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Preis 4 Mark vierteljährlich. Bestellungen werden von jeder Buchhandlung, jedem Postamt (nr 3589 der Postzeitungsliste), sowie vom Verlage des „Magazin“ entgegengenommen. Anzeigen 40 Pfg. die viergespaltene Nonpareillezeile.

64. Jahrgang.

Preis der Einzelnummer: 40 Pfg.
Berlin, den 20. April 1895.

Nr. 16.

Inhalt:

Litteratur, Bissenschaft und öffentliches Leben.

Ernst Heilborn: Frauenherzen. Sp. 481.

Karl Adolf Neuhoff: Bürgerkunde. Sp. 484.

Thomas Breitinger: Der angebliche Realismus des modernen
Dramas. Sp. 190.

Martin Boefer: Die englische Pantomime. Sp. 493.
Theodor Loewe: Drei Gedichte. Sp. 498.

J. Mjäßnizki: Im Theater. Sp. 499.

.: Zwei Hans Sachs-Bücher. Sp. 503.

Ludwig Stettenheim: Ein japanischer Roman. Sp. 504.
O. J. B.: Das Geheimnis der Fantasie und des Gemütes. Sp. 505.
Litterarische Chronik. Sp. 503.

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Wir Frauen find_schwache_Geschöpfe," so tönt es scheinbar, das eine Mal mit umflorter, das andere Mal mit heiter vibrirender Stimme, immer aber ganz leise aus Heyses jüngstem Novellenband_„Melusine“*)

Nicht von Tendenz kann die Rede sein; es ist wie ein leiser Refrain. Etwas Weltentrücktes und Weltentrückendes ist diesen Erzählungen eigen. Man_fühlt, fie üben einen unbestimmten Zwang aus, einen Zwang, dem man sich zuerst unwillig widersetzt und dem man fich dann gern anheimgibt. Man weiß auch, daß es der ruhig flare, der spiegelnde Stil ist, der stets fich gleich bleibt, wie auch die Bilder wechseln, von dem dieser Zwang ausgeht. Nur kann man das Gefühl nicht näher bestimmen. Bald glaubt man in das Arbeitszimmer eines vornehmen alten Herrn zu treten: Smyrnateppiche bedecken den Fußboden und die Wände find mit Stofftapeten bespannt; jedes Geräusch, jedes Wort klingt gedämpft. Und dann meint man wieder von einem noch rüftigen Manne auf einen Berg geführt zu werden: er dreht sich um und zeigt einem die Landschaft dort unten; man lauscht, und ganz gedämpft hört man den Wiederhall des fernen Lebens. Als Alltagsfost wäre dieser Stil modernen Lesern vielleicht unerträglich; wir wollen den *) Berlin 1895. Wilhelm Herz.

lebendigen Pulsschlag des Lebens, Persönlichkeit, die sich im Stile gibt, wir wollen uns auch einmal an einer Ecfe stoßen und über einen Stein stolpern. Es ist ein Feiertagsbedürfnis, das nach Heysefchem Stil Verlangen trägt und durch ihn gestillt wird. Man muß sich in Pofitur seßen, um ihn zu genießen. Man möchte einen Sessel vor den Kamin rücken, die Beine nach dem Feuer ausstrecken und dann nach jedem Absaß träumend in die Flammen blicken. Denn es ist eine andre Welt als die alltägliche, die einem vor Augen ersteht.

Und wenn man sich so in Positur gesetzt hatte, dann brachten einem die letzten Bände Heyses doppelt ärgerliche Enttäuschung. Was nüßt das alles, wenn die neue, andre Welt nicht klar werden will, wenn die Linien verschwommen bleiben? Der neue Band aber enthält ein paar Novellen, die wie ein Gruß aus Heyses bester Zeit find. Vor allen: „Fedja“.

„Wir Frauen find schwache Geschöpfe"; auch die Heldin von Fedja ist ein schwaches Geschöpf. In Ferrara, der Stadt Taffos, lernt er sie fennen. Sie reist mit einem Domestiken, einem auffallend schönen, geistig trägen Menschen. Sie selbst ist eine vornehme Frau, eine Baronin, kenntnisreich und mit feinem Kunstverständnis begabt. Irgendwo fommt es an den Tag, daß der Bediente ihr Gatte ist; zwar, fie sind nicht kirchlich getraut, aber sie haben eine Gewissensehe mit einander geschlossen. glückliche Liebe hinter sich, war unabhängig und bewirtWarum sie das getan hat? Sie hatte ihre Liebe, eine unschaftete ihr Gut selbständig und hatte ihn, einen Bauerssohn aus der Umgegend, als Diener zu sich genommen. Sie hatte ihn bilden lassen, hatte ihn zum Teil selbst erzogen er war ja viel jünger als sie steter Begleiter, bemächtigte sich ihrer Fantasie, ihre Sinne er war ihr verlangten nach ihm, und so geschah es. In Ferrara mädchen auf und davon. Sie ist gebrochen, ihr Stolz nun ließ er sie sißen und ging ihr mit einem Stubenist beleidigt, sie ist froh, ihn nie wieder sehen zu müssen. und dann nach Jahren taucht sie wieder auf. Bei Neapel bewirtschaftet dieser Domestite mit seiner neuen Frau ein Hotel. Die Baronin sist unten im Speisesaal und präfidirt der Table d'hôte. Gewiß, ein schwaches Geschöpf!

