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Leitstern, von so viel Jünglingen, nach eines jeden angebornem Charakter, ohne Rücksichten getrieben wurde, entsprang jene berühmte, berufene und verrufene Literarepoche, in welcher eine Masse junger genialer Månner, mit aller Muthigkeit und aller Anmaßung, wie sie nur einer solchen Jahreszeit eigen seyn mag, hervorbrachen, durch Anwendung ihrer Kräfte manche Freude, manches Gute, durch den Mißbrauch derselben manchen Verdruß und manches Uebel stifteten; und gerade die aus dieser Quelle entspringenden Wirkungen und Gegenwirkungen sind das Hauptthema dieses Bandes.

Woran sollen aber junge Leute das höchste Interesse finden, wie sollen sie unter Ihresgleichen Interesse erregen, wenn die Liebe sie nicht beseelt, und wenn nicht Herzensangelegenheiten, von welcher Art sie auch seyn mögen, in ihnen lebendig sind? Ich hatte im Stillen eine verlorene Liebe zu beklagen; dieß machte mich mild und nachgiebig, und der Gesellschaft angenehmer als in glänzenden Zeiten, wo mich nichts an einen Mangel oder einen Fehltritt erinnerte, und ich ganz ungebunden vor mich hinstürmte.

Die Antwort Friederikens auf einen schriftlichen Abschied zerriß mir das Herz. Es war dieselbe Hand, der= selbe Sinn, dasselbe Gefühl, die sich zu mir, die sich an mir herangebildet hatten. Ich fühlte nun erst den Verlust den sie erlitt, und sah keine Möglichkeit ihn zu erseßen, ja nur ihn zu lindern. Sie war mir ganz gegen

wärtig; stets empfand ich, daß sie mir fehlte, und was das Schlimmste war, ich konnte mir mein eignes Unglück nicht verzeihen. Gretchen hatte man mir genommen, Annette mich verlassen, hier war ich zum ersten Mal schuldig; ich hatte das schönste Herz in seinem Tiefsten verwundet, und so war die Epoche einer düsteren Reue, bei dem Mangel einer gewohnten erquicklichen Liebe, höchst peinlich, ja unerträglich. Aber der Mensch will leben, daher nahm ich aufrichtigen Theil an andern, ich suchte ihre Verlegenheiten zu entwirren, und was sich trennen wollte zu verbinden, damit es ihnen nicht ergehen möchte wie mir. Man pflegte mich daher den Vertrauten zu nennen, auch, wegen meines Umherschweifens in der Gegend, den Wanderer. Dieser Beruhigung für mein Gemüth, die mir nur unter freiem Himmel, in Thålern, auf Höhen, in Gefilden und Wåldern zu Theil ward, kam die Lage von Frankfurt zu statten, das zwischen Darmstadt und Homburg mitten inne lag, zwey angenehmen Orten, die durch Verwandtschaft beider Höfe in gutem Verhältniß standen. Ich gewöhnte mich, auf der Straße zu leben, und wie ein Bote zwischen dem Gebirg und dem flachen Lande hin und her zu wandern. Oft ging ich allein oder in Gesellschaft durch meine Vaterstadt, als wenn sie mich nichts anginge, speis'te in einem der großen Gasthöfe in der Fahrgasse und zog nach Tische meines Wegs weiter fort. Mehr als jemals war ich gegen offene Welt und freie Natur

gerichtet. Unterwegs sang ich mir seltsame Hymnen und Dithyramben, wovon noch eine, unter dem Titel Wanderers Sturmlied, übrig ist. Ich sang diesen Halbunsinn leidenschaftlich vor mich hin, da mich ein schreckliches Wetter unterwegs traf, dem ich entgegen gehen. mußte.

