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zurück; einem welt- und menschenscheuen ehemaligen | nicht umsonst auch die bekanntesten geworden, an die man tübinger Stiftler" konnte es schwerlich in der großen zuerst sich erinnert, wenn Hölderlins Name genannt wird. französischen Handelsstadt auf die Dauer gefallen. Übrigens auch das Trauerspielfragment,,Empedofles" verdient, allgemeiner gekannt zu werden, was unsere Leser vielleicht schon empfunden haben bei der in unserem Aufsaße hervorgehobenen Stelle dieses Dramas. Daß andere Werke Hölderlins, sein Hyperion namentlich, veraltet seien, geben wir unbedenklich zu; aber im,,Empedofles" stecken lebendige Geister, die nur darauf warten, noch heute umzugehen im Volke. 7. Juni heute umzugehen im Volke. Gerade mit Beziehung auf „Empedokles" begrüßen wir es mit Freuden, daß der Schluß der Vorrede des Lizmann'schen Buches uns eine vollständige kritische Ausgabe der Dich= tungen Hölderlins für nicht all zu ferne Zeit in Ausficht stellt.

Der Rest seines Lebens ist Schweigen. Kurze Zeit schien es, er werde sich in der Heimat erholen; er beschäftigte sich mit einer Sophoklesüberseßung. Bald jedoch brach der Wahnsinn derart aus, daß Hölderlin in der tübinger Jrrenanstalt mußte untergebracht werden. Von 1807 an, nachdem er ein ruhiger Patient geworden, lebte er bis zu seinem Tode 7. Juni 1843 verkostgeldet bei einem wohlhabenden und wackern Tischlermeister in Tübingen, mit dessen Familie er harmlos verkehrte. In seinen lezten Lebensjahren fing er an, seinen Namen zu verleugnen und sich Scardanelli zu schreiben.

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Aber der Name Hölderlin stralt nicht nur am Sockel des (im Jahre 1881) von dem Bildhauer Emmerich Andresen dem Andenken des Dichters geweihten Denkmals im botanischen Garten zu Tübingen; dieser Name leuchtet mit noch unerloschenem Glanze in nicht zu bestimmende ferne Weiten der deutschen Litteratur hinaus. Zwar ist von Hölderlins Gedichten kein einziges im eigentlichen Sinne des Wortes populär geworden, und auch den höher Gebildeten hat er nicht einen besonders reichen Schat hinterlassen, sondern nur einige wenige unvergleichliche Juwelen; sie lassen sich aufzählen. Da haben wir vor allen Dingen sein Stimmungsbild: Nacht", jene achtzehn Distichen, die auch in Goethes Werken hervorleuchten würden. Es freut uns, daß die echte Poetennatur Clemens Brentanos, der zwar selbst nichts Vollkommenes schaffen konnte, aber einen unendlich feinen Instinkt für wahre Poesie besaß, die wunderbare Gewalt dieses einfachen Gedichtes so leb= haft gepriesen hat. Er habe es, schreibt er einer Freundin, in zwölf Jahren viel hundertmal" gelesen, nie ohne tiefe Bewegung und neue Bewunderung. Es ist dies eine von den wenigen Dichtungen, an welcher mir das Wesen eines Kunstwerkes durchaus klar geworden ist. Es ist so einfach, daß es Alles sagt: Das ganze Leben, der Mensch, seine Sehnsucht nach einer verlorenen Vollkommenheit und die bewußtlose Herrlichkeit der Natur ist darin." (Näheres hierüber bei Lizmann S. 356 und 357.) Neben diese Elegie tritt, wenn auch nicht in gleicher Höhe mit ihr, Hölderlins frühe Jugenddichtung: Der Wanderer, d. h. von jener Stelle an, wo die Reize der deutschen Heimat so anschaulich und so lieblich geschildert werden und selbst das auf der abschüssigen Straße hinter dem Garten des elterlichen Hauses knarrende, in den Hemmschuh gespannte Rad nicht vergessen ist. Dann wär noch das diesen seinen bedeutendsten Dichtungen zuzuzählende Schicksalslied" zu nennen, das nun durch die Komposition von Johannes Brahms neue Weihe und zugleich weitere Verbreitung erhalten hat; endlich seine de: Rückkehr in die Heimat" mit dem so herzlichen Gruß an die sanfteren Lüfte und an die wogenden Gebirge" Süddeutschlands und mit dem wehmütigem Schluffe:

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Die Suggestion und die Dichtung. Ein offener Brief

von

Karl Emil Franzos.

Herrn Otto Neumann-Hofer, Redakteur des Magazins für Litteratur".

