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selben den Charakter einer geschlossenen Gesellschaft, den sie ursprünglich gehabt haben mögen, immer mehr und mehr verloren, daß ihre Vorstellungen auch den breiteren Maffén des Publikums zugänglich wurden“. „Die Aufführungen werden in sämtlichen Zeitungen in der Art besprochen, wie die der übrigen öffentlichen Theater. Jedermann kann dieselben besuchen, der an einer der zahlreichen, in der Stadt errichteten Zahlstellen ein als Mitgliedskarte bezeichnetes Billet erwirbt oder sich für ein geringes Entgelt pro forma in die Mitgliederliste eintragen läßt. Sogar eine Aufnahme neuer Mitglieder im Theater kurz vor der Vorstellung oder mit anderen Worten ein offener Billetverkauf findet statt. Es liegt auf der Hand, daß diese sogenannten Vereinsvorstellungen in tatsächlicher Hinsicht von den Vorstellungen der übrigen berliner Theater sich nur dadurch unterscheiden, daß geringere Eintrittspreise erhoben werden. Als Beweis hierfür zitire ich eine Aeußerung des Berliner Börsencouriers', eines Blattes, welches die Zensur stets bekämpft hat, welches hervorhebt, daß die Veranstaltungen der freien Bühnen auch nichts anderes sind als öffentliche Theater. (Nr. 452 vom 27. September 1894). Es bedarf keines Hinweises, daß die ohne polizeiliche Kontrolle stattfindenden Vorstellungen die Zwecke und die Aufgaben der Zensurpolizei lahm zu legen drohen. Konnte doch der klägerische Vertreter Dr. Grelling gelegentlich einer Besprechung des Weberprozesses hervorheben: Die Gefahren, die man im Deutschen Theater wittert, müßten in den Vorstellungen der freien Bühnen doppelt und dreifach vorhanden sein, zumal die Eintrittspreise äußerst gering und der Zuhörerraum bis auf den lezten Plaß gefüllt zu sein pflegt, gefüllt von Leu'en, die durch das Bewußtsein, derselben sozialen Klasse anzugehören, zusammengehalten werden. Die Bühnenvereine sind keiner Zenjur unterworfen. Jedes Verbot eines Stückes drängt dasselbe also geradezu den freien Bühnen zu und vergrößert die Gefahr, die es beseitigen will. Die Theaterzensur ist daher nicht allein verwerflich, sondern auch nußlos'. (Streifzüge S. 226). Diese Ausführungen enthalten manches Zutreffende und ergeben jedenfalls die Notwendigkeit, auch die freien Bühnen unter die Zensur zu stellen".

