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persönliche Theorie zum Abschluss: sämmtliche Sonette gelten Pembroke, die letzten 28 sind an die gemeinschaftliche Maitresse gerichtet. In Deutschland gewann diese persönliche Theorie gewichtige Anhänger, so in Ulrici, der an Pembroke und des Dichters Bekenntnisse glaubt, und in Gervinus, der nicht begreift, wie man an Southampton zweifeln kann. Auch Elze legt den 126 ersten Sonetten autobiographische Bedeutung bei, indem er aber doch in ihnen nicht sowohl das individuelle und ausschliessliche Eigenthum des Dichters als vielmehr einen Faktor und Element des allgemeinen Gedankeninhalts (Freundschaftsschwärmerei) seiner Zeit" sieht.*) Diese Ansicht bildet gleichsam eine Brücke zu den Folgerungen Jener, welche sich mit der persönlichen Theorie nicht befreunden konnten und zu dem Schlusse kamen, die Sonette behandelten fingirte Verhältnisse und von den Freunden eingegebene Gedanken (Dyce 1864) oder seien lediglich das Erzeugniss freier dichterischer Phantasie (Delius, Gildemeister). Henry Brown (1875) sieht in den Sonetten eine Satyre auf die in England herrschende Sonettenmanie, erkennt in „W H" den Grafen v. Pembroke und in der Schönen der letzten Sonette dessen Maitresse, mit der Absicht der Ironisirung nach Sidney's "Stella" (Lady Rich) gezeichnet. Goedeke endlich lässt, ohne auf eine Deutung der gesammten Sonette einzugehen, gewisse Nummern an die Familie, die Frau geschrieben sein und erklärt im übrigen die Freundschaft mit Southampton (d. h. wohl auch mit Bembroke), ebenso die unglückliche Ehe des Dichters, für eine Fabel. Während alle diese Ausleger ihre Ueberzeugungen

*) Karl Elze, William Shakespeare. Halle 1876. p. 498.

in das Prokrustesbett der von Thorpe geschaffenen Unordnung der Sonette zwängten, versuchten andere kühn eine neue Ordnung derselben. So erschien schon die 2te Auflage im Jahre 1640 neu geordnet und in Grup pen eingetheilt. Neuerdings haben Bodenstedt, Victor Hugo, Charles Knight und Gerald Massey eine veränderte Anordnung getroffen.

Gewiss hat schon diese unvollständige Aufzählung der verschiedenen Ansichten und Meinungen dem Leser einen Begriff von der Schwierigkeit der Sonettenfrage gegeben.

Wer die Sonette allein auf der innigen Freundschaft zu einem jungen und vornehmen Manne beruben lässt, wird, sei dieser nun Southampton oder Pembroke, bald auf Widerwärtigkeiten stossen, die von der glühendsten Freundschaftsschwärmerei nicht überwunden werden können. Wer in ihnen eine autobiographische Quelle sieht, muss sich, er mag den Dichter verehren wie er will, bald mit Bedauern von dem Menschen Shakespeare abwenden darüber hinweg hilft kein noch so hoher" Standpunkt von besonderer Moral des Genies.

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Am behaglichsten muss sich diesen Schwierigkeiten gegenüber jene Theorie fühlen, die in den Sonetten nur eine poetische Verarbeitung fingirter Verhältnisse sieht; denn da lässt sich leicht alles unterbringen, auch die, wie man glauben sollte, deutlichsten persönlichen Anspielungen und wahrsten Herzenslaute.

Einen Mittelweg nun schlägt Gerald Massey ein (zuerst Quarterly Review April 1864)*). Die ersten 126 Sonette (anders geordnet) sind zum Theil an den

*) Shakespeare's Sonnets ect. London 1866 und 1872.

Grafen Southampton gerichtet, zum Theil schildern sie auf dessen Eingebung sein Liebesverhältniss zu Elisabeth Vernon und zwar in dramatischer Weise: bald spricht der Graf, bald seine Geliebte. Die zweite Abtheilung von 28 Sonetten ist für den Grafen von Pembroke geschrieben; dieser ist der Mr W H, der die Veröffentlichung der Sonette bewirkte. Die schwarze Schöne ist Lady Rich. -F. A. Gelbeke hat (1867) diese Theorie seiner Uebersetzung der Sonette zu Grunde gelegt, und ich bin ihm in der meinigen darin gefolgt.

