Hermann Lingg und seine Altersgenossen werden unsere Zeit gewiß nüchtern und prosaisch schelten, und doch, um wie viel tiefer und intimer ist nur allein unser Natur gefühl geworden! Man muß dagegen die herrliche Ode Carduccis „Auf dem Bahnhof" halten, die höchst apart moderne Stimmung in antike Rhythmen kleidet: Ach, wie verdrießlich sehen die Laternen dort Hinter den Bäumen aus, wie sie in langen Reihn Durch tropfend regennasse Zweige Gähnend ihr Licht in den Pfüßen spiegeln. Den Zug entlang mit dunklen Kapuzen gehn Eiserne Stäbe dazu und schlagen Wie prüfend laut die eisernen Fesseln an.“ Der Historiker und der Epifer Lingg läßt den Lyriker Lingg selten zu reinem Naturempfinden fommen. Am Brienzer See wird ihm die Vergangenheit mit Burgen, Troß und Hunden lebendig. Er läßt in moderner GegenDie Generation von damals faßte die Natur nicht wart, wie Goethe im „Bergschloß“ und Geibel in Rothenauf, wie sie war, fie dichtete in sie hinein arte" Emburg" ein romantisches Ritterstück erstehn. Und auch die pfindungen und „poetische“ Gedanken, die Natur befam Lieder auf Neapels Golf und Capri find weniger Landeine schöne Seele. Wenn Lingg die einsame Größe der schaftsbilder, die uns lieber wären, als Historien. Der Alpenwelt befingt, dann sucht er nicht eine Stimmung Rhapsode hat eben überall Gesichte. festzuhalten, zu reproduziren, auf den Leser zu übertragen, nein, dann apostrophirt er gefühlvoll die Alpenrose: das dramatische Feld bebaut. Diese Schöpfungen haben Hermann Lingg hat auch Novellen geschrieben und weder dem Augenblick geglänzt, noch werden sie der Nachwelt unverloren sein. Ich möchte hier nicht an sie rühren. Ist mir doch so schon, als hätte ich allzuviel an einem altersheilgen Lorberkranz gezaust. Theater. Von Alfred Kerr. Ich habe, was ich über Ibsens Klein Eyolf zu sagen habe, hier gesagt. Die szenische Darstellung der Dichtung ist ein nnendlich belangvolles Kunstereignis gewesen. Dieses Stück" wird dreimal gespielt werden und dann verschwinben. Otto Brahm hat das gewußt und dennoch auf das aussichtslose Experiment die innigste Sorge und seinen besten Eifer gewandt. Ich glaube, daß solche Züge künst lerischen Adels anzuerkennen sind. Ich für mein Teil danke ihm hiermit. " Der zweite Akt stimmte mich am nachdenklichsten und legte mir unter einer gewiffen inneren Bewegung die Erkenntnis nahe, daß die Existenzmöglichkeit eines Seelendramas auf der Bühne nicht mehr in so weiter Ferne liegt, wie wir es glaubten. Daß nun einmal für Menschen der neueren Zeit die psychologische Entwicklung das ist, was sie am meisten interesfirt," stellt Strindberg in der programmatisch wichtigen Vorrede zu seiner Julientragödie fest. Aber schon kamen wir dazu, der ganzfeinen Psychologie, den ganz leisen Abschattungen, den winzigen, entgleitenden Abstufungen, den halben, heimlichen Re gungen die Stätte im Epischen anzuweisen. Jest sehen wir, wie ein Meister leise, halb unbewuste, halb angedeutete Gefühle, tastende Anläufe von Gedanken, schattenhafte Seelenbewegungen, in geheimen Gängen des Inneren verborgene Vorstöße, Verschiebungen und Wandlungen mit den sehr beengten Mitteln des Dramas, ohne Plumpheit und Verlogenheit, ohne Monologspäße und ohne Beiseitemäßchen, zu frappirendem und unendlich fesselndem Ausdruck bringt. Dieses grandios sichere und klare Zwischen-den-Zeilen- | stellt wird, ist nicht flar; es sei