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Mann war recht schwerfällig, aber die Dame von Welt mit dem flugen Lächeln in dem feinen Gesicht und der hellen Ruhe in den jugendlich blißenden, blauen Augen half ihm rasch über seine Verlegenheit hinweg.

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Erlauben Sie zunächst, daß ich Ihnen Herrn Doktor Berger nnd Fräulein Torrent, die Erzieher meiner Kinder vorstelle. Und ihr" - damit wandte sie sich an den jungen Fürsten, der etwa fünfzehn, und seine Schwester, die ungefähr zwölf Jahre zählen mochte ,,begrüßt in Herrn Fuft einen alten Freund von Mama und Tante Litti. Onkel Mailath hat mit Herrn Fust zusammen in Deutschland studiert."

Der junge Herr und sein Schwesterchen waren sehr nett und gaben dem Fremden herzlich die Hand; Doktor Berger und Mademoiselle beschränkten sich auf eine Hofverbeugung.

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Aber nehmen wir Play," fuhr die Fürstin fort, „wir haben uns soviel zu erzählen. Wie lange haben wir uns nicht gesehen, ein Menschenalter. Sie verließen Dresden damals so plöglich und aus so schmerzlicher Veranlassung. Seitdem haben wir nichts von einander gehört. Wir brachen_furz__darauf unsere künstlerische Laufbahn ab, meine Schwester und ich. Die Hofbühne war sehr entDie Hofbühne war sehr entgegenkommend.

Fust verstand die leise Führung und sagte: „Gnädiges Fräulein Schwester entschloß sich, Frau Mailáth zu werden."

„Frau Gräfin Mailáth, ganz recht," plauderte die Fürstin weiter, der alte Herr erwarb damals grade den Titel, sehr verdient um den wirtschaftlichen Fortschritt Ungarns."

„Ich hätte aber geglaubt...

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"Daß Moriz mich meinte. Das war wol nur, weil er bei meiner Schwester Ihretwegen keine Aussicht zu haben schien, Sie Treuloser," lächelte Durchlaucht und fuhr dann fort: Die ersten Jahre lebte ich bei ihnen, auf ihren Gütern im Sommer, im Winter in Peft. Da lernte ich auch den Fürsten, meinen Gemal, fennen. - Ein Edelmann!" und sie sah ihr Gegenüber voll, mit tiefem Blick an. Vor vier Jahren habe ich ihn schon verloren, meinen ritterlichen Herrn," setzte sie dann leiser hinzu. — Sie wollen auf Deck?" unterbrach sie sich, als sie bemerkte, daß Doktor Berger und Fräulein Torrent sich anschickten, mit ihren Pflegebefohlenen den Salon zu verlaffen. Sehr wol, wir beide werden uns doch wol recht fest schwaßen, also bis zum Diner!" und sie nickte allen freundlich zu.

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Die beiden waren allein, fie plauderten weiter, aber genau in demselben Tone, in der gleichen Art. Eigentlich ganz offen und vor allen Dingen völlig unbefangen. Aber dennoch - es war ganz merkwürdig - die Ber gangenheit war in die Höhe gehoben, ein wenig verklärt Es tostete Fust gar keine Mühe, ganz unbewust sprach er und bewegte er sich so, als ob er Kavalier und nicht Strumpfreifender wäre, als ob er nie etwas anderes als Kavalier und Weltmann gewesen wäre, als ob er die Frau Fürstin und ihre gräfliche Schwester als junge Damen auf dem Schloffe ihres Vaters gekannt, als ob er ihnen sehr warm und ritterlich, aber doch immer, forretterweise, ganz unverbindlich gehuldigt hätte. Er fühlte es so, während er sprach.

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Merkwürdige Frau," sagte er am Abend zu Horst, als fie nach frommem Schiffsgebrauch ihre nightcap, einen Abendgrog, tranfen.

„Eine seltene Frau," bestätigte der Freund.

Die Reise gestaltete sich höchst angenehm für die beiden Freunde, sie waren stets zur Tafel befohlen", gehörten ganz zur Gesellschaft und wurden sehr beneidet.

