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einmal ein großer Schauspieler gewesen, gut; aber aufs Gewesene giebt der Jude nichts. Und ich bin wol ganz dumm: aber ich kann mir nicht vorstellen, daß er es je gewesen ist. Nie kann durch den geschmackvollen Schmerz dieses Wieners ein Mensch erschüttert worden sein. Nie kann dieser parfümirte Konservenmensch an einer Secle gerüttelt haben. Von Frauen mag er emporgetragen worden sein, die fich von seinem hilflosen Blick entzücken ließen und von seinem sympathischen Wesen. Ich machte mir wieder meine eigenen Gedanken über die Beschaffenheit europäischer Berühmtheiten, als ich fah, wie dieser Gepriesene hinter einem mittleren Talent des berliner Residenztheaters zurückstand; das mittlere Talent spielte den Redakteur Haustad und war dem Gast gewiß nicht an Begabung, aber ficher in der Gesamtleistung überlegen; denn die Leistung dieses Kleinen war ehrlich und einfach und überzeugend. Das sich Herr Sonnenthal als Advokat Scarli Rittner zum Partner wählte, war gar eine vollendete Unklugheit. Denn hier trat der Unterschied der zwei Generationen peinlich zu Tage. Und in dem Ibsenschen Schauspiel wagte es Herr Sonnenthal aufzutreten, ohne auch nur seine Rolle zu können! Der Doyen schwamm! Der Souffleur schrie fich heiser! In diesem Zuge zeigte sich jene Verwegenheit, die der Gast leider in der Rolle selbst nicht zum Ausdruck brachte. Das alles, meine Herren, muß doch festgestellt werden, nicht wahr? Reden Sie um Gotteswillen nicht von verlegter Pietät, sonst rede ich von Ihrer infamen Leisetreterei. Nach allem muß ich, nachdem ich den großen Sonnenthal wieder gesehen und wieder mit seinem Ruf verglichen habe, ausrufen, was Sophokles erstaunt rief: yngáczw àrì nollà διδασκόμενος, ich werde alt, indem ich immer neues lerne! Alfred Kerr. Am 3. April feierte Emil Rittershaus seinen sechzigsten Geburtstag. Bei aller Formvollendung und Grazie, bei frisch froher Stimmung und reicher Lebensweisheit haften seiner Lyrik die Mängel an, welche Rittershaus mit seiner ganzen Generation gemein hat: seine Lyrik schwebt in der Luft. Es fehlt ihr der feste tragende Boden Sie ist verhältnismäßig schneller gealtert als ihr Sänger. —

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In Mailand wird anfangs Mai eine große Zeitungsausstellung eröffnet Entwicklung und Leistungen des gesamten Zeitungswesens, der Einfluß der Presse und ihre technischen Mittel sollen in charakte riftischer Weise zur Darstellung gelangen. Zugleich wird in Antwerpen der zweite internationale Kongreß der Presse stattfinden. Der erste fand im vorigen Jahr zu London statt und hieß deswegen international, weil außer den Engländern nur die Franzosen namhaft vertreten waren. Bekanntlich wurde bei dieser Gelegenheit Emil Zola zum Empereur des Lettres ernannt. Wenn ich sage „bcfanntlich", jo meine ich damit, daß es allen bekannt ist, außer den offiziellen Vertretern der deutschen Presse. Denn diese weiß so wenig davon, daß fie durch den Vorstand des Vereins Berliner Preffe" den antwerpener Kongreß als den ersten" internationalen Kongres der Presse erklären läßt, zugleich aber auch ihre starken Zweifel ausspricht, ob die deutsche Presse zum Begriff des Internationalismus gehört, gewissermaßen in den Rahmen des modernen Europäertums, Soweit es sich in der Presse ausdrückt, hineinpaßt. Die Bescheidenheit ist rührend

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Neue Bühnenerscheinungen. Boed, Christofer: Moderne Häuslichkeit. Lustspiel in 4 Atten. Erfolgreich aufgeführt, Stadttheater Altona.

Carro, Karl von und Kuschar, K. (Julius Röven): Der Garg'scheidte. Volksstück. Zur Aufführung angenommen, Schlierseer Bauerntheater.

Echegaray, José: La Rencorosa (Die Grollende). Drama in 3 Atten. Durchgefallen und ausgezischt. Theater Madrid.

