Billeder på siden
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gegen sie an, fraftstrokende, sehnige, wilde Gesellen, Berge als Brustwehre aufeinandertürmend, doch der Lichtgestalten leichtbefiederte Pfeile strecken sie nieder, und jenseits der Stürme erhebt sich der Götter sonniges Reich. Im Dunkel schmachten die Menschen unten auf Erden, da erhellt ein Stral ihr nächtliches Dasein: Prometheus bringt die leuchtende Fackel zu ihnen herab; und jauchzend beginnt lustiges Treiben; im Lorberhain schlingen herrliche Frauen und Männer den Reigen. Den fühnen Erlöser aber trifft der Gottheit Rache. Hermes und der Adler des Zeus tragen ihn über das Meer zur Marterstätte, der Lorberfranz entsinkt des Machtlosen Haupt, und ruhig, des Sieges froh, tront Zeus in seinen lichten Höhen, während ihm auf Erden Altäre dampfen und stumpfe Ergebung das Opfer bereitet: Auf weichem Boden, schicksallos, wie der schlafende Säugling, atmen die Himmlischen." Aus dem irdischen Elend aber, das gleich den Wellen die Menschen verschlingt, steigt leuchtenden Blickes emporgewant ein herrliches Weib empor. Ist es der Götter verförpertes Wesen, deren selige Augen in ftiller, ewiger Klarheit blicken", oder ist es die gottgesandte Trösterin der Menschen, die aufwärtsschauende Hoffnung? Auch dem Segenspender Prometheus stand sie zur Seite, nicht ewige Strafe erheischt sein hehres Verbrechen. In einem Geistesverwanten ist ihm ein Retter erstanden: Her fules hat ihn erlöst, in neuem Glanze, von überirdischem Stral erhellt, liegt das Erdendasein vor ihm, und tieferschüttert birgt der Befreite, dem Lied der Okeaniden lauschend, das Haupt in den Händen.

Hölderlins Sang endet in den dumpfen Tönen ewigen Verzichtes:

„Es schwinden, es fallen Die leidenden Menschen Blindlings von einer

Stunde zur andern,

Wie Wasser von Klippe

Zu Klippe geworfen,
Jahrlang ins Ungewiffe hinab.“

Klinger hat diesen Schluß verändert. Hier giebt er Bilder, an welche das beschreibende Wort nicht mehr her anreicht, Gestaltungen, die zum Schönsten zählen, was Künstler Fantasie zu schaffen vermag. Auf blumiger Au fist ein hehres Weib, ernst blickt sie ins Weite, neben ihr aber erscheint auf dürrem Klepper ein Rittersmann in eiserner Rüstung und erhebt wie traumbefangen die stahlumschlossene Rechte. Kaum erkennt man unter dem Visir den fleischlosen Schädel. Der Tod ist es, der mit stummem Wink die Träumende abruft. Und auf der Randleiste daneben erhebt sich eine tief verschleierte Frauengestalt, groß und hehr, mit fragendem Blick, des irdischen Daseins Rätselbild. Schwer und dumpf lastet das Schick fal auf den Menschenkindern, in alltäglichen Mühen die Erde bestellend, folgen fie des Weltendaseins ewigem Geset, das der Götter leichte Hand spielend aus dem Gleichgewicht reißt.

Hundertfach ist dieser Mythus dargestellt worden, in Worten, in Tönen, in Bildern; Klingers Auffassung aber bleibt völlig individuell, seine ureigene Schöpfung, selbst da, wo er sich scheinbar traditioneller Formen bedient. Man sehe seinen Hermes, der den Prometheus von dannen trägt! Das ist nicht der leichtfüßige schlanke Götterbote der Hellenen. Langsam fliegt er dahin, als empfände er inneres Widerstreben gegen den Auftrag, im Joch eines unliebsamen Dienstes. Und wie föstlich sind die Lichtgestalten im Gegensatz zu den Titanen geschildert, zart und spielend, und dennoch des Sieges gewiß. Bei der Erzählung des Fackelraubes giebt Klinger in einem virtuosen Schabkunstblatt ein Nachtstück, aus dem die Körper der noch im Dunkel harrenden Menschen nur verschwommen

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auftauchen, während Prometheus mit der Fackel blißartig herabfährt; die Opferszene zeigt die Fernsicht über eine weite Landstrecke vom hohen Standpunkt aus, sodaß sich der Beschauer unwillkürlich mit dem oben in den Wolken tronenden Jupiter identifizirt. In feinster Weise find Landschaft und Beleuchtung als Stimmungselemente verwertet, indem zuweilen dem Figürlichen nur ein geringer Raum des Blattes zugewiesen ist; anderes wieder, wie der Reigentanz und der Todeswink, wirken vor allem durch die groß gezeichneten Gestalten selbst. Schon in diesen äußeren Gegenfäßen, im Maßstab und im Schauplak, offenbart sich ein geniales Einleben in das Thema und seine bildliche Ausdrucksfähigkeit.