Entstehen revolutionär, eine jede greift nach dem flammend Jede litterarische Strömung geberdet sich bei ihrem roten Mantel. Aber das will nichts sagen, in der Wiege sehen sich Revolution und Reaktion zum Verwechseln ähnlich fie schreien beide. Unsere Litteratur von heute, im Gegensatz zu der von gestern und vorgestern ist reaktionär; Reaktion gegen das beseligende Heidentum von vorgestern und gegen den erquickenden Realismus von gestern. Wir

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find wieder einmal im Nazarenertum mitten drin, und Sinnenfreude und Weltgenuß gehen als Gespenster um. Da will ein Gruß aus Heyses bester Zeit etwas sagen. Es klingt wie neu, das Evangelium von dem Ganzmenschentum, in dem Leib und Seele eins ist, das den Leib nicht fasten lassen will, um die Seele zu mästen. Gesunde, schöne Sinnlichkeit! Heyses Menschen haben den Mut sich ganz auszuleben, und das verlohnt sich. Und wenn die kluge Welt zehnmal den Stab bricht über einer Frau, wie es die Heldin in Fedja ist hat sie in ihrer Art sich nicht auch ausgelebt? Darum schließen Heyses Novellen nie mit einer Disharmonie, immer ist der Schluß eine Wendung zum Befferen. Nicht als ob das freie, volle Menschentum, wenn es sich gegen sich selbst durchseßt, auch die Welt be zwänge. Das nicht; die meisten von Heyses Novellen endigen ja wol tragisch. Aber diese Tragik ist eigentlich ein Aufâtmen: man hat sich ausgelebt. Wenn Donna Lionarda, die Witwe, die ihren Mann nicht geliebt hat und dann nur für ihre Kinder gelebt hat, wenn sie einmal genießt und darüber zu Grunde geht muß sie nicht gern zu Grunde gehn? Das eben ist das Eigentümliche an Heyses Welt: man darf sich ausleben; man darf es innerlich ungestraft; man soll es. Darum ist diese Welt rein harmonisch; darum ist es immer eine Wendung zum Besseren, wenn jeder der Stimme seines Herzens folgt.

Und schließlich — sind Heyses Frauen wirklich schwach? Muß es immer so viel leichter sein, sich selbst zu gehorchen, als sich selbst zu bezwingen? Das Sichselbstgehorchen ist der Teil Heysescher Weltweisheit, der in den neuen Novellen am Klarsten zu Tage tritt. Und es ist Kraft und Freudigkeit in dieser Weisheit.

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Du suchst Kraft? Suche sie in Frauenherzen!", so klingt es stark und hell aus den neuen Erzählungen unserer lieben Frau Marie von Ebner-Eschenbach.*)

„Ich sterbe- auch gut", sagt die Heldin in der Novelle DasSchädliche",in dem Augenblick, als eine Kugel fienieder streckt, wie sie von einem Stelldichein mit ihrem Liebhaber kommt. Das sind vier Worte, in die eine ganze Charakteristik, das Fazit eines verfehlten Menschenlebens zu sammengepreßt sind.

In einen landschaftlichen Eindruck umgesetzt, wäre die Stimmung, die Heyses Novellen hinterlassen, der eines sonnigen, flaren Sommertages vergleichbar. Die Farben find bunter, die Luft ist schärfer, Gewächse und Zweige scheinen zusammengezogener, knorriger: es ist etwas von heller, fühler Herbsistimmung in Frau Ebners Erzählungen.

Das stilistische Element ist bei Heyse eigentümliche Färbung, es ist bei Marie Ebner Form; und zwar Form, nicht in dem antiken, sondern in dem germanischen Sinne; charakteristische Form.

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Es ist ganz ausschließlich der Mensch, der Marie Ebner beschäftigt und interessirt, und zwar die nackte menschliche Seele. Milieuschilderungen läßt sie beinah ganz außer acht. Ein Schloß", "eine Bauernhütte", eine Bauernhütte", das genügt ihr. Dafür liebt sie es, den Charakter, der das Objekt ihrer jeweiligen Darstellung ist, in dem Lichte zu zeigen, in dem ihn ein zweiter Charafter sieht. In direkter Charakteristik verdankt sie ihre tiefsten Wirkungen. Die Geschichte des jungen Mädchens, das mit dem Auch gut" stirbt, wird von ihrem Vater erzählt. Er ist selbstverständlich nicht objektiver Erzähler; er hat ihren unseligen Charakter sich entwickeln sehen, er hat mit allen möglichen Erziehungskünften in die Entwicklung eingreifen wollen, und schließlich, er ist selbst nicht schuld

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Berlin 1894. Gebrüder Paetel.

