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„Ja, er if tot."

Damit nahm er wieder Plak, trank einen tüchtigen Schluck Bier und stüßte, ruhig weiterrauchend, die rechte Wange in die Hand.

Heinrich stand indeffen noch immer vor der Leiche; weiche Gefühle schienen in ihm aufzufeimen, denen er nicht Ausdruck zu geben wußte, und so sah er mit einem langen Blick, in dem fich Verlegenheit und Hilflosigkeit wiederspiegelten, auf das blaffe Antlig des Toten hinab; dann aber ging er leise auf den Fußspißen zu seinem Stuhl und ließ sich auf ihn nieder.

So faßen die beiden Verbrecher am Tische, das qualmende Lämpchen zwischen sich, und schwiegen wol eine Viertelstunde lang, während der Männe langsam rauchte.

Det is doch wat Eijentümliches," brach Heinrich endlich das Schweigen, „jestern um die Zeit war er noch janz fidel und dachte an weiter nischt, wie an unsre neue Arbeet und nu is er tot."

"Janz tot," stimmte Männe bei.
Heinrich sah zu der Leiche hinüber.

Wenn man det alles so bedenkt und ihn jetzt so daliejen sieht mit 's blaffe Jesichte, denn frault eenem orntlich," meinte er. Der andere nichte und beide schwiegen einen Moment.

"Hast du schon mal eenen umjebracht?" erfundigte fich Heinrich plößlich unvermittelt.

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Nee," erwiderte Männe gleichmütig.

"I ja," sagte Heinrich dumpf.

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Und haste dir dabei nich ooch jejrault?" fragte sein Spießgeselle mit mattem Lächeln.

"Ja," gestand der Verbrecher, wie er tot dalag, da hab' ick Angst gekricht und bin davon jeloofen und hab' ihm nischt wechnehmen könn'. Und wenn ick in de nächste Zeit immer 'n jeschlachteten Hammel oder 'n Schwein, oder 'n anders jeschlachtetes Vieh jesehn hab', wo det Fleesch janz steif und starr hing mit Blut dran, denn hab' ic immer wieder die Angst jefriecht. Und in mir drinne is wat jewesen, wat mir janz jräßlich jequält hat, und det kommt ooch noch bis uff 'n heutigen Tach manchmal wieder, trotzdem nu schon zwee Jahre seitdem vorbei sind und keener wat davon weeß."

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Er schwieg und stüßte den Kopf in die Hand. Weeßte," sagte er dann plößlich und seufzte schwer, man is' doch 'n jroßer Lump, Männe."

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Det schad't sa nischt," begütigte dieser gleichmütig.
Aber mir quält det," erwiderte Heinrich düster.

Du mußt det ruhijer betrachten, Heinrich," fuhr Männe fort. Sieh 'mal, jeder Mensch spielt seine Rolle uff de Welt, der eene als Lump und der andre als ehr licher Kerl und 'n dritter als noch wat anders. Und det steht jarnich feste, det 'n richtjer ehrlicher Kerl mehr wert if', wie 'n richtjer Lump. De Leute jlooben det blos so und weils alle ilooben, sagen se, det is' so. Aber 's is' doch blos 'ne Ansichtssache und alles was man sich denkt is' Einbildung. Wenn de Leute alle jlooben würden, det 'n Lump mehr wert is', wie 'n anständiger Kerl, denn würden wir riesig hoch jeachtet sind

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Er brach ab.

Männe, dem während des Redens die Zigarre ausgegangen war, versuchte diese inzwischen an dem Lämpchen wieder in Brand zu seßen und gab keine Antwort. Heinrich versank von neuem in dumpfes Brüten; er hatte den Kopf in die Hand gestüßt, um seinen Mund lagen dide Falten, als hätte Bitterkeit sie zusammengezogen und in seinen Augen spiegelte sich die Stimmung seines Innern wieder.

sam, wurde sein Blick milder, es zog etwas Friedliches Aber er saß nicht lange so. Allmälig, ganz langund Sanftes über sein hartes, kantiges Gesicht und er hob den Kopf.

Und eenmal war ick doch 'n juter Kerl," begann er leise und so schüchtern, als wenn er sich vor dem Genoffen seiner Worte schäme. Damals, wie meine Froßmutter noch lebte. Soll ic dir det 'mal erzählen, Männe?"

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Meinswejen," sagte dieser gleichgiltig.

Heinrich saß indeffen mit einem wie von einer schönen Erinnerung verklärten Gesichte da und sah ins Wesenlose.

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Damals warsch," fing er an, wie mein Vater jestorben war und ich hatte 'ne olle Froßmutter, die hatte blos mir uff de Welt und ich war sechszehn Jahr und war Hausdiener, wo ick zehn Mark de Woche friechte. Und wie Vater tot war, da hat se so geweent und hat jesacht, nu' wird se woll verhungern müssen uff ihre ollen Tage. Ja, und det is' mir durch und durch jejangen, det weeß ich noch wie heute. Und da hab' ic jesacht, Froßmutter, hab' ick jesacht, ick laff' dir nich' verhungern, ick arbeete for dir- er schwieg einen Augenblick und fügte dann, wie erklärend, bei: „damals war ic noch 'n ehrlicher Mensch.“

Männe nickte

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Töppken Kaffee dazu und ich hab' immer druff losje | Er schwieg wie in die Erinnerung verloren, während jeffen mit Todesverachtung!" Männe schlaftrunken gähnte. Und wat haste denn jeEr hatte sich ganz eingelebt in sein Erinnerungsgemacht?" erfundigte er sich dann. mälde und die Gegenwart völlig vergessen.