Greing, Rudolf Heinrich: Der goldene Boden. Volksst. in 3 Aften. Erfolgreich aufgef., München, Theater am Gärtnerplag. Kirstein, Paul A.: Zerstörtes Glück. Angenommen Residenztheater, Berlin.

Neuert, Hans und Husterer, J. G.: Der Herr Expositus. Volksstück in 4 Aften. Angenommen Raimundtheater, Wien.

Unser Christiania-Korrespondent schreibt uns:

Wir hatten am 29. März eine Doppelpremière im ChristianiaTheater. Es wurde gegeben: „Vanitas", ein morgenländisches Stück in 1. Aft von Wilhelm Krag. Da der Dichter das Stücklein im 21 Lebensjahre geschrieben hat und damit als Dramatiker debütirte, fonnte es in feiner Beziehung reif sein; es ist eine Reihe von Vortragsnummern in lyrisch durchtränkter Prosa, welche in einer halben Stunde Eelfazar urd Sardanapal (das tekel des ersten, den freiwilligen Flammentod des zweiten) vorführen. Der Aft spielt im Palaste eines Königs von Persien. Er gab Anlaß zu schöner Ausstattung à la Rochegroffe, wurde aber ungenügend gespielt. Nicht viel Erfolg; aber mit besseren Kräften befest, müßte das Stück zweifellos Stimmung machen.

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Darauf: Die selige Frau Baronin", Schauspiel in drei Aufzügen von Graf Birger Mörner, aus dem Schwedischen von Knut Hamsun übertragen. Das Stück ist nur in norwegischer Sprache erschienen (bei Aschehoug & Co., Christiania) und war bisher noch nicht aufgeführt. Es ist übrigens mehr ein Entwurf als ein fertiges Stüd. Die drei Akte spielen nur eine Stunde. Die selige Frau Baronin ist keine tote, sondern eine geisteskranke Dame, welche zehn Jahre in einem Irrenhause gewesen und unlängst für unheilbar erklärt wurde. Der Gatte, welcher sie sehr geliebt hatte, heiratete eine Freundin seiner ersten Gattin, Vera. Die Ehe ist glücklich, obschon die Erinnerung an Agnes zuweilen Schatten über das Leben der zwei zu werfen droht.

Aber gegen alle ärztliche Berechnung wird Frau Agnes wieder gesund und kehrt zum Schloffe zurück, ohne etwas von dem Geschehenen zu ahnen. Es kommt zu den peinlichsten Szenen, und bald bricht ihr Wahnsinn wieder aus. Die Haltung des ehemaligen Gatton und seiner Frau ist übrigens ritterlich und zärtlich.

Das Stüd ist furchtbar unfertig und unwahrscheinlich, übte aber desungeachtet eine nicht geringe Wirkung aus, besonders im legten Afte. Die Titelrolle bietet eine recht dankbare Aufgabe. Die beiden Frauen und der Gatte erinnern an Hjördis, Dagny und Sigurd in Ibsens Nordische Heerfahrt.“

Der Verfasser ist übrigens in erster Linie Lyriker gewesen; lange wußte er nicht genau. ob er Maler Bildhauer, Kunsthistoriker, Zoolog oder Offizier werden sollte; er hat jezt als Dramatiker geendet. H. H.

Freie litterarische Gesellschaft zu Berlin.

Der lezte Vortragsabend des verflossenen Wintersemesters, Freitag, den 30. März, im Saale der Sing-Akademie, muß zu den glänzendsten Abenden der „Freien litterarischen Gesellschaft“ gezählt werden und gestaltete sich sowol durch das Dargebotene als auch durch die Persönlichkeit des Vortragenden zu einem künstlerischen Ereignis.