denn, daß ihre allge lesen-lassen, welches direkte Mittel nicht braucht und doch meine Verlassenheit schärfer heraustreten soll. Wildenin das Innere der Menschen schauen läßt wie in die ge- bruchs Novelle wird von einer verzehrenden Leidenschaft öffneten und überglasten Leiber vivisezirter Hunde, weckt durchweht; sie ist die schönste, die er geschrieben. Ompteda tiefste Bewunderung. Im zweiten Akt kam das, in den ist im Grunde kühl. Auch er weckt eine starke Erregung, Szenen der beiden Gatten, am stärksten zum Ausdruck. welche die Hörer in Atem erhält. Aber er wirft mehr Und hier, bei der Aufführung, von der ich mir nichts auf die Nerven als auf die Seele. Er packt mehr als versprochen hatte und die hier so stark wirkte, wurde mir er bewegt. Mir fehlt das Beste an diesem Stück. Eine es klar, daß die Aussichten auf die Verwirklichung des achtungswerte Erstlingsleistung bleibt es. Ompteda zeigt intimen seelischen Nüancenschauspiels, des verfeinerten Theaterblut, ohne ein einziges Mal künstlerisch unvornehm fünftigen Dramas, hoffnungsreich find. Noch fand die zu werden. Ich traue dem Mann eine gewisse_knappe Aufführung dieses Seelendramas unter den alten äußeren Wucht zu, die ans Kleiftsche erinnern könnte. Aber er Bedingungen statt, in einem weiten Hause, vor einer mögé sich hüten, im Streben nach dieser Wucht und dieser breiten Hörerschar: und dennoch diese Wirkungen! Wie Knappheit dürr und dürftig zu werden wie diesmal. würden sie sein, wenn es unter künstlerisch zweckmäßigeren Und er suche fünftigen Werfen jenes Beste reichlicher zu Bedingungen gespielt würde, wenn die Umfrempelung des geben, das dem gegenwärtigen fehlt: Poefie. Schauspielermaterials und auch des Zuschauermaterials, die sich jest erst anzubahnen beginnt, vollzogen wäre. Vorläufig schreibt Ibsen ebenso für das Repertoire der Zukunft“ und „auf Lager", wie der theoretifirende Schwede, welcher in der Fähigkeit, Seelenvorgänge mittelbar in die Erscheinung treten zu lassen, ruhmreich neben Jbsen zu nennen ist, bei weitem Abstand immerhin der nächste". Ein Vorgefühl von der Art jenes psychologischen Theaters habe ich in dieser denkwürdigen Klein-Eyolf-Aufführung bekommen, die mir in der Erinnerung bleiben wird. Der intensive Wunsch erwachte, den Tasso dargestellt zu sehen von Schauspielern, die an solchen Aufgaben zur Verfeinerung geschult, vor einem Publikum, das durch solche Vorführungen zur Geduld und zu minutiös unterscheiden dem Genießen erzogen wäre. Und als ich nach der Vorstellung einen sprach, der gleichfalls starke Wirkungen empfangen hatte, sagte er mir, er denke an eine Tasso Aufführung. " Im einzelnen war manches verfehlt. Der schlimmste Misgriff war, daß man die Asta einer unbedeutenden, kleinen, spitzen, erfrierenden Person anvertraut hatte, die, wenn es sein muß, niedlich piepsen kann, aber hier einen parodistischen Abglanz deffen, was sie hätte sein sollen, lieferte. Wo gedämpfte verschleierte Poesie um die schmerzvoll innigste Gestalt erwachsen sollte, hüpfte ein gerupfter Kanarienvogel mit dürrem Seelchen und zer störte alles. Die Sorma und Reicher man wird die Teilnehmer an dieser Vorstellung mit Namen nennen dürfen waren begreiflicherweise nicht gleichmäßig in der Durchführung so neuer Aufgaben; der Mann zeigte öfter zu wenig Konzentration, die Frau sette gelegentliche Drücker auf; aber sie hatten Szenen im zweiten