Verehrter Herr Kollege!

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Die Ausführungen des Herrn Dr. Arthur Sperling in Nr. 51 des „Magazins“ dürften denen, welche meine am 1. November v. J. in der Deutschen Dichtung" veröffentlichte Anfrage an eine Reihe hervorragender Gelehrten nicht kennen, eine sehr unzutreffende Anschauung von dem Inhalt derselben geben. Beabsichtigt hat das der Herr Verfasser gewiß nicht; um so leichter fällt es mir, von Ihrer freundnachbarlichen Gesinnung die Aufnahme dieser Zeilen zu erbitten.

Nach Herrn Dr. Sperlings Zusammenfassung war meine Anfrage ein Schreiben, in welchem auf Grund von drei ausführlich mitgeteilten Fällen, in denen die Suggestion eine große Rolle spielt, die Frage gestellt wird, ob die Wissenschaft solche Fälle als wahr anerkennt und ob die naturalistische Dichtung, die für sich das Recht in Anspruch nimmt, alles der Wahrheit Entsprechende dichterisch zu verwerten, ein Recht dazu hat, auch die Suggestion und damit den Hypnotismus in die Dichtung einzuführen.“

Mit Verlaub, bei dieser recht summarischen Zusammenfassung einer längeren Gedankenkette ist doch Wichtiges unter den Tisch gefallen, und aus einer berechtigten Frage ist dabei sogar eine meines Erachtens unberechtigte geworden. Ob die Dichtung, gleichviel welcher Richtung, überhaupt ein Recht auf die Verwertung solcher Motive hat, darnach würde ich, sofern ich im Zweifel wäre, andere Herren fragen, Aesthetiker oder noch lieber Dichter, die Naturforscher nicht. Ich bin aber gar nicht im Zweifel darüber und habe das auch in meiner Anfrage sehr deutlich durch die Bemerkung kundgetan, daß die Dichtung daran gewiß nicht zu Grunde. ginge, so wenig sie etwa an der Einschränkung der Theorie der Willensfreiheit durch die Vererbungstheorie zu Grunde gegangen. Poesie ist die Wirklichkeit in größerer Fülle" diesen Saz Kellers kann jeder Dichter unterschreiben und braucht darum noch lange kein Naturalist zu sein.“ Ferner

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aber habe ich dort gesagt: „So getrennt wie vor zwanzig | Allerseltsamsten repräsentiren". Hinter jedem dieser Fälle Jahren leben Wissenschaft und Dichtung nicht mehr; nun kümmert sich die Dichtung um die Wissenschaft, wohl ihr, daß sie's tut, und wir wollen uns die Freude daran nicht dadurch verkümmern lassen, daß sie's noch lange nicht in der rechten Weise tut." Hier aber ist der Punkt, wo meine Anfrage ansette. Einzelne Dichter haben aus dem, was die Bissenschaft an der Vererbungstheorie als unbestreitbare Tatsache anerkennt, durch ungeheuerliche Vergrößerung und Verzerrung ein Schreckgespenst für die große Menge gemacht; mit der Suggestionstheorie, wo die Gefahr noch größer ist, soll es nicht so gehen. Und darum habe ich die Naturforscher gefragt, wie viel davon Wahrheit sei. Darf der Naturalismus zur Verteidigung alles dessen, was er uns auftischt, die Wahrheit desselben betonen, so wird man diese Wahrheit durch die Wissenschaft nachprüfen lassen dürfen.

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Dies meine Anfrage. Sie sehen, ich habe die Grenz linien zwischen Aesthetik und Naturwissenschaft nicht verwischt, und ebensowenig ist dies in all den Gutachten ge= schehen, welche die Deutsche Dichtung" bisher gebracht hat und noch bringen wird. Die Herren haben kurz oder eingehend auf meine Frage geantwortet, aber sie sind bei ihrem Leisten geblieben. Einige Ausblicke ins Belletristische haben sie getan; sie haben von jenen ihnen bekannten Dramen, Romanen, Novellen, in welchen Hypnose und Suggestion eine Rolle spielen, ausgesagt, wie weit die Dichter darin „naturalistisch“, d. h. der Natur getreu geblieben. Und es hat sich dabei herausgestellt, daß keiner dieser Herren auch nur ein einziges dieser Werke als wahr und naturgetreu anerkennt. Aber das war ihres Amtes und lag in ihrer Kompetenz. Mehr nicht. Der Dichter tut gut, sich um die Wissen schaft zu kümmern und sich mit modernen Ideen zu erfüllen, aber wie er zu dichten hat, darüber wird den Dichter in alle Ewigkeit nie ein Naturforscher zu belehren haben.

