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In der Faschingszeit des Jahres 1895 u. s. w. haben eine Anzahl von Dichtern, Denkern und Frauen urplög lich ihr entrüstetes Herz entdeckt und flammende Proteste gegen eine drohende Kulturgefahr in das Volk geschleudert, nachdem sie Monate müßig und gutgesinnt gestaunt hatten. Kurz, es geht höchst fidel zu, seitdem uns die erworbenen und ererbten, immer aber gutbezahlten Woltäter der Menschheit die Umsturzvorlage geschenkt haben.

Seit Anfang Dezember des Vorjahrs haben wir diesen Entwurf, der den apokalyptischen Furchtfantasien kraftgeschminkter Impotenz seine unehrliche Geburt ver dankt, und der die geistige Freiheit unter die Willkür der Korpsstudenten stellt, die sich durch das Bestehen einiger juristischer Examen das Recht und die Fähigkeit erworben haben, das Passende herauszufinden aus den ihnen zur gefälligen, aber natürlich patriotischen Auswahl und freien Verfügung gestellten Geld-, Festungs-, Gefängnisund Zuchthausstrafen. Im Grunde hatten die Herren schon früher dieses ergibige Recht. Wer die Straflisten durchsieht, auf denen die sozialdemokratischen oder anarchistischen Opfer der in der Staatsheilkunde approbirten Korpsstudenten gebucht sind, gewinnt sofort die Ueber zeugung, daß es nicht möglich ist, die Allmacht der ausstudirten Korpsstudenten noch übermäßig zu erweitern. In der Tat begnügte sich die sogenannte Umsturzvorlage, die Marime der Strafen zu erhöhen und die Handhaben zu vermehren. War es bisher schon möglich, in jeder Zeitungsnummer bei einigem guten Willen mindestens den Anlaß zu einer kleinen Geldstrafe zu finden, fo fonnte man auf Grund der erweiterten Allmachtsbefugnis gleich mit ein paar Monaten Gefängnis beginnen und dann auch die bisher schlecht faßbaren Produfte der Gelehrsamkeit und der Kunst zugänglicher machen.

Die letterwähnte Erweiterung hätte nun wol die Leute stubig machen müssen, die da berufen sind, Lehren zu verbreiten und Bücher zu schreiben, insonderheit die Injaffen der Gelehrtenrepublik. Es blieb aber alles still. Man war der Meinung, daß die Umsturzvorlage gegen diese Roten gerichtet sei, und man gönnte den Nörglern an unserem herrlich geeinigten deutschen Reich die Duckung. Dann aber trat die Wandlung ein. Allmählich, zuerst unbemerkt, trat das Zentrum in Aktion und spielend schmuggelte es in das gegen die Sozialdemokratie gerichtete Ausnahmegesetz alles das hinein, was die Dunkelmänner und Dunkelweiber vor wenigen Monaten noch jenseits der Grenze erfüllbarer Sehnsucht seufzend wähn ten. All der Haß gegen moderne Wissenschaft und moderne Kunst schuf sich in der Umsturzvorlage ein Werkzeug; das Strafgeset ward zum gefügigen Bravo der ultramontanen Reaktionäre.

Da begann man sich plößlich zu regen, jest merkte man, daß sich um die eigenen Hälfe von sonst ach so Gutgesinnten die Schlingen der Umsturzvorlage legten, und ein Sturm der Gebildeten und Befißenden, denen nur noch durch kulturkämpferische Reizungen das träge Blut und die schlaffe Zufriedenheit gestachelt werden kann, brach los, ganz so wie damals, als man gegen das Volksschulgeset Alarm blies. Und genau so wie damals wirkt die Entrüstung der Gutgefinnten ein wenig komisch. Das Volksschulgeset kodifizirte Zustände, wie sie in Wahrheit überall bestanden, ohne daß sich der Zorn der Gutgesinnten sonderlich geregt hätte. Jene Zustände bestehen noch heute, und man erträgt sie schweigend. Warum brachte damals das bischen gesetzliche Sanktionirung solche Wunder entrüsteter Mannhaftigkeit hervor?

Auch die Umsturzvorlage fodifizirt in der Hauptsache eine Praxis, die schon jezt befolgt wird, freilich nur gegen die sogenannten Umsturzparteien. Der alte

§ 130 des Strafgesetzbuchs: „Wer in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise verschiedene Klassen der Be= völkerung zu Gewalttätigkeiten gegen einander öffentlich anreizt, wird... bestraft", ist schon solch eine ganz verwendbare und ausreichende Kautschukbestimmung. Ebenso erfreut sich der Majestätsbeleidigungsparagraph noch immer seines tatreichen Daseins im Dienste der staatlich ange stellten Korpsstudenten.