Polizei möchte dieje Grenze von Fall zu Fall ziehen, je nachdem es augenblicklich in ihre Politik paßt. Die Neue freie Volksbühne, deren Mitgliederzahl infolge ungünstiger Theaterverhältnisse gegen das vorige Jahr sogar zurück gegangen ist, erscheint ihr auf einmal zu zahlreich und ein allzu großes Gebiet zu umfaffen. Ob die Polizei wol die überaus zahlreichen und über ganz Deutschland verbreiteten Kriegervereine gleichfalls unter diesem Gesichts punkte ansehen würde? Wie kann überhaupt die Nichtöffentlichkeit eines Vereins, die doch in einem bestimmten Verhältnis der Mitglieder untereinander besteht, plöglich aufgehoben werden durch das Wachstum des Vereins? Das wäre gerade so, als ob die mathematischen Eigen schaften eines Dreieckes nur bei Dreiecken von kleiner Größe vorhanden wären, jedoch aufhörten, wenn die Zentimeter sich in Meter verwandeln. Was bedeutet ferner die Bemerkung, „an so geringe Voraussetzungen“ seien Erwerb und Verlust der Mitgliedschaft" gebunden, und der Mitgliederbestand sei „ein so wechselnder"? Ich frage wiederum: Wo ist innerhalb solcher Quantität die Grenze, welche Oeffentlichkeit“ und „Nichtöffentlichkeit“ von einander scheidet? Und soll etwa ein Verein nur dann als nicht öffentlich" gelten, wenn Erwerb und Verlust seiner Witgliedschaft in bestimmtem Maße erschwert werden? Nach solcher allgemein-begrifflichen Vorbereitung seiner Taktif geht der Stellvertreter des Polizeipräsidenten zu nächst auf die Freie-Bühnen-Bewegung überhaupt ein: So lange die Polizei Verordnung vom 10. Juli 1851 besteht, hat es an Versuchen nicht gefehlt, die Vorschriften derselben auf irgend eine Weise zu umgehen. Man bezweckte damit einmal, dem als lästig empfundenen Zensurzwange zu entgehen, dann aber auch dem Publikum solche Theaterstücke darzubieten, welche von der Zensurbehörde zurückgewiesen worden sind, bezw. zurückgewiesen worden wären, wenn sie vorgelegt worden wären. Dem gedachten Bestreben verdanken die sogenannten freien Bühnen, die Versuchsbühne, die Freie Bühne, die Neue freie Volfsbühne und die Freie Volksbühne ihre Entstehung. Der Vertreter des Klägers, der Rechtsanwalt Dr. Grelling, hat diese Tatsache in seinem Buche,Streifzüge', Berlin 1894, S. 226, mit folgenden Worten zugegeben: Die Bühnenvereine sind keiner Zensur unterworfen. Sie sind Mit einer unverkennbaren Fronie werden hier Ausgegründet worden lediglich zu dem Zwecke, Stücke aufzuführungen zitirt, welche Herr Dr. Grelling bei anderer führen, die zur öffentlichen Darstellung nicht zugelaffen Gelegenheit gemacht hat. Die Polizei möchte den Verwerden. Nach Lage der Gesetzgebung mußte ich die Vor- treter der Neuen freien Volksbühne mit seinen eigenen stellungen dieser Bühnen zunächst als nicht öffentliche_an- Argumenten schlagen. Dabei übersieht sie aber, daß nicht sehen, troß der Bedenken, welche der Gründungszweck zu allein „wenn zwei dasselbe tun“, ein Unterschied vorliegen erregen geeignet ist, und welche darin gipfeln, daß der kann, sondern auch wenn ein und dasselbe Argument Deckmantel des Vereins zur Umgehung einer Polizei zweierlei Anwendungen findet. Es kommt eben auch Verordnung herhalten soll“. darauf an, welche Front, welche Tendenz, welche polemische Spize es hat. Die Worte des Herrn Dr. Grelling waren bei Gelegenheit des Weberprozesses zutreffend, hier aber sind sie gar nicht am Blake. Grelling bestreitet, daß Die Weber" ein „gefährliches“ Stück seien, und beruft sich darauf, daß das Publikum der freien Bühnen bei der Aufführung nicht im geringsten die öffentliche Ruhe und Ordnung gestört, sondern nur Andacht und Be geisterung bekundet habe. Wenn Grelling sagt, das Verbot eines Stückes dränge es den freien Bühnen auf und „vergrößere die Gefahr“, die es beseitigen wolle, so meint er doch offenbar keine tatsächliche, sondern nur eine ein gebildete Gefahr. Grelling ist ein prinzipieller Gegner der Zensur überhaupt, verwischt aber deswegen nicht die Grenze, welche zwischen öffentlichen Vorstellungen und denen der freien Bühnen vorhanden ist.

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Die Auffassung, welche die Polizei_von_den_„freien Bühnen" hat, ist eine einseitige. Hier zeigt sich das polizeiliche Temperament, das im Publikum einen großen Chikaneur erblickt, der siets darauf bedacht ist, Gesetze zu übertreten oder zu umgehen. Die freien Bühnen sollen lediglich darauf ausgehen, die leidige Zensur zu umgehen, um unfittliche" oder gefährliche" Stücke aufzuführen! Förderung der reinen Kunst, Volksbildung und solche idealen Ziele, die doch die eigentliche Aufgabe der freien Bühnen ausmachen, werden ihnen nicht zugetraut. Dabei hat die Versuchsbühne“ in ihrem Prospekte und ihrer Vereinsschrift unter ihren Zwecken niemals die Umgehung der Zensur genannt. Und die Volksbühnen erblicken ihre Aufgabe lediglich auf dem Gebiete der Volksbildung, haben denn auch meistens Stücke aufgeführt, die zum Repertoire der ständigen Bühnen gehören, gegen welche also die Zensur nichts Wesentliches einzuwenden hat.

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Des weitern behauptet das Polizeipräsidium, die Tätigkeit der freien Bühnen sei eine derartige, „daß die

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Sachlage charakterisirenden Bemerkungen, sondern auch die speziellen Verhältnisse dieses Bühnenvereins. Wie schon die Bezeichnung Volksbühne verrät, und wie bei Gründung des aus der Freien Volksbühne hervorgegangenen Vereins in den konstituirenden Versammlungen von den Gründern sowie in den Prospekten hervorgehoben worden ist, verfolgt die Neue freie Volksbühne den Zweck, die Kunst dem Volke zugänglich zu machen Schon hieraus ergibt sich die Tendenz des Vereins, feine Vor stellungen von vornherein nicht einem bestimmt abgegrenzten Kreis von Personen, einer geschlossenen Gesellschaft, sondern den breiteren Maffen der Bevölkerung zu gänglich zu machen . . .“