Herr Josef Kainz war es, der allein die deklamatorische Interpretation sämtlicher Stücke übernommen hatte, und der dichts gefüllte Saal zeigte, daß man das Höchste erwartete. Auf Poes seltsam-fantastisches, mystisches „Schweigen“, durch Josef Kainz selbst meisterlich verdeutscht, folgte ein entzückendes Märchen von Annie Bock: „Der Auserwählte." Dieser Auserwählte ist ein fleiner blauer Vogel, der wegen seines eigenartigen Aussehens von seinen Genossen verhöhnt, verfolgt und zu Tode gemartert wird, und dessen wahren Wert man erst nach seinem Tode erkennt, als sein herrlicher Gesang Gemeingut des ganzen Waldes geworden ist. Von den in Versform gehaltenen Stücken: Goethes Erlkönig“, Hans Hopfens „Sendlinger Bauern schlacht“, Vischers „tra. gischer Geschichte von einer Zigarrenschachtel" und Roleggers Disputirer" schienen uns die beiden lezten am stärksten zu wirken, das Gedicht Vischers durch seinen eigentümlichen, tiefwühlens Gedankengang, Roseggers Disputirer" durch seinen liebenswürdigen, frischen Humor. War es hier der steirische Dialekt, der die Wirkung erhöhte, so kam in einigen kleineren Stielerschen Gedichten die oberbayrische Mundart mit ihrer urwüchsigen Gutmütigkeit zur Geltung. Eigentümlich war der Vortrag des Erlkönigs: Kainz sprach ihn als rauschenden Naturlaut des Waldes. Das kann nur Kainz.

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Das Publikum lauschte atemlos dem wundervollen, jeder Modulation fähigen Organ des Vortragenden und dankte ihm durch nicht endenwollenden Beifall, sodaß Herr Kainz noch ein prächtiges Stielersches Gedicht aus dem Stegreif zugab. M. H.

Wegen Raummangels muß die musikalische Chronik, die Chronik der bildenden Künfte und die Litteraturtafel ausfallen.

Verlag von Leopold Voß in Hamburg.

Soeben erschienen:

Das deutsche Drama

in den

litterarischen Bewegungen

der Gegenwart.

Vorlesungen, gehalten an der
Universität Bonn

von

Berthold Tikmann, Professor der neueren deutschen Litteraturgeschichte.

Preis brosch. M. 4.—; geb. M. 5.

Schiller

in seinem Verhältnis

ur

Freundschaft und Liebe

sowie

in seinem inneren Verhältnis zu

Goethe.

Von

Gustav Portig.

Preis bro cb. M. 16,-; geb. M. 18.

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ROMA

beginnt soeben mit Heft 27. ihren zweiten Band.
Freis des Bochenheftes 25 Pfennig..

In Vollbeften (je 4 Wochenhefte enthaltend) zu & Mark.
Abonnements, nehmen alle Buchhandlungen und Poßkanstalten an.
Der erste Band (Heft 1-26) der Romanwelt, enthaltend die
vollständigen Romane,,Es, war" von H. Sudermann,
Schwester-Scele" von E. v. Wildenbruch,,Mein Bruder
Ives" von P. Latí, „Die Könige von A. Lemaitre und
die Anfänge der Romane Himmels" von
„Stummend
F. Spielhagen und Der Kricgsforrespondent" von
W. W. Wereschagin ist zum Preise von 6 M. 50 Pf. geheftet,
8 M. 50 Pf. elegant gebunden durch alle Buchhandlungen zu beziehen.
Verlag der J. 6. Cotta'schen Buchhandlung Nachf. in Stuttgart.

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Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart, Berlin, Leipzig.

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weites Buch.
Berg- nud Gletscherfahrten.

Die Oekthaler und Stubaier Eiswelt. R

Matterhorn und hi Von Tizza zum Montblanc. - Matterhorn und, Dom St.mou Monte Rosa. — Im Herzen des Alpenlandes. Gotthard zum Stilfferjoch. Ortler und Etschland. Das Billerthal und die Bohen Tauern. Algäu und Bayerisches koch. Land. Das Salzkammergut. Das steierische, Boche ist land. Die Dolomit Alpen. Die Grotten des Karst. 02 qu en

Alpine Wissenschaft und

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Verantw. Otto Neumann Hofer, Berlin-Charlottenburg. Verlag der Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Berlin und Stuttgart. Gedruckt von der Buch. drucketet im Buchhändlerhaus (früber: R. Gensch), Berlin W., Mauerstraße 80 u. Wilhelmstraße 47, Aufgang C. Ez pedition: Sriedrichfir. 207, Berlin SW.

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für Sitteratur.

Herausgegeben von Otto Reumann. Hoofer.

Redaktion: Berlin Charlottenburg II, Farmerstraße 10.

