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für Sitteratur. 3.

Berausgegeben von Otto Neumann - Bofer.

Redaktion: Berlin W., Lühow: Afer 13.

Union

Deutsche Verlags-Gesellschaft Berlin u. Stuttgart.

Preis 4 Mark vierteljährlich. Beßtellungen werden von jeder Buchhandlung, jedem Postamt (Nr. 3589 vom Verlage des „Magazin“ entgegengenommen. Anzeigen 40 Pfg. die dreigespaltene Petitzeile. ∞ Preiß der Einzelnummer: 40 Pfg. &

63. Jahrgang.

Berlin, den 20. Januar 1894.

Nr. 3.

Auszugsweiser Nachdruck sämtlicher Artikel, außer den novellistischen und dramatischen, unter genauer Quellenangabe gestattet. Unbefugter Machbruch wird auf Grund der Gesetze und Verträge verfolgt.

Inhalt: Litteratur, Wissenschaft und öffentliches Leben: Friedrich Nießsche: Ueber die Zukunft unserer Bildungs-Anstalten. Zweiter
Vortrag Forts. und Schluß). Ep. 65. Friedrich Hebbel und die Familie Rousseau. Ungedruckte Briefe herausgegeben von
Friz Lemmermeyer Sp. 71. Kristian Dahl: Das dänische Litteraturjahr. Sp. 75. Friz Koegel: Fantasien nach
Klingerschen Radirungen. Sp. 79. -- Pai-Hsing-Tsien: Li-wa. Ein chinesisches Sittenbild. Sp. 82.
Bi'dende Kunst: M. S. Chronik der bildenden Künste. Sp 91.

Ueber die Zukunft unserer Bildungs-Anstalten. | leicht und schön sie auf ihr schritten und wie ungelenk

Sechs, im Auftrag der

„Akademischen Gesellschaft" in Basel gehaltene, öffentliche Reden.

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Von

Friedrich Niehsche.

Zweiter Vortrag (Fortseßung und Schluß). „Vergleichen wir diese drei angeblichen Ziele des Gymnasiums mit der Wirklichkeit, die wir in Betreff des deutschen Unterrichts beobachteten: was sind diese Ziele zu meist im gewöhnlichen Gebrauche?— Verlegenheitsausflüchte, für den Kampf und Krieg erdacht und wirklich auch zur Betäubung des Gegners oft genug geeignet. Denn wir vermochten am deutschen Unterricht nichts zu erkennen, was irgendwie an das klassisch-antike Vorbild, an die autife Großartigkeit der sprachlichen Erziehung erinnerte: die formale Bildung" aber, die durch den besagten deutschen Unterricht erreicht wird, erwies sich als das absolute Belieben der freien Persönlichkeit", d. h. als Barbarei und Anarchie; und was die Heranbildung zur Wissenschaft" als Folge jenes Unterrichts betrifft, so werden unsere Germanisten mit Billigkeit abzuschätzen haben, wie wenig zur Blüte ihrer Wissenschaft gerade jene gelehrtenhaften Änfänge auf dem Gymnasium, wie viel die Persönlichkeit einzelner Universitätslehrer beigetragen hat. Ju Summa: das Gymnasium versäumt bis jetzt das allererste und nächste Objekt, an dem die wahre Bildung beginnt, die Muttersprache: damit aber fehlt ihm der natürliche frucht bare Böden für alle weiteren Bildungsbemühungen. Denn erst auf Grund einer strengen, künstlerisch sorgfältigen sprachlichen Zucht und Sitte erstarkt das richtige Gefühl für die Größe unserer Klassiker, deren Anerkennung von Seiten des Gymnasiums bis jetzt fast nur auf zweifelhaften ästhetisirenden Liebhabereien einzelner Lehrer oder auf der rein stofflichen Wirkung gewiffer Tragödien und Romane ruht: man muß aber selbst aus Erfahrung wissen, wie schwer die Sprache ist, man muß nach langem Suchen und Ringen auf die Bahn gelangen, auf der unsere großen Dichter schritten, um nachzufühlen, wie

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oder gespreizt die andern hinter ihnen dreinfolgen.

„Erst durch eine solche Zucht bekommt der junge Mensch einen physischen Ekel vor der so beliebten und so gepriesenen Eleganz" des Stils unserer Zeitungsfabrik-Arbeiter und Romanschreiber, vor der gewählten Diktion" unserer Litteraten, und ist mit einem Schlage und endgiltig über eine ganze Reihe von recht komischen Fragen und Skrupeln hinausgehoben. Glaube jedoch niemand, daß es leicht sei, sein Gefühl bis zu jenem phyfischen Ekel auszubilden: aber hoffe auch niemand, auf einem anderen Wege zu einem ästhetischen Urteile zu kommen, als auf dem dornigen Pfade der Sprache, und zwar nicht der sprachlichen Forschung, sondern der sprachlichen Selbstzucht.