Akt und am Ausgang des legten, die wundervoll waren und wieder an jenes fünftige Theater erinnerten, welches eine Institution zur Freude der Intelligenteren" werden wird. Georg von Ompteda hat mit Ibsen eine Szene gemein: in welcher die junge Frau des Obersten mit Noraähnlicher Beredsamkeit ihm darlegt, weshalb sie sich ihm entfremden mußte; es ist übrigens die unoriginellste des Stückes. Das Stück spielt in der Wildenbruchschen Franzesfasphäre: militärisches Milieu; ein älterer Öffizier mit einer jungen Frau; Hinneigung der jungen Frau zu einem jungen Offizier; gewaltsamer Tod des Geliebten. Aber die Berührungspunkte find ganz allgemein; Omp teda ist selbständig. Der junge Offizier ist bei ihm der Stiefbruder des älteren, und durch das innige Verhältnis der Brüder wird der Konflikt furchtbarer. Sein junger Offizier fällt nicht, wie der Wildenbruchsche, im Zweikampf, sondern durch eigne Hand, als er seinen Frevel erkennt. Die Heldin ist kein hoheitsvolles, hingebend und heiß liebendes Weib, sondern ein verschüchtertes Frauchen aus Kopenhagen, das sich von den Dienstboten auf der Nase herumtanzen läßt. Weshalb sie als Dänin darge Die neuen Gothaer. " Von Fedor von Sobeltik. Die neuen Gothaer"*) sind soeben erschienen, in drei stattlichen Bändchen, die sich unter den oberen Zehntausend und unter denen, die nach Titel, Rang und dekorirten Knopflöchern streben, alljährlich neue Freunde erwerben. Nein, das ist boshaft! Seien wir ehrlich: die „Gothaer" haben keinen so eng begrenzten Freundesfreis. Es mag Komteßchen und baronisirte Kommerzienråte geben, für die die Lektüre der kleinen Handbücher nur die Befriedigung harmloser Eitelkeit ist aber auch der Gelehrte, der Historiker und Statistiker, der Heraldiker und der Journalist fann ohne die Almanache nicht mehr auskommen. Die Genealogie ist eine zu wichtige Hilfswissenschaft der Ge= schichte, als daß man ihrer entbehren könnte. In den älteren Zeiten stellte man sie freilich zumeist in den Dienst niedriger höfischer Schmeichelei. Rürner und Simmern, die Genealogen des sechszehnten Jahrhunderts, haben in dieser Beziehung Ergößliches geleistet. Ihnen genügte es nicht, die Häupter großer Geschlechter, denen sie sich gefällig erweisen wollten, von den Paladinen Karls des Großen abstammen zu laffen fie griffen tapfer bis auf sagenumwobener Mythologie zurück. die Helden der Trojanerkriege und bis in das Dunkel Alte italienische Adelsfamilien träumen noch heute ihren Ursprung in die Tage der Gracchen, des Pompejus und des edlen Lucull hinein, und noch ärger spielen die vornehmen Spanier mit der Geschlechterlehre. Befannt ist das Geschichtchen vom Wappen der Montmorencys - ich will aber nicht beschwören, das es auf Wahrheit fußt. Im Schild steht Noah mit seiner schwimmenden Arche, und vor ihm fämpft der letzte Mensch mit den Wellen der Sintflut. Aus dem Munde Noahs aber flattert ein Bändchen, und auf diesem steht:,,Entrez, s. v. p., Monsieur de Montmorency." Indeffen waren die Franzosen, troß ihrer nationalen Vorliebe für das Bramabarfiren, die ersten, die fich der vernachlässigten Wissenschaft der Genealogie wärmer annahmen. Den du Chesne, Hozier, Laboureur *) Gothaischer Genealogischer Hofkalender nebst diplomatischstatistischem Jahrbuch. 1895. 182. Jahrgang. Gotha, Juftus Berthes. Gothaisches Genealogisches Taschenbuch der gräflichen Häuser. 1895. 