Kürzer kann ich mich über einen anderen Punkt fassen, weil da das Mißverständnis offenkundig ist. Herr Dr. Sperling sagt mir anläßlich der von mir referirten drei Fälle wuchtige Wahrheiten. Er zergliedert einen derselben und findet, „daß er eine Kritik nicht aushält". Dann "konstatirt" er nur noch einmal", „daß die Motivirung der „konstatirt“ Handlungen der beteiligten Personen in der vorliegenden Geschichte eine absolut ungenügende ist“, und fährt fort: „Was folgt daraus? Für jeden gefunden Menschenverstand wird eine solche Geschichte nicht mehr Wert haben, wie eine Fabel, von der man aus Höflichkeit Notiz nimmt, oder wie ein Schauerroman, der die Leute in Aufregung versett. Eine ähnliche Kritik wird sich der Dichter gefallen lassen müssen, wenn er uns im Buche oder auf der Bühne eine solche hohle Geschichte auftischt." Da hab ich's tüchtig weggekriegt!

Mit Unrecht! Denn Herr Dr. Sperling hat mir dies Sträußchen nur deshalb überreichen können, weil er verschwiegen hat, in welchem Zusammenhang ich diese Geschichte referirt und in welchem Sinne ich selbst darüber geurteilt. Um zu erweisen, es sei nachgerade hohe Zeit geworden, daß die Wissenschaft jene Fälle von Suggestion und Hypnotismus, die in den Zeitungen mit allem Anschein beglaubigter Tatsachen" in jüngster Zeit erzählt worden, auf ihre Glaubwürdigkeit prüfe, referirte ich drei Fälle, „die gewissermaßen eine Scale vom Seltsamen zum

machte ich eine Bemerkung, was da alles „auffällig“ sei und troßdem „für glaubhaft“ gelte. Und da diese Historien „von vielen ernsthaften Leuten geglaubt werden“, so schloß ich daraus: Entweder sind diese Fälle nicht genau beob= achtet oder durch andere Beobachtungen, welche die Unmöglichkeit einer Suggestion in solchem Ausmaß erweisen, widerlegt, oder wir stehen vor einer der größten Umwälzungen u. f. w." Das heißt für jeden, der lesen kann: „Ich glaube das Zeug nicht, aber andere glauben es; ich halte es für die kritiklose Wiedergabe von Unmöglichkeiten, aber andere sind von der Wahrheit überzeugt; bitte, ent= scheiden Sie, Herr Professor!" Und jeder, der lesen kann, hat's auch bisher so verstanden; entweder sagen die Gelehrten: „Das ist so ungenau beobachtet, daß ich nicht dar| über urteilen kann,“ oder sie sagen, wie z. B. Forel: „Ich bezweifle mit Ihnen die Richtigkeit der in den drei Bei= spielen Ihrer Anfrage enthaltenen Angaben." Aber noch mehr: es liegen mir an hundert Referate von Zeitungen über meine Anfrage vor, keiner hat die Sache anders aufgefaßt, als ich eben entwickelt. Daraus darf ich wohl schließen, daß nicht die Unklarheit meiner Ausdrucksweise an dem Mißverständnis des Herrn Dr. Sperling Schuld trägt.

Es ist aber doch ein recht arges Mißverständnis.

Zum Glück hat die Sache auch ihre humoristische Seite. Wissen Sie, welchen Quellen ich jene Geschichte entnommen habe, die Herr Dr. Sperling so unbarmherzig zerpflückt hat? Dem Feuilleton einer Zeitung und einem Auffah, den eine vortrefflich redigirte Wochenschrift gebracht hat. Ahnen Sie nichts?! Die Geschichte war ja zuerst im „Magazin“ erzählt: Nr. 41 vom 11. Oktober 1890, „Die Gottfried KellerStiftung" von „Helveticus“. Allerdings habe ich für einige Umstände auch jene andere Quelle benußt, aber in den Hauptfachen deckt sich mein Referat mit dieser Darstellung, namentlich auch, was viele von Herrn Dr. Sperling gerügten Punkte betrifft. Und dort steht ja auch, S. 639, Spalte links, der Maler habe seine Zwecke bei der Dame durch ein Mittel erreicht, das man wohl Suggestion nennen. darf." Und nun erwägen Sie mein hartes Loos! Das „Magazin“ veröffentlicht am 11. DOktober eine Suggestionsgeschichte, deren Verfasser gewiß an ihrer Wahrheit nicht zweifelt; am 1. November referire ich sie in der „Deutschen Dichtung" unter allen Zeichen des Unglaubens, und am 20. Dezember bekomme ich im „Magazin“ die bitterbösesten Worte zu lesen, weil ich, wenn auch als Ungläubiger, eine solche „hohle“ Geschichte überhaupt erwähnt. Verehrter Herr Kollege, Sie müßten ein arger Griesgram sein, wenn Sie darüber nicht lachen würden!