Freilich bot die Umsturzvorlage noch mehr Elastizität. Aber man sollte gerade die Tätigkeit des Zentrums an erkennen, das sichtlich bemüht ist, die Kautschukparagraphen durch feste Bestimmungen zu erfegen. Wenn strafgefeßlich festgelegt werden soll, daß jede Leugnung des Daseins Gottes ein Verbrechen ist, so handelt es sich hier um eine ganz klare Bestimmung, zu der staats anwaltliche oder richterliche Willkür nichts hinzuzufügen vermag. Auf diesem Wege kann jede Partei, Konfession, Schule, Richtung sich die Garantie der Unverleglichkeit erwerben. Wenn ein Proletarier bestraft werden soll, der das Eigentumsrecht nicht anerkennt, so ist nichts gegen die Bestrafung eines akademischen Naturforschers einzuwenden, der die Unsterblichkeit der Seele leugnet. Die Umsturzvorlage, die ursprünglich ein Ausnahmegeset schien und deshalb in den oberen Regionen goutirt wurde, entpuppte sich als ein sehr konsequentes Gemeingefeß, das den Politikern gerechter Bosheit spöttisches Behagen bereitet, während es gerade wegen dieses Charafters jezt den Auserwählten der Bildung und des Besizes Unbehagen bereitet.

Der Zorn über die Möglichkeit einer solchen Regirungsvorlage verraucht, wenn man die unendliche Lächerlichkeit der Situation betrachtet, in der sich die intellektuellen Urheber der Vorlage befinden.

Die Umsturzvorlage ist den Bedürfnissen jener mittelparteilichen, freikonservativen und nationalliberalen Kreise der Großindustriellen entsprungen, die Ruhe in ihren Betrieben haben und die Aengstigungen ihres schlechten Gewiffens los werden wollten. Sie verlangten ein masfirtes Sozialistengeseß. Freundlich stellten sich die einst so ingrimmig verfolgten Zentrumsleute den Freigeistern des Kapitals zur Verfügung und lächelnd drehten sie den Entwurf zu einem Strick für die bürgerliche Lehr- und Denkfreiheit. Ein gerechtes Schicksal für diesen Parvenuadel, der die Freiheit immer nur für sich verlangt.

Es ist nicht mehr vonnöten, zu beweisen, daß die Umsturzvorlage die gesamte Kunst und Wissenschaft dem Belieben des Staatsanwalts ausliefert. Man hat bei den breiten und heftigen Erörterungen die unter dem Schutt patriotischer Legende begrabene Tatsache wieder ausgegraben, daß unsere ganze Litteratur und unsere Wissenschaft im Grunde umstürzlerisch ist, wie auch das, was wir Geschichte nennen, im wesentlichen eine Reihe von Verbrechen ist, deren Darstellung unter den Anpreisungsparagraphen fallen würden. Auch das ist eine löbliche Folge der Umsturzvorlage. Man hat wieder einmal gesehen, daß die Heroen, die im Göttersaal unserer Bourgeoisie als dekorative Nippes aufgestellt sind, samt und sonders gestohlen und annektirt sind, daß sie ihrer Natur nach die Todfeinde jener entarteten Bourgeois sind, die beispielsweise Schiller als einen von ihre Leut" betrachten und zugleich in loyalen Dankadressen und Umsturzvorlagen machen.

Indeffen auch ohne das Umsturzgesetz ist die Wissenschaft und die Kunst nie frei gewesen. Wir haben es unlängst erlebt, daß ein Redakteur zu langer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, der in spöttischer Laune eine blutrünstige Revolutionstirade aus den wilden Zeiten des Bürgertums abgedruckt hatte. Der Mann wurde verurteilt, obwol es gar nicht zweifelhaft sein konnte, daß

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er sich mit jenen lächerlich bombastischen Hochverrats | aufreizungen nicht identifizirte. Wo war da der elementare Entrüstungssturm, der diesen Justizfrevel verhinderte? Wenn jest durch die ultramontan bearbeitete Umsturzvorlage auch die gutgesinnten Profefforen gelegentlich einmal zu fühlen bekommen, was der Plebs tagtäglich widerfährt, ohne daß sich eine Hand rührt, so trägt das vielleicht dazu bei, endlich die völlige Freiheit des Gedankens zu erobern. Die Umsturzvorlage ist eine Konsequenz und zugleich eine Unerträglichkeit. Deshalb wäre es schließlich kein Unglück, wenn sie Gefeß würde.

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Es sind jest 225 Jahre her, seitdem ein Brillenschleifer, der so viel zur Verjudung des arischen Geistes beigetragen hat, seitdem Baruch Spinoza zum ersten Mal prinzipiell die absulute Denk- und Redefreiheit gefordert hat: im Jahre 1670 erschien sein theologisch politischer Traftat, enthaltend eine Reihe von Abhandlungen, in welchen gezeigt wird, daß das freie Philosophiren nicht allein gestattet werden kann, ohne Gefahr für Religion und Bürgerfrieden, sondern daß deffen Verbot notwendig den Bürgerfrieden und die Religion gefährdet." Seitdem gehört dieses Dogma zu den unverlierbaren Kulturgütern der Menschheit. Gesiegt aber hat es, wenigstens in Deutschland, bisher nicht. Es gibt keine Halbheit in der Frage der geistigen Freiheit. Entweder man erkläre fich ganz für sie oder ganz gegen sie. Jede Grenze der Zulässigkeit und Zweckmäßigkeit, die man der absoluten Freiheit zieht, ist eine Vernichtung dieser Freiheit. Nicht das kleine Mehr an Versklavung, das die Umsturzvorlage uns androht, gilt es abzuwehren; man sammle und betätige vielmehr den Zorn, der jegt so lebhaft sprudelt, an dem Wesentlichen, man gehe zur Offensive über und proklamire das moderne Dogma der unbedingten ausnahmslosen Freiheit des Geistes gegenüber der Rück ständigkeit derer, welche die Gewalt ausüben. Die haben kein Recht, ob der Umsturzvorlage zu rasen, die den anderen die Verurteilung zum Schweigen von Herzen gönnen.

