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Es ist wieder einmal eines jener Originalgenies, wie sie die Heimat Richard Wagners und Schumanns so eigentümlich aus der Fülle germanischen Geistes hervor bringt, neben ihrem Genie stets versehen mit einer fabel haften technischen Begabung für ihre Kunst Denn Klinger, ein Mann, der mit Sudermann im gleichen Alter steht, (1857 geb) ist ja längst bekannt zunächst durch die rein technische Virtuosität seiner Radirungen.

Professor der Anatomie, Geh. Med. Rat Professor Fritsch hat zwar soeben eine Broschüre veröffentlicht, (Unsere Körperformen im Lichte der modernen Kunst) worin er vom Standpunkt des Anatomen Einspruch gegen die Formen dieser Frauenkörper erhebt. Es ist denkwürdigst zu vermerken, daß man bei dieser Gelegenheit in Dresden festgestellt hat, daß auch ein Professor der Anatom'e bedenklich irren kann. Er ist gewöhnt,

Er hat eine Fülle von poetischem Leben und malerischen | liegende Leichen zu sehen und darnach schreibt er über

Gestalten in seine Blätter gelegt, er hat die mythischen Gestalten des Griechentumes mit einem so eigentümlichen Geiste belebt, wie es seit den Zeiten der Renaissance nicht dagewesen ist, auch nicht bei Böcklin, der ein anderes Können und einen anderen Sinn mit den Gestalten seiner Meerwesen und Faune verbindet. Mag Klinger, mit Raffael wetteisernd, die Geschichte von „Amor und Psyche" illustriren oder Elementargestalten des ersten Menschenpaares schaffen, mag er auf Blättern wie „An die Schönheit“, „Und doch" lyrische Hymnen in malerischer Gestaltung dichten, in allem lebt eine besondere mimische und pantomimische Kunst, eine be

die aufrecht stehende Nymphe Klingers: beispielsweise zieht sich am Rumpf der Person von der Darmbeinspike zum Schamberg ein breiter, von ziemlich ausgeprägten Falten eingefaßter Wulst, den der Anatom am normalen Körper nicht kennt u. s. w. Es wurde in Dresden bemerkt, daß hierin der Künstler weit flüger als der Professor war; die betreffende Bildung tritt beim Stehen in der angegebenen Stellung stets am weiblichen Leibe hervor. Es wurde weiter festgestellt, daß der Herr Medizinalrat falsch gesehen hat, indem er, verführt durch die Beleuchtung eine Form als „Wulst" sah, die vielmehr durch zwei plastisch übergreifende Eindrucke des Natmstudiums steht und nicht ins daß Klinger gerade durch die seltene anatomische WahrSchematische, Akademische idealisirt, sondern einen Schönheit seiner Zeichnung in Dresden sich Freunde und An

sondere Formensprache, welche unter dem unmittelbaren | andre Formen erst erklärt ist. Und so blieb es dabei,

heitssinn besikt, der poetisch seine Gestaltungen erhöht. Klinger hat der Radirung Wirkungen entlockt zur Anregung der freien poetischen Einbildungskraft des Beschauers, wie sie solcher Art diese Technik vor ihm über haupt noch nicht fannte. Er ist ein Meister, unter allen Umständen das auszudrücken, was er sagen will; er spricht die Sprache der Formen, der Stellungen, der Minen und Pantomimen mit jener frappirenden Sicherheit, mit welcher Beethoven'sche Melodien uns in einen ganz bestimmten unzweideutigen hinreißenden Zustand verseken. Es giebt nichts Schöneres, als stundenlang Klingersche Radirungen zu betrachten und mit ihm zu träumen vom Leben der Elementarwesen, der jungfräulichen Natur mit ihren ersten Menschenpaaren, elementare Leidenschaften und Begierden packend versinnlicht zu sehen oder das vollsaftige Dasein alter Heidengötter mit ihm durchzukosten. Und nun hat dieser Radirer auch die mächtigsten Schritte in die Malerei hineingetan, die er sich seinen besonderen Zwecken dienstbar zu machen sucht, wenn auch vielfach noch in fragmentarischer Weise.

Am besten dürfte in Dresden „L'heure bleue" gefallen haben. Eine Art Dämmerungserscheinung ist geschildert, ein magisches blaues Licht, wie es auf dem Meere in gewissen Gegenden als Reflex auftaucht. Drei Wassernymphen sind aus dem Meere aufgestiegen, stehen, lagern und kauern auf einer Klippe und schauen heimlich erschreckt und geblendet, magisch bestrickt das wundersame Phänomen. In diesem Bilde ist das Höchste ausgedrückt, was eine malerische Lyrik versinnlichen kann. Wer vor einer Anzahl von Jahren abends nach Sonnenunter gang jene beklemmenden Dämmerungserscheinungen beobachtet hat, wird den Klingerschen Nymphen unmittelbar nachfühlen. Damals war in diesen Blättern (Magazin für Litteratur) ein Gedicht abgedruckt, welches jene Erscheinung schildert; es enthielt auch die Worte:

„Sie staunen an und schauern Rings vor dem Schönen ...."

hänger erworben hat. Denn auch an seiner „Kreuzigun Christi" bewunderte man vor allem die kraftvolle Exaktheit der Zeichnung und Modellirung, den Ernst und die Tiefe der Auffassung und die mimische Ausdrucksfähigkei der Klingerschen Gestaltungen.