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los, daß sie so geworden ist. Und noch ein zweiter Charakter ist bis in die kleinsten Züge hinein gezeichnet, um das Wesen des Hauptcharakters zu erklären: die Mutter. In der Tochter wiederholt und ergänzt sich der Charakter der Mutter, troßdem, geschickt und ungeschickt, alles auf geboten wird, die Tochter von den Wegen der Mutterfern zu halten. Fast alle modernen Schriftsteller haben sich mit der Vererbungstheorie befaßt und alle haben sie ihre Berechtigung voll eingeräumt: man fönnte an den betreffenden Beispielen doch die ganze Verschiedenheit der Individualitäten darlegen. Es sind ja doch nicht die Fakten, welche die Weltanschauung umzugestalten oder auch nur zu modifiziren imftande wären; die Individualitäten rücken die Faften in den Gesichtswinkel, der ihnen zuträglich zu sein scheint. Was gilt die Vererbungstheorie Marie von Ebner-Eschenbach? Ruhig und sinnend weist sie auf die Erscheinung hin, wie ein Gärtner ruhig und sinnend stehen bleibt, um zu betrachten, wie fich im Segling der Bau der Mutterpflanze wiederholt.

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Du suchst Kraft?" In einer ärmlichen Hütte, so erzählt Frau Ebner, fißt eine Bauerndirne. Sie fißt da bei der Leiche ihrer Mutter und hält die Totenwacht. Da bekommt sie späten Besuch; ihr Nachbar ist es. Schon als Knabe hat er. reicher Leute Kind, fie mishandelt und dann einmal, als er trunken von einer Hochzeit heim fam, hat er ihr Gewalt angetan. Jezt kommt er um ihre Hand zu werben, um gut zu machen, und fie weist ihu ab. Sie verdingt sich lieber in der Fremde irgendwo als_Magd. Ich denke, das ist Kraft, die Kraft des Haffens.

Paul Heyse erzählt von einer Rächerin, die auszog, ihre arme verstorbene Freundin an ihrem Verführer zu rächen. Es gelingt ihr, den Mann in sich verliebt zu machen, ihm heiße Liebe einzuflößen, und ihn dann durch Kälte zu verwunden und leiden zu lassen. Und dann schlägt ihr Haffen in Lieben um.

Was ist Kraft und was ist Schwäche? Das mensch. liche Herz ist ja wol ein trobiges und verzagtes Ding. Seltsamerweise scheinen in der Kunst auch die entgegengeseßtesten Wege zu demselben Ziel zu führen: es gilt, den Mut zu haben, der Stimme dieses trogigen und verzagten Dinges Gehör zu geben. Es scheint, wir nennen das dann immer Kraft.

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Die Einfügung der Bürgerkunde in den Lehrplan unserer Schulen ist eine der mannigfachen Forderungen zur Modernisirung unseres Schulwesens. Den rastlosen Bemühungen der pädagogischen Reformatoren ist schon mancher Fortschritt zu verdanken; sie haben es sogar soweit gebracht, daß der lateinische Auffat endgiltig beseitigt worden ist, dieser lateinische Aufsaß, der noch bis vor kurzem überall als das Palladium des klassischen Gymnasiums, als die höchste Blüte klassischer Bildung gefeiert wurde, der aber tatsächlich zu einer lächerlichen Farce geworden war. Und diesen Männern wird es auch ferner gelingen, so manchen überflüssigen Krimskrams aus unsern Schulen herauszufegen und Dinge an deffen Stelle zu seßen, die den Anforderungen des modernen Lebens entsprechen.

Zu diesen Dingen gehört unzweifelhaft auch die sogenannte Bürgerkunde.

Einen festen Begriff stellt das Wort noch nicht dar. Die einfachste Umschreibung wäre: die Lehre von den Rechten und Pflichten der Bürger. Da man als Bürger den Menschen in seinem Verhältnis zum Staat und den übrigen öffentlichen Körpern bezeichnet, so würde danach das gesamte öffentliche Recht unter den Begriff der Bürgerkunde fallen.

Das Privatrecht, das die Beziehungen der Bürger zu einander regelt, wäre damit ausgeschlossen. Und mit Recht. Die materiellen Interessen stehen heute so sehr im Vordergrunde, daß jeder, der ins Leben tritt, fich sehr bald aneignet, was ihm auf diesem Gebiete nötig ist Außerdem haben fast alle jungen Leute während ihrer Vorbereitungszeit zu einem praktischen Berufe Gelegen heit und Zeit, sich hier die nötigen Kenntnisse anzueignen. Die wichtigsten hierher gehörigen Grundbegriffe 3. B. der Wechsel, die Hypotheken lassen sich übrigens auch im Rahmen der Bürgerkunde erörtern.

