Billeder på siden
PDF
ePub

Zeitalter des Sozialismus erwächst in Deutschland die Tragödie des Mitleids Und sie würde dennoch nicht verdienen, genannt zu werden, wenn es sich blos um Stoffliches handelte. Aber weder in der fünstlerischen Fähigkeit, Menschen scharf und maffenweise zu schildern, noch in den Einzelheiten der gemeinen Technik haben wir unsres gleichen in einem europäischen Lande. Nur auf einem Gebiet, in dem es so garkeine Tradition mehr 3 so garkeine Tradition mehr gab und der Boden so wenig gefurcht war wie in Deutschland, fonnte etwas so Selbständiges erstehn. In Frankreich, deffen altes Drama unserem alten Drama unendlich überlegen war, ist die Erde tief durchackert. Was Wunder, daß vor lauter alten Furchen keine neuen entstehen konnten!

Frauen-Litteratur.*)

Bon
Julius Petri.

II.

Bücher, die sich offen und mit aggressiver Tendenz in den Dienst der Frauenbewegung stellen, find glücklicher weise bei uns selten, während England und Amerika eine ganze Gallerie von zum Teil sehr jungen Schriftstelle rinnen aufzuweisen hat, die nicht gemeint sind, ihre reformatorischen Gedanken über die Ehe und das Verhältnis der Geschlechter zu einander dem Publikum vorenthalten zu dürfen. Was bei uns diesen leicht ab schüssigen Weg betritt, hält sich vorsichtig in künstlerischen Schranken. Bianca Bobertag, eine fesselnde Erzählerin, mit gut entwickelter Sprache, Technik und einer hübschen | Beobachtungsgabe ausgestattet, stellt in zwei Romanen die geistig überlegene Frau neben einen mehr oder minder untergeordneten Mann. Die Hiße des Gefechtes aber führt sie manchmal zu weit, und dann neigt sie zur Karrikatur. Schade, daß in den „Erbinnen“28) die Lösung zu wenig von innen heraus erfolgt und „Der Sprung auf die Klippe "24) das durch den Titel betonte Thema allzu wenig herausarbeitet. Leo Hildeck verficht in zwei Novellen „Abseits vom Wege"25) mit einem Eifer, der sich manchmal zu beißendem Hohn steigert, aber stets durch fünstlerische Mittel wirkt, das moralische Recht zweier Frauen, die von der Oeffentlichkeit verurteilt werden, während B. W. Zell in dem Roman Moderne Jung gesellen"26) sich ohne Kenntnis der Verhältnisse und unreif an große Probleme des Lebens heranwagt. Es sei hier noch H. Schobert erwähnt, die in einem dreibändigen Roman Moderne Ehen"27) schildert, ohne die Grenze eines leidlichen Unterhaltungsbuches zu überschreiten; das Buch gehört, genau genommen, schon in die Reihe derer, die die weibliche Hand nur an der Schwäche der Führung erkennen lassen.

"

"

Wir wollen nun nicht die Gesamtheit der Frauen für schlechte Bücher verantwortlich machen. Schund läuft überall mit unter. So wenn Anny Wothe aus allerlei zusammengelesenen Motiven einen „Roman“ zusammenstoppelt, den sie Auf Ruinen"28) nennt, wenn Olga Arendt in der Sylvesternacht "29) blaue Romantik mit

[ocr errors]

*) Der Revuen fünfundzwanzigftes Stück. (Zweiter Teil.) 28, Leipzig, Karl Reißner.

24) Dresden und Leipzig, E. Pierson.

25) Dresden und Leipzig, Heinrich Minden.

26) Leipzig, Karl Reißner.

27, Berlin, Otto Janke.

28) Dresden und Leipzig, . Pierson.

20) Berlin, Hermann Walther.