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Selbst ein Bismarck war gelegentlich gegen die Einmischung des Strafgesetzes in das Reich des Geistigen, und seine Worte, die er am 9. Februar 1876 sprach, find heute mehr wie in einer Hinsicht bemerkenswert: Wenn ein Blatt, wie die ,Kreuzzeitung, die für das Organ einer weit verbreiteten Partei gilt, sich nicht entblödet, die schändlichsten und lügenhaftesten Verleumdungen über hochgestellte Männer in die Welt zu bringen, in einer solchen Form, daß sie nach dem Urteil der höchsten | juristischen Autoritäten gerichtlich nicht zu fassen ist, aber doch derjenige, der sie gelesen hat, den Eindruck hat: hier wird den Ministern vorgeworfen, daß sie unredlich gehandelt haben, wenn ein solches Blati so handelt und in monatelangem Stillschweigen verharrt, troßdem das alles Lügen find, und nicht ein peccavi oder erravi spricht, so ist das eine ehrlose Verleumdung, gegen die wir alle Front machen sollten, und niemand sollte mit einem Abonnement sich indirekt beteiligen. Von einem solchen Blatte muß man sich lossagen, wenn das Unrecht nicht gefühnt wird; jeder, der es hält und bezahlt, beteiligt sich indirekt an der Lüge und Verleumdung, die darin gemacht wird, an Verleumdungen, wie die „Kreuzzeitung" fie im vorigen Sommer gegen die höchsten Beamten des Reichs enthalten hat, ohne die leiseste Andeutung eines Beweises und mit einer fomischen Unwissenheit in den Personalgeschichten, die sie dabei zur Schau trägt. Also, meine Herren, ich glaube, wir fönnen außerhalb des Strafgefeßes sehr viel tun. Wenn wir alle, und es ist doch die große Mehrzahl, ich will niemanden ausnehmen die Sinn für Ehre und Anstand haben, für christliche Gesinnung und Sitte alle, welche die

unter uns

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christliche Gesinnung nicht nur als Aushängeschild für politische Zwecke brauchen - wenn wir alle zusammenhalten in einer Ligue gegen die Schlechtigkeiten, die ich eben bezeichnet habe, und sie verfolgen, jeder vor seiner Tür, und sie einmütig in Bann halten, so werden wir mehr erreichen, als mit dem Strafrichter."

Wenn Bismarck hier in einem Einzelfall, der unabhängig von jeder Weltanschauung (nach seiner Darftellung) verurteilt werden mußte, sogar für die Eliminirung des Strafrichters plaidirte, so ist es fast eine mildere Forderung, daß man aus den geistigen Kämpfen des Tages den Strafrichter entferne, daß man die Möglichkeit erreiche, das Recht zur Vertretung der Klassenintereffen des Rechtsprechenden zu misbrauchen.

Man will uns ganz der Macht und dem guten Willen der Staatsanwälte und Richter ausliefern. Die einzige mannhafte Antwort ist: Hinaus mit ihnen, ganz hinaus aus dem Tempel des Geistes. Eine Revision des Strafgesetzbuchs in der Form eines Gegenantrages in diesem Sinne wäre eine wuchtigere Abwehr der Umsturzvorlage als bewegliche Petitionen, Weckrufe, Proteste. Das Schlimmste an der Umsturzvorlage ist eigentlich nicht, daß sie uns servirt worden ist. Was können wir anderes von jener Seite erwarten? Das Schlimmste ist vielmehr, daß wir unsere spärliche Zeit an derlei Fragen und Faren verschwenden müssen, daß die Volksvertretung kein Mittel hat, derlei „unsittliche Anträge" rasch durch Uebergang zur Tagesordnung zu erledigen. Wir haben doch wahrhaftig Ernsteres zu tun, als uns mit diesen verwesten Metternichtigkeiten matt zu ringen. Irgend ein zufällig aus der Maffe der erfolglosen Streber hervorgehobener Mensch, der ins Ministerium für den feineren Aufwartedienst engagirt wird, hat das Recht, die Kinder seiner Muße uns zur Adoption anzubieten, und wir müssen mit langwierigen Verhandlungen uns erst die Möglichkeit erringen, diese Adoption abzulehnen. Gegen eine ganze Reihe von solchen ministeriellen Einfällen dahin gehört jeder Angriff auf die Freiheit der Meinungsäußerung kann nur schnelle und gründ liche Lynchjustiz helfen. Freilich das Allerschlimmste wäre, wenn die Volksvertretung das Recht zu dieser Lynch justiz hätte und sie dennoch nicht zur Anwendung brächte.