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Hier muß es jedem ernsthaft sich Bemühenden so ergehen, wie demjenigen, der als erwachsener Mensch, etwa als Soldat, genötigt ist, gehen zu lernen, nachdem er vorher im Gehen roher Dilettant und Empirifer war. Es sind mühselige Monate: man fürchtet, daß die Sehnen reißen möchten, man verliert alle Hoffnung, daß die fünstlich und bewust erlernten Bewegungen und Stellungen der Füße jemals bequem und leicht ausgeführt werden: man sieht mit Schrecken, wie ungeschickt und roh man Fuß vor Fuß sezt, und fürchtet, jedes Gehen verlernt zu haben und das rechte Gehen nie zu lernen. Und plößlich wiederum merkt man, daß aus den künstlich eingeübten Bewegungen bereits wieder eine neue Ge wohnheit und zweite Natur geworden ist, und daß die alte Sicherheit und Kraft des Schrittes gestärkt und selbst mit einiger Grazie im Gefolge zurückkehrt: jetzt weiß man auch, wie schwer das Gehen ist, und darf sich über den rohen Empiriker oder über den elegant_sich gebärdenden Dilettanten des Gehens lustig machen. Unsere elegant" genannten Schriftsteller haben, wie ihr Stil beweist, nie gehen gelernt und an unseren Gymnasien lernt man, wie unsere Schriftsteller beweisen, nicht gehen. Mit der richtigen Gangart der Sprache aber beginnt die Bildung: welche, wenn sie nur richtig begonnen ist, st, nachher auch gegen jene eleganten"

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Schriftsteller eine physische Empfindung erzeugt, die man Efel" nennt.

Hier erkennen wir die verhängnisvollen Konsequenzen unseres jezigen Gymnasiums: dadurch, daß es nicht im Stande ist, die rechte und strenge Bildung, die vor allem Gehorsam und Gewöhnung ist, einzupflanzen, dadurch, daß es vielmehr besten Falls in der Erregung und Be fruchtung der wissenschaftlichen Triebe überhaupt zu einem Ziele kommt, erklärt sich jenes so häufig anzutreffende Bündnis der Gelehrsamkeit mit der Barbarei des Geschmacks, der Wissenschaft mit der Journalistik. Man kann heute in ungeheurer Allgemeinheit die Wahr nehmung machen, daß unsere Gelehrten von jener Bildungshöhe abgefallen und heruntergesunken sind, die das deutsche Wesen unter den Bemühungen Goethes, Schillers, Leffings und Winckelmanns erreicht hatte: ein Abfall, der sich eben in der gröblichen Art von Misverständnissen zeigt, denen jene Männer unter uns, bei den Litteraturhistorikern ebensowol als in jeder Geselligkeit, ja fast in jedem Gespräch unter Männern und Frauen, ausgesezt sind. Am meisten aber und am schmerzlichsten zeigt sich dieser Abfall gerade in der pädagogischen, auf das Gymnasium bezüglichen Litteratur. ,,Es kann bezeugt werden, daß der einzige Wert, den jene Männer für eine wahre Bildungsanstalt haben, während eines halben Jahrhunderts und länger nicht einmal ausgesprochen, geschweige denn anerkannt worden ist: der Wert jener Männer als der vorbereitenden Führer und Mystagogen der klassischen Bildung, an deren Hand allein der richtige Weg, der zum Altertum führt, gefunden werden kann. Jede sogenannte klassische Bildung hat nur einen gefunden und natürlichen Ausgangspunkt, die künstlerisch ernste und strenge Gewöhnung im Gebrauch der Muttersprache: für diese aber und für das Geheimnis der Form werden nur wenige von innen heraus, aus eigener Kraft zu dem rechten Pfade geleitet, während alle anderen jene großen Führer und Lehrmeister brauchen und sich ihrer Hut anvertrauen müffen. Es giebt aber gar keine klassische Bildung, die ohne diesen erschlossenen Sinn für die Form wachsen könnte! Hier, wo allmählich das unterscheidende Gefühl für die Form und für die Barbarei erwacht, regt sich zum ersten Male die Schwinge, die der rechten und einzigen Bildungsheimat, dem griechischen Altertum, zu trägt. Frei lich würden wir bei dem Versuche, uns jener unendlich fernen und mit diamantenen Wällen umschlossenen Burg des Hellenischen zu nahen, mit alleiniger Hilfe jener Schwinge nicht gerade weit kommen: sondern von neuem brauchen wir dieselben Führer, dieselben Lehrmeister, unsere deutschen Klassiker, um unter dem Flügelschlage ihrer antiken Bestrebungen selbst mit hinweggerissen zu werden dem Lande der Sehnsucht zu, nach Griechenland.

