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Wenn Sie eine anständige Frau sind, so bedecken Sie wenigstens Ihre Brust", sagte der Konstabler beruhigend.

"

„Das ist nicht Ihre Sache," schrie Jenny, die sich mehr und mehr in die Wut hineinredete; ich werde tun, was mir gefällt!" Mit diesen Worten riß sie ihr Kleid ganz auf und zeigte ihre mit braunen und blauen Flecken bedeckte Brust. Hier, sehen Sie, was er getan hat, weil er mein Herz nicht schnell genug brechen konnte. Sieh her, Tom, das hast du erst gestern Abend getan und ich habe dir nochmal verziehen. Aber ich wußte noch nicht, daß du mit dem anderen Frauenzimmer angefangen hattest." Wollen Sie eine Klage gegen ihn einbringen?" fragte der Konstabler, „er kriegt ganz gewiß einen Monat dafür."

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„Nein," sagte Jenny entschieden. Sie konnte ihren Mann wol der Verachtung der Straße aussehen, aber ihn vor Gericht bringen und vielleicht ins Gefängnis? Nein, das ist ganz was anderes.

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„Dann gehen Sie jest nach Haus, sage ich Ihnen, und ihr“... dies zur gaffenden Menge... ihr schert euch weiter; hier ist nichts zum Lachen. Und du" dies zu Tom... du kannst dich freuen, daß sie feine Klage gegen dich gebracht hat, es hätte ganz gewiß einen Monat oder sechs Wochen gegeben".

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Tom hatte nicht die geringste Würdigung für Jennys Güte und Nachsicht, auch hatten seine Freunde keinen beruhigenden Einfluß auf sein Gemüt. Er hatte die Frau geprügelt, weil sie ihn ennuyirte. Aus demselben Grunde hatte er sich nach einer anderen Gefährtin umgesehen. Und alle seine Güte und Nachsicht hatte in

Authentischer Bericht über das Leben und Tun einer sehr peinlichen Straßenszene, einer unangenehmen

von Badalia Berodsfoot.

Von

Rudyard Kipling.

Blosstellung ihres häuslichen Lebens geendet, die nicht umhin konnte, seiner Stellung unter seinen Freunden zu schaden. Folglich waren, wie es ihm dünkte, alle Weiber eine unerträgliche Last, und es gab gar nichts

Autorisirte Uebersezung aus dem Englischen von Leopold Lindau. Besseres, diesen Klagen abzuhelfen, als Whisky. Dies

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war auch die Ansicht seiner fondolirenden Freunde. Er war vielleicht ein bischen zu hart gegen dieses Frauenzimmer gewesen, aber ihr schändliches Benehmen, jezt eben auf der Straße, entschuldigte alles.

„Ich würde überhaupt mit solchem Frauenzimmer nichts mehr zu tun haben," sagte einer der Tröster.

„Laß sie gehen und für sich selbst arbeiten. Ein Mann kann sich zu Tode quälen für solche Frauenzimmer, während sie den ganzen Tag über zu Haus fizen und sich voll freffen und saufen. Und das erste Mal, sowie man mal irgend eine kleine Auseinandersetung mit ihnen hat, machen sie einen Straßenskandal. Was nügt einem ein solches Frauenzimmer, frage ich dich?" So sprach der zweite Tröster.

Der dritte Tröster, und der beste von allen, war der Whisky und dessen Vorschlag schien Tom der_annehmbarste. Warum nicht zu Badalia zurückgehen, seinem geseßlich angetrauten Weibe? Jedenfalls hatte sie während seiner Abwesenheit gearbeitet; aber sie hatte auch gewiß was Unrechtes getan, und jest war es an ihm, seine Autorität als Gatte zur Geltung zu bringen. Sie hatte gewiß Geld verdient und gespart. Alleinlebende Frauen haben merkwürdigerweise immer ein kleines Kapital zur Hand, das Gott und eine ungerechte

