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Es ist wieder einmal eines jener Originalgenies, wie fie die Heimat Richard Wagners und Schumanns so eigentümlich aus der Fülle germanischen Geistes hervor bringt, neben ihrem Genie stets versehen mit einer fabelhaften technischen Begabung für ihre Kunst Denn Klinger, ein Mann, der mit Sudermann im gleichen Alter steht, (1857 geb.) ist ja längst bekannt zunächst durch die rein technische Virtuosität seiner Radirungen. Er hat eine Fülle von poetischem Leben und malerischen Gestalten in seine Blätter gelegt, er hat die mythischen Gestalten des Griechentumes mit einem so eigentümlichen Geiste belebt, wie es seit den Zeiten der Renaissance nicht dagewesen ist, auch nicht bei Böcklin, der ein anderes Können und einen anderen Sinn mit den Gestalten seiner Meerwesen und Faune verbindet. Mag Klinger, mit Raffael wetteifernd, die Geschichte von Amor und Psyche" illustriren oder Elementargestalten des ersten Menschenpaarcs schaffen, mag er auf Blättern wie An die Schönheit", Und doch" lyrische Hymnen in malerischer Gestaltung dichten, in allem lebt eine besondere mimische und pantomimische Kunst, eine besondere Fermensprache, welche unter dem unmittelbaren Eindrucke des Naturstudiums steht und nicht ins Schematische, Akademische idealisirt, sondern einen Schönheitssinn besitzt, der poetisch seine Gestaltungen erhöht. Klinger hat der Radirung Wirkungen entlockt zur An regung der freien poetischen Einbildungskraft des Beschauers, wie sie solcher Art diese Technik vor ihm überhaupt noch nicht kannte. Er ist ein Meister, unter allen Umständen das auszudrücken, was er sagen will; er spricht die Sprache der Formen, der Stellungen, der Minen und Pantomimen mit jener frappirenden Sicherheit, mit welcher Beethoven'sche Melodien uns in einen ganz bestimmten unzweideutigen hinreißenden Zustand versehen. Es giebt nichts Schöneres, als stundenlang Klingersche Radirungen zu betrachten und mit ihm zu träumen vom Leben der Elementarwesen, der jungfräulichen Natur mit ihren ersten Menschenpaaren, elementare Leidenschaften und Begierden packend versinnlicht zu sehen oder das vollsaftige Dasein alter Heidengötter mit ihm durchzukosten. Und nun hat dieser Radirer auch die mächtigsten Schritte in die Malerei hineingetan, die er sich seinen besonderen Zwecken dienstbar zu machen sucht, wenn auch vielfach noch in fragmentarischer Weise.

Am besten dürfte in Dresden,,L'heure bleue" gefallen haben. Eine Art Dämmerungserscheinung ist geschildert, ein magisches blaues Licht, wie es auf dem Meere in gewiffen Gegenden als Refler auftaucht. Drei Wassernymphen sind aus dem Meere aufgestiegen, stehen, lagern und fauern auf einer Klippe und schauen heimlich erschreckt und geblendet, magisch bestrickt das wundersame Phänomen. In diesem Bilde ist das Höchste ausgedrückt, was eine malerische Lyrik versinnlichen kann. Wer vor einer Anzahl von Jahren abends nach Sonnenuntergang jene beklemmenden Dämmerungserscheinungen be obachtet hat, wird den Klingerschen Nymphen unmittelbar nachfühlen. Damals war in diesen Blättern (Magazin für Litteratur) ein Gedicht abgedruckt, welches fene Erscheinung schildert; es enthielt auch die Worte: Sie staunen an_und_schauern Rings vor dem Schönen . . . Man könnte sie als Motto unter Klingers Bild sehen. Die Meisterschaft dieses Künstlers liegt hier wie in anderen seiner Malereien nicht etwa in der koloristischen Wiedergabe des finnlichen Farbenphänomens. Das Poetische und malerisch Mächtige liegt vielmehr in der ganzen mimischen Auffassung und in dem prächtigen Studium naturalistisch-schöner Frauenkörper. Ein berliner

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Profeffor der Anatomie, Geh. Med. Rat Profeffor Fritsch hat zwar soeben eine Broschüre veröffentlicht, (Unsere Körperformen im Lichte der modernen Kunst) worin er vom Standpunkt des Anatomen Einspruch gegen die Formen dieser Frauenförper erhebt. Es ist denkwürdigst zu vermerken, daß man bei dieser Gelegen= heit in Dresden festgestellt hat, daß auch ein Profeffor der Anatom e bedenklich irren kann. Er ist gewöhnt, liegende Leichen zu sehen und darnach schreibt er über die aufrecht stehende Nymphe Klingers: beispielsweise zieht sich am Rumpf der Person von der Darmbeinspise zum Schamberg ein breiter, von ziemlich ausgeprägten Falten eingefaßter Wulst, den der Anatom am normalen Körper nicht kennt u. f. w. Es wurde in Dresden bemerkt, daß hierin der Künstler weit flüger als der Profeffor war; die betreffende Bildung tritt beim Stehen in der angegebenen Stellung stets am weiblichen Leibe hervor. Es wurde weiter festgestellt, daß der Herr Medizinalrat falsch gesehen hat, indem er, verführt durch die Beleuchtung eine Form als „Wulst" fah, die vielmehr durch zwei plastisch übergreifende andre Formen erst erklärt ist. Und so blieb es dabei, daß Klinger gerade durch die seltene anatomische Wahrheit seiner Zeichnung in Dresden sich Freunde und Anhänger erworben hat. Denn auch an seiner „Kreuziguna Christi" bewunderte man vor allem die kraftvolle Graftheit der Zeichnung und Modellirung, den Ernst und die Tiefe der Auffassung und die mimische Ausdrucksfähigkei der Klingerschen Gestaltungen.