Die völlige Freiheit jeder künstlerischen, wissenschaftlichen, publizistischen Meinungsäußerung, die vor niemandem Halt zu machen gezwungen ist, wäre nicht zum mindesten im Interesse der Regirenden selber. Unser ganzes öffentliches Leben ist auf lügenhafte Ehrfurcht aufgebaut, und Personen, die künstlich in Unwissenheit erhalten werden, haben die Macht, unser Schicksal, wenigstens aber unsere Beschäftigung zu bestimmen. Wenn heute ein mit stenographischen Kenntnissen ausgerüsteter Asmodeus alles aufzeichnete, was er in Deutschland von heimlichen Aeußerungen über Zustände und Personen erlauschte, und wenn er dann mit diesem Buch der Wahrheit" den leßten Riegel höfischer Kerkertüren öffnete, dann würde eine gewaltige Tragödie beginnen, die Untergangstragödie trügerisch erhaltenen Göttlichkeitswahns.

Noch kann man sie verhindern, diese Tragödie, wenn man das Wort völlig entfeffelt und die „Allmacht der Korpsstudenten" bricht. Sperans.

Maupassants Hinterlassenschaft.

Von

Paul Bourget.

„Die fremde Seele" lautet der Titel eines nachgelaffenen Fragments von Guy de Maupassant, das vor furzem in einer Revue erschien zwanzig Einführungsfeiten eines unvollendeten Romans, faum eine Exposition Und diese zwanzig Seiten genügen, um auf den Leser einen starken Wirklichkeits. Eindruck zu machen, ihn von jenem Hauch des Lebens auwehen zu lassen, den zu erwecken die unvergleichliche Fähigkeit des unglücklichen großen Schrift stellers war...

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Die Säle des Kasinos in einem Badeort Air in Savoyen erstehen vor uns, wir sehen die vier Spieltische, wir hören das Klingen der Goldstücke, ein leises Klingen, wie das einer Goldquelle, einer Quelle von Louis, die über die vier Tische rinnen." Zwei Pariser plandern miteinander. Sie haben noch nicht zwanzig Worte ge= wechselt, und wir kennen ihren Charakter. Einer von ihnen erzählt seine Geschichte, ein Verhältnis in der Halbwelt und einen Bruch und die ganze Stärke seiner Leidenschaft, jene besondere Süße und Bitterkeit, die jeder Liebe anhaftet, wird in uns fühlbar aufgeweckt. Eine Menge strömt herein, an der wir uns stoßen und reiben. Frauen kommen ins Kasino, große Damen aus aller Welt, eine Amerikanerin, eine italienische Marquise, eine Engländerin, eine Rumänierin. Einige Worte und wir kennen sie, ich möchte beinahe sagen, wir erkennen sie wieder. Die kosmopolitische Gesellschaft tritt uns in allen ihren Eigenheiten entgegen, flach und ungewöhnlich zugleich, aristokratisch und verdächtig, farbig und eintönig. Die Augen dieser Frauen sehen uns an: die blauen der Nordländerinnen, in denen die ganze Kälte eines frostigen Himmels gebannt zu liegen scheint; die dunklen der Südländerinnen, glühend vor Sonne; die samtnen und unerforschlichen Augen des Orients. Ein Lächeln zittert auf feinen oder üppigen Lippen. Wir hören atmen, sprechen; wir erraten Neigungen, Gewohnheiten, Sitten, Liebe, Grausamfeit. Ein Drama der Leidenschaft spinnt sich an.... und damit ist es aus!.. Das Geschick hat dem Dichter die Feder aus der Hand geschlagen: die meisterhaft begonnene Erzählung bricht plößlich ab. Man klappt das Heft der Monatsschrift zu, und Traurigkeit beschleicht einem die Seele jene Traurigfeit, die uns in Italien beschleicht, wenn wir auf der zerbröckelnden Mauer eines alten Klosters eine Freske sterben und einen Schönheitstraum, den ein Künstler träumte, dahinschwinden sehen. Ein Benozzo Gozzoli auf Bifas campo santo, ein Ghirlandajo in der Santa Maria Novella, ein Lionardo in Mailand genoffen das Glück, ihren Traum zu realisiren. Die Formen, die in ihrem Geiste lebten, gewannen Gestalt vor ihren Augen. Sie find zerbröckelt, aber nicht früher, als sie ausgelebt hatten, als fie die Seele ihrer Urheber zum Himmel erhoben und tausenden von Pilgern ihre Idealität mitgeteilt hatten. Aber diese Gestalteu vor dem innern Auge zu erblicken und sie nicht sichtbar machen zu können, zu fühlen, daß man fie mit sich trägt in die große Nacht und sie sich nie, nie der Welt enthüllen werden, das ist ein geistiges Sterben innerhalb des leiblichen Sterbens! Das hat Maupassant erduldet, wenn es wahr ist, daß er während des Elends seines leßten Lebensjahres fortwährend nach einem Manuskript verlangte, daß er sich gestohlen glaubte, nach der fremden Seele" oder dem Angelus," der gleichfalls unvollendet geblieben ist. Welch wirklicher Roman, der sich im Ersinnen erdachter Romane abspielt, nur weit leidensvoller, diese Ohnmacht innerhalb der

Schaffenskraft, diese Verdunkelung deutlicher Bilder durch quirlende Schatten, die den Geist umhüllen und ihn unfähig machen, das einst Geschaute wieder deutlich zurückzurufen, während es doch in ihm lebt, wie er deutlich fühlt, und wie er es verfolgt, sucht, hascht und immer nicht findet... ... welch eine grenzenlose, unfaßbare Ver= zweifelung muß einen solchen zugleich lichtvollen und umbunkelten Geist ergreifen!