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Von diesem allein möglichen Verhältnisse zwischen unseren Klassikern und der klassischen Bildung ist freilich faum ein Laut in die altertümlichen Mauern des Gymnasiums gedrungen. Die Philologen sind vielmehr unverdrossen bemüht, auf eigene Hand ihren Homer und Sophokles an die jungen Seelen heranzubringen und nennen das Resultat ohne weiteres mit einem unbeanstandeten Euphemismus, klassische Bildung". Möge jeder an seinen Erfahrungen prüfen, was er von Homer und Sophokles, an der Hand jener unverdroffenen Lehrer, gehabt hat. Hier ist ein Bereich der allerhäufigsten und stärksten Täuschungen und der unabsicht lich verbreiteten Misverständnisse. Ich habe noch nie in dem deutschen Gymnasium auch nur eine Faser von dem vorgefunden, was sich wirklich klassische Bildung" nennen dürfte: und dies ist nicht verwunderlich,

wenn man bedenkt, wie sich das Gymnasium von den deutschen Klassikern und von der deutschen Sprachzucht_emanzipirt hat. Mit einem Sprung ins Blaue fommt niemand ins Altertum: und doch ist die ganze Art, wie man auf den Schulen mit antiken Schriftstellern verkehrt, das redliche Kommentiren und Paraphrafiren unserer philologischen Lehrer ein solcher Sprung ins Blaue.

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Das Gefühl für das klassisch-Hellenische ist nämlich ein so seltenes Resultat des angestrengtesten Bildungsfampfes und der künstlerischen Begabung, daß nur durch ein grobes Misverständnis das Gymnasium bereits den Anspruch erheben kann, dies Gefühl zu wecken. In welchem Alter? In einem Alter, das noch blind herumgezogen wird von den buntesten Neigungen des Tages, das noch keine Ahnung davon in sich trägt, daß jenes Gefühl für das Hellenische, wenn es einmal erwacht ist, sofort aggressiv wird und in einem unausgesetzten Kampfe gegen die angebliche Kultur der Gegenwart sich ausdrücken muß Für den jeßigen Gymnasiasten sind die Hellenen als Hellenen tot: ja er hat seine Freude am Homer, aber der Roman eines unserer neuesten Dichter fesselt ihn doch bei weitem stärker: ja, er verschluckt mit einigem Wolbehagen die griechische Tragödie und Komödie, aber so ein recht modernes Drama berührt ihn doch ganz anders. Ja, er ist, im Hinblick auf alle antiken Autoren, geneigt, ähnlich zu reden, wie der Kunstästhetiker Hermann Grimm. der einmal in einem gewundenen Aufsatz über die Venus von Milo fich endlich doch fragt: „Was ist mir diese Gestalt einer Göttin? Was nüßen mir die Gedanken, die fie in mir erwachen läßt? Orest und Oedipus, Iphigenie und Antigone, was haben sie gemein mit meinem Herzen?"

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Nein, meine Gymnasiasten, die Venus von Milo geht euch nichts an: aber eure Lehrer ebensowenig und das ist das Unglück, das ist das Geheimnis des jeßigen Gymnasiums. Wer wird euch zur Heimat der Bildung führen, wenn eure Führer blind sind und gar noch als Sehende sich ausgeben! Wer von euch wird zu einem währen Gefühl für den heiligen Eruft der Kunst kommen, wenn ihr mit Methode verwöhnt werdet, selbständig zu stottern, wo man euch lehren sollte, zu sprechen, selbständig zu ästhetisiren, wo man euch anleiten sollte, vor dem Kunstwerk andächtig zu sein, selbständig zu philosophiren, wo man euch zwingen sollte, auf große Denker zu hören; alles mit dem Resultat, daß ihr dem Altertum ewig fern bleibt und Diener des Tages werdet.

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„Das Heilsamste, was die jetzige Institution des Gymnasiums in sich birgt, liegt jedenfalls in dem Ernste, mit dem die lateinische und grichische Sprache durch eine ganze Reihe von Jahren hindurch behandelt wird: hier fernt man den Respekt vor einer regelrecht fixirten Sprache, vor Grammatik und Lexikon, hier weiß man noch, was ein Fehler ist und wird nicht jeden Augenblick durch den Anspruch infommodirt, daß auch grammatische und orthographische Grillen und Unarten, wie in dem deutschen Stil der Gegenwart, sich berechtigt fühlen. Wenn nur dieser Respekt vor der Sprache nicht so in der Luft hängen bliebe, gleichsam als eine theoretische Bürde, von der man sich bei seiner Muttersprache sofort wieder entlastet! Gewöhnlich pflegt vielmehr der lateinische oder griechische Lehrer selbst mit dieser Muttersprache wenig Umstände zu machen, er behandelt sie von vornherein als ein Bereich, auf dem man sich von der strengen Zucht des Lateinischen und des Griechischen wieder erholen darf, auf dem wieder die lässige Gemütlichkeit erlaubt ist, mit der der Deutsche alles Heimische zu behandeln pflegt. Jene herrlichen Uebungen, aus einer Sprache in die andere zu übersetzen, die auf das Heilsamste auch den künstlerischen Sinn für die eigene Sprache befruchten können, sind nach der Seite des Deutschen hin niemals mit der gebührenden kategori

schen Strenge und Würde durchgeführt worden, die hier, als bei einer undisziplinirten Sprache, vor allem not tut. Neuerdings verschwinden auch diese Uebungen immer mehr: man begnügt sich, die fremden klassischen Sprachen zu wiffen; man verschmäht es, sie zu können.