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Regirung dem fleißigen Manne verweigert. Während er Auf mein Wort! Und was noch mehr ist, sie ist über diese widerfinnigen gesellschaftlichen Zustände nach von morgens bis abends mit den schnüffelnden Schwestern dachte, mußte noch mehr Whisky getrunken werden. Er Er und dem Pastor beisammen. Und der Pastor gibt ihr foute nicht länger daran zweifeln, daß Badalia ihm Geld, Pfund auf Pfund, jede Woche. Er hat sie seit Unrecht getan hatte. Sie hatte vielleicht sogar einen Sie hatte vielleicht sogar einen Monaten schon unterhalten. Kein Wunder, daß du nichts anderen geheiratet. Er wollte nur warten, bis der neue mehr mit ihr zu tun haben wolltest. Und mich läßt sie Gatte aus dem Wege sei, dann konnte er Badalia be hier in der Straße verhungern und verrotten, wie einen finnungslos schlagen und ihr das ersparte Geld abnehmen. Hund. Ah, Badalia ist ein schlechtes Frauenzimmer geReligion und Gejeße sind alle sehr schön und gut, aber worden, seitdem du fort bist, Tom." es geht doch nichts über den Schnaps, um alle Handlungen eines Mannes in seinen eigenen Augen zu rechtfertigen. Schade nur, daß diese Wirkung nicht permanent ist.

Tom schied von seinen Freunden und bat fie, Jenny zu sagen, daß er nach Eunnison Street gegangen wäre und nicht wieder in ihre Arme zurückkehren würde. Da dies eine schlimme Botschaft war, vergaßen die Freunde nicht, fie halbbetrunken zu bestellen. Dann hielt es Tom für das beste, noch mehr Whisky zu trinken, bis feine Trunkenheit von ihm zurückprallte und vor ihm stand, wie die Welle, die zurückweicht und vor dem Wrack steht, das fie gleich überflutet. Dann schlich er sich durch die dichtgedrängten Seitenstraßen und wanderte müde beim Wiederschein der Paternenlampen, die ihm in seiner Trunkenheit tief unten in einem Abgrund von dunkler Nacht zu brennen schieten. Nach und nach wurde er sehr nüchtern. Er blickte in seine Vergangenheit zurück und kam zu der Ueberzeugung, daß seine Handlungsweise so absolut und vollkommen berechtigt war, daß, wenn Badalia während seiner Abwesenheit es gewagt hätte, ein tugendhaftes Leben zu führen, er sie zu Brei schlagen würde, weil sie nicht gesündigt hatte.

*

Badalia war gerade in ihrer Stube, nachdem sie das übliche nächtliche Scharmüßel mit Laskar-Luisens Mutter bestanden hatte. Auf Badalias Vorwürfe, die ihr in Worten, so klar und deutlich und auch so scharf, wie sie eine Gunnison-Street-Zunge nur machen kann, gemacht wurden, als sie zum hundertsten Male beim Diebstahl der für die arme Kranke bestimmten Delikatessen ertappt wurde, hatte die Alie geantwortet:

,,Glaubst du denn, daß Louise nie in ihrem Leben einen Mann hintergangen hat? Sie liegt im Sterben jezt; sie ist blos so verflucht schlau, sich Zeit dabei zu nehmen. Und ich ich werde sie noch zwanzig Jahr überleben.“

Badalia hatte die Alte gehörig geknufft, mehr aus Prinzip, als in der Hoffnung, sie zu bessern, und hatte sie dann auf die Straße geschmissen, wo sie auf dem Trottoir zusaminenbrach und den Teufel beschwor, Badalia zu vernichten.

Der böse Geist kam auf ihrer Ruf in der Gestalt eines Mannes mit blaffem, aufgedunsenem Gesicht, der fie bei ihrem Namen rief. Die alte Here erkannte ihn fofort, es war Badalias Mann, und die Rückkehr eines Gatten nach Gunnison Street war in der Regel von einer gehörigen Tracht Prügel begleitet.