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Eine besondere Schwierigkeit für die schulgemäße Behandlung bietet das Strafrecht dar. Das, was man den Schülern davon bieten kann, reduzirt sich im wesent lichen auf die Vorschriften der zehn Gebote und wird deshalb beffer dem Religions-oder dem Moralunterricht über laffen Was sonst noch erwähnenswert wäre, wie die Strafarten, kann in der Verwaltungslehre vorgebracht werden.

Zweifelhaft kann man auch darüber sein, ob es zweckmäßig ist, die beiden Prozesse, den Zivilprozeß und den Strafprozeß, in den Lehrplan aufzunehmen.

Abgesehen hiervon würden also in den Rahmen der Bürgerkunde fallen: das Staatsrecht, das Völkerrecht, das Verwaltungsrecht, die Steuerlehre (Finanzwissen schaft), die Volkswirtschaftspolitik und, schon zum Verständnis der letteren, die allgemeine Volkswirtschaftslehre das sind im großen und ganzen die Disziplinen, die an einigen Universitäten unter dem Namen der Staatswissenschaften zusammengefaßt erscheinen. Vor allen Dingen ist bei dem Unterricht in der Bürgerkunde eine gefährliche Klippe zu vermeiden: die Tendenz. Der Schüler ist naturgemäß zu einem selbst ständigen Urteile noch nicht fähig; der Lehrer ist ihm oder soll ihm wenigstens unbedingte Autorität sein. Deshalb muß es der Lehrer unter allen Umständen sorgfältig vermeiden, die Dinge tendenziös oder gar parteipolitisch darzustellen. Damit schafft er nur zu leicht einen Gegen satz zwischen Schule und Haus, bei dem nur die Schule zu verlieren hat, ganz abgesehen davon, daß es tief unfittlich ist, die Vertrauensstellung als Lehrer gegenüber Unmündigen zu misbrauchen.

Leider wird gegen diesen wichtigen Grundsaß heute bereits vielfach verstoßen. Das gilt namentlich vom Geschichtsunterricht, der aus angeblich patriotischen Gründen häufig direkt zur Geschichtsfälschung ausartet. Um wieviel näher liegt diese Gefahr bei dem Unterricht in der Bürgerfunde, bei dem wichtige politische Begriffe, wie Monarchie und Republik, besprochen werden müssen! Vielumstritten ist die Frage, auf welche Schulen und auf welche Altersklaffen der Unterricht in der Bürgerfunde zweckmäßigerweise auszudehnen wäre. Die meisten denken bei der Einführung dieses Unterrichts nur an die obersten Klaffen der höheren Schulen. Diese Be schränkung ist meiner Ansicht nach durchaus zu verwerfen. Die Schüler der Primen beziehen zu ihrem grösten Teile die Universitäten und haben hier Gelegen heit in Fülle, sich die Kenntniffe, die ihnen der Unterricht in der Bürgerkunde vermitteln würde, anzueignen. Grade der Schüler, der von der Schule direkt ins prak

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tische Leben hineintritt und dem danu Zeit oder Gelegenheit zu weiterer Ausbildung fehlt, bedarf dieses Unterrichts in erster Linie. Deshalb muß mit ihm - freilich nur in den allerersten Grundzügen auf den höheren Schulen so frühzeitig begonnen werden, daß auch solche Schüler, die mit dem Aufhören der Schulpflicht die Schule verlassen, daran teilnehmen können, und die Bürgerkunde muß auch in den Lehrplan der Elementarschulen auf ihrer obersten Stufe aufgenommen werden. Nur dann wird der Unterricht in der Bürgerkunde die Erfolge zeitigen, die man füglich von ihm erwarten kann.

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Die beste Propaganda für eine Idee ist, sie praktisch anzufaffen. Dieser Erkenntnis verdanken auf dem besprochenen Gebiete zwei Bücher ihre Entstehung, die vor einiger Zeit gleichzeitig erschienen sind. Beide tragen den Titel Deutsche Bürgerfunde". Das eine zeigt auf dem Titelblatt die Namen zweier Verfasser, der Herren Landgerichtsdirektor Georg Hoffmann und Oberlehrer Dr. Ernst Groth1); das andere rührt von dem Oberlehrer Dr. A. Giese) her.

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Die beiden Bücher behandeln denselben Gegenstand, allerdings in etwas verschiedener Weise und auch in etwas verschiedener Absicht. Während die Herren Hoff= mann und Groth, wie der Untertitel ihrer Schrift ausdrücklich sagt, ein kleines Handbuch des politisch Wissenswerten für jedermann" geben wollten, war es Herrn Giese in erster Linie darum zu tun, ein Schulbuch zu schaffen. Doch unterscheiden sich die Bücher nicht in solchem Maße, daß nicht auch das erste als Schulbuch verwendet und das zweite von einem der Schule Entwachsenen mit Nußen gelesen werden könnte.