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Ich sage lichtvoll, was manchem seltsam erscheinen mag in bezug auf dieses doppelt tragische Ende. Aber diejenigen, die den jungen Maupaffant gefannt haben in der ganzen Fülle seiner Kraft und seines Feners, seiner Gesundheit und seiner Intelligenz, wiffen, daß er bis zum Vorabend der Krise seine volle künstlerische Einsicht behielt, in der gleichen durchdringenden, gesunden, kraftvollen Beschaffenheit, wie zur Zeit, da er in den Soirées de Médan jene Novelle Boule de Suif" schrieb, die ihn mit einem Schlage unter die Schar der Meister verseßte. Wir wissen das, und das verschärft unsern Schmerz über das zu früh unterbrochene Lebenswerk. Alle die geistigen Tugenden, die den Erzähler auszeichneten, waren ihm ungeschmälert verblieben, und diese wenigen Seiten des Fragments würden schon genügen, um seine ganze Kunst zu fennzeichnen Man lese und lese sie mehrmals. Man wird darin vor allem jene Fähigkeit der „klaren Kürze" finden, jene Kunst, durch ein Adjektiv, durch die Bezeichnung einer Geste, durch ein paar Dialogworte, eine ganze Judividualität in wenigen Zeilen zusammenzufassen. Während die andern, und die größten, ein Balzac selbst, viele Seiten von Analysen bedürfen, um ihre Personen hinzustellen, genügen Maupassant zwei Säße, ganz so wie den beiden Künstlern, denen er am meisten gleicht: Mérimée und Turgenjew. Ich erinnere mich, was dieser lettere einmal, bei Taine am Tisch andere Erinnerungen, andere Schatten! auf eine Frage des Hausherrn ant

wortete:

Nun, was halten Sie denn für die hervorragendste Eigenschaft des Romanciers, fragte Taine. „Die Fähigkeit, Physiognomien zu schildern," antwortete der gutmütige russische Riese nach einer Weile Besinnens.

Sehen Sie sich nun darauf hin die „Ame Etrangère" an und betrachten Sie schon im dritten Absaß folgende Physiognomie: Ein Mann war im Begriff einzutreten, groß, schlank, ziemlich jung. Er hatte jenes leichte Auftreten der jungen Leute, die ihre Jugend in den eleganten Gewohnheiten des reichen pariser Daseins zugebracht haben. Der Scheitel war ein wenig fahl, aber die blonden Haare, die ihm verblieben waren, bildeten eine zierliche Frisur um die Schläfe, und ein hübscher Schnurrbart mit gebrannten Enden schwellte sich wolgefällig auf seiner Lippe. Sein flares blaues Auge schien wolwollend und spottsüchtig, und seine ganze Erscheinung drückte ein Wesen von graziöfer Dreiftigkeit, Ueber. legenheit und liebenswürdiger Herablaffung

aus

Kann die nicht weiter zerlegbare Individualität dieses Menschenthpus mit knapperen Strichen gezeichnet werden? Der Schriftsteller braucht feine technischen oder neue Wörter. Die Ausdrücke, die er braucht, sind dieselben, deren wir uns alle Tage bedienen, aber mit soviel Treffsicherheit angewant, daß sie sofort einen ungewöhnlichen malerischen Wert erhalten. Das war das Verfahren des grösten Physiognomienmalers, den Frankreich gehabt hat - La Bruyères-sowie das Stendhals, Mérimées und Flauberts. Dieses Verfahren ist dem des Wortmalers mit gesucht malerischen Ausdrücken vor allem dadurch überlegen, daß es eine andere wesentliche Tugend des Ro

manciers, die Maupassant gleichfalls im höchsten Grade besaß, unterstüßt: die Glaubwürdigkeit.

In dem unvollendeten Stück „Ame Etrangère" ist man, von Anfang bis zu Ende, jener fast undefinirbaren Magie verfallen: man glaubt an die Wahrheit der Anek dote, die uns der Dichter berichtet; man glaubt an die Wahrheit der Personen und der Situationen, in denen er sie uns vorführt. Man kann nicht an ihnen zweifeln. Wenn man dieses erste Kapitel analyfirt, versteht man vielleicht deutlicher, als nach der Lektüre eines ganzen Bandes, durch welche Mittel fich Maupassant seine Macht sichert. Man bemerkt zunächst sein vollkommenes Verschwinden hinter seinem Objekt, sein Bemühen, seine Autorenpersönlichkeit zu verbergen. Flaubert, der ein großer Erzieher war, hat diese Grundregel der Aesthetik des Romans in ergreifender Weise zum Ausdruck gebracht:

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„Der Autor muß in seinem Werke sein wie Gott im Universum, überall gegenwärtig und nirgends sichtbar. Da die Kunst eine zweite Natur ist, so muß der Schöpfer dieser Natur verfahren, wie es der Schöpfer der ersten tat daß man in allen Atomen, in allen Ausblicken eine verborgene unendliche Leidlosigkeit empfindet. . .“ Aber, um diese scheinbar so einfache Regel anzuwenden, wieviel Begabung, Selbstzucht, Feinfühligkeit und Gewissenhaftigkeit gehört dazu! Die hohe Bescheidenheit des Schriftstellers, der sein Werk seiner Person voranstellt; die Ehrlichkeit des Geistes, die das Talent als ein Werf zeug der Wahrheit und nicht der Eitelkeit betrachtet; die Klarheit dieses selben Geistes, der im menschlichen Leben die tiefen Züge, die, welche Taine mit einem mathe matischen Ausdruck die erzeugenden Linien“ nannte, zu unterscheiden weiß; die Richtigkeit des Ausdrucks - denn ein Zuviel im Ausdruck, das nach dem Subjekt des Autors riecht, zerstört den Zauber; die Fähigkeit der Perspektive endlich, diesen Sinn der Genauigkeit, der den Beobachter jedes Individuum, das er antrifft, zu klassifiziren und es an seinen Platz zu stellen befähigt in der unendlichen Reihe von sozialen Arten, ohne Täuschung, Selbstbetrug und Ungerechtigkeit und Ueberhebung. Dem ersten dieser beiden Fehler verfallen z. B. die Schriftsteller, die das Leben der großen Welt hypnotisirt. Am zweiten scheitern die, die verachten, was fie schildern Es steckt in jedem Wesen, das lebt, eine Berechtigung zu leben, weil es lebt, und eine Begrenznng, weil es nur einen Moment dar stellt in der ungeheuren Totalität der Menschheit, die es von allen Seiten umgibt und erdrückt. Keiner seiner Zeitgenossen, hat diese doppelte und widerspruchsvolle Be dingung einer jeden menschlichen Existenz besser gekannt und zum Ausdruck gebracht. Man findet den Beweis dafür noch in dem nachgelassenen Fragment in der Art, wie er den jungen Mann einführt, der wahrscheinlich der Held des Buches werden sollte. Es ist so zu sagen, eine Person von Brusthöhe, nicht zu hoch, nicht zu niedrig, nicht zu gewöhnlich, nicht zu selten daher die Er zählung sofort einen unwiderstehlich menschlichen Charakter gewinnt.

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Sie hat noch einen andern Wert einen Wert, der mehr und mehr der entscheidende Vorzug des Schrift stellers wurde, je mehr seine Kenntnis des menschlichen Lebens und der menschlichen Leidenschaften wuchs und seine Schreibweise sich vervollkommnete. Maupassant hatte, besonders jeit Pierre et Jean, jenes andere so wenig gefannte Gefeß der Kunst des Romanschreibens begreifen und ausüben gelernt: die Wichtigkeit des Vorwurfs. Nirgends hat er diese Auffaffung mehr, als im legten seiner Werke, Notre Coeur, zum Ausdruck gebracht. In diesem ergreifenden Buch hat er die Anekdote bis zur Größe eines Symbols erweitert, und in einem ziemlich

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vulgären Salondrama eines der großen Themata des Gefühls und des moralischen Bewustseins behandelt, das jedes Herz unwiderstehlich gefangen nimmt. Der Schmerz, mehr zu lieben, als man geliebt wird, ist das intime Thema dieses Romans. Etwas dergleichen muß hinter einem jeden Roman stecken. Man muß die Geschichte, die der Autor erzählt, auch auf andere Geschichten anwenden fönnen, ohne daß ihre Seele geändert zu werden brauchte. So find die Islandfischer von Loti deswegen nur so schön, weil sie in besonders hohem Grade den Schmerz der Abwesenheti schildern. Jedermann, der eine Trennung erduldet hat, findet hier sein Leiden wieder. So find die großen Vor würfe, und sie ergeben die großen Bücher. Aus dem bloßen Titel: Ame Etrangère, und dem ersten Kapitel errät man, daß Maupassant das schmerzhaft Unvereinbare im Raffenkonflikt zeigen wollte: zwei Wesen, die von der Gewalt der Leidenschaft zu einander getrieben werden, die sich lieben, ersehnen, umschlingen, und zwischen denen, immer gegenwärtig, immer wirksam, jene unerbittliche Macht der Vererbung steht, die es zu Wege bringt, daß dieselben Wörter auf zwei Lippenpaaren, die sich suchen, nicht denselben Sinn haben, daß ein unbefiegbares Misverstehen einen Mann und eine Frau von einander trennt, die von zwei entgegengeseßten Enden der historischen und physiologischen Welt herkommen. Das wäre unter der Form einer Liebesgeschichte, wie Notre Coeur, und eines Sittenromans, wie Mont Oriole, eine der Episoden dieses Raffenkonflikts gewesen, der einer der am wenigsten erforschten und doch wesentlichsten Faktoren unserer modernen Gesellschaft ist. Und unter dieser sozialen Symbolisirung hätte sich sicher noch eine andere verborgen: man hätte in diesen Blättern die tiefe Klage seufzen hören über das ewige Misverständnis, jene Qual, daß, selbst in dem vollkommensten und zärtlichsten Herzensverein, diese Herzen nicht ein Herz seien, daß sie zweie blieben, unwiderruflich, unabänderlich.