Mit bestem Gruß, verehrter Herr Kollege

Ihr freundschaftlich ergebener

Karl Emil Franzos.

Erinnerungen an Ludwig Anzengruber.

Bon

P. K. Roseggec.

Einmal schrieb ich Erinnerungen an Berthold Auer bach. Das war kinderleicht, denn mein persönlicher Verkehr mit Auerbach erstreckte sich auf ein paar Tage Beisammenseins und auf etwa ein halb Dußend Briefe. Da war der Stoff furz und scharf gegeben und die Abrundung machte sich von selbst. Aber auf wenige Blätter Erinnerungen an einen Manu schreiben, den man ein halbes Menschenalter gekannt, mit dem man gewesen in verschiedensten Lebenslagen, dem man gefolgt in seine geistigen Weiten und Tiefen, den man mit Jauchzen steigen, mit einem Aufschrei des Schreckes fallen gesehen, über einen Menschen, von dem man viel, sehr viel weiß, für einen fremden flüchtigen Leserkreis eine bezeichnende Skizze zu verfassen, das ist nicht leicht.

Der Redakteur dieses Blattes lud mich troßdem ein, Erinnerungen an Ludwig Anzengruber zu schreiben. Was soll ich denn? Soll ich sein Leben schildern? seine litterarischen Taten? seinen Charakter? Das alles ist schon fertig, leset Anton Bettelheims neues Buch: Ludwig Anzengruber. Der Mann Sein Werk Seine Weltanschauung." (Dresden. L. Ehlermaun. 1891.) Was ich hier mit Fug tun kann, das ist kurz mein persönliches Verhältnis zum großen Dramatiker zu schildern; gefällts cuch, so folget mir.

Natürlich wählt man den Stoff so, daß auch der Schilderer in vorteilhaftes Licht kommt; man muß ja zeigen, was ein so bedeutender Mann, den man beschreiben soll, für prächtige Freunde gehabt hat.

Als die Natur in einem und demselben Lande und zu einer und derselben Zeit den Anzengruber und den Rosegger nebeneinander hingestellt, hat sie sicherlich ein Spizbubenstück geplant. Zwei Bauerndichter, zwei Mundartdichter und moderne Realisten, die gleichen Stoffe, die gleichen Ziele, das gleiche Publikum, den gleichen Ehrgeiz! War's nicht etwa darauf hin angelegt, daß diese beiden Litteraten und Erfolg beslissenen sich insgeheim gründlich hassen sollten? Und schrieb nicht der eine in Wien einst pseudonym ein herrliches Volksstück, für das der andere in Graz applaudirt ward, weil man dort diesen Andern für den Verfasser hielt? War das nicht Bosheit genug, um in dem Herzen des Grazers alle Geister der Mißgunst, des Neides zu erwecken?

Wer weiß auch, was geschehen wäre, wenn ich so gut hätte Komödien schreiben können, wie er. Aber weil Aber weil ich das nicht konnte, was blieb übrig, als mich zu freuen, daß einer aufgestanden, der's konnte! Und ich freute mich redlich.

Wie wir uns kennen lernten?

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Ju Graz lebte um das Jahr 1870 ein Zeitungsrezensent, dem das neue, erst frisch aus Wien gekommene Stück Der Pfarrer von Kirchfeld" gar nicht gefallen wollte. Da der Verfasser seinen richtigen Namen nicht dazugeschrieben, so kam der Rezensent wohl auf den Verdacht, daß ein Einheimischer das Stück gemacht haben könnte, so ein „Naturdichter", wie sie damals, aus mißratenen Schneidergesellen entstanden, auf der Gasse umliefen. Er tat daher das neue Volksstück mit ein bischen hoher Anerkennung und vieler Ironie in wenigen Zeilen ab. Da fragte ich mich verblüfft: Ist

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dieser Mann der Rezensent auch recht bei Troste? Ein solches Stück wegzuwerfen, weil es etwa nicht genau in die Schablone paßt, die er sich mühsam eingepauft und nach der er alle geistigen Größen und Originale zu messen pflegte! In meiner Entrüstung tat ich etwas, das ein Poet eigentlich nie tun soll - ich ward Rezensent. Ich schrieb einen Auffah über das neuc Stück, in welchem dessen Wert und Bedeutung mit fast leidenschaftlich heißen Worten zur Würdigung kam. Zwar ward mir der zünftige Rezensent darauf böse, aber der Dichter ward mir gut. Nach der Veröffentlichung meines Auffages schrieb mir ein gewisser Ludwig Anzengruber aus Wien, daß er der Verfasser des Stückes sei, welches ich so mannhaft und warm in Schuß ge= nommen.