"

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Wo ist meine Frau?" sagte Tom; „wo ist das verfluchte Mensch?"

„Oben, und möge Golt sie verdammen," sagte die Alte. „Willst du wieder zu ihr zurückkommen, Tom?" Ja. Mit wem ist sie gegangen, während ich fort war?"

Mit all den verfluchten Pastoren und Missionaren. Sie ist so hochnasig geworden. Du wirst sie kaum wieder erkennen, Tom."

„Wahrhaftig?"

"Hat sie noch dieselbe Stube?" fragte Tom, indem er über das alte Weib wegschritt.

„Ja, aber sie hat sie so fein ausstaffirt, daß du sie faum wiedererkennen wirst."

Tom ging die Treppe hinauf, und das alte Weib unten jubelte schon in der Aussicht auf die kommenden Ereignisse. Tom war sichtlich wütend; Badalia wird sie also nicht so bald wieder knuffen können, und mit der Verteilung von Eiertorten und Blätterteig durch sie wird es vorbei sein.

Badalia war gerade dabei, sich auszukleiden, um zu Bett zu gehen. Sie hörte die Schritte auf der Treppe, die ihr wol bekannt waren. Ehe fie ihre Tür erreicht hatten, hatte Badalia in ihrer Weise über vieles nachgedacht.

ich

und

„Tom ist wiedergekommen," sagte sie sich, „ach, und freue mich troß des Pastors und all der anderen." Sie öffnete die Tür und rief ihn beim Namen. Der Mann stieß sie bei Seite.

Laß mich zufrieden mit deinem verfluchten Geküsse Gelecke, ich habe genug davon.“

„Na, von mir doch nicht, ganze zwei Jahre lang." Aber von einer, die noch ganz anders war, als du. Hast du Geld?"

"

,,Sehr wenig, wirklich, Tom, sehr wenig."

"

Das ist eine verfluchte Lüge!"

"Wahrhaftig nicht, Tom. Und warum fängst du denn gleich an von Geld zu sprechen, da du kaum zurückgekommen bist? Gefällt dir denn Jenny nicht mehr? Ich wußte wol, daß du es nicht lange mit ihr aushalten würdest."

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Halt dein Maul! Gib mir das Geld!"

„Ich sage dir, ich habe keins mehr. Du brauchst nichts mehr zum Trinken, du hast schon zuviel getrunken, Tom. Komm, leg dich zu Bette."

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Mit dir?"

„Ja, mit mir. Bin ich denn nicht deine Frau?“ Sie öffnete ihre Arme, um ihn an sich zu ziehen, aber der Alkohol war stärker als die Liebe.

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Laskar-Louisens Mutter, fie liegt draußen auf dem Pflaster, eine bessere und anständigere Frau, als du jemals sein wirst. Gib mir, was du hast, und schnell."

Badalia nahm ein kleines Nadelkissen vom Kamin und zog 4 Shilling und 3 Pence daraus hervor, ihr ehrlich erworbenes Geld, und reichte es dem Manne, der sich im Lehnstuhl schaukelte und das Zimmer mit weitgeöffneten, blöden Augen beschaute.

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Das sind nicht fünf Pfund“, sagte er schwerfällig. "Ich habe nicht mehr. Nimm, was ich habe, und scheer dich weg, wenn du doch nicht bleiben willst." Tom stand langsam auf, klanimerte sich krampfhaft an die Stuhllehne, um sich zu stüßen. Und wo ist das Geld, das dir der Pfaffe gegeben hat?" zischte er. „Laskar-Louisens Mutter hat mir alles gesagt. Gib es mir ohne weitere Redensartén, sonst sollst du es bereuen.“ Laskar-Louisens Mutter weiß gar nichts."

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Sie weiß mehr, als dir lieb ist."