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Es war ganz im Sinne der fortschrittlichen Richtung im dresdener Publikum, daß die Königliche Gemäldegalerie eine Anzahl vielumstrittener Bilder in Berlin an kaufte, die jetzt in dem herrlichen Semperschen Galeriegebäude als dauernder Besitz Dresdens hängen. Die Galleriefommission faufte Harrisons Studie", ein Bild, von dem man in gewissen Kreisen Berlins nicht sprach, ohne sich zu befrenzigen. Man kaufte ferner Mar Klingers Pietà", Christian Krohgs des Malers und Verfaffers der „Albertine" Lotsenbild" und ein treffliches Fuchsbild von Liljefors. Auch diese Ankäufe haben heftige Gegner gefunden; in auswärtigen Blättern verkündete man den Untergang der herrlichen Dresdner Gemäldegalerie, während die großen dresdener Blätter auch hier fich über die Umsicht, die historische Voraussicht und Objektivität der Galeriefommission freuten und den angefauften Gegenständen eine parteilose Würdigung schenkten. Denn mag man über die Richtungen, welche diese Werke vertreten, auch verschieden denken, so wird man nicht be streiten, daß sie die moderne Malerei nach ihren verschiedensten Aeußerungen besonders repräsentiren und um so mehr, als wir in den letzten Jahrzehnten alle vier bis fünf Jahre eine neue Richtung hatten, ist es gut, bei Zeiten hervorragende Vertretungen der einzelnen Hauptströmungen künstlerischen Lebens zu erwerben. Harrisons Studie" ist schwerlich ein Bild (bezüglich eine „Studie"), welches die Zukunft der modernen Malerei antizipirt; es ist eher das Meisterstück einer bereits wieder versiechenden sensualistischen Richtung, welche unter dem Namen des Impressionismus" und der Plain-airs" Condillacsche Philosophie malerisch betrieb und jenen Sensualismus in moderner Form wieder aufrührte, deffen Einwirkungen man einst Sternes Empfindsame Reise" verdankte, nur daß das „nervöse“ Jahrhundert es noch weiter zu treiben versucht hat.

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Damals entwickelte sich sehr bald aus jenem Senfualismus der Humor und die Sentimentalität, auf welche, nachdem man sich satt gegeffen hatte an der eigenen ver

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meintlichen Sinnesverfeinerung, die ruhige, gestaltende | Michel-Angelo und Rubens getan; er reproduzirte vielKlasfizität des geläuterten Naturalismus frat, den trat, den mehr nur das von andern bereits herausgedeutete Schöne, Schiller und Goethe vertreten im Gegensatz zu Jean wie Geibel eine Schönheit der Lebensauslegung mit Pauls litterarischem Impressionismus. So stehen wir pastorenhafter Würde nachsprach, wo Goethe und Schiller auch mitten in einer Bewegung, welche über kurz oder sich vorher erst tüchtig die Zähne ausgebiffen_hatten an lang alle Bestrebungen im Sinne Harrisons und seines den harten Knochen, die das Leben in den Weg wirft. Impressionismus über den Haufen werfen wird. Nicht Leichten Kaufes wollten solche akademischen Geister zum umsonst stellte der Radirer May Klinger in Dresden seine Schönen" gelangen und im Olymp bei den Göttern „Salome", ein Bildhauerwerk, ein geformtes Marmor- schmausen, wo Schiller und Goethe sich alle Plagen, werk aus. Nicht umsonst ist Franz Stuck, gleich ihm, alle Erdenlasten" von der unversöhnten Göttin List aufhalsen Maler und Bildhauer. Nicht umsonst ging vor kurzem ließen und erst die Herkulesarbeit vollbrachten, die Natur Geyger, den man für die dresdener Kunstakademi als zu überwältigen durch tiefstes Mitleben der Natur und Lehrer der Radirkunft berufen hatte, wieder von Dresden der Ideen. Ernst Hähnel ist ein zu bedeutender Mensch weg, weil er auch Bildhauer sein wollte und nicht die gewesen, um sich mit seichten Gemeinplähen durchs Leben gewünschten Räume zur Ausübung seiner Bildnerkunft zu schlagen; seine hinterlassenen Aphorismen sind eine fand. Man hat sich dermaßen im rein sensualistischen der merkwürdigsten litterarischen Erscheinungen der leßten Anschauen die Augen übersehen, daß eine instinktive Sucht Zeit durch die Ursprünglichkeit und Frische ihrer Ausnach festen, gestalteten Formen erwacht ist, ein Trieb, dem sprache. Es ist gewiß sehr gut gesagt, wenn ein solches jene drei Künstler naid nachgeben, indem sie zu Ton und Sprüchlein lautet: Begraben müssen sie mich doch, Marmor greifen, um wieder einmal zum organischen Be- sagte ein Schuft, soust rieche ich fürchterlich" oder wenn wustsein des Lebens zu kommen nach all den sinnlich folgender Spaß erzählt wird: Ein Kind von sechs mechanischen, sensitiven Reizungen des Anges. Es ist Jahren hörte, daß Gottvater einst die Welt in sechs ganz klar abzusehen, wohin das führen muß. Tagen geschaffen. Da frug es, was hat denn der liebe Gott die lange Zeil vorher getan?!" Wenn meine Enkel nichts taugen, soll man sie mit meinen modernden Gebeinen erschlagen, sagte einst ein strenger Großvater." Schon diese kleinen Proben geben einen Begriff von dem kräftigen und launigen Geist, der Hähnel und seine Umgebung beseelte, wenn man nachts im „Goldenen Engel" zu Dresden oder bei Tiedemann und Gnahl, früher wol auch in der Künstlergesellschaft der „Olymp“ zusammenkam. Auch hier tat man bei der Schäße Flor viel Glut und Reichtum schwärmen" und etwas von diesem geistig reichen Leben spricht überall aus Hähnels Nachlaß. Die ganze Einseitigkeit seiner Natur, sein akademischer Idealismus verrät sich dagegen aus Säßen wie: wie: Am stärksten ist der Individualismus in den Irrenhäusern ausgeprägt." Der mächtige Einfluß, den eine solche Geistesrichtung bei Hähnels starkem persön lichem Wesen gewann, ist noch vielfach in den Anschauungen älterer Dresdener zu spüren, und es ist kein Wunder, wenn die individualistisch gesinnten Jüngeren sich mit den Aelteren durchaus nicht verstehen können.