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Expedition: Berlin SW., Sriedrichstraße 207.

Union

Deutsche Verlags.Gesellschaft Berlin u. Stuttgart.

Preis 4 Mart vierteljährlich. Bestellungen werden von jeder Buchhandlung, jedem Poftamt (Nr. 3589 vom Verlage des magazin" entgegengenommen. Anzeigen 40 Pfg. die dreigespaltene Petitzeile. Preis der Einzelnummer: 40 Pfg. &

Berlin, den 14. April 1894.

གླིང་

Nr. 15.

Auszugsweiser Nachdruck sämtlicher Artikel, außer den novellistischen und dramatischen, unter genauer Quellenangabe gestattet. Unbefugter Machdruck wird auf Grund der Gesetze und Verträge verfolgt.

Inhalt:

Litteratur, Bissenschaft und öffentliches Leben.
Ernst Beilborn: Friedrich Wilhelm Weber. Sp. 449.
Sriedrich Nietzsche: Ueber die Zukunft unserer Bildungsan-
stalten. Fünfter Vortrag. Schluß. Sp. 452.
August Strindberg: Aus Italien. IV. Sp. 455.
Theodor Ebner: Ein schwäbischer Dichter. Sp. 458.
Ludwig Sulda: Sinngedichte. Sp. 464.

Karl Buffe: Die häßliche Wikta. Schluß. Sp. 465.
Cäsar Slaischlen: Eine Zuschrift. Sp. 475.
Litterarische Chronit. Sp. 476.

Freie litterarische` Vereinigungen zu Stettin und
Elberfeld-Barmen.

Friedrich Wilhelm Weber.

Von

Ernst Hellborn.

Ein einfamer, stiller Mann ist gestorben. Einer, der fich fast sein ganzes Leben hindurch vom Hasten der Groß städte fern gehalten, der von allem litterarischen Treiben feitab gestanden und der doch zeitlebens nach der stilleren Stille des Grabes Sehnsucht getragen hat Friedrich Wilhelm Weber.

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Inmitten der Waldungen Westfalens liegt einsam und still das Kloster Dreizehnlinden. Einen totwunden, gebannten heidnischen Sachsen nehmen die frommen Mönche in ihre Abtei auf. Sie pflegen ihn und er gesundet. Im Kloster Dreizehnlinden findet er den Frieden, den er, der Berleumdete und Geheßte in der Welt vergebens ge sucht hat; im Kloster wird seine müde Seele von ihren Zweifeln befreit. Ein neuer gekräftigter Mensch kehrt er in die Welt zurück, um mit seiner Jugendgeliebten vereint zu werden. Das ist im wesentlichen der ganze Inhalt des Sanges von Dreizehnlinden", der Webers Namen berühmt gemacht hat.

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Aber die Wälder um Dreizehnlinden rauschen und flüstern ihre Lieder in das Lied hinein. Waldkönigin Romantik hat ihren Tron dort aufgeschlagen, und wenn die Menschen des Gedichtes kummervoll in den Wald flüchten, dann sendet sie ihnen eine ihrer Feen oder einen ihrer klugen Vögel, sie zu trösten. Die Bäume leben und geben altflug ihren Rat, die Vögel mischen sich mit vorLautem Gezwitscher in das Selbstgespräch des Einsamen, die Menschen selbst scheinen dem Märchenboden entwachsen zu sein. Das hat Weber mit seiner größeren Landsmännin Droste-Hülshoff gemein, daß seine Dichtung ganz im Landschaftlichen wurzelt. Daß die landschaftliche Stimmung und der Charakter der Natur Westfalens Stoff und Charaktere suggerirt zu haben scheinen. Daß diese Dichtung reich ist an unausgesprochenen, weichen, dunfelen Stimmungen, und daß sie mit der Gemüts-Stimmung, die sie geweckt hat, zerflattert. Die ganze tieffinnige und tolle Welt der Grimmschen Märchen scheint sich aufzutun. Wo Weber in den Pfaden der Sagenwelt wandelt, ist er am glücklichsten. Sogar die Charakteristik der alten Liersage weiß er mit ein paar Strichen nachzuschaffen: Doch der Rabe schloß die Augen,

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Kröpfte fich und schwieg verächtlich