Hier wird die gelehrtenhafte Tendenz in der Auffaffung des Gymnasiums wieder sichtbar: ein Phänomen, welches auf die in früherer Zeit einmal ernst genommene Humanitätsbildung: als Ziel des Gymnasiums ein aufflärendes Licht wirft. Es war die Zeit unserer großen Dichter, d. h. jener wenigen wahrhaft gebildeten Deutschen, als von dem ausgezeichneten Friedrich August Wolf der neue, von Griechenland und Rom her durch jene Männer strömende klassische Geist auf das Gymnasium geleitet wurde; seinem kühnen Beginnen gelang es, ein neues Bild des Gymnasiums aufzustellen, das von jest ab nicht etwa nur eine Pflanzstätte der Wissenschaft, sondern vor allem die eigentliche Weihestätte für alle höhere und edlere Bildung werden sollte.

„Von den äußerlich dazu nötig erscheinenden Maßregeln sind sehr wesentliche mit dauerndem Erfolge auf die moderne Gestaltung des Gymnasiums übergegangen; nur ist gerade das wichtigste nicht gelungen: die Lehrer selbst mit diesem neuen Geiste zu weihen, — sodaß sich inzwischen das Ziel des Gymnasiums wieder bedeutend von jener durch Wolf angestrebten Humanitätsbildung entfernt hat. Vielmehr hat die alte, von Wolf selbst überwundene absolute Schäßung der Gelehrsamkeit und der gelehrten Bildung allmählich, nach mattem Kampfe, die Stelle des eingedrungenen Bildungsprinzips eingenommen und behauptet jest wieder, wenngleich nicht mit der früheren Offenheit, sondern maskirt und mit verhülltem Angesicht, ihre alleinige Berechtigung. Und daß es nicht gelingen wollte, das Gymnasium in den mächtigen Zug der klassischen Bildung zu bringen, lag in dem undeutschen, beinahe ausländischen oder kosmopolitischen Charakter dieser Bildungsbemühungen, in dem Glauben, daß es möglich sei, sich den heimischen Boden unter den Füßen fortzuziehen und dann doch noch feststehen zu können, in dem Wahne, daß man in die entfremdete hellenische Welt durch Verleugnung des deutschen, überhaupt des nationalen Geistes gleichsam direkt und ohne Brücken hineinspringen könne.

Freilich muß man verstehen, diesen deutschen Geist erst in seinen Verstecken, unter modischen Ueberkleidungen oder unter Trümmerhaufen, aufzusuchen, man muß ihn so lieben, um sich auch seiner verkümmerten Form nicht zu schämen, man muß vor allem sich hüten, ihn nicht mit dem zu verwechseln, was sich jetzt mit stolzer Gebärde als „deutsche Kultur der Jehtzeit" bezeichnet. Mit dieser ist vielmehr jener Geist innerlich verfeindet und gerade in den Sphären, über deren Mangel an Kultur jene Jektzeit" zu klagen pflegt, hat sich oftmals gerade jener echte deutsche Geist, wenngleich nicht in anmutender Form und unter rohen Aeußerlichkeiten, erhalten. Was dagegen sich jetzt mit besonderem Dünkel,,deutsche Kultur" nennt, ist ein kosmopolitisches Aggregat, das sich zum deutschen Geiste verhält, wie der Journalist zu Schiller, wie Meyerbeer zu Beethoven: hier übt den stärksten Einfluß die im tiefsten Fundamente ungermanische Zivilisation der Franzosen, die talentlos und mit unsicherstem Geschmack nachgeahmt wird und der deutschen Gesellschaft und Presse, Kunst und Stilistik in dieser Nachahmung eine gleißnerische Form giebt. Freilich bringt es diese Kopie nirgends zu einer so fünstlerisch abgeschlossenen Wirkung, wie jene originale, aus dem Wesen des Romanischen hervorgewachsene Zivilisation fast bis auf unsere Tage sie in Frankreich hervorbringt. Um diesen Gegensat nachzuempfinden, vergleiche man unsere namhaftesten

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deutschen Romanschreiber mit jedem auch weniger namhaften französischen oder italienischen: auf beiden Seiten dieselben zweifelhaften Tendenzen und Ziele, dieselben noch zweifelhafteren Mittel, aber dort mit künstlerischem Ernst, mindestens mit sprachlicher Korrektheit, oft mit Schönheit verbunden, überall der Wiederklang einer entsprechenden gesellschaftlichen Kultur, hier alles unoriginal, schlotterig, im Hausrocke des Gedanfens und des Ausdrucks oder unangenehm gespreizt, dazu ohne jeden Hintergrund einer wirklichen gesellschaftlichen Form, höchstens durch gelehrte Manieren und Kenntnisse daran erinnernd, daß in Deutschland der verdorbene Gelehrte, in den romanischen Ländern der künstlerisch gebildete Mensch zum Litteraten wird. Mit dieser angeblich deutschen, im Grunde unoriginalen Kultur darf der Deutsche sich nirgends Siege versprechen: in ihr beschämt ihn der Franzose und der Italiener und, was die geschickte Nachahmung einer fremden Kultur betrifft, vor allem der Ruffe.