Man wird nolens volens wieder zur naturalistischen Klaffizität, zur Naturschönheit und Schönheitsnatur, zum organischen Kunstschaffen kommen wie das Griechentum, wie Michelangelo und Raffael, wie Meister Schiller und Goethe mit ihrem geistig organisirenden Naturalismus.

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Dazu freilich wird man schwerlich kommen, was ein soeben erschienenes Buch auf jeder Seite predigt, ein Buch, das gleichfalls Dresden zum Hintergrund hat und in Dresden entstanden ist.

Julius Grosse hat vor einigen Wochen den litterarischen Nachlaß Ernst Julius Hähnels herausgegeben, soweit er für die Veröffentlichung sich tauglich erwies. Ernst Hähnel war eine mächtige Erscheinung, wie die meisten Sachsen, die es zur Bedeutung gebracht, ziemlich despotisch und eigenwillig angelegt, aufopfernd, neidlos, duldfami, soweit er eine Sache verstehen konnte, aber rücksichtslos und unerschöpflich im Wiß über das, was ihm nicht paßte und was er nicht verstand. Der ganzen malerischen, realistischen und naturalistischen, vollends der sensualistischen Kunstentwicklung der letzten Jahrzehnte stand er als Todfeind gegenüber. Er war ganz aus der Thorwaldsenschen Richtung hervorgegangen und Winckelmanns mathematisches Schönheitsideal, jene akademische Schönheit, welche nicht aus dem Verständnis des Organismus schafft, sondern eine mathematisch-dekorative Formel der Verhältnisse von Gliedmaßen für das Schöne" hält, war sein Sinnen und Suchen. Er hat die Natur fast nie studirt; seine Schüler hielt er grundsätzlich vom Studium der Natur ab; er suchte sich im Anschauen der Werke des Griechentumis Form, Gestalt, Organismus und Schönheit zu erwerben. Alles, was Winckelmann an der Antike falsch verstanden und falsch gesehen hatte, das versuchte er in künstlerische Wirklichkeit zu überseßen. Aber sein Genie war größer, als seine Irrtümer. Es ist ein Wunder, daß ihm in jungen Jahren so viele prachtvolle Werke gelungen sind, die Leben atmen, Geist und Grazie besitzen und etwa so schön“ sind wie ein Geibelscher Vers, eine Geibelsche Uebersehung nach griechischen Lyrikern. In der Tat, was Geibel und seine In der Tat, was Geibel und seine Richtung litterarisch vertrat, das war Ernst Hähnel in der Bildhauerei. Nicht am Urquell der Natur und ihres irdisch-rauhen Gestaltens forschte er, um die also gefundene rauhe Schönheit der Natur hinaufzudeuten in ein höheres Leben, wie es die Griechen, wie es