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gleiche. Als sie gehört hatte, daß Horst Ingenieur an Bord wäre, hatte er ebenfalls sogleich eine Aufforderung bekommen, und sie hatte ihm gegenüber genau "denselben höflich vertraulichen, ganz leichten, scheinbar rückhaltlosen Umgangston angeschlagen. Und bei diesem Tone des ersten Tages blieb es auch, er war so fein, so sicher abgestimmt: genau das, was sich für Gleichberechtigte, Gleichbevorzugte aus der verklärten" Jugendfreundschaft ergeben haben würde. Tadellos!

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Es ist eine Lust zu leben, Neftchen," sagte Fust eines Abends, wenn der alte Kahn doch niemals ankäme!" Sie gehen zunächst nach London, verlassen uns also schon in England, Faust," antwortete der Freund, „und auch ich fürchte mich diesmal gradezu vor Englands Küste." Doch die englische Küste kam näher und näher, und es fam der Abend, da man Abschied nahm.

Am anderen Morgen ganz früh gingen sie an Land. Die Fürstin verabschiedete sich liebenswürdig wie immer, fast bewegt, immer aber wie von Gleichstehenden: man hatte sich getroffen und sich darüber gefreut, man würde es sehr nett finden, wenn man sich wieder sähe, zunächst aber trennte man sich eben, und jeder reiste nach seinen eigenen Schlössern.

Der weibliche Wirklichkeitssinn findet ja so treffsicher das Vernünftige, das Praktische, den Nußen, meist sogar, ohne das Gefühl irgend zu verlegen, weil er so naiv, fast unbewust, so völlig guten Gewissens ist. Jawol, die beiden waren schlecht weggekommen im Leben, es war wünschenswert, daß die zufällige Begegnung ihnen ein Wendepunkt wurde. Was aber ließ sich tun? Zunächst nichts, das mußte man mit Schwager und Schwester überlegen. Fust nach Ungarn ziehen, ein künftiger, dauernder Verkehr mit ihm, das war urmöglich. Den Ingenieur fonnte man in eine leitende Stellung berufen, für Fust mußte man irgend eine Laufbahn finden, nicht zu nahe o gewiß, was erreichte man nicht, wenn Frauen und Geld helfen. Das würde sich alles machen lassen, zu nächst mußte sie aber von der Reise sans engagement zuhause_ankommen, unzweifelhaft.

Die beiden Freunde hatten nichts, gar nichte vermißt bis zum letzten Abschied. Vielleicht hatte grade das ihnen am meisten wolgetan, daß ihre geringe Wirtschaftlichkeit und Stellung nie, auch nicht von weitem, auch noch so zart jemals berührt worden war, das Be= wustsein aber von dem allen fiel ihnen mit bleiernem Druck auf die Seele, als sie wieder allein waren, als alles wieder öde war und trostlos, wie zuvor.

Der Tag ging zu Ende, sie trennten sich und suchten ihr Lager auf, aber den Schlaf fanden sie nicht.

Fuft hatte das obere Bett in Horsts Koje. Der Sturm pfiff durch den Kanal und peitschte schweren Regen gegen das dicht verschraubte, runde, dicke Fenster. Felix Faustus konnte hinausblicken, ohne sich vom schmalen Lager zu erheben. Er sah auf die trostlose, dunkle Wafferwüste, in die tanzenden, unheimlich weiß aufschäumenden Wellen. Von Zeit zu Zeit holte das Schiff weiter über, das Fenster tauchte unter, und das Wasser stand davor wie eine graugrüne Wand. Da lag er, eine Planke, eine Glasscheibe zwischen sich und der Liefe, der Unendlichkeit, dem Grabe, dem Nichts.

Leise begannen schon zarte Finger ihm ein Glück zu spinnen, er aber warf sich grimmig herum und murrte: Eine scheußliche Nacht, eine elende Welt.

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Das Inhalts-Verzeichnis für den Jahrgang 1894

Das Verhältnis beider zur Fürstin veränderte sich dabei nicht um einen Schatten. Für beide war sie ganz die | liegt dieser Nummer bei.

Nachrichten aus dem Buchhandel

und den verwandten Geschäftszweigen.

Für Buchhändler und Bücherfreunde.

Dieses Blatt wird seit 1. Oktober d. J. vom Börsenverein der Deutschen Buchhändler zu Leipzig heraus. gegeben und ist allen zu empfehlen, die über die Erscheinungen des deutschen 2üchermarktes und die buchhändlerischen Derhältnisse ausführliche und zuverlässige Auskunft erhalten wollen.