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Es war ganz im Sinne der fortschrittlichen Richtung im dresdener Publikum, daß die Königliche Gemäldegalerie eine Anzahl vielumstrittener Bilder in Berlin ankaufte, die jetzt in dem herrlichen Semperschen Galeriegebäude als dauernder Besitz Dresdens hängen. Die Galleriekommission kaufte Harrisons „Studie“, ein Bild, von dem man in gewissen Kreisen Berlins nicht sprach, ohne sich zu bekrenzigen. Man kaufte ferner Max Klingers „Pietà", Christian Krohgs des Malers und Verfassers der „Albertine" „Lotsenbild" und ein treffliches Fuchsbild von Liljefors. Auch diese Ankäufe haben hef= tige Gegner gefunden; in auswärtigen Blättern verkündete man den Untergang der herrlichen Dresdner Gemäldegalerie, während die großen dresdener Blätter auch hier sich über die Umsicht, die historische Voraussicht und Objektivität der Galeriekommission freuten und den angekaunften Gegenständen eine parteilose Würdigung schenkten. Denn mag man über die Richtungen, welche diese Werke vertreten, auch verschieden denken, so wird man nicht bestreiten, daß sie die moderne Malerei nach ihren verschiedensten Aeußerungen besonders repräsentiren und um so mehr, als wir in den letzten Jahrzehnten alle vier bis fünf Jahre eine neue Richtung hatten, ist es gut, bei Zeiten hervorragende Vertretungen der einzelnen Hauptströmungen künstlerischen Lebens zu erwerben. Harrisons „Studie" ist schwerlich ein Bild (bezüglich eine „Studie"), welches die Zukunft der modernen Malerei antizipirt; es ist eher das Meisterstück einer bereits wieder versiechenden sensualistischen Richtung, welche unter dem Namen des „Impressionismus“ und der „Plain-airs" Condillacsche Philosophie malerisch betrieb und jenen Sensualismus in moderner Form wieder aufrührte, dessen Einwirkungen man einst Sternes Empfindsame Reise" verdankte, nur daß das „nervöse" Jahrhundert es noch weiter zu treiben versucht hat.

Man könnte sie als Motto unter Klingers Bild sehen. Die Meisterschaft dieses Künstlers liegt hier wie in anderen seiner Malereien nicht etwa in der koloristischen Wiedergabe des sinnlichen Farbenphänomens. Das Poetische und malerisch Mächtige liegt vielmehr in der ganzen mimischen Auffassung und in dem prächtigen Studium naturalistisch-schöner Frauenkörper. Ein berliner | nachdem man sich satt gegessen hatte an der eigenen ver

Damals entwickelte sich sehr bald aus jenem Sensualismus der Humor und die Sentimentalität, auf welche,

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meintlichen Sinnesverfeinerung, die ruhige, gestaltende | Michel-Angelo und Rubens getan; er reproduzirte vielVerfassers in politischer wie in ästhetischer Hinsicht ist | Schauspielhauses in Berlin, erledigte ein Gastspiel, das

Klassizität des geläuterten Naturalismus trat, den Schiller und Goethe vertreten im Gegensatz zu Jean Pauls litterarischem Impressionismus. So stehen wir anch mitten in ciner Bewegung, welche über furz oder lang alle Bestrebungen im Sinne Harrisons und seines Impressionismus über den Haufen werfen wird. Nicht umsonst stellte der Radirer Max Klinger in Dresden seine „Salome", ein Bildhauerwerk, ein geformtes Marmorwerk ans. Nicht umsonst ist Franz Stuck, gleich ihm, Maler und Bildhauer. Nicht umsonst ging vor kurzem Geyger, den man für die dresdener Kunstakademie als Lehrer der Nadirkunst berufen hatte, wieder von Dresden weg, weil er auch Bildhauer sein wollte und nicht die gewünschten Räume zur Ausübung seiner Bildnerkunst fand. Man hat sich dermaßen im rein sensualistischen Anschanen die Angen übersehen, daß eine instinktive Sucht nach festen, gestalteten Formen erwacht ist, ein Trieb, dem jene drei Künstler naiv nachgeben, indem sie zu Ton und Marmor greifen, um wieder einmal zum organischen Bewustsein des Lebens zu kommen nach all den sunnlich mechanischen, sensitiven Reizungen des Anges. Es ist ganz klar abzusehen, wohin das führen muß.

Man wird nolens volens wieder zur naturalistischen Klassizität, zur Naturschönheit und Schönheitsnatur, zum organischen Kunstschaffen kommen wie das Griechentum, wie Michelangelo und Raffael, wie Meister Schiller und Goethe mit ihrem geistig organisirenden Naturalismus.

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Dazu freilich wird man schwerlich kommen, was ein soeben erschienenes Buch auf jeder Seite predigt, ein Buch, das gleichfalls Dresden zum Hintergrund hat und in Dresden entstanden ist.

