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Setting (im Pfarrer von Kirchfeld") heimzahlen. Sie übersahen, daß wohl kaum ein anderer Dichter unserer Zeit so energisch im Sinne der liberalen Volksschule gewirkt hatte, als eben Anzengruber. Ich wollte sie daran erinnern. Er schrieb mir: „In solchen vom Zaune gebrochenen Angriffen ist Schweigen die beste Verteidi gung!" Über denselben Gegenstand tat er mir auch einmal die folgende Bemerkung: So viel haben's mich g'schimpft, daß kein Hund ein Stück Brot von mir nimmt; schimpfen's noch a Bissel mehr, so möchten sie's 'leicht noch dahin bringen, daß kein Mensch mehr ein Stück Geld von mir nimmt, was mir jezt zu Neujahr recht zu statten käm'!" Übrigens rechtfertigte er sich in der Schulmeistersache später selbst durch einige maßvoll gehaltene Zeilen.

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Unvergleichlich ernster als der Schulmeisterausturm war der „Pfaffenkrieg", der gegen Anzengruber seit Anbeginn seiner litterarischen Laufbahn geführt wurde. Den geweihten Gegnern war kein Mittel zu schlecht, um den Dichter beim Volke in Mißkredit zu bringen. Mit dem für uns Volkspoeten eigens erfundenen Spottnamen Lederhosendichter" richteten sie nicht viel aus; im Gegen teil, die lederbehosten Alpenbauern wurden nun erst begierig, einen solchen, auch auf das Beinkleid bedachtnehmenden Dichter kennen zu lernen. Besser machte sich schon das Schlagwort vom gottlosen Freimaurer"; unter dieser von der Kanzel her bekannten Bezeichnung denkt sich die katholische Landbevölkerung einen Ausbund von Gottlosigkeit, Verführungskunst und Schlechtigkeit. Am wirksamsten aber war die folgende Kampfart: Man mißdeutete in Anzengrubers Dramen die von wahrer Moral beseelten Sentenzen, unterschob den Aussprüchen einen falschen Sinn und schrie danu: Sehet den Unchristen! Also trieben sie es besonders beim Pfarrer von Kirchfeld", beim Gewissenswurm" und beim Vierten Gebot". Sie hatten wohl ihren guten Grund, diesen Dichter zu bekämpfen, aber den wollten sie nicht sagen. Er stand gegen das orthodoxe Kirchentum, und sie sagten, er verfolge das Christentum.

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Weiter kennzeichnend für Anzengrubers Wesen sind folgende Stellen, die ich seinen Briefen an mich entnehme.

In einem Schreiben vom 11. Februar 1871, bald nachdem wir uns gefunden, heißt es: „Wenn wir, die wir uns emporgerungen aus eigener Kraft über die Masse, heraus aus dem Volke, das all unser Empfinden und unser Denken großgesäugt hat, wenn wir, sage ich, zurückblicken auf den Weg, den wir mühevoll steilauf geflettert in die freiere Luft, zurück auf all die tausend Zurückgebliebenen, da erfaßt uns eine Wehmut, denn wir, wir wissen zu gut, in all diesen Herzen schlummert, wenn auch unbewußt, derselbe Hang zum Licht und zur Frei

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heit, dieselbe Kletterlust, und dieselben, wenn auch ungelenken Kräfte, und so oft wir bei einer Wegkrümmung das Tal zu Gesicht kriegen, so tun wir, wie uns eben ums Herz ist, lustig hinabjauchzen: Kommt rauf, da geht der Weg! oder weinend zuwinken. o wie oft unverstanden! Das war auch meine Furcht. Aber siehe da, plöglich wimmelts auf meinem Weg herauf vom Tal, ich sehe mich ganz verstanden, sehe mich eingeholt, umrungen und stehe dem Volk gegenüber, gehätschelt wie ein Kind oder ein Narr die bekanntlich die Wahrheit sagen. Gott erhalte uns das Volk so, wir wollen gern seine Kinder sein und seine Narren bleiben."