[merged small][ocr errors]

"

Es mag auffällig erscheinen, wenn ich diesen unreifen Schriftstellerinnen sogleich Bertha von Suttner anreihe. Ich habe mich aber von der Bedeutung der VielWienerinnen, befißt fie ein hübsches Talent der leichten, gepriesenen niemals überzeugen fönnen. Wie die meisten spielenden Form. Das ist aber auch ihr einziger Vorzug. Da ist ein Buch, Die Tiefinnersten",88) das gegen alle die Leute zu Felde zieht, die der närrischen Meinung huldigen, hinter der Oberfläche der Dinge liege auch noch ein Kern verborgen. Sie hat da einige verschrobene Stilisten aufgespürt; besißt aber weder den tecken Wit der Verhöhnung, noch den fachlichen Ernst der Bekämpfung. Sie ergeht sich nur in törichter Verallgemeinerung, die immer ein Zeichen von geistiger Schwäche ist. Den Grundton des Buches kann man nicht anders als vorlaut bezeichnen. Und vorlaut ist im Grunde auch der Roman, der ihr zu unverdienter Berühmtheit verholfen hat. Sie vermag nicht das Wesen von der Form, nicht die Urfache vom Anlaß zu unterscheiden. Und der Humor von der Sache ist, daß sie das selbst dunkel fühlt, und es mit verlegenem Lächeln im Vor- oder Nachwort selbst eingesteht. Echt frauenzimmerlich. Was soll man nun vollends zu vollends zu der Novelle Im Berghause "84) fagen, die an Fadheit der Erfindung wahrhaftig ihres gleichen sucht. Doch genug. - Auch einer andren Defterreicherin, Ossip Schubin, bringe ich nicht eben viele Sympathien entgegen. Diese saloppe Technik, das legère Hinkrikeln von Bildern und Bildchen, das ewige Präsens historicum und das fokette Umfichwerfen mit fremden Sprachbrocken wird auf die Dauer unerträglich. Es ist aber anzuerkennen, daß ihr neuester Roman: „Woher tönt dieser Mißklang durch die Welt"35) sich einer größeren Gebundenheit befleißigt, manche Unarten einschränkt oder vermeidet und uns die geiftvolle Lebhaftigkeit ihrer Darstellung geklärter entgegenträgt. Amüsant wienerisch gibt sich auch F. von Kapff-Essent her in Siegfried":86) aber der tragische Schluß fällt grell aus dem leichten Ton des Buches heraus. Himmel und Hölle"87) bewegt sich in schwerfälligem Gang. Man vermißt die flotte Charakteristik des „Siegfried", der Konflikt ist ge= schraubter und die Entwicklung mühsamer. Solch ein erzwungenes Sicheinbohren in das Innere der darzustellenden Figuren kann man E. Velh nicht nachsagen. Sie ist eine der verhältnismäßig wenigen Frauen, die auch aus den niederen sozialen Schichten zu schöpfen bemüht sind; doch hat man niemals bei ihr recht das Gefühl herzlichen Mitempfindens. Ihr Roman „Das Wieschen"88) gibt eine rein äußerliche romantische Geschichte, läßt uns aber keinen tieferen Blick in das Seelenleben der Heldin tun. Wie viel voller und gerundeter weiß dagegen Gräfin Margarete Kayserling in ihren

30) München, Dr. Albert u. Co.
81) Breslau, Schottländer.
32) Leipzig, Karl Reißner.

33) Dresden und Leipzig, E. Pierson.

34) Berlin, Albert Goldschmidt.

35) Braunschweig, George Westermann. 36) Dresden und Leipzig, E. Pierson.

37) Berlin, Rosenbaum u. Hart.

38) Mannheim, J. Bensheimer.

"

"

