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Wagnis zustehen sollte, aus dem starren Umschluß geographischer Provinz hinauszuschreiten in den historisch erweiterten Horizont, um dort den geographisch dem Globus eingegrabenen Geschichtsbahnen nachzugehen und so an freuzenden Durchschneidungspunkten die in kultureller Veredlung gezeitigten Schöpfungen auf die Elementarstoffe ihrer Mischungen zu prüfen und zu analysiren. Wie an einer scharfgezeichneten Musterkarte läßt sich eben an und in Indien die Entwicklung der menschlichen Gesittung auf den verschiedenen Stufen anschaulich verfolgen: noch jest enthält es ja neben den Vertretern der primitivsten Gesittung anderseits die Typen erleuchtester Intelligenz, und so würde hier gerade der Versuch äußerst lohnend sein, die eigentlichen Grundgedanken der Weltanschauung bis auf ihre lezte und einfachste Struktur hin zu verfolgen. Wenn unseren exakten Historikern die Ungenauigkeit der indischen Chronologie mit Recht ein Stein des Anstoßes ist, so ist doch diese Perspektive einer psychologischen Ableitung der Kultur um so beachtenswerter. Für solch weltgeschichtliche Probleme zeigt sich allerdings das als geschichtslos verächtlich bei Seite geschobene Indien auf das trefflichste ausgerüstet," bemerkt daher Bastian, „da es auf alles, was Anfang und Ende betrifft, die präziseste Antwort zu geben vermag, und gerade, weil durch derartigen Ausblick auf geEreignisse der bürgerlichen Gesellschaft nur beiläufig berührt, weil nebensächlicher Vergänglichkeit angehörig. Da in träumerischer Kontemplation fein Bruch zwischen Glauben und Wissen sich aufgedrängt hat, auch für die Philosophie noch nicht bemerkbar war, tritt uns eine ein heitlich abgeschlossene Weltanschauung entgegen". Der dritte Band (Kosmogonien und Theogonien indischer Religionsphilosophien, vornehmlich der jainistischen) enthält wesentlich psychologische und religionsphilosophische Erörterungen. Seitdem Schopenhauer die Blicke des Abendlandes auf die eigenartige, die verschiedenartigsten erkenntnistheoretischen Standpunkte in sich vereinigende Religion des Fürstensohnes Gautama gerichtet hat, ist dann nicht zum wenigsten unter dem Einfluß der vergleichenden Sprachwissenschaft, eine ansehnliche Litteratur auf diesem Felde erblüht. Bastians Untersuchungen gelten insbesondere der in Europa noch sehr wenig bekannten und überhaupt schwer zugänglichen Sefte der Jainas, gestiftet von einem Zeitgenossen Buddhas, Namens Mahavira. Theoretisch ist ihre Weltanschauung eine streng atomistische, während ihre Ethik in den wesentlichsten Zügen mit der buddhistischen übereinstimmt, Mildtätigkeit, Keuschheit, Sinneszähmung und Meditation bilden die vier Kardinalpunkte ihrer Sittenlehre. Im übrigen vermag ihre Sagung, die eine strengere logische Schulung verlangt, neben der gröberen Fassung des ja sehr dehnsamen und allen Entwicklungsstufen sich anpassenden nördlichen Buddhismus nicht aufzukommen; während dieser etwa 470 Millionen Anhänger zählt, hat es der Jainismus kaum bis zu einer halben Million gebracht.

Kritiker, Prof. Joh. Ranke, diesem Werk hat zu Teil werden lassen (und zwar auf der 23. allgemeinen Versammlung der deutschen anthropologischen Gesellschaft zu Ulm 1892): „Als ersten Namen auf diesem Entwickelungsgebiete der Ethnologie muß ich Adolf Bastian nennen. Herr Geheimrat A. Bastian, der Schöpfer des Museums für Völkerkunde in Berlin, ist einer der Hauptbegründer der modernen, auf psychologischer Basis rühenden Ethnologie, und wir dürfen es ausprechen, der erste lebende Ethnologe. Nach langer Abwesenheit nach Europa zu rückgekehrt, hat Herr Bastian als Frucht seiner legten Weltreise die Wissenschaft mit einer Anzahl von Werken und Abhandlungen beschenkt, welche wieder als feststehende Säulen der modernen Ethnologie von unvergänglichem Bestande sein werden. Es sind neue Gebiete, welche er der Forschung eröffnet in den drei Bänden seiner Idealen Welten'. Der erste Band bringt die persönlichen Reiseerlebnisse (der Titel lautet: Reisen auf der vorderindischen Halbinsel im Jahre 1850 für ethnologische Studien und Sammlungszwecke), aber die eines Mannes, deffen Augen unendlich mehr sehen als die anderer, in fesselnder, allseitig belehrender Form dargestellt. Ueberall flingt schon das in diesem Werke von Bastian neu aufgestellte Problem an, deffen Lösung die beiden folgenden Bäude erstreben und in wesentlichen Zügen schon zur Darstellung bringen." Der zweite Band nämlich (Ethnologie und Gewichtige Intereffen gefeffelt, die eventuell zwischenfallenden schichte in ihren Berührungspunkten unter Bezugnahme | auf Indien) faßt unter großen, weitgreifenden Gesichtspunkien die vielfachen Beziehungen der kulturhistorischen zur ethnologischen Forschung ins Auge und weist nach, wie beide in ihrem Fortgang und Ziel auf einander angewiesen sind. Daß Judien für den Ethnologen eine besondere Anziehungskraft besigt, ist ebenso einleuchtend, wie das Intereffe, das der Kulturhistoriker und Philosoph ihm entgegenbringt; dazu kommt noch der unwider stehliche Zauber, den die Landschaft auf den Reisenden ausübt und dem sich auch das verwöhnte Auge unseres Beobachters beim Anblick Ceylons nicht entziehen könnte. Indien ist die Wiege der grösten, wenigstens der erfolg reichsten Religionsstifter (man denke nur an Gautama), das Geburtsland der tiefsinnigsten Denker (die Upanischaden allein, abgesehen von aller anderen Litteratur, aus denen Schopenhauer nach eigenem Geständnis die ganze bohrende Kraft seines weitverachtenden Peffimismus schöpfie, sind dafür ein vollgiltiger Beleg) Indien ist die Heimat der fruchtbarsten und feinsinnigsten Dichter, bedeutender Staatsmänner und Kriegshelden furz auf diesem für unsere arische Vorgeschichte so denkwürdigen Schauplay hat sich seit Jahrhunderten ein ungemein reiches geistiges Leben entfaltet, das schon aus dem äußeren Grunde der ethnographischen Verwantschaft für uns ein doppeltes Intereffe beanspruchen kann. Dazu fommt noch ein letter ausschlaggebender Umstand; die Völkerkunde hat im gewiffen Sinne insofern einen systematischen Abschluß erlangt, als einige elementare, mit unverbrüchlicher Notwendigkeit überall auf dem ganzen Erdenrund wirksame Geseße für das weite Leben der Menschheit in dem den ganzen Globus umspannenden Material gewonnen sind. Ee würde sich nun fragen, inwieweit sich diese Entwickelungsformen (besonders glücklich hat die vergleichende Rechtswissenschaft in dieser Hinsicht operirt), die zunächst nur aus der Betrachtung verhält nismäßig niederer Kulturstufen entlehnt sind, auch für die Phasen des weiteren Wachstums berühren, oder um mit Bastian zu sprechen: Es würde sich jest darum handeln, die in Betrachtung der Wildstämme bewährt gefundene und doit experimentell erprobte Methode auf die Kulturvölker zur Anwendung zu bringen, sofern dem ethno-anthropoLogischen Sprog naturwissenschaftlicher Disziplinen dies

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Fast auf demselben Boden bewegt sich eine andere Schrift*) deffelben Verfaffers: Der Buddhismus als religionsphilosophisches System (mit 23 Tafeln, Berlin, Weidmannsche Buchhandlung 1893). Indem hier frühere Forschungen (der Buddhismus in seiner Psychologie und religionsphilosophische Probleme) wieder aufgenommen werden, ist es zunächst die kulturhistorische Perspektive, welche bei der Entwicklung des Buddhismus sich dem Be

*) Ueber das Buch Bastians: Wie das Volk denkt (Berlin, E. Felber 1893), das außer der üblichen Materialiensammlung die Grundzüge der primitiven Psychologie enthält, wurde schon in anderem zusammenhang ausführlich berichtet, vgl. Magazin 1893, Nr. 50.

trachter eröffnet. In der Tat, man mag von dem asketischen Ideal dieses Glaubens wenig erbaut sein, so viel ist jedenfalls unbestreitbar, daß gerade unter der sittigenden und fänftigenden Macht dieser Religion aus den wildesten und blutgierigsten Menschenschlächtern, welche die Welt je gesehen, die friedlichsten und harmlosesten Steppenbe wohner und Nomaden Zentralafiens geworden sind; das ist eine Kulturtat ersten Ranges, um die die übrigen Religionen den Buddhismus beneiden können. Der eminent spekulative Gehalt der buddhistischen Weltanschauung imponirte sodann bekanntlich den Vertretern der Identitätslehre zu Anfang dieses Jahrhunderts gewaltig, besonders Schelling, der sich von dem Studium der ein schlägigen Litteratur eine völlige Regeneration des philosophischen Geistes versprach. Jedenfalls ist für eine fünftige Geschichte der Erkenntnistheorien, die nicht dem gewöhnlichen Schema der griechisch-römischen Entwicklung folgt, sondern die Probleme von dem Standpunkt einer ganz univerfalen Vergleichung aus betrachtet, Indien ein unentbehrliches Glied in der Beweiskette, so daß Bastian mit Recht behaupten kann: „Der Buddhismus bildet für ethnisch-psychische Studien (als Experimentirobjekt) ein ausnehmend lehrreiches Paradigma zum vergleichenden Ueberblick, während es anderseits als ein wunderliches Misverständnis erachtet werden muß, wenn man diese altehrwürdige Scharteke des beschaulichen Indien zu einem neuen Evangelium auszupußen anempfiehlt in unserer zu tatkräftigem Schaffen berufenen Zeit, die lebt von Kampf und Streit, in stetem Ringen nach Höherem und Besserem." Um aber zum Schluß noch auf eine eine besonders wichtige Parallele mit griechischen Anschauungen hinzuweisen, so sei wenigstens der gleiche Ausgangspunkt für die Moral betont; wie Sofrates lehrte, daß niemand freiwillig Unrecht tue, so verlegte auch Gautama den Anfang aller fittlichen Befferung in die Erkenntnis, in die Aufhellung des Dunkels und der Irrtümer, unter denen die Menschheit, getäuscht von dem Schleier der Maja, schmachtet. Aber auch für die Psychologie laffen sich mit Leichtigkeit verschiedene sehr auffällige Änalogien Herstellen.

Wer die originelle Technik in den Reisen Bastians fennt, für den hatte es nichts Wunderbares, wenn plößlich, als man den unermüdlichen Wanderer noch in Bombah wähnte, seine Gestalt in dem polynesischen Archipel auftauchte. Hier, wo er vor etwa 12 Jahren dem verderblichen Strom der modernen Zivilisation so wertvolle Schäße entriß, hielt er auch diesmal eine ergiebige Nachlese, über die ein anderes Buch berichtet, betitelt: Vorgeschichtliche Schöpfungslieder in ihren ethnischen Elementargedanken. (Berlin, E. Felber 1893). Auch hier tritt uns auf mythologischem Gebiet eine reiche Fülle gleichartiger psychologischer Züge entgegen: „Die polynesischen Schöpfungslieder beginnen gleich den orphischen Rosmogonien mit einem uranfänglichen Dunkel, dem Kreisen der Po oder Mutternächte, also der Nyx in weiblichem Gegensatz zu Erebos, als männlich gefaßt. Umdeckt von solcher Finsternis liegt in chaotischer Mischung verhüllt (rudis indigestaque moles) ein bodenloser Abgrund oder Kumulipo, etwa dem Ginnunga-gap der Voluspa entsprechend" (S. 3). Und andererseits fordert wieder die vedische Schöpfungslehre zu einer Parallele heraus, denn bei beiden erfolgt die Bildung eines Materiellen von einem anfangslosen Punkt des Nichtseienden aus, der wiederum der seltsamen nichtseienden platonischen Urmaterie entspricht. Zu solchen weltfernen Spekulationen vermag sich der Bewohner des dunklen Erdteils nicht aufzuschwingen, der Zulu z. B. führt alle Dinge auf den Unfulunkula, den Uralten zurück, wobei übrigens nicht verschwiegen werden soll, daß auch die Polynesier troß

ihres Evolutionismus doch auch die Wirksamkeit eines schöpferischen Demiurgen, des Tangaloa, anerkennen. Zum Schluß noch ein Wort über Bastian als Schriftfteller. Seine Werke find so umfassend und zahlreich, daß fie allein schon eine ganz hübsche Bibliothek bilden; diese gigantische Leistung beanstandet niemand, um so mehr aber richten sich die Angriffe gegen ihre Komposition, gegen den Stil. Wir wollen durchaus nicht bestreiten, daß in ihnen Theorie und Material bunt mit einander gemischt sind und daß auch der eigentliche Stoff sich manchmal in eine schier unübersehbare Fülle von Analozien zu zersplittern droht. Aber man darf demgegenüber nicht vergessen, daß unser Gewährsmann auch garnicht den Anspruch darauf erhebt, in wolgegliederter systematischer Form die verschlungenen Probleme der Ethnologie auf den letzten Rest hin lösen zu wollen, - vielmehr fommt es ihni, darüber hat er nie den leisesten Zweifel gelassen, immer nur auf eine möglichst umfassende Materialjammlung an. Diese aber in einer Ausdehnung zu Etande gebracht zu haben, wie wol sonst keiner auf dem weiten Erdenrund, das wird selbst der böswilligste Gegner kaum bestreiten wollen und daher schwindet unter diesem Gesichtspunkt jedes formale Bedenken. Bastians Werke sind vielmehr für lange Generationen unerschöpfliche Fundgruben der wissenschaftlichen Forschung, und diesem Gedanken hat er auch in der vorliegenden Schrift den zu treffenden Ausdruck verliehen: „Es ergiebt sich die kritische Dringlichkeit, das Einernten der Volkesgedanken keine Minute zu verschieben (bei tagtäglicher Steigerung des internationalen Verkehrs), da wir, die Mitlebenden, allein in der Lage sind, das benötigte Material aufzuspeichern, für künftige Generationen daran zu zehren (bei Abrundung einer naturwissenschaftlichen Weltanschauung).“

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Wirtin trat ein. Sie überreichte ihm wieder das Packet. Er brauchte es nicht zu öffnen, er kannte es. Sein Erftlingswerk lag darin mit höflichem Tank für gütige lebermittelung des Mspts. zurückgestellt." Aber eines Tages wurde das anders. Anstelle des Packetes kam ein Brief. Und kurze Zeit darauf kam der ersehnte Erfolg. Wieder ein par Jahre später und Jerome K. Jerome war ein berühmter Mann.

Der heißersehnte Erfolg war wirklich zu Jerome in das kleine Zimmer, Whitfield Street, gekommen. Aber Jerome hat es dem Erfolge nicht gedankt. Er sah sich seinen Gast genau an. Er fand, daß er ein nüßlicher Freund sei, und beschloß ihn festzuhalten. Aber er sah auch, daß er ein ganz urteilloser närrischer Kauz war. Und da ihu alles Buntscheckige, Tolle anzog, suchte er den neuen Freund zu sondiren. Er beobachtete ihn in den Theatern und gab in,,Stage-Land" lächelnd das Resultat seiner Studien. Er folgte ihm auf das Gebiet der Novelle und des Romans, und sein neuestes und lustigstes Buch,,Novel - Notes" ist ein Rezeptbuch geworden, den Homunculus Erfolg" in wässerige Romane hineinzu destilliren, unter besonderer Berücksichtigung des englischen Klimas.

Es ist ein lustiges Zusammentreffen:,,The Heavenly Twins", der Erfolg der Saison, ist wie die Probe auf die Erempel Jeromes. Die Rechnung stimmt.

*

*

mans von Sarah Grand. Evadne war immer ein kluges
Mädchen. Als die Tante sie einst fragte, ob ihr der
Lanzelot im Heldenbuch sympathisch sei, sagte sie: „Nein;
ich ziehe den alten König vor. Er war gesünder."
Neunzehnjährig verlobt sich Evadne mit einen Offizier.
Doch kaum getraut, erfährt sie durch einen Brief von der
Vergangenheit ihres Neuvermälten. Da schleudert fie
ihm den Handschuh" ins Gesicht. Sie entflieht, und
nur durch die Bitten ihrer Mutter ist sie zu bewegen,
eine Scheinehe mit ihrem Gatten zu führen. Erst gegen
Ende des dritten Bandes hat der liebe Gott ein Einsehen
und nimmt ihren Mann zu sich. In neuer Ehe sucht
Evadne Tröftung. Aber ihr Gemüt ist verdüstert. All
das Schreckliche, das sie erlebt und das sie bei einer
Freundin gesehen, die
Freundin gesehen, die weniger vorsichtig war, lastet
auf ihr. So schließt der Roman.

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Viel liebe alte Bekannte trifft man in dem neuen Buche. Leute, die man bei Crawford und Payn und Mrs. Oliphant kennen gelernt. Und auch der älteste Freund Hanswurst ist _mit_zu Gast geladen. In Sarah Grands neuem Roman hat sich Hanswurst in ein Zwillingspar verwandelt. Die treiben viel tolle Streiche, derart, wie sie Meister Busch in Max und Moriß besungen. Noch als verheiratete Frau besucht die Zwillingsschwester nächtling einen engelgleichen Tenor, um mit ihm die ernsten Fragen der Gegenwart zu besprechen. Aber beide Geschwister erhalten sich rein". Die tugendfördernden Bestrebungen der Frauen siegen eben schließlich auf der ganzen Linie. So ist der Roman in der Tat die denkbar beste und billigste Reiseroute in das England der Lords, der geschminkten Tugenden und der Unmöglichkeiten. Das England, das nirgends existirt als in der Unzahl der englischen Alltagsromane. In The Heavenly Twins" liegt dies Roman-Eiland in neuer Beleuchtung da.

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Das war immer und überall der sicherste Weg zum Erfolge: die alten bequemen und abgetragenen Sachen „auf neu“ zu färben.

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„Und ich schlage vor, jezt den Mann zu opfern an Stelle der Frau"

Vor allen Dingen, die Heldin muß „gut“ sein. Darüber sind sich die Freunde, die mit Jerome zusammen kommen, einen Erfolg-Roman zu schreiben, ganz einig. Die Frage ist nur, was ist „gut“? In Japan würde ein „gutes" Mädchen ihre Ehre verkaufen, um den armen alten Eltern einigen Komfort bieten zu können. Auf gewissen gastlichen Inseln der heißen Zone würde sich ein gutes" Weib den Gästen des Herrn Gemals in einer Art und Weise entgegenkommend zeigen, die uns über trieben scheint. In dem England des 18. Jahrhunderts wurden hochgradige Torheit und widernatürliche Passivität für weibliche Tugenden gehalten. In dem englischen Alltagsroman von gestern war die gute Eigenschaft der Frau Mildtätigkeit gegen Arme. Die chique Heldin nahm Eine Revolution bereitet sich in unseren Tagen, am an Kursen für soziale Hilfstätigkeit teil und machte Armen- sichtbarsten in England, vor. Ohne Dynamit zwar und besuche. In,,The Heavenly Twins" ist die weibliche Tugend ohne Barrikaden. Aber eine Revolution, deren Bedeutung in eine neue Phase der Verklärung getreten. Das gute vielleicht erst kommenden Generationen voll aufgehen wird. Weib ist Kämpferin gegen die Lafter der Männer. Mit der Forderung der politischen Rechte ist der EmanziSie hat Rückgrat, ist im Besiße eines Schatkäftleinspationskampf der Frauen in sein letztes Stadium eingenaturwissenschaftlicher Kenntnisse und ist mit einem Worte treten. Gleichviel ob die Frauen ihre Bestrebungen durch)eine Amazone in Gesellschaftstoilette. Hie Frauenemanzi- | jezen oder nicht: sie selbst sind durch das Kämpfen andere pation! Hie Männerreinheit! geworden. Und auch darum ist dem Romane der Sarah Grand so unverdienter Erfolg zu teil geworden, weil sich etwas von diesem Kampfe in ihrem Buche spiegelt. Freilich wie in einem Zerrspiegel.

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Der Held ein Schurke. Wir hatten die Möglichkeit eines Romans ohne Schurken besprochen“, sagt Jerome, „aber wir hatten uns dahin entschieden, daß er uninter effant sein würde. Ohne den Verbrecher würden wir Litteraten verhungern. Denn wir sind die Spezial forrespondenten bei Satans Armee. Wir erstatten in unsern dreibändigen Romanen von seinen Siegen Bericht, von seinen gelegentlichen Niederlagen in unseren fünfaftigen Melodramen." Den uninteressanten Mann mit der interessanten Vergangenheit hat Sarah Grand ganz nach Rezept ihrer Heldin gegenübergestellt. Wer je in einem englischen Theater gesessen, kennt den Mann.

Sehr ernst erörtern Jeronie und seine Freunde die Frage nach dem Beruf des Helden. Sie sammeln Stim men aus der Damenwelt. Die alte Jungfer, die junge Frau und der Backfisch werden interviewed. Die Wahl verzieht sich mit absoluter Stimmeneinheit: Offizier muß er sein.

Das denkt auch Evadne, die Heldin des neuen Ro

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Revolutionen sind etwas Unbequemes. Leuten des revolutionären Gedankens und der revolutionären Tat hat man stets die Salons verschlossen. Aber gleichzeitig mit der Revolution ist auch noch immer ihr Zwillingse schwesterchen_mit_aufgewachsen, die galante Salon-Revolution. Sie trägt die Gesellschaftstoilette mit Chic, fofettirt mit einigen Gedanken der bösen Schwester und ist in vornehmen Kreisen ein gern gesehener Gast. Man nimmt sie für die große Revolution, findet sie pikant und wißig und macht ihr galant den Hof, da sie doch gar so ungefährlich ist.

Sie ist es, die aus dem Roman der Sarah Grand spricht. Nichts liegt den modernen Frauen in England ferner, als einen Frauenbund zur Hebung der Männerfittlichkeit zu gründen. Mit neuen Frauenpflichten wollen sie sich neue Frauenrechte erobern. Davon will man

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natürlich in den Salons nichts hören. In den Salons herrscht absolut so sagen alle die alte, liebe, bewährte Vorvätertugend. „Wenn wir Franzosen find", meint Jerome K. Jerome, beten wir unsere Mutter an, wenn Engländer lieben wir Hunde und Tugend." Die galante Salonrevolution erzählt bei den Diners und auf den Bällen, die Frauenemanzipation bedeute nur einen Kampf für die Tugend der Salons. Sie hat Erfolg.

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Sarah Grand hat die so kläglich zugeftußten Emanzipations - Ideen in ihrer Blöße mit dem Mäntelchen der Religion befleidet. Die Glocken des Kirchturms von Morningquest rufen den Weckruf der Hüter Israels schläft noch schlummert nicht“ über das Land. Vernehmen die Püppchen des Romans den Ruf, dann hören sie auf zu tanzen und fromme Rührung überkommt sie. Sarah Grand ist wie der kluge Ärzt verfahren, der die Hustenmedizin den Kindern in Zuckerwasser verabreicht. Darum greift Publikum, das große Kind, mit beiden Händchen nach der zuckrigen Mixtur. Ihr Roman "The Heavenly Twins" war der Erfolg" der Saison in London.

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Faber riß sie hastig auf.

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aus Berlin? Wer. wer founte denn? Anlange Halle heute Nacht. Erbarme dich. Nimm mich bei dir auf, bitte, bitte! Ich rechne auf deine Freundschaft. Lingen". Faber griff an seine Stirn. Was war denn das?! Was war denn mit Lingen geschehen? Komische, gauz komische Depesche. Seltsam. Anlange" Idee! Weshalb schrieb er nicht einfach fomme? Und weiter: Heute Nacht - was sollte das heißen? Warum bezeichnete er den Zug denn nicht, den er benüßte? Er, Faber, konnte doch unmöglich raten, was das bedeutete: "Heute Nacht!" Und dann: Erbarme dich und nimm mich bei dir auf". Merkwürdige Fassung. Lingen wußte doch ganz gut, daß in Fabers eleganter Garçonwohnung stets ein Zimmer für Fremdenbesuch frei war. Was also sollte dieses Pathos bedeuten? Rätselhaft. Brauchte es so großer Worte, da sein bester Freund und alter Schul- und Studiengenoffe die lächerliche Woltat einer gastlichen Aufnahme erbat?

Faber sprang auf und ging erregt in seinem mit behaglicher Eleganz ausgestatteten Studirzimmer auf und ab.

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Es war etwas geschehen mit Lingen, das war keine Frage. Die krankhafte Erregung, die aus der Fassung dieser Depesche sprach, mußte in irgendeiner Katastrophe ihren Grund haben, durch irgeneinen Unglücksfall bewirkt sein, der den Freund betroffen. Was aber fonnte das sein?

Lingen lebte als Referendar in Berlin in Gesellschaft seiner Mutter, einer armen Beamtenwittwe. Betraf es die Mutter? War die alte Dame etwa gestorben?

Ein solcher Unglücksfall konnte den armen Freund, der außer seiner Mutter niemanden hatte, gewiß tief erschüttern, aber ihn in eine Verzweiflung zu versehen, wie sie aus dieser Depesche sprach, war er doch nicht geeignet. Zudem hätte Lingen von einem etwaigen Todesfalle den Freund sicherlich gebührend unterrichtet. Die Mutter also würde es wol nicht betreffen; was aber sonst konnte es sein, was diesen armen Jungen so aus dem Konzept gebracht? Vielleicht eine Geldangelegenheit? Schulden - so etwas?

Faber dachte nach: Lingen lebte in dürftigen Verhältnissen Als Referendar hatte er kein Einkommen, abgesehen von der schmalen Einnahme, die ihm einige Repetitorien abwarfen, Vorbereitungskurse zum Referendarexamen, die er Studenten gab. Die Pension der Mutter ihren bescheidenen Ansprüchen so gerade mit Ach und war schrecklich klein, so daß die beiden Menschen bei Krach durchkamen. Es war also sehr leicht möglich, daß ein junger Mann wie Lingen inmitten der Verführungen der Großstadt und in so kleinen Verhältnissen lebend einmal in die Klemme kommen fonnte. Jawol, derait etwas, eine Geldangelegenheit wird es wol sein, die ihn in solchem Entfeßen nach Halle zu Faber trieb. Auch das wollte aber dem letzteren nicht einleuchten, da er es nun näher bedachte.

Lingen war eine außerordentlich anständige und solid angelegte Natur. Er hatte den ganzen Rechtlichkeitsfinn, dieses wundervolle Vermächtnis des preußischen Beamtentums von seinen Vorfahren ererbt, und es sah ihm so garnicht ähnlich, durch irgend einen leichtsinnigen Schritt fich Verlegenheiten zu bereiten. Seine Denkungsart in Geldsachen war vielmehr außerordentlich stolz und vornehm, sein Feingefühl in diesem Punkte übertrieben empfindlich. Als sein Vater starb, hatte Lingen eine Beihilfe Fabers, die dieser im Betrage von dreitausend Mark zur Verfügung stellte, und die Lingen einmal später, wenn er Rechtsanwalt geworden, zurückerstatten sollte, auf das entschiedenste zurückgewiesen. Sie waren arm, er und seine Mutter, aber fremde Hilfe mochten sie nicht. Sie würden sich selber schon allein durchhelfen. Und das taten sie denn auch.

Dies alles stimmte nun nicht dazu, daß er jeßt plößlich in Verlegenheit sein sollte.

Ja, mein Gott, was war es denn aber sonst? Faber stand einen Moment und starrte auf die mannshohe Fächerpalme, die drüben über dem rotsammetnen Ecdivan sich erhob. Dann plößlich stampfte er erregt mit dem Fuße auf. Er konnte doch das nicht erraten - Donnerwetter! Er würde ja sehen; er würde ja doch sehen. Rasch ging er zu seinem großen Diplomatenschreibtische, auf dem die elektrische Lampe unter grünseidenem Schirm ein trauliches Licht ausstralte, und schlug das Reichsfursbuch auf. Heut kommen noch zwei Kourirzüge aus Berlin, um acht und um elf. Mit einem der beiden mußte Lingen kommen. Also zum Achtuhrzuge auf den Bahnhof.

Faber schellte den Diener und gab Weisung zur Herrichtung des Fremdenzimmers. Eine halbe Stunde drauf schlenderte er zum Bahnhof hinaus. Es regnete und war ein gräßliches Novemberwetter, feucht und kalt.

Mit dem Achtuhrzuge war Lingen nicht gekommen,

und ärgerlich eilte Faber heim, um den beschwerlichen | zu schaffen, für ihn selbst aber das Feldbett im SchlafWeg um elf Uhr noch einmal zu machen. Es war doch zimmer aufzustellen. Rasch wurden diese Anstalten gezu ungeschickt von Lingen, daß er seine Ankunft in Halle troffen. nicht genau angegeben hatte, so mußte man bei Nacht und Nebel noch einmal hinaus und sich die Influenza an den Hals holen. Na es nüßte nichts. Die Sache ging aber über den Spaß, als auch nach Ankunft des Elfuhrzuges von Lingen feine Spur fich fand. Das war doch wirklich...

Nun kam um halb zwei nachts noch ein Bummelzug an, der doppelt so lange fuhr als die Schnellzüge, und den fein anständiger Mensch benutte. Mit dem fonnte er doch nicht kommen.

Faber fuhr fluchend nachhause, ließ sich einen Thee kochen und ging zu Bett.

So würde Lingen wool morgen von sich hören lassen und falls nicht, so fonnte man ja noch immer nach Berlin telegraphiren und um Aufklärung bitten. Gegen zwei Uhr nachts, alles lag im tiefsten Schlafe, wurde die Glocke gezogen. Da kam er richtig angesetzt, - unglaublich!

Wütend troch Faber aus dem warmen Bette heraus und schlüpfte in den Schlafrock, um den späten Gast mit einen gefunden Donnerwetter zu empfangen, da trat Lingen schon in das Schlafzimmer ein. Kaum aber war er herangekommen und in den Bereich des Lichtes getreten, als Faber schon allen Zorn schwinden fühlte Nichts als Entseßen empfand er nun.

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Was ist dir denn? Mensch, wie siehst du aus?!" Um zwanzig Jahre hatte Lingen gealtert, blaß, eingefallen, gebeugt, die Augen tiefliegend und glanzlos.

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Lingen hatte auf Fabers Frage nicht geantwortet. Jezt kam er heran, erhob die gefalteten Hände gegen den Freund und, eine entseßliche Angst in den Augen, fagte er flehend: Bitte - bitte bitte duich bitte dich. Es war etwas Zerrissenes in dem Klange seiner Stimme, er fam wie aus geborstenem oder beschädigtem Instrumente. Was denn? Was hast denn du?" fragte Faber ungeduldig. „Daß du hierbleiben willst? Bei mir wohnen?"

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Faber hatte beschlossen, heute nicht mehr in den Freund zu dringen, der alle Anzeichen einer seelischen Erschütterung und einer durch diese bedingte nervöse Ueberreizung aufwies. Er schaffte den Kranken zu Bette und jaß eine Weile neben deffen Lager. Lingen hielt fortwährend Fabers Hand, seine Augen irrten ruhelos im Zimmer umher, als fürchte er sich noch immer. Dann plöglich blieben seine Blicke in einer Ecke des Zimmers haften, erweiterten sich und erstarrten, als böte sich ihnen ein Bild des Grauens.

Was ist dir denn? Hast du Schmerzen?"
Angst, stöhnte Lingen, Angst .

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wovor denn nur?!"

Angst ... Angst . . .“

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Faber sprang auf. Einen Moment noch stand er sich befinnend, daun ging er rasch hinüber in sein Studirzimmer, nahm seine Injektionsspriße aus dem Etui, spülte sie in Karbol und füllte sie mit einer leichten Morphiumlösung. Dann kehrte er zu Lingen zurück und machte ihm die Injektion in den Unterarm. Lingen fragte nicht einmal warum und wozu, er ließ alles mit sich geschehen und fiel nach einer halben Stunde in Schlaf. Er schlief noch, als Faber am nächsten Morgen sich erhob, um seine Besuche zu machen. Er instruirte den Diener und als er gegen Mittag heimkehrte, saß Lingen im Studirzimmer an einem kleinen Tisch, der eine weiße Marmorplatte trug und zeichnete mit Bleistift etwas auf diese Platte.

„Laß doch mal sehen, Arthur."

Kopfschüttelnd betrachtete Faber das Bild, es war unvollendet und stellte einen Frauenkopf dar mit aufgelöstem Haar, die Züge in gräßlicher Verzerrung mit weit offenen, gebrochenen Augen.

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Was soll denn das, du? Veschäftige dich doch mit freundlicheren Dingen. Wie ist dir denn heut?" „Ich glaube beffer.... Faber sah nun erst im Lichte des Tages die ganze Verwüstung in den Zügen des Freundes, die Augen des Leidenden aber hatten heute blizenden Glanz und sein welkes Gesicht wies die flackernde und fiebrische Belebtheit auf, welche das Morphium meistens zurückläßt. „Hm wird schon werden, --wird schon wieder werden", sagte Faber. Nun erzähle doch mal in aller Ruhe, du, was ist dir denn blos zugestoßen, was hat dich denn so umwerfen können?"

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Lingens Gesicht verzog sich wieder schmerzhaft. „Ja“, sagte Faber, zwinge dich. Erzähle mir, erzähle mir alles. Es wird dich erleichtern, und mir, mir wird es doch einen Anhalt geben einen Anhalt dafür, wie ich dich behandeln soll."

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Bin ich denn frank, Otto?" fragte Lingen. Angegriffen sehr sogar. Aber da du nun heute so viel ruhiger bist, so erzähl mir nun. . . .“ Faver zündete sich eine Zigarrette au, reichte dem Freunde eine und setzte sich zu ihm. Lingen starrte auf die Zigarrette, die er in den Fingern hielt, es zuckte um seine Lippen, ein bitterer Zug trat um dieselben hervor. Er zerdrückte die Zigarrette auf der Platte des fleinen Tisches, vor dem er saß, dann sagte er tonlos: „Siehst dues es ist nun ein halbes Jahr her... hielt ein und strich über seine Stirn. Es wird mir entseßlich schwer, davon zu sprechen. Es es war also vor vor etwa fünf Monaten, da kommt eines Tages ein Brief aus Magdeburg von einer alten Freundin meiner Mutter - gleichfalls Beamtenittwe mit ein paar Töchtern. Die Aelteste soll sich in Berlin eine

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