Julius Grosse hat vor einigen Wochen den litte rarischen Nachlaß Ernst Julins Hähnels herausgegeben, soweit er für die Veröffentlichung sich tauglich erwies. Ernst Hähnel war eine mächtige Erscheinung, wie die meisten Sachsen, die es zur Bedeutung gebracht, ziemlich despotisch und eigenwillig angelegt, aufopfernd, neidlos, duldsam, soweit er eine Sache verstehen konnte, aber rücksichtslos und unerschöpflich im Wik über das, was ihm nicht paßte und was er nicht verstand. Der ganzen malerischen, realistischen und naturalistischen, vollends der sensualistischen Kunstentwicklung der letzten Jahrzehnte stand er als Todfeind gegenüber. Er war ganz aus der Thorwaldsen= schen Richtung hervorgegangen und Winckelmanns mathe matisches Schönheitsideal, jene akademische Schönheit, welche nicht aus dem Verständnis des Organismus schafft, sondern eine mathematisch-dekorative Formel der Verhältnisse von Gliedmaßen für „das Schöne" hält, war sein Sinnen und Suchen. Er hat die Natur fast nie studirt; seine Schüler hielt er grundsätzlich vom Studium der Natur ab; er suchte sich im Anschauen der Werke des Griechentums Form, Gestalt, Organismus und Schönheit zu erwerben. Alles, was Winckelmann an der Antike falsch verstanden und falsch gesehen hatte, das versuchte er in künstlerische Wirklichkeit zu über setzen. Aber sein Genie war größer, als seine Irrtümer. Es ist ein Wunder, daß ihm in jungen Jahren so viele prachtvolle Werke gelungen sind, die Leben atmen, Geist und Grazie besiken und etwa so schön" sind wie ein Geibelscher Vers, eine Geibelsche Uebersekung nach griechischen Lyrikern. In der Tat, was Geibel und seine Richtung litterarisch vertrat, das war Ernst Hähnel in der Bildhauerei. Nicht am Urquell der Natur und ihres irdisch-rauhen Gestaltens forschte er, um die also gefundene rauhe Schönheit der Natur hinaufzudeuten in ein höheres Leben, wie es die Griechen, wie es

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mehr nur das von andern bereits herausgedeutete Schöne, wie Geibel eine Schönheit der Lebensauslegung mit pastorenhafter Würde nachsprach, wo Goethe und Schiller sich vorher erst tüchtig die Zähne ausgebissen hatten an den harten Knochen, die das Leben in den Weg wirft. Leichten Kaufes wollten solche akademischen Geister zum Schönen" gelangen und im Olymp bei den Göttern schmausen, wo Schiller und Goethe sich alle Plagen, alle Erdenlasten" von der unversöhnten Göttin List aufhalsen ließen und erst die Herkulesarbeit vollbrachten, die Natur zu überwältigen durch tiefstes Mitleben der Natur und der Ideen. Ernst Hähnel ist ein zu bedeutender Mensch gewesen, um sich mit seichten Gemeinplätzen durchs Leben zu schlagen; seine hinterlassenen Aphorismen sind eine der merkwürdigsten litterarischen Erscheinungen der letzten Zeit durch die Ursprünglichkeit und Frische ihrer Aussprache. Es ist gewiß sehr gut gesagt, wenn ein solches Sprüchlein lautet: „Begraben müssen sie mich doch, sagte ein Schuft, soust rieche ich fürchterlich" oder wenn folgender Spaß erzählt wird: „Ein Kind von sechs Jahren hörte, daß Gottvater einst die Welt in sechs Tagen geschaffen. Da frug es, was hat denn der liebe Gott die lange Zeit vorher getan?!" Wenn meine Enkel nichts taugen, soll man sie mit meinen modernden Gebeinen erschlagen, sagte einst ein strenger Großvater.“ Schon diese kleinen Proben geben einen Begriff von dem kräftigen und lannigen Geist, der Hähnel und seine Umgebung beseelte, wenn man nachts im „Goldenen Engel" zu Dresden oder bei Tiedemann und Gnahl, früher wol auch in der Künstlergesellschaft der „Olymp" zusammenkam. Auch hier tat man „bei der Schätze Flor viel Glut und Reichtum schwärmen" und etwas von diesem geistig reichen Leben spricht überall aus Hähnels Nachlaß Die ganze Einseitigkeit seiner Natur, sein akademischer Idealismus verrät sich dagegen aus Säßen wie: „Am stärksten ist der Individualismus in den Irrenhäusern ausgeprägt." Der mächtige Einfluß, den eine solche Geistesrichtung bei Hähnels starkem persönlichem Wesen gewann, ist noch vielfach in den Anschauungen älterer Dresdener zu spüren, und es ist kein Wunder, wenn die individualistisch gesinnten Jüngeren sich mit den Aelteren durchaus nicht verstehen können.