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Wie alle, die im Waldesrauschen Offenbarung suchen, find auch Weber spezifisch romantische Stimmungen über kommen. Was er von dem Helden seiner besten Dichtung Dreizehnlinden“ sagt: „Dünkt er manchmal euch ein Träumer, nun, er war ja ein Westfale", das gilt von ihm selbst. Seine Menschen sind Träumer und sind auch nur erträumt. Sie sind nur in die Landschaft hineingeträumte Staffage, mit breitem Typen-Pinsel gemalt. Einen aller legten Romantiker nach Form und Stoffgebung könnte man Weber nennen, wenn er nicht gar so augenfällig zu den,,Barden gehörte, welche die Einigung Deutschlands vorverkündeten und nachbesangen

„Denn er sah im Geist: vom Westen
Droht Gewalttat, Raub und Fälschung,
Deutsches Recht und deutscher Sitte:
Ueberflutende Verwälschung."

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dem Vaterland' der Preis vor allen Ländern gebührt Weber ist ein gedankenreicher Dichter. Er hat über Welt- und Menschenschicksale nachgefonnen und seine Ge danken haben, von vielerlei Dingen ausgehend, sich in einem vereinigt. Eins tut Not, eins nur ist wertvoll und zu erstreben: Ruhe, Frieden.

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Ein stark quietistischer Zug geht durch alles, was Weber geschrieben hat. Auch seine ausgeprägte Religiosität ist rein quietistischer Natur. Deshalb hat seine Gläubigfeit nichts Abstoßendes und nichts Intolerantes. Er ist in diesem Punkte ganz Romantiker, weltflüchtig und heimwehvoll und schwach. Nur daß er, der Katholik, nicht erst umberzuirren brauchte, ehe er den Weg zum alleinselig machenden Rom fand; von Find an kannte er die Straße, die zu dem Ziel führt, das er ersehnte. Wozu alles Leiden und Tun? Im Schatten des Kreuzes sich bergen und träumen! Als echter Quietist mistraute er der Lat als folder: „Große Frevel find zumeist die großen Taten." Und wenn sein Held aus dem Hinterhalt von vergiftetem Pfeile verwundet wird, so ist dieser Vorgang für seine Weltanschauung charakteristisch: wer in der großen Welt zu leben hat, der hat nichts zu erwarten als heimtückischen, schmerzenden Angriff. Aber hinter Klostermauern erblüht Zufriedenheit und Weisheit. Da ist das eine zu finden, das Not tut: Ruhe, Frieden.

Eine hochgradig unmoderne Erscheinung, hat Weber auch sein Publikum unter den unmodernen Leuten gefunden. Denen es nicht darauf ankommt, Einblick zu tun in das qualreiche Labyrinth des menschlichen Herzens, sondern die sich aus der Alltagswelt hinaufsehnen zu der immergrünenden Wiese, auf der die Traumblumen erblühen. In dem altmodischen Bücherschrank der Pfarrhäuser ist sein Dreizehnlinden“, wol auch sein,,Goliath" und seine Gedichte". zu finden. Da nimmt es den Plag ein, der zwei Generationen früher etwa Tiedges Urania gehörte. Von da ar übt es stille, tiefgehende Wirkung. In den Bibliotheken eleganter Salons aber sind höchstens vers Tennyson-lleberseßungen vertreten. Mit seinen eigenen Werken würde er sich in modernem, glänzendem Milieu nicht heimisch fühlen.

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„Es ist eine ernste Sache um einen entarteten Bildungsmenschen: und furchtbar berührt es uns, zu beobachten, daß unsere gesamte gelehrte und journalistische Oeffentlichkeit das Zeichen dieser Entartung an sich trägt. Wie will man sonst unseren Gelehrten gerecht werden, wenn sie unverdrossen bei dem Werke der journalistischen Volksverführung zuschauen oder gar mithelfen, wie anders, wenn nicht durch die Annahme, daß ihre Gelehrsamkeit etwas Aehnliches für sie sein möge, was für jene die Romanschreiberei, nämlich eine Flucht vor sich felbst, eine asketische Ertötung ihres Bildungstriebes, eine desperate Vernichtung des Individuums. Aus unserer entarteten litterarischen Kunst eben sowol als der ins Unsinnige anschwellenden Buchmacherei unserer Gelehrten quillt der gleiche Seufzer hervor: ach, daß wir uns selbst vergessen könnten! Es gelingt nicht: die Erinnerung, durch ganze Berge darübergeschütteten bedruckten Papiers nicht erstickt, sagt doch von Zeit zu Zeit wieder: ein entarteter Bildungsmensch! Zur Bildung geboren und zur Unbildung erzogen! Hilfloser Barbar, Sklave des Tages, an die Kette des Augenblicks gelegt und hungernd ewig hungend!