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O rührende Dichterzuversicht! Wie ganz anders schrieb er schon nach fünf Jahren! Brief vom 12. Februar 1876: Verstimmend wirkt auch, daß diesmal bei meiner neuen Komödie (Der Doppelselbstmord) Publikum und die Direktion mich vollständig sizen ließ, hingegen ich allerdings die Behandlung, welche die Journalistik mir angedeihen ließ, im dankbaren Gemüte bewahren werde; aber das geschäßle Publikum blieb einfach weg und die Direktion strich vor dem ungünstigen Kassaerfolge, ohne Versuch, das Stück zu forciren, die Segel. Ist nur zum Schluß die wol aufzuwerfende Frage: Wozu, respektive für wen schreibt man denn eigentlich Volksstücke?“

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Als 1872 meine Mutter gestorben war, tröstete mich Anzengruber brieflich mit folgenden Worten: „Ihre leßten wenigen Zeilen fielen mir schwer aufs Herz. Lassen Sie es Frühling und wieder Frühling werden und unsere Toten finden in unserem Herzen ihre Auferstehung; in freundlichem Gedenken, ihre kleinen Schwächen ganz aus dem lieben Bilde hinweggetilgt, stehen sie vor uns. Im Frühlingssonnenschein schwebt ihr Bild mit allen Kindheitserinnerungen über der Heide, im Sommer lugt es aus den wogenden Ähren, plöglich steht es am Rain und lächelt uns zu, im Herbste geht es mit raschelndem Tritte neben uns durch das fallende Laub - und es will uns gar wehmütig werden. Aber wenn es Winter wird, zu Allerseelen, da tritt es gar in unser Stübchen: Stübchen: „Grüß' Gott, lieb' Kind!" „Grüß Gott, lieb' Mütterlein!" Für unsere heißen Tränen tauschen wir uns Wehmut und Sehnsucht ein, diese beiden sind die Geburtswehen unserer Welt, durch die sie edlerer Geschöpfe genesen will! Zu dieser sanften stillen Welt, die ahnungsvoll wie sternenhelle Winternacht auf der Seele liegt, leiht ihr uns den Schlüssel, ihr lieben Gestorbenen!"

Welch herzinnige Dichterworte! Drei Jahre später sollte ich sie ihm zurückrufen müssen, als er seine Mutter verlor, die er geliebt mit einer Liebe, wie sonst keinen Menschen auf der Welt." Dieses Wort hat er Jahre vor ihrem Tode gesprochen und Jahre nach ihrem Tode in bitterer Wehmut widerholt.

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In jenen Jahren war es oft, daß ich an meinem schriftstellerischen Können verzagte, daß mir vor Mutlosigkeit die Feder aus der Hand sinken wollte. Immer auf die Leiden meiner Kindheit blickte ich zurück und erging mich in Dichtungen, die mir das Herz versengten. Der Freund wurde nicht müde, mich zu ermutigen. Brief vom 3. März 1873:

„Um des Himmels willen, guter Freund und herzlieber Mensch, tun Sie das nun und nimmermehr. Schaffen Sie sich zur Lust und Sie werden auch zur Lust der anderen geschrieben haben, bleiben Sie gesund an Seele und Leib! Mein Bester und Guter! Sie haben gar kein Recht, sich auf Ihrem Wege umzusehen,

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in der Zukunft liegt für Sie Ehre und Wolergehen und Anerkennung, also allweg vorwärts!" Ich habe Ihnen schon gesagt, daß ich von Ihrer Zukunft alles erwarte. Wenn Sie mir den Zukunfts-Rosegger verderben wollen, das greift mir ans Herz und ich kann dann den gegenwärtigen gar nimmer leiden Ah pah, rasten Sie sich nur etwas aus und gehen Sie dann wieder frisch ans Werk."

Auch diese Äußerungen sollte ich ihm zurückgeben müssen nach Jahren.

Anzengruber arbeitete nicht leicht, hatte aber die Gabe, bei einem festgefaßten Stoffe zu verweilen jahrelang, ihn ausreifen zu lassen. Er schuf cben mehr mit dem Verstande und war nicht so sehr auf die flüchtige Gemütsstimmung angewiesen. In ihm lebte eine starke Kraft, die nur etwas schwer beweglich war und wohl auch als Anstoß die Anerkennung der Leute bedurfte. Wo diese versagt wird, da erlahmt endlich auch ein gewaltiger Dichterflug und statt uns Atherwogen zuzufächeln vom hohen Himmel, peitschen die Flügeln des Adlers den Staub der Straße auf.