Um so fester halten wir an dem deutschen Geiste fest, der sich in der deutschen Reformation und in der deutschen Musik offenbart hat und der in der ungeheuren Tapferfeit und Strenge der deutschen Philosophie und in der neuerdings erprobten Treue des deutschen Soldaten jene nachhaltige, allem Scheine abgeneigte Kraft bewiesen hat, von der wir auch einen Sieg über jene modische Pseudokultur der Jetzeit" erwarten dürfen. In diesen Kampf die wahre Bildungsschule hineinzuziehen und besonders im Gymnasium die heranwachsende neue Generation für das zu entzünden, was wahrhaft deutsch ist, ist die von uns gehoffte Zukunftstätigkeit der Schule: in welcher auch endlich die sogenannte „klassische Bildung" wieder ihren natürlichen Boden und ihren einzigen Ausgangspunkt erhalten wird. Eine wahre Erneuerung und Reinigung des Gymnasiums wird nur aus einer tiefen und gewaltigen Erneuerung und Reinigung des deutschen Geistes hervorgehn. Sehr geheimnisvoll und schwer zu erfaffen ist das Band, welches wirklich zwischen dem innersten deutschen Wesen und dem griechischen Genius sich knüpft. Bevor aber nicht das edelste Bedürfnis des echten deutschen Geistes nach der Hand dieses griechischen Genius wie nach einer festen Stüße im Strome der Barbarei hascht, bevor aus diesem deutschen Geiste nicht eine verzehrende Sehnsucht nach den Griechen hervorbricht, bevor nicht die mühsam errungene Fernsicht in die griechische Heimat, an der Goethe und Schiller sich erlabten, zur Wallfahrtsstätte der besten und begabtesten Menschen geworden ist, wird das klaffische Bildungsziel des Gymnasiums haltlos in der Luft hin- und herflattern: und diejenigen werden wenigstens nicht zu tadeln sein, welche eine noch so beschränkte Wissenschaftlichkeit und Gelehrsamkeit im Gymnasium heranziehen wollen, um doch ein wirkliches, festes und immerhin ideales Ziel im Auge zu haben und ihre Schüler vor den Verführungen jenes glitzernden Fantoms zu retten, das sich jest „Kultur" und Bildung" nennen läßt. Das ist die traurige Lage des jeßigen Gymnafiums: die beschränktesten Standpunkte find gewiffer maßen im Recht, weil niemand im Stande ist, den Ort zu erreichen oder wenigstens zu bezeichnen, wo alle diese Standpunkte zum Unrecht werden."

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„Niemand?" fragte der Schüler den Philosophen mit einer gewissen Rührung in der Stimme: und beide verstummten. (Fortseßung folgt.)

Friedrich Bebbel und die Samilie Rousseau. (Ungedruckte Briefe.)

Herausgegeben von Fritz Lemmermayer.

VIII.