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Es ist demnach gefährlich, wenn Vereine sich aus. drücklich mit dem Volke" in eine Verbindung bringen. Daraus kann konstruirt werden, daß sie einen nicht bestimmt abgegrenzten Kreis von Personen" umfaffen wollen. Hütet euch also, ihr Vereine für Volksbildung, Volksfüchen, Volksgesundheit 2c.! Aus eurer Tugend kann euch ein Strick gewunden werden, wie er hier die Volksbühnen-Vereine stranguliren will. Und dabei ist der Ausdruck „Volf" von den Volksbühnen garnicht in dem Sinne gemeint, als solle zu den Vorstellungen das Volk zu Gaste geladen werden. Heißt es doch im Statut der „Neuen freien Volksbühne“, daß dieser Verein seinen Mitgliedern" (nicht etwa dem Volke) erhebende und befreiende Kunstwerke vorführen wolle. Die Bezeichnung „Volks"Bühne will lediglich den volkstümlichen Charakter des Vereins andeuten; sie will sagen: Ihr Männer und Frauen aus dem wenig bemittelten, arbeitenden Volfe, werdet Mitglieder dieses Vereins; er paßt besonders für euch, weil die von ihm geforderten Geldbeiträge volfstümlich, nämlich nicht hoch, die von ihm aufgeführten Stücke volkstümlich, schlicht und edel, erhebend und be freiend find, weil ferner die Theaterpläge in volkstümlicher Weise, nicht dem Geldbeutel entsprechend, sondern nach dem Prinzipe sozialer Gerechtigkeit, durch das Los,

verteilt werden ..

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Die Tendenz, das Volk, nicht aber einen abgegrenzten Personenkreis zu umfaffen, findet wie die Polizei bewie die Polizei bemerft ihren plastischen Ausdruck in den Vereinsstatuten " „Nach denselben (§ 5) fann die Vorstellung besuchen jeder, der einen ursprünglich auf 1,50 Mk. nor mirten, später auf 1,20 Mt. herabgesetzten Mitgliedsbeitrag entrichtet und damit, wie die Sache tatsächlich ge handhabt wird, ein als Mitgliedskarte bezeichnetes Billet erwirbt... Um nun den Erwerb der Mitgliedschaft und damit den Besuch der Vorstellungen dem Publikum soviel wie möglich zu erleichtern, sind in Gemäßheit der Statuten (§ 7) zahlreiche sogenannte Zahlstellen, die sich in Wirklichkeit als Billetverkaufsstellen darstellen, in allen Teilen der Stadt und auch in den Vororten errichtet. Auch im Theaterraum selbst unmittelbar vor der Vorstellung findet unter der Firma, Aufnahme neuer Mitglieder ein Billet verkauf an das Publikum statt. Diesem Verfahren entsprechend ist auch die Zahl der sogenannten Vereinsmit glieder stetig gewachsen. Dieselbe ursprünglich 400 be= tragend, ist im Laufe der Jahre auf 600, 1000, 2000 angestiegen. Nach dem mir vorliegenden Kaffenbericht pro 1893/94 hat der Verein in dem genannten Jahre 30 Vorstellungen in 3 Abteilungen veranstaltet. Diefelben wurden von 9805 bezw. 9147 bezw. 7379 Buschauern, im Durchschnitt von 891 bezw. 831 bezw. 922 Personen besucht. Das Ergebnis pro 1894/95 wird sich noch höher stellen, da der Verein jezt ungefähr 4000 Mitglieder befigt und bei jeder von ihm veranstalteten Borstellung neue Mitglieder hinzukommen. Hieraus ergibt sich, daß die Aufführungen der Neuen freien Volksbühne sich von denen der übrigen berliner Theater nur durch

den größern Zuschauerkreis, welcher auf die niedrigen Eintrittspreise zurückzuführen ist, unterscheiden, daß hier wie dort die Vorstellungen jedermann tatsächlich zugänglich sind. Damit ist die tatsächliche Oeffentlichkeit der Vorstellungen erwiesen".

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Die Angaben, welche die Polizei über die jeßige und fünftige Mitgliederanzahl der Neuen freien Volfsbühne macht, sind leider irrtümlich. Doch selbst wenn der Verein 4000 Mitglieder zählte, so würde das nicht die These des Polizeipräsidiums erweisen, daß nämlich der Verein keinen bestimmt abgegrenzten Personenkreis" umfaffe, sondern lediglich, daß dem Verein erhebliche Lebenskraft innewohnt. Gewiß beruht diese Lebenskraft teilweise darauf, daß der Beitritt zum Verein so wenig schwer, wie nur irgend möglich, gemacht wird. Wir haben viele Zahlstellen errichtet, und auch im Theater fungirt eine Zahlstelle, wo neue Mitglieder aufgenommen werden. Indeffen läuft der Erwerb der Mitgliedschaft keineswegs auf einen Billetverkauf hinaus. Die Mitgliedskarte wird durch Zahlung des statutarisch bestimmten Einschreibegeldes erworben. Sie lautet persönlich und gibt Namen, Stand und Wohnung des Mitgliedes an. Ferner enthält sie eine Anzahl von Feldern, in welche die vorgeschriebenen Monatsbeiträge in Gestalt von Marken einzufleben sind. Nur wer die Mitgliedskarte vorzeigt und die fällige Monatsmarke von den Vereinsordnern hat fopiren lassen, findet Zutritt zu den Vorstellungen. Zahlt ein Mitglied den fälligen Monatsbeitrag nicht, so erlischt die Mitgliedschaft. Der Nichtbesuch einer Theatervorstellung entbindet nicht von der Zahlung des Monatsbeitrages. Hat das Vereinsmitglied die Kontrolle bestanden, so zieht es aus einer Urne ein Los, welches den ihm zugewiesenen Plaz angibt. Schon diese Umstände unterscheiden das Mitglied der Neuen freien Volksbühne hinreichend von dem Käufer eines Theaterbillets. Vollends ausgeprägt wird der Unterschied durch das ganze Vereinsstatut, welches den Mitgliedern auch, abgesehen von den Theatervorstellungen, Rechte und Pflichten zuweist. Ich erinnere nur an die Generalversammlungen, in denen Wahlen, Statutenänderungen und dergleichen notorische Vereinstätigkeiten vollzogen werden. Von dieser Seite sieht das Bolizei. präsidium gefliffentlich ab, um vor Gericht die Begriffe Vereinsmitglied“ und „Billetkäufer" konfundiren zu fönnen.