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Und die lettere ist hier auch künstlerisch stellenweis zur höchsten, vollendetsten Form gelangt. Das gilt vor allem von dem Blatte mit dem Todesritter. Er selbst und die Frauengestalt neben ihm stehen in Klingers Oeuvre" bisher unübertroffen da, nur die schönsten Radirungen aus den Todesfantasien, Versuchung" und Zeit und Ruhm" sind ihnen vergleichbar. In eigenartiger Weise wird man vor diesem Blatt an Dürers Kunst erinnert. Deffen, Melancolia" ist diese sinnende Frau an herber Schönheit und gedankenvollem Ausdruck stammverivant, und wie dort, so versagt auch hier die rein verstandesmäßige Deutung. Auch das legte Vollblatt ist in diesem Zusammenhang zu nennen. Dem Dichter wie dem Bildner Klinger gereicht es zu gleichem Ruhm. Es war ein herrlicher Gedanke, in dem befreiten Heroen zunächst den irdischen Menschen zu schildern, der vom Gefühl übermannt schluchzend sein Haupt in die Hände birgt, und die künstlerische Gestaltung deckt sich an Größe mit diesem Inhalt völlig. Ueberhaupt entsprechen sich Wollen und Können in diesen Radirungen zum Schicksalslied" weit unmittelbarer, als bei den übrigen Bildern, und einzelne Härten, wie die lederartige Behandlung des Fleisches bei den kämpfenden Titanen, einzelne seltsame Berzeichnungen, und die gar zu skizzenhafte Schilderung der tronenden Götter, treten im Gesamteindruck zurück. Am wenigsten können auch hier die völlig realen Figuren befriedigen. Es ist, als ob Klinger sich nur mit Anstrengung auf dem Boden der unmittelbaren Gegenwart zu bewegen vermag. Seine Gestalten empfangen da stets etwas Steifes, Fremdartiges, als laste die Erdenschwere, welche er so tief empfindet, hier auch auf seiner Hand, und ließe deren Schöpfung nicht voll ausreifen. Und etwas von dieser müden, schwerblütigen Art geht auch in seine Traumgebilde über. Das erkennt man am schärfften bei einem Vergleich mit den wenigen, die unter den Meistern unserer Tage um das gleiche hehre Gebiet der Fantasiekunst ringen. Neben den Gemälden Böcklins erblassen die Werke Klingers. Den naiven Märchenton vermag er nicht, wie dieser, zu treffen, auch die vollkräftige Sinnlichkeit des großen baseler Farbenpoeten ist seiner Kunst versagt. Darum packen seine Radirungen auch nicht so unmittel= bar, wie etwa diejenigen eines Rops, oder selbst die Arbeiten Franz Stucks. Krankhafte Melancholie und Gedankenschwere hindern seinen Genius noch immer an seinem freiesten Flug. Doch in diesem Mangel liegt auch ein Teil seiner Eigenart und Größe: Klinger ist unter ́allen seinen Geistesverwanten vielleicht der deutscheste Künstler, weil er der subjektivste und zugleich der gedankenreichste ist. Seiner träumenden, ringenden Seele erscheinen die Himmlischen meist nicht in der plastischen Klarheit des hellenischen Epos, sondern im schwankenden, zitternden Licht der nordischen Romantik, und nicht mit hellem Auge schaut er zu ihnen empor, sondern mit wehmütig - verschleiertem Blick. Kein deutscher Dichter in der Tat steht ihm näher als Hölderlin; wie bei diesem, so bebt auch in