Ludwig Anzengruber wurde Redakteur, beziehungsweise Schreiber des politischen Wigblattes „Figaro". Auf mein Vierzeiliges:

„Der größte Tragiker unserer Zeit,
Der muß ein Wißblatt machen;
Ein tragischer Wiß, bei meiner Seel',
Man möchte Tränen lachen!"

anwortete er: „Ich bitte Sie, Pegasus im Joche muß froh sein, daß er im Zirkus durch den Reifen springen darf das ist immer noch Kunst.“

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„Nichts hat er," antwortete Anzengruber. In solchen scharfpointierten Aussprüchen lag Salz, mit welchem er Manchem den Kohl gewürzt, Manchem die Suppe versalzen hat. Doch wußte er seinem Epigramm zumeist eine gutmütige Wendung zu geben; also sezte er damals auch bei: Beneidet zu werden ist doch ein Vergnügen. Ich wollte, auch mir würde es öfter zu Theil."

Zu einer gewissen. Genugtuung gereichte ihm die Kritik, welche mit wenigen Ausnahmen ihn stets hoch gehalten hat. Aber glücklich machte ihn das auch nicht. "In der Zeitung stehts, was ich für ein Kerl bin!" murmelte er einmal mit Selbstironie vor sich hin, „na, wenn's in der Zeitung steht he, he!"

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Vom richtigen Philosophen sagt man ja, daß er nichts ernst nimmt auch sich selber nicht. Und doch! überaus ernst war Ludwig Anzengruber geworden im Laufe der Zeiten. Er hatte dafür Gründe, die seine Freunde wol sahen, aber er hatte auch solche, die wir nicht sahen und die er in sich verbarg, wie in einem Grabe. Ein Dichter, den's verlangt, all sein Empfinden in die Welt zu rufen, und der gerade sein tiefstes Weh verschweigen muß!

In heiterer Gesellschaft beim Weine ward freilich auch er froh. Er fühlte sich heimisch bei fröhlichen

Menschen. Keine Nacht war ihm zu lang im Afylë der Freunde.

Und hierin gab es zwischen uns Konflikte. Ich, der manchmal in der Anzengruber-Gesellschaft (Gasthof zum,,Lothringer" später Gasthaus zur „Birne“ in Wien) erscheinende Provinzler, kam ihm des Abends allemal zu früh und schied auch zu früh. Darüber schrieb er mir denn eines Tages folgende Epistel:

„Kimmst wieder eppa amal nach Wean,
So tua nit gar so schleuni,

Sig nit um 6 ins Wirthshaus h'nein,
Und ins Kaffee gar schon um neuni.

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Häufig wurde Anzengruber in Wien und anderen Städten eingeladen, öffentlich aus seinen Werken vorzulesen. Er tats aber nicht gerne, gab sich auch keine besondere Mühe, im Vortrage künstlerisch zu wirken; „soll man lesen, so muß man lesen“, sagte er einmal, und er las aus seinem Buche, wie man eben recht und schlicht liest. Ums Hören gehts ihnen ja eigentlich doch nicht, sie wollen es nur sehen, das Tier mit dem großen Schädel." Wenn dann nach der Vorlesung die Verehrer und Verehrinnen ihn umdrängten, stand er da in jener ruhig stolzen Bescheidenheit, die den Huldigungsschwall annäherungssüchtiger Schöngeister zwar beträchtlich eindämmte, die wahre Verehrung für ihn aber nur noch steigerte.

Mit Anzengrubers dramatischen Werken ist es mir manchmal wunderlich ergangen. Er schickte mir das Buch gewöhnlich schon vor der Erstaufführung; ich las es mit Heißhunger und ward allemal enttäuscht. Um so größer war meine Freude, das Werk dann auf der Bühnein künstlerischer Abrundung und mit hoher dramatischer Wirkung zu sehen. Ich erkannte es kaum wieder vom Buche her und da ward mir klar: echte dramatische Werke soll man nicht lesen, sondern sehen; und ein gutes Lesedrama ist ja bekanntlich nicht immer im gleichen Grade wirksam auf den Brettern. Einzelne Stücke Anzengrubers habe ich über ein Dußendmal_angesehen; mein Tagebüchlein erzählt sogar, daß ich dem Pfarrer von Kirchfeld" seit zwanzig Jahren 41 mal beigewohnt hätte! Aber nie mit kritischer Absicht oder als lerngieriger Jünger, sondern als einfacher Zuschauer, der nichts will, als die Gestalten menschlich auf sich wirken lassen. Und oft nach der Vorstellung seßte ich mich hin und schrieb an den Verfasser Ähnliches wie:

Herrlicher Mensch! Ihr Werk hat mich wieder wunderbar ergriffen, zutiefst erschüttert, bis zur Glückseligkeit erhoben!" War dieser Tribut des dankbaren Herzens

geleistet, erst dann konnte ich die Ruhe des Gemütes wiederfinden und das seelische Wolbehagen, das in mir durch seinen Genius erweckt worden, hielt stets tagelang an.

le Die Erzählungen und Romane Anzengrubers, welche niedergründen in die Tiefen des Lebens, welche die Charaktere fest und sicher fassen und bis in die äußersten Folgerungen darstellen, welche voll gewaltiger Gestalten und voll des schärfsten Geistes sind, haben mich oft zur Bewunderung hingerissen; hinter dem Brustfleck warm gemacht haben sie mir seltener. Wol war dieser Dichter der ergreifendsten Herzenstöne mächtig wie wenige; das sieht man besonders in seinen Dramen; in seinen erzählenden Schriften tritt die Gemütsinnigkeit vor dem Geiste zurück.

Mehrmals ist die Vermutung ausgesprochen worden, daß wir uns bei einzelnen Werken oder Gestalten gegen= seitig beeinflußt hätten. Das ist nicht. Wir standen Jeder für sich. Keiner von uns beiden hat wohl je den leisesten Hang gespürt, in die Fußtapfen des andern zu treten. Außer ein paar Schwank-Ideen, die wir seiner Zeit einander geschenkt, und außer der gegenseitigen Mitarbeiterschaft an den von uns herausgegebenen Zeit schriften, haben wir uns gegenseitig litterarisch_nicht fördern können. Doch als Mensch habe ich durch ihn gewonnen, und hat er hoffentlich durch mich nicht verloren.

In den letzten Jahren seines Lebens ist unser persönlicher Verkehr einigermaßen lax geworden. Er wohnte mit seiner Familie in einem entlegenen Vororte Wiens und schloß sich immer mehr ab. Auf Besuch verspürte ich in seinem Hause einen mir unheimlichen Hauch und der Dichter war verstimmt. Um so lustiger, manchmal fast krankhaft lustig, war er, wenn wir in einer Gaststube beim Glase saßen und davon sprachen, was wir wollten und nicht erreichen konnten. Eigentlich kein lustiges Thema, aber er gewann ihm Humor ab.

Mehrmals gebrauchte er einer drohenden Herzverfettung wegen die Kur in Marienbad; übrigens hörten wir nicht viel von angegriffener Gesundheit. War er in letterer Zeit gleichwohl stark ergraut, so sah er doch sonst nicht frank aus. Am Tage nach der Eröffnung des Deutschen Volkstheaters in Wien habe ich ihn besucht und befragt, warum er- dessen neues Stück: Der Fleck auf der Ehr" das neue Haus eingeweiht an dem daranffolgenden Festmale nicht teilgenommen habe? ,,Lieber Rosegger," war seine Antwort, der Fleck auf der Ehr!" - Dann sprach er in sehr gleichgiltiger Weise über das Stück. Sie sagen, es wäre nicht schlecht, meinetwegen! Ich bin entfräftet, ich bin entmutigt; mir fällt nichts mehr ein."

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Wie einst er zu mir, so sagte ich nun zu ihm: Rasten Sie sich nur etwas aus.“

Freund, das werde ich."

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Zur Geschichte

des Problems des Grafen von Gleichen.

Von Fr. Helbig.

II.