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Und wenn ich denn jesehn hab', wie se fich immer um mir gesorcht hat weil ick doch's Familjenober haupt war und ob ick ooch satt bin, und ob ick och warme Beene habe, und wie se sich jefreut hat, wenn id ihr 'mal 'n jutes Wort jesacht hab' - det hat mir Freide jemacht, sonne janz verjnüchte Freide!"

Na ja," fagte Männe, augenscheinlich über die Lebhaftigkeit seines Spießgesellen erstaunt.

„Denn wollť ich mir totschießen, ick wollte nischt mehr wiffen von de Welt! Und wie id denn so ans Waffer langjejangen bin, da hab' ick 'n Revolver 'rausjezogen und wollte schießen und wollte schießen weeß Jott ja! Aber denn hab' id mir's noch eenmal überlegt. Und wie denn de Dampfers so de Elbe 'runterjefähren sind und jetutet haben, und det Wasser sah so scheene aus, wo de Sonne immer druff jeschienen hat, und de Berje immer so vor mir mit lauter jriene Beeme Herrjott, wenn ic noch jest dran denke, ick konnte mir nich' totschießen! Da bin ich wieder nach Berlin jewandert." Männe, der sich in seinen Stuhl zurückgelehnt und die Augen geschlossen hatte, öffnete sie jest wieder und fragte: Wat hat 'n deine Iroßmutter zur dir jesacht?” „Ach," erwiderte Heinrich traurig, der hatten se schon alles erzählt, wo 's Jeld herjekommen war und wie „Und wat is denn jekommen?" erkundigte sich ich wieder zu ihr kam, da hat se jeschrien und denn is' Männe. se jestorben und ich bin Schuld dadran."

Und uff 'n Strohsack hab' ick jeschlafen, Sommer und Winter," fuhr Heinrich unbeirrt fort. lnd wenn ick mir so uff 'n Abend hinjelecht hab, denn hab' ick manchmal geweent vor Freide, det ick die olle Frau so uff 'ne anständje Art erhalten kann, det se keenen zur Last fällt und det ick det so janz alleene kann, als 'n junger Bengel, wo mir keener bei jeholfen hat.“

Er schwieg.

Mein Unjlück," sagte Heinrich dumpf. Männe schwieg erst eine Weile und fragte dann, indem er gähnte:

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Mit de Iroßmutter?"

"Nee," erwiderte Heinrich traurig, mit de Schmalzstullen fam 's! Wo ick da Hausdiener war, det war n jroßes Jeschäft und da waren 'ne Maffe Leite bei sonne Kommis, die immer so ellojant 'rumloofen mit de weißen Krawatten und so. Und weeßte, Männe, wenn ' da zum Frühstücken kam, dann haben se mir immer 'runter jeschickt zum Budiler. Je sage dir, die haben fein jelebt! Bier haben se jetrunken, jeder sein Seidelkin, und Schinkenstullen haben se jejessen: mehr Fleesch wie Brot! Und wenn se denn so jeschwelcht haben, wie de Barone, denn hab' ick immer hinten in de Ecke jeseffen und hab' meine Schmalzstullen vertilgt. Und ich hab' feenen Schinken nie jefriecht! Ja, und da hab' ich mir jesacht, sonne Leute, die haben 's jut, so möcht ic's ooch 'mal haben! Wenigstens eenmal möcht' ick so leben, blos eenmal so wie die, blos eenmal leben wie 'n Mensch, det wollt' ick mal."

Jd fenne det," erklärte Männe.

Und von da an is' mir det immer im Koppe 'rumfejangen und ich hab's nich' mehr Ics werden könn'. Und eenmal jab mir der Kassirer fünfhundert Mark, die sollt' ick uff de Reichsbank wechseln ——"

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Und da biste natürlich mit durchjebrannt?" unterbrach ihn Männe matt lächelnd.

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„Ja," antwortete Heinrich. Erscht hab' ick Iroßmuttern de Hälfte abjejeben. Froßmutter, freie dir, hab' ic jesacht, ich hab''s mang de Lotterie jewonnen."

Er stand auf.

„Weeßte, Männe," sagte er, die Hand auf deffen Schulter legend und ihm treuherzig ins Gesicht sehend. „die Freide von die olle Fran hätt'ste sehn sollen! Um mir 'rumjesprungen is' se und de Hände hat se mir jefüßt und mir is janz anders dabei jeworden und ick hab' ihr immer sagen woll'n, wo ick 's her hab'."

,,Sm," brummte Männe.