Paris den 17. August 1:44 Dies Mal, meine verehrteste Freundin, erhalten Sie denn einen wahren Geschäfts-Brief, wegen deßen ich Sie gleich im Anfang um Berzeihung bitte. Ich übersende Ihnen Hiebei zur gütigen Behändigung an Ihren Herrn Vater die mir von der Erlanger Facultät vorgelegten Fragen und eine Anweisung zum Belauf von 100 Gulden auf Hoffmann & Campe in Hamburg. Ueber lettere zuerst ein Wort. Ich konnte mir wohl denken, daß die Zögerung der Zahlung dieses Geldes einen bestimmten Grund haben müße und erhielt hierüber noch an demselben Tage, wo ich Ihrem Herrn Vater zum lezten Mal geschrieben hatte, Auskunft von Campe. Er schrieb mir, Campe❘ in Nürnberg seh zwar sein Bruder (ich wußte dies gar nicht) aber er stehe seit länger als 20 Jahren in keiner Verbindung mehr mit ihm und könne deshalb auf ihn kein Geld anweisen, seh jedoch erbötig, eine von mir auf ihn ausgestellte Anweisung, die sich, wie er wiße (ich weiß es nicht und kann es nicht wißen) in Ansbach ohne Schwirigkeiten ausgeben laße, augenblicklich zu zahlen. Er segte mir sogar das Familien-Geheimniß auseinander und ich kann wohl begreifen, daß er nach einem solchen Zwiespalt mit seinem Bruder Nichts mehr zu thun haben mag; eben so schickte er mir eine Berechnung, wie viel 100 Gulden in Preuß. Cour. ausmachten. In der Hoffnung nun, daß mein geschäftskundiger Verleger, der in folchen Dingen gründlicher unterrichtet ist, als ich unseliger Poet, sich hinsichtlich der Leichtigkeit, in Ansbach eine Anweisung auf Hamburg auszugeben, nicht täusche, habe ich eine solche beigeschlossen. Sie haben meine Antwort wahrscheinlich schon einige Tage früher erwartet, als sie bei Ihnen eintreffen wird; ich hätte Ihnen jedenfalls umgehend geschrieben, wenn ich nicht durch eine unaufschiebliche Arbeit in Anspruch genommen gewesen wäre. Campe hat den Druck meiner Maria Magdalena so sehr beschleunigt, daß er fast schon zu Ende ist und verlangte nun die Dedication an den König von Dänemark; ich hatte, da ich die lezte Zeit sehr von Kopfweh geplagt war, fie liegen laßen und mußte sie meinem dumpfen Kopf nur mit Gewalt abdringen und das hat mir mehrere Tage weggenommen. Gestern habe ich die Dedication abgesandt, heute bin ich an die Beantwortung der Fragen gegangen und ich denke sie noch mit der Nachmittagspost schicken zu können Aus Ihrem leßten Brief schließe ich, daß diese Angelegenheit dann bis zum Frühling wird hinstehen können, ohne sich darum zu zerschlagen, und daß die Facultät mir den Titel eines Doctors der Philosophie, den ja allerdings heut zu Tage auch noch außer den sieben Weisen Griechenlands einige Leute führen, auch noch im nächsten Jahr bewilligen wird, denn, wenn das Gegentheil der Fall wäre, so hätte Ihr Herr Vater es mir gewiß zu wißen gethan. Glauben Sie mir, daß die Mühe, die ich Ihnen Beiden in dieser Sache verursache, sehr peinliche Gefühle in mir erwekt und daß ich mir fast unverschämt vorkomme. Es war mir ordentlich schmerzlich, daß ich, als ich das legte Mal an Ihren Herrn Vater schrieb, wegen äußersten Zeit-Mangels nicht wenigstens einige Zeilen des Dank's, für die aufopfernde Freundlichkeit, womit sie meinen Wünschen für Italien entgegen gekommen waren, beischließen konnte. Ich danke Ihnen denn jezt, obgleich ich auf einem Papier, worauf schon Facultätsfragen und Preußisches Courant besprochen sind, die zarten Angelegenheiten des Geistes und der Seele kaum erwähnen mag Wenn ich bedenke, wie wiel Güte und Liebe Sie und Ihre ganze verehrte Familie einem Menschen, den sie gar nicht kennen und der Ihnen zu seinem großen Schmerz auch gar Nichts feyn kann, da ihn wenigstens bis jezt die Verhältniße nicht so weit begünstigt haben, Ihnen auch nur die allergeringste Gefälligkeit erzeigen zu können, schon erwiesen haben und nicht aufhören, zu erweisen, so erfaßt mich tiefe Rührung und ich sehe hierin einen Erfaß für Manches, was mir nicht ganz mit Recht auferlegt worden ist und fortwährend auferlegt wird. Es ist jetzt meine Absicht, gegen Ende August, spätestens, wenn nicht ganz besondere

Hinderniße eintreten, am 1. Sept. Paris zu verlaßen und dann direct nach Rom zu gehen. Meinen Aufenthalt in Frankreichs Hauptstadt würde ich gern noch verlängern, aber ich kann nicht, denn wenn noch Geld für die Reise nach Italien übrig bleiben soll, so muß ich mich endlich auf den Weg machen Längst wäre ich fort, wenn die Berliner mich nicht so lange mit falschen Vorspiegelungen hingehalten hätten, denn dann hätte ich das Stück gleich im Frühling drucken laßen, ich hätte es, während nun Alles in der äußersten Eile gehen muß, bequem nach Copenhagen schicken und dann weiter Reisen können. Doch, wozu ein Lied aus Aber und Wenn! Die Post geht sogleich, für eine eigeutliche Beantwortung Ihres lieben Briefs vom July halten Sie diese nicht, wird sie später von Italien oder Deutschland aus erfolgen. Ein großes Gedicht: Thorwaldsen habe ich neulich im Telegraphen erscheinen laßen, vielleicht kommt es Ihnen zu Gesicht. Campe meint, es werde mich in Rom bei der Künstlerwelt sehr gut introducieren, es ist möglich. Für Rom hat Campe mir eine Adreße gegeben, wohin ich, wie er meint, meine Briefe am besten adreßieren laße, da dies seit 50 Jahren alle Deutsche thun: Cafe del Greco. Ich muß schließen, die Zeit | drängt. Noch einmal die Bitte um Entschuldigung wegen dieses Geschäftsbriefs! Mit den herzlichsten Grüßen und Empfehlungen an Ihre verehrten Eltern & Geschwister