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Mein

„Ich habe zwei Schwestern zu Weibern gehabt", schrieb Bürger an seine spätere Verlobte, Elise Hahn. Auf eine sonderbare Art, zu weitläufig um hier zu erzählen, kam ich dazu, die erste zu heiraten ohne sie zu lieben. Ja, schon als ich mit ihr vor den Altar trat, trug ich den Zunder zu der glühendsten Leidenschaft für die zweite, die damals noch ein Kind und kaum vierzehn bis fünfzehn Jahr alt war, in meinem Herzen Ich fühlte das wohl, allein aus ziemlicher Unbekanntschaft mit mir selbst, hielt ich cs, obgleich ichs nicht ganz ableugnen konnte, höchstens für einen kleinen Fieberanfall, der sich bald geben würde. Hätte ich nur einen halben Blick in die grausame Zukunft tun können, so wäre es Pflicht gewesen, selbst vor dem Altare von dem Segensspruche noch zurückzutreten. Fieber legte sich nicht, sondern wurde durch eine Reihe von fast zehn Jahren immer heftiger und unauslöschlicher. In eben dem Maße, als ich liebte, wurde ich von der Höchstgeliebten wieder geliebt. D, ich würde ein Buch schreiben müssen, wenn ich die Martergeschichte dieser Jahre und so viele der grausamsten Kämpfe zwischen Liebe und Pflicht erzählen wollte. Wäre das mir angetraute Weib ein Weib von gemeinem Schlage, wäre sie minder billig und großmütig gewesen (worin fie freilich von einiger Herzensgleichgiltigkeit gegen mich unterstügt wurde), so wäre ich zuverlässig längst zu Grunde gegangen und würde jezt diese Zeilen nicht mehr schreiben können. Was der Eigensinn weltlicher Geseße nicht gestattet haben würde, das glaubten drei Personen sich zu allerseitigen Rettung vom Verderben selbst gestatten zu dürfen. Die Angetraute entschloß sich, mein Weib öffentlich und vor der Welt nur zu heißen und die andere geheim es wirklich zu sein. ,,Stellas find keine Träume, aber weiß Gott, auch Fernandos nicht", schrieb damals Bürgers Freund Sprickmann, der Vertraute des. Geheimnisses.

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Das Verhältnis bestand bis zum Tode der rechtmäßigen Gattin. Doris, eine echte Stella-Natur, starb -man darf hier wohl die Diagnose des gebrochenen Herzens stellen erst achtundzwanzig Jahre alt, im Jahre 1784 und Bürger erwartete mit Sehnsucht den Ablauf des Trauerjahrs, um sich mit seiner „heißgeliebten" Molly zu verbinden. Das so schwer erkämpfte Glück war indeß nur von kurzer Dauer, denn Molly starb, nachdem sie einer Tochter das Leben geschenkt, schon am 9. Januar 1786 nach einer kaum siebenmonatlichen Ehe.

Bürger hat um das Haupt seiner Molly den unvergänglichen Lorbeer der Dichtkunst in reicher Fülle geschlungen, und die auf ihr und ihm lastende Schuld mit dem Glorienscheine der Tragik umgeben. In der bekannten Elegie Als Molly sich loßreißen wollte" schildert er seine Flammenliebe mit so glühender Farbengabe, daß man das Gedicht nicht mit Unrecht dem "Hohen Liede" Salomonis gleichgestellt hat. Er empfindet alle Qualen des sittlichen Konflikts, er findet zwar Entschuldigung für sein Gewissen, aber nicht die Kraft, den Widerstreit zu lösen.

fragt er sich:

War denn diese Flammenliebe

Freier Willkür Heimgestellt?

Nein! Den Sommer solcher Triebe
Streut Natur ins Herzensfeld.
Unaustilgbar feimen diese
Sproffen dicht von selbst empor
Wie im Tal und auf der Wiese
Kraut und Blume, Gras und Rohr.
Sinnig sig ich oft und frage
Und erwäg es herzlich treu
Auf des besten Wissens Wage
Db Uns lieben" Sünde sei?
Dann erkenn ich zwar und finde
Krankheit schwer und unheilbar:
Aber Sünde, Liebchen, Sünde
Fand ich nie, daß Krankheit war.

Von dieser Krankheit möchte er wohl gern genesen, aber ob er auch Ärzte, Priester, Weise und Toren Weise und Toren ,,um ihren Rat befragt", keiner hat ihm die rechte Arznei verschreiben können. So läßt er denn seine Liebe als freien Strom dahinfließen! Auf der Höhe des Stromes liegt eine anmutvolle Insel, auf welche der Schiffer zu lenken begehrt, aber sein Schiff hängt an den Banden strenger Pflichten, die er zu ehren hat und Molly selbst verwehrt ihm dort anzulanden. Er will sich daher be gnügen, den Rand des Paradicses zu umfahren und seine Obhut wahren gegen fremde Räuberhand. Aber das Gelöbnis hält vor der Leidenschaft der Sinne nicht stand.

དད་

Als die „Herrliche“ dann nach der Schwester Tode die Seine ganz vor Welt und Himmel" geworden war, singt er am Altar der Einzigen" das „Hohe Lied": Ach, in ihren Feenarmen Nun zu ruhen ohne Schuld; An dem Busen zu erwarmen An dem Busen voll Erbarmen Voller Liebe, Treu und Huld: Das ist mehr als an der Kette Aus der Folterkammer Pein Oder von dem Rabenstein In der Wollust Flammenbette Durch ein Wort entrückt zu sein.