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Sie weiß nichts. Ich werd ihr schon zeigen. . .! Sowas von mir zu sagen! Tom, ich kann dir das Geld nicht geben, wirklich nicht. Alles andere, was du haben willst, nur das nicht. Ist denn das nicht genug, was ich dir gegeben habe? Das andere ist mir anvertrautes Geld. Ich muß Buch darüber führen."

Anvertrautes Geld? Was hast du mit dem Geld zu tun, von dem dein Mann nichts weiß? Du . . . und anvertraut . . .! Da ... nimm das."

Mit diesen Worten hatte sich Tom ihr genähert und gab ihr mit geballter Faust einen furchtbaren Schlag auf den Mund. „Gib mir, was du hast", sagte er mit dumpfer, schwerer Stimme, wie einer, der im Traume redet.

Niemals ... niemals niemals . . . ich will nicht!" fagte Badalia, gegen den Waschtisch taumelnd. Mit jedem andern würde sie wie eine wilde Kaze um den Besit ihres Geldes gekämpft haben. Aber Tom war zwei Jahre fort gewesen, ein bischen rechtzeitige Nachgibigkeit würde ihn vielleicht, so dachte fie, zurückbringen. Aber dies Geld war anvertrautes Gut, das sie heilig halten mußte.

Die Woge der Trunkenheit, die eine kurze Weile zurückgewichen war, stürzte jezt wieder auf Toms benebeltes Gehirn herab. Er packte Badalia an der Kehle, und zwang sie auf die Knie nieder. Es schien ihm nieder. Es schien ihm gerecht und billig, dieses sündhafte Weib jest für die zwei Jahre vorsätzlichen Verlaffens zu bestrafen, um so mehr, als sie ihre Schuld gewissermaßen eingestanden hatte, indem sie sich weigerte, ihm den Lohn ihrer Sünden auszuliefern.

Laskar-Louisens Mutter wartete draußen auf Badalias Geschrei, aber vergebens. Wenn Tom auch ihren Hals losgelassen hätte, Badalia würde nicht geschrieen haben. Gtb mir das Geld, du schlechtes Mensch“, schrie Tom. Ist das deine Dankbarkeit für alles, was ich für dich getan habe?"

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"

Ich kann nicht. Es ist nicht mein Geld, Gott vergeb dir, Tom, was du tust... Ihre Stimme wurde unhörbar, als sich die Klammer um ihren Hals mehr und mehr schloß. Tom schleuderte Badalia_gegen das Bett. Ihre Stirn schlug gegen die scharfe Kante, und fie sank, schon halb bewustlos, auf die Erde. Ein Mann von der Selbstachtung Toms konnte nicht umhin, ihr nicht noch ein paar Fußtritte zu geben, und so trat Tom sie mit tötlicher Sicherheit, wie sie Betrunkenen eigen ist. Der Kopf des armen Weibes fiel rückwärts, und Tom irat so lange darauf, bis ein knisterndes Geräusch der Haare, das über seine nägelbeschlagenen Stiefel lief wie der Schauer falten Waffers, ihn daran mahnte, daß es beffer wäre aufzuhören. „Wo ist das Geld des Pfaffen, dit schlechtes Frauenzimmer?" zischte er ihr ins Ohr, aus dem das Blut hervorfloß. Aber es fam keine Antwort.

freischende Stimme ertönte von draußen: Jett klopfte es an der Tür, und Jenny Wabstows

Komm heraus, Tom, und fomm nach Hause mit mir. Und du, Badalia, ich reiße dir die Augen aus dem Kopf."