Wozu aber grübeln, was dieses Buch eines mit jedem Werk wachsenden Künstlers geworden wäre, dem der Erfolg, dieser übelste aller Beweise und verhängnisvollste vor allen andern, nur eine Gelegenheitsursache war, sich im höchsten Sinne seiner Natur zu entwickeln? . Indem ich gegen einen dahingeschwundenen Genossen diese fromme Pflicht erfülle, noch einmal zu sagen, was für ein sorgsamer und kräftiger Arbeiter der Schönheit er blieb bis an sein Ende, kann ich mich nicht enthalten, eine Frage an die Personen zu richten, die eine Sub skription veranlaßt haben, um dem Meister ein Denkmal zu sehen. zu sehen. Ich erinnere mich, kürzlich einen sehr beredten und warmen Artikel von Henri Lavedan gelesen zu haben, der mit gerechtfertigtem Zorn das mangelhafte Ergebnis der Sammlung beklagte. Es ist eine Schande für unser Volk, daß es das Genie seiner großen Schriftsteller nicht beffer anzuerkennen weiß. Wir haben Balzacs Maniskripte in der Auktion versteigern und sein Haus demoliren lassen. Bei Alfred de Muffets Leichenbegängnis waren kaum zwanzig Personen zugegen. Barben d'Aurevilly mußte, um sich im Greisenalter zu ernähren, bis zu seinem Ende Abschriften machen. J. J. Weiß ist beinahe im Mangel umgekommen. Laine, unser großer bewunderungswürdiger Taine, die ragendste litterarische Gestalt unserer Epoche, ist mit einigen sechzig Jahren als simpler Ritter der Ehrenlegion gestorben. Nicht gegen seine Meister ver sündigt sich Frankreich, sondern gegen sich selbst. Frankreich fonnte ihnen nicht mehr Größe oder Ehre schaffen, als sie sich selbst geschaffen hatten durch ihre Werke. Es konnte nur sich selber in ihnen ehren.

Poljunkow.

Eine Erzählung

von

F. . Dostojewski.

Aus dem Russischen übersezt von Adolf Garbell.

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gelernt, in der interessanten Minute des Borgens ein be
stimmtes Wesen anzunehmen. Ganz unempfindlich und
vollständig gemein konnte er selbstverständlich niemals
werden, denn sein Herz war zu beweglich
schlug zu
warm; ja, ich möchte noch mehr sagen: meiner Meinung
nach war er der ehrlichste und edelste Mensch in der Welt,
besaß aber die Schwachheit, auf den ersten besten Befehl
hin gutmütig und uneigennüßig eine Gemeinheit zu be
gehen, nur um den Nächsten zufrieden zu stellen furz
dieser Mensch war vollständig ein Lappen. Am lächer
lichsten war, daß er fast ebenso wie die anderen gekleidet
ging, weder schlechter noch besser, reinlich, ja sogar mit
einer gewiffen Sorgfalt, mit einem Anspruch auf Solidi
tät und persönliche Würde. Dieses gleiche Aeußere und
dies unvergleichliche Innere, seine Furcht für seine Person
und zu gleicher Zeit seine ununterbrochene Selbstver
kleinerung das alles bildete den auffallendsten Kontrast
und rief Spott und Mitleid hervor. Wenn er im Herzen
überzeugt gewesen wäre, was troß seiner Erfahrung sehr oft
bei ihm der Fall war, daß alle seine Zuhörer die besten
Menschen in der Welt seien, die nur über das lächerliche
Faktum und nicht über seine Persönlichkeit lachten, so hätte
er mit Vergnügen seinen Frack ausgezogen, ihn auf die
linke Seite gekehrt und wäre in diesem Aufzuge in den
Straßen herumgegangen, nur um anderen gefällig zu sein,
sich einen Genuß zu verschaffen, seine Beschüßer zu
amüsiren und ihnen Vergnügen zu bereiten. Er hatte
noch einen Zug: Der Kauz besaß Eigenliebe und er war
zeitweise, wenn keine Gefahr drohte, sogar großmütig!
Man mußte sehen und hören, wie er es verstand, einem
Beschüßer, der ihn aufs äußerste getrieben, heimzuzahlen,
ohne sich zu schonen folglich mit einem gewissen Risiko
nnd fast mit Heldenmut! Aber das währte nur Mi-
nuten
Mit einem Wort: er war ein Märtyrer im
vollen Sinne des Wortes, jedoch der unnötigste und
folglich auch der aller spaßhafteste.