„Strandgeschichten"89) bäurisches Leben darzustellen. Ihre | Schlußftimmung des Buches zu tragischer Empfindung in Figuren bewegen fich von innen; nur schade, daß die uns zu steigern. Wo die echt empfundene Wirklichkeit Dichterin in der Fügung der Handlung die Grenze der mit so starken Schlägen an unser Herz gepocht hat, da Wahrscheinlichkeit nicht immer erkennt. Der Zufall spielt wird es schwer, mit den heraufbeschworenen Schatten einer eine allzu große Rolle und beeinträchtigt die Wirkung toten Vergangenheit mitzufühlen. Sophie Junghans ist wesentlich. Inneres Leben weist auch ein Buch von die einzige, die in ihrem Roman Schwertlilie"45) ein Marta Renata Fischer auf: „Die Aufrichtigen". 40) historisches Bild aufrollt. Ihre Charakteristik ist nicht Nur daß hier alles Aeußerliche zu streng stilifirt und ver- ohne Geschick; und ein lebendiges Kolorit hat sie ihrem allgemeinert ist. So entbehrt das Buch der Farbe und Buche auch zu geben verstanden. Dennoch fehlt ihren des Duftes. Unser heutiger Geschmack verlangt gebiete- Figuren die letzte Weihe des Lebens; und die gespenstisch risch Lokalkolorit: und wir können in der Sprache der schlurrenden Jesuiten männlichen und weiblichen Geschlechtes, niederen Leute, zumal der Bauern, wenigstens einen die alle Fäden mit grausamer Tücke verknoten, bringen uns dialektischen Anhauch gar nicht mehr entbehren. Wie nicht mehr zum Gruseln. Das Rezept des Buches ist doch seltsam mutet es uns an, wenn Marie von Olfers in etwas vergilbt. ihren Erzählungen"41) gar jede Andeutung über Ort und Zeit vermeidet. Da find die Beziehungen zum realen Leben völlig unterbunden. Die Männer ziehen inden" Krieg, und der Dichter wohnt in „der" Großstadt. -Nur äußerlich darf man mit diesem Buche eine Novelle von Marie Janitschef: "Atlas"42) zusammen stellen. Zwar schimmert auch bei ihr die gedankliche Grundlinie immer durch; ihre Figuren sind meist aus der Um gebung gelöst und geben sich als urselbständige Wesen; aber ihrem Trieb ins Große fann man doch die Achtung nicht versagen, selbst wenn man ihrer Neigung, kleine Motive pathologisch aufzuschwellen, nicht wolwollend gegenübersteht.

"

"

Dem Fehler des Zuviel verfällt C. Westkirch: Aus dem Herenkeffel der Zeit. Frauenschuld und Frauengröße" 46) Was hat fie nicht alles in diesen Roman hineingepreßt! Sozialismus, Streif, Börsen schwindel und Krach, Wuchertum, Theater, Ehe und freie Liebe, Mord, Selbstmord, Aufopferung und Wahnsinn. Es ist in der Tat ein Herenkeffel. Bei dem ungeheueren Aufwand von Figuren entwickelt sich keine einzige über die flüchtige Stizze hinaus; denn die eine nimmt der anderen die Luft. Es ist zu bedauern, daß die Verfafferin nicht Selbstbeschränkung geübt hat; denn die Anlage des Einzelnen weist manche gute Züge auf und zeugt von Studium und Kenntnis der Verhältnisse, was man einem sozialen Roman von Mea Reichard: Die Unzu friedenen"47) nicht nachsagen kann.

Einen vollen Gegensatz zu solcher Darstellungsart bildet Ilse Frapan. Bei ihr ist alles unmittelbares Leben selbst; und eine Uebertreibung nach der ideellen Seite hin gehört bei ihr zu den Unmöglichkeiten. Ganz erstaunlich ift die Fähigkeit, den kleinen Mann bei seiner Tätigkeitstellernden zu belauschen, oder beffer zu beobachten, und außerordentlich die Kraft, mit der fie ihre Eindrücke anschaulich dar ftellt. Den schwäbischen beherrscht sie wie den bairischen Dialekt, und wenn sie ihre Hamburger sprechen läßt, so glaubt man den eigentümlich singenden Tonfall zu vernehmen. Merkwürdigerweise hat sie einmal unter Heyses Einfluß gestanden; heut ist die Entfernung die denkbar gröfte. In ihren Novellensammlungen: Zwischen Elbe und Alfter" (zweite Auflage), „Bekannte Gesichter" und "Zu Waffer und zu Lande"48) zeigt sich ein immer stärkeres Sindrängen auf möglichst in die Augen springende Wiedergabe des Lebens; oft ohne Rücksicht auf geistigen Inhalt. Sie will nur darstellen, was fie gesehen hat; und darin steht fie unerreicht da. Solch Streben würde peinlich wirken ohne den fräftigen, oft derben Humor, über den fie verfügt; der freilich nicht immer der Art ist, welche die lachende Träne im Wappen führt. Sie ist manchmal falt, ja grausam in ihrer Darstellung; doch schlägt ihr Herz bei anderen Stoffen dann doppelt warm. „Kaptan Feddersens Kummer" gehört zu den besten Erzeugnissen, die wir heute an uns haben vorüberziehen sehen.