„Oder elenden Verschuldet - Unschuldigen! Denn ihnen fehlte etwas, was jedem von ihnen entgegenkommen mußte, eine wahre Bildungsinstitution, die ihnen Ziele, Meister, Methoden, Vorbilder, Genossen, geben konnte und aus derem Innern der kräftigende und erhebende Anhauch des wahren deutschen Geistes auf sie zuströmte. So verkümmern sie in der Wildnis, so entarten sie zu Feinden jenes im Grunde ihnen innig verwanten Geistes; Aber hinter seinen Dichtungen, so sehr sie der Charakteristik so häufen sie Schuld auf Schuld, schwerere als je eine ermangeln, steht ein ganzer Mensch: eine Persönlichkeit, andere Generation gehäuft hat, das Reine beschmüßend, die in ihrer bescheidenen, unmodernen Erscheinung wol das Heilige entweihend, das Falsche und Unrechte präein Lächeln hervorruft, die man aber lieb gewinnen könnte. konifirend. An ihnen mögt ihr über die Bildungskraft Weber war Arzt in Driburg und in Lippspringe. Es unserer Universitäten zum Bewustsein kommen und euch taucht einem unwillkürlich das Bild eines jener alten die Frage allen Ernstes vorlegen: Was fördert ihr in Herren auf, die in ihrer freien Stunden mit liebevollem, ihnen? Die deutsche Gelehrsamkeit, die deutsche Erfindaber höchst unwissenschaftlichem Eifer mit der Botanisir samkeit, den ehrlichen deutschen Trieb zur Erkenntnis, trommel die Felder durchstreiften. Weber war Reichstags- den deutschen der Aufopferung fähigen Fleiß schöne abgeordneter als Mitglied der ultramontanen Partei. Aber und herrliche Dinge, um die euch andere Nationen beauch als solcher war er fein Vorfämpfer, kein Dreinschlager.neiden werden, ja die schönsten und herrlichsten Dinge Eher ein geachteter und verehrter Nestor. Und wie der Welt, wenn über ihnen allen jener wahre deutsche charakteristisch! In parlamentarischen Kreisen pflegte man Geist als dunkle blißende, befruchtende, segnende Wolke fich zu erzählen, daß er hier in Berlin während der Reichs- ausgebreitet läge. Vor diesem Geiste aber fürchtet ihr tagsfeffion die Muße gefunden habe, sein Dreizehnlinden" euch und daher hat sich eine andere Dunstschicht, schwül niederzuschreiben. Im Lärm der Großstadt mag er das und schwer, über euren Universitäten zusammengezogen, Bedürfnis, in stilles Bereich zu flüchten, doppelt stark unter der eure edleren Jünglinge mühsam und belastet empfunden haben. athmen, unter der die Besten zu Grunde gehen.

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Er, der sein ganzes Leben hindurch Ruhe und Frieden ersehnte, deffen Quietismus Todessehnsucht nahe fam, hat erst jekt als achtzigjähriger Greis den Hafen erreicht, nach dem er immer ausschaute, trotzdem sein Schifflein nie mit, sonderlichen Stürmen zu kämpfen hatte:

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Es gab in diesem Jahrhundert einen tragisch ernsten und einzig belehrenden Versuch, jene Dunstschicht zu zerstreuen und den Ausblick nach dem hohen Wolkengange des deutschen Geistes weithin zu erschließen. Die Geschichte der Universitäten enthält keinen ähnlichen Versuch mehr, und wer das, was hier not tut, eindringlich demonstriren will, wird nie ein deutlicheres Beispiel finden können. Dies ist das Phänomen der alten ur sprünglichen,Burschenschaft.