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Diese litterarische Lebensarbeit eines bildenden Künstlers lenkt unwillkürlich den Blick auf einige andere litterarische Arbeiten von Bedeutung, welche in den leßten Wochen an der Elbe vollendet wurden. Julius Duboc hat einen zweiten Teil seiner philosophischen Studien Hundert Jahre Zeitgeist in Deutschland" veröffentlicht, worin er sich mit der politisch-wirtschaftlichen und ethischen Entwickelung des deutschen Lebens im dahinschwindenden Jahrhundert beschäftigt. Es ist auf alle Fälle interessant, einen alten Feuerbachianer, der sich ein eigenes System des Denkens auf Grund eines sehr zarten Rationalismus seiner ganzen Natur gebildet hat, die Geschichte seiner Zeit, die er zum grösten Teil miterlebt hat, auf ihre inneren Zusammenhänge untersuchen zu sehen. Es ist philosophische Filigranarbeit und viele originelle Perspektiven ergeben sich gewiß bei diesem Tun. Viele richtige und feine Bemerkungen über das, was dem Verfasser modern" scheint im Gegensage zu seinem persönlichen Geschmack sind entwickelt und die geistigen Linien, die er zieht, um die Zusammenhänge der politischen und geistigen Strömungen zu erklären, sind immer geistreich. Aber wie weit gerade eine gewisse historische Objektivität hierbei erreicht ist, würde eine andere Frage bleiben. Der Geschmack" des

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Verfassers in politischer wie in ästhetischer Hinsicht ist | Schauspielhauses in Berlin, erledigte ein Gastspiel, das denn doch geneigt mancherlei, was aus sehr verschiedenen Quellen auch in unseren Tagen strömt, unter einen Begriff zu fassen, weil die Grenzen seiner genießenden Individualität ihn zwingen, nun einmal so zu sehen, wie er sieht.

Jedenfalls ist dieses Buch aber eine der bedeutenderen Erscheinungen, einer persönlichen Geschmacksrichtung entstammend, die der eines Hähnel nicht unverwant ist und unbewust einen gewissen alt-dresdener Geist wieder spiegelt, ja, in gewiffen Dingen, z. B. in der Beurteilung des Antisemitismus, bezüglich in der Schilderung des Judentums sich ganz wesentlich durch unmittelbare lokale Einflüsse vielleicht gegen den eigenen Willen zur möglichst objektiven Erörterung sehr schwieriger Probleme gedrängt sieht.

Zwei eigenartige andere literarische Gaben dürfen hier noch erwähnt werden. Ernst Eckstein in Dresden hat in seiner neuesten Novelle „Der Mönch vom Aventin“ mit entschiedenem Glück gewetteifert mit Konrad Ferdinand Meyers historischen Novellen. Eine schöne poetische Idee, der Versuch einer mittelalterlichen Neuaufrichtung des alten Cäsarentums in Rom, einer Regeneration Italiens mitten in der Barbarei der römischen | Adelsgeschlechter, das tragische Scheitern des Versuches unter der Anführung einer Julia Colonna ist mit ruhiger gehaltener Darstellungskraft ausgeführt. Das Werk enthält energische Schönheiten und entläßt mit einem gewissen geschichtlichen Schwergefühl und Schick falsempfinden, welches der beste Teil dieser historischen Gattung ist.

Sehr eigenartige Verse von einer ursprünglichen Sprechweise und eigenem Marke hat hat Ferdinand Avenarius mit seinem lyrischen Zyklus „Lebe" veröffentlicht, auch sie dürfen in dieser Dresdener Schilderung nicht unerwähnt bleiben. Der Verfasser hat eine Vorrede dazu geschrieben, in welcher er sein Streben nach einer neuen großen lyrischen Form" dartut. Er ist vielleicht im Irrtum, wenn er etwas Neues hierin sieht, denn lyrische Zyklen, welche gleich zeitig das lyrische Empfinden als individuell charakteristisch zu malen suchen, wie es hier geschieht, hat auch die Antike schon gekannt, man braucht nur an Ovids "Heroiden" zu denken. In andrem Sinne ist die "große lyrische Form" längst durch Pindar und Friedrich Schiller entdeckt gewesen. Leopardi hat sich der Formen bedient, die auch Avenarius braucht, und Hölderlin hat in seinem Zyklus „Emilie an Clara" ganz verwante Dinge unternommen. Aber wenn hierin der Dichter auch sich selbst zu viel zugedacht haben sollte, so ist es immerhin wertvoll, daß das Bewustsein der großen lyrischen Form" bei einem Poeten in nicht ganz sicheren Umrissen aufsteigt, der als ein Sänger der kleinen" lyrischen Form Heines zuerst begonnen hatte. Die Hauptsache ist, daß durch diese Verse eine wesensvolle sprachliche Kraft redet, daß eigene sittliche und empfindsame Stimmungen des Lebens überzeugend festgehalten sind und mancher geheimnisvolle Laut in einer lauteren Kunstsprache ertönt, die nicht den Marinismus unsrer allerneuesten Schwulstpoeten mitmacht. Es ist von Wert zu erwähnen, daß das lyrische Werk eines anderen dresdener Dichters, Karl Wörmanns Gedichte: Zu Zweien im Süden", foeben, nach Jahresfrist, uns in einer zweiten Auflage vorliegt.