Die Vorstellungen des Pfarrers von Kirchfeld“, welche auf die mattherzige Rezension des Grazer Zeitungsschreibers bereits erlahmt waren, sezten infolge meines Auffages wieder frisch ein, die Häuser waren stets ausverkauft und vom flachen Lande strömten die Leute herbei, um das merkwürdige Drama zu sehen. Da gab's oft ein Schluchzen und ein Jubeln im Theater, wie es bislang bei uns kaum erlebt worden. Die Aufführung war freilich auch musterhaft, nie habe ich seither cinen Pfarrer Hell, einen Wurzelsepp gesehen, der mit den Leistungen der Schauspieler Herren Roll und Martinelli vergleichbar gewesen. Martinelli (gegenwärtig auf dem deutschen Volkstheater in Wien) genießt noch heute mit vollem Recht den Ruhm, der beste jezt lebende Anzengruber-Rollendarsteller zu sein.

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Nach wenigen Wochen fand in Graz die fünfundzwanzigste Vorstellung des Pfarrers" statt und zur höheren Feier derselben ward der Dichter eingeladen, ihr beizuwohnen. Bei dieser Gelegenheit nun habe ich Ludwig Anzengruber persönlich kennen gelernt. Bei dem Festmale, welches nach der festlichen Vorstellung stattfand, saßen wir uns gerade gegenüber. Zwischen uns auf dem Tische hohe Champagnerflaschen und ein sehr üppiger Blumenstrauß. Wir guckten manchmal so cin wenig zwischen durch auf einander hin, sprachen aber nicht viel. Als vom Schauspieler Roll eine begeisterte Rede auf ihn gehalten wurde und ich beim Anstoßen aus Begeisterung mein Glas in Scherben stieß, flüsterte mir Anzengruber, im Gesichte tief rot vor Befangenheit, durch die Blumen die Frage zu, ob auch er nun etwas reden müsse? Ich kannte die Pein und sagte, er habe schon geredet.

Erst am nächsten Morgen, bei einem gemeinsamen Spaziergang wurden wir mitsammen vertrauter. Ich wollte ihm in der Geschwindigkeit die Schönheiten der Umgebung von Graz zeigen, allein er war etwas schwerfällig und behäbig, sagte in seiner langsamen Sprechweise, die Naturschönheiten habe er ohnehin in Wien in seiner Schreibstube, hier wolle er den guten Freund haben, und er schlage vor, daß wir uns irgendwo „hineinseßten" und gemütlich mit einander plauderten. und als wir uns nachher in ein Wirtshaus hineingesezt" hatten, fragte ich ihn, was es denn in seiner Schreibstube zu Wien für großartige Naturschönheiten gebe?

halt."

,,Allerhand", antwortete er. „Ich denk mir fie

Es war ein bedeutsames Wort gewesen. Er dachte fich die Naturschönheiten, so wie er sich seinen Bauern dachte. Ach, selten hatte er Gelegenheit, das Landleben

zu beobachten und zu genießen. Später habe ich ihm manchen Vorwurf daraus gemacht, daß er sich Sommer wie Winter in den Mauern der Stadt vergrabe; das sei nicht gesund, besonders für einen Volksdichter nicht. In der Stadt werde man zu grüblerisch und verliere die Unmittelbarkeit des Empfindens und des Gestaltens. Solche Vorwürfe nahm er stets geduldig hin, ohne sich auch nur mit einem Worte zu rechtfertigen. Ich behaupte aber, es wäre besser gewesen, wenn er sich über meine ungebetenen Ratschläge tüchtig erbost, sic nach träglich aber beherzigt hätte. Denn mit der Gesundheit und Weltfreudigkeit, wie man sie auf dem Lande findet, war es bei Anzengruber nicht zum besten bestellt. Alle Achtung vor großartiger Dichterfantasie, aber es ist doch ein Unterschied, ob man sich die schöne Natur und die gesunde Luft und die natürlichen einfältigen Menschen blos denkt, oder sie wirklich sucht und erlebt.

Also wir hatten uns hineingesezt in ein Wirtshaus. 's ist ein hübsch langer Siß geworden, denn alles, was dieser Mann anging, führte er gründlich durch auch das Gabelfrühstück. Plöglich fragte er mich: „Ist es unangenehm, wenn Ihnen jemand etwas Schmeichelhaftes jagt?"