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Schließlich versucht die Polizei, als das unerläßliche Merkmal einer „nicht-öffentlichen" Vereinstätigkeit noch den Begriff einer geschlössenen Gesellschaft“ hinzustellen, deren Geschloffenheit" in gewaltsamer Weise urgirt wird. Selbst wenn man so heißt es in dem Schriftstücke dem Kreis der Personen, welchen die Neue freie Volksbühne den Besuch ihrer Vorstellungen ermöglicht, Vereinscharakter beimißt, so wird man diesen Verein nicht als eine gefchloffene Gesellschaft ansehen können. Denn die Zahl der Mitglieder ist eine so große und kann auch jezt noch so unbeschränkt wachsen, die Vereinsorganisation ist eine so lose, der Erwerb und Verlust der Mitgliedschaft an so geringe Voraussetzungen gebunden, der Bestand der Mitglieder ist ein so wechselnder, daß in den Vereinsvorstellungen die Kriterien der Deffentlichkeit voll und ganz zu finden sind sind...'

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Daß die Aussichten, welche sich den freien Bühnen bei ihrem Prozesse eröffnen, feineswegs günstig sind, wird jeder zugeben, der einen offenen Blick für unsere polifische Lage hat. Die Freiheit des Denkens, der Ueberzeugung, des sittlichen und künstlerischen Fühlens soll unserm Volke immer mehr geschmälert werden. Und leider mehren sich von Jahr zu Jahr die Anzeichen, daß

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An der Geschichte der Ausgaben von Leffings Schriften ließe sich lehrreich der Wechsel in Anschauung und Forderungen verfolgen, wie sie seit hundert Jahren den gesammelten Werken deutscher Schriffteller gegenüber zu Tage traten. Als Karl Leffing mit verständiger Pietät die von ihm unternommene Ausgabe von seines Bruders Werken durch Erschließung des Nachlaffes und Angliede rung der Briefe zu bereichern strebte, 30g ihm dies löb liche Bemühen den scharfen Tadel der Xeniendichter zu. Schiller ließ den edlen Schatten zürnen über den lieblofen Bruder, der mein modernd Gebein läffet in Frieden nicht ruhn." 1886 hat Karl Lessings verdienstlicher Biograph, Eugen Wolff, es ihm zum Ruhme angerechnet, daß er diese verstreuten Gebeine gesammelt und zuerst in Deutschland die Briefe als einen Bestandteil der schriftstellerischen Werke erkannt habe. Als Karl Lachmann 1838 zum erstenmale die philologische Textkritik einem neueren deutschen Schriftsteller gegenüber in Anwendung brachte, war seine Leffingausgabe eine unerhörte Tat, die auch lange ohne Nachfolger blieb. Jezt finden wir, daß der strenge Philologe hier nicht einmal streng und folgerichtig genug vorgegangen sei.

Ich will für meine Person durchaus nicht `alle terkritischen Spitfindigkeiten, in denen die neuere deutsche Litteraturgeschichte sich gefällt, verteidigen. Daß wir aber Lessings unverfälschten Wortlaut besitzen, das Wachsen und Werden seiner Arbeit verfolgen können und seine Arbeiten in möglichster Vollständigkeit beisammen haben, daran hegen nicht nur die Litterarhistoriker, sondern alle Leser Lessings lebhaftes Interesse.

Wer bisher z. B. einen Satz aus der hamburgischen Dramaturgie anführen wollte und zufällig zwei Ausgaben vergleichend zur Hand nahm, der fonnte in beiden verschiedenen Wortlaut finden. In der Hempelschen Ausgabe hatte Redlich zwar die Briefe von und an Lessing in musterhafter Weise herausgegeben, aber manchen anderen Teilen der Ausgabe, wie eben der Dramaturgie, war feine ähnliche Sorgfalt zu Teil geworden. An der zweiten Auflage der Lachmannschen Ausgabe aber war durch ihren Herausgeber W. v. Malzahn nichts gebeffert, sondern eher verschlechtert worden. Lachmann selbst hatte nur die Wege gewiesen. Es galt seine Textbehandlung nun entschieden durchzuführen und das seitdem neu er

*) Gotthold Ephraim Lessings sämtliche Schriften. Herausgegeben von Karl Lachmann. Dritte, aufs neue durchgesehene und vermehrte Auflage, besorgt durch Franz Munder. Stuttgart. 6. 3. Göschensche Verlagshandlung.