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Schauspiel, mimische Kunst und dramatisches Schaffen hat in Dresden einiges Interessante gebracht. Adalbert Matkowsky, der Held und Liebhaber des Königlichen

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die originellsten Erscheinungen zeitigte. Er trat mit einem Romeo" an, der einstimmig von der gesamten Kritik als eine überladene, ja hysterische Leistung abgewiesen wurde und schon drohte ein schweres Fiasko, als der gewante Künstler sich von einer neuen und besseren Seite zeigte und mit seinem „Raskolnikow", seinem Sigismund" (Das Leben ein Traum) sich im Sturme die Herzen neu eroberte und sogar seine Gegner, die ihn schon seit seinen Jugendjahren befehdet hatten in der Presse, dahin brachte, daß sie die Waffen streckten und die Größe, den Stil, die wundersame Schönheit feines künstlerischen Tuns priesen. Dies war um so bemerkenswerter, als Matkowskys Eigenart in Berlin ziemlich vereinzelt dasteht; dort, wo der ExperimentalRealismus auch in die Schauspielkunst eingedrungen ist, ist eine Kunsterscheinung, die lediglich die natürliche Anmut, die Größe der Bewegung menschlicher Edelraffe sucht und ganz wesentlich unmittelbare Leidenschaftsdarstellung bedeutet, eine rara avis. Und doch spielte er Raskolnikow, spielte ihn mit allen psychologischen Mitteln des modernen Realismus, um ́ihu doch mit einer gewiffen Größe des Vortrags zu verbinden und in den Dimensionen des Menschenadels zu halten. Das Stück selbst, die Bearbeitung des Dostojewskyschen Romans, welche die Herren Eugen Zabel und Ernst Koppel, zum Teil mit Benutzung des Wortlauts bei dem russischen Dichter, verfaßt haben, darf man eine intereffante Studie nennen, die in Dresden, wie seiner Zeit zuerst in Leipzig und später im „LessingTheater" zu Berlin, den Erfolg einer Studie gehabt hat. Wir fahen es damals sowol in Leipzig wie in Berlin und fanden, daß in Dresden eine Wirkung hinzukam, die man als ein charakteristisches Zeichen der dresdener Verhältnisse auffassen darf. In Leipzig und Berlin_hat_man wesentlich unter dem Gesichtspunkte der technisch-naturalistischen Seite des Dostojewskyschen Werkes pro et contra geurteilt. In Dresden hörte man dagegen viele Stimmen, welche es priesen, daß ein solches Werk aufgeführt würde, und welche seine dramatischen Schwächen gern übersehen wollten wegen seiner tief christlichen Wirkung. Die gewaltige ethische Auffaffung des christlichen Reue- und Sühnegedankens, welche der Ruffe vertritt, indem er den jungen Mörder durch das Bekenntnis seiner Tat „sein Leid auf sich nehmen" läßt, der Ernst der neueren Ruffen, den ja auch Tolstoj in verwanter Weise aus seiner christlichen Lebensanschauung heraus besikt, fand in Dresden einen guten Boden. Man sprach nur mit großem Respekt von der sittlichen Tendenz des Stückes und verstand, wie Dostojewsky die gefährliche psychologisch - analytische Sucht unserer Zeit, indem er selbst der gröfte Künstler solcher Seelenanalyse ist, jene Sucht, welche auch Raskolnikow zum Mörder macht und in die Dekomposition_seines Seelenlebens treibt, durch die einfachen ethischen Grundgedanken des Christentums und seine herzenskomponirende Kraft, zu heilen, zu überwinden sucht. Die Verfasser hatten dadurch, daß sie ihren früheren fünften Akt wege ließen und alles Gewicht auf eine Szene legten, in welcher der eigentliche ethische Grundgedanke zum vollen Ausdruck kommt, den Dresdnern gar sehr das Verständnis der Sache erleichtert.

Das Gastspiel des Herrn Matkowsky endete auch diesmal mit den in Dresden üblichen Kundgebungen der Damenwelt, welche regelmäßig stattfinden, wenn dieser Künstler nach Dresden kommt.

Er hatte einst seine Laufbahn in Dresden am Königlichen Schauspielhause begonnen und sich trotz seines tollen Lebens vielleicht auch wegen desselben eine ganze