"Und denn hab' id mir 'n Revolver jefooft und bin nach de fächs'sche Schweiz jefahren. Vierzehn Tage lang bin ich da rumjestrolcht und in de feinste Hotels hab' ick jewohnt da hab' ick mal jelebt! Und wie ich denn so bis ins Böhm'sche kam, da in Herrnskretschen heeßt det Dorf, wat an de Elbe liegt, da hab' ich noch mal orntlich Mittachbrot jejeffen und denn warsch Jeld alle, wobei mir der Kellner noch mit de Guldens bemoogelt hat."

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Er hielt inne; den Kopf tief auf den Tisch gebeugt, war er damit beschäftigt, einen großen Tränentropfen, der aus seinen Augen gefallen war, mit der Spiße seines kleinen Fingers freisförmig breitzudrücken. Er bemerkte dabei garnicht, daß Männe soeben eingeschlafen war.

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Und denn bin ick zu meinen Chef hinjejangen und hab' "ihm alles jesacht,“ fuhr er leise und gedämpft fort, als wenn er seine Erinnerung laut für sich weiter denke. „Und da hat mir der 'n paar Ohrfeigen jejeben und hat jesacht: Lausekerl, du Lausekerl hat er jesacht, insperren lassen werd' ich dir nich', aber mache schleunigst," detste 'rauskommst

Er murmelte noch einiges vor sich hin, aber seine Worte wurden immer leiser und unverständlicher; das Lämpchen brannte immer trüber und trüber, qualmte immer mehr und mehr, und allmälig ward sein kleines Flämmchen zum Schimmer und der Schimmer zum Funken und der Funken verlosch.

So lag die Nacht über allen.

Litterarische Chronik.

Versuchsbühne1). Sonntag 10. März. Christnacht. Schauspiel in 3 Aufzügen von Carl Maria.

Endlich hat die erste Vorstellung der Versuchsbühne stattgefunden. Der Winter ist fast darüber zur Rüste gegangen. Zunächst war die Teilnahmlosigkeit des Volkes der Denter und Dichter zu überwinden, und dann, als alles bereit war und am dritten März die Vorstellung beginnen sollte, da ereignete fich etwas, das eigentlich unter Kunst und Polizei“ zu verzeichnen ist: gerade als der Vorhang aufgehen sollte, verbot ein Polizeibeamter die Aufführung.

Man führte als formellen Grund an, es hätte die Möglichkeit vorgelegen, daß auch Nichtmitglieder des Vereins der Vorstellung beiwohnen könnten. Es ist hier nicht der Ort, diese verwaltungsrechtliche oder unrechtliche Frage zu behandeln, aber vielleicht erfolgte die Auflösung ein ganz klein wenig mit aus dem Geist der hoffentlich falschen Hoffnung, das Umsturzgeset werde angenommen werden.

1) Siehe: Bruno Bille: Die Versuchsbühne, Magazin für Litteratur. 63. Jahrgang Nr. 48.

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Der Verfasser, der auch nach Schluß der Vorstellung von dem in seinem Namen dankenden Regisseur Lessing nicht genannt wurde, betitelt sein Schauspiel Christnacht", ähnlich wie Hauptmann eins seiner Stücke „Das Friedensfest" betitelt. Die Benennung ist aber bei Hauptmann doch nicht so rein äußerlich wie bei Carl Maria Dort ein fast ironischer Zwiespalt zwischen Inhalt und Titel: der legte Kampf der harten, neidigen und zornigen Menschen wird am Tage der friedenbringensollenden Geburt des Heilands ausgefochten. Hier die erste Aussprache zwischen Alt und Jung, die zufällig in der Christnacht erfolgt und zum Auseinandergehen führt.

„Das Recht der Jugend", das wäre wol der richtigere Titel ge, wesen: das Recht, das die Jugend zu haben sich vermißt auf Glück und Lebensgenuß, ein jugendkraftgeborenes Recht, dessen Anerkennung sie unter jeder Bedingung zu erkämpfen bereit ist. Dieses Recht des Sichauslebenkönnens stößt natürlich auf den Widerspruch des erfahrungsreichen Alters.

Die Handlung des Stückes ist schr einfach und kurz. Arnold Marnegge, der, der Familientradition folgeud, Theologie studiren sollte, hat sich in Berlin litterarisch beschäftigt und fällt im Examen durch.

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Das Stück war wert, auf der Bühne eine Probe seiner
Leistungsfähigkeit geben zu dürfen.
Richard Wrede.