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schlossene Material der Sammlung einzureihen, damit seine Ausgabe wirklich auch sämtliche Schriften Gotthold Ephraims enthalte. War doch z. B. durch B. A. Wagners Forschungen die kritische Tätigkeit des jungen Lessing an berliner Zeitungen in einem bisher kaum vermuteten Ulm= fange nachgewiesen worden. Neu aufgefundene Drucke und Handschriften waren zu verwerten. Durch Munckers peinlich gewissenhafte Sorgfalt ist nun die dritte Auflage der Lachmannschen Ausgabe eine Musterleistung geworden, die nicht nur in den Kreisen der Fachgenossen, sondern bei allen Freunden der deutschen Litteratur Anerkennung und Verbreitung finden muß.

Die im Jahre 1886 begonnene Arbeit ist bis jezt bis zum zehnten Bande gediehen, so daß der Abschluß der ganzen Ausgabe nicht mehr lange aus stehen wird. Die Briefe sollen ausgeschloffen bleiben, da nach Redlichs Ausgabe keine Notwendigkeit eines Neudrucks vorliegt. Dagegen hängt es von dem buchhändlerischen Erfolge des Unternehmens ab, ob ein seit langem ausgesprochener, jüngst wieder von Erich Schmidt vertretener und begründeter Wunsch Erfüllung finden wird: die Aufnahme von Leffings Uebersetzungen. Wie wichtig grade die Lessingschen Uebersetzungen, deren es freilich eine ziemlich große Zahl gibt, für die Geschichte der Entwicklung der deutschen Prosa sind, braucht nicht erst hervorgehoben zu werden. Wie einflußreich diese Uebersetungen für seine eigene Entwicklung gewesen sind, hat er selbst gelegentlich des Diderotschen Theaters bezeugt, ist neuerdings durch die Ausgabe seiner Uebertragung von Voltaires fleinen Schriften anschaulich geworden.

Wie wünschenswert jedoch die Ergänzung von Munckers Ausgabe nach dieser Seite hin auch bleibt, vor allem haben wir das in den zehn vorliegenden Bänden trefflich Geleistete dankbar anzuerkennen. Knapp und klar berichten die Einleitungen eines jeden Bandes über die Tertgeschichte der einzelnen Werke, für die fast immer auch neues bibliographisches Material beigebracht wird. Quellenfragen werden besprochen und gelöst, und in anspruchsloser Weise wird mancher kleine Beitrag zur Erklärung auch des Inhalts der Schriften beigebracht. Das Hauptverdienst besteht aber natürlich in der Herstellung des Leffingschen Wortlautes selbst. Welche Fülle hingebender Arbeit zur Herstellung des kritischen Apparates, der auf jeder Seite unter dem Terte angebracht ist, notwendig war, wie viel hier allen bisherigen Ausgaben gegenüber neu geleistet worden ist, wissen freilich nicht alle Leser zu würdigen; alle aber werden sich an der schönen Ausstattung dieser Bände, an dem lebendig reichen Inhalt dieser besten Lessingausgabe erfreuen.

Musikfeste.

Von

Ernst Stto Rodnager.

Wenn man so mitten_im_großstädtischen Kunstgetriebe steht, kommt man leicht in Gefahr, für die Beurteilung von Musikfesten den richtigen Standpunkt zu verlieren. Allsommerlich mehrt sich die Zahl der Musikfeste, und die Zeit scheint nicht ferne, wo jeder Landschaftsbezirk unseres Reiches jährlich das seinige hat. Selbstverständlich ist es da ausgeschlossen, daß die Festprogramme immer oder auch nur meist Novitäten enthalten; auch daß die Aus

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Die meines Wiffens älteste, zweifellos aber berühmteste dieser periodisch wiederkehrenden Veranstaltungen bilden die niederrheinischen Musikfeste, deren 72. an den drei Pfingstfeiertagen zu Köln gefeiert wurde. 719 Dilettanten und Künstler, darunter ein 562 Personen starker Chor, hatten sich zur Ausführung der drei riesenhaften Festprogramme unter Prof. Wüllners Taktstock zusammen geschart. An wirklichen Neuheiten war das diesjährige Festprogramm sehr arm; das Bruchsche Bruchstück aus „Moses" war wol die einzige. Aber alle zur Ausführung gelangten Werke erfuhren eine fast ausnahmslos glänzende und musterhafte Wiedergabe, insbesondere die Nummern, in denen der bewundernswert geschulte Chor in Tätigkeit trat. Im Orchester taten sich am meisten die acht Hornisten und die Trompeter hervor. Während diese ihre namentlich in Händels Ouvertüre und Bachs DankKantate schwierige Aufgabe (bis zum hohen d!) ausgezeichnet löften, kamen die Hörner sowol bei dem virtuosen Jagdchor in den „Jahreszeiten", wie in Scherzo und Finale der Eroifa" zu wundervoller Wirkung. Die massige Besetzung des Streichorchesters, durch die Mendels- | sohns Sommernachtstraum"-Quvertüre etwas von ihrem Duft und Farbenschmelz einbüßte, gereichte dafür der F-dur-Sinfonie von Brahms sehr zum Vorteil, indem die bei Brahms nicht immer einwandsfreie Instrumentirung sehr viel an Plastik und Durchsichtigkeit gewann. Leider war die musikalisch vielleicht interessanteste Nummer des Festprogramms, das „Guntram"-Vorspiel, gleichzeitig die in der Ausführung am wenigsten gelungene. Das ums Doppelte zu rasche Tempo verdarb die Wirkung des Stückes fast vollständig.

