgend,
Das sterbende Geschlecht nur noch ein einziges
Menschenpaar zählet,

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