„Es kommt darauf an, was er sagt," war meine

Antwort.

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„Der Kirchfelder foll's nur sagen," sprach ich. Mein Pfarrer hätte den Weg schon auch allein gemacht," versezte Anzengruber, aber wahrscheinlich sehr langsam, und gerade dieses Stück taugt für die jeßigen Tage. Darum haben Sie mit Ihrem Auffage, der in vielen Zeitungen abgedruckt wird, dem Kirchfelder einen Freundschaftsdienst geleistet, der Ihnen nicht vergessen sein soll. Ihre Werke weiß ich hinwiederum zu schäßen. Ich glaube, Freund, wir halten zusammen." Er hielt mir seine Hand hin, und wie schon vorher seine Sache die meine gewesen, so war von nun an auch seine Person fast die meine. Alles, was im Guten oder Schlechten ihm je widerfahren, habe ich so empfunden, als ob es mir selber geschehen wäre.

Von diesem Tage an sahen wir uns oft und schrieben uns noch öfter. Ich besige von Anzengruber eine große Anzahl Briefe, wovon die aus den ersteren Jahren voller Lebensfrische, Schaffensfreudigkeit und Bummelwißigkeit waren, wogegen die aus späterer Zeit ernst, oft trüb und sorgenvoll gestimmt, manchmal zweifelnd sogar an der Menschheit, an sich selbst. Eine Anzahl düsterer Briefe habe ich im Heimgarten“ XV. Jahrgang veröffentlicht. Ein parmal ist er zu mir nach Steiermark gefahren, viel öfter kam ich zu ihm nach Wien, und da saßen wir denn manchen langen Abend in irgend einem Gasthause zu zweien beisammen und plauderten über Gott und Welt und nebenbei auch über uns selber. Wir waren durchaus nicht immer der gleichen Meinung, aber das förderte uns eben gegenseitig und zog uns zusammen. Im ganzen war ich in der Behauptung meiner Ansichten vorlauter und halsstarrer Etliche seiner Bauerngestalten, so gestand ich ihm einmal, wären mir zu wenig natürlich und zu sehr von Anzengruberscher Weltanschauung durchdrungen. Nun?" fragte cr,,,und was weiter? Ich bin nicht dafür vorhanden, daß ich naturwahre Bauern

als er.

"

| gestalten schaffe, sondern ich schaffe Gestalten, wie ich sie branche, um das darzustellen, was ich darzustellen habe."

Dieser Ausspruch, der mir sehr bezeichnend scheint, weshalb ich mir ihn genau gemerkt, dürfte um das Jahr 1875 gefallen sein.

Später hatte ich ihn selten mehr allein. Kamen wir irgendwo zusammen, so fand sich bald auch eine größere Gesellschaft von guten Freunden zusammen und die Unterhaltung ward eine allgemeinere, heiteren und flüchtigeren Charakters. Au das Eine erinnere ich mich, nämlich, daß in ernsteren Dingen ich häufig anderer Meinung war als alle Übrigen, die sich gerne um die Fahne Anzengrubers scharten. Erst wenn der eine oder der andere wieder mit mir allein war, gab er mir bei, einer einmal sogar mit dem Geständnis, Anzengruber habe eine so sichere und ruhige Art, selbst das Unrichtigste so zu behaupten, daß man ihm unwillfürlich beistimme. Manchmal aber war der Schelm in ihm und etwas, das er den ganzen Abend lang im Gasthause scheinbar ernsthaft und mit würdigster Ruhe behauptet und verteidigt, konnte er nachher im Kaffeehause beim Knickebein“ mit einem einzigen lustigen Worte über den Haufen werfen. Natürlich purzelten seine Nachbeter lustig mit.

Ludwig Anzengruber war eine knorrige, etwas unbehilflich schwerfällige Gestalt. Seine starkgerötete Gesichtsfarbe, seine scharfgebogene, charakteristische Nase, seine hohe Stirn, sein blondes nach rückwärtswallendes Haar, sein rötlicher langer Vollbart, seine falben Augenwimpern gaben ihm schier das Aussehen eines teutonischen Recken. Aber auf diesem urgermanischen Gesichte saß ein Zwicker; und auch seine starke Dichterseele hatte manchmal einen solchen Zwicker auf, der ihr nicht gut zu Gesichte stand, einen Zwicker mit dunklen Gläsern den Pessimismus. Aber erst in späteren Jahren ist der Dichter so kurzsichtig geworden, daß er bisweilen, aber nur bisweilen, sich eines solchen Zwickers bedienen mußte. In seinen großen Werken war er von jenem Optimismus durchdrungen, den jeder echte Dichter haben wird und der sich in der Dichtkunst nicht in heiteren Idyllen äußern muß, sondern vor allem dadurch, daß die poetische Gerechtigkeit waltet. Denn es ist nicht wahr, daß in der Welt stets das Laster siegt und die Tugend untergeht, es ist vielmehr wahr, daß die Schuld sich rächt und die gute Tat Segen bringt.