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Ich fühle die ganze Schuld eines so langen Stillschweigens, wie das meinige war, glauben Sie es mir. Seit meiner Abreise aus Paris haben Sie keine Zeile mehr von mir empfangen. Verzeihen. Sie! Ich konnte mich nicht entschließen, an Sie oder Ihren Herrn Vater zu schreiben, ohne meiner Verpflichtung gegen letteren zu genügen, und dazu war ich nicht im Stande, ohne ein kostbares Manuscript, das ich wenigstens nie zum zweiten Mal besigen werde, zu verschleudern. Daher mein Zögern. Jezt kann ich Ihnen freilich nur ein trockenes Inhalts-Verzeichniß der letzten anderthalb Jahre schicken, statt Sie an dem Inhalt selbst Theil nehmen zu lassen. Wer kann Weintrauben malen, die er schon gegessen hat? Auch ist meine Gegenwart jest so gewichtig, daß ich auf die Vergangenheit, selbst auf die nächte, nur einen flüchtigen Rückblick werfen kann. Also in aller Kürze: ich war etwa 9 Monate in Rom und 6 in Neapel, in Rom krank, in Neapel gesund. Meine italiänischen Eindrücke habe ich in einen Band von Epigrammen und anderen Gedichten, die ich erst in einiger Zeit erscheinen zu lassen beabsichtige, niedergelegt Es werden sich meine besten Sachen darin finden, und ich muß mein: Freunde darauf verweisen. Ihnen werden sie schon aus dem Grunde größere Befriedigung, wie manches Frühere von mir gewähren, weil sie hellere Stimmungen ausdrücken. Ich glaube, Jonas, der Prophet, hat sich zulegt an den Wallfisch-Bauch gewöhnt und es sich bequem darin gemacht; wie sollte man sich nicht auch nach und nach an die Welt gewöhnen!

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Im Oktober verließ ich Rom und kam über Ancona und Triest nach Wien. In Wien wollte ich nur 14 Tage bleiben, sie waren verstrichen und ich stand im Begriff, abzureisen, als ich auf die merkwürdigste Weise festgehalten wurde, und zwar auf dem Wege zur Post, wo ich einen Plaz nehmen wollte. Herr von Zerboni di Sposetti, Gutsbesißer ans Gallizien, hatte die Judith gelesen und wünschte, den Verfasser zu sehen; ich lernte in ihm einen vortrefflichen Mann und glühenden Enthusiasten für mich kennen und ließ mich leicht überreden, noch einige Zeit in Wien zu verweilen. Icht wurde ich in kürzester Frist das, was man den Lion der Saison nennt, alle Kreise der Literatur, wie der Gesellschaft berührten sich um mich, die Journale wurden nicht müde, von mir zu sprechen, genug, mir wurde viel Champagner vorgeseßt und ich fürchte fast, daß ich im Anfang ein klein wenig betrunken geworden bin. In der Concordia, einem literarischen Verein, in den ich eingeführt ward, sagte mir ein hiesiger Dichter*), daß Fräulein Enghaus, erste Schauspielerin am f. f. Hof-Burgtheater, sich seit Jahren Mühe gebe, meine Judith auf die Bühne zu bringen, und erbot sich, mich ihr vorzustellen. Ich sah fie, und schon beim vierten Sehen verlobten wir uns mit einander.

Hiermit ist Alles gesagt. Was meine Braut als Künstlerin bedeutet, wiffen Sie vielleicht und ich wünschte Ihnen den Genuß, sie einmal in einer ihrer großen Rollen zu sehen. Ich selbst habe nie einen mächtigeren Eindruck im Theater erfahren, als von ihrer Chriemhild in Raupachs Niebelungenhort, so über alles Maaß elend das Machwerk an sich auch ist. Sie werden es mir zutrauen, daß ich nicht mit den Augen des Liebhabers, sondern des Dichters sah. Aber das kommt gar nicht in Betracht gegen ihren menschlichen Werth. Sie war schon sehr unglücklich und ist unendlich schwer geprüft worden, aber, so lange die Welt steht, haben wohl nur Wenige einen solchen Seelenadel, ein so reines edles Herz aus einem Flammenbad, wie das ihrige, gerettet Ich glaube nicht, daß ihr Jemand in's Auge sehen kann, ohne sie zu lieben, die Güte ihres Wesens ist unwiderstehlich. Könnte ich Ihnen nur ihr Bild schicken! Aber so oft sie schon lithographirt wurde: auch nicht als Schatten-Riß kann ich ein's dieser Portraits anerkennen! Ich liebe sie, wie ich noch nie geliebt habe und werde eben so von ihr geliebt. Ein Tag bringt mir jezt mehr Glück, wie ehemals ein ganzes Jahr Sie ist lebenslänglich mit 5000 Gulden C. M beim Hofburgtheater engagirt, ihre Stellung erlaubt uns daher, uns zu heiraten, sobald wir wollen und es wird in wenigen Monaten geschchen. Auch ich selbst habe die ausgezeichnetsten Aussichten. Alles was Dumpfheit und Bosheit mir in den Weg legte, ist beseitigt, ich finde in Bezug auf mich ein ganz anderes Deutschland vor, als ich vor drei Jahren verließ, die Nation fängt an, den tiefen sittlichen Gehalt meiner Produktionen zu ahnen. Die M. M., die man unmoralisch zu nennen den Muth❘ hatte, während sie die echte Moral gerade aus ihrer dicken unmoralischen Kruste herausschälen will, ist von der Kritik mit Enthusiasmus aufgenommen worden, man hat sie in Gotha, Oldenburg, Königsberg schon gespielt, die ersten Schauspieler in Berlin geben sie jezt auf eigene Hand auf einem Privattheater, und ohne Zweifel wird eine öffentliche Aufführung bald folgen. Man kann mich nicht länger ablehnen, es geht nicht; selbst hier, wo ganz andere Hindernisse zu besiegen sind, werden meine Werke Bresche schießen. Das ist mir, weniger meinet- als der Sache selbst wegen, lieb, denn für die Kunst giebt es nur noch Rettung auf dem Wege, den ich einschlug, jeder andere geht im Ring herum.