Im Kriege hatte der Jüngling den unvermuteten würdigsten Kampfpreis heimgetragen, die Freiheit des

Vaterlandes: mit diesem Kranze geziert fann er auf Edleres. Zur Universität zurückkehrend empfand er, schweratmend, jenen schwülen und verderbten Hauch, der über der Stätte der Universitätsbildung lag. Plöglich sah er mit erschrecktem, weitgeöffnetem Auge die hier unter Gelehrsamkeiten aller Art künstlich versteckte undeutsche Barbarei, plöglich entdeckte er seine eigenen Kameraden, wie sie führerlos einem widerlichen Jugendtaumel überlassen wurden. Und er ergrimmte. Mit der gleichen Miene der stolzesten Empörung erhob er sich, mit der sein Friedrich Schiller einst die Räuber vor den Genossen rezitirt haben mochte: und wenn dieser seinem Schauspiel das Bild eines Löwen und die Aufichrift in tyrannos gegeben hatte, so war sein Jünger selbst jener zum Sprunge sich anschickende Löwe: und wirklich erzitterten alle Tyrannen'. Ja, diese empörten Jünglinge fahen für den scheuen und oberflächlichen Blick nicht viel anders aus als Schillers Räuber: ihre Reden klangen dem ängstlichen Horcher wol so, als ob Sparta und Rom gegen fie Nonnenklöster gewesen wären. Der Schrecken über diese empörten Jünglinge war so allgemein, wie ihn nicht einmal jene Räuber in der Sphäre der Höfe erregt hatten: von denen doch ein deutscher Fürst, nach Goethes Erklärung, einmal geäußert haben foll: wäre er Gott und hätte er die Ent stehung der Räuber vorausgesehen, so würde er die Welt nicht geschaffen haben'.

Woher die unbegreifliche Stärke dieses Schreckens? Denn jene empörten Jünglinge waren die tapfersten und reinsten unter ihren Genossen; eine großherzige Unbefümmertheit, eine edle Einfalt der Sitte zeichnete sie in Gebärde und Tracht aus: die herrlichsten Gebote verknüpften sie unter einander zu strenger und frommer Tüchtigkeit; was fonnte man an ihnen fürchten? Es ist nie zur Klarheit zu bringen, wie weit man bei dieser Furcht sich betrog oder sich verstellte, oder wirklich das Rechte erkannte: aber ein fester Instinkt sprach aus dieser Furcht und aus der schmachvollen und unsinnigen Verfolgung. Dieser Instinkt haßte mit zähem Haffe zweierlei an der Burschenschaft: einmal ihre Organisation, als den eisten Versuch einer wahren Bildungsinstitution und so dann den Geist dieser Bildungsinstitution, jenen männlich ernsten, schwergemuten, harten und kühnen deutschen Geist, jenen aus der Reformation her gesund, bewahrten Geist des Bergmannssohnes Luther.

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An das Schicksal der Burschenschaft denkt nun, wenn ich frage: hat die deutsche Universität damals jenen Geist verstanden, als sogar die deutschen Fürsten ihn in ihrem Hasse verstanden zu haben scheinen? Hat sie kühn und entschieden ihren Arm um ihre edelsten Söhne geschlungen, mit dem Worte,mich müßt ihr töten, ehe ihr diese tötet? - Ich höre eure Antwort: an ihr sollt ihr ermeffen, ob die deutsche Universität eine deutsche Bil dungsanstalt ist.

Damals hat der Student geahnt, in welchen Tiefen eine wahre Bildungsinstitution wurzeln muß: nämlich in einer innerlichen Erneuerung und Erregung der reinsten sittlichen Kräfte. Und dies soll dem Studenten immerdar zu seinem Ruhme nacherzählt werden. Auf den Schlachtfeldern mag er gelernt haben, was er am wenigsten in der Sphäre der akademischen Freiheit lernen fonnte: daß man große Führer braucht und daß alle Bildung mit dem Gehorsam beginnt. Und mitten in dem siegreichen Jubel, im Gedanken an sein befreites Vaterland hatte er sich das Gelöbnis gegeben, deutsch zu bleiben. Deutsch! Jett lernte er den Tacitus verstehn, jest begriff er den kategorischen Imperativ Kants, jett entzückte ihn die Leyer- und Schwertweise Karl Maria von Webers. Die Tore der Philosophie, der Kunst, ja

des Altertums sprangen vor ihm auf und in einer der denkwürdigsten Bluttaten, in der Ermordung Kozebues rächte er, mit tiefem Instinkte und schwärmerischer Kurzsichtigkeit, seinen einzigen zu zeitig am Widerstande der stumpfen Welt verzehrten Schiller, der ihm hätte Führer, Meister, Organisator sein können und den er jegt mit so herzlichem Ingrimme vermißte.