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tiefer muß man blicken, um das göttliche Walten zu erAber auf der Hand liegt das nicht immer; etwas kennen. Derlei Gedanken gaben denn zwischen ihm und mir Anlaß zu mancherlei Erörterungen, und ich glaube, daß dieselben nicht ganz fruchtlos gewesen sind.

In seinen Absichten und Entschlüssen zeigte er sich stets entschieden, fremden Einwand kühl ablehnend; und doch war er leichter zu bewegen, zu überzeugen, als es den Anschein hatte; spröde und trocken war nur seine Schale, sein Kern war mild und weich.

Garnicht einverstanden war er mit unserm Kulturleben, mit unseren sozialen Verhältnissen. Öfter als einmal war es, daß er beim Glase das Gespräch darüber plößlich abbrach, vor sich hinftarrte, als wäre er versunken in eine Erscheinung, und halbverständlich etwas von „Mord" und "Brand" von nieder" und "empor" und dergleichen murmelte.

"

Aufhören's!" rief ich ihn dabei einmal an.

Wie aus einem Traum richtete er sich auf und zu mir gewendet sagte er: „Sie wollen's ja nicht anders! Sie wollen's ja nicht anders! Bitten und Warnen hilft ja nicht! Da draußen auf der Au reiten sie beim Wettrennen Pferde zu Tode, die tausende von Gulden gekostet, und fünfzig Schritte daneben stürzt sich von der Donaubrücke ein Weib mit ihrem Kinde vor Hungersnot ins Wasser. Es ist ein Mir graust!" Damit brach er solche Gespräche ab.

Dort die übermütigen Sportsmen, hier die Verhungernden! Freilich ein solcher Weltlauf müßte auch einen gewöhnlichen Menschen pessimistisch stimmen. Um wie viel mehr erst leidet darunter das für Recht er= glühende Herz eines Dichters! Zudem hat Anzengruber das Mißverhältnis zwischen Verdienst und Lohn nur zu sehr an sich selber empfinden müssen. Viele Jahre nach dem ersten ruhmreichen Auftreten seines Pfarrers von Kirchfeld" und anderer seiner großen Dramen hatte mir der Dichter zu schreiben: „Ich habe nun neun Jahre Schriftstellertum hinter mir, aber nicht die Stellung errungen, die mir erlaubte, ohne Frage nach dem augenblicklichen Erfolge, aus dem Vollen heraus produziren zu dürfen. Ich werde diese Stellung voraussichtlich nie oder erst dann erringen, wenn meine Jahre nicht mehr die sind, welche eine solche Produktion aus dem Vollen zulassen.“

Das war zur Zeit, als Operettenmacher in der Stadt sich Paläste und auf dem Lande schloßartige Villen bauten!

Im Winter des Jahres 1887 wurde auf dem Grazer Theater ein neueres Stück von Anzengruber versuchsweise gegeben, welches für Wien als eine Weihnachtskomödie geschrieben, dort aber abgelehnt worden und also heimatlos war. Das Stück hieß: „Heim g'funden." Das Grazer Publikum fühlte sich von der Herzenswarmen Komödie angemutet, die Kritik des Lokalblattes wußte wieder einmal nicht recht, sollte sie ja oder nein dazu sagen und so sagte sie: hm, hm. Ich hingegen war der Meinung, daß eine herzenswarme Komödie auch eine herzenswarme Besprechung verdiene, und schrieb für die Wiener „Deutsche Zeitung" einen Auffag über das Stück „Heimg'funden."

Um dieselbe Zeit war zu Wien aber ein löbliches Preisrichter-Kollegium in großer Verlegenheit. Das hatte den Grillparzerpreis zu verteilen und sah keinen würdigen Dichter dafür. In dieser Bedrängnis verfiel das Preisrichter-Kollegium, durch meinen Auffaß aus Graz aufmerksam gemacht, auf die Tatsache, daß in Wien ein Dichter lebe, namens Ludwig Anzengruber, welcher schöne Theaterstücke schreibe und das neueste davon, Heimg'funden" genannt, sogar in Graz an der Mur mit großem Erfolge aufgeführt worden sei. Die Folge solcher Kundmachung war, daß Anzengruber für dieses Stück den Grillparzerpreis von 2000 Gulden erhielt.