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Unter den Soliften des Festes ragte am meisten d'Albert hervor, der Liszts Es-dur-Konzert mit unerhörter Meisterschaft zu Gehör brachte. Ueber die Herren Sister mans und Perron läßt sich nichts Neues mehr sagen; ihre Gesangsweise ist ja sehr verschiedenartig, aber in dem, was beide Künstler miteinander gemein haben, gehören sie zu den wenigen Auserwählten: Beide find poetisch empfindende Individualitäten und haben auch die Fähigkeit künstlerischer Suggestion ihrer Empfindungen. Das direkte Gegenteil gilt von Frau Sembrich; sie singt mit unbeschreiblichem sinnlichen Wollaut, aber das Seelische fehlt ihrer Kunst vollständig. Das herzige naive Hannchen der Jahreszeiten" wurde in ihrer Wiedergabe kofett, soubrettenhaft und undeutsch. der ganze keusche Zauber der Partie ging rettungslos verloren.

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Von den Kompositionen des Festprogramms interesfirte mich persönlich am meisten Humperdincks Wallfahrt nach Kevlaar." Dies Werk ist schon einige Jahre alt und blickt auf zahlreiche Aufführungen zurück, von denen allein in Köln drei stattgefunden haben (u. a. 1887 gelegentlich der Tonkünstler-Versammlung). Nach dem beispiel lofen Erfolg des Humperdinckschen Märchenspiels begegnet man dem Titel des Chorwerkes besonders häufig auf Konzertprogrammen. Als es leßten Winter in Berlin von einem ehemals hervorragenden Chorverein aufgeführt wurde, fiel die gesamte Kritik über das Werk als eine gänzlich er

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findungsarme bedeutungslose Jugendarbeit her, und in Wien tat der Neuntöter der „N. fr. Presse". Herr Hofrat Hanslick, so, als ob das ein parmal diskret angedeutete Thema des Marienliedes „O sanctissima" den ganzen thematischen Bedarf der Komposition decke. Bei dieser Gelegenheit versteigt sich der Profeffor für feuilletonistische Oberflächlichkeit sogar zu der lächerlichen Behauptung, in Hänsel und Gretel" seien die benutten Volfs- und Kindermelodien die „melodische Quintessenz" des ganzen Werfes. Daß es Humperdinck an dramatischer Schlagfraft gebricht, gebe ich zu. Aber ihm darum mit Hanslick die musikalische Erfindung abzusprechen, wäre unrichtig und ungerecht; gerade die melodisch reizvollsten Partien des Märchenspiels, wie die Waldszene, der Abendsegen, die Lieder des Sand- und Tau-Männchens, das Morgen= lied, find lied, find des Komponisten unbestreitbares geistiges Eigentum.

Ich lernte also die Humperdincksche „Wallfahrt“ unter sehr wenig günstigen Vorurteilen kennen und war dem Werke gegenüber um so kritischer gestimmt, da mich Weingartners Komposition des Tertes sehr anspruchsvoll gemacht hat. Nichtsdestoweniger empfing ich von der Humperdinckschen Komposition einen tiefen Eindruck. Sie ist in der Erfindung von großer Schönheit und technisch ausgezeichnet.

Das Marienlied tritt durchaus nicht in den Vordergrund und hat nur eine gewissermaßen leitmotivische Bedeutung, ähnlich ein zweites vorgefundenes“ Thema, das Humperdinck gelegentlich andeutungsweise benußt und das einem alten niederrheinischen Wallfahrerliede entstammt. Kleinere musikalische Formen, in denen sich keine Gelegenheit zu musikalischer Themen-Erposition bietet, find ja, sofern fie das Prinzip der Leitmotivtechnik für sich nußbar zu machen Anlaß finden, im allgemeinen auf bekannte, also der Erposition und Erläuterung nicht bedürftige Themen angewiesen. - Stellenweise ist Humperdincks Erfindung in der Wallfahrt“ jogar äußerst charakteristisch · ivas ich z. B. „Hänsel und Gretel" vielfach vermisse. Ich hebe besonders den pompösen Bläsersaz bei der Prozessionsschilderung hervor, deffen Realistik für mich umsomehr ins Auge sprang, als ich wenige Stunden vor der Aufführung wieder einmal eine Prozession gesehen hatte.