Toms Freunde hatten die ihnen übertragene Be= stellung ausgerichtet. Nach einer Flut leidenschaftlicher laufen, um ihn womöglich zurückzugewinnen. Tränen war Jenny ihrem entflohenen Liebhaber nachgeSie war auf eine tüchtige Tracht Prügel vorbereitet für das kleine Intermezzo in Hennesey Road. Laskar-Louisens Mutter hatte sie nach der Schreckenskammer hinaufgeführt. Sie schüttelte sich vor Lachen, als sie die Treppe hinabstieg. Wenn Tom seine Frau nicht schon totgeschlagen hatte, so würde es doch gewiß eine tüchtige Hauerei zwischen den beiden jungen Weibern geben. Die Alte wußte, daß gleiche. Da Jenny keine Antwort auf ihr Klopfen erdie Hölle keine Furie birgt, die einem eifersüchtigen Weibe hielt, öffnete sie die Tür mit Gewalt und sah Tom, der mit blöden Augen einen formlosen Haufen, der neben dem Bette lag, betrachtete. Ein großer Mörder hat behauptet, daß, wenn die Menschen im Todeskampf nicht so unchic ausfähen, die meisten Männer und ganz gewiß alle Frauen wenigstens einen Mord im Leben begehen würden. Tom betrachtete sich dieses unchice Etwas, das dämmernden, klaren Gedanken zu kämpfen. vor ihm lag, — der Whisky fing jegt an, mit den auf

„Mach keinen Läcm," rief er Jenny zu, „komm rein, schnell!"

Mein Gott," rief Jenny, die bei dem Anblick wie ein wildes Tier zurückprallte, was ist dies?... Hast du...?" und wenn ich es getan habe,

was bann?"

„Ich weiß nicht

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laß mich schlafen.“

"

Das war gar nichts, du hast mich blos geschlagen, aber dies ist Mord! Mord! Mord! Tom, du hast sie gemordet!"

Sie versuchte, den Mann aus seinem trunkenen Stumpffinn zu rütteln. Kalter, eisiger Schrecken drang in sein verdumpftes Gehirn.

Ich habe es deinetwegen getan, Jenny," winselte er. Du hast sie wegen des Geldes totgeschlagen, gerade wie du mich totgeschlagen haben würdest. Mach, daß du fortkommst. Hilf mir erst, sie aufs Bett zu legen, du Mörder."

Sie legten Badalia aufs Bett und schlichen sich still. schweigend davon.

"Ich werde mich hüten, mich mit dir fangen zu laffen, du würdest sagen, daß ich es getan habe. Fort, fort von hier, so schnell wie möglich," rief Jenny und zog ihn die Treppe mit sich hinab.

Wollt ihr zum Pfaffen hin?" ertönte eine Stimme von der Straße. Laskar-Louisens Mutter wartete noch immer geduldig auf Badalias Hilferufe.

Welchen Pfaffen?" sagte Jenny hastig. Sie schien Sie schien eine Möglichkeit zu sehen, ihre Gewissensbiffe über die fürchterliche Tat dort oben zu erleichtern.

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„Hanna, Nr. 63 Roomer Terrace, hier dicht bei,' fagte die Alte. Der Geistliche hatte gegen das alte Weib ftets tiefes Mistrauen gezeigt. Hier war also vielleicht eine Gelegenheit, auch dem was einzubrocken. Da Ba= dalia augenscheinlich nichts eingestanden hatte, so hatte Tom vielleicht Bust, auch diesen Mann zu verhauen. „De gustibus etc."

Jenny stieß den noch immer halb betrunkenen Verbrecher vor sich hin, bis sie zur nächsten großen Straße, die das ganze Viertel durchschneidet, gekommen waren.

Nun schnell, schnell, mach fort!" _flüsterte fie atemlos, aber fomm mir nicht wieder vor Augen. Geh wohin du willst, nur nicht zu mir zurück, ich will dich nie wiedersehen, fomm mir nie wieder vor Augen und, Tom, hörst du, was ich sage? Um Gotteswillen, Um Gotteswillen, mach deine Schuhe rein."

Ihr Rat war vergeblich. Mit einem heftigen Ruck stieß sie ihn von sich, sodaß der trunkene Verbrecher in den breiten offenen Rinnstein fiel, wo ein barmherziger Konstabler sich seiner annahm und ihn nach der nächsten Polizeiwache abführte. Er brachte ihn als gewöhnlichen Trunkenbold ein.