Der Unterschied, der bei den beiden Büchern zunächst in die Augen fällt, ist die verschiedene Einteilung des Stoffes.

Hoffmann und Groth beginnen mit einer einleitenden Besprechung von Gemeinde, Staat und Reich, schildern in einem folgenden Kapitel die gefeßgebenden Faktoren des Reichs: Kaiser, Bundesrat und Reichstag, darauf den Reichskanzler und die Reichsbehörden. Dann teilen sie sich den übrigen Stoff in 8 Kapitel: Gefeße; Gerichte; Heer und Marine; Landwirtschaft, Handel und Gewerbe; Verkehrswesen und Kolonien; Finanzen, Steuern, Zölle; Kirchen- und Unterrichtswesen; Soziale Gesezgebung, und behandeln in jedem dieser Kapitel alles, was über den betreffenden Gegenstand vom Reich und von den Einzelstaaten gesagt werden soll.

Giese dagegen teilt sich den Stoff zunächst in allgemeine und besondere Staatslehre und behandelt dann in der letteren in zwei Unterabteilungen zunächst das Deutsche Reich und dann das Königreich Preußen. Ein Schlußteil beschäftigt sich mit den Elementen der Volkswirtschaftslehre, und ein Anhang enthält Auszüge aus der Reichs- und der preußischen Verfassungsurkunde. Es läßt sich schwer entscheiden, welche Methode die bessere sei. Jede hat ihre Vorzüge und Nachteile.

Die Schwierigkeiten liegen eben in der Kleinstaaterei begründet. Wollte man auf dem Wege, den Giese einschlägt, vollständig sein, so müßte man eigentlich die Staatslehren sämtlicher sechsundzwanzig deutscher Vaterländer nach einander abhandeln. Das ist natürlich praktisch unmöglich, und dem hat auch Giese Rechnung getragen, indem er kurz entschloffen fünfundzwanzig Staatslehren strich und sich auf die Preußens beschränkte. Damit wird sein Buch aber eigentlich aus einer Deutschen Bürgerkunde zu einer Preußischen Bürgerkunde. Diese

1) Leipzig, Fr. Wilh. Grunow, 1894. Andilo)
2) Leipzig, R. Voigtländers Verlag. 1894.

Schwierigkeit kann bei der Methode von Hoffmann und Groth leicht überwunden werden. Hier läßt sich bei jedem Gegenstande sagen, was darüber aus dem Reiche, aus Preußen und den übrigen Bundesstaaten anzuführen ist. Diese lettere Methode bietet dafür jedoch wieder einen Nachteil, den die erstere nicht hat. Einer der wichtigsten Grundzüge unferes heimischen Staatsrechts: die Kompetenz Abgrenzung zwischen Reich und Einzelstaaten, fommt bei ihr nicht klar zum Ausdruck. Bei Giese braucht man nur die Inhaltsangabe zu überfliegen, um sofort zu wiffen, was dem Reiche, was Preußen zu steht bei Hoffmann-Groth muß man erst jedes einzelne Kapitel nachlesen.

Für den Erwachsenen verdient das Hoffmann-Grothsche Buch den Vorzug. Allerdings leidet es an einer zuweitgehen den und oft gesuchten Knappheit. Das trifft namentlich auf die Einleitung zu. Dann ist das eigentliche Staatsrecht der Einzelstaaten ganz außerordentlich stiefmütterlich behandelt. Zu dem einleitenden Kapitel wird nur ein ganz allge meiner Ueberblick über den Gegenstand gegeben, während dem Reichsstaatsrecht mehr als zwei ganze Kapitel gewidmet sind. Uebrigens kommt bei der Schilderung der Reichsverfassung die Stellung des Bundesrats und des Kaisers nicht ganz deutlich heraus, was auch auf das Giesesche Buch zutrifft. Wenn z. B. auf Seite 26 gefagt wird: Vielmehr steht der Bundesrat dem Reichstage so gegenüber, wie in den Einzelstaaten die Ministerien der Landesvertretung," so ist das einfach nicht richtig. Auf Seite 59 wird der Bundesrat wieder in Parallele gestellt mit einer ersten Kammer, was vorher mit Recht ausdrücklich verworfen worden ist.

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Den besten Teil des Hoffmann-Grothschen Buches

bildet der Abschnitt über die Gerichte, den man nur als vortrefflich bezeichnen kann. Schön und klar wird hier die Gerichtsverfaffung, und an intereffanten, lebendigen Beispielen das Gerichtsverfahren, Zivil- und Strafprozeß und das Konkursverfahren, auseinandergesetzt.

Der Abschnitt über Heer und Marine scheint mir zu ausführlich. Hier hätte Raum gespart werden können. Alle die kleinen Reservationen und Reservatiönchen sind wirklich nebensächlich.