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Stilistisch enthält das Werk ein par anfechtbare Kleinigkeiten, z. B., daß den beiden Solostimmen nicht nur die Rollen von Mütter und Sohn zugewiesen sind, sondern auch ein Teil der Erzählung. Jedenfalls scheint mir aber die „Wallfahrt" als Ganzes in feiner Weise hinter Hänsel und Gretel" zurückzustehen.

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Auch über Wüllners Tedeum" seien noch einige Worte gesagt. Worte gesagt. Das Werk ist von sehr festlichem Charakter, dabei flangschön, wirkungsvoll, und technisch vollendet. Besonders die beiden Fugen, des Werkes erster und letter Sat, zeichnen sich durch musikalische Schönheit und Wirksamkeit sowie durch mächtige Steigerung vorteilhaft vor den akademischen Schwitzfugen aus, die man heute meist zu hören bekommt. Es war die erste Schöpfung Wüllners, die ich kennen lernte, und sie hat in mir in der Tat den Wunsch rege gemacht, auch andere von Wüllner wenig beachteten Kompositionen kennen zu lernen. Besonders ein Stabat mater, das das Tedeum noch überragen soll, wird mir gerühmt.

Leber Wüllners große Verdienste als Dirigent des Festes zu reden ist überflüffig; der Wert seiner Leistungen ist allgemein bekannt. Die Eroifa und die Brahmssche Sinfonie standen in der kölner Aufführung hinter der Wiedergabe unter Bülow kaum zurück.

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In Braunschweig, wo kurze Zeit später der All

gemeine deutsche Musik-Verein seine 31. Tonkünstler-Ver- | fammlung abhielt, ward das Unzulängliche Ereignis. Das diesjährige Fest des Vereins machte den Eindruck eines traurigen testimonium paupertatis; dem Zug der Zeit folgend, scheint der Verein im Zeichen des Niederganges zu stehen. Was für einen Wert soll es für seine künstlerischen Ziele haben, ein uninteressantes belangloses Festprogramm mit unzulänglichen Kräften und ungenügender Vorbereitung schlecht auszuführen! Warum muß denn um jeden Preis jährlich eine Tonkünstler-Versammlung sein? Wäre es nicht viel vernünftiger, wie früher, alle zwei Jahre, dann aber auch mit verdoppelten Mitteln ein Fest zu feiern, das wirklich imstande wäre, künstlerischen Ansprüchen zu genügen? Einer solchen Blamage, wie es die braunschweiger Tage waren, hätte der Verein sich unter keinen Umständen aussehen dürfen. Als Niedergangssymptom muß auch der wachsende Einfluß persönlicher Mishelligkeiten betrachtet werden, der dieses Jahr in unangenehmem Maße in Erscheinung trat. Einer der angekündigten Festdirigenten blieb aus eine Sängerin, die Gattin eines der zahlreichen weimarer Hofkapellmeister, desgleichen. In beiden Fällen deuteten die verlautbarenden Motive auf irgendwelche persönliche Klein lichkeiten. Die Folge war, daß das eine der OrchesterKonzerte fast vollständig improvifirt werden mußte.

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Seinem eigentlichen Zweck, der Vorführung von Neuheiten, ist der Verein dies Jahr fast völlig abtrünnig geworden. Ein nicht sehr bedeutender, der Fee Mab" von Berlioz nachempfundener Elfenreigen von F. Klose war die einzige wirkliche Neuheit des sechstägigen Programms. Dabei waren die Vereinsmitglieder vorher offiziell gebeten worden, keine Kompositionen einzusenden, da der Bedarf für das Programm bereits gedeckt sei. Eine Kleinigkeit sei als charakteristisch erwähnt. Auf zwei verschiedenen Drucken des Programms wird der Komponist der Ingwelde" Schilling statt Schillings genannt.

Eröffnet wurde die Tonkünstlerversammlung durch eine Fesivorstellung von Sommers Lorelei" auf der herzoglichen Hofbühne. Hans Sommers Bühnenspiel ist, obwol schon von verschiedenen Bühnen aufgeführt, doch noch sehr wenig bekannt und mag wol der Mehr zahl der Festteilnehmer bis auf das packende prachtvplle Liebesduett fremd gewesen sein; letzteres bildete ja vor fünf Jahren in Eisenach einen Glanzpunkt der 27. Tonkünstlerversammlung.

Die Musik ist von meist vornehmer Erfindung und Faktur und enthält außer der genannten noch eine große Zahl wirklich schöner und ergreifender Stellen, ich nenne nur den Warnungsgefang der Nixen im zweiten Afte. Dennoch war der Eindruck, den ich von dem Werke empfing, vorwiegend peinlich.