Mein Herz war ungerührt und unbeschäftigt: ich vermied gewissenhaft alles nåhere Verhältniß zu Frauenzimmern, und so blieb mir verborgen, daß mich Unaufmerksamen und Unwissenden ein liebevoller Genius heimlich umschwebe. Eine zarte liebenswürdige Frau hegte im Stillen eine Neigung zu mir, die ich nicht gewahrte, und mich eben deßwegen in ihrer wohlthätigen Gesell= schaft desto heiterer und anmuthiger zeigte. Erst mehrere Jahre nachher, ja erst nach ihrem Tode, erfuhr ich das geheime himmlische Lieben, auf eine Weise, die mich erschüttern mußte; aber ich war schuldlos und konnte ein schuldloses Wesen rein und redlich betrauern, und um so schöner, als die Entdeckung gerade in eine Epoche fiel, wo ich, ganz ohne Leidenschaft, mir und meinen geistigen Neigungen zu leben das Glück hatte.

Aber zu der Zeit, als der Schmerz über Friederikens Lage mich beångstigte, suchte ich, nach meiner alten Art, abermals Hülfe bei der Dichtkunst. Ich sehte die hergebrachte poetische Beichte wieder fort, um durch diese selbstquålerische Büßung einer innern Absolution würdig zu werden. Die beiden Marien in Göß von

Berlichingen und Clavigo, und die beiden schlechten Figuren, die ihre Liebhaber spielen, möchten wohl Resultate solcher reuigen Betrachtungen gewesen seyn.

Wie man aber Verletzungen und Krankheiten in der Jugend rasch überwindet, weil ein gesundes System des organischen Lebens für ein krankes einstehen und ihm Zeit lassen kann auch wieder zu gesunden, so traten körperliche Uebungen glücklicher Weise, bei mancher günsti gen Gelegenheit, gar vortheilhaft hervor, und ich ward zu frischem Ermannen, zu neuen Lebensfreuden und Genüssen vielfältig aufgeregt. Das Reiten verdrängte nach und nach jene sc;lendernden, melancholischen, beschwerlichen und doch langsamen und zwecklosen Fußwanderun= gen; man kam schneller, lustiger und bequemer zum Zweck. Die jüngeren Gesellen führten das Fechten wieder ein; besonders aber that sich, bei eintretendem Winter, eine neue Welt vor uns auf, indem ich mich zum Schlittschuhfahren, welches ich nie versucht hatte, rasch entschloß, und es in kurzer Zeit, durch Uebung, Nachdenken und Beharrlichkeit, so weit brachte als nöthig ist, um eine frohe und belebte Eisbahn mitzugenießen, ohne sich gerade auszeichnen zu wollen.

Diese neue frohe Thätigkeit waren wir denn auch Klopstocken schuldig, seinem Enthusiasmus für diese glückliche Bewegung, den Privatnachrichten bestätigten, wenn seine Oden davon ein unverwerfliches Zeugniß ablegen. Ich erinnere mich ganz genau, daß an einem

heiteren Frostmorgen, ich aus dem Bette springend mir

jene Stellen zurief:

Schon von dem Gefühle der Gesundheit froh,

Szab' ich, weit hinab, weiß an dem Gestade gemacht

Den bedeckenden Krystall.

Wie erhellt des Winters werdender Tag

Sanft den See? Glänzenden Reif, Sternen gleich,
Streute die Nacht über ihn aus!

Mein zaudernder und schwankender Entschluß war sogleich bestimmt, und ich flog stråcklings dem Orte zu, wo ein so alter Anfänger mit einiger Schicklichkeit seine ersten Uebungen anstellen konnte. Und fürwahr, diese Kraftåußerung verdiente wohl von Klopstock empfohlen zu werden, die uns mit der frischesten Kindheit in Berührung setzt, den Jüngling seiner Gelenkheit ganz zu genießen aufruft, und ein stockendes Alter abzuwehren geeignet ist. Auch hingen wir dieser Lust unmåßig nach). Einen herrlichen Sonnentag so auf dem Eise zu verbringen, genügte uns nicht; wir sehten unsere Bewegung bis spåt in die Nacht fort. Denn wie andere Anstrengungen den Leib ermüden, so verleiht ihm diese eine immer neue Schwungkraft. Der über den nächtlichen, weiten, zu Eisfeldern überfrorenen Wiesen aus den Wolken hervortretende Vollmond, die unserm Lauf entgegensåuselnde Nachtluft, des bei abnehmendem Wasser sich senkenden Eises ernsthafter Donner, unserer eigenen Bewegungen sonderbarer Nachhall, vergegenwärtigten uns

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