Der Leichtsinn des Herzens hat in Bürgers Leben dann noch eine schwere Buße gezahlt in seiner trostlosen Ehe mit dem leichtfertigen Schwabenmädchen", das ihn aufs schwerste betrog.

Übrigens verwirrten Konflikte dieser Art vorübergehend auch andere Dichterköpfe jener Zeit, wie Göckingk und Stolberg. Am interessantesten aber ist es zu verfolgen, wie das Gleichensche Problem auch in dem Herzensleben Schillers eine, wenn auch nur zeitweilige, doch für dessen Geschichte bedeutsame Rolle gespielt hat. Hier wandeln wir wieder in höheren und reineren Sphären.

Schiller hatte durch Wilhelm von Wolzogen dessen Cousinen, die Schwestern Karoline und Charlotte von Lengefeld kennen gelernt. Die erste war in unglücklicher Ehe mit einem Herrn von Beulwig verheiratet. Beide Schwestern fanden den Mittelpunkt ihres Lebens im Hause der Mutter, einer Forstmeisterswitwe · Johanne von Lengefeld in Rudolstadt. Im Sommer 1788 30g Schiller nach dem nahegelegenen Volkstädt, um dort den

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Sommer auf dem Lande zuzubringen. Hier trat er in einen fast täglichen Verkehr mit der Familie. Schiller lag es zunächst fern, eine herzliche Annäherung zu den Schwestern zu suchen, obwol Charlotte ihm bereits nicht gleichgiltig geblieben war.

"Ich werde," schrieb er in den ersten Tagen seiner Übersiedelung an Körner, den vertrauten Freund und Berater seines Herzens, „eine sehr nahe Anhänglichkeit an dieses Haus und eine ausschließende an irgend eine einzelne Person aus demselben sehr ernstlich zu vermeiden suchen. Es hätte mir etwas derartiges begegnen können, wenn ich mich mir selbst hätte überlassen wollen."

Nach seiner Dresdener Liäson", dem bekannten zweideutigen Verhältnisse zu Henriette von Arnim, und seinen eben erst zur Lösung gekommenen Beziehungen zu der genialen Charlotte von Kalb hatte er mit Mühe wieder ein bischen Ordnung in seinen Kopf, sein Herz und seine Geschäfte gebracht" und mochte durch eine solche neue solche neue Distraktion dieselbe nicht wieder über den Haufen werfen". Er traute indes seinem Herzen doch nicht ganz und griff zu einem eigentümlichen Mittel, diese Absicht zu erreichen: Er nahm sich, seinen eigenen Worten nach, vor, sein Herz durch Verteilung zu schwächen.*) Indes erweckt schon der Besuch eines Balles seitens Lottchens in ihm die schlecht verhehlte Empfindung der Eifersucht Als der Herbst und damit die Stunde der Trennung nahte, wagte sich die zurückgehaltene Liebe schon etwas mehr hervor, doch glaubte er noch Körner versichern zu können, er habe es redlich gehalten, was er sich zum Vorsage machte und ihm angelobte. Sein Herz sei noch ganz frei. „Ich habe meine Empfindung durch Verteilung geschwächt und so ist denn das Verhältnis innerhalb der Grenzen einer herzlichen, vernünftigen Freundschaft geblieben.'

Der Sommer des nächsten Jahres zog ihn wieder in die Nähe der Schwestern. Das Verteilungsprinzip war da bereits aufgegeben. Er hatte sogar die bestimmte Absicht, sich Lottchen zu erklären. Aber es kam nicht dazu. Er redete sich ein, daß sein Geständnis „die schöne Harmonie der Freundschaft zerstören könne, daß er mit ihm auch das verlieren könne, was er schon besaß, an beiden besaß". Er kam, indem er Lottchens Zurückhaltung als Kälte deutete, sogar dahin, anzunehmen, es bestehe eine geheime Abmachung zwischen. den Schwestern, die eigenen Herzenswünsche dem Zwang der Freundschaft zu opfern, die gemeinsame Freundschaft nie zur Liebe zu kehren, sondern sie sich ohne Liebe vollenden zu lassen."