"

Ich liebe solche Bücher, die fest in landschaftlichem Boden wurzeln; fie pflegen uns die Menschen ungeschminkt und ehrlich zu geben. Dazu gehört auch Pfarrer Strec cius"44) von E. Eschricht. Deutschtum gegen Ruffentum, Luthertum gegen griechische Orthodoxie. Die Verfafferin hat alle die Dinge gesehn, die sie schildert und vortrefflich schildert. Landschaft und Menschen stehen bis ins Einzelne in schöner Klarheit vor uns da; und die starke Sympathie, die ein aussichtslos geführter Kampf für ideale Güter immer in uns erweckt, mag dazu beitragen, die wehmütige

89) Berlin, Friedrich Pfeilstücer. 40) Stuttgart, Adolf Bonz u. Co. 41) Berlin, Emil Felber.

42) Berlin, G. Grote.

48) Sämtlich Berlin, Gebrüder Paetel. 44) Berlin, Berein der Bücherfreunde.

vollständige, so doch bunte und bewegte Bild der schrift Es fehlt nur noch eine, welche dies, wenn auch unftellernden Frauenwelt abschließen und frönen muß: Marie von Ebner-Eschenbach. Ihr Roman „Glaubens108"49) hat aber, charakteristisch genug, schon in der Revue der männlichen Litteratur in diesen Blättern eine furze Besprechung gefunden. Man vergißt bei ihr, daß man es mit einer Frau zu tun hat. Sie gehört zu den Großen, deren geschlossene und in sich selbst ruhende Per sönlichkeit sie aus der Menge heraushebt und als Wesen sui generis erscheinen läßt. Denn unter allen den Ta lenten und Talentchen steht sie doch als die einzige da, die mit großer und geschloffener Lebensauffaffung alles in sich aufnimmt und alles begreift. Gewiß hat auch fie nicht das Höchste erreicht, das auf diesem Gebiete er reicht werden kann; und mit der liebenswürdigen Be scheidenheit, die diese Schriftstellerin kennzeichnet, würde Aber sie hat erreicht, was alle anderen erst noch erstreben fie einen solchen Ruhmestitel auch von sich abweisen. follen: daß wir in jedem einzelnen Werke seine Schöpferin stets mehr und nachhaltiger liebne lernen. Und ein folcher Erfolg wiegt schwerer als jeder andere.

1

Der wolwollende Kritiker wird gern jeder Einzelerscheinung gerecht und rühmt, was gerühmt werden kann. Aber wenn er nun aus der Vogelschau das Ganze überblicken und die Summe der Erscheinungen ziehen will, so macht er die befremdliche Erfahung, daß der Gesamteindruck doch ein erheblich geringerer ist, als man nach der Summe des gespendeten Lobes erwarten sollte. Das gilt von unserer gesamten Litteratur. Wir vermögen uns wol über diese oder jene einzelne Leistung zu freuen; aber fie taucht in die Menge zurück. Nach einer Gesamtübersicht beschleicht uns das Gefühl einer großen Dede. Das mag an der Zerfahrenheit, der Stil und Plan

45) Stuttgart, Cotta.

46) Berlin, Verein der Bücherfreunde,
47) Berlin, Paul Moedebed.

48) Berlin, Gebr. Paetel.

losigkeit unserer litterarischen Verhältnisse liegen; die ruhige Besonnenheit fehlt überall. Wir suchen und tasten wie die Blinden, wie spärlich sind doch die Bücher gefät, die bewust einem künstlerischem Ziele zustreben. Oder wir suchen auch gar nicht und taumeln gedankenlos_in den Tag hinein. Und ich glaube aussprechen zu müssen, daß diese verderbliche Gedankenlosigkeit unter den Frauen mehr vorherrscht, als unter den Männern. Formglätte, gute Beobachtung, flüssige Fantasie, gewiß, das ist vorhanden. Aber ach, wie selten schlägt ein Aufschrei heißer Sehnsucht an unser Ohr! Eine rein äußerliche Beobachtung rückt diese Tatsache in ein helles Licht. Man überfliege einmal die Namen der hier besprochenen Schriftstellerinnen, und man muß erstaunt sein über die ganz unverhältnismäßig große Menge der Adligen. Und ihnen reiht sich aus den übrigen die gewiß größere Mehrzahl derer an, die der bürgerlichen Aristokratie entstammen. Sie haben alle eine sorgfältige, ästhetische Erziehung genossen und können nun in behaglicher Sorglosigkeit ihre Tage hinbringen. Da greifen sie zur Litteratur, wie andre junge Damen zur Musik, zum Gesang, zur Malerei greifen. Das soll kein Vorwurf sein, aber es ist bezeichnend. Da ist kaum ein Buch, das von ureigensten heißen Kämpfen und Strebungen spricht. Der häufige und nicht schlechteste Typus des schriftstellernden Mannes, der von unten herauf unter qualvollem Ringen sich den Weg zur Kunst in die Höhe bahnt, findet faum ein Widerspiel bei der Frau; und kann es heute nicht finden, weil die Hinderniffe für sie ungleich größer und wahr scheinlich auch die Kräfte geringer sind.