Schar bacchantisch begeisterter Verehrerinnen erworben. | tiges und Menschenbewegendes hervorkommen möchte, dem Vor zwei Jahren versuchten die Damen ihm die Pferde Rühm des Dichters, Forschers und Patrioten keineswegs auszuspannen. Diesmal standen die schönsten Töchter hinderlich gewesen. Beides dient zum Zeugnis, daß soAlbions sowie die harmlosesten deutschen Gretchennaturen wol der wißigste Hohn als das verkennende Machtwort Spalier in und vor dem Theater; zerrissen die Lorber der grösten Autorität Lebendiges doch nicht unterdrücken fränze, um die Blätter als Andenken zu bewahren, um- kann. Wir alle wären ärmer ohne den Schatz, den Uhland ringten, bestürmten den schönen Mimen, hingen sich an chon unsern Kinderjahren beschert, und seit dem Erlöschen ihn und zerrissen ihm zuleßt buchstäblich! feinen des Privilegs breiten seine Werke sich noch viel weiter aus. Mantel. Man muß es erlebt haben, um es zu glauben. Er hat für unser Auge, so bescheiden er auftritt, die nächsten Friedrich Haase, Ehrenmitglied der dresdener Hof- Lebens- und Dichtgefährten in Schatten gestellt, daß man bühne, kam auch in diesem Jahre, um einige seiner welt- auch eine sehr eigenartige Gestalt wie seinen treuen Justinus bekannten älteren Rollen und einiges Neue zu spielen. Er Kerner weit über Gebühr vernachlässigt. Zu einer raschen brachte ein neues Stück von E. Klaar Die Schwestern" Musterung giebt uns ein jüngst erschienenes liebenswürdiges | mit, eine derbgearbeitete, unlitterarische, aber wirkungsvolle und lehrreiches Buch willkommenen Anlaß: „Das KerBühnenarbeit, in welcher Haase einen alten russischen nerhaus und seine Gäste. Von Theobald Kerner. Fürsten spielt, der versöhnend in die Konflikte des Stückes Mit dem Bildnis und Facsimile Justinus Kerners nebst cingreift. Kafimir Delavignes Ludwig XI.", den auch anderen Porträts und Illustrationen." (Deutsche VerlagsRossi seiner Zeit aufwärmte, wurde durch Haase nicht anstalt, 1894.) minder geistreich verkörpert; man bewundert an diesem Schauspieler noch immer die feine Detailarbeit, die sichere charakteristische Fantasie und den in sich gerundeten Stil seines reinlichen Realismus.

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Die Ausbeute am Königlichen Hofschauspiel ist litterarisch und dramatisch nur eine ganz geringe gewesen. Einen größeren Kaffenerfolg erzielte nur „Der Pfennigreiter" von E. Wald-Zedtwiß, die Dramatisirung des gleichnamigen Romans vom vom selben Verfasser. Die packende Darstellung eines alten Landesbrauches und seiner sittlichen Konsequenzen erfreute hier und wirkte unter so manchen konventionellen Erfindungen erfrischend. „Das Heiratsnest", ein Lustspiel von G. Davis, in Wien mit viel Erfolg gespielt, fiel in Dresden durch und ver schwand sogleich wieder vom Spielzettel. Auch diese Komödie war allzu unlitterarisch, um das Publikum der Hofbühne ernstlich beschäftigen zu können. Skowronnefs Balastrevolution" wurde freundlicher aufgenommen, doch fand man, daß es weder die dramatische Kraft des Erst lings Im Forsthause", noch den guten Aufbau desselben besitzt. Aber viele liebenswürdige Züge im einzelnen wirkten doch zu einer angenehmen Abendunterhaltung. Ein Festspiel Die Feuertaufe", zum fünfzigjährigen Militärjubiläum König Alberts von Sachsen von Franz Koppel-Ellfeld verfaßt, in Gegenwart des Kaisers, des sächsischen Hofes und vieler deutscher Fürsten aufgeführt, fand eine freundliche Beurteilung durch die Presse, die dabei vorwiegend die Rolle des Festberichterstatters zu wahren hatte.

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Justinus Kerner.

Von

Erich Schmidt.

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Justinus ist am 28. September 1786 in der verödeten Nebenresidenz Ludwigsburg geboren, da wo auch Mörike, Vischer, Strauß das Licht der Welt erblickt haben, der schwäbische Mythenkritiker und der schwäbische Geisterseher. ist seher. Er hat als Kind noch Schubart gesehen und Schillers Bild sich eingeprägt, und in dem viel zu wenig bekannten Bilderbuch aus meiner Knabenzeit" ist das württembergische Potsdam mit seiner verblaßten Herrlichfeit, seiner Emigrantenkolonie, seinen schier unheimlichen und gespensterhaften Prunkbauten, vor allem seinen einheimischen oder zugewanderten Sonderlingen festgehalten, deren lange Galerie von einem berüchtigten und gefährlichen Zionswächter an bis zu verrückten Italienern und drolligen höchst originalen" Bürgersleuten reicht. Schon früh nährt Justinus seine Lust am Aparten, Schiefgewickelten, Unsinnigen und wendet sich vom landläufigen Mittelmaß weg, um helle und dunkle Abarten des Genus homo zu studiren. Ihm war im reichsten Maße eigen, was alle schwäbischen Schriftsteller mit Ausnahme des einzigen, nur auf einen tiefelegischen Ton gestimmten Hölderlin befißen, was Schubart so saftig pflegte, der schweigsame Uhland in Reime brachte, Mörike schalthaft unter die Blüten seiner Lyrik säte und Vischer in mancherlei Tonarten tummelte, ein unversieglicher Humor_als Gabe des Volksstammes und des Hauses. Er faun einen Abschnitt farbensatter Erinnerungen überschreiben: „Des Vaters Humor". Aber in der mütterlichen Linie der Familie war Geisteskrankheit nicht vereinzelt, wie denn Justinus, der für seine Kindheit ein stetes Ueberwiegen des Gemütslebens über das Intellektuelle schildert, selbst betont, er führe die krankhaften Seelenzustände einzelner Verwanten besonders darum an, weil daraus hervorgeht, wie Wahnsinn, Somnambulismus und Dichtkunst mit einander verwant sind und oft eins aus dem andern“ sich entwickelt. Als Lehrling heftet er dann mit jener Wollust des Grauens seinen Blick auf die nachbarlichen Infaffen der Irrenanstalt und des Zuchthauses; als Student weiß er, wie ein Freund berichtet, Wahnsinnige gruselig nachzuahmen. Er gesteht seinen Drang, schon im Geburtsort wie in den sagenumwobenen Gängen und Hallen Maulbronns die Dämmerung des Spukwesens aufzusuchen und die Rätsel der Geisterwelt in einer überreizten Kinderfantasie zu wälzen, aber ein schlagfertiger Scharfsinn wiederum ließ die Fantastik, ein kerniger Humor die Anziehungskraft des Irrationalen und Kranken nicht übermächtig werden. Wenns recht toll wurde, ironisirte er sich gern selber und fand ein befreiendes Gelächter. Er war ein Virtuos in Schnurren gleich Clemens Brentano, der am Marterbette der Stigmatisirten seine frausen Späße nicht ganz verlernt hat, wenn sie auch angesäuert und verbittert wurden. Wie dieser Clemens Demens die Weins