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Diese litterarische Lebensarbeit eines bildenden Künstlers lenkt unwillkürlich den Blick auf einige andere litterarische Arbeiten von Bedeutung, welche in den lehten Wochen an der Elbe vollendet wurden. Julins Duboc hat einen zweiten Teil seiner philosophischen Studien „Hundert Jahre Zeitgeist in Deutschland" veröffentlicht, worin er sich mit der politisch-wirtschaftlichen und ethischen Entwickelung des deutschen Lebens im dahinschwindenden Jahrhundert beschäftigt. Es ist auf alle Fälle interessant, einen alten Fenerbachianer, der sich ein eigenes System des Denkens auf Grund eines sehr zarten Nationalismus seiner ganzen Natur gebildet hat, die Geschichte seiner Zeit, die er zum grösten Teil miterlebt hat, auf ihre inneren Zusammenhänge untersuchen zu schen. Es ist philosophische Filigranarbeit und viele originelle Perspektiven ergeben sich gewiß bei diesem Tun. Viele richtige und feine Bemerkungen über das, was dem Verfasser „modern" scheint im Gegensahe zu seinem persönlichen Geschmack sind entwickelt und die geistigen Linien, die er zieht, um die Zusammenhänge der politischen und geistigen Strömungen zu er klären, sind immer geistreich. Aber wie weit gerade eine gewisse historische Objektivität hierbei erreicht ist, würde eine andere Frage bleiben. Der „Geschmack" des denn doch geneigt mancherlei, was aus sehr verschiedenen Quellen auch in unseren Tagen strömt, unter einen Begriff zu fassen, weil die Grenzen seiner genießenden Individualität ihn zwingen, nun einmal so zu sehen, wie er sieht.

Jedenfalls ist dieses Buch aber eine der bedeutenderen Erscheinungen, einer persönlichen Geschmacksrichtung entstammend, die der eines Hähnel nicht unverwant ist und unbewust einen gewissen alt-dresdener Geist wieder spiegelt, ja, in gewissen Dingen, z. B. in der Beurteilung des Antisemitismus, bezüglich in der Schilderung des Judentums sich ganz wesentlich durch unmittelbare lokale Einflüsse vielleicht gegen den eigenen Willen zur möglichst objektiven Erörterung sehr schwieriger Probleme gedrängt sieht.

Zwei eigenartige andere literarische Gaben dürfen hier noch erwähnt werden. Ernst Eckstein in Dresden hat in seiner neuesten Novelle „Der Mönch vom Aventin" | mit entschiedenem Glück gewetteifert mit Kourad Ferdinand Meyers historischen Novellen. Eine schöne poetische Idee, der Versuch einer mittelalterlichen Neuaufrichtung des alten Cäsarentums in Rom, einer Regeneration Italiens mitten in der Barbarei der römischen Adelsgeschlechter, das tragische Scheitern des Versuches unter der Anführung einer Julia Colonna ist mit ruhiger gehaltener Darstellungskraft ausgeführt. Das Werk enthält energische Schönheiten und entläßt mit einem gewissen geschichtlichen Schwergefühl und Schick salsempfinden, welches der beste Teil dieser historischen Gattung ist.

Sehr eigenartige Verse von einer ursprünglichen Sprechweise und eigenem Marke hat Ferdinand Avenarius mit seinem lyrischen Zyklus „Lebe" veröffentlicht, auch sie dürfen in dieser Dresdener Schilderung nicht unerwähnt bleiben. Der Verfasser hat eine Vorrede dazu geschrieben, in welcher er sein Streben nach einer neuen „großen lyrischen Form" dartut. Er ist vielleicht im Irrtum, wenn er etwas Neues hierin sieht, denn lyrische Zyklen, welche gleich

die originellsten Erscheinungen zeitigte. Er trat mit einem „Romeo" an, der einstimmig von der gesamten Kritik als eine überladene, ja hysterische Leistung abgewiesen wurde und schon drohte ein schweres Fiasko, als der gewante Künstler sich von einer neuen und besseren Seite zeigte und mit seinem „Raskolnikow", seinem „Sigismund" (Das Leben ein Traum) sich im Sturme die Herzen neu eroberte und sogar seine Gegner, die ihn schon seit seinen Jugendjahren befehdet hatten in der Presse, dahin brachte, daß sie die Waffen streckten und die Größe, den Stil, die wundersame Schönheit seines künstlerischen Tuns priesen. Dies war um so bemerkenswerter, als Matkowskys Eigenart in Berlin ziemlich vereinzelt dasteht; dort, wo der ExperimentalRealismus auch in die Schauspielkunst eingedrungen ist, ist eine Kunsterscheinung, die lediglich die natürliche Anmut, die Größe der Bewegung menschlicher Edelrasse sucht und ganz wesentlich unmittelbare Leidenschaftsdarstellung bedeutet, eine rara avis. Und doch spielte er Raskolnikow, spielte ihn mit allen psychologischen Mitteln des modernen Realismus, um ihu doch mit einer gewissen Größe des Vortrags zu verbinden und in den Dimensionen des Menschenadels zu halten. Das Stück selbst, die Bearbeitung des Dostojewskyschen Romans, welche die Herren Eugen Zabel und Ernst Koppel, zum Teil mit Benutzung des Wortlauts bei dem russischen Dichter, verfaßt haben, darf man eine interessante Studie nennen, die in Dresden, wie seiner Zeit zuerst in Leipzig und später im „LessingTheater" zu Berlin, den Erfolg einer Studie gehabt hat. Wir sahen es damals sowol in Leipzig wie in Berlin und fanden, daß in Dresden eine Wirkung hinzukam, die man als ein charakteristisches Zeichen der dresdener Verhältnisse auffassen darf. In Leipzig und Berlin hat man wesentlich unter dem Gesichtspunkte der technisch-naturalistischen Seite des Dostojewskyschen Werkes pro et contra geurteilt. In Dresden hörte man dagegen viele Stimmen, welche es priesen, daß ein solches Werk aufgeführt würde, und welche seine drama