Leopold von Sacher-Masoch ist am 9. März gestorben, 60 Jahre alt. Er hat ein tragisches Geschic an sich erfahren, im Leben und Dichten. Sein Leben zerfiel und sein Dichten, beides in großen Anfäßen beginnend, in flacher Berufsmühsal endigend. Der Schriftsteller, der von sich selbst einst schrieb, sein „Don Juan von Kolomea" sei seit Goethes Werther" die markanteste Prosadichtung der Deutschen, endigte als Begründer und Leiter einer unterwertigen Feuilleton-Korrespondenz. Derselbe Mann, der die Franzosen und Russen einst aufrief, um zu zeugen, daß er der zur Wiedererweckung der deutschen Poesie bestimmte Genius sei, erlebte es, daß eine National-Subskription, die wolmeinende, aber unbesonnene Freunde zu seinem 60. Geburtstage vorbereiteten, auch nicht den allerbescheidensten Erfolg hatte. Diese lezte schmerzliche Erfahrung brach seinen seit lange schon geschwächten Körper und bedrohten Geist. Seit dem Tage nach seinem 60. Geburtstage (27. Januar) verfiel er in Wahnsinn. Eine eigensinnige perverse Vision, eine Zwangsvorstellung, ein Besessensein von einem Bilde erweckte sein bestes Können und verdarb sein Talent: das Weib als Dämon, als Spottgeburt aus Wolluft und Grausamkeit, die nackte Haut von Pelzhaaren gekißelt, die Peitsche in der Hand schwingend, und vor ihr der winselnd nach Züchtigung verlangende Mann. Die Sexual-Psychologie hat diesen Gegensatz zum Sadismus den Masochismus genannt. In der Psychiatrie wird darum Sacher-Masochs Name fortleben, wahrscheinIm ersten Akte wird eine sehr hübsche. stimmungsvolle Exposition lich länger als in der Litteratur, denn die litterarisch ausgeprägteste gegeben. Der zweite ist stellenweise etwas langatmig und bombastisch. | Darstellung des Masochismus findet sich nicht bei Sacher - Masoch, Gewiß, es gibt solche patbetische Kinder, die in ihrer Dummenjungenhaftigkeit in schönen Worten schwärmen, aber quod licet vitae, non licet poëtae. Mich haben die Stellen, wo die jugendliche Unerfahrenheit in glänzenden Tiraden sich bestätigte, gerührt, die Stimmung im Publikum, das sich im übrigen musterhaft benahm, schluq einigemale fast um. Man sucht eben nicht zu verstehen, sondern zu verurteilen.

So kehrt er ins Vaterhaus zurück, ohne vorläufig sein Examensmisgeschick den Eltern mitzuteilen. Im Pfarrhause befindet sich noch Ely Weddin, das Mündel des Pfarrers; auch sie hat einen Jugendwunsch: sie will zur Bühne.

Elly und Arnold wollen von der Kunst nicht lassen und werden verstoßen.

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sondern in Zolas „Nana“.

Am 28. Februar starb Siegmund Haber, der langjährige Redakteur des „ult", im 60. Lebensjahre. Haber war persönlich einer der liebenswürdigsten und gütigsten Menschen; litterarisch war er der Vertreter einer im Absterben begriffenen Art des berliner Wizes, der seinen erfolgreichsten Ausdruck in den Poffen von David Kalisch fand. Haber hat einen Einakter geschrieben Ein Stündchen im Comptoir"; diese kleine Plauderei ist eine Blütenlese jener Art von Wig, die aus Wortspiel und derber Satire gemischt ist. Die Region, aus der diese Wize hergeholt sind, ist die kaufmännische, noch genauer, die kleingewerbliche. Und das ist ja auch die Region, aus der der berliner Wig der fünfziger und sechsziger Jahre überhaupt herstammt. Diesem Wig war die litterarisch-künstlerische und philosophische Färbung, die den berliner Wig der zwanziger und dreißiger Jahre auszeichnete, ebenso fremd, wie die landwirtschaftliche Färbung, die der plattdeutsche Humor Reuters z. B. an sich trug. Siegmund Haber hatte auch den besten Erfolg, den ein journalistischer Satiriker haben kann: es gelang ihm, eine stehende Figur zu schaffen. Das war die Paula Erbswurst, die berliner Konfektionöse vom „Hausvogteiplag_links“. Sie wird ihn überleben. Eine andere Figur dagegen, die Haber einzuführen versuchte, der „Nunne", brachte es zu keinem rechten Leben; zweifellos deswegen, weil er nicht, wie die Paula Erbswurst, aus dem gegenwärtigen berliner Volksleben aufgegriffen, sondern ein blaffes Abstraktionsprodukt war, ein Versuch, den alten berliner „Eckensteher Nante“ neu zu beleben.

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Georg von Gizydi ist gestorben. Er hat sich nicht ohne Erfolg bemüht, die moderne englische Philosophie, vorzugsweise die Moralphilosophie, in Deutschland populär zu machen. Seine eigenen Studien galten der Ethik, und was er geleistet, ist für unsere Zeit insofern charakteristisch, als er für sozialistische Ideen empfänglich war, freilich weder dafür noch dagegen mit Entschiedenheit Stellung nahm. Jedenfalls suchte er auf ein breiteres Publikum zu wirken er gab auch die Zeitschrift Ethische Kultur" heraus und das zeichnete ihn als Universitäts dozenten vor den meisten seiner Kollegen vorteilhaft aus.