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Es erscheint täglich mit Ausnahme der Sonn- und Seiertage und ist durch die Poft und den Buchhandel zum Preise Schul

von 6 Mk. jährlich ohne Zustellungsgebühr zu beziehen. Sür das laufende Vierteljahr (Oktobar bis Dezember 1891) wird
1 mk. 50 pf. berechnet.
Anzeigen werden zum Preise von 30 Pfennigen für die dreigespaltene Petitzeile oder deren Raum aufgenommen.
Probenummern stehen kostenlos und portofrei zu Diensten.

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Erscheint jeden Sonnabend. Preis 4 Mark vierteljährlich. Bestellungen werden von jeder Buchhandlung, jedem Postamt (Nr 3589 der Postzeitungsliste), sowie vom Verlage des magazin" entgegengenommen. Anzeigen 40 Pfg. die viergespaltene nonpareillezeile Preis der Einzelnummer: 40 Pfg. &

64. Jahrgang.

Berlin, den 15. Januar 1895.

Nr. 2.

Auszugsweiser Nachdruck sämtlicher Artikel, außer den novellistischen und dramatischen, unter genauer Quellenangabe gestattet Unbefugter Machdruch wird auf Grund der Gesetze und Verträge verfolgt.

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Im Jahre 1865 wollte ein junger Gelehrter eine höchst verdienstvolle und förderliche Arbeit zum Drucke bringen; fie behandelte einen wichtigen litterarhistorischen Gegenstand, die Anfänge der neuhochdeutschen Gelehrten. dichtung. Aber wehmütig mußte er sich auf die Herausgabe des Schlußkapitels beschränken, weil, wie er berichtet, auch die wolwollendsten buchhändlerischen Intelligenzen sich nicht zur Verlegung entschließen mochten.

nicht, daß weite Kreise der Geschichte unserer Dichtung. die lebendigste Teilnahme entgegenbringen, daß auch die Zahl der werftätig Mitschaffenden in stetem Wachsen be griffen ist. Ein dußend Fachzeitschriften können sich der andringenden Beiträge kaum erwehren; Tagesblätter, Wochen- und Monatsschriften bringen eine Fülle von darstellenden Auffäßen, Besprechungen, Notizen gerade aus unserm Gebiete.

Freilich bringt diese gewaltige Produktion auch ihre Gefahren und Schwierigkeiten mit sich. Durch die zahl reichen Organe und die bereitwilligen Verleger, die sich dem Litterarhistorifer darbieten, wächst die Versuchung, schnell zu produziren, mehr mit Einzelforschungen als mit langsam reifenden, umfassenden Arbeiten hervorzutreten, und andererseits lockt die leichte Gelegenheit das Dilettantentum herbei, das sich vor allem in den Feuilletons der Zeitungen breit macht und immer von neuem an Goethes Geburtstag irgend eine feiner Geliebten oder zum 10. November den schwarzen Ritter in der „Jungfrau von Orleans" verarbeitet.

So nimmt Spezialistentum und Dilettantismus unaufhörlich zu, und die Masse der einzelnen Arbeiten geht ins Unendliche. Wer wollte es wagen, den Ertrag eines Jahres genau festzustellen, überall das Wertvolle vom Wertlosen zu scheiden? Die kritischen Zeitschriften berückfichtigen grundsäßlich nur die selbständig erschienenen Arbeiten; die Unzahl von Abhandlungen, Referaten, Bemerkungen, die jeder Tag bringt, werden nirgends registrirt und geprüft, ihre Kenntnis beschränkt sich auf einen Wissenschaft fast immer verloren. engen Leserkreis, ihr oft so wichtiger Inhalt geht der

schnellen Tode verfielen, erblicken wir eines der vornehm In der Rettung dieser Kleinen, die früher einem lichsten Verdienste, die sich die jungen Jahresberichte für neuere deutsche Litteraturgeschichte*) erworben haben. Mustern wir die beiden stattlichen Bände, die bis jest vollendet vorliegen, die erste Hälfte des dritten, die soeben erschienen ist, so erstaunen wir über die Vollständigkeit, Wie haben sich seitdem die Dinge geändert! Wol an mit der das Material von den entlegensten Stellen zu kein Gebiet historischer Forschung wagen die Verleger einsammengetragen ist, über die redaktionelle Umsicht, mit größeres Kapital von Mitteln und Arbeit als an litterarhistorische, und die Herren sind sich als guter Rechner da bei bewust, ihren Intereffen nicht weniger als denen der Wissenschaft zu dienen. Schwerlich würden sie der legteren so bereitwillig unter die Arme greifen, wüßten fie