Die Kraft geringer; denn auch das muß gesagt werden. Der Mann wird in den Leistungen, die er als die höchsten schäßt, nie die Eigenschaft entbehren wollen, die er an sich selbst am meisten achtet. Ein ruhiges und überlegenes Selbstbewustsein, das einem starken Kraftgefühl entspringt. Hier kann die Frau den Kampf nicht aufnehmen. Wie charakteristisch ist es, daß gerade in der Gattung der Poesie, welche dieser Eigenschaft am meisten benötigt, im Drama, die Frau nichts, aber auch nichts geleistet hat, das Anspruch auf Dauer befäße. Dieser Mangel läßt sich auch in der Epik nicht ganz verbergen; und wenigstens von unserem Gesichtspunkte aus gesehen, ist ihr das Höchste versagt. Vielleicht kommt auch hier einmal die Zeit, da der Standpunkt gegen den Standpunkt ausgespielt wird und die Fran nns ihr Ideal einer höchsten künstlerischen Leistung entgegenhält; vorläufig ist diese Zeit noch sehr fern. Bis dahin aber wollen wir freundnachbarlich beieinander wohnen; und troß unserer Meinung, daß die Frau nur im eignen Gebiet ihre schönsten Lorberen pflücken kann, uns doch über jedes Talent freuen, das sich männlich zu geben bemüht ist. Denn wir bauen wol unsre Theorien und haben ein stilles Vergnügen dabei; aber wir dürfen doch nie vergessen, daß über Nacht ein starkes Talent erstehen und sie stracks über den Haufen blasen kann.

Liebe!
Von

Mar Brodski.

An einer entlegenen Stelle des Stadtparkes, in der Nähe einer Bank unter einer alten Eiche, schritt ein junger Mensch auf und ab. Man hatte von hier eine wunderbare Aussicht auf den Fluß und den dahinterliegenden

schwarzen Wald. Der junge Mensch jedoch schien weder auf die schöne Natur noch auf die hereinbrechende Dämmerung zu achten. Er war ganz in seinen Gedanken vertieft.

Er mochte ungefähr fünfundzwanzig Jahre alt sein. Die Züge seines Gesichtes waren unregelmäßig, und nur die großen schwarzen Augen waren schön. Er war gut gekleidet: Cylinder und heller Anzug.

Zum zehnten Mal bereits legte er sich ein und dieselbe Frage vor: Liebe ich sie? Und zum zehnten Mal antwortete er darauf: Nein, ich liebe sie nicht!... Wozu dann also dies alles?

ihm.

Er setzte sich

[merged small][ocr errors][merged small]

Das Wort entschieden" gefiel ihm nicht, und ein leises Bucken flog über sein Geficht.

Also liebe ich sie wirklich garnicht? Er begann sich selbst zu beobachten. Daß er sie hier erwartete, regte ihn nicht im geringsten auf.

Es 30g ihn nicht zu ihr. Mag fie kommen oder nicht, es war ihm gleich

Nein, er liebt sie nicht.

Aber dann, wozu mußte er die arme Frau verführen! Sie war verheiratet, hatte ein Kind. Er wußte, daß sie fich ihren Fehltritt nicht verzeihen würde, wußte, daß er fie.... er wollte jagen: ins Unglück stürzen würde, aber der Ausdruck erschien ihm zu trivial.

[ocr errors]

Ich will bis zuletzt aufrichtig sein: Was also war es Sinnlichkeit, wollte ich sie nur befizen? Nein, nicht einmal das war es.