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Neue litterarische Erscheinungen. Aus der erählenden Litteratur sind einige neue in Aussicht gestellte Erfcheinungen zu verzeichnen. Leo Hildeck (unter welchem Namen sich eine in Frankfurt a. M. lebende begabte Schriftstellerin verbirgt) zeigt einen Roman Feuersäule" an, den sie die Geschichte eines schlechten Menschen" nennt (80, 22 Bgn., Dresden, Minden). In Karl Holtach, dem Helden der Geschichte, will die Dame Mar Stirners Erdenwallen dichterisch frei nachschaffen. Wilhelm Jensen kündigt, mehrere Jahre nach Lindau und Mauthner, jest auch eine Geschichte aus Berlin W." an. Sie heißt Ein Früh lingsnachmittag", und ist von E. Zimmer illustrirt (80, 8 Bgn). Von Hans Hopfen wird eine neue Geschichte „Im Schlafe geschenkt", und auch von Ernst von Wolzogen eine Um 13 Uhr in der Christnacht" angezeigt. Die 3 letzten Erzählungen (Jensen, Hopfen und Wolzogen) werden Bändchen der eleganten Ecksteinschen Miniaturbibliothek" bilden (Berlin, Rich. Ecksteins Nachf.). Von Otto Elster erscheint als neuester Band des „Vereins der Bücherfreunde" ein Roman Der Pförtnersohn von St. Veit" (80, 220 S., Berlin, Schall & Grund).

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Zwei dramatische Werke von Interesse sind zu verzeichnen: Der Mann im Schatten", Komödie in vier Akten von Carlot Gottfried Reuling, das Stück, das bei seiner Erstaufführung am Deutschen Theater" eine neue respektakle dramatische Begabung dem größeren Publikum bekannt machte (Berlin, F. Fontane & Co ). Alsdann: Marianne", Schauspiel in drei Akten von Karl Hauptmann, dem Bruder Gerhart Hauptmanns (Berlin, S. Fischer). Auf dem Felde der litterarischen, philologischen und ästhetischen Forschung sind, wie immer, eine erkledliche Anzahl Neuigkeiten zu berzeichnen. Heinrich Dünger ist der älteste deutsche Goethespezialist, trogdem aber noch immer der streitbarste. Sett ärgert er sich über Ottokar Lorenzens Festrede zum 93 er Goethetag über Goethes politische Lehrjahre. Diesen Merger ergießt er in einer Streitschrift, die betitelt ist: Goethe, Karl August und Professor Ottokar Lorenz, ein Denkmal" (80, 5 Bgn., Dresdner Verlagsanstalt V. W. Esche). Dünger nennt Lorenzens Rede eine ungeschichtliche Plauderei; sein Büchlein erhebt den Anspruch, zum ersten Mal das geniale Verhältnis des deutschen Dichters zu dem jungen Fürsten in übersichtlicher Entwicklung anschaulich darzustellen.“ Nach Dünger hat Lorenz dieses Verhältnis zu einer ganz gewöhnlichen Dienststellung philisterhaft herabgezogen, Goethe zu einem untertänigen Regirungsbeamten gemacht, der aus Ehrfurcht vor seinem fürstlichen Herrn erstirbt, fein freies Wort gegen ihn wagt, durch das er seine nahrhafte Stellung verlieren zu können fürchtet, und doch war es das freieste, auf bewundernder und liebevoll glühender Freundschaft beruhende Verhältnis, in welchem der acht Jahre ältere Dichter den Leiter und Erzieher des Fürsten abgab, dem er oft derb die Wahrheit farte und hemmend entgegentrat, aber auch manches zuließ, ja selbst sich daran beteiligte, um nicht das ihm vor allem nötige volle Vertrauen zu verlieren.

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Von Herrn C. Schmidt erscheint ein Buch Faust ein Menschenleben, Versuch einer harmonistischen Analyse des Goethefchen Faust" (gr. 8°, 101, Bog, Berlin, Rosenbaum & Hart). Ernst Kühnemann, Privatdozent in Marburg, zeigt ein Buch Kants und Schillers Begründung der Aesthetik, ein Beitrag zur deutschen Geistesgeschichte" (gr. 8°, 12 Bog., München, C. H. Beck). Sollte nicht Ernst Kühnemann identisch sein mit Eugen Kühnemann, dem ausgezeichneten Herder Biographen, der schon 1889 feine Schrift über die Kantischen Studien Schillers" ver öffentlicht hat?

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Noch sei verspätet von Edwin Bormanns Shakespeare-Geheimnis" Notiz genommen (Ler.-8°, 356 S. Tert, 68 G. Abbild., 2 Buntdrucktabellen, Leipzig, Edw. Bormanns Selbstverlag). Soeben ist auch die englische Ausgabe erschienen, besorgt von Mr. Harry Brett, unter dem Litel,,The Shakespeare-Secret", (im selben Berlag).

Herr Ernst Maas, der klassische Profeffor in Greifswald, veröffentlicht: Orpheus, Untersuchungen zur griechischen, römischen und altchristlichen Jenseits-Dichtung und Religion (gr. 8°, 18 Bog., München, C. H. Beck). Dieses Werk stellt sich zur Aufgabe, den bisher wenig beachteten Beziehungen zwischen der altchristlichen Res ligion und dem als nationalhellenisch erwiesenen orphischen Kulte nachzugehen, und verwertet zu diesem Zweck die Denkmäler der antiken Litteratur, der Inschriften und der archäologischen Monumente erstmalig" in umfaffender Weise.