„Gott sei Dank!" sagte Jenny zu sich selbst. Jezt fann er höchstens wegen Besoffenheit arretirt werden. Wenn sie nur nicht seine Stiefel untersuchen. Was war doch die Adreffe? Hanna, 63 Roomer Terrace." Jenny band sich den Hut fest und rannte spornstreichs dorthin.

Der gute alte Hausvater von Roomer House entsinnt fich noch heute, wie eines abends spät ein junges Frauen zimmer, totenblaß, mit blauen Lippen und aufgelöstem

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Haar die Haustür aufriß und hineinschrie: „Badalia, 17 Gunnison Street. Sagt dem Pastor, er soll gleich fommen, aber gleich“ fommen, aber gleich“ — und dann wieder in der Dunkelheit verschwand. Diese Botschaft wurde dem Ehrm. Eustachius Hanna überbracht, der sich eben den holden Träumen des ersten Schlafes überlassen hatte.

Der Geistliche wußte aus Erfahrung, daß hier Not am Mann war. Ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, weckte er seinen katholischen Amtsbruder auf der anderen Seite des Flures. Rom und England pflegten sich in den schweren Dienst, den fie freiwillig übernommen hatten, nach allen Regeln der Etikette zu teilen, indem jeder seine Glaubensgenossen zu pflegen hatte. Badalia aber war eine Institution und keine Person, und diesen Fall hatte die Etikette nicht vorgesehen.

Irgend etwas muß Badalia paffirt sein," sagte der Anglikaner. Die Sache geht Sie eben so sehr an, wie

mich. Kommen Sie mit mir."

wort.

jo

Ich bin in einem Augenblick fertig," war die AntHaben Sie irgend eine Idee, was los ist?" „Nein, man hat uns nur gerufen und sagen laffen, schnell wie möglich zu kommen.“

Nach meiner Erfahrung bedeutet das entweder eine Entbindung, oder einen Mordanfall. Gott sei Dank, ich bin auf beides vorbereitet.“

Die beiden Geistlichen liefen so schnell wie möglich nach Gunnison Street. In jenem Viertel giebt es noch feine Nachtdroschken. Außerdem, das Geld für eine Droschke würde genügen, um zwei Tage Feuerung für eine vor Kälte umkommende Familie zu bezahlen.

Laskar-Louisens Mutter war endlich zu Bett gegangen. Die Haustüre war auf, und die beiden jungen Geistlichen fanden in Badalias Stube wirklich mehr, als sie erwartet hatten. fie erwartet hatten. Die römische Kirche machte sich ohne Zögern daran, die Wunden zu waschen und zu verbinden, während der Anglikaner sich damit begnügte, bei dem Bette der sterbenden Frau zu beten, ihre Seele von der Brüderschaft des heiligen Romualdus nimmt an, daß der Sünde der Bosheit und Misgunft zu befreien. Die diesem Prinzip.. Weg zur Seele durch den Körper geht und handelt nach

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So," flüsterte Bruder Viktor, das ist alles, was jezt getan werden kann. Ich glaube, es ist eine innere Blutung und das Gehirn ist auch verletzt. Sie hat einen Mann, natürlich?"

„Natürlich; sie haben alle einen."

„Ja, das sieht ganz nach einem häuslichen Zwist aus, man kann sich über den Ursprung dieser Verlegungen gar nicht täuschen." Er dämpfte seine Stimme, als er weiter sprach: Ein vollständig hoffnungsloser Fall, wissen Sie. Sie kann höchstens noch zwölf Stunden

leben."

"

„Ich glaube kaum so lange."

Badalias rechte Hand begann an den Bettpfosten zu flopfen und zu streicheln.

"

Sie scheint Ihnen etwas sagen zu wollen. Sie fennen sie besser als ich." Der Anglikaner beugte sich tief über die sterbende Frau herab.