Was also denn?

Er nahm den Hut ab, um sich durch die Haare zu fahren, aber er strich nur glatt darüber hin: es war doch schade um die Frisur.

Was hängen sie sich auch dem ersten besten an den Hals! Ich habe sie doch gewarnt....

Das ist schon nicht wahr, entgegnete er sich selbst, ich hätte sie gewarnt? Und er erinnerte sich, wie er fie, als er erst angefangen, ihr den Hof zu machen, gebeten, ihn nicht zu lieben (das war damals, als sie an Liebe noch garnicht dachte), wie er ihr ein schlechtes Bild von sich gemacht, - und das alles war doch nur Komödie. Er versicherte ihr, er sei langweilig, und bemühte sich, fie angenehm zu unterhalten; sagte, daß er nicht lieben fönne, und stellte sich verliebt. Mit einem Worte, er machte ihr den Hof auf die allergewöhnlichste Weise. Er erinnerte sich noch, wie er später einmal im Scherz zu ihr gesagt: werden Sie mich wirklich nicht lieben? „Warum sollte ich Sie lieben?"

Und wenn es nur wäre, weil Sie mir gefallen, weil ich Sie liebe.

Sie wurde plößlich ernst.

„Das erste glaube ich Ihnen, das zweite nicht..." Nein, er hatte sie nicht gewarnt, im Gegenteil, er hatte alles mögliche getan, um sie zu verführen, und sie hatte sich aus allen Kräften gesträubt.

Und weshalb liebt sie mich? Ich bin nicht schön, (er wußte, daß er nicht schön war,) habe nichts Bestechendes an mir, bin nicht einmal geistreich. Nichts ist an mir. Es gibt wol faum einen zweiten so nichtssagenden Menschen, wie ich.... Ohne Zweck und Ziel, für nichts ein Intereffe. Vollständige geistige und moralische Leere, und Langeweile.... Langeweile.. und er ließ den Kopf sinken.!

[ocr errors]

Da bemerkte er, daß er sich mit Teilnahme beob

[merged small][merged small][merged small][merged small][merged small][merged small][merged small][merged small][ocr errors][merged small][merged small][merged small][merged small][ocr errors][merged small][merged small][merged small][merged small][ocr errors][merged small][merged small][merged small][merged small][merged small]
[blocks in formation]

Pilger. Pfadlos dehnt sich der Weg vor mir, auf dem ich fam! pfadlos auch der Weg

Ein wandernder Priester bin ich. In Schinano verweilte ich eine Zeit. Doch nun ward der Schnee zu tief, um weiter zu wandern in dieser Gegend! So muß ich wol zurückkehren nach Kamáfura. Wenn der Frühling wiederkommt, dann will ich meine Pilgerfahrt wieder aufnehmen.

Chor. Immerdar steigen die Dünste über Afamás Gipfel bei Schinano.

Ralt bläst der Sturm von Dijama in die Wermel des Fremdlings. Heimatlos, freundlos wandert er nun auf dem Hügel eines Wanderlebens.

Jeho steigt er hinab am Ufer des Usui bis Itahana, erreicht von dort die Fähre zu Sano.

Sano. Ach, wie fällt der Schnee noch immer so dicht! Pilger. Eilend gelangte ich bis zur Fähre von irgendwo. (Er nähert sich einem Hause.) Kann ich hier EinWahrlich, ich muß mir ein Unterkommen suchen, hier laß finden?

Tsunejos Weib. Und wer ist da?

Pilger. Ich bin ein pilgernder Priester. Bitte, gebt mir Obdach in Eurem Hause nur für eine Nacht! Weib. Das ginge wol leicht aber der Herr ist nicht zu Hause, und so kann ich Euch nicht willfahren. Pilger. Dann will ich mich hier niederseßen und seine Heimkehr erwarten.

=

Zwergbäumchen.

1) Hachinoki Der Schogun war ursprünglich der höchste militärische Befehlshaber unter dem Kaiser; tatsächlich regirten jedoch die Schogune geit der großen Umwälzung 1868 faft unumschränkt, nachdem einige vom 13. Jahrhundert an, mit geringen Unterbrechungen, bis zur fühne und geniale Männer unter ihnen die Macht an sich geriffen und mehrfach sogar das Schogunat zu einer erblichen Würde erhoben hatten. Der Form nach wurde allerdings jeder Schogun vom Kaiser selbst in sein Amt eingefeßt.