Klingers Werfen ein tiefes Menschenleid und kämpft mit der positiven, schöpferischen Seite seiner Natur eiuen ergreifenden Kampf. Noch immer ist deffen Ausgang ungewiß, Hölderlins Schicksalslied aber hat diesem Kampfe selbst den hehrsten fünstlerischen Ausdruck gegeben, und auch dies muß als ein Höhepunkt in Klingers Entwickelung gelten. Möge er zugleich zu einem Wendepunkt werden! Hölderlins Schicksalslied hat einen krankhaften Klang, sein Sänger ist im Wahnsinn geendet. Die deutsche Natur aber in der hehrsten Vereinigung aller ihrer Kräfte vermag denselben zu überwinden: dem schwermütig entsagenden Sang Hyperions tönt der Siegesruf der von allen bangen Zweifeln befreiten Schöpferkraft entgegen:

„Nur allein der Mensch

vermag das Unmögliche!"

Mar Klinger wäre berufen, auf Grund dieser Selbstüberwindung zu den lichtesten Höhen der Kunst emporzusteigen, wo die Klage des Schicksalsliedes im Schaffen selbst harmonisch verhallt ist.

Voßstraße $6.

Von

Georg Freiherr von Ompteda.

(Schluß.)

Sie war ganz still geworden. So ergeben in ihr Schicksal saß sie da, die süße, kleine Frau. Und ich muß gestehen, ihr Schicksal war garnicht übel, denn Horns kleines Souper" war wirklich großartig. Zuerst wollte fie garnicht recht essen. Aber es machte sich allmählich. Sie meinte zwar bei jedem Bissen:

Ist es nicht eigentlich schlimm von mir?"
Oder: Was müssen Sie denken?"

Da ich ihr aber erklärte „ich fände garnichts dabei“, so verlor sie allmählich alle Scheu und ließ sich das Souper recht gut schmecken. Sie trank sogar noch zwei Schalen Seft. Dann aber wollte sie nicht mehr.

Wir waren allmählich derartig guter Laune geworden, daß wir die Wette längst vergessen hatten, und als wir ,,homard à l'américaine" aßen, bestellte ich eine zweite Flasche. Der Hummer war stark gepfeffert und sie hatte ahnungslos eine ganze Menge des roten Paprika gegessen, den sie auf dem roten Tier nicht als Pfeffer erkannt hatte. Nun brannte ihr der Mund:

„Gnädige Frau, es giebt nur eine Rettung. Schnell trinken."

Sie schüttete ein volles Glas Seft hinab. Aber das war noch nicht genug, ein zweites folgte. Nun hatte sie feine Sorgen mehr wegen der Unschicklichkeit unseres Unter vier Augen“. Ja sie lachte sogar und amüsirte sich darüber:

„Wenn man hier uns sehen könnte, das wäre doch amüsant!"

Also Sie sind mir nicht böse gnädige Frau?" "Im Gegenteil. Ich langweilte mich ja so. Ich

bin nämlich ganz allein zu Haus!“

Ich machte ein erstauntes Gesicht:

„So?"

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Wie ich ihre Hand hatte füssen wollen, bemerkte ich, daß fie feinen Trauring trug, weder rechts noch links, überhaupt keine Ringe.

Gnädige Frau, Sie tragen ja keinen Trauring?" Sie fing an zu lachen . . . Ich fragte:

Sind Sie etwa gar nicht verheiratet?"

Sie lachte noch viel mehr, faßte sich aber dann und meinte immer noch fröhlich:

Ich liebe keine Ringe. Sie sehen, ich trage überhaupt keine . . .

"

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Aber verheiratet sind Sie doch?"

Da zögerte fie, hörte auf zu lachen und sagte:
„Ich bin Witwel"

Gott sei Dank mir sank es wie Zentnerlast von der Seele. Das war es ja gerade, was_ich_suchte. Eine junge Witwe - Nun mußte ich auch alles erfahren; ich fiel also gleich mit der Tür ins Haus:

Gnädige Frau, eine Bitte: Ihre Karte.“
Ich habe keine bei mir."

"Sie müssen sein: entweder Frau von Hildebrandt, Frau Köhner öder Frau von Harries!"

Nun lachte sie aber so, daß sogar der eingetretene Horn, der sonst nie eine Miene verzieht, lächeln mußte. Warum denn?"

"

Weil in Ihrem Hause niemand anders wohnt!" Eben wollte ste schon beginnen: „Ich heiße“ als der immer diskree Horn ein Brett mit verschiedenen Schnäpsen zwischen uns schob:

"

Die Herrschaften befehlen?"