Gestern Abend empfing ich durch meinen Freund Gurlitt aus Rom den kleinen schriftlichen Gruß, den Sie für mich durch Prof. Canstadt bestimmt hatten Es rührt mich, daß Sie und die lieben Ihrigen meiner trog meines so langen Stillschweigens noch freundlich gedacht haben und ich fühle mich in meinem Gewissen wieder beruhigt; in meinem Gefühl, hätte ich sagen sollen, denn für das Gewissen bleibt Sünde Sünde und, die verziehen, schmerzt zuweilen doppelt.

Jezt bin ich mit einer neuen Tragödie Julia beschäftigt, worin wieder eine schwere sociale Collision dargestellt werden wird. Jedoch rückt die Arbeit nur langsam vorwärts und ich verwende von der wenigen Zeit, die ich meinem Herzen abdringen kann, die meiste auf möglichste

*) Otto Prechiler.

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Hochwohlgeborner Herr Regierungsrath.

Hochzuverehrender Herr!

Um Ihrer Verzeihung für die späte Beantwortung Ihrer geehrten' Zuschrift vom 2. May, die mir jedoch erst den 11. zu Händen kam sicherer zu seyn, gebe ich mir vor Allem die Ehre, Ihnen meine am 26. d. M vollzogene eheliche Verbindung mit Fräulein Enghaus anzuzeigen. Da ich natürlich nicht vorbereitet war, indem ich bei meiner Abreise nach Frankreich nicht daran denken konnte, daß ich mich auf dem Rückweg verheirathen würde, so hatte ich mit dem Herbeischaffen von Papieren so viel zu thun, daß ich kaum noch Meister meiner Gedanken, nicht aber meiner Stimmung, und noch weniger meiner Zeit blieb. So lebhaft ich also auch von dem Inhalt Ihres werthen Briefs gerührt wurde, und so sehr mich mein Herz drängte, Ihnen meine Gefühle sogleich auszudrücken, so war es mir doch, da ich nun einmal Nichts, was mit dem Gemüth zusammen hängt, wie ein Geschäft abthun kann, unmöglich, früher, als jekt, dazu zu kommen Sey Ihnen ein verspäteter Dank darum nicht minder werth! Sie haben feurige Kohlen auf meinem Haupt gesammelt, indem Sie, statt mein ungebührlich langes Stillschweigen übel zu nehmen, in neuer Bethätigung Ihres väterlich-freundschaftlichen Wohlwollens mir mit höchster Zuvorkommenheit mein DoctorDiplom, das mir jest sogar besonders zu Statten tam, besorgten. Den Wechsel, der mir von dem Handlungshause Stameß-Mayer präsentirt wurde, habe ich gleich bezahlt; ich werde mich Ihnen aber für mein ganzes Leben für Ihre Hülfe in einer entscheidenden Crisis zu ewigem Dank verpflichtet fühlen, denn ohne Ihr edelmüthiges Darlehn hätte ich nicht nach Copenhagen gehen können, und an diese erste Reise haben sich alle übrigen geknüpft. Es ist ein wahrer Schmerz für mich, das mein unvergeßlicher Freund, Ihr vortrefflicher Sohn, mich nur zu einer Zeit gekannt hat, wo ich, mitten im Entwicklungsprozeß begriffen und mich weit mehr dem völligen Verzweifeln an mir se.bst, als dem Vertrauen auf die Zukunft und der Hoffnung auf endliche Lösung zuneigend, kaum wohlthätig auf irgend eine tiefere Menschen-Natur einwirken konnte. Wie ganz anders ist es jezt um mich bestellt! Nicht zwar, daß in dem Sinn von Glück und Versöhnung bei mir die Rede seyn könnte, worin die meisten Menschen ihrer genießen; aber ich habe doch endlich auch das Schiff, worauf ich fahre, betrachten gelernt, statt des Oceans, der es trägt. Und gewig bin ich jest so glücklich geworden, als ich seyn kann. Meine Frau ist die edelste Seele von der Welt, und wie sie die Verwirrungen meiner Lebenslage, so habe ich die der ihrigen gelöst. Ich liebe sie unendlich, und was ist Höheres auf Erden zu finden, als ein Wesen, das alle im Frren schweifenden Wünsche magnetisch an sich fesselt? Wo sich zwei Menschen umarmen, da bilden sie einen Kreiß!

Erhalten Sie mir Ihr Wohlwollen, genehmigen Sie von mir und meiner Frau die herzlichsten Empfehlungen an Sie, Ihre ge= ehrte Frau Gemahlin und Ihre ganze Familie, und erlauben Sie den Beischluß eines Blattes und einer Lithografie für Ihr Fräulein Tochter.

Mit der vollkommensten Hochachtung

Ew. Hochwohlgeboren

ewig ergebenster

Fr. Hebbel.

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