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nennen nur die wichtigsten Erscheinungen: Ernst von Wolzogen apostrophirt den Adel in der bereits erwähnten Broschüre: Linksum fehrt schwenkt - Trab! (80, 211⁄2 Bog., Berlin, F. Fontane & Co.) Ernst von Wildenbruch laßt seinen Protestartikel in der Nationalzeitung Besinnt euch!" als Broschüre (bei Freund & Jedel in Berlin, gr. 80, 12 S.) erscheinen. Auf entgegengeseztem Standpunkt steht die Publikation des katholischen Pfarrers Dr. H. Rody Die moderne Litteratur in ihren Beziehungen zu Glaube und Sitte, Gloffen zur Umsturzvorlage (80, 9 Bg., Mainz, Frz. Kirchheim). In entfernterer Beziehung zu der berüchtigten Gefeßesvorlage steht die Publikation des Profeffors Adolf Wagner Mein Konflikt mit dem Freiherrn von Stumm-Halberg. (gr. 80, Berlin, O. Haering).

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Nächstdem drängen sich die zum 80. Geburtstage des Altreichsfanzlers herauskommenden Erscheinungen. Die wertvolleren unter ihnen sind die Illustrationswerke, die nicht hierher gehören. Von den anderen ist das meiste zum Teil gutgemeinté, aber seichte Gelegenheitsmache, zum Teil platte Spekulationswaare. Darüber erheben sich nur wenige Erscheinungen und zwar fast nur solche, die mit dem 80. Geburtstage nichts zu tun haben, sondern nur zufällig um diese Zeit erscheinen. Da ist vor allem zu nennen: Fürst Bismard, Neue Tischgespräche und Interviews, herausgegeben von H. v. Boschinger" (gr. 80, 28 Bog., Stuttgart, Deutsche Berlags-Anstalt). Es ist dieses Buch eine willkommene Ergänzung zu den vom selben Herausgeber im vorigen Jahr edirten Ansprachen des Fürsten Bismarck". Ergänzend tritt hierzu: „Fürst Bismarc in seinen Aussprüchen 1845-1894, von E. Schroeder", einem der Herausgeber der Werke Friedrichs des Großen (fl. 80, 3 Bog., Stuttgart, Deutsche Verl.-Anst.) Felix Dahn veröffent licht eine Festschrift Zum 80. Geburtstag des Fürsten Bismard" (gr. 160, 5% Bog., Breslau, Schottlauder). Endlich sei erwähnt: Die Bismard-Litteratur in Deutschland. Bibliographische Zusammenstellung aller bis Ende März 1895 über den Fürsten Bismard im deutschen Buchhandel erschienenen Schriften". Dieses bibliographische Hilfsmittel enthält an tausend Titel. (Leipzig, O. Gracklauer).

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Von anderen hierher gehörigen Publikationen seien folgende erwähnt: Schultheß' Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. 10. g. 1894 (der ganzen Reihe 35. Band. (Herausg. von Hans Delbrück und Oskar Roloff. (80, 25 Brg., München, CH. Beck). Dieses zeitgeschichtliche Hilfs- und Handbuch hat seine Brauchbarkeit seit vielen Jahren erwiesen. Elemente der Politik, Versuch einer Staatslehre auf Grundlage der vergleichenden Rechtswissenschaft und Kulturgeschichte" von Julius Schvarcz, Professor in Budapest. (Ver. 80, 10 Bog., Berlin, Rosenbaum & Hart). Die Verfassung des deutschen Reiches", mit Einleitung, Kommentar und Sachregister von Dr Adolf Arndt, Prof. in Halle. Das Buch füllt eine langfühlbare Lücke aus (80, Berlin, Guttentag).

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Sozial oder sozialistisch? Antrag an die Mitglieder der deutschen Gesellschaft für ethische Kultur von H. von SamsonHimmelstjerna (80, Freiburg i. B, Mohr). Frau Dr. Emilie Kempin in Zürich läßt eine Arbeit über die Rechtsstellung der Frau" als Nr. 5 der von Gustav Dahms herausgegebenen Serie „Der Existenzkampf der Frau im modernen Leben“ erscheinen (Berlin, Rich. Ländler). Herr Otto Henne am Rhyn beteiligt sich an der Konkurrenz in Bellamyaden: Aria, das Neich des ewigen Friedens im 20. Jh., ein Zukunftsbild auf Grund der Geschichte" 80, 10 Bog., Pforzheim, Ernst Haug, ist seine neueste Publikation.

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Von Uebersetzungen aus der schönen Litteratur der fremden Völker ist diesmal auch wenig zu melden. Fernand Vandérems, eines der jüngsten pariser Autoren, Roman Asche" (La Cendre) der in Paris eine gewisse Beachtung fand, erscheint in einer Uebersegung von Frau Mathilde Mann (80, 22 Bgn., Leipzig u. Paris, Albert Langen). Widersprüche der empirischen Moral" betitelt sich eine als neu" bezeichnete, von Luise Flachs über sezte Schrift von Leo Tolstoj (Berlin, H. Steinig). Wahrscheinlich ist es aber eine ältere Arbeit oder ein Stüd aus einer älteren Arbeit Tolstojs.