68. Jahrgang, ebenda. 1895. 45. Jahrgang, ebenda. u. a. folgten in Deutschland Spener und Rittershusius und im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert noch eine ganze Anzahl hervorragender Gelehrten, vor allem König, Imhof, Hormayer und Schlieffen. Genealogische Almanache tauchten schon um die Mitte des vorigen Jahrhunderts vereinzelt auf; von Wichtigkeit für die Genealogie aber wurde erst der 1763 zum ersten Male erscheinende Almanach de Gotha, dem 1827 das Taschen buch der gräflichen und 1855 des der freiherrlichen Häuser folgte. Wol die wenigsten ahnen, mit welchen Schwierigkeiten die Redaktion der genealogischen Taschenbücher verbunden ist. Bei dem Hoffalender ist es noch erträglich. Da werden im Laufe des Sommers an die Häupter der fürstlichen Familien, an die Ministerien und die diplomatischen Vertreter im Auslande die betreffenden Ausschnitte aus dem lezten Jahrgange des Kalenders zur Durchsicht und Korrektur geschickt. Fürstlichkeiten, hohe Beamte und hohe Behörden pflegen gewöhnlich zuvorkommend und liebenswürdig zu sein. Die Ausschnitte folgen, mit den nötigen Aenderungen und Zusäßen versehen, stets pünktlich zurück. Häufig geschieht es auch, daß besondere Wünsche berücksichtigt werden müssen fo bat, um ein Beispiel anzuführen, vorjährig das japanische Ministerium des Auswärtigen um eine ausführlichere Behandlung des höheren japanischen Marinepersonals und sandte auch gleich die notwendigen Notizen mit. Aber nicht überall macht man der Redaktion die Sache so bequem. Namentlich die Bearbeitung des statistischen Teils hat Berge von Schwierigkeiten zu überwinden; eine einfache Anfrage genügt meistens nicht, und auch die amtlichen Publikationen find nicht immer leicht zu beschaffen. Noch anders verhält es sich bei der Redaktion der Almanache der gräflichen und freiherrlichen Häuser. Wer je mit Genealogie zu tun gehabt hat, wird wiffen, wie schwer es meist hält, bei der Aufstellung von Stammbäumen des dokumentarisch Nachweisbare von der UeberLieferung, dem Legendären und dem mehr oder weniger geschickt zusammen Fabulirten, wenn die Tradition es gewiffermaßen fanftionirt hat, zu trennen. In Zweifelfällen läßt sich die Redaktion der Handbücher auf einfache schriftliche Mitteilungen nicht ein, sondern fordert Einsicht der Dokumente, ein Verfahren, das um der historischen Wahrheit willen nur willkommen geheißen werden kann, zumal auch nicht alle Familiengeschichten und Geschlechtschroniken auf strenger geschichtlicher Forschung fußen, sondern vielfach auf Grund willkürlicher Kombinationen aufgebaut sind, um das Stammregister bis in die graue Unendlichkeit verlängern zu können. Dazu kommt, daß die Personalverzeichnisse öft absichtlich lückenhaft gehalten werden, um unliebsame Mesalliancen oder dergl. zu verschleiern, und daß die Daten aus kleinlicher Eitelkeit dann und wann falsch angegeben sind. Eine absolute Zuverlässigkeit bis in die kleinsten Einzelheiten hinein ist unter den erwähnten Verhältnissen so gut wie unmöglich; auch bei der sorgfältigsten Redaktion werden sich immer Irrtümer einzuschleichen wissen. Im allgemeinen aber würden die „Gothaer“ auch eine strengere Prüfung der Heroldsämter vertragen fönnen. 