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Selten war es mir in meinem Leben gegönnt, einem Freunde etwas wirklich Cutes zu erweisen, um so größer war meine Freude, als es mir bekannt wurde, daß ich die Ursache der Preiskrönung Anzengrubers gewesen bin. Und die kleine Eitelkeit, gerade davon zu sprechen, müßt ihr mir schon verzeihen. Es soll ja auch euch gern erlaubt sein, davon zu plaudern, falls ihr einmal einem deutschen Dichter eine Aufmerk samkeit erweiset außer der, seine Werke aus der Leihbibliothek holen zu lassen.

Hier ist angedeutet worden, was ich dem Dichter Anzengruber gewesen bin. Wenn einmal erzählt wer

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den soll, was er mir war, dann brauche ich einen größeren Raum, als solche paar Seiten. Einstweilen sehet und leset seine Werke, damit wir uns dann um so leichter verstehen.

Die Gesellschaft für modernes Leben.

Bon

Otto Julius Bierbaum (München).

Als die Nachricht von der Gründung einer „Gesellschaft für modernes Leben“ in München mit freien Vortragsabenden, freier Bühne, freiem Kunstsalon und noch etlichen Freiheiten auch nach auswärts versant worden war, erhielt ich eines Tages von einem berliner Freunde einen Brief, in welchem unter anderem folgende Säße standen: Ihr irrt euch. München ist

höchstens ein litterarischer Bier-Kurort. Da geht man einmal hin, höchstens auf ein Vierteljahr, zum Studium der Pinakotheken, des Hofbräuhauses, der Glyptothek, und weil man den Bergen und Seen so fröhlich nahe ist. Zum dauernden Aufenthalte aber ist München für freie Köpfe nicht gemacht, ausgenommen für Maler; für die steckt eine gewisse Seelensubstanz in der münchener Luft, die auf die Stimmung der Farbenkünstler schlägt. Für Schriftsteller aber, ich meine: für dichterisch angelegte Köpfe, war München einmal, aber ist nicht mehr. Die Zeiten des „Krokodils“ sind vorüber . . .“ und ähnliches mehr.

Mein Freund hat sich geirrt. Die „Gesellschaft für modernes Leben“ hat zahlreichen Zulauf erhalten aus den verschiedensten Kreisen der münchener Bevölkerung, ihre Gründung ist ein großer Erfolg des neuen ringenden Geistes. Natürlich fehlt es auch nicht an Feindschaft, an stiller so wenig, als an lauter. Die Ultramontanen zumal öffneten die Schleusen ihres Zornes, und sehr ergiebig entströmten diesen nicht wohlduftige Massen trüben Gewässers; aber so furchterweckend die Frommen auch den Teufel Zola an die Wand malten, so Gräßliches sie auch prophezeiten wider die „Drachenfaat" des Realismus, — die geistig Strebenden, zumal die jungen Künstler, fürchteten sich nicht, die Listen der

neuen Gesellschaft füllten sich, und was mit nicht ganz fester Hoffnung unternommen war, schlug im Erfolg weit über alle Hoffnung selbst der paar Hoffnungsfreudigen hinaus. Was geschehen war, war zur rechten Zeit geschehen, die Gründung war einem Bedürfnisse entgegengekommen.

Der neue Geist lebte und wuchs in den jungen Köpfen hier wie anderswo, aber es fehlte ihm an Halt und Sammlung. Zumal die ganze junge Künstlerschaft war lange schon vom neuen Streben nach neuer Kunst erfüllt; aber wie es unter bildenden Künstlern zu sein pflegt: die Spezialfragen der Technik überwogen, und nach den Richtungen der einzelnen malerischen Gebiete zersplitterten sich die Meinungen. Und gerade Eines fehlte, Eines, das am höchsten not tat: der weite Blick, der den zusammenstrom aller Kunst nach einem Ziele erkannte. Ja, es gab junge Künstler genug, die nicht einmal ahnten, daß auch im modernen deutschen Schrifttum jene selben Ziele erstrebt, jene selben Kämpfe ausgestritten werden, von denen sie erfüllt und bewegt sind. Aus der Litteratur, welche ihnen die Tagespresse bot, konnten sie es freilich nicht erkennen. Im Gegenteil: fie mußten den Eindruck haben, als ob in der Litteratur noch genau jene breiige Ruhe im Alten herrschte, welche sie, die bildenden Künstler, glücklich überwunden hatten. Das litterarische Leben Münchens war in der Tat ein stagnirendes Wasser, über welchem

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