zeitig das lyrische Empfinden als individuell charakteristischtischen Schwächen gern übersehen wollten wegen seiner

zu malen suchen, wie es hier geschieht, hat auch die Antike schon gekannt, man braucht nur an Ovids „Heroiden" zu denken. In andrem Sinue ist die „große lyrische Form" längst durch Pindar und Friedrich Schiller entdeckt gewesen. Leopardi hat sich der Formen bedient, die auch Avenarins braucht, und Hölderlin hat in seinem Zyklus „Emilie an Clara" ganz verwante Dinge unternommen. Aber wenn hierin der Dichter auch sich selbst zu viel zugedacht haben sollte, so ist es immerhin wertvoll, daß das Bewustsein der „großen lyrischen Form" bei einem Poeten in nicht ganz sicheren Umrissen aufsteigt, der als ein Sänger der „kleinen" lyrischen Form Heines zuerst begonnen hatte. Die Hauptsache ist, daß durch diese Verse eine wesensvolle sprachliche Kraft redet, daß eigene sittliche und empfindsame Stimmungen des Lebens überzeugend festgehalten sind und mancher geheimnisvolle Laut in einer lauteren Kunstsprache ertönt, die nicht den Marinismus unsrer allerneuesten Schwulstpoeten mitmacht. Es ist von Wert zu erwähnen, daß das lyrische Werk eines anderen dresdener Dichters, Karl Wörmanns Gedichte: „Zu Zweien im Süden", soeben, nach Jahresfrist, uns in einer zweiten Auflage vorliegt.

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tief christlichen Wirkung. Die gewaltige ethische Auffassung des christlichen Reue- und Sühnegedankens, welche der Russe vertritt, indem er den jungen Mörder durch das Bekenntnis seiner Tat „sein Leid auf sich nehmen" läßt, der Ernst der neueren Russen, den ja auch Tolstoj in verwanter Weise aus seiner christlichen Lebensanschauung heraus besikt, fand in Dresden einen guten Boden. Man sprach nur mit großem Respekt von der sittlichen Tendenz des Stückes und verstand, wie Dostojewsky die gefährliche psychologisch - analytische Sucht unserer Zeit, indem er selbst der gröste Künstler solcher Seelenanalyse ist, jene Sucht, welche auch Raskolnikow zum Mörder macht und in die Dekomposition seines Seelenlebens treibt, durch die einfachen ethischen Grundgedanken des Christentums und seine herzenskomponirende Kraft, zu heilen, zu überwinden sucht. Die Verfasser hatten dadurch, daß sie ihren früheren fünften Akt weg ließen und alles Gewicht auf eine Szene legten, in welcher der eigentliche ethische Grundgedanke zum vollen Ausdruck kommt, den Dresdnern gar sehr das Verständnis der Sache erleichtert.

Das Gastspiel des Herrn Matkowsky endete auch diesmal mit den in Dresden üblichen Kundgebungen der Damenwelt, welche regelmäßig stattfinden, wenn dieser Künstler nach Dresden kommt.

Er hatte einst seine Laufbahn in Dresden am Königlichen Schauspielhause begonnen und sich trok seines tollen Vor zwei Jahren versuchten die Damen ihm die Pferde auszuspannen. Diesmal standen die schönsten Töchter Albions sowie die harmlosesten deutschen Gretchennaturen Spalier in und vor dem Theater; zerrissen die Lorber kränze, um die Blätter als Andenken zu bewahren, umringten, bestürmten den schönen Mimen, hingen sich an ihn und zerrissen ihm zuletzt buchstäblich! seinen Mantel. Man muß es erlebt haben, um es zu glauben. Friedrich Haase, Chrenmitglied der dresdener Hofbühne, kam auch in diesem Jahre, um einige seiner welt bekannten älteren Rollen und einiges Neue zu spielen. Er brachte ein neues Stück von E. Klaar „Die Schwestern" mit, eine derbgearbeitete, unlitterarische, aber wirkungsvolle Bühnenarbeit, in welcher Haase einen alten russischen Fürsten spielt, der versöhnend in die Konflikte des Stückes eingreift. Kasimir Delavignes „Ludwig XI.“, den auch Rossi seiner Zeit auswärmte, wurde durch Haase nicht minder geistreich verkörpert; man bewundert an diesem Schauspieler noch immer die feine Detailarbeit, die sichere charakteristische Fantasie und den in sich gerundeten Stil seines reinlichen Realismus.