1280 Seiten; das gibt eine durchschnittliche jährliche Zunahme von ungefähr einem Bogen. Im lezten Jahre ist er allein um vier Bogen gewachsen. Der Hauptgrund für diese ungewöhnliche Vermehrung ist die Neubearbeitung der Genealogie der englischen Herzogshäuser; alle die jenigen Mitglieder einer englischen Familie, die ihren Ursprung auf einen Duke ihres Hauses zurückführen können, find aufgenommen worden; das Geschlecht der Norfolks ist dadurch beispielsweise von 2 auf 10 Seiten ausgedehnt worden. Auch andere Zusäße und Ergänzungen sind hinzugekommen; so wurden u. a. im deutschen Reich und in Desterreich-Ungarn zum ersten Male die Rektoren und Kuratoren der Universitäten eingefügt und damit „auch diesem Teile der geistigen Aristokratie Rechnung getragen," wie es im Vorwort heißt. Das Vorwort bringt auch eine Entschuldigung. Die eingefügten beiden Stahlstiche tragen falsche Unterschriften. Aus der Prinzessin Alice von Heffen, deren Porträt in einem sehr fein ausgeführten Stiche der Titelseite gegenübersteht, ist die Zarin aller Reußen Alexandra Feodorowna geworden, und der Zäsarewitsch Nikolaj Alexandrowitsch ist seinem verstorbenen Bater inzwischen auf den Tron gefolgt. ፡ Unheimliche Ernte hielt der Tod in dem zu Rüste gehenden Jahre unter den Großen der Erde. Sadi Carnot starb unter Mörderhänden; Casimir - Perier, der neue Präsident Frankreichs, wird dafür den Lesern des Almanachs in einem wolgelungenen Bildnis vorgeführt, das eine überaus sorgfältige Frisur über hoher Stirn und einen tadellos fizenden Frack mit dem Stern zum Großfordon der Ehrenlegion zeigt. Noch einen zweiten Verluft hatte Frankreich wenigstens das rohalistisch gefinnte im letzten Jahre zu beklagen gehabt: der „Roy" lebt nicht mehr, und Louis Philipp, sein Sohn, der allezeit vergnügte, ist Chef der Orléans geworden. Im fernen Afrika, in der seit 790 „absoluten Monarchie" Marokko starb der Alida Muley-Hassan, und Abdul Aziz übernahm das Sultanat. Auch in der deutschen Abteilung des Handbuchs hat der Tod manchen Namen gelöscht. Reich an Aenderungen ist der diplomatisch-statistische Teil des Jahrbuchs. Die Schweiz hat einen neuen Präsidenten erhalten, Herrn Brenner, und drüben, im unrutigen Süd-Amerika, find eine ganze Reihe republikanischer Oberhauptleute vom Schauplaß der Geschichte abgetreten. Auch in der jungen Republik Hawaï hat ein Präsidentenwechsel stattgefunden; ein Eingeborener, Mr. Sandford B. Dola, herrscht 3. 3. über das glückliche Inselreich. In dem kleinen niedlichen Knopfloch-Republikchen San Marino haben die frisch gewählten beiden capitani reggenti ihre Herrschaft mit der Verausgabung neuer Briefmarken eröffnet; da die beiden Präsidenten (der eine von ihnen ist Profeffor, aber von San Marino) jedoch nur bis zum 1. April 1895 gewählt sind, so werden die neuen Briefmarken indessen bald wieder alt werden, und die Philatelisten können abermals in die Tasche greifen. Hübsch ist die Finanzlage von San Marino: man hat im lezten Jahre eine viertel Million eingenommen für Dekorationszwecke - und ebensoviel ausgegeben; „eine öffentliche Schuld ist nicht vorhanden", wol aber eine Armee von 950 Mann wehe! In Der Hofkalender ist auch in seinem neuen Bulgarien ist Herr Stambulow Herrn Stoilow gewichen, Jahrgange an räumlicher Ausdehnung gewachsen. Als er in Oesterreich der junge Fürst Windisch-Graeß (auch sein vor hundertundzweiunddreißig Jahren zum ersten Male Porträt ist im diesjährigen Hofkalender zu finden) erschien, war er ein schmales, schlankes, dünnleibigest. t. Ministerpräsident geworden. Ueber den Rücktritt Bändchen, und er behielt diese Leutnantstaille bis in die des Grafen Caprivi und den Wechsel im preußischen ersten Jahre unseres Säculums hinein. Dann aber fam Ministerium finden sich im Nachtrag die nötigen Notizen. es anders. In den fünfziger Jahren begann sein Umfang zu wachsen. 