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Unter Verkehrswesen" ist mir namentlich der Sak aufgefallen: Hauptgegenstand des Bankverkehrs ist der Handel mit Effekten." Das ist grundfalsch. Der Handel mit Effekten hat mit dem Banfverkehr an sich gar nichts zu tun. Daß bei uns in Deutschland Effektenhandel und Bankverkehr in so inniger Berührung stehen, ist eben der Krebsschaden unseres Bankwesens, gegen den ein energisches gefeßliches Vorgehen nur zu wünschen wäre. In England findet sich diese schädliche Verquickung nicht.

Ich komme zu dem Gieseschen Buche. Da es für Schulen geschrieben ist, soll der Vortrag des Lehrers nebenhergehen. Deshalb ist gegen die Knappheit des Buches, obwol es weniger umfangreich ist, als das Hoffmann-Grothsche, nichts einzuwenden.

Ausnehmen möchte ich hiervon nur den dritten Teil, insofern, als er nicht hält, was sein Titel „Elemente der Volkswirtschaftslehre" verspricht. Der Begriff der Währung ist nicht genügend erklärt. Es kommt bei der Doppelwährung nicht in erster Linie darauf an, daß man mit Gold oder Silber zahlen kann, sondern auf die freie Silberprägung neben der freien Goldprägung.

Gegen den zweiten Teil, der die besondere Staatslehre behandelt, ist wenig einzuwenden. Die Stellung des Kaisers und Bundesrats wäre auch hier präziser zu faffen. Auf Seite 81 müßte der wichtige Unterschied zwischen dem Dreiklassen Wahlsystem zu den Stadtverordnetenwahlen und dem zu den preußischen Landtagswahlen hervorgehoben werden. Bei jenen wählen

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bekanntlich die Wahlmänner jeder Klasse ihre besonderen Stadtverordneten, während bei diesem die Wahlmänner aller Klaffen zusammentreten und die Abgeordneten wählen, wobei die Vertreter der besigenden Minderheit in jedem einzelnen Falle die Vertreter der großen Volksmaffe niederstimmen fönnen..

Eine wissenschaftliche und pädagogische Ungeheuer. lichkeit ist der erste Teil des Gieseschen Buches, der die Aufschrift Allgemeine Staatslehre" führt. Hier fühlt fich Herr Giese bemüßigt, alle Objektivität fahren zu laffen und sich als Vorkämpfer gegen den Umsturz aufzuspielen. Ich strebe, du strebt, er strebt", steht mit unsichtbaren Lettern Lettern über diesen Seiten, die die jugendlichen Seelen mit Abscheu vor der sozialen Revo= lution zu erfüllen bestimmt sind. Bekanntlich gibt es wenige Dinge in dieser Welt der Ungewißheit und des Irrtums, die ungewiffer wären, als sozialpolitische Theoreme. Ihre Erörterung gehört daher in fein Schulbuch hinein, denn ein Schulbuch muß immer mehr oder weniger dogmatisch sein. Es gehört eine gewiffe leichte Auffassungsweise von wissenschaftlicher und pädagogischer Würde dazu, um eine Kampfparole als wissenschaftliches Dogma in ein Schulbuch aufzunehmen. Diese leichte Auffaffungsweise ist allerdings seit anderthalb Jahrzehnten in gewissen Kreisen chic geworden, in jenen Kreisen, wo die schneidige Konjugation des edlen Zeitworts streben“ den verblaßten bürgerlichen Idealismus von ehemals ersegt hat.

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gegeben mit der Ueberschrift Zweck des Buches." In dieser Herr Giese hat seinem Buche eine Beilage mitBeilage spricht er es mit aller wünschenswerten Klarheit aus, daß sein Buch nicht in erster Linie bezwecke, die überzeugen, daß unser neues Reich, das so lange sehn Kenntnisse der Schüler zu bereichern, sondern sie zu füchtig begehrt und endlich mit Strömen Blutes gegründet wurde, es wert ist, auch erhalten zu werden." Dann itirt er einen Erlaß Kaiser Wilhelms II. vom 1. Mai 18898), in dem direkt zur Widerlegung der Sozialdemo „Diesem von Allerhöchster Stelle so klar ausgesprochenen fratie in der Schule aufgefordert wird, und fügt hinzu: wendig anerkannten Zwecke möchte die Deutsche Bürgerund auch von vielen andern berufenen Männern als notist nicht beabsichtigt, funde hauptsächlich dienen." Und weiter: Vollständigkeit denn es fommt ja nur darauf und wirtschaftlichen Zustände überall tief in del an, den Schüler zu überzeugen, daß unsere politischen Natur der Dinge und in der Geschichte begründer und (relativ) durchaus gute und gesunde find." Das

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der Welt möglich ist.