Schauspiel, mimische Kunst und dramatisches Schaffen hat in Dresden einiges Interessante gebracht. Adalbert Matkowsky, der Held und Liebhaber des Königlichen | Lebens vielleicht auch wegen desselben eine ganze Schar bacchantisch begeisterter Verehrerinnen erworben. | tiges und Menschenbewegendes hervorkommen möchte, dem

Die Ausbeute am Königlichen Hofschauspiel ist litterarisch und dramatisch nur eine ganz geringe gewesen. Einen größeren Kassenerfolg erzielte nur „Der Pfennig reiter" von E. Wald-Zedtwik, die Dramatisirung des gleichnamigen Romans vom selben Verfasser. Die packende Darstellung eines alten Landesbranches und seiner sittlichen Konsequenzen erfrente hier und wirkte unter so manchen konventionellen Erfindungen erfrischend. „Das Heiratsnest", ein Lustspiel von G. Davis, in Wien mit viel Erfolg gespielt, fiel in Dresden durch und verschwand sogleich wieder vom Spielzettel. Auch diese Komödie war allzu unlitterarisch, um das Publikum der Hofbühne ernstlich beschäftigen zu können. Skowronneks „Palastrevolution" wurde freundlicher aufgenommen, doch fand man, daß es weder die dramatische Kraft des Erstlings „Im Forsthause", noch den guten Aufbau desselben besitzt. Aber viele liebenswürdige Züge im einzelnen wirkten doch zu einer angenehmen Abendunterhaltung. Ein Festspiel „Die Feuertaufe", zum fünfzigjährigen Militärjubiläum König Alberts von Sachsen von Franz Koppel-Ellfeld verfaßt, in Gegenwart des Kaisers, des sächsischen Hofes und vieler deutscher Fürsten aufgeführt, fand eine freundliche Beurteilung durch die Presse, die dabei vorwiegend die Rolle des Festberichterstatters zu wahren hatte.

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Ein Dichter, den man ja wol trok christlich germanischer Acht- und Bannerklärungen auch heute noch für einen Meister der Lyrik und einen genialen Satiriker

Ruhm des Dichters, Forschers und Patrioten keineswegs hinderlich gewesen. Beides dient zum Zeugnis, daß sowol der wikigste Hohn als das verkennende Machtwort der grösten Autorität Lebendiges doch nicht unterdrücken kann. Wir alle wären ärmer ohne den Schak, den Uhland chon unsern Kinderjahren beschert, und seit dem Erlöschen des Privilegs breiten seine Werke sich noch viel weiter aus. Er hat für unser Ange, so bescheiden er auftritt, die nächsten Lebens- und Dichtgefährten in Schatten gestellt, daß man auch eine sehr eigenartige Gestalt wie seinen treuen Justinus Kerner weit über Gebühr vernachlässigt. Zu einer raschen Musterung giebt uns ein jüngst erschienenes liebenswürdiges und lehrreiches Buch willkommenen Anlaß: „Das Kernerhaus und seine Gäste. Von Theobald Kerner. Mit dem Bildnis und Facsimile Justinus Kerners nebst anderen Porträts und Illustrationen." (Deutsche Verlagsanstalt, 1894.)

Justinus ist am 28. September 1786 in der verödeten Nebenresidenz Ludwigsburg geboren, da wo auch Mörike, Vischer, Strauß das Licht der Welt erblickt haben, der schwäbische Mythenkritiker und der schwäbische Geisterseher. Er hat als Kind noch Schubart gesehen und Schillers Bild sich eingeprägt, und in dem viel zu wenig bekannten „Bilderbuch aus meiner Knabenzeit" ist das württembergische Potsdam mit seiner verblaßten Herrlichkeit, seiner Emigrantenkolonie, seinen schier unheimlichen und gespensterhaften Prunkbanten, vor allem seinen einheimischen oder zugewanderten Sonderlingen festgehalten, deren lange Galerie von einem berüchtigten und gefähr lichen Zionswächter an bis zu verrückten Italienern und drolligen höchst originalen" Bürgersleuten reicht. Schon früh nährt Justinus seine Lust am Aparten, Schiefgewickelten, Unsinnigen und wendet sich vom landläufigen Mittelmaß weg, um helle und dunkle Abarten des Genus homo zu studiren. Ihm war im reichsten Maße eigen, was alle schwäbischen Schriftsteller mit Ausnahme des einzigen, nur auf einen tiefelegischen Ton gestimmten Hölderlin besitzen, was Schubart so saftig pflegte, der schweigsame Uhland in Reime brachte, Mörike schalkhaft unter die Blüten seiner Lyrik säte und Vischer in mancherlei Tonarten tummelte, ein unversieglicher Humor als Gabe des Volksstammes und des Hauses. Er kann einen Abschnitt farbenjatter Erinnerungen überschreiben: „Des Vaters Humor" Aber in der mütterlichen Linie der Familie war Geisteskrankheit nicht vereinzelt, wie denn Justinus, der für seine Kindheit cin stetes Ueberwiegen des Gemütslebens über das Intellektuelle schildert, selbst betont, er führe die krankhaften Seclenzustände einzelner Verwanten besonders darum an, weil daraus hervorgeht, wie Wahnsinn, Somnambulismus und Dichtkunst mit einander verwant sind und oft eins aus dem andern" sich entwickelt. Als Lehrling heftet er dann mit jener Wollust des Granens seinen Blick auf die nachbarlichen Insassen der Irrenanstalt und des Zuchthauses; als Student weiß er, wie ein Freund berichtet, Wahnsinnige gruselig nachzuahmen. Er gesteht seinen Drang, schon im Geburtsort wie in den sagenumwobenen Gängen und Hallen Maulbronns die Dämmerung des Spukwesens aufzusuchen und die Rätsel der Geisterwelt in einer überreizten Kinderfantasie zu wälzen, aber ein schlagfertiger Scharfsinn wiederum ließ die Fantastik, ein ferniger Humor die Anziehungskraft des Irrationalen und Kranken nicht über