1860 umfaßte er schon gegen 600 Seiten; nach dem Kriege von 70/71 schwoll er auf 900 Seiten an, im vorigen Jahre zählte er 1214 und heuer sogar Der Grafen-Kalender hat in genealogischer Beziehung eine nicht unwichtige Aenderung erfahren. Die Redaktion hat die bisher üblich gewesene Aufstellungsweise des Personalbestandes in steigender Folge mit allen " Zwischentiteln Geschwister“, „Mutter" u. f. w. aufgegeben und dafür das sogenannte „fallende System" mit dem gemeinschaftlichen Stammvater am Kopfe des Artikels eingeführt. Die gleiche Aufstellungsweise des Personalbestandes wie bei dem Grafen-Kalender ist auch bei dem Taschenbuch der Freiherrlichen Geschlechter eingeführt worden. Der diesjährige Band ist um 61 neue Familien bereichert worden, meist österreichischer Extraktion. Koburg hat wieder einige neue Barone ernannt, so den Rittergutsbefizer Hewald auf Podevils in Pommern, der einer reichen Bürgerfamilie aus Schöneberg in Berlin entstammt. Der gröfte Teil der jüngeren Freiherrngeschlechter ist katolisch und fast durchweg österreichischer Ordensadel. Doch verzeichnet das Handbuch auch einige israelitische Freiherrnfamilien: neben den vier Linien der Rothschilds die Hirsch auf Gereuth (bairischer Adel), Koenigswarter (österreichisch), Landau (koburgisch), Machiels - Clinbourg (Koburg und Frankreich), Maher (Koburg) und Parente (Desterreich); die freiherrlichen Bankiersfamilien der Ralli und Sina, beides österreichischer Adel, find als griechisch-orientalisch angeführt. Zum Lobe dei gothaer Taschenbücher noch ein Wort anzufügen, ist überflüffig. Die Genauigkeit der Daten und die Uebersichtlichkeit des Inhalts hat durch die oben erwähnte Neuerung erheblich gewonnen. Gedichte. Von Gustav Falke. 1. Vinter. Ein morscher Kahn. Vereist. Zwei Raben hüpfen. Auf seinem Rand umher und krächzen heiser Wollt ihr mein Herz, mein heißes Herz nicht haben? Müßt ihr vor solchen heiligen Liebesgaben Euch noch bedenken? Ist niemand denn an allen weiten Wegen, Im Sommerland, am Winterstrand, Dem ichs in seine treue Hand kann legen, Was soll ich denn allein mit meinem Herzen, Wehl es erlischt. Und könnten tausend Herzen Und wie er singt und schreitet, fingt und schreitet, Ein Klingen läuft durchs Eis. Im Flugschnee pfeift Und einsam liegt der Strand. Die Sonne finft 2. Der Beter. Der wache Wald begrüßt den stillen Strand Der braune Leib. Und Schweigen rings, tein Laut, Der törichte Jäger. Er zog hinaus, das Glüď zu fangen, Bis in den späten Abendschein. Umsonst, es war ein schlimmes Jagen, Da saß in schlichtem Werkelkleide, Sie reichte ihm den Trunt, den Bissen, Sie hatte still sich eingefunden, Das flüchtige Wild lag ihm im Sinn. und muß ich mich zu Tode hezen, Wie schön, wie schön das stille Land, Die Wolken, die da oben stehn, Sie find der dunkle Untergrund, Und wenn der legte blasse Stral Dann kommst du wie der Mond herauf, 5. Bak der Tod uns heiter finde. Scherzt und füßt und trinkt und lacht, Horch. Schon meldet sich ihr Wehn K Das londoner Theater. Von Martin Hoefer. Die Zahl der Theater in London ist Legion, aber von