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der die tausend Teilchen der Mosaik zu einem farben

*) Unter ständiger Mitwirkung von J. Bolte, W. Creizenach u. s. w tolsti. Stuttgart, 6. S. Göschensche Berlagshandlung 1892 ff. Herausgegeben von Julius Elias, Mar Hermann, Siegfried Szama

reichen und zugleich jo anschaulichen Bilde vereinigt wurden. Die Grundlinien find von der Redaktion sorgsam gezogen worden, die einzelnen Bezirke werden von über dreißig Forschern, die mit den betreffenden Gebieten besonders vertraut find, bearbeitet. Wer wüßte besser als Bolte über das Drama des sechzehnten Jahrhunderts zu berichten, wer besäße einen umfassenderen Ueberblick über die Lutherlitteratur als Kawerau, eine tiefere Kenntnis Leffings oder Grillparzers, als Erich Schmidt und Sauer, ihre beiden Meisterbiographen? Es braucht nicht gesagt zu werden, daß solche Bearbeiter auch in der Form der Darstellung den höchsten Ansprüchen genügen und die Lektüre ihrer Berichte nicht nur Fachleuten hohen Genuß gewährt.

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Von vornherein ist dem Unternehmen der Stempel eines weiten Sinnes, der sich von jeder pedantischen Beschränkung entfernt hält, aufgedrückt. Die Herausgeber brechen mit dem Dogma, daß die Forschung nur bis zum Tode Goethes führe; sorgsam und unparteiisch verzeichnet in dem Kapitel Poetik und ihre Geschichte" R. M. Werner die Zeugnisse des Ringens um die neue Dichtung und verfolgt den Prozeß der Umwertung der ästhetischen Werte, die fich aus der modernen Weltanschauung ergibt. Andrerseits streifen die Jahresberichte“ weit hinaus in benachbarte Gebiete, insofern sie der Litteraturgeschichte verwant und hilfreich sich erweisen: Schrift- und Buchwesen, Unterrichtswesen, neuhochdeutsche Schriftsprache, Theatergeschichte werden in eigenen Abschnitten gründlich behandelt, und das Kapitel „Kulturgeschichte“ bildet in der vollendeten Darstellung Roethes (1893), durch die staunenswerte Belesenheit Steinhausens (1894) einen Glanzpunkt der betreffenden Jahrgänge. Welche Unmasse von Material hier zu bewältigen war, lehrt die Tatsache, daß Steinhausen auf 44 Seiten des großen Lexikonformats nicht weniger als 860 Erscheinungen aus einem Jahre vorzuführen hat!

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Die eigentliche Litteraturgeschichte ist in drei große Abschnitte zerlegt: Humanismus und Reformation der erste, die Zeit von Opig bis auf Gottsched der zweite, und endlich die große klassische Litteratur verbunden mit der Romantik und dem jungen Deutschland. Jede Periode zerfällt wieder in Unterabteilungen, die Allgemeines" und die vier großen Gebiete dichterischen Schaffens Lyrik, Epos, Drama und Prosa behandeln. Nach Bedarf find jedem Hauptteil besondere Abschnitte hinzugefügt: dem ersten über Luther, Reformationslitteratur, Humanisten und Neulateiner, dem dritten über Theatergeschichte, Lessing, Herder, Goethe und Schiller. Die Goethelitteratur, die im zweiten Bande 450 Nummern umfaßt, ist wiederum fünffach geteilt worden, was freilich eine gewisse Zersplitterung herbeiführt und die Gefahr von Wiederholungen naherückt.

