Billeder på siden
PDF
ePub

und ferne genug, wo sie uns nicht, mit ihren Nebeln und | seiner Ueberzeugung, in der Reinlichkeit in Sachen des Brandes besikt gerade alles das, was Taine fehlt. In seiner femininen Sensibilität ist er mehr moderner Franzose als Taine selbst. Der Umfang dieser Sensibilität ist eben nach seiner ganzen komplizirten Natur und der Zusammensetzung seines Miliens ein außerordentlich großer: der Sohn jüdischer Eltern, als Philosoph in Dänemark erzogen, geboren im innigsten Kontakt mit Frankreich und England, in Deutschland lange Jahre hindurch heimisch, so vereinigt er eine ganze Fülle von Charaktereigenschaften und Nationalitätseigentümlichkeiten in sich, und seltener als anderen mag ihm eine Persönlichkeit begegnen, bei deren Offenbarungen nicht die eine oder die andere Saite in seinem Innern mitschwingt. Das ist ganz gewiß keine Charakterlosigkeit Denn auch die ist ihm vorgeworfen worden, zulekt von Ola Hansson: der Vorwurf ist vor allem verwunderlich gegenüber seinem Lebenswerk, den „Hauptströmungen der Litteratur des 19. Jahrhunderts." Denn gerade hier läßt sich in den sechs Bänden ganz genau verfolgen, welche Persönlichkeiten ihm kongenial und sympathisch waren, und an welche er sich erst mit ge- | Tatsachen, überall Mischung von Lebensbeschreibung und

Wolken zu erreichen wüßte. Als Zweifel, als Gewinn, als Hoffnung, als Tugend verkleidet, in der wechselreichsten Maskentracht umschleichen uns die Bilder jener Kultur: und selbst hier in Ihrer Nähe, d. h. gleichsam an der Hand eines wahren Bildungseremiten wußte uns jene Gaukelei zu verführen. Wie beständig und treu muß jene kleine Schar einer fast sectirerisch zu nennenden Bildung unter sich wachen! Wie sich gegenseitig stärken! Wie streng muß hier der Fehltritt gerügt, wie mitleidig verziehen werden! So verzeihen Sie nun auch mir, mein Lehrer, nachdem Sie mich so ernst zurecht gewiesen haben!"

„Du führst eine Sprache, mein Guter", sagte der Philosoph, die ich nicht mag und die an religiöse Konventikel erinnert. Damit habe ich nichts zu tun. Aber dein platonisches Pferd hat mir gefallen, seinetwegen soll dir auch verziehen sein. Gegen dieses Pferd tausche ich mein Säugetier ein. Uebrigens habe ich wenig Lust noch, mit euch hier im Kühlen noch ferner herumzugehn. Mein von mir erwarteter Freund ist zwar toll genug, auch wol um Mitternacht noch hier hinauf zu kommen, wenn er es einmal versprochen hat. Aber ich warte vergebens auf das zwischen uns verabredete Zeichen: mir bleibt es unverständlich, was ihn bis jekt abgehalten hat. Denn er ist pünktlich und genau, wie wir Alten zu sein pflegen und wie es die Jugend jetzt für altväterisch hält. Diesmal läßt er mich im Stich; es ist verdrießlich! Nun folgt mir nur! Es ist Zeit zu gehen!"

In diesem Augenblicke zeigte sich etwas neues.
(Ein fünfter Aussak folgt.)

Georg Brandes.

Von
Paul Clemen.

II.

Als Philosoph war Brandes von Hegel ausgegangen. Seine beiden ersten Arbeiten waren Studien im gewöhnlichen hegelianischen Genre gewesen. In seiner Soziologie fußt er auf Mill und Spencer, in seiner Aesthetik und den Grundsäken seiner Kritik auf Taine. Rudimente dieser verschiedenen europäischen Einflüsse sind noch in allen seinen Werken zu entdecken. Von Hegel stammt die Vorliebe für rein abstrakte Exkurse, im Anfang auch seine Terminologie, dann aber auch seine unglaubliche dialektische Gewantheit, die ihn mit den Begriffen Fangball spielen läßt, ihm allen Angreifern gegenüber die bestgeschliffenen, geschmeidigsten und schärfsten Waffen verschafft, und endlich eine außerordentliche systematische Schulung des Denkvermögens. Auf englischer Erde erntete er nicht nur seine leitenden Ideen in der Frauenfrage, sondern vor allem auch seine moralischen und moralphilosophischen Prinzipien.

Auf Hegel führt auch seine Stellung zu den Religionsgemeinschaften zurück. Nicht die Lehren der Entwicklungstheorie waren es, die ihn so weit nach links trieben, sondern die deutschen Philosophen. Strauß und Feuerbach waren hier die Uebergangsstationen. Alles haben ihm seine Feinde verziehen, den Sturz der Romantik, das Aufwühlen von sozialen Fragen, die geistige Unter jochung unter die cigene Person nur das eine nicht, daß er der dänischen Orthodoxie den Todesstoß versekt. In seiner streitbaren Unerschrockenheit im Wiedergeben

Glaubens gleicht er Charles Bradlaugh. Es ist das Schicksal aller freien Geister, daß immer die schlechtesten, abgegriffensten und unlogischsten Einwände ihnen entgegengeworfen werden. „Deine Ideen sind Petroleusen! Gehe zu den Sozialisten, wohin du gehörst!", hatten die einen gerufen. Das blutige Gespenst der Kommune wurde gegen einen Mann herausbeschworen, der allerdings eine Revolution wollte, aber eine Revolution der Geister. Und wieder sollte der Streit der. Meinungen zwischen vereister Orthodoxie und moderner Weltanschauung als der Kampf von Christentum und Atheismus gebrandmarkt werden. Brandes hat selbst hierauf die beste Antwort gegeben in einer Brochüre, die er wider seine Gegner geschrieben: die Frage ist in Wirklichkeit nicht, ob man einen persönlichen Gott annimmt oder nicht, sondern ob man eine Offenbarung der höchsten Wahrheit annimmt, ob man, mit einem Worte, diese höchste Wahrheit als ein Gegebenes betrachtet, oder ob man der Ansicht ist, daß sie zu suchen, und mit Anstrengung der höchsten Kräfte des Menschen, ohne Rücksicht auf irgend eine sogenannte historische Offenbarung zu suchen sei. Im ersten Falle ist man orthodox, im letzten Falle ist man Freidenker, gleichviel zu welchem Resultate man im übrigen gelange, ob unser Gedanke Ruhe finde im Glauben an einen persönlichen Gott, im Pantheismus oder im Atheismus. Hier liegt der Gegensatz, die zwei Lager sind das der Orthodoxie und des freien Gedankens. Vekteren für gleichbedeutend mit dem Atheismus erklären, heißt sich einer wissentlichen Fälschung schuldig machen.

Und an anderer Stelle bricht es gegen seine Angreifer bei ihm hervor: Seid ihr nicht imstande gewesen, gegenüber der Kritik und ihrer großen ernsten Tat uns eine Entgegnung und Abfertigung auf die Lippen zu legen, so habt ihr kein Recht, euch zu wundern, daß wir als wahr annehmen, was den Stempel der Wahrheit auf seinem Antlik trägt, und was ihr nicht aus der Welt schafft, weil ihr euch gebärdet, als sei es nicht da. Den Ehrabschneidern aber unter euch sage ich: Bringt uns nur in Miskredit bei dem Volke! Ihr könnt es nicht ewig auf der Geistesstufe festhalten, auf welcher es heute steht, wenn auch die Unwahrheit noch eine Zeitlang die zahlreichsten Anhänger finden mag. Die Unwissenheit war immer die Leibwache der Lüge. Aber die Zeit wird kommen, wo selbst die große Masse Ekel und Widerwillen an den Ueberresten der Vorurteile vergangener Zeiten empfinden wird, welche ihr ihm jest als Kost darbietet! Die Zeit wird kommen, wo man erkennt, daß die Epoche, welche ihr vertretet, tot ist, wenn ihr es auch leugnet, und die Leiche, gleich der Leiche jenes assyrischen Königs, nominell noch immer das Regiment führen laßt.

Die Schärfe der Gegensätze, die Erbitterung des Kampfes, die Gewissenlosigkeit in der Wahl der Kampfesmittel erinnert an den Sturm, der sich einige Jahrzehnte früher in Deutschland gegen Strauß erhoben. Hier wie dort die gleichen Misverständnisse der großen Menge. Keine Erinnerung, daß ein Voltaire, ein Lessing, gelebt. Als Erzenger, als Erfinder des Unglaubens wurden Strauß wie Brandes angeklagt, die doch beide nur beredte Interpreten waren.

Das war vor zwanzig Jahren. Und heute? Brandes macht aus seinen Sympathien und seinen Ueberzeugungen kein Hehl - überall in seinen „Hauptströmungen" züngelt die Feindschaft gegen die Reaktion und die Unterdrückung des freien Gedankens, bricht die Flamme seines ungezügelten Freiheitsdranges in breiter roter Lohe hervor. Die Ablösung der Leidenschaft zu denken durch die Leidenschaft zu glauben, wie sie sich im Norden in Heiberg und Kierkegaard und in allen europäischen Kulturländern längst vorher zeigt, analysirt er zwar und legt Ursachen und Folgeerscheinungen dar, aber er bekämpft sie auch bis aufs Messer. Durch den ganzen Band über die Reaktion in Frankreich zittert der Groll, aber mit dem Groll der Schmerz um den unwiederbringlichen Verlust der großen Freiheitsgedanken der vorher gehenden Zeit. Die Wiederaufrichtung des Konkordats, die Guizot Napoleons schwierigste Regierungshandlung hieß, und die der Korse selbst seine Schußpocken gegen die Religion nannte in fünfzig Jahren wird es in Frankreich keine Religion mehr geben, sagte er zum Philosophen Cabanis - bezeichnet Brandes nicht nur als Napoleons grösten Regierungsfehler, sondern als sein gröstes Verbrechen.

Es ist das Autoritätsprinzip, das Brandes überall bekämpft, und an dessen Stelle er das freie Denken unter eigener Verantwortlichkeit sekt - unter Freiheit und Verantwortlichkeit, wie Ibsens Frau vom Meere ruft. So hat auch der Despotismus in Europa kaum einen grimmigeren Gegner als ihn. Man muß sich der äzenden Satire auf den feisten vierten Georg von England erinnern, um zu begreifen, wie er mit gekrönten Häuptern umspringt. Gerade bei der Schilderung des vorbyronischen Englands feiert seine Leidenschaft, Masken abzureißen und Göken zu entronen, Triumphe.

In seiner ersten Periode ist der Einfluß Taines bei ihm am stärksten und am dentlichsten wahrnehmbar. Aber hier springt zugleich der Unterschied am meisten in die Augen, bedingt durch das gänzlich verschiedene Naturell und die verschiedenen Absichten der beiden Führer. Es ist schwer, die beiden nebeneinanderzustellen. Taine ist als Philosoph eine geschlossene männliche Persönlichkeit mit einem ebenso geschlossenen System; Brandes ist über haupt kein selbständiger Philosoph; im Interpretiren und Popularisiren von Philosophen für das spezielle Bedürfnis von Dänemark liegt seine Bedeutung. In dem geschlossenen System liegt Taines Vorzug, aber auch sein Mangel als Kritiker. Am besten zeigt sich das wol bei seiner grösten Tat auf dem Gebiete der Kritik, der Geschichte der englischen Litteratur. Aber das Programm und die Methode, die er in der berühmten Einleitung in klassischer Form entwickelt, sind eben nicht auf alle Individualitäten anwendbar: sie reagieren nicht alle gleichmäßig auf das Milieu. Taine war zu sehr der ernste, charaktervolle Mann mit bestimmten Grundsätzen, als daß er sich nicht durch moralische und politische Sympathien und Antipathien hätte leiten lassen sollte war als Kritiker zu sehr Philosoph und zu wenig sensi tiver Genußmensch.

er

waltiger Anstrengung festgesogen hat. Und endlich leuchtet hier weit mehr als in den späteren Essays die tendenziöse Grundfärbung des Buches hindurch. Nicht ein Handbuch wollte Brandes schreiben und ein litterarhistorisches Compendium, nicht ein halbes Jahrhundert Zeitgeschichte aufarbeiten und etwa eine Fortsekung Hettners liefern - seine unverhohlene Absicht ist, zu zeigen, und zunächst seinen dänischen Landsleuten zu zeigen, wie die großen Freiheitsgedanken des 18. Jahrhunderts aufschossen, in der Reaktion unterdrückt, in der Romantik umgemodelt wurden, um endlich wieder zur Herrschaft zu gelangen. Das verführt ihn bei seinen Lieblingsdichtern, vor allem bei Shelley, zu mannigfachen Hyperbeln und läßt ihn reaktionären Köpfen, Lamartine und Chateaubriand gegenüber, nur schwer eine ruhige Würdigung finden. Hennequin und Huysmans, die es in ihren wunderlichen Gelüsten und seltsamen, perversen Instinkten gerade zu den Gestalten hinzog, die sich der Grenzscheide zwischen Genie und Irrsinn nähern, sind entschieden für die Interpretation dieser wenigen Persönlichkeiten genialer beanlagt, aber ihr Sensibilitätsumfang ist dafür nur ein Sektor mit enggemessener Schne aus der großen Peripherie Brandes.

Daß die dentschen Litterarhistoriker ihm Mangel an Objektivität vorwerfen, ist begreiflich, obwol der Einwand weniger Berechtigung hat als bei Taine, Belinski, Gervinus. Wir freuen uns des Schauspiels, wie auf diesen starken Geist und dies lebhafte Temperament die Geister eines halben Jahrhunderts wirken, selbst wenn die Bilder, die so entstehen, wertvoller sind für die Charakteristik des Kritikers als für die seiner Objekte.

Aber eines hat er ganz sicher voraus vor allen französischen Kritikern: den sittlichen Ernst. Der schweren Verantwortlichkeit seiner Aufgabe, geistiger Herold und Vermittler zu sein, ist er sich in jedem Augenblicke wol bewust. Das trennt ihn wieder von den Vertretern der zeitgenössischen französischen Tageskritik, von Francisque Sarcey und Jules Lemaître, von denen der eine ein Gelehrter mit viel Grundsäken und der andere ein Künstler ohne Grundsäße ist.

Er ist nichts weniger als Impressionist, der nur genießen und anderen Genüsse verschaffen will nach dem Wort Lemaitres: la critique tend à devenir simplement l'art de jouir des livres et d'enrichir et d'affiner par eux ses sensations, er geht aber auch nicht wie Sarcey mit einem ganzen Sack voll vorgefaßter Meinungen und akademischer Kunsturteile an das neue Werk heran, immer schon eine Etikette und eine Schublade bereit haltend, er legt sich seine Analyse auch nicht so einfach zurecht wie Bourget, der jede Erscheinung in drei, vier Wesensmomente zerlegt und im übrigen alles von der nervösen Empfindsamkeit seiner Leser erwartet.

Brandes hat eine Affinität, die sich an jeder Persönlichkeit festklammert und sie an sich zieht, sie belauscht und sie sezirt, mühsam die kleinsten Dokumente zusammenträgt, um am Schluß zurückzuschnellen und in großen Linien das erlauschte, seinem Objekt abgestohlene Charakterbild zu zeichnen.

Auch die Kunst dieser Charakteristik läßt sich nicht auf ein paar Formeln bringen. Sainte-Beuve hatte zum Motto seiner Kritiken das alte Wort de Meilhans gewählt: Nous sommes mobiles et nous jugeons des êtres mobiles. Brandes könnte dasselbe für sich in Anspruch nehmen. Kein Zweifel, daß ebenso wie Taine ihm für die ästhetischen Theorien und die Methode der kritischen Untersuchung Vorbild war, so Sainte-Beuve für die Form der Darstellung. Er wechselt Ton, Stimmung und Klangfarbe je nach der Persönlichkeit, von der er redet, nie ein trockenes Aufzählen von biographischen Kritif. Seine Vorliebe für prägnante Anekdoten und Einzelzüge überträgt er auch auf die litterarischen Werke. Ganze Bücher charakterisirt er durch ein paar meisterhaft herausgegriffene Sätze. Balzacs Arbeitswut, Gautiers jugendliche Schwärmerei werden durch die Kaffeegeschichte und die Episode mit der roten Weste illustrirt, und nichts in der ganzen Schilderung wirft ein solches Schlaglicht auf Byron als die farbenprächtige Erzählung von dem heidnischen Leichenbegängnis, das er dem toten Shelley am Strande von Livorno rüstete.

Sein Stil hat im Laufe der fünfundzwanzig Jahre eine große Wandlung durchgemacht. In den ersten Bänden der Hauptströmungen ist er oft pathetisch, deklamirend, agitatorisch, er liebt eine an Bildern überreiche, gedrängte, glänzende Sprache mit langausgesponnenen Perioden, eine französische Beredsamkeit. Seit der Mitte der achtziger Jahre unterliegt, glaube ich, auch Brandes dem Einflusse Jacobsens, des großen Erneuerers und Verjüngers der dänischen Sprache. Das zeigt sich vor allem in der äußerlichen Charakteristik, den feinabgetönten, in gedämpften Farben gehaltenen Naturbeschreibungen. Man stelle den späten Schilderungen einmal die ersten von Rousseauscher Naturverehrung getragenen Landschaftsbilder entgegen, wie er in die Szenerie der Neuen Heloise durch eine glühende Beschreibung des Genfer Sees verseht und die italienische Poesie durch die Erzählung eines Abends in Sorrent charakterisirt. In den Essays der letzten Jahre endlich meine ich neben der freien und französischanmutigen Art des Schreibens aus seiner Jugendzeit noch einen knapperen, oft vielleicht härteren, festeren Ton verspüren zu können, der wieder mehr deutsch ist. Die Säße sind kürzer, nackter, die Gedankenentwickelung geht rascher voran, er malt nicht mehr ganz so breit aus wie früher, deutet nur an, läßt den Leser selbst erraten und zieht ihn darum fester an sich heran. Er neigt selbst ein wenig zum Paradoxen, sucht vor allem neue Seiten an bekannten Objekten zu entdecken. So in dem letzten Essaybande in dem Zolaaufsak, der schon zweimal, in der „Deutschen Rundschau" und den „Litterarischen Volksheften" dem deutschen Publikum vorgelegen hatte. Er befolgt hier etwas die Methode Flauberts, mit welcher dieser Guy de Maupassant zum Schriftsteller erzog. „Wenn wir ein loderndes Feuer, einen Baum auf einer Flur beschreiben wollen, so haben wir uns vor dieses Feuer, vor diesen Baum so lange hinzustellen, bis sie in unseren Augen keinem anderen Feuer, keinem anderen Baume auf der Welt mehr gleichen. Auf diese Weise wird man originell." Wol zu merken, wenn man es ist, fügt Brandes selbst hinzu.

Es ist ein besonderer Tric von Brandes, daß er bei jedem Typus immer zuerst seine Karrikatur zeichnet. So verfolgt er auch nur die Richtungen in ihren Höhepunkten und überläßt sie im Verfallen sich selbst. Jede Richtung, sagt er, ist immer noch historisch, lange nachdem sie aufgehört hat, litterarhistorisch zu sein. Letzteres ist sie nur, so lange sie nicht allein die Gewalthaber, Herzöge und Bischöfe, sondern auch Geister und Talente in ihrem Dienste hat. Und denen, die mit leichtfertiger Grazie immer wieder auf dem morschen Boden den Eiertanz aufführen wollen, wirft er sein Wort entgegen: Das Genie ist nicht der geniale Müßiggänger, sondern der geniale Arbeiter, und die angeborenen Gaben sind nur das Werkzeug, nicht das Werk.

At en litteratur lèver, viser sig deri, at den saetter problem under debat - daß eine Litteratur in unseren Tagen lebt, zeigt sich dadurch, daß sie Probleme zur Debatte bringt. Die falsche Furcht vor einer Tendenze litteratur, eine Furcht nicht vor der Tendenz an sich, sondern nur vor der neuen Tendenz, hat er selbst wol

am besten in seiner Kritik Björnsons in den „Modernen Geistern" wiederlegt. Aber wie in Frankreich die geniale Formel Taines von dem allmächtigen Milien von seinen Nachtretern übertrieben und doch zugleich abgeschwächt worden ist, so die Brandessche Forderung des zeitge genössischen Inhalts von seinen dänischen und deutschen Anhängern. Die alte Geschichte vom Zauberlehrling und dem Besen. So stark, so ungeheuerlich schwoll diese Forderung an, daß der gröste Dichter des__jungen Schwedens, August Strindberg, jahrelang seine Fantasie zu unterjochen suchte, die Poesie als einen Entwicklungsstummel, als ein Rudiment ansah, gut genug für Kinder und Weiber, und mit aller Gewalt die Tagesfragen wissenschaftlich zu ergründen suchte. Ohne Brandes Auftreten stände Björnson schwerlich dort, wo er im Augenblick steht auf dem äußersten Flügel der unionsfeindlichen Radikalen als der meistgenannte und bei den Schweden bestgehaßte Politiker des Landes.

In seiner Schilderung der Wirksamkeit SainteBeuves hat Brandes selbst ein Bild von der Aufgabe der Kritik gegeben, wie sie ihm vorschwebte. Er rühmt es als Sainte - Beuves Eigentümlichkeit, daß er eine außerordentlich große Anzahl anderer Geister verstand und erklärte. Er zitirt Emile de Montéguts Worte: Die Kritik ist die zehnte Muse, sie war Goethes heimliche Braut und machte ihn zu zwanzig Dichtern. Was ist die Grundlage der deutschen Litteratur anders als Kritik? Was sind die englischen Dichter unserer Tage? Bewegte Kritiker! Karl Hillebrand hat Sainte-Beuve als den grösten des ganzen Zeitalters bezeichnet. Stellt man die Kritik an und für sich niedriger als Drama und Lyrik, so erscheint das unpassend. Aber für den Schriftsteller ist die Kunstart die höchste, worin er sein Wesen am besten zeigen kann.

So ward Brandes zum Typus der wirklich produktiven schöpferischen Kritik, die neue Wege zeigt, indem sie Vorurteile und Ueberlieferungen aus dem Wege räumt, der Kritik als Gedankenerzeugerin, die als Sturmvogel vor dem anbrausenden Taifun dahinfliegt, der Kritik der Lessing und Belinski.

Unvergessen soll ihm bleiben, was er als Freund, Vermittler, Ratgeber, Helfer, Vorfämpfer für drei Generationen der litterarischen Jugend im Norden gewesen ist. Sie sind fast alle durch sein Arbeitszimmer geschritten und haben dann mit Zagen nach seinen Kritiken ausgeschaut. In Deutschland war er wenigstens für eine Generation ein geistiger Befreier. Und es giebt auch bei uns viele, die bei scheuen Zweifeln, ob Gold, ob Talmi, was ihnen geboten wird, nach Kopenhagen ausschauen, wie sich das neue litterarische Phänomen in Brandes Geiste spiegelt.

Die lekte Periode in der Geschichte der litterarischen Entwickelung des Nordens und der Wirksamkeit von Georg Brandes ist noch nicht zum Abschluß gekommen. Dieselbe Wandlung, die sich gleichzeitig in Frankreich und etwas später in Deutschland vollzog, trat ein: der Natura. lismus mußte zum Rückzug blasen. Eine trockene, nüch terne, mechanische Problemlitteratur, noch nüchterner, weil jeder brave garçon mit trefflichen Grundsäken nun auch den Anspruch erhob, ein trefflicher Dichter zu sein ein Ueberfluten der materialistischen Weltanschauung auf allen Gebieten des Lebens war der Ausklang der Brandes. Periode gewesen. Die neue Dichtung war von Anfang an mit der politischen Linken Arm in Arm gegangen. Das ward ihr zum Verhängnis. Als der Krämergeist in allen drei skandinavischen Reichen Fiasko machte, zulekt in Norwegen mit dem „Verrat" Swerdrups, schien sich auch über die Litteratur wieder der Nebel breiten zu wollen, öde, grau, frendlos

Jacobsen war gestorben, im Jahre 1883 brach Holger Drachmann mit der Partei, der er seit 1872 angehört; der kleine Abschnitt Ostende-Brügge in Skyggebilleder enthielt seine Anklage und sein Programm. Zwei Jahre später wandte auch Gjellerup der Partei den Rücken in Vandreaaret. Nur die ewige Jugend und die chamäleontische Frische Brandes vermochte das Heft in Händen zu behalten - er war immer wieder der erste, es war, als ob seine peripherischen Nervenenden feiner seien als die anderer Menschen, als ob sie eher die Aetherschwingungen erlauschen, die kommenden Gewitter erspüren könnten als andere Sterbliche. Und als die Schar der Mittelmäßigen überhand zu nehmen, der Sturm im Wasserglase einen Wirbel zu erregen drohte, da griff er aufs neue zur Axt wie vor achtzehn Jahren und gab einen neuen Namen als Parole aus. Im Sommer 1888 eröffnete Brandes eine Reihe von Vorlesungen über Friedrich Nietzsche Er folgt ihm durchaus nicht blindlings, stimmt ihm durchaus nicht rücksichtslos bei. Brandes ist der einzige, der über ibn schrieb, indem er über ihm stand. Er wies seine Quellen und seine Geistesverwanten auf, Renan, Hartmann, Dühring, Rée. Er hätte noch Stirner nennen können. Ihm kam es allein auf den aristokratischen Radikalismus an und auf den Kultus des Dionysischen. Das war eine Art Gegengift gegen den entgleisten Materialismus. Wieder sammelte sich eine junge Schar um ihn. Und wieder stand er an der Spike der Ente wickelung, an der Führerstelle, die er seit zwei Jahrzehnten bekleidet. Ob er diese geistige Führerschaft auch weiterhin behalten wird, steht dahin. Aber Brandes wird für sich das Wort Mirabeaus über die Philosophen in Anspruch nehmen können: Sie haben das Licht erschaffen, ich will die Bewegung schaffen.

[blocks in formation]

kommt diesmal aus Canada, sowie er sonst aus Japan oder Australien oder Batavia kommt. Die Wegschickung der Frau ist die Folge dieser Ankunft; die Eifersuchtsverwirrung, welche den Kern des Stücks bildet, die Folge dieser Wegschickung. Technisch sehr ungeschickt wird zufällig" alles zur Erläuterung nötige über den Kanadier mitgeteilt, da tritt er ins Zimmer. Dieselbe Ungeschidlichkeit, die noch Ibsen im ersten Akt der „Stüken der Gesellschaft" beging, bevor er über die französische Technik hinauswuchs. Klar und scharf wird sonst in diesem Akt die Lage exponirt. Erstens das Verhältnis des Apothekers zum Doktor: sie sind in ein Haus gegezogen und arbeiten einander in die Hände. Zweitens das Verhältnis des Apothekers zu seiner Frau: sie ist eifersüchtig, er hat genug von ihr Drittens der Doktor und seine Frau: sie lieben sich, Darlegung der Heiratsgenesis durch die Begaunerung Justarets, Plan einer Reise nach Nizza. Ende der Exposition. Zweiter Teil des ersten Aktes. Justarets Ankunft als erregendes Moment. Sein Verbleiben im Hause, Quelle augenblicklicher Komik. Abschub der jungen Frau mit dem alten Apotheker, Quelle künftiger Komik. Verschärfendes und verknotendes Motiv: Justaret schildert der Apothekerfrau die Doktorsfrau im schwärzlichen Licht der einst erhaltenen Auskunft.

Nachdem der Apotheker mit der Doktorsfrau, der Doktor mit der Apothekersfrau allein gelassen ist, hätte sich die Möglichkeit geboten, doppelte Eifersucht zu schildern. Die Verfasser verzichteten auf die zweite Möglichkeit: der Doktor und die Apothekersfrau bleiben aus dem Spiel. Dafür treten die Doktorsfrau mit Iustaret in Funktion: das ist der Eifersuchtskomödie zweiter Teil. Der Doktor und die Apothekersfrau konstatiren im zweiten Akt das Ausbleiben der beiderseitigen Gatten. Der Apotheker trifft verkatert ein, ohne den Tatbestand aufzuhellen; er belügt die Gattin erfolgreich. Zweitens: Sustaret. Drittens: die Doktorsfrau. Scheinbare Aufhellung: einerseits durch das Entdecken einer Rechnung, andrerseits durch eine boshafte Fiction der Frau. Folgen: Eifersuchtsszenen zwischen dem Apotheker und seiner Frau, Justaret unschuldig geohrfeigt, Eifersuchtsszenen zwischen dem Doktor und seiner Frau. Dritter Akt: Fortspinnen der Fiction durch Justaret, Eifersucht des Doktors auf ihn, Gipfelpunkt der Verwirrung durch grundlose Angriffe der Apothekersfrau gegen die Schwiegereltern des Doktors (Fortspinnung des verschärfenden Motivs vom Schlusse des ersten Akts), allgemeine Entwirrung, Schluß.

Das Ganze stellt sich demnach so einfach wie möglich: 1. Akt, Vorbedingungen; 2. Akt, Eifersucht auf den Apotheker; 3. Akt, Eifersucht auf Justaret. Und doch scheint das Ganze so reich an Beziehungen und Berknotungen, daß den Hörer ein angenehmer Schwindel erfaßt. Diese Beziehungen und Verknotungen, diese meisterhaft geordnete Verwirrung ist nur möglich auf dem Grund einer so ungeheuren Einfachheit des Gesamtbaus. Sollten das unsere deutschen Schriftsteller nicht können! Sollten sie nicht ein Thema in drei lumpige Teile disponiren können! Und jeden dieser

Dieser Maskenball ist auch einer: ein Schwank, der für sich keine Bedeutung hat, aber als Mitglied einer Gattung sie bekommt, Wir in Deutschland haben die Gattung bekanntlich nicht, wir sehen nach ihr mit neidisch-sehnsüchtigem Blick, und wir können sie doch nicht sonderlich achten. Wie die durchschnittlich hübschen Kinder einer | Teile in zwei oder drei andre!

durchschnittlich hübschen Familie erscheinen diese Gattungsmitglieder Die analogen deutschen Geschöpfe zeigten von je verkümmerte Gesichter; wenn freilich ein hübsches einmal darunter war, trug es auch gleich, beim Lächeln, eine nachdenkliche Verklärung um den Mund: einen Ewigkeitszug; der fehlt dort. Wir wollen nicht pedantisch sein. Vielleicht hat Börne Recht: „Ein Possenspiel, das unter zehn Menschen auch nur einen froh gemacht - verschmäht es nicht!" Aber auf das Recht der Analyse verzichten wir nicht.

[ocr errors]
[ocr errors]

Die Charaktere, deß bin ich sicher, werden sie besser machen, und die Wike nicht schlechter. Denn Charaktere giebt es in diesem Schwank wie in den anderen nicht. Und das Geheimnis dieser Komik ist nicht schwer zu ergründen: ihr größerer Teil liegt im ewig Schweinischen. Purgirende Mittel und stopfende Mittel sind zugleich komische Mittel; eine Kraftsuppe, die jemand vor dem Ehebruch gegessen haben soll, giebt zu Betrachtungen Anlaß; die Aufforderung einer Frau gegen einen Greis: „Willfahren Sie meinem Wunsche", wird recht kißlich gedeutet. Und das, so rufen wir in nationalem Stolze, das sollten unsre heimischen Dichter nicht können

..

Hoffentlich ahmen sie ihre Muster nicht so unklug nach wie Frau Mea Reichard, die einen trübseligen Einakter, „Um fünf Uhr“, vor dem französischen Schwank hatte spielen lassen. Sie kehrte des

Die Voraussekung und der Verlauf des Stücks stehe diesmar in einem moralischen Zusammenhang Es erwachsen Unzuträglich keiten für jemanden, der eine schofle Handlung begangen, und sie erwachsen deshalb, weil er sie begangen. Doch ob der Zusammenhang moralisch oder nicht: wichtiger ist, daß er logisch ist. Das ist er Ale Vorkomnisse des Stückes fließen schließlich aus der Tat-Apostels Pauli Wort um, prüfte alles und behielt das Schlechteste. sache, daß ein „Freund" dem andern die Braut weggeschnappt, nachAlfred Kerr.

dem er falsche Auskunft über sie gegeben.

*

*

*

Neue Bühnenerscheinungen. André Ivanowitsch. SchauIm ersten Akte kommt der betrogene Freund an, und gleich spiel in 4 Aften. Aufgef. in Lübeck. Bleibtreu, Carl: „Der Weltbefreier". Vaterländisches Schau

dieser Zug: das Eintreffen des einstigen Verehrers im Hause der

Frau, die einen Bekannten geheiratet hat, ist typisch. Der Mannspiel. Angenommen in Zürich. Stadttheater.

Bonn, F: „Anna Helene". Drama. (Der Verfasser ist das bekannte Mitglied des Wiener Burgtheaters).

Blücher, C. v.: „Des Pilgers Heimkehr". Schauspiel. Erfolgreich aufgeführt im Bellevuetheater in Stettin.

Prag.

Bock, A.: „Die alte Jungfer". Lustspiel in 1. Akt. Abgelehnt,

Dahn, F.: „Sühne". Schauspiel. Erfolgr. aufgef. in Breslau.
Granichstaedten: „Lining und Mining". Lustspiel in 3 Akten,

(nach Reuter). Angen., Burgtheater in Wien.

Höcker, D.: „Die Olympier". Lustspiel. Erfolgr. aufgef. in Hamburg. Thaliatheater.

Keben, G.: „Der kleine Herzog". Lustspiel in 1 Akt

aufgef. in Breslau. Lobetheater.

Erfolgr.

Rossi, Ernesto: Amor che uccide. (Tötliche Liebe). Soll an die deutschen Bühnen versandt werden. (Der Verfasser ist der italienische Tragöde).

Smith, H. I.: „Ella". Dramatische Fantasie in 1 Akt. Angenommen, Nationaltheater in Berlin.

Silesius, F.: „Sie ist stumm". Lustspiel in 1 Akt. Erfolgr. aufgeführt in Breslau. Lobetheater.

Szafranski, F : „Carlas Onkel". Schwank. in 1 Akt. Erfolgr. aufgef. in Licgniz. Wendland, W.: „Alt-Berlin". Histor. Schauspiel. Angen., Schauspielhaus in Berlin.

Chronik der bildenden Künste.

er

Dann aber weist A. v. Heyden darauf hin, daß die „anatomische Korrektheit" überhaupt nicht der alleinige Maßstab für den Kunstwert eines Bildes sei, daß die grösten Künstler der Antike wie der Renaissance darin sich Freiheiten genommen haben, die durch Anstreben gewisser künstlerischer Effekte bedingt und entschuldigt scheinen. Nur wo anatomische Fehler aus purer Nachlässigkeit oder Unfähigkeit nachweisbar sind, ist ein Verdammungsurteil zulässig. Wenn es aber die höheren Zwecke und Ziele eines Kunstwerkes erfordern, dürfen die anatomischen Geseke diesen Zwecken untergeordnet werden „aus eigenem Rechte der Kunst."

Herr v. Heyden, obwol der älteren Berliner Künstlergeneration angehörig, ist einer jener seltenen Männer, die sich auch im Alter den freien Blick für die „Vorzüge" der jungen Generation bewahrt haben, während seine Altersgenossen oft nur deren Mängel nörgelnd bekritteln. Mannhaft ist er hier für die „Sungen" gegen seinen eigenen Freund, Herren Fritsch, eingetreten. Mannhaft hat er dessen schlecht begründete Angriffe schlagend widerlegt Herr Fritsch ist gebührend in die Schranken zurückgewiesen, und Herrn v. Heyden gebührt gebührt da dafür aufrichtiger richtiger Dank. M. S.

Musikalische Chronik.

Staatsbauten. Wie gering im sogenannten „gebildeten" bildeten" Publikum das Verständnis für Kunst und für öffentliche Kunstpflege ist, das beweist uns fast jede Sikung größerer Körperschaften, in denen Kunstangelegenheiten zur Sprache kommen. Das Kunst- | Soachim sang zwei Arien, Herr Schuch dirigirte die „Eroica“ und

banausentum macht sich da häufig mit solcher Selbstgefälligkeit breit, daß es Pflicht wird, unablässig derartige Tatsachen festzunageln, umsomehr, wenn es auf Unterdrückung rühmlicher Bestrebungen ausgeht.

Die Reichspostverwaltung hat in Herrn von Stephan einen Leiter, der nicht nur ein bewährter Fachmann und Organisator ist, sondern nebenbei auch noch ein hochgebildeter und sogar kunstlieben= der Mann. Die Bauten der Reichspost sind überall ein Schmuck der betreffenden Städte, und das deutsche Volk könnte Herrn von Stephan gar nicht dankbar genug sein, daß er nicht nur Dienst räume im Kasernensiil errichtet, sondern, im wesentlichen doch zu Nuk und Frommen der der betreffenden Den Städte Diese Bauten mit monumentalen Fassaden schmückt. Eine solche Gesinnung, die im steten Kampfe mit den stets knappen Mitteln nur durch energische Ausnüzung aller Umstände betätigt werden kann, sollte überall Bewunderung wecken. Wir haben als Kulturstaat die Verpflichtung, nicht nur für Kasernen, Panzerschiffe, Viehmärkte und Sekundärbahnen Mittel zu bewilligen. Wer unsere öffentlichen Bauten zu nüchternen Nukbauten herabwürdigen will, der versündigt sich an der Entwicklung der Kunst in unserem Volke.

Da wagt es der Abgeordnete Müller-Sagan, im Reichstag zu zu behaupten: „Die prunkende Manier der Postgebäude entspreche nicht dem Charakter und der Würde von Staatsbauten. Man solle sich von dem bisherigen Zopfstil emanzipiren". Dem Herrn Abgeordneten müssen doch die einfachsten Grundbegriffe künstlerischer Anschauung absolut fremd sein, wenn er coram publico derartiges zu behaupten wagt.

Ganz bedauerlich ist es, daß gerade diese Seite der Postbautätigkeit nicht außer den amtlich dazu berufenen auch freiwillige Verteidiger im Hause gefunden hat. Hier wo alle Berufsinteressen ihre Vertreter haben, sinden die künstlerischen Interessen außer in einigen katholischen Abgeordneten und in den resp. Vertretern der Regierung kaum einen Verteidiger.

"

[blocks in formation]

Aus eigenem Rechte der Kunst". Ein Wort zur Abwehr von A. v. Heyden. Berlin. Fontane. 1894.

An den Geh. Med. Rat und Professor der Anatomie Dr. G. Fritsch richtet Prof. v. Heyden unter obigem Titeleinen offenen Brief, in dem er Stellung nimmt gegen die, von uns bercits in N. 3. des Magazins gekennzeichneten absprechenden Urteile dieses Anatomen über moderne Kunst.

Herr Prof. Fritsch glaubte nachweisen zu können, daß „die Modernen" zahlreiche anatomische Zeichensünden auf ihrem Gewissen hätten. August v. Heyden weist nach, daß je nach der Art der Beleuchtung (plein air), sehr häufig die Körperformen scheinbar falsche Eindrücke dem Auge des Beobachters liefern. Man kann also nicht, wie Herr Fritsch es getan, in Atelierlicht angefertigte Aktaufnahmen mit Freilichtaufnahmen en vergleichen. gleichen. Heyden Heyde beweist aber sogar, daß Herr Fritsch selber in Heydens Atelier Atelie eine Aufnahme nach dem Akt anfertigte, die, trok unbestreitbarer Richtigkeit, scheinbar anatomisch falsch war. Da der Maler aber nicht ein anatomisches Lehrbuch zu illustriren, sondern seine Eindrücke von den Dingen unmittelbar wiederzugeben hat, wird er gelegentlich scheinbar falsche Anatomie liefern.

Das achte philharmonische Konzert sollte eine Trauerfeier für Hans von Bülow sein. Wenn die Seele des Toten im Saale gewesen ist, dürfte sie schlimme Wike gerissen haben. Fräulein

eine Bachsche Lieblingskomposition Bülows. Es waltete über dem Ganzen ein arger Unstern, der keine Stimmung aufkommen ließ. Nicht bloß ein übelwollender August Ludwig: auch freundwillige Journalisten mußten diesmal das Mislingen konstatiren. Es ist zu erwarten, daß die Scharte bald ausgewekt wird. Jedenfalls ist der Zweck, dem Publikum durch eine Konzert-Ausführung die Größe des Verlustes klar zu machen, den Bülows Tod bedeutet, immerhin er

[blocks in formation]

Von der russischen Musik hört man gewöhnlich nicht viel mehr, als daß sie eine Zukunft hat. Sie weist Talente auf; Marksteine in der Geschichte der edlen Kunst hat noch kein Russe gesezt. as soll jekt anders werden, meint Herr Cui, der Komponist und Kritiker zugleich ist und seine Stimme zugleich in Rußland und in pariser Zeitungen hören läßt. Es ist derselbe Cäsar Cui, dem Franz Liszt eine höfliche Hochschäkung entgegenbrachte und der vor etwa fünfzehn Jahren mit Rimsky-Korsakoff, Borodin Liadoff einen Strauß von Variationen und kleinen Stücken schrieb über ein Thema, weiches mit dem „Flohwalzer" nah verwant ist. Zwischen der Wagnerschen „Oper" und der russischen, stellt Cui fest, besteht ein „Abgrund" D, ganz gewiß! Sogar ein breiter! Aber Cui er teilt der russischen Oper den Vorrang vor der deutschen. Die russische hat in der Verjüngung der Oper am meisten Kühnheit und Ursprünglichkeit gezeigt Die Russen sind die Umgestalter des Musikdramas, und wenn man ihr Vorgehen mit Wagner vergleicht, so muß Cui sagen, daß wir", nämlich die Russen, Recht haben. Je crois que c'est nous qui avons raison, sagt der Flohwalzer-Komponist. Das Hauptgewicht ruhe bei den Russen auf der Lokalmusik. Die Einführung des Volkslieds und des öffentlichen Colorits sei der Hauptverdienst bei der russischen Musik. Die Wagnersche Oper, sagt Cäsar Cui, ist nur Programmusik, während die russische Oper das wahre lyrische Drama darstellt“. Die Posaune kann die Handlung nämlich nicht ergänzen, wol aber der Sänger, das heißt, der Vertreter der Lokalmusik... So albernes Gewäsch, das die unendliche Ueberlegenheit des polyphonen Orchesters und seiner Ausdrucksmittel für komplizirtere selische oder äußerliche Zustände einfach ignorirt, wird gedruckt und darf sogar als „Theorie" gelten!

A. R.

« ForrigeFortsæt »