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einen Nachteil: sic gibt unter der Rubrik „Abhandlungen, kleine Schriften" weniger Material, und, was schlimmer ist, auch weniger Material aus den Gedenk- und Tageb chern unter der Rubrik „Allerlei Gedanken." Unter jener Abteilung vermißt man ungern den Timorus, den Orbis pictus und den Parakletor; noch unlieber vermißt man unter dieser Abteilung eine Reihe von Gedanken und Bemerkungen, die für Lichtenbergs Ideenkreis bezeichnend find. Allerdings ist sich Wilbrandt vollkommen bewust gewesen, daß Verehrer Lichtenbergs- und ich zähle mich unbedingt zu seinen Verehrern ihm den Vorwurf machen werden, daß er zuviel ausgeschieden habe. Wenn er aber meint, er hätte die Mitte halten müssen zwischen dieser Meinung und der andern, wonach er schon zubiel aufgenommen hätte, und hätte das Unvergängliche von Zeitlichen absondern müssen; so glaube ich, daß es solcher Leute, die sich überhaupt mit Lichtenberg beschäftigen, faum geben wird, die Lichtenbergs Gedanken auch nur zum kleineren Teile für überflüssig hielten. Mit vollem Recht sagt Wilbrandt, daß sich aus Lichtenbergs Gedenkbüchern ein Hausschaß gewinnen läßt, ein Buch der Weisheit und des Wiges", wie vielleicht keines der andern Völker vorzuweisen vermag: denn so tiefem Ernst fehlt gewöhnlich so leichtflüssiger Wig und so unwiderstehlichem Humor fehlt gemeiniglich so edle Weisheit. Da ist sobald nicht etwas zuviel. Lichtenb rg ist vor allem ein Psychologe ersten Ranges und zugleich ein vortrefflicher Stilist. Man hat ihn oft mit Leffing zusammengestellt; aber man könnte ihn in jenen zwei Beziehungen noch passender mit Schopenhauer zusammenstellen, und es ist gewiß nicht zufällig, daß Schopenhauer sich so oft auf ihn bezieht. In Lichtenbergs Gedankenwelt spazieren gehen, ist wie eine Tour in einer ungemein abwechlungsreichen Landschaft. Da ist alles vereinigt, was die Natur bietet: Lebendiges und Totes, in tausendfacher Variation, das Liebliche, wie auch das Schroffe und Tiefe. Alle bekannten Elemente sind vorhanden, und durch ihre Anordnung, in der sie sich gegenseitig heben, wirken sie noch bekannter, ja heimlich und ver traut; aber niemals alltäglich, niemals banal. Lichtenberg gehört zu jener kleinen Schar von selbständigen psychologischen Denkern, die gerade in dem. Alltäglichsten das Ungewöhnliche finden, und gerade dieses Vermeiden des Banalen, auf Wegen, wo der gewöhnliche Kopf unfehlbar darauf stoßen müßte, macht den wundervollen Reiz der Lektüre Lichtenbergscher Gedanken aus. Dabei aber ist jene Landschaft, so abwechslungsreich sie sein mag, so labyrinthisch Wald und Fels und blumige Gärten und heimliche Höhlen sie erscheinen lassen mögen, leicht zu durchstreifen: sie ist mit weiten, bes quemen Wegen gebahnt. Das ist Lichtenbergs klassischer Profastil.

Zu billigen ist es, daß Wilbrandt die Erklärungen zu Hogarth fortgelassen hat, wie das auch Eugen Reichel getan hatte. Schade, daß dem so ist. Aber ohne Hogarths Zeichnungen find fie nur etwas Halbes. Hohe Zeit ist es jedoch, daß Lichtenbergs Erklärungen mit Hogarths Beichnungen in einer handlichen, eleganten und billigen Ausgabe erscheinen. Der Herausgeber und die Buchhandlung, die sich einer solchen Aufgabe unterzögen, würden sich den Dank vieler Leser und wahrscheinlich auch das Geld einer genügend großen Anzahl von Käufern verdienen.

Im übrigen hat Wilbrandt sein Amt als Herausgeber mit geschmackvoller Diskretion geübt. Er hält sich gebührend zurück, und wo er erläuternd hervortritt, sagt er kurz und deutlich das Notwendige. Seine kleine Einleitung charakterisirt Lichtenberg vortrefflich. Und er bezeichnet das Tragische in Lichtenbergs schriftstellerischer Persönlichkeit sehr scharf - wenn auch, als verehrender Erneuerer, in der zurückhaltenden Form der Frage: Was war daran schuld, daß er nicht nur als satirischer Romanschreiber zu dem ihm doch das eigentlich dichterische Vermögen fehlte fondern auch als Naturforscher und als Philosoph bei ungewöhnlichen Fähigkeiten keine schaffende Tat vollbrachte? daß sein wissenschaftlicher Name nur in einem Ringgebirge auf dem Mond und in den Lichtenbergschen Figuren fortlebt, die auf elektrifirten Körpern sich bilden? War es die verhängnisvolle Gebrechlichkeit seines Organismus, die ihn halb unbewust antrieb, den höchsten Anspannungen seiner Kraft aus dem Wege zu gehen, immer aufzuschieben, wie er von sich klagte, und in zersplitternder Verteilung seiner Interessen die lebener

haltende Ausgleichung zu finden? Oder war es die Anordnung seines geistigen Organismus, daß ihm auf seinem Baum doch nur wol war, wenn er von Aft zu Aft flatterte, nirgends zu lange verweilend; daß sein vogelklarer, humorfroher Blick nur in diesem bes weglichen Wechsel sein Genüge fand, sich zur Vervollkommenheit schärfte, bis dann vom höchsten Wipfel des Humors die hellen und tiefen Töne erklangen, die sein eigenster, unvergeßlichster Gesang sind ?"