In gegenseitiger Selbstqual wuchs das unklare Verhältnis immer mehr in eine peinliche Spannung hinein, bis der Heroismus Karolinens die Entscheidung herbeiführte, indem sie Schiller, den sie selbst liebte, der Schwester zuführte. Sie handelte also genau so wie jene Henriette in Jakobis „Waldemar". Nach der jezt erfolgten Verlobung Schillers mit Lotten hätte man meinen sollen, daß es mit dem Dreibunde zu Ende ge= wesen wäre und die Schwägerin Karoline ganz aus demselben scheiden würde. Da geschah aber das Sonderbare, daß Schiller sich und zwar scheinbar in allem

*) Der Verfasser folgt hier seinem im Jahrgang 1877 der „Gartenlaube" enthaltenen, durch mehrere Nummern hindurchgehenden Essai: Aus dem Herzensleben unseres Lieblingsdichters, in dem er eine eingehende Analyse des Verhältnisses zu geben versucht hat.

Ernste in den Gedanken hinein träumte, daß sein Herz | Jacobi von ihr im Besiz hatte. Schiller sagte sich das beide Schwestern mit gleicher Liebe umfassen könne. Der bei recht wol, daß die Welt für ein solches Verhältnis unerfahrene Lebenspraktiker hielt das Leben für inhalt kein rechtes Verständnis haben und über dasselbe wol voll genug, daß in seinem Schoße das in voller Re-bedenklich den Kopf schütteln würde. Hätte man uns alität bestehen könne, was Jakobi im Romane ausgestaltete. Der Herausgeber des litterarischen Nachlasses Karolinens, der jüngst verstorbene Kirchenhistoriker Karl Haase in Jena, spricht es in der Vorrede zu jener Her ausgabe, mit ausdrücklichen Worten aus, Schiller habe geglaubt, die Ehe des Grafen von Gleichen im Reiche des Idealen verwirklichen zu können. Unmittelbar nach der Verlobung mit Charlotten schreibt Schiller an Karolinen:

„Vor meiner Seele steht es klar und helle, welcher Himmel in der deinigen mir bereitet liegt. was für himmlisch schöne Tage eröffnen sich uns. In mir, lebt kein Wunsch, den meine Lotte und Karoline nicht unerschöpflich befriedigen könne. Und wohl mir, Teuerste meiner Seele, wenn Ihr in mir findet, was Euch glücklich macht."

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Die dualistische Form der Anrede kehrt auch in den nachfolgenden Briefen wieder. Da heißt es: „Wie so anders ist alles um mich her, seitdem mir auf jedem Schritt meines Lebens nur Euer Bild begegnet! Wie eine Glorie schwebt Eure Liebe um mich, wie ein schöner Duft hat sie die ganze Natur verkleidet. Die Erinnerung an Euch führt mich auf alles, weil alles wieder mich an Euch erinnert." Und dann wieder: „Ja eine schöne Harmonie ist, soll unser Leben sein, und mit immer neuen Freuden sollen sich unsere Herzen überraschen, unerschöpflich ist in ihren Gestalten die Liebe, und die unserige glüht in dem ewig schönen Feuer einer immer mehr sich veredelnden Seele. ! Es ist jezt das einzige Glück meines Lebens, daß Ihr mich in einem Herzen der Liebe tragt. Nur in Euch zu leben und Ihr in mir, oh, das ist ein Dasein, das uns über alle Menschen um uns hinweg rücken wird." Die Phantasie des Dichters sieht diese Seelengemeinschaft auch in der weitern Zukun't gewahrt. „Was wird es sein, wenn Ihr mir wirklich ge= gegeben seid, Ihr meine Engel, wenn ich Leben und Liebe von Euren Lippen atmen kann... Eure Liebe ist das Licht meines Lebens." Selbst räumlich hat er sich das Verhältnis in traulicher Behaglichkeit zurecht gelegt. Ich weiß Euch in meinem Zimmer. Karoline bist am Klavier und Lottchen arbeitet neben Dir und aus dem Spiegel, der mir gegen= über hängt, sehe ich Euch beide. Ich lege die Feder weg, um mich an Eurem schlagenden Herzen lebendig zu überzeugen, daß ich Euch habe, daß nichts mich Euch wieder entreißen kann. Ich erwache mit dem Bewußtsein, daß ich Euch finde, und mit dem Bewußtsein, daß ich Euch morgen finde, schlummere ich ein. Der Genuß wird mir blos durch die Hoffnung unterbrochen und die süße Hoffnung nur durch die Erfüllung. Und getragen von diesem himmlischen Baare verfließt unser goldenes Leben." Wie Karoline zu dem Gedanken sich stellte, ist nicht klarzustellen, da sie die jenen Zeitpunkt berührenden Briefe später vernichtete. Ja sie schreckte nicht davor zurück, in den Briefen an Lottchen vor ihrer Veröffentlichung Korrekturen anzubringen, indem sie an die Stelle des Duals den Singular sezte und die teure Karoline in ein „teures Lottchen" umsette. Sie tat dabei das Gleiche, was Johanna Fahlmer in Bezug auf die Briefe tat, welche die