Ein Dichter, den man ja wol trot christlich-germanischer Acht- und Bannerklärungen auch heute noch für einen Meister der Lyrik und einen genialen Satiriker wird halten dürfen, Heinrich Heine also, hat den zeitgenössischen Dichtern Schwabens in grausamer und frecher Gebelaune alles mögliche Böse nachgesagt und an ihrer Wertschäßung, die für seine besondern Opfer nie sehr hoch war, doch nichts geändert. Ist ja auch Goethes frostiges Absprechen über Ühland, aus dessen Region nichts Tüch

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berger Seherin von Prevorst nur die Seherin von Bratwurst nannte, so brach Justinus als Knabe, da er höchst romantisch gestimmt eine Kirche betrat, plötzlich in ein krampf-| haftes Lachen aus, weil ihm der feierliche Mönchsgefang flang, wie: Sie aßen von den Früchten des Schweinstocks". Und der von Immermann recht unfröhlich verspottete, von Strauß dagegen sehr hübsch geschilderte Weinsberger Kerner hatte zu den Poltergeistern und den groben Teufelsgesellen, die in seinen Beseffenen rumorten, auch ein behaglich humoristisches Verhältnis. Schon als Kind, mit Schon als Kind, mit Märchen und wundersamen Volksbüchern gesättigt, schweift er gern hinüber ins Nebelreich des Traums und fann seine Nachtgesichte poetisch wiederspiegeln. Er belauscht, wie das Dichter immer getan haben, wie neuestens die Tagebuchblätter Gottfried Kellers so köstlich belegen, die Fantasie am dunklen Webstuhl, aber er mißt zugleich seinen Träumen den Charakter untrüglicher Weissagungen bei, glaubt an eine Zahleniymbolik des Traums und empfindet bei solcher somnambuler Vorwegnahme der Zukunft eine wahre Qual". Daß er in 'einer Krankheit mit Magnetismus behandelt worden sei, habe ein magnetisches und profetisches Leben in ihm geweckt und „für später eine Vorliebe für die Erscheinungen des Nachtlebens der Natur, für Magnetismus und Pneumatologie". In diesem frühen und tiefen, nie spielerigen oder gemachten Zuge zu den sogenannten Nachtseiten war Kerner viel mehr Romantiker als Uhland, ein Stimmungsmensch, dessen sprudelnde Ausgelaffenheit gar oft in dunkle Melancholie umschlug.

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Justinus hat eine sehr unregelmäßige Bildung genoffen. Zwar schüßte ein gelehrter Gönner den Verwaisten vor dem Konditorladen, aber was sollte dieser Lehrling in der Ludwigsburger Tuchfabrik andres austellen als frenzunglückliche Klagen oder dummes Zeug? Wie Brentano zwischen den Kaffee- und Oelfäffern des biedern Kaufmanns Poler, so erhölte sich Justinus zwischen den Ballen und Indigomaffen an lustigen Mystifikationen und Scherzgedichten. Seine ernste Poesie ging noch auf fremder Spur: sie wurde erst im Anhauch des Volkslieds frei. Als Kerner erlöst wird und die Universität beziehen darf, ist die erste Tübinger Bescherung ein Traum, und daß ihm gleich anfangs der Wind einen Rezeptzettel zuträgt, führt ihn wie ein Schicksalswink von den Naturwissenschaften zur Medizin. Zu Tübingen wirkte Uhland beruhigend auf den Kameraden, doch hebt Varnhagen mit scharfer Beobachtung das Halbdunkle, Zauberhafte, leiden schaftlich Barocke des jungen Sonderlings hervor, der urschwäbisch redete und von allerlei Getier umgeben hauste. Er schilderte ihn halb lustig, halb zerrissen. Alle diese Elemente schwinden nicht. Sie erhellen und beschatten auch Kerners Liebe, die, wieder im Gegensatze zu Uhlands ruhigem Bürgerschritt, romantische Pfade einschlug, bis das Rickele eine Frau Doktorin wurde. An Uhlands Geburtstag 1807 auf Achalm war der Student Kerner einem fremden trauernden Mädchen mit der Frage genaht: Wie kommts, daß du so traurig bist" fie, die den Vater verloren, hatte die poetische Erkundigung herzlich mit Goethes zweiter Strophe erwidert. So wurden fie Bräutigam und Braut; denn so ein schwäbischer Dichter irrlichtelirt selten in der grande passion, sondern weiht Herz und Hand Einem Mädchen, das seine Verlobte und, manchmal nach längerem treuen Harren, sein gutes Ehe weib wird. Kerners Brautstand hat außer herzinnigen Gedichten echte Poetenbriefe gezeitigt, die auch Gedichte sind und die nicht von Haus zu Haus besorgt, sondern unter dem Stein einer verfallenen Kapelle verborgen und gefunden wurden. Mitten unter hellen Liebesschwären erzählt Justinus dem Rickele auch seine Visionen vom Tanz auf dem Kirchhof, ja er malt ihr die entseßliche Angst aus, sie sei gestorben.