Ich halte Massey's Theorie nicht für unfehlbar, aber für richtig im Grossen und Ganzen; sie ist eine feine Mosaikarbeit, bei welcher manches Steinchen so oder so gewendet werden kann. Ihre schwache Seite ist, dass sie zu viel beweisen, dass sie die Stelle, die sie jedem Sonette einräumt, besonders begründen muss, während jene Theorien, die sich einfach an die hergebrachte Ordnung halten, alles Unverständliche auf die Schultern des Dichters wälzen können, der doch gewiss an dieser Ordnung unschuldig ist. Massey's Hypothese aber macht mir die Sonette am geniessbarsten und birgt für mich am meisten innere Wahrheit. Sie befreit nicht nur den Dichter von allem Anstössigen, was in den Liebessonetten, namentlich der letzten Abtheilung, wenn auf ihn selbst bezogen, liegt, sondern gibt auch für Sonette, die nicht in seinen Mund passen, den richtigsten Sprecher oder die Sprecherin. Eine Gewähr für ihre relative Richtigkeit erblicke ich darin, dass sie fast alle anderen Hypothesen irgendwo tangirt, als besässe jede einen Theil der Wahrheit, die sie vereinigt. So hat sie die Freundschaft Shakespeare's mit den hohen Gönnern Southampton und Pembroke, aber zeigt sie in einem

Lichte, die auf des Dichters Charakter keinen Flecken lässt; sie gibt persönliche Sonette, durch welche wir dem Dichter nahe kommen, setzt aber auch seine Männlichkeit wieder in ihre Rechte ein und weist dem Weibe zu, was des Weibes ist; sie gewährt Shakespeare Spielraum für das freie Schaffen seiner Phantasie, wie für seine besondere Fähigkeit der dramatischen Darstellung und räumt auch dem Humor und der Satyre ihr Feld ein. Endlich aber wirft sie auch auf Shakespeare's Leben ein neues Licht: seine unglückliche Ehe, sowie die Unzufriedenheit mit seinem Stand zerfallen in Nichts; denn es zeigt sich, dass diese Mythen hauptsächlich auf einer irrigen Auslegung gewisser Sonette beruhen.

Es liegt nicht in meiner Absicht, hier auf die Details von Massey's Theorie einzutreten, vielmehr erlaube ich mir, dieserhalb, wenigstens was die erste Abtheilung der Sonette anbetrifft, auf die Einleitung und die Anmerkungen zu meiner Uebersetzung der „SouthamptonSonette" zu verweisen. Ich werde nur erwähnen, was ich für meinen im Vorwort angegebenen Zweck nöthig halte und wende mich nun zur Sache selbst.

I.

Die Shakespeare-Southampton-Freundschaft.

Die für das Verständniss der ersten Abtheilung der Sonette so wichtige Zeichnung von Southamptons Charakter und Leben habe ich an der soeben zitirten Stelle meines Buches gegeben und dabei geschildert, welcher Unstern über dem Grafen schwebte und alle seine Hoffnungen, Wünsche und ehrgeizigen Pläne vereitelte, so oft er sich ihrer Erfüllung am nächsten glaubte - ein Unstern, dessen Verkörperung die Königin Elisabeth war. Ich habe die Quälereien, Zurücksetzungen und Kränkungen geschildert, mit denen sie ihn nicht zur Ruhe kommen liess, die Ausbrüche seines heissen Blutes, die dann mit neuen Kränkungen, ja theilweiser Verbannung bestraft wurden; ich habe die Liebesgeschichte von Southampton und Elisabeth Vernon erzählt, die durch der Königin hartnäckigen Widerstand so viele Trübung erfuhr, bis sie endlich nur durch geheime Verehlichung ihren Abschluss finden konnte, und ich habe gezeigt, wie Southampton dazu kam, an Essex' hochverrätherischen Plänen und dem tollen Aufstande gegen die Königin theilzunehmen und dafür, mit knapper Noth seinen Kopf rettend, zu lebenslänglicher Gefangenschaft

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