8) Er durchzieht verkleidet das Land, um so besser Einsicht von den Zuständen im Volfe zu gewinnen, besonders um umgerechtigs teiten aufzudecken. (Geschichtliche Tatsache.)

Weib. Tut wie Ihr wollt. Ich will ihm entgegengehen und ihm von der Sache sagen.

Tsunejo. (Allein auf dem Wege.) Wie dicht fällt der Schnee! Und das entzückt die Leute. Der Dichter sang:

Gleich Flaum von der Brust des Wildhuhns
Flattert umher der weißflodige Schnee,
Wir aber trogen ihm stehend und wandelnd
In Kleidern und Federn des Kranichs!

"

Noch ist es derselbe unveränderte Schnee, an dem ich meine Freude hatte in früheren Tagen. Aber wie bin ich verändert! Nicht länger in Kleidern aus Federn des Kranichs troß ich ihm stehend und wandelnd!" sondern in dünnen Baumwollstoff gekleidet, die Aermel zerschliffen zu dürftigen Lappen. Was soll ich beginnen in dieser fürchterlichen Kälte! Nicht mehr entzückt mich jetzt der Schnee! (Er erblickt eine Gestalt.) Hallo! was kommt da, seltsam! (Er erkennt sein Weib.) Bist du hier draußen in dem dichtfallenden Schnee?

Weib. Ein pilgernder Priester kam und bat um Obdach für eine Nacht. Da ich ihm sagte, du seiest abwesend, sprach er, er wollt deine Heimkehr erwarten. So machte ich mich auf, dir zu begegnen und kam hierher. Tsunejo. Wo ist der Pilger? Weib. Dort rastet er.

Bilger. Ich bin es. Zwar steht die Sonne noch hoch am Himmel, doch fällt der Schnee so heftig, daß ich weder vor noch rückwärts meinen Weg finde. Seid doch so gut und gönnt mir Obdach für die Nacht.

Tsunejo. Solch eine Bitte follte sofort gewährt werden, aber meine Hütte ist so erbärmlich, daß ich dém Wanderer ein Obdach versagen muß!

Pilger. Nicht fümmerts mich, wie es auch sei! Nur laffet mich verweilen diese Nacht!

Tsunejo. Gern wollt ich Euch beherbergen; aber wahrlich, selbst wir zwei können kaum hausen in unserm Hüttlein. Unmöglich ists, Fremdlinge darin aufzunehmen! Es liegt ein Dorf, namens Yamamoto, faum eine Meile von hier, dort gibt es ein behagliches Theehaus. Sputet Euch, es zu erreichen, ehe die Sonne finft!

Pilger. So ist es wahr, daß du entschloffen bist, mich abzuweisen?

Tsuneja. Es geht mir nah doch bin ich nicht im Stande, dir Obdach zu gewähren.

Pilger. Ach, wie vergeblich harrte ich so lange auf den, der mich nun im Stich läßt! Wehe! (Er ght fort.) Weib. O, wie elend find wir! Gewiß ist all unsere gegenwärtige Armut und Schande die Folge_eines Mangels an Frömmigkeit in einem früheren Leben. Vielleicht kam es uns in einem fünftigen zu gute, wenn wir freundlicher handelten gegen solchen Mann.

Wenn du es irgend vermagst, so laß uns doch dem Fremdling Obdach geben!

Tsunejo. Warum, wenn du so dachtest, sprachest du nicht sogleich? (Er schaut aus.) Ha, bei diesem starken Schneefall ist er wol nicht weit gekommen. Ich will ihn einholen. (Er geht.) Heda! Wanderer! Wir wollen dich beherbergen. Heda! Wahrhaftig, der Schnee fällt so dicht, daß er mich kaum hören wird. Ach, mir wird Angst, er habe seinen Weg verloren in dem frisch gefallnen Schnee, wie es ihm geschah bei dem, der vorher fiel!

Ah! Dort scheint er still zu stehen und schüttelt den Schnee von seinen Aermeln! Ganz wie im alten Liede:

„An schneeigem Abend an Sanos Fähre Kein Obdach gibt es, sein Roß zu halftern, Zn bürsten den Schnee vom belasteten Aermel!"