Diese Organisation wird von den Herausgebern feines wegs als abgeschloffen betrachtet. Jeder neue Jahrgang liefert den Beweis, daß fie unaufhörlich bestrebt sind, ihre Ziele weiter zu stecken, in immer höherem Maße den Bedürfnissen der Forschung wie des Belehrung suchenden Lesers entgegenzukommen. So erscheinen im dritten Bande als neue selbständige Gebiete Stoff- und Musikgeschichte und immer mehr nähert sich jedes einzelne der alten Kapitel dem Ideal der absoluten Vollständigkeit. Das ist um so mehr anzuerkennen, als dem Unternehmen in den ersten Lebensjahren schwere Stürme nicht erspart geblieben find. Unzuverlässigkeit einzelner Mitarbeiter hat hier und da die Vollendung der Bände verzögert, die Verschiebung einzelner Berichte erzwungen, einer der Herausgeber schied bald nach der Begründung aus, einen zweiten raffte in voller jugendlicher Kraft der frühe Tod im Sommer vorigen Jahres hinweg. Es war Siegfried Szamatólski. Sein Wissen reichte weit hinaus über das Spezialgebiet, |

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dem seine hauptsächlichen Leistungen angehören, die Litte ratur der Reformationszeit, das beweisen vor allem die Uebersichten an der Spiße des ersten und zweiten Bandes der Jahresberichte, in denen er seine reiche Belesenheit, zumal in der Litteratur der französischen Kritik, aus breitete. Huttens deutsche Schriften hatte er mehrend, sichtend, beleuchtend, der Litteratur, Sprach- und Reichs. geschichte zum Gewinn" behandelt, wie Erich Schmidts rühmender Nachruf vor dem dritten Bande der Jahrezberichte sagt, den Quellen der Faustsage wie ihrer Fixirung im Volksbuche war er tief eindringend nachgegangen, die neulateinische Dichtung fand in ihm einen trefflichen Her ausgeber.

Der Verlust dieses Mitarbeiters war der schwerste Verlust, der den nun vereinsamten ersten Begründer der Jahresberichte, Julius Elias, in seinem Streben, das Unternehmen zu stetigem Gedeihen zu fördern, treffen fonnte. Aber wie er zuerst allein den Plan gefaßt und mit nie ermüdender Tatkraft ins Werk gesezt hatte, so ließ er auch jetzt die Fahne nicht finken. Es gelang ihm den berufensten Führer für seine Schar in Erich Schmidt, dem Inhaber des berliner Lehrstuhls für deutsche Litteratur, zu gewinnen, und jüngst ist wieder eine frische Kraft in Max Osborn der Redaktion beigetreten.

So können wir hoffen, daß die Jahresberichte auch ferner ihrer schönen Aufgabe, das deutsche Geistesleben auf seinem eigensten Gebiete abzuspiegeln, in vollem Maße gerecht werden. Das Unternehmen hat Anspruch auf den Dank und die Unterstüßung aller Litteraturfreunde und es bedarf der letteren um so mehr, als Ministerien und Akademien in Deutschland für lateinische Wörterbücher und die Geschichte der Seidenzucht in Preußen so viel Geld aufwenden müffen, daß für deutsche Sprache und Dichtung absolut nichts übrig bleibt. Gott beffers!

Bolins Spinoza.

Bon

Sigmund Auerbach."

Herman Grimms „Goethe“ ist in diesem Jahre zum fünften Male gedruckt worden. Jedesmal, wenn eine neue Auflage dieses Buches erschien, habe ich sofort mit großer Spannung das Kapitel aufgeschlagen, welches von Goethe und Spinoza handelt, immer in der Hoffnung, daß hier die philosophischen Freunde Grimms einige Abänderungen erwirkt haben möchten. Doch es ist beim alten geblieben. Homer, Shakespeare, Raphael und Spinoza find in Hermann Grimms Darstellung die Sterne, welche auf den geistigen Lebensgang Goethes geleuchtet haben, und das Verhältnis Goethes zu diesen führenden Geistern wird in vornehm zusammengefaßten Urteilen bestimmt. Nun beanspruchen ja Aeußerungen über Raphael im Munde H. Grimms eine gewisse Autorität. Aber zu den Bemerkungen über Spinoza wird nicht jeder Leser dasselbe Vertrauen mitbringen, und wo es etwa vorhanden ist, wird es stark erschüttert, wenn sich schon in den wenigen historischen Angaben die gröbsten Fehler finden, und zwar unverändert in allen fünf Auflagen. Es mag noch hingehen, daß die Sage von Spinozas Liebe zu seines Lehrers Töchterlein hier ernsthaft als historisches Faktum aufgetischt wird, obwol seit Jahrzehnten festgestellt ist, daß Clara Maria van der Ende noch ein ganz kleines Kind gewesen ist, als