Für denjenigen, der in den Garten der Lichtenbergschen Gedanken eingeführt sein will, ist Wilbrandts hübsche handliche Ausgabe der beste Führer. Für denjenigen, der sich in jenem Garten schon orientirt hat und der schweren veralteten Gesamtausgabe keinen Geschmack abgewinnen kann, fehlt, zum liebevollen Schweifen und genaueren Zusehen, noch eine vollständigere, vor allem auch des Hogarth nicht entbehrende, elegante Ausgabe.

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Th. Br.

Wir erhalten folgende Zuschrift: In Nr. 8 des „Magazine“ rubrizirt mich Herr Friß Kögel, offenbar vom Standpunkt der Standpunktlosigkeit, unter die demokratisch-sozialistischen Feinde Nietzsches. Der Begriff Feind scheint zu schwanken. Wenigstens hat mich Mar Nordau wegen meiner Nietzscheverehrung unter die schlimmsten Entarteten gerechnet ein Glück übrigens, daß die promovirten Schäfer Aft ihre diagnostischen Feststellungen ihren Opfern nicht anzuheren vermögen. Wenn Herr Kögel weniger rubriziren und mehr Unbefangenheit zeigen wollte, fo müßte er erkannt haben, daß meine kleine Arbeit über Friedrich Nießsche, die im wesentlichen zwei Jahre früher geschrieben, als sie erschienen ist, und deshalb unter den kritischen Nietzscheschriften die Priorität beanspruchen darf, weit weniger gegen Nietzsche als gegen seine „Affen“ gerichtet war. Sie hat in dieser Hinsicht ihre Schuldigkeit getan und ist damit überflüssig geworden. Ich weiß freilich nicht, ob ich durch solches Bekenntnis zur Affenfeindschaft meine Lage gegenüber den Unbedingten verbessere. Wie man philosophische (erkenntnistheoretische u. s. w.) Probleme auf ihre Wahrheit von einem politischen Standpunkt aus prüfen kann, ist mir nicht verständlich wenn ich auch in unserer Zeit des „Blut“wahns täglich erwarte, daß man gelegentlich ein mathematisches System aus dem mongolischen, eine Mechanik aus dem semitischen, und eine Logik aus dem arischen oder antisemitischen Rasseninstinkt heraus neu begründen wird. Aber daß man je über erkenntnistheoretische Fragen etwa vom nationalliberalen Standpunkt entscheiden wird, das erwarte ich denn doch nicht, schon deshalb nicht, weil die Erhaltung des Standpunkts allzusehr von den Launen des allgemeinen Wahlrechts abhängen würde. Der Philosoph Nietzsche kann wahrhaftig ganz ohne solchen Standpunkt widerlegt werden. Wenn ich heute über den Philosophen, nicht über den Künstler, Nießsche, zu urteilen hätte, so würde ich weit schärfer noch als in meiner Gelegenheitsarbeit betonen, daß es nicht tief, sondern unsäglich seicht ist, in das Zentrum der Menschheitsbetrachtung die Gegensäge von Ich und Du, von Egoismus und Altruismus, von Individualismus und Sozialismus, von Askese und Genuß zu rücken. Das sind nicht nur keine Gegenfäße, sondern es sind auch gar keine Probleme, die ernster Vordergrundsarbeit wert sind. Das jind Ueberbleibsel aus einer überwundenen religiös-metaphysischen erkenntnistrüben Geistes epoche. Deshalb ist man aber noch lange kein Feind Nießsches. Oder ist man verpflichtet, sofern man sich zu den Freunden" Goethes rechnen will, auch seine Farbenlehre oder seine läppischen Pamphlete gegen die französische Revolution zu unterKurt Eisner. schreiben?

Herr Bourgeois, der Bauunternehmer der Lourdesschen Kirche, hat sich durch Zolas Lourdes in seiner Unternehmerehre gekränft gefühlt und gegen Zola Klage erhoben. Er ist abgewiesen und in die Kosten verurteilt worden. Die Begründung des gerichtlichen Urteils ist in einer Hinsicht interessant: das Gericht hat sich dahin ausgesprochen, daß ein Dichter für die Reden und Bemerkungen nicht felbst verantwortlich zu machen ist. Das klingt selbstverständlich und jeder. der über dichterisches Schaffen nur einmal ein ganz klein wenig nachgedacht hat, ist von selbst zu dem Standpunkt gekommen. Für Breßprozesse aber ist es eine Errungenschaft, und Herr Bourgeois hat sich mit seiner Klage entschiedene Verdienste um die Litteratur erworben in Frankreich. Ob auch um die Religion durch seinen Kirchenbau -? Darüber schweigt das Urteil.

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