Der Dichter sang so von der Fähre zu Sano in Kafagi! Aber besser als hier zu wandern am Schneeabend nach der Fähre von Sano in Adzuma, (zum Bilger) fomm lieber und teile mit uns unsere Hütte, sei sie auch noch so arm! Chor. Nun mag der Wanderer ruhen, nun fand er Obdach.

Nicht sichert das Verdienst der Tugend selbst nur eines Baumes Schuß für einen flüchtigen Augenblick, in dieser traurigen Welf!

Also heißts vom Schuße eines Baumes vor dem Regen. Hier ward vor eifigem Schnee Schutz geboten, wo auf dürftigem Lager ruheloser Schlaf mit mehr Frost als Träumen sich einstellen wird.

(Sie gehen in die Hütte)

Tsunejo (zum Weibe). Wie nun? Ein Obdach gaben wir ihm. Haben wir nichts ihm vorzuseßen?

Weib. Zum Glücke haben wir ein wenig Hirse. Wenn er es nicht verschmäht, so geben wir ihm diese.

Tsunejo. Ich will ihn fragen. (Zum Pilger.) Wir haben Euch ein Obdach geboten, aber ach, wir haben nichts, das wert wäre, Euch vorgeseßt zu werden! Doch haben wir ein wenig bereitete Hirse im Hause. Wenn Euch solch arme Kost genügt, so wollet freundlich davon genießen.

Pilger. Oh, das ist ja die beste Kost im ganzen Japan! Bitte gebt mir davon!

Tsunejo (zum Beibe). Ja, er sagt, daß er davon nehmen will. Eile, es ihm zu bringen!

Weib. Sofort will ich es besorgen.

in der Welt lebte, wußt ich von Hirse nur aus Liedern Tsunejo. In vergangnen Tagen, als ich noch draußen und Gefängen - doch nun ward fie zur einzigen Kost, Traum von 50 jähriger Herrlichkeit auf Kantans geborgtem von der ich lebe. Wahrlich, ist dies nicht gleich Roseis Kiffen?4) Das Schöne schwindet wie ein einziger Traum -oder wie der Dunst aus dieser dampfenden Hirse! Ach, ach! Welch ein Trost wär es mir, könnt ich meinen verlornen Glanz auch nur im Traume sehen!

Chor. Umsonst! Sehet ihn hier in seinem tiefen Unglück. In elender Hütte, unterm Dunkel winterlicher und ihn ohne Hoffnung laffen! Tannen, wo vor dem Froste Schlaf und Träume fliehen

Tsunejo. Die Nacht bricht an, und schärfer wird die Kälte. Ich muß nach Brennholz suchen, Euch zu wärmen. Ah, da fällt mir ein! Ich habe einige Zwergbäumchen), die will ich zu Brennholz zerhacken und es Euch behaglich machen.

Pilger. Wie! Ihr meint doch nicht die hübschen Bäumchen dort?

Tsunejo. Gewiß! Als ich noch im Leben der Welt stand, da liebte ich solche Bäumchen sehr und hielt eine große Zahl in Töpfen. Doch ach, diese Liebe zu Pflanzen ward nun nuslos, und ich gab fie alle fort an Freunde. Nur drei behielt ich - einen Kirschbaum, einen Pflaumenbaum und eine Fichte. Dort stehen sie, mit Schnee bedeckt. Obwol sie mir teuer, will ich fie doch nun zu Ehren echter Gastfreundschaft niederhauen und Euch ein warmes Feuer zünden.

Bilger. Nimmermehr! Haltet ein! Ich bitt Euch! Das ist nicht mein Wunsch. Ich dank Euch sehr! Doch werdet Ihr sicherlich noch wieder in der Welt zu Ehren

4) Diese Anspielung bezieht sich auf eine befannte Erzählung, die in ihrer späteren dramatisirten Form große Aehnlichkeit mit der Idee von Calderons „Leben ein Traum“ zeigt.

5) Es ist eine alt verbreitete Sitte unter den Japanern, gewisse Baumarten in zierlichen Töpfen durch stets wiederholtes Schneiden und Binden, zu Miniaturbäumchen aufzuziehen. die alle charakteristischen Merkmale des erwachsenen Baumes tragen und oft beträchtliches Alter haben.

« ForrigeFortsæt »