Spinoza in ihres Vaters Hause aus und einging. Da von mögen die Kompendien Notiz nehmen; es lohnt sich vielleicht nicht deswegen den lapidaren Eaßbau zu zer stören. Weit bedenklicher ist es aber, wenn Grimm uns immer wieder erzählen darf: Was Spinoza bei Lebzeiten herausgab: eine Darstellung der Philosophie des Descartes, ist nicht von der Bedeutung, wie die nach seinem Tode erschienenen Hauptwerke Die Ethik" und Der politische Traktat." Zu ihnen fömmen als wich tige Dokumente seine Briefe.

Diese Säße, welche die Summe von Spinozas schriftstellerischer Tätigkeit ziehen, ignoriren ganz die ganz die Tatsache, daß Spinoza im Jahre 1670, also fast acht Jahre vor seinem Tode, sein erstes Hauptwerk herausgab, den theologisch-politischen Traktat, ein Buch, das den Namen seines Verfassers zwar nicht auf dem Titelblatt führte, aber doch bald in alle Welt hinaustrug, da Spinoza seine Urheberschaft gar nicht leugnete; ein Buch, das ihm wenige Freunde gewann und zahlreiche Anfeindungen und Verfolgungen zuzog, das zu der Jahrhunderte wäh

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Beurteilung ist dadurch schon einigermaßen bestimmt. Beide würdigen besonders das Verdienst der Popularifirung. Es ist Bolin gelungen, ein anschauliches, leicht faßbares Bild des Vorkämpfers für Geistesfreiheit zu zeichnen, Gedanken von unvergänglichem Wert von der toten Schulsprache zu befreien Das ist unstreitig richtig, und es ist um so verdienstvoller, als die Darstellung Bolins zumeist auf_kritischer Quellenforschung ruht. Troßdem wird es hoffentlich nicht unbescheiden und nicht undankbar erscheinen, wenn auch einige Einwendungen erhoben werden.

Wer es unternimmt, eine Biographie Spinozas zu schrieben, der sieht sich vor eine Aufgabe gestellt, die entweder mühelos lösbar ist oder schier unüberwindliche Schwierigkeiten bietet, je nachdem er seine Pflichten sich abgrenzt.

enflärung des Philosophen weit mehr bei zusammenzufassen.

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trug, als das philosopische System, das in der Ethik" niedergelegt ist. Für Goethe, den gründlichen Kenner und eifrigen Leser der Bibel, dürfte auch dieses Werk Spinozas, das die erste wissenschaftliche Bibelkritik enthält, von ganz besonderem Interesse gewesen sein. Man darf daher kaum annehmen, daß Herman Grimm, der von so hoher Perspektive das Verhältnis Goethes zu Spinoza darstellt, den tractatus theologicopoliticus nicht einmal durchblättert haben sollte. Und doch gibt es für den zitirten Sat seines Goethe" kaum eine andre Erklärung als die: daß Grimm - durch die durch die Aehnlichkeit der Titel verleitet das erste Hauptwerk Spinozas mit dem verhältnismäßig harmlösen tractatus politicus verwechselt, der allerdings nach dem Tode Spiñozas zugleich mit der Ethik in den Opera Posthuma erst herausfam.

Herman Grimm ist stolz darauf, unter den Litterarhistorikern nicht zu den Philologen gezählt zu werden. Er hat in seiner Vorrede von Weihnachten 1893 fich selbst in einen Gegensaß zu Scherer gestellt, der die wissenschaftliche Methode" der Lachmann-Hauptischen Lachmann-Hauptischen Schule besaß und mit Leichtigkeit anwandte. Aber ein Jünger dieser Schule würde über Goethe und Spinoza faum so bestimmt geurteilt haben, wenn er die Werke und das Leben des Philosophen so wenig gekannt hätte, wie Herman Grimm.