wird halten dürfen, Heinrich Heine also, hat den zeit-mächtig werden. Wenns recht toll wurde, ironisirte er sich

gern selber und fand ein befreiendes Gelächter. Er war ein Virtuos in Schnurren gleich Clemens Brentano, der am Marterbette der Stigmatisirten seine krausen Späße nicht ganz verlernt hat, wenn sie auch angesäuert und

genössischen Dichtern Schwabens in grausamer und frecher Gebelaune alles mögliche Böse nachgesagt und an ihrer Wertschätzung, die für seine besondern Opfer nie sehr hoch war, doch nichts geändert. Ist ja auch Goethes frostiges Absprechen über Uhland, aus dessen Region nichts Tüch | verbittert wurden. Wie dieser Clemens Demens die Weins

berger Seherin von Prevorst nur die Seherin von Bratwurst nannte, so brach Justinus als Knabe, da er höchst romantisch gestimmt eine Kirche betrat, plötzlich in ein frampje hastes Lachen aus, weil ihm der feierliche Mönchsgesang klang, wie: „Sie aßen von den Früchten des Schweinstocks". Und der von Immermann recht unfröhlich verspottete, von Strauß dagegen sehr hübsch geschilderte Weinsberger Kerner hatte zu den Poltergeistern und den groben Teufelsgesellen, die in seinen Besessenen rumorten, auch ein behaglich humoristisches Verhältnis. Schon als Kind, mit Märchen und wundersamen Volksbüchern gesättigt, schweift er gern hinüber ins Nebelreich des Traums und kann seine Nachtgesichte poetisch wiederspiegeln. Er belauscht, wie das Dichter immer getan haben, wie neuestens die Tagebuchblätter Gottfried Kellers so köstlich belegen, die Fantasie am dunklen Webstuhl, aber er mißt zugleich seinen Träumen den Charakter untrüglicher Weissagungen bei, glaubt an eine Zahleniymbolik des Traums und empfindet bei solcher somnambuler Vorwegnahme der Zukunft eine wahre Qual". Daß er in einer Krankheit mit Magnetismus behandelt worden sei, habe ein magnetisches und profetisches Leben in ihm geweckt und für später eine Vorliebe für die Erscheinungen des Nachtlebens der Natur, für Magnetismus und Pneumatologie". In diesem frühen und tiefen, nie spielerigen oder gemachten Zuge zu den sogenannten Nachtseiten war Kerner viel mehr Romantiker als Uhland, ein Stimmungsmensch, dessen sprudelnde Ausgelassenheit gar oft in dunkle Melancholie umschlug.

Justinus hat eine sehr unregelmäßige Bildung genossen. Zwar schützte ein gelehrter Gönner den Verwaisten vor dem Konditorladen, aber was sollte dieser Lehrling in der Ludwigsburger Tuchfabrik andres anstellen als krenzunglückliche Klagen oder dummes Zeng? Wie Brentano zwischen den Kaffee- und Delfässern des biedern Kaufmanns Polex, so erholte sich Justinus zwischen den Ballen und Indigomassen an lustigen Mystifikationen und Scherzgedichten. Seine ernste Poesie ging noch auf fremder Spur: sie wurde erst im Anhauch des Volkslieds frei. Als Kerner erlöst wird und die Universität beziehen darf, ist die erste Tübinger Bescherung ein Traum, und daß ihm gleich anfangs der Wind einen Rezeptzettel zu

Er genoß seit 1813 den Segen der Che mit einer an Leib und Seele gesunden, unermüdlich schaffenden, nirgend kleinlichen, verständnisvollen Frau, die auf all seine Schnaken und all seine Schmerzen einging, die dem Dichter und dem ärztlichen Exorzisten gleich gerecht ward. Sie heiterte ihn auf, wenn im Wildbad und dann in Weinsberg der Beruf diese weiche Poetenseele oft furchtbar angriff, denn ein Todesfall konnte ihn ganz persönlich martern, ein fremdes Kind ihm selbst sterben; wir besiken ein ergreifendes Gedicht auf ein braunes Büblein, das er so gern gerettet hätte.