„Die Lehren der Sozialdemokratie müssen nachgewiesen werden als in der Wirklichkeit unausführbar und in ihren Konsequenzen dem einzelnen wie dem ganzen gleich verderblich. Es muß gezeigt werden, daß fie die Freiheit des einzelnen bis in seine Häuslichkeit einem unerträglichen Zwange nnterwerfen würden.

Die Schule muß der Jugend zum Bewustsein bringen, wie Breußens Könige bemüht gewesen find, in fortschreitender Entwicklung Reformen Friedrichs d. Gr. und von der Aufhebung der Leibeigendie Lebensbedingungen der Arbeiter zu heben, von den gesetzlichen schaft an bis heute.

„Die vaterländische Geschichte wird.... auch die Geschichte unserer sozialen und wirtschaftlichen Gesetzgebung und Entwicklung seit dem Beginn dieses Jahrhunderts bis zu der gegenwärtigen fozialpolitischen Gesetzgebung zu behandeln haben, um zu zeigen, wie die Monarchen Preußens es von jeher als ihre besondere Aufgabe betrachtet haben, der auf die Arbeit ihrer Hände angewiesenen Bevölkerung den landesväterlichen Schuß angedeihen zu laffen und ihr leibliches und geistiges Wol zu heben, und wie auch in Zukunft die Arbeiter Gerechtigkeit und Sicherheit ihres Erwerbes nur unter dem Schuße und der Fürsorge des Königs an der Spige eines ge ordneten Strates zu erwarten haben."

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ist nicht mehr eine Deutsche Bürgerkunde“, das ist eine | Der angebliche Realismus des modernen Dramas. Deutsche Bourgeoiskunde.

Auch andere, recht befremdende Dinge finden wir noch in diesem ersten Teil. Namentlich möchte ich auf die Behandlung des Krieges aufmerksam machen, den ein eingefleischter Nichts-als-Soldat nicht mehr verherrlichen fönnte. Man findet da folgende Säße: Kriege find in der Natur des Menschen begründet und werden daher, obschon sie gewiß eine schreckliche Geißel der Menschheit find und ungeheure Opfer an Gut und Blut verschlingen, dennoch bleiben, solange der einzelne Mensch mit seinem Mitmenschen nicht in Frieden leben kann." Ich möchte wissen, ob eine Rechtfertigung von Mord und Totschlag anders zu lauten hätte. Kennt Herr Giese irgend ein Laster, irgend eine Scheußlichkeit, die nicht in der Natur des Menschen begründet wäre? Aber man empfiehlt sie deswegen doch nicht seinen Schülern als „nüßlich und heilsam." Die Geschichtsauffaffung dieses Herrn Giese ist eine herr liche Reinkultur des modernen Affefforen und Korps studententums. Dieser tüchtige Mann der Wissenschaft und Lehrer der Jugend findet, daß der Krieg allemal mit dem Sieg der Eigenschaften des Geistes und der sittlichen Tugenden" endet. Einer solchen groben Geschichtsfälschung ist als ebenbürtig an die Seite zu sehen die Denunziation unserer großen Dichter" als Kosmopoliten. Es gehört zu den allerbanalsten Dingen von der Welt, zu erklären, warum ein Goethe und ein Schiller nichts anders als Kosmopoliten in philosophischer und ent wicklungsgeschichtlicher Beziehung sein konnten. Banaler wäre nur noch das Unternehmen, nachzuweisen, daß Goethe und Schiller für die Erweckung und Stärkung des deut schen Volksbewustseins, trop all ihres Kosmopolitismus, mehr getan haben, als sämtliche Generale, deren „Geisteseigenschaften und sittliche Tugenden" unsere Siege erfochten haben. Man sollte meinen, daß einem deutschen Oberlehrer solche elementaren Tatsachen der Kulturgeschichte nicht fremd seien. Oder doch wenigstens, daß, wenn er ein Buch für seine Schüler zu schreiben unternimmt,er sich über die Gegenstände, die zum Pensum seiner ersten Studentensemester gehörten und die er darum wegen der Länge der Zeit schon wieder vergessen hat, Rats erholt in alten Kollegienheften oder neuen Nachschlagebüchern. Wenn er aber wirklich an einer so phänomenalen Unfähigkeit zu historischer Betrachtungsweise kränkelt, daß er den Kosmopolitismus von Goethe und Schiller unter dem Gesichtswinkel eines Kriegervereinlers betrachtet, so sollte er doch aus simpelem nationalen Anstandsgefühl davor zurück schrecken, Männer und Werke, die zu den grösten nationalen Zierden und Gütern gehören, die wir besigen, der Jugend zu verdächtigen.