Indessen, nicht von Goethe und Herman Grimm, sondern von Spinoza und Wilhelm Bolin sollte hier die Rede sein; von der Lebensbeschreibung Spinozas, die aus der Feder Wilhelm Bolins hervorgegangen ist, als 9. Band des von Anton Bettelheim veranstalteten Sammelwertes: Geisteshelden (Verlag von Ernst Hofmann u. Co.). Die einleitenden Bemerkungen sollten nur die Bedürfnisfrage beleuchten. Es fehlte unserem deutschen Bücherschat bisher an einer allgemein zugänglichen und mühelos lesbaren Biographie Spinozas. Man mußte bisher, um diesen Philosophen näher kennen zu lernen, zu einem größeren Geschichtswerk greifen oder gar zu den gesammelten Werken Spinozas selbst, un in der Einleitung das Lebensbild des Denkers zu suchen. Und das ist nicht jedermanns Sache.

Ist nun diese Lücke durch das Buch Bolins vollständig und zu allgemeiner Zufriedenheit ausgefüllt? Mir liegen zwei Beurteilungen vor, welche rückhaltlos loben; die eine ist von Jodl in Prag, die andre von Gizycki in Berlin. Es ist vielleicht nicht zufällig, jedenfalls nicht gleichgiltig, daß beide Kritiker Führer der modernen ethischen Bewegung sind. Der Gesichtspunkt der

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Den äußeren Lebensgang Spinozas nach den Quellen darzustellen, das ist leider eine sehr leichte Arbeit. Denn allzu spärlich nur fließen diese Quellen, und das überlieferte Material ist leicht zu übersehen, zu sichten und Fast zwei Jahrhunderte hindurch waren alle Biographen Spinozas darauf angewiesen, den Inhalt des Artikels wiederzugeben, den Bayle in seinem Wörterbuch dem eben verstorbenen Philosophen gewidmet hatte. Fünfundzwanzig Jahre nach dem Tode Spinozas konnte der evangelische Prediger Colerus die Angaben Bayles noch durch einige Mitteilungen ergänzen und beleben, die er von persönlichen Bekannten Spinozas erhalten hatte. Dann ist Gras gewachsen über das stille und doch sehr inhaltreiche Denkerleben. Das achtzehnte Jahrhundert, das durch Lessing, Herder und Goethe den lange verfehmten Philosophen wieder zu Ehren brachte, besaß doch zu wenig historischen Sinn, um mit starkem Intereffe dem Leben und der Person des Philosophen nachzuforschen. Erst im Jahre 1862 erschien zum ersten Male eine einigermaßen bereicherte Biographie Spinozas aus der Feder seines Landsmannes van Vloten.

Dieser eifrige und findige Forscher war die rechten Wege gegangen; er hatte in Kirchenbüchern und Archiven nachgespürt und immerhin einigen Erfolg gehabt. Er war es, der unter anderem die oben erwähnte Legende von der Liebe Spinozas zu Maria van der Ende zerstörte. Bis auf den heutigen Tag ist aber diese holländisch geschriebene Biographie noch nicht ins Deutsche übertragen, und auch Bolin konnte sie für seine Arbeit nur mittelbar verwerten, nämlich nach den Berichtigungen, welche Berthold Auerbach in der 2. Aufl. der Einleitung zu der Ueberseßung Spinozas vorgenommen hatte. Wieder ein Vierteljahrhundert verging, ohne daß für die Spinozaforschung das geringste geschah. Erst in den lezten Jahren ist wieder ein nicht ganz unwichtiger Fund gemacht worden. Aus dem unerschöpflichen Archiv in Hannover wurde eine Anzahl Briefe veröffentlicht, die der ärztliche Freund Spinozas, Schuller, an Leibniz gerichtet hat. Wir erfahren, daß die Krankheit, von der Spinoza so früh dahingerafft wurde, in seiner Familie erblich war; daß der Tod nicht so plöglich eintrat, wie man bisher angenommen hat, sondern lange vorher mit banger Sorge, in den lezten Wochen mit voller Bestimmtheit erwartet wurde. Es stellt sich heraus, daß die Angaben Bayles über die Herausgeber des Nachlasses falsch sind, daß Schuller, eben jener Korrespondent Leibnizens, der Herausgeber der Opera Posthuma ist. Seltsamer Weise hat Bolin diese Briefe Schullers nicht verwertet, obgleich er das Buch, in dem sie abgedruckt find Ludwig Stein: Leibniß und Spinoza wol fennt und mehrfach zitirt hat. Indeffen, daraus soll natürlich nicht ein besonders schwerer Vorwurf hergeleitet werden. Man

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