dieser großen Menge ragen nur sehr, sehr wenige etwas über das niedrigste Niveau hinaus, das man auf dem Kontinent mit dem Begriff einer Schauhalle ver bindet. Eine ständige Oper hat London nicht. Der Grund dafür liegt in dem vollständigen Mangel musikalischen Verständnisses der breiten Schichten des englischen Voltes. Soviel auch in drawing-rooms und in Vereinen von Dilettanten gesungen und gespielt wird, und obgleich während des Winters 200-300 Konzerte allwöchentlich stattfinden, geht dennoch, wenn man es genau betrachtet, des Engländers Interesse nicht über leichte Musik hinaus. Die Konzertfäle find zwar überfüllt, aber zum grösten Teile nicht von Musikkennern, sondern von Leuten, die sich aus konventionellen Rücksichten einzufinden haben. Erst in den letzten Jahren, seitdem der berühmte Direktor des Drury-Lane- und Covent-garden-Theaters, Sir Augustus Harris, es sich zur Aufgabe gemacht hat, die englische Nation zum Musikverständnis heranzubilden, und ohne Rücksicht auf die enormen Unkosten jährlich während der Saisonmonate Mai bis August die besten Opernkräfte der Welt vereinigt, um Werke jüngerer und älterer Meister in vollendeter Weise zur Darstellung zu bringen, ist ein Umschwung bemerkbar. Allerdings ist derselbe gering und schreitet nur sehr langsam vorwärts, und es wird noch sehr, sehr lange dauern, bis London sein ständiges Opernhaus besitzen wird. Ein Versuch in dieser Richtung wurde zuletzt 1892 gemacht mit dem ,,English Opera House", das dazu bestimmt war, ausschließlich englische Opern zu pflegen, jedoch bereits nach sechsmonatlichem Bestehen über dem unglücklichen Sullivanschen Ivanhoe zusammenbrach. Das Theater selbst ist in eine Musichall verwandelt worden und führt jezt den Namen: Palace of Varieties. Die englischen Theater sind ausnahmslos Privatunternehmen, sie werden in keiner Weise von oben herab protegirt, auch nicht von Staats- oder Stadtwegen unterstüßt, sondern sind vollständig auf sich selbst angewiesen. Dies hat einen großen Vorteil und einen großen Nachteil. Der Vorteil ist die gänzliche Freiheit in der Wahl des Stückes, der Nachteil die große Abhängigkeit vom Publikum, die den Vorteil in vieler Hinsicht illusorisch macht. Eine unabhängige Kunst kann sich also hier sehr schwer entwickeln, da der Theaterdirektor zu sehr mit dem Geschmack des Publikums rechnen muß und gezwungen ist, mehr auf äußere packende Momente, als auf den tieferen inneren Wert seiner Stücke zu sehen. Es muß also die eigentliche Aufgabe der Bühne, den Geschmack des Publikums nach einer gewissen Richtung fortzubilden, zu erweitern und zu veredeln, ganz bedeutend in den Hintergrund treten. Kein englischer Theaterdirektor und beinahe niemand aus dem englischen Publikum betrachtet das Theater als eine Bildungsstätte, sondern nur als eine Stätte der leichten Unterhaltung. Der Durchschnittsengländer der gebildeten Klassen hält es nicht für ange bracht, nach einem guten dinner nun auch noch den Geist etwas arbeiten zu lassen und auch noch etwas für den inneren Menschen zu tun. Abgesehen von der verschwindend fleinen Zahl derer, denen wirklich Kunstintereffe eigen ist, ist der Engländer damit zufrieden, wenn er ein paar gute Wige, einige,,catching songs", hört und ein oder mehrere Paare niedlicher Beine tanzen sieht; nach diesen hervorragenden Einzelheiten beurteilt er das Stück, Oberflächlichkeit und |