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du wirst wohl thun, das Mährchen ungeschrieben zu lafsen. Durch Zögern und Vorwände wollen wir schon eine Entschuldigung finden.“

Ich verwunderte mich sehr: denn ich hatte weder an ein dießrheinisches noch an ein überrheinisches Paar gedacht, ja ich håtte gar nicht anzugeben gewußt, wie ich auf den Einfall gekommen. In Gedanken mochte ich mich gern mit solchen Spåßen, ohne weitere Beziehung, beschäftigen, und so, glaubte ich, sollte es auch andern seyn, wenn ich sie erzählte.

Als ich in der Stadt wieder an meine Geschäfte kam, fühlte ich die Beschwerlichkeit derselben mehr als sonst: denn der zur Thätigkeit geborne Mensch übernimmt sich in Plauen und überladet sich mit Arbeiten. Das gelingt denn auch ganz gut, bis irgend ein physisches oder moralisches Hinderniß dazutritt, um das Unverhältnißmäßige der Kräfte zu dem Unternehmen in's Klare zu bringen.

Das Juristische trieb ich mit so viel Fleiß als nöthig war, um die Promotion mit einigen Ehren zu absolviren; das Medicinische reizte mich, weil es mir die Natur nach allen Seiten wo nicht aufschloß, doch gewahr werden ließ, und ich war daran durch Umgang und Gewohnheit gebunden; der Gesellschaft mußte ich auch einige Zeit und Aufmerksamkeit widmen: denn in manchen Familien war mir mehreres zu Lieb und zu Ehren geschehn. Aber alles dieß wäre zu tragen und fortzufüh

ren gewesen, håtte nicht das was Herder mir auferlegt, unendlich auf mir gelastet. Er hatte den Vorhang zerrissen, der mir die Armuth der Deutschen Literatur bedeckte; er hatte mir so manches Vorurtheil mit Grausamkeit zerstört; an dem vaterländischen Himmel blieben nur wenige bedeutende Sterne, indem er die übrigen alle nur als vorüberfahrende Schnuppen behandelte; ja was ich von mir selbst hoffen und wähnen konnte, hatte er mir dermaßen verkümmert, daß ich an meinen eignen Fähigkeiten zu verzweifeln aufing. Zu gleicher Zeit jedoch riß er mich fort auf den herrlichen breiten Weg, den er selbst zu durchwandern geneigt war, machte mich aufmerksam auf seine Lieblingsschriftsteller, unter denen Swift und Hamann obenan standen, und schüttelte mich kräftiger auf als er mich gebeugt hatte. Zu dieser vielfachen Verwirrung nunmehr eine angehende Leidenschaft, die, indem sie mich zu verschlingen drohte, zwar von jenen Zustånden mich abziehn, aber wohl schwerlich darüber erheben konnte. Dazu kam noch ein körperliches Uebel, daß mir nämlich nach Tische die Kehle wie zugeschnürt war, welches ich erst später sehr leicht los wurde, als ich einem rothen Wein, den wir in der Pension gewöhnlich und sehr gern tranken, entfagte. Diese unerträgliche Unbequemlichkeit hatte mich auch in Sesenheim verlassen, so daß ich mich dort doppelt vergnügt befand; als ich aber zu meiner städtischen Diät zurückkehrte, stellte sie sich zu meinem großen Verdruß sogleich wieder

ein. Alles dieß machte mich nachdenklich und mürrisch, und mein Aeußeres mochte mit dem Innern übereinstimmen.