Justinus Kerner hat als schwäbischer Spätling der Romantik se'ne eigene Weise. Wenn Strauß einmal sagt und dies Bild ausführt, die Dichterstaude Württembergs treibe gern zwei Stengel, so ist Kerner doch von Uhland zu tief verschieden, als daß man beide mit gemeinsamen Schlagworten über einige Gattungen der Lyrik und einige Grundzüge hinaus charakterisiren könnte. Er weiß nichts vom Kleinfram und Gelbveigleinsang des nicht bildenden, sondern vildernden Karl Mayer, dem anstatt seiner lyrischen Miniaturen nur die treu überlieferten Erinnerungen an die Jugendwelt größerer Genossen einen Ehrenplak sichern. Er ist ganz frei von der philiströsen Ader, die Gustav Schwabs wackere Betriebsamkeit nie überwand. Ihm fehlt Mörike gegenüber, um nur eines anzudenten, jedes Verhältnis zur Antike, die ohne Hölderlins trostlose Gräkomanie über manches Gebild des Pfarrers von Cleverjulzbach ihren Zauber gespreitet hat: „Was aber schön ist, selig ist es in ihm selbst". Ein seßhafter Schwabe tat Kerner im ganzen Leben nur eine größere Reise nach Hamburg, Berlin und Wien, wo ihm denn die Kaiserstadt, Deutschlands Herz, lieber war als Berlin, der kühle Kopf. In Hamburg gabs keinen Neckarwein, aber ein Puppentheater. Man spürt immer den Romantiker. Eine echt romantische Frucht dieses Ausflugs sind die „Reiseschatten von dem Schauspieler Luchs", jeanpaulisch eingekleidet, ein Durcheinander von Gattungen und Formen, die Uhland stets sauber sichtet, eine Zaubertaterne des Wunderbaren und Wunderlichen, in manchem Betracht den Flügen und Kapriolen Brentanos verwant. Da wimmelt es von Narren und Fraken, von Späßen und

trägt, führt ihn wie ein Schicksalswink von den Natur-Tollheiten, aber der verliebte Mühlknecht löst den Irr

und

wissenschaften zur Medizin. In Tübingen wirkte Uhland beruhigend auf den Kameraden, doch hebt Varnhagen mit scharfer Beobachtung das Halbdunkle, Zauberhafte, leiden schaftlich Barocke des jungen Sonderlings hervor, der urschwäbisch redete und von allerlei Getier umgeben hauste. Er schilderte ihn halb lustig, halb zerrissen. Alle diese Elemente schwinden nicht. Sie erhellen und beschatten auch Kerners Liebe, die, wieder im Gegensatze zu Uhlands ruhigem Bürgerschritt, romantische Pfade einschlug, bis das Rickele eine Frau Doktorin wurde. An Uhlands Geburtstag 1807 auf Achalm war der Student Kerner einem fremden trauernden Mädchen mit der Frage genaht: „Wie kommts, daß du so traurig bist" sie, die den Vater verloren, hatte die poetische Erkundigung herzlich mit Goethes zweiter Strophe erwidert. So wurden sie Bräutigam und Braut; denn so ein schwäbischer Dichter irrlichtelirt selten in der grande passion, sondern weiht Herz und Hand Einem Mädchen, das seine Verlobte und, manchmal nach längerem trenen Harren, sein gutes Che weib wird. Kerners Brautstand hat außer herzinnigen Gedichten echte Poetenbriefe gezeitigt, die auch Gedichte sind und die nicht von Haus zu Haus besorgt, sondern unter dem Stein ciner verfallenen Kapelle verborgen und gefunden wurden. Mitten unter hellen Liebesschwären erzählt Justinus dem Rickele auch seine Visionen vom Tanz auf dem Kirchhof, ja er malt ihr die entsekliche Angst aus, sie sei gestorben.

sinnigen ab, das Volkslied ein krauses Geschwäz, und die volle Ladung romantischer Tendenzen in Ernst und Scherz nimmt auch eine unmittelbare Kampfrichtung gegen die „Plattisten" Schwabens. So ist es leicht, nicht blos die hier eingelegten Spiele, Satiren, Gesänge, sondern auch die „Bärenritter“ und „Bärenhäuter" Kerners an ältere Denkmäler der Romantik anzuknüpfen, wie kein Zufall seinen Namen in die Sammelhefte der Heidelberger Arnim und Brentano eingetragen hat.

Schade, wenn Kerners launiges „Prognostikon" zu

Recht bestünde:

Flüchtig leb ich durchs Gedicht,
Durch des Arztes Kunst nur flüchtig;
Nur wenn man von Geistern spricht,
Denkt man mein noch und schimpft tüchtig.

Mit dem Schimpfen auf weinsberger Psychiatrie und Spiritismus ist es gewiß nicht getan, obwol wir die Andacht vor der Seherin von Prevorst ihrem jüngsten Herold du Prel und der mystisch blassen Malerei des Gabriel Max anheimgeben. So manches Gedicht Kerners ist Gemeingut aller Deutschen geworden und wird es bleiben. Aus den vielen minder populären spricht eine psychologisch, doch auch pathologisch interessantere Persönlichkeit als aus dem klaren Vermächtnis Ludwig Uhlands, der seine Gaben immer rein ausprägte und menschlich, um altdeutsche Beiwörter zu brauchen, so einfalt" und auch so „einhart" war. Kerners Erscheinung, Umgebung,

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