,,Denn das war das Verhängnis jener ahnungsvollen Studenten: fie fanden die Führer nicht, die fie brauchten. Allmählich wurden sie unter einander selbst unsicher, uneins, unzufrieden; unglückliche Ungeschicktheiten verrieten nur zu bald, daß es an dem alles überschattenden Genius in ihrer Mitte mangele: und jene mysteriöse Bluttat_ver= riet neben einer erschreckenden Kraft auch eine erschreckende Gefährlichkeit jenes Mangels. Sie waren führerlos und darum gingen sie zu Grunde.

„Denn ich wiederhole es, meine Freunde! - alle Bildung fängt mit dem Gegenteile alles deffen an, was man jezt als akademische Freiheit preist, mit dem Gehorsam, mit der Unterordnung, mit der Zucht, mit der Dienstbarkeit. Und wie die großen Führer der Geführten bedürfen, so bedürfen die zu Führenden der Führer: hier herrscht in der Ordnung der Geister eine gegenseitige Prädisposition, ja eine Art von prästabilirter Harmonie. Dieser ewigen Ordnung, zu der mit naturgemäßem Schwergewicht die Dinge immer wieder hinstreben, will gerade jene Kultur störend und vernichtend entgegenarbeiten, jene Kultur, die jest auf dem Trone der Gegenwart sitt. Sie will, die Führer zu ihrem Frohndienste erniedrigen oder sie zum Verschmachten bringen: sie lauert den zu Führenden auf, wenn fie nach ihrem prädestinirten Führer suchen und übertäubt durch berauschende Mittel ihren suchenden Instinkt. Wenn aber trotzdem die für einander Bestimmten sich kämpfend und verwundet zusammengefunden, dann giebt es ein tief erregtes wonniges Gefühl, wie bei dem Erflingen eines ewigen Saitenspiels, ein Gefühl, das ich euch nur mit einem Gleichnisse erraten lassen möchte.

Habt ihr euch einmal, in einer Musikprobe, mit einiger Teilnahme die sonderbare verschrumpft-gutmütige species des Menschengeschlechts angesehn, aus der das deutsche Orchester sich zu bilden pflegt? Welche Wechselspiele der launenhaften Göttin Form'? Welche Nasen und Ohren, welche ungelenken oder klapperdürr-raschelnden Bewegungen! Denkt einmal, daß ihr taub wäret und von der Existenz des Tons und der Musik nicht einmal etwas geträumt hättet und daß ihr das Schauspiel einer Orchesterevolution rein als plastische Artisten genießen solltet: ihr würdet euch, ungestört durch die idealisirende Wirkung des Tons, garnicht satt sehen können an der mittelalterlich derben Holzschnittsmanier dieser Komik, an dieser harmlosen Parodie auf den homo sapiens.

Nun denkt euch wiederum euren Sinn für Musik wiederkehrend, eure Ohren erschlossen und an der Spike des Orchesters einen ehrsamen Taktschläger in angemessener Tätigkeit: die Komit jener Figurationen ist jetzt für euch nicht mehr da, ihr hört aber der Geift der Langeweile scheint euch aus dem ehrsamen Taftschläger auf seine Gesellen überzugehen. Ihr seht nur noch das Schlaffe, Weichliche, ihr hört nur noch das Rhythmisch-Ungenaue, das Melodisch-Gemeine und Trivial-empfundene. Das Orchester wird für euch eine gleichgiltig-verdrießliche oder eine geradezu widerwärtige Masse.

Endlich fezt mit beflügelter Fantasie einmal ein Genie, ein wirkliches Genie mitten in diese Masse hinein

sofort merkt ihr etwas unglaubliches. Es ist, als ob dieses Genie in blißartiger Seelenwanderung in alle diese halben Tierleiber gefahren sei und als ob jetzt aus ihnen allen wiederum nur das eine dämonische Auge herausschaue. Nun aber hört und seht ihr werdet nie ge

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