Verdrießlicher als jemals, weil eben nach Tische jenes Uebel sich heftig eingefunden hatte, wohnte ich dem Clinicum bei. Die große Heiterkeit und Behag= lichkeit womit der verehrte Lehrer uns von Bett zu Bett führte, die genaue Bemerkung bedeutender Symptome, die Beurtheilung des Gangs der Krankheit überhaupt, die schöne hippokratische Verfahrungsart, wodurch sich, ohne Theorie, aus einer eignen Erfahrung, die Gestalten des Wissens heraufgaben, die Schlußreden mit denen er gewöhnlich seine Stunden zu krönen pflegte, das alles zog mich zu ihm und machte mir ein fremdes Fach, in das ich nur wie durch eine Rize hineinsah, um desto reizender und lieber. Mein Abscheu gegen die Kranken nahm immer mehr ab, je mehr ich diese Zustände in Begriffe verwandeln lernte, durch welche die Heilung, die Wiederherstellung menschlicher Gestalt und Wesens als möglich erschien. Er mochte mich wohl, als einen seltsamen jungen Menschen, besonders in's Auge gefaßt und mir die wunderliche Anomalie, die mich zu seinen Stunden hinführte, verziehn haben. Dießmal schloß er seinen Vortrag nicht, wie sonst, mit einer Lehre, die sich auf irgend eine beobachtete Krankheit bezogen hatte, sondern sagte mit Heiterkeit: Meine Herren! wir sehen einige Ferien vor uns. Benutzen Sie dieselben sich auf

zumuntern; die Studien wollen nicht allein ernst und fleißig, sie wollen auch heiter und mit Geistesfreiheit behandelt werden. Geben Sie Ihrem Körper Bewegung, durchwandern Sie zu Fuß und zu Pferde das schöne Land; der Einheimische wird sich an dem Gewohnten erfreuen, und dem Fremden wird es neue Eindrücke ge= ben und eine angenehme Erinnerung zurücklassen."

Es waren unser eigentlich nur zwey, an welche diese Ermahnung gerichtet seyn konnte; möge dem andern dieses Recept eben so eingeleuchtet haben als mir! Ich glaubte eine Stimme vom Himmel zu hören, und eilte was ich konnte, ein Pferd zu bestellen und mich sauber herauszupußen. Ich schickte nach Weyland, er war nicht zu finden. Dieß hielt meinen Entschluß nicht auf, aber leider verzogen sich die Anstalten und ich kam nicht so früh weg als ich gehofft hatte. So stark ich auch ritt, überfiel mich doch die Nacht. zu verfehlen, und der Mond beleuchtete mein leidenschaftliches Unternehmen. Die Nacht war windig und schauerlich, ich sprengte zu, um nicht bis morgen früh auf ihren Anblick warten zu müssen.

Der Weg war nicht

Es war schon spåt, als ich in Sesenheim mein Pferd einstellte. Der Wirth, auf meine Frage, ob wohl in der Pfarre noch Licht sey, versicherte mich, die Frauenzimmer seyen eben erst nach Hause gegangen; er glaube gehört zu haben, daß sie noch einen Fremden erwarteten.

Das war mir nicht recht; denn ich håtte gewünscht der einzige zu seyn. Ich eilte nach, um wenigstens, so spåt noch, als der erste zu erscheinen. Ich fand die beiden Schwestern vor der Thüre sizend; sie schienen nicht sehr verwundert, aber ich war es, als Friederike Olivien in's Ohr sagte, so jedoch daß ich's hörte:,,hab' ich's nicht gesagt? da ist er!" Sie führten mich in's Zimmer und ich fand eine kleine Collation aufgestellt. Die Mutter begrüßte mich als einen alten Bekannten; wie mich aber die ältere bei Licht besah, brach sie in ein lautes Gelächter aus: denn sie konnte wenig an sich halten.

Nach diesem ersten etwas wunderlichen Empfang ward sogleich die Unterredung frei und heiter, und was mir diesen Abend verborgen blieb, erfuhr ich den andern Morgen. Friederike hatte voraus gesagt, daß ich kom= men würde; und wer fühlt nicht einiges Behagen bei'm Eintreffen einer Ahnung, selbst einer traurigen? Alle Vorgefühle, wenn sie durch das Ereigniß bestätigt wer= den, geben dem Menschen einen höheren Begriff von sich selbst, es sey nun, daß er sich so zart fühlend glauben kann um einen Bezug in der Ferne zu tasten, oder so scharfsinnig, um nothwendige aber doch ungewisse Verknüpfungen gewahr zu werden. - Olivien's Lachen blieb auch kein Geheimniß; sie gestand, daß es ihr sehr lustig vorgekommen, mich dießmal gepußt und wohl ausstaffirt zu sehn; Friederike hingegen fand es vortheilhaft, eine solche Erscheinung mir nicht als Eitelkeit auszule=

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