„Lassen Sie Miß Eva holen," hauchte Badalia. Sie wird kommen, sobald es Tag ist," sagte der Geistliche. Badalia drehte sich, zufriedengestellt, nach der Wand; aber die römische Kirche, die das Herz besser fennt, runzelte die Brauen, doch sie sagte nichts. Er fannte die Regeln seines Ordens. Es war seine Pflicht, bei der Kranken bis Tagesanbruch zu warten, während der Mond im Westen verschwand. Nur ganz kurze Zeit, ehe die Agonie eintrat, sagte der Ehrw. Eustachius Hanna:

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Wäre es nicht besser, wir ließen Schwester Eva holen? Mir scheint es, daß sie nicht mehr lange machen wird." Bruder Viktor antwortete nicht, aber jobald der Tag graute, flopfte jemand an die Tür des Hauses der Kleinen Schwestern des roten Kreuzes," fragte nach Schwester Eva und bat sie, mit ihm zu kommen, um Badalia Herodsfoot in ihrer Todesstunde beizustehen. Der Mann sprach wenig, er führte die Schwester nach Gunnison Street, Nr. 17, wo Badalia lag. Dann blieb er draußen auf dem Flur und biß sich das Fleisch von den Nägeln seiner Finger, denn er war ein Priester und war_erzogen, die Herzen der Menschen zu ergründen, und er hatte gelernt, daß in den Herzen von Männern und von Frauen Liebe oft von Furcht und Schrecken erzeugt wird und sich zeigt, wenn die Seele vor Schmerzen zittert.

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Badalia, flug und vorsichtig bis zum Ende, hatte ihre Kräfte gespart, bis Schwester Eva gekommen war. Man hat behauptet, daß die Unglückliche im Delirium gestorben sei. Aber da man eine von den Schwestern wenigstens ihrem Rate in der Todesstunde, wenn auch nicht ganz, so doch zur Hälfte zu folgen für gut befand, so scheint dies doch nicht ganz richtig zu sein.

Sie versuchte sich im Bett umzudrehen, aber der zerbrochene Mechanismus ihres armen Körpers protestirte dagegen. Schwester Eva eilte auf sie zu; sie glaubte das Todesröcheln zu hören. Badalia lag still in ihrem Bett, bei vollem Bewustsein und sprach mit peinlicher Deutlichkeit. Die unbesiegbare Respektwidrigkeit der Straßenhöferin, des Mädchens, das auf der Karre ihres Liebhabers Fanfan getanzt hatte, leuchtete wieder auf in dem einen Auge, das ihr Gatte nicht zerschmettert hatte.

Das klingt gerade so wie Frau Jeffel, ehe sie ihr zweites Frühstück gegessen hat und den Kindern in ihrer Klaffe Schule hält, nicht wahr, Fräulein Eva?"

Weder Schwester Eva noch der ehrwürdige Eustachius antworteten, und Bruder Viktor stand draußen vor der Kammertür. Er atmete schwer, denn er litt große Schmerzen.

„Legen Sie ein Tuch über meinen Kopf. Diesmal habe ich genug gefriegt, ich möchte nicht, daß Fräulein Eva es sieht, ich sehe heute nicht hübsch aus."

„Wer hat es denn getan," fragte der Geistliche.