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erst in unserem engeren Kreise beobachtet, wo wir drei ohne Zeugen waren, wer hätte dieses zarte Verhältnis begriffen? Eine freie schöne Seele gehört dazu, ́unsere persönliche Stellung gegen einander aufzufassen. Die ganze Geschichte unserer aufblühenden Werbung unter| einander müßte man übersehen haben und feinen Sinn genug haben, diese Erscheinung in uns auszulegen.“

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១៩.

Georges Ancey,

der Dramatiker des „Théâtre libre" zu Paris.

Bon A. Reyher.

Der bedeutendste Vertreter der auf Antoines Bühne herrschenden Schule ist Georges Ancey. Er ist ein Talent, eine Persönlichkeit. Troß einer gewissen pessimistischen übertreibung, spricht aus seinen Figuren eine solche intensive Wahrheit und Lebensfähigkeit, eine solche Natürlichkeit im Dialog, daß man versucht ist, einen Essai über ihn mit einem sehr perjönlichen: Ich liebe Ancey" à la Jules Lemaître zu beginnen. Ich liebe ihn troß seiner, wie mir scheint, nur gewollten, konventionellen Mängel, schon um der Geißel willen, mit der er die bürgerliche Falschheit unter ihrem aufbauschenden Tugendmantel am empfindlichsten zu treffen weiß, schon weil er in seiner dramatischen Disposition stets als Künstler verfährt. Die losgelöste, ungegliederte Form der jungen Dramaturgen ist die seine nicht. Schon sein erstes, vor zwei Jahren gegebenes Lustspiel Les Inséparables" beweist sein durchaus originelles Talent. Das darin voll feiner Satire gezeichnete Verhältnis zweier Freunde, von denen einer den andern ausnußt und verdrängt, ohne sich seines Ansehens zu entäußern, ja dem Unschuldigen die ganze Schuld zuschiebend, weist bereits mit großer Meisterschaft hin auf die, Ancey in allen seinen Werken leitende Idee: Geißelung bürgerlicher Heuchelei. In einem nachfolgenden Schauspiel Monsieur Lemblin" sehen wir in einem Dreiflceblatt, wie es uns bereits Henry Becque in seiner „Parisienne“ so realistisch gezeigt, denselben Ideengang in anderer Gestaltung. Hier ist es die Ehe mit ihrer bürgerlichen Gleißnerci und Unmoralität, wie sie sich vielfach unter der wärmenden Decke gewahrter äußerer Ehrenhaftigkeit und Konvention entfaltet, die das Motiv bildet. Lemblin, der, zwischen Frau und Maitresse, seinen Gewohnheiten gemäß, zufrieden hinlebt und dieselben schließlich von Gattin und Schwiegermutter willig annehmen sieht, soll ein Beispiel geben von jenem Verhältnis zu dreien, wie es das moderne Leben vielfach gestaltet. Sehr nen, sehr modern ist die Rolle der Schwiegermutter darin, die den Schwiegersohn in der Hoffnung einer geregelten, ordentlichen Maitressenwirtschaft" unterstüßt und der Tochter einen philosophischen Sittenkoder unterlegt, der zu den nachsichtigsten MoralKonsequenzen führt.

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In Anceys leztem, im Théâtre libre gegebenem Schauspiel, ,,l'Ecole des Veufs" haben wir abermals Gelegenheit, die große dramatische Fähigkeit des Autors kennen zu lernen, zugleich aber treten hier auch die schon früher bemerkten Mängel, eine allzu pessimistische, gewollt änschwärzende Weise -- (und das ist ein, vor allem nach naturalistischen Begriffen, verschuldetes Verbrechen an der Wahrheit!) brechen an der Wahrheit!) - seine Persönlichkeiten zu zeichnen,

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