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Er genoß seit 1813 den Segen der Ehe mit einer an Leib und Seele gesunden, unermüdlich schaffenden, nirgend kleinlichen, verständnisvollen Frau, die auf all seine Schnaken und all seine Schmerzen einging, die dem Dichter und dem ärztlichen Exorzisten gleich gerecht ward. Sie heiterte ihn auf, wenn im Wildbad und dann in Weinsberg der Beruf diese weiche Poetenseele oft furchtbar angriff, denn ein Todesfall konnte ihn ganz persönlich martern, ein fremdes Kind ihm selbst sterben; wir besigen ein ergreifendes Gedicht auf ein braunes Büblein, das er so gern gerettet hätte.

Justinus Kerner hat als schwäbischer Spätling der Romantik se'ne eigene Weije. Wenn Strauß einmal sagt und dies Bild ausführt, die Dichterstaude Württembergs treibe gern zwei Stengel, so ist Kerner doch von Uhland zu tief verschieden, als daß man beide mit gemeinsamen Schlagworten über einige Gattungen der Lyrik und einige Grundzüge hinaus charakterisiren könnte. Er weiß nichts vom Kleinkram und Gelbveigleinsang des nicht bildenden, sondern bildernden Karl Mayer, dem anstatt seiner lyriichen Miniaturen nur die treu überlieferten Erinnerungen an die Jugendwelt größerer Genossen einen Ehrenplay sichern. Er ist ganz frei von der philiftrösen Ader, die Gustav Schwabs wackere Betriebsamkeit nie überwand. Ihm fehlt Mörike gegenüber, um nur eines anzudeuten, jedes Verhältnis zur Antike, die ohne Hölderlins trostlose Gräfomanie über manches Gebild des Pfarrers von Cleverjulzbach ihren Zauber gespreitet hat: Was aber schön ist, selig ist es in ihm selbst“. selig ist es in ihm selbst". Ein seßhafter Schwabe tat Kerner im ganzen Leben nur eine größere Reise nach Hamburg, Berlin und Wien, wo ihm denn die Kaiserstadt, Deutschlands Herz, lieber war als Berlin, der kühle Kopf. In Hamburg gabs keinen Neckarwein, aber ein Puppentheater. Man spürt immer den Romantiker. Eine echt romantische Frucht dieses Ausflugs sind die „Reiseschatten von dem Schauspieler Luchs", jeanpaulisch eingekleidet, ein Durcheinander von Gattungen und Formen, die Uhland stets sauber sichtet, eine Zauberlaterne des Wunderbaren und Wunderlichen, in manchem Betracht den Flügen und Kapriolen Brentanos verwant. wimmelt es von Narren und Fraßen, von Späßen und Tollheiten, aber der verliebte Mühlknecht löst den Jrrfinnigen ab, das Volkslied ein_krauses Geschwäß, und die volle Ladung romantischer Tendenzen in Ernst und Scherz nimmt auch eine unmittelbare Kampfrichtung gegen die Plattisten" Schwabens. So ist es leicht, nicht blos die hier eingelegten Spiele, Satiren, Gefänge, sondern auch die Bärenritter" und Bärenhäuter" Kerners an ältere Denkmäler der Romantik anzuknüpfen, wie kein Zufall seinen Namen in die Sammelhefte der Heidelberger Arnim und Brentano eingetragen hat.

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Da

Schade, wenn Kerners launiges Prognostikon" zu Recht bestünde:

Flüchtig leb ich durchs Gedicht,

Durch des Arztes Kunst nur flüchtig;
Nur wenn man von Geistern spricht,

Denkt man mein noch und schimpft tüchtig.

Mit dem Schimpfen auf weinsberger Psychiatrie und Spiritismus ist es gewiß nicht getan, obwol wir die Andacht vor der Seherin von Prevorst ihrem jüngsten Herold du Prel und der mystisch blassen Malerei des Gabriel Mar anheimgeben. So manches Gedicht Kerners ist Gemeingut aller Deutschen geworden und wird es bleiben. Aus den vielen minder populären spricht eine psychologisch, doch auch pathologisch interessantere Persön lichkeit als aus dem klaren Vermächtnis Ludwig Uhlands, der seine Gaben immer rein ausprägte und menschlich, um altdeutsche Beiwörter zu brauchen, so einfalt" und auch so „einhart" war. Kerners Erscheinung, Umgebung,

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