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Ein Mann von der Straße, den ich in meinem ganzen Leben nicht gesehen habe, so helf mir Gott, das ist wahrhaftig wahr! Besoffen, wahrscheinlich. Ist Fräulein Eva hier, ich kann unter dem Tuch nicht sehen. O, Fräulein Eva, dies mal ist es zu viel gewesen. Entschuldigen Sie, daß ich Ihnen nicht die Hand geben fann, Fräulein Eva, aber ich habe wirklich nicht die Kraft dazu, und es sind vier Pence da für Frau Jennys Bouillon, und vielleicht können Sie ihr ein bischen altes Leinen für ihren Balg geben. Diese Art Leute haben immer Kinder. Ich sollte eigentlich nicht reden. Mein Mann ist seit zwei Jahren nicht hier gewesen, sonst wäre ich am Ende gerade wie die anderen; aber so helf mir Gott, ich habe meinen Mann seit zwei Jahren nicht gesehen. Ein fremder Mann ist hereingekommen, und hat mich auf den Kopf geschlagen ganz so ungenirt, als ob er mein eigener Mann gewesen wäre. Das Buch ist in Das Buch ist in der Kommode, Herr Hanna, und die Abrechnung ist ganz in Ordnung. Ich schwöre Ihnen, ich habe nie einen Pfennig von dem Gelde für etwas anderes ausgegeben, nicht einen Pfennig. Sehen Sie nur unter der Kommode nach, dort finden Sie alles, was ich diese Woche nicht ausgegeben habe. Und Miß Eva, tragen Sie den grauen Schwesternhut nicht mehr. Ich habe alles, was in meiner Macht steht, getan, um Sie vor der Diphtheritis zu bewahren, weil es der Pastor so

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wollte. Ich hätte lieber mit dem was zu tun gehabt, als mit irgend einem andern .. blos Tom, . . . aber ich schwöre Ihnen, ich habe ihn nicht mit Augen gesehen, er ist überhaupt nicht hier in meiner Wohnung gewesen.. das ist wirklich wahr, so wahr mir Gott helfe. Hören Sie wol?... Und Sie beide, gehen Sie hin und werden Sie ein Paar... Ich habe oft was anderes gewünscht, aber was nüßt es denn, noch weiter darüber zu reden?

Ja, ja, wenn Tom zurückgekommen wär aber er tats nicht, wirklich nicht . . . dann wär ich auch wie die anderen gewesen Sechs Pence für Milch für das Kind und ein Schilling, ihm das Totenhemd anziehen zu laffen Sie werden es alles im Buche finden, Herr Hanna . . . Sehen Sie wol, Herr Hanna, Sie konnten sich nie so mit mir abgeben, aber jede Frau hat so ihre eigenen Gedanken Sie brauchen nicht

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um ihn bange zu sein, Fräulein Eva, der hat keinen anderen Gedanken als Sie, das habe ich ihm hundert mal angesehen... Und laffen Sie mich ein Begräbnis zu vier Pfund zehn Shilling haben, mit einer Decke über den Sarg."

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Litterarische Chronik.

Die Heimat" in Paris. Der 13. Februar wird in der Geschichte der litterarischen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich ein denkwürdiger Lag bleiben. An diesem Tage wurde, seit Kozebues Zeiten zum ersten Mal, ein Drama eines zeitgenössischen deutschen Autors an einer öffentlichen pariser Bühne aufgeführt. Und, was die Seltsamkeit der Erscheinung noch verstärkt, mit ganz ungewöhnlichem Erfolge sowol bei jenem Publikum, das noch vor wenigen Jahren die Lohengrin-Aufführung in der Großen Oper umheulte, als auch bei jener Presse, die, um nur konkurrenzfähig zu bleiben, immer noch von Zeit zu Zeit chauvinistische Fieberanfälle heucheln zu müssen glaubt. Sudermanns Heimat", die jenes ungewöhnliche Ereignis herbeigeführt hat, hat dadurch eine historische Bedeutung eigner Art gewonnen. Daß dieser Vorgang für die deutsche Dramatik wie für die französische nicht ohne Folgen sein wird, läßt sich sicher annehmen. Zu laut haben sich nach der glänzenden Aufführung am RenaissanceTheater mit der Sarah Bernhardt als Magda die Stimmen in der französischen Presse geäußert, die eine Niederreißung der Mauern verlangen, welche die französische Litteratur bisher neidisch umhegt haben, und vor allem eine Annäherung an die deutsche Litteratur erwarten. In all diesen Aeußerungen spiegelt sich der augenblickliche Zustand der französischen Litteratur mit ihren Enttäuschungen und Hoffnungen, ihrem Selbstbewustsein und ihrer Ratlofigkeit, ihren

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