Wir wählten Chartreuse und zwar selbstverständlich grünen. Er geht mehr ins Blut. Horn verschwand. Nachdem wir jeder ein Glas Schnaps geleert, sagte lachend:

sie

"

Raten Sie mal!"

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"Ja, nicht einmal der Diener ist da, oder die hieße, daß ich einen Kaffeefleck auf dem Hemd hätte, daß Köchin. Kein Mensch."

die Champagnergläser "wie vom Winde umgeklappte

"

Regenschirme cusfähen und ich weiß nicht was alles. Der | lich wieder ganz munter geworden... hatte das elektrische Chartreuse schmeckte ihr so gut, daß sie noch zwei Gläschen Licht aufflammen lassen und zeigte mir den Salon: trank. Ich immer doppelt mit. Schließlich wurde Frau Es ist alles noch wegen der Reise so..." erklärte von Harries so ausgelaffen, daß mir wirklich Angst und fie die Unordnung. Bange ward. Sie stellte dem Kellner ein Bein, sodaß er mit einem Brett voll Gläser, die er abgeräumt, strauchelte und hinschlug, dann machte sie auf dem Tischtuch kleine Salz und Pfefferhäufchen, schließlich unterhielt sie sich damit, mir auf meine Manschetten lauter Monde mit Gesichtern darin zu malen. Uebrigens waren es ziemlich traurige Monde, denn zeichnen konnte sie absolut nicht, und machte die Augen immer daneben:

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Ich wollte mich empfehlen, aber sie wurde nun wieder so ausgelassen und gefährlich, daß es meine Pflicht war zu bleiben. Sie steckte nämlich alle Lichter an, nahm eins aus dem Leuchter und ging. na eigentlich schwebte sie wol . . immer rechts und links ich sah auch vielleicht nur alles so . . . ich. hör mal, offen gestanden, ich war wie eine Strandkanone! Also fie ging ins Eßzimmer ... fast wären dabei die Vorhänge angebrannt sie kam ganz nah ran . . . Aus dem Buffet holte sie eine Flasche Benediktiner. . oder . Gilka . . na, irgend ein Schnaps. Und nun gings los, sage ich dir. Donnerwetter, war das ne schwere Sizung. Aber nun wurde es nett:

...

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"Der hat ja keinen Schnurrbart?" meinte ich unwillkürlich. Sie kam auf einen genialen Gedanken: „Machen wir ihm einen!"

ihm

Nur in der Droschte störte es ein wenig, als wir nämlich am Café Bauer vorbeirollten, schrie uns ein Herr, der eben mit einem Schußmann über seine voraussichtliche der Arretur wegen ruheftörenden Lärmes unterhandelte, fröhließ lich nach:

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Nun verabschiedete ich mich selbstverständlich, aber sie sezte sich augenblicklich auf die Treppenstufen und klagte: „Ach ich bin so müde . . Gottchen, Gottchen bin ich müde .." Nun fam für mich ein furchtbarer Kampf zwischen meinem gesellschaftlichen Zartgefühl und der mir angeborenen Ritterlichkeit. Ich brauche dir wol nicht zu fagen, daß die Ritterlichkeit siegte. Ueberlege dits mal selbst: kein Mensch zu Haus, kein Mädchen sie zu pflegen. auf der Treppe durfte sie doch nicht sitzen bleiben. Ich kannte meine gesellschaftliche Pflicht. Sofort bot ich ihr den Arm und schleppte sie hinauf. 1. Etage. Donnerwetter die Einrichtung! Leider waren die Möbel alle verhängt... Ja so. die kleine Frau war näm

Und

Sofort holte sie Tinte vom Schreibtisch und malte
einen mächtigen Schnauzbart, der so auslief, daß
selige Harries bald wie ein Neger aussah. Aber ich
mich nicht lumpen und fragte:
„Rauchte er denn?"

Sie schien zweifelhaft, erwiderte aber:
„Er muß rauchen!"

Und da er nun die Lippen nicht aufmachen wollte, schlug sie ihrem seligen Gemal mit einer Ofenzange die Zähne ein und ich steckte ihm eine Manuel Garcia in den Schlund

Aber dann wurde sie müde und plöglich sing fie an zu stöhnen, fiel und schnappte nach_Luft.

Du kannst dich in meine Lage verseßen. Lecker war das nicht. Aber ich beschloß alle konventionellen Bedenken bei Seite zu laffen und in Betätigung reinen Menschentums meine Pflicht zu erfüllen.

Ich hob sie auf und trug fie auf ihr Bett. Sie war offenbar besinnungslos, und da sie nach Atem rang, mußte ich auch ein letztes wagen und ihr Luft schaffen.. Ulebrigens bemerkte ich dabei, daß ihr Kleid zu weit war und sie sich durch Vorspiegelung falscher Tatsachen geholfen. Ich deckte sie zu.

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Nun hieß es also: raus! Mir war selbst im Vertrauen unwol geworden, und gesellschaftliche Verbindlichkeiten haben auch ihre Grenze

Mein Freund Gall schwieg. Ich fragte:

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Horn erriet:

legenheit bekommen, darüber nachzudenken, daß die Schnsucht des alten, lahmen, tauben und furchtsamen Nachtwächterschneiders nach dem gelobten Amerika, das es besser hat als unser Kontinent, doch nicht recht wahrscheinlich wirkt; daß dies Hörnerspiel des jungen Weibes mit dem armen Sammermann schließlich gar nicht so vergnüglich ist; daß die Verse hinten und die Reime stolpern.

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Die lustigen Personen“ dieses Spieles sind, wie es im Stil des Fastnachtsstückes liegt und wie es auch niemand anders verlangen wird, in derben Umrissen gezeichnete Typen. Polzin, der glückliche Gatte, Schneidermeister und Nachtwächter, ist der prädestinirte Cocu; er gleicht, des nachtwächterlichen Würdepelzes ents kleidet, so frappant dem biederen Meister Bök aus „Mar und Morig“, daß man ihm ein heißes Bügeleisen auf den kalten Leib gebracht. wünschte; und das Weibchen samt ihren Galanen, dem alten Schmück und dem jungen Tornier, wirken, als wären sie aus einem verschollenen Schwankgedicht des seligen Langbein auf die Bretter verjetzt. Vor allen gilt dies von dem strammen Landjunker mit Stulpenstiefeln und Reitpeitsche, der derbe Liebelust verheißt und von dem schmunzelnden Gastwirt, Herrn Schmück, dem grauen Sünder, der statt der Jugend klingenden Lohn als Mitgift bringt, und der auch für den armen Polzin das verhängnisvolle Pillet zur Ueberfahrt nach Amerika Zwischendeck besorgt. Diesen Leutchen und ihrem skrupellosen Spiel mit dem Feuer würde man nun zwar ein Weilchen ganz belustigt zusehen; einen ganzen Abend aber uns zu interessiren vermögen sie, obwol sie Halbe „Menschen“ nennt, ebensowenig wie es der ganze Vorwurf kann.

Das Stück besteht nur aus einer Aneinanderreihung komischer Situationsbilder, derber Holzschnitte, im körnigen Geschmack der Fazetienlitteratur des 16. Jahrhunderts. Das beste Bild ist gleich im ersten Akt. Der Junker läßt sich vom Polzin die geplagte Rückennaht zunähen und schäkert so, während er mit der breiten

Die schwarze Dame neulich war die weggeschickte Hinterfront als eigene spanische Wand dem genarrten Ehemann die Gesellschafterin der Frau von Harries!

Wir fuhren herum zugleich:

Woher wiffen Sie denn das?

Horn lächelte:

Sie verkehrt öfters bei uns!

Litterarische Chronik.

„Der Amerikafahrer“. Scherzspiel in drei Akten von Mar Halbe. Neues Theater, 3. Februar...

Halbes Scherzspiel von der durchtriebenen Frau, dem alten Ehefrüppel und den beiden Amanten hat ein schlimmes Ende genommen. Das Publikum erwartete das neue „Werk" des Dichters der „Jugend" und fand nur einen Fastnachtsschwank, einen Gelegenheitsscherz; es glaubte, moderne Gegenwart zu sehen und Halbe knüpfte in Stil, Charakteristik und Form an das 16. Jahrhundert an; es erhoffte schließlich etwas Kurzweil und landete im dritten Akt beim Gegenteil. Daß sich das Publikum in dieser Hans Sachseschen Welt und diesem Hans Sachseschen Stil mit den groben, aber kräftigen Konturen, die ganz echt getroffen sind, nicht zurechtsand, ist seine Schuld und es wäre schade, wenn durch solch Unverständnis ein Dichter verhindert würde, der echt deutschen Gattung des Fastnachtsspieles neues Leben einzuhauchen. Doch auch Halbe ist mitschuldig am Stranden seines „Amerikafahrers". So lustig und boccazisch dies Märlein von dem verschlagenen hübschen Weibchen, das den Mann und die beiden nach fremden Früchten lüsternen Verehrer an der Nase herumführt, auch ersonnen ist, auf drei, noch dazu gedehnte Akte vermag seine Wirkung nicht auszureichen.

So etwas muß flott in einem Atem herunter gehn; man darf aus dem Lachen nicht heraus kommen und gar nicht Zeit und Ge

Aussicht nimmt, mit Frau Julchen liebeswarm.

Aber die Bilder steigern sich nicht, und es kommt keine rechte Stimmung mehr; weder im zweiten Akt, wo Polzin sich beim Paden zur Reise nach Amerika, als Unschuldslamm im Armenfünderhemdchen präsentirt und schließlich, als er sich gar nicht zum Abschied entschließen kann, freundlich aber nachdrücklich von den schlimmen Brüdern und der teuern Gattin abgeschoben wird, noch im dritten Akte, wo Julchen vor ihren beiden Bewerbern Profete rechts, Profete links keine Ruhe mehr hat bei Tag und Nacht. Völlig aber ging im Lärmgewoge des skandallustigen Publifums der moralische“ Schluß zu grunde. Julchen nimmt ihren, nach einem allerdings merkwürdigen Utas, als Krüppel von der Ueberfahrt ausgeschlossenen Eheherrn, der mit dem für das verkaufte Billet erhaltenen Bazen froh zurückkehrt, reumütig wieder auf. Ein bequemer Mann ist leichter zu ertragen, als zwei unbequeme Liebhaber.

Halbe ist diesmals nicht glücklich gewesen und das undankbare Publikum, das in ihm eben noch den erklärten Liebling sah, hat es ihm grausam genug gegeben. Der Dichter wird klug genug sein, dies nicht allzu tragisch zu nehmen und im Einklang mit seinen Freunden, den „Amerikafahrer“ für einen Gelegenheitsscherz zu halten, für ein Intermezzo auf dem Weg zu den reifen Früchten der Jugend“. Felix Poppenberg.

Im Schauspielhaus wurde am Sonnabend „Verbotene Früchte" Lustspiel in drei Aufzügen, nach einem Zwischenspiel des Cervantes, von Emil Gött aufgeführt. Cervantes hat Menschen von Fleisch und Blut geschaffen: Herr Gött aber suchte ihn da, wo er ihn sich ähnlich fand. Lustig huschten uralte Typen über die Bühnen des föniglichen Hauses.

Die Frau eines Landedelmanns benußt die Abwesenheit des Herrn Gemals, um sich in Gemeinschaft mit ihrer Zofe mit Galans zu amüsiren. Die alte Kupplerin hat alles trefflich eingefädelt. Von der lustigen Person, in Gestalt eines fahrenden Schülers, werden sodann Miles Gloriosus und Junker, die beiden Galans, in ihrer ganzen Erbärmlichkeit entlarvt. Der Scholast führt

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schlagenden“ Beweis. Der Herr Gemal, „der Eifersüchtige“, aber kommt unversehens herein, der lustigen Person fällt nun das Mittleramt zu, nachdem sie vorher, frei nach Andersen, die schnell versteckten Leckerbissen wieder hervorgezaubert hatte. Frau Conrad beschämte den Verfasser: fie gab dem fahrenden Schüler Herz von ihrem Herzen und Lachen von ihrem Lachen. Sie verschaffte dem Stück die verbotene Frucht" Erfolg. Dem Publikum schien freilich dies Ragout seizième siècle" zu munden. Der immerhin feltene Gang hätte nur individueller angerichtet sein müssen. „Die Minnekönigin“, Komödie in einem Aufzug von Hanns von Gumppenberg wurde als hors d'oeuvre vorher servirt. Die Requisiten des Stückes sind eine Gräfin, Königin eines Minnehofes, ihr Ritter und eine spanische Wand. Um ihre Liebe zu prüfen, entstellt er sich durch Bettlerkleidung, um sein Herz und seinen Charakter zu erkunden, tut sie desgleichen. Aber den Mut, ihr blondes Haar abzuschneiden, hat er nicht. Darum Versöhnung und Liebe. Küssen unter Gesangbegleitung des Nebenbuhlers. Zum Schluß, komischer Einfall — der spanischen Wand.

„Soweit mein Schwachsinn reicht“, lauten einmal die Worte des Dichters Hanns von Gumppenberg. Sehr weit hat er diesmal leider nicht gereicht.

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Am 30. Januar hatte das Raimundtheater seinen ersten großen Erfolg Nach Raimund, Anzengruber, Wilbrandt und einigen Minderwertigen wurde Sudermann mit seiner „Heimat“ ins Treffen geführt. Der Sieg des Dichters ist unbestritten. So starker Beifall, so zahlreiche Hervorrufe (man zählte deren vierzig) habe ich bisher in Wien nur bei Jubiläen oder sonstigen Festaufführungen beobachtet. Die Wiener pflegen sich nur für einzelne Schauspieler, nicht für Dichter zu begeistern. Das dramatische Kunstwerk gilt hier häufig nur als ein Mittel zu dem Zwecke, diesem oder jenem Liebling zu neuem Glanz zu verhelfen. Die Leute gehen ins Theater a. d. Wien weniger, um eine neue Operette zu hören, als um Herrn Girardi in einer neuen Rolle zu sehen. Und, während dieser wiener Komiker seine Herrschaft heute noch behauptet, hat seine Gattin (Frau Odilon) der bisherigen Beherrscherin des deutschen Volkstheaters (Adele Sandrock) das Szepter aus der Hand gewunden. Das Ehepaar Girardi beherrscht somit zwei wiener Bühnen. Die übrigen Mitglieder sollen nur einen passenden Hintergrund für die Haupterscheinung abgeben. Das Publikum will es so, und die Bühnenleiter fügen sich dem Brauch. Aber Müller-Guttenbrunn ist eine Kampfnatur; er will keine Sterne leiden, die den schlichten Glanz der gesamten Darbietung verdunkeln, um ihre eigene Leuchtkraft zu steigern. Ein gerundetes Zusammenspiel ist das künstlerische Ziel seiner Bühne. Und, wenngleich Müller-Guttenbrunn jüngst klagend ausgerufen hat: „Man glaubt zu regieren und man wird regiert!“. - so ist er doch weit davon entfernt, sich von den Launen eines Weibes regieren zu lassen. Um jede Störung in den angekündigten Heimat-Aufführungen zu vermeiden, hat denn auch die Direktion für eine doppelte Beseßung der Hauptrollen vorgesorgt. Sollte sich also die Darstellerin der Magda von den Primadonnen-Launen ihrer Heldin anstecken lassen, steht Ersatz in Bereitschaft.

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Die für wiener Begriffe gewaltige Entfernung des RaimundTheaters von der inneren Stadt und der besonders für berliner Begriffe unglaublich mangelhafte Wagenverkehr mögen materielle Gefahren für das junge Unternehmen bedeuten; dem künstlerischen Gedeihen der Bühne gereichen sie zum Vorteil. Das RaimundTheater gilt nicht als „elegant“. Deshalb wird es weniger zahlreich von litterarischen Modegecken heimgesucht, als die übrigen Schauspielhäuser, wo es in den Logen etwas zu sehen gibt und wo man selbst sich sehen lassen kann. Dieses neue Theater, hart an der Grenze des bisherigen Stadtgebiets gelegen, beherbergt selbst bei seinen Erstaufführungen weniger Leute, die dabei sein“ wollen, als solche, die hören und schauen wollen Wer wahrhaft litterarisches Intereffe hat, der scheut nicht den halbstündigen Weg zur Mariahilfer Linie; die litterarischen Gecken aber, welche den kürzeren Weg zum Etablissement Ronacher" vorziehen, laffen im Raimundtheater

Play frei für Leute aus dem Volke, denen kein Streit über neuen und alten Stil die Unbefangenheit des Urteils geraubt hat.

Auch im Deutschen Volkstheater fand sich anfangs ein noch theaterunkundiges und naives Publikum ein. Aber gar bald wurde dieses frische Reis am alten Stamme der wienerischen Kunstbegeisterung durch Säfte aus der pariser Herenküche vergiftet. Und die frankhafte Kunst eines frankhaften Deutschen übte gleichfalls ihre entnerbende Wirkung. Heute sitt im Deutschen Volkstheater nicht mehr ein naives, sondern ein in seinem Geschmack verdorbenes und den rohesten Effekten zugängliches Publikum.

Müller-Guttenbrunn wird hoffentlich seine Aufgabe als Erzieher des Volkes besser erfassen, zumal uns der gestrige Abend bewiesen hat, daß es auch noch gesunde deutsche Dichter gibt. Denn, bei aller Bühnenkenntnis, die Sudermanns „Heimat“ verrät; bei allem | Reichtum an Effekten, die auf den Zuschauer einstürmen, ist das Werk doch frei von jenen, fast möchte ich sagen, höhnischen Angriffen, die ein französischer Dramatiker mit zynischer Berechnung gegen das Nervensystem der Theaterbesucher zu führen weiß. Sudermann scheut nicht den Umweg, der durch unsern Verstand zu unsern Herzen führt; gelangt er doch um so sicherer zum Ziele! Nicht durch stimmungsvolle Rührseligkeit, die uns weinen macht, trok Einspruch des Verstandes; — durch klare Darlegung der dramatischen Gegensäße und durch folgerichtige Durchführung der aufgestellten Thesen erreicht er seine Wirkung. Während die glücklich-rasche Schlußwendung von Sudermanns „Ehre" noch als eine Rücksicht für diejenigen gelten mag, die sich auch durch das schönste Theaterstück das Abendessen nicht wollen verderben lassen, schreckt der Dichter hier von einer tragischen Lösung nicht zurück: in der richtigen Erkenntnis, daß eine friedliche Vereinigung von zwei feindlichen Weltanschauungen unmöglich sei. Bewundernswert dabei ist die Geradlinigkeit seiner Zeichnung, die jede unnötige Kurve vermeidet. Welcher französische Autor hätte uns (zur scheinbaren Erhöhung des Kontrastes) den Anblick des Hotelzimmers erspart, in welchem die Primadonna mit ihren Koffern und Schachteln, mit dem Gesangslehrer, dem Papagei une der Wego zugleich Stlavin und Vertraute) ihr Wesen treibt!? Im altmodischen Zimmer des väterlichen Hauses spielt sich die gauze Tragödie ab, und die Geschlossenheit des Raumes fördert wesentlich die Geschlossenheit der Stimmung.

Bei der wiener Erstaufführung äußerte sich diese Stimmung in überwältigender Art. Während einzelne Wigworte und geistvoll geschliffene Redewendungen in den ersten Parketreihen verständnis, volles Lächeln fanden, zündeten die großen tragischen Effekte zuförderst beim Volke mit solcher Gewalt, daß sich schließlich keiner ob er nun wolwollend oder übelgesinnt gekommen war dem Zauber der Dichtung entziehen konnte. Tonlose Spannung bei jeder entscheidenden Szene, hörbares Aufatmen nach jeder abschließenden Rede, mächtiges Beifallsgebraus nach dem Hymnus der Mutterliebe: Kein Zweifel, die Volksseele wor erfaßt von der Gewalt eines wahrhaften Dichters!

Die sorgfältige, auf einen einheitlichen Grundton gerichtete Inszenirung hat das ihrige zu dem Erfolge beigetragen. Unter den Darstellern stand naturgemäß Frl. Barsescu, (eine plavzanis 'Ayaðý) in erster Reihe. Vergleichende Kritiker erklären sie für die beste Magda der deutschen Bühne. Eleonora Duse hat die Geheimnisse ihrer Kunst für Agathe Barsescu nicht umsonst enthüllt. Aber im Raimundtheater ist jedenfalls die Tugend schöner, als das Laster. Von den Männern gefiel mir am besten Herr Klein, der den Pfarrer zwar etwas zu jung in der Maske, aber mit ergreifender Schlichtheit in Ton und Gebärde spielte. Gerhard Romberg.

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Gerhart Hauptmanns Hannele" hat bei den Freunden des Théatre-Libre nicht den Erfolg gehabt, den Antoine und sein Generalstab, ihren Aeußerungen beim Banket im berliner Friedrichshof nach, erwarteten. Man scheint es sogar dem Dichter, der den Proben beiwohnte, übel genommen zu haben, daß er vor der Aufführung Paris verließ. Auch die pariser Kritik, soweit sie sich bisher hat hören laffen, steht dem Werke verständnislos gegenüber. Allerdings haben sich die beiden verständigsten pariser Theater

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