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*

*

Ich begann, den Menschen näher zu betrachten. Sogar in seinem Aeußeren war etwas Besonderes, das jeden, der ihn nur mit einem Blicke streifte, unwillkürlich zwang, ihn anzustarren und in unauslöschliches Gelächter aus zubrechen. So ging es auch mir. Bemerken muß ich hierbei, daß die Aenglein dieses kleinen Herrn sehr beweglich waren, und er selbst so sehr unter dem Einfluffe eines jeden Blickes stand, der sich auf ihn richtete, daß er fast instinktiv empfand, er werde beobachtet, sich sofort zu seinem Beobachter umwandte und mit Unruhe deffen Blick zu analysiren suchte. Infolge seiner unaufhörlichen Beweglichkeit und Behendigkeit glich er außerordentlich einer Wetterfahne. Sonderbar! Er schien den Spott gleichsam zu fürchten, obgleich er fast nur davon lebte, daß er Allerweltsnarr war und seinen Kopf allen möglichen Nasenstübern ausseßte, sowol in moralischer wie in physischer Hinsicht, je nach Art der Gesellschaft, in welcher er fich befand. Die freiwilligen Narren sind eigentlich die bedauernswertesten. Doch bald bemerkte ich, daß dieses fonderbare Wesen, dieser lächerliche Mönch durchaus fein Narr von Profeffion sei. Es war in ihm etwas Edles, etwas Sympathisches. Seine ganze Unruhe, seine ewige krankhafte Furcht um seine eigene Person sprachen für ihn. Mir schien, daß sein Wunsch, es jedem recht zu machen und gegen jedermann dienstfertig zu sein, eher einem guten Herzen entspringe, als die Folge eines Strebens nach materiellen Vorteilen sei. Mit Vergnügen gestattete er jedermann, über ihn aus vollem Halfe und ihm in der unanständigsten Weise ins Gesicht zu lachen, während ihm - ich fönnte es beinahe beschwören das Herz blutete bei dem Gedanken, seine Zuhörer könnten so undankbar hartherzig sein, daß sie fähig wären, nicht über ein Faktum, sondern über ihn, über sein ganzes Wesen, sein Herz, seinen Kopf, sein Aeußeres, kurz über feinen ganzen Menschen zu lachen. Ich bin überzeugt, daß ihm in solchen Minuten das Törichte seiner Lage zum Bewustsein kam, aber der Protest erstarb ihm sofort in der Brust, obgleich er gewiß jedesmal auf die großherzigste Weise entstanden war. Sicher entsprang dies alles nur der Güte seines Herzens und nicht gewinnsüchtigen Interessen, wie etwa der Absicht, bei jemandem Geld zu borgen. Er borgte nämlich immer und bei allen, d. h. er bat in dieser Form um Almosen, wenn er genug Fragen geschnitten und die Zuhörer auf seine Kosten amüfirt hatte; er fühlte sich dann einigermaßen berechtigt, Geld zu borgen. Aber mein Gott was für ein Borgen war das!? Und mit welch einem Ausdrucke im Gesicht geschah das!? Ich hatte es mir nicht vorstellen können, daß auf dem so kleinen, runzlichen, eckigen Gesichte dieses Menschen gleichzeitig so verschiedenartige Grimaffen Raum hätten, gleichzeitig soviele sonderbare, Erzählen Sie, Ossip Michailüitsch, erzählen Sie!" verschiedenartige Empfindungen, soviele entseßliche Ein- „Erzähle!" drücke zum Ausdruck kommen könnten. Was alles fonnte Hören Sie, meine Herrschaften, ich beginne. Es man wahrnehmen! Scham, eine scheinbare Frechheit, ist eine sonderbare Geschichte. Aerger, der die Wange rötete, Zorn, die Furcht vor dem Nicht-Gelingen, die Bitte um Berzeihung, daß er zu belästigen wage, Bewustsein der eigenen Würde und das vollständige Bewußtsein der eigenen Nichtigkeit δας alles zudte blißartig über sein Gesicht. Auf diese Weise hatte er sich schon sechs Jahre in der Welt Gottes durchgeschlagen, hatte es aber während dieser Zeit noch nicht

Unter den Gästen wurde lebhaft disputirt. Plöglich sehe ich meinen Kauz von seinem Stuhle aufspringen und aus allen Kräften schreien, man möge ihm das Wort erteilen.

„Hören Sie zu," raunte mir der Wirt ins Ohr, „er erzählt bisweilen die interessantesten Geschichten haben Sie Interesse für ihn?“

Ich nickte mit dem Kopfe und drängte mich näher hinzu.

Das Aussehen des anständig gekleideten Herrn, der so plöglich von seinem Stuhle aufgesprungen war und so überlaut geschrieen hatte, erregte allgemeines Aufsehen. Viele, die den Kauz noch nicht kannten, sahen verständnislos einander an, andere lachten laut auf.

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Ich kenne Fedoffei Nikolajitsch! Ich muß ihn ja am besten kennen," rief der Kaûz von seinem erhöhten Plaße aus, meine Damen und Herren, erlauben Sie, daß ich erzähle. Ich werde Ihnen über Fedoffei Nikolajitsch vorzüglich erzählen! Ich kenne eine Geschichte, die ist prächtig!

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