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Peinlich berührte vor allem die Kritik- und Geschmack losigkeit der Textwahl, ebenso die Instrumentation, die bei manchen intereffanten und effektvollen Einzelheiten durchgängig zu „instrumentirt“ klingt.

Beinlich wirkt ferner die Deklamation, die mosaik haft beim Einzelnen verweilt, dieses sehr gewissenhaft und ziemlich korrekt behandelnd, dabei aber die größeren Konturen der Prosodie durch eine unbegreifliche Vernachlässigung der Interpunktion beständig zerfetzt. Sommer deklamirt die Wörter statt der Worte. Ueberhaupt klingt die Deklamation gezwungen, sie ist ihm nicht natürlich, sondern sozusagen seinen Gesangsmelodien aufgepfropft; deklamatorisches Feingefühl geht ihm völlig ab.

Am peinlichsten berührte jedoch in dem Werk eine unheimlich ungenirte Tristan-Reminiszenz, deren Sommer sich leitmotivisch bedient, um die Abkunft Lores von der Rheintochter zu symboliziren. Die Abkunft der „, Lorelei" |

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hätte er passend durch einen Hinweis auf die „Meisterfinger" charakterisiren können, an die sein Werk" stilistisch sich unverkennbar stark aulehnt.

Die Aufführung vermochte höheren Ansprüchen nicht zu genügen. Das Orchester, von Hofkapellmeister Riedel feinfühlig und umsichtig geleitet, war im ganzen gut, dagegen die gesanglichen und darstellerischen Leistungen, vor allem aber die Regie durchaus unzulänglich. Daß eine goldene Leier vom Felsen in den Strom geschleudert wird und dabei das Knallen des auf Leinwand aufschlagenden Holzes ertönt, ist einer Hofbühne unwürdige Nonchalance der Regie. Auch die Leitung der unsichtbaren Chöre war recht mangelhaft. Am besten waren die Leistungen der Frau Geißler als Rheintochter, sowie der Herren Setteforn und Cronberger als Pfalzgraf Ludwig und Fischer Erwin.

Das Werk fand eine im ganzen ziemlich beifällige wenn auch nichts weniger als enthusiastische Aufnahre, so daß der anwesende Komponist sich am Schluß dreimal vor der Gardine zeigen konnte. Von den zehn Hervorrufen, die sich berliner Blätter telegraphisch ́melden ließen, müssen sieben hinter den Kulissen stattgefunden haben. Im Zuschauerraum waren nur drei zu zählen, deren erster sogar einen recht peinlichen Eindruck machte. Denn einige übereifrige Enthusiasten riefen schon nach Sommer, ehe der eigentliche Applaus begonnen hatte, so daß der Komponist ungefähr gleichzeitig mit dessen Beginn schon sichtbar war.

Die erste offizielle Festaufführung fand in der ehemaligen Egydienkirche statt und brachte Berlioz' Requiem sowie die Bachsche Feste Burg“.

Das Berliozsche Werk ist in Berlin durch die zwei Ochsschen Aufführungen des leßten Winters hinlänglich bekannt. Ich kann mich daher auf einige Worte über die Wiedergabe beschränken, die das grandiose Werk unter Hofkapellmeister Riedels Leitung erfuhr.

Es wäre jedenfalls ungerecht, bei einer Stadt wie Braunschweig mit berliner Maß zu messen, da dem Dirigenten hier nicht das hervorragende Material zur Verfügung stand, wie der Philharmonische Chor es enthält, das sollte aber andererseits dem Direktorium des A. D. Musikvereins als Warnung dienen, eine solche Riesenschöpfung auf das Programm eines Festes zu seßen, für das nur ungenügendes Material verfügbar ist; umsomehr, als die Berliozsche Totenmesse schon dreimal, nämlich zu Altenburg 1868, zu Halle 1874 und zu Karlsruhe 1885 gelegentlich der 6., 12. und 22. Tonkünstlerversammlung zur Wiedergabe gelangt war, die beiden ersten Male allerdings mit auf normale Dimensionen reduzirtem Orchester.

Dem auch in Braunschweig wenigstens teilweise überreichte am meisten die Unreinheit des Chores, der durch wältigenden und erschütternden Eindruck des Werkes gedas Ewigweibliche fast einen halben Ton herabgezogen wurde, an zahlreichen Stellen zum Nachteil. Merkwürdigerweise wurde der in dieser Hinsicht schwierigste Sat, der Acapella-Chor Quaerens me", fast tadelios rein gesungen. Dafür klangen jedoch die Männerstimmen hier wie an vielen anderen Stellen furchtbar roh und unschön.

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Das Orchester hielt sich im ganzen tüchtig; einzelnes, wie die schrullenhaften tiefen Pedaltöne der Posaune in Verbindung mit drei Flöten in höchster Lage, klang nicht sehr angenehm. Doch war das nicht Schuld der trefflichen Bläser, sondern des Komponisten; so was wie diese Pedaltöne müßte man doch nicht tun".

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Das rührend schöne Tenorsolo im Sanctus fang Herr Cronberger noch klangschöner als seiner Zeit in Berlin.

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