Wenn wir der „Bürgerfunde" das Wort reden als Unterrichtsgegenstand in unseren Schulen, so tun wir es nur, weil wir meinen, daß sie notwendig ist, um unserer Jugend denjenigen Wissens- und Anschauungsstoff zu vermitteln, den ein moderner Mensch braucht, um sich zum Vollbürger zu entwickeln. Aber die Sache hat auch ihre Kehrseite. Der Goethesche Vers gilt von ihr: „Es steckt in ihr soviel verborgnes Gift und von der Arznei iste kaum zu unterscheiden". Wenn die Bürgerkunde das Mittel ist, um eine tendenziöse Geschichtsbetrachtung und Gesell schaftsauffassung, um politischen Fanatismus und Partei bornirtheit schon in die Seelen der Jugend zu pflanzen, dann bewahre uns ein gütiges Geschick davor!

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Darum müssen wir das Buch von Hoffmann und Groth, das sich von jeder Tendenz rühmenswert feruab hält, als einen gelungenen ersten Verfuch auf dem neuen Gebiet bezeichnen; dem Buche des Herrn Giese dagegen müssen wir, trok mancher vortrefflichen Einzelheiten, die es enthält, diese Anerkennung versagen.

Von

Thomas Breitinger.

Troß des realistischen Zuges, der in das deutsche Drama während des letzten halben Jahrzehnts gekommen ist, ist es zweifellos, daß es nur unvollständig den sozialen Zustand Deutschlands, das deutsche Leben der Gegenwart wiederspiegelt. Dasselbe gilt in womöglich noch höherem Grade vom romanischen Drama, von dem der Franzosen, Italiener und Spanier. Die Engländer und die Slawen haben überhaupt kein Drama. Die meisten der großen Probleme, die die Völker bewegen, werden von der Bühne ferngehalten. Die politischen Stücke sind fad, sie streifen nur die Oberfläche übrigens gibt es nur wenige, von der Spree bis am Manzanares. Das Geld, das heut zutage die erste Rolle in den Komödien, wie in den Tragödien des Lebens spielt, ist auf der Bühne meist nur nebensächliches Motiv, außer an der Theaterkaffe und bei der Aufstellung des Repertoires. der Aufstellung des Repertoires. Dagegen beschäftigen die Liebe und der Ehebruch alle dramatischen Talente fast ausschließlich, alle schauspielerischen Talente fast ausschließlich, das ganze Interesse des Publikums fast ausschließlich. Wer unser europäisches Leben am Ende des neunzehnten Jahrhunderts später einmal allein nach den Komödien unserer Tage beurteilen wollte, würde zu der Meinung kommen, unser in Waffen starrendes, von der sozialen Frage krampfhaft durchzucktes Europa sei ein durch den chnischen oder sentimentalen Ehebruch etwas verwildertes Arkadien.

Nun ist es aber ganz zweifellos, daß die Liebe keineswegs die Rolle in unserem sozialen Leben spielt, die die Komödienschreiber ihr beilegen. Und selbst die Minderheit, die ein annähernd gefüllter Magen oder ein hißiges Temperament befähigt, sich nachdrücklich mit der Liebe zu beschäftigen wie vielen von ihnen ist sie die göttliche Trunkenheit, die selige Versunkenheit oder auch nur die sanfte Entrücktheit oder Verrücktheit, von der die stehenden Puppen auf der Bühne zu rádotiren pflegen? Die meisten von ihnen sehen bewust in der Liebe, was Chamfort in ihr sah: den Kontakt zweier Epidermen, oder was Schopenhauer in ihr sah: eine List der Gattung, oder was Petrus Borel in ihr sah: ein periodisches Bedürfnis, oder was Proudhon in ihr sah: die häusliche Vorsorge, oder was der satte Spießbürger aller europäischen Nationen in ihr sieht: die Kopulation zweier Vermögen.

Die Menge hingegen mit ihrer liebefremden Existenz läßt das Theater fast ganz bei Seite; die Menge, die das, was sich ihr als Liebe auf dem Lebenswege nähert, auffaßt, wie alles andere, was sich ihr in den Weg stellt, bald als Zerstreuung, bald als Plage; die Menge, die diesem Bedürfnis oder diesem Alpdruck nur wenige Stunden des Lebens widmet. Man frage doch nur ernsthaft in jenen Kreisen nach, wie viel das, was wir in unsern lyrischen Stunden Liebe nennen, das Sinnen und Trachten jener Leute eingenommen hat! Verbringt nicht die ungeheure Masse der Menschen, jene erdrückende Majorität, neben der wir gleichgiltig, oft auch ahnungslos, einhergehen, fast die ganze Zeit, die Essen und Schlafen ihnen übrig läßt, mit ihren Geschäften, mit der Sorge um Einkommen, ihr Verdienst, ihr Gehalt? Die Liebe nimmt bei neun Zehnteln der europäischen Menschheit nur einen ganz geringfügigen Teil des Lebens ein. Der Kaufmann gehört seinen Geschäften, der Politiker seinen parlamentarischen Gemeinplägen, der Schriftsteller dem harten Schmieden seiner Gedanken auf dem Ambos des Stils, der